Historical Saison Band 78

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2 Romane von Diana Gaston

EINE SKANDALÖSE VERLOBUNG

Eine Scheinverlobung mit der unkonventionellen Miss Genna Summerfield erscheint dem Marquess of Rossdale die perfekte Lösung: Er will nicht heiraten, muss Zeit gewinnen! Nur Freundschaft verbindet ihn mit der betörenden Künstlerin. Bis zum ersten heißen Kuss, der den adligen Junggesellen in tiefe Verwirrung stürzt …

EIN SKANDALÖSER TODESFALL

Für das Wohl ihrer Geschwister hat sich die verarmte Lorene Summerfield geopfert und einen despotischen Lord geheiratet. Dabei liebt sie doch seit Jahren heimlich den charmanten Dell, Earl of Penford. Nun ist sie überraschend Witwe geworden - doch ausgerechnet Dell wird des Mordes an ihrem Mann angeklagt!


  • Erscheinungstag 05.01.2021
  • Bandnummer 78
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502924
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diane Gaston

HISTORICAL SAISON BAND 78

1. KAPITEL

Lincolnshire – Winter 1815

Genna Summerfield sah ihn zuerst nur aus dem Augenwinkel – einen weit entfernten Reiter, der voller Kraft und Anmut und ungezwungener Leidenschaft über das Land galoppierte. Es war ein aufregender Anblick. Der graue Hengst war wunderschön, sein Reiter trug einen ebenfalls grauen Mantel, der sich hinter ihm aufbauschte. Pferd und Reiter sahen aus, als wären sie eins mit den dunklen Wolken, die jetzt den Himmel bedeckten. Ob sie es wohl auf Papier bannen konnte? Genna griff nach Skizzenblock und Kohlestift und begann, schnell zu zeichnen.

Es war umsonst. Schon war er in einer Senkung des Hügels verschwunden.

Sie legte den Stift nieder und machte sich wieder daran, das Tal vor sich zu malen – der Grund, weswegen sie an einem kalten Dezembertag auf diesem Hügel saß. Wie sehr wünschte sie, sie könnte den Reiter und seinen galoppierenden Hengst malen. Welch wundervolle Herausforderung es doch wäre, all jene Grautöne wiederzugeben und gleichzeitig die Kraft und Anmut der Bewegung einzufangen.

Plötzlich lauter werdendes Hufgeklapper ließ sie zusammenzucken. Sie drehte sich um. Der Mann lenkte sein Pferd auf sie zu. Sie hob unwillkürlich ihren Pinsel, als könnte sie sich so alles besser einprägen, die Bewegung, das Licht, die Schatten …

Du lieber Himmel! Das Pferd kam mit donnernden Hufen direkt auf sie zu! Genna wich zurück, wobei sie ihren Schemel umwarf.

Im letzten Moment brachte der Mann seinen Hengst zum Stehen. „Ich wollte Sie nicht erschrecken“, sagte der Reiter.

„Das haben Sie aber. Ich dachte, Sie würden über mich hinwegtrampeln!“ Sie warf ihren Pinsel in ein Glas mit Wasser und wischte sich die Hände an der Schürze ab, die sie über ihrem Kleid trug.

Er musste ein Gentleman sein, wenn man nach dem vorzüglichen Schnitt seines Mantels urteilen wollte, und der Art, wie er im Sattel saß, als wäre es sein Anrecht, auf jedermann herabzusehen.

Lieber Himmel, hoffentlich war das nicht der entfernte Cousin, der ihr Land, ihr Gut, ihr Zuhause geerbt hatte.

„Verzeihen Sie mir.“ Er stieg ab. „Ich wollte mich erkundigen, ob Sie Hilfe brauchen, aber jetzt kann ich sehen, dass Sie absichtlich auf diesem Hügel sitzen.“

„Ja.“ Sie schirmte die Augen mit der Hand ab. „Das ist richtig, ich male das Tal hier unter uns.“

„Es ist eisig kalt“, wandte er ein. „Diese Kälte kann nicht gut für Sie sein.“

Genna hielt ihm ihre Hände hin. „Ich trage Handschuhe.“ Allerdings ließen ihre Handschuhe natürlich die Finger frei. „Und mein Umhang ist sehr warm.“

Sie musterte sein Gesicht, markant und schmal, aber nicht mager. Die Nase war aristokratisch gerade, was irgendwie zu ihm passte, wie Genna fand, und die Augenbrauen dunkel, genau wie die wenigen Strähnen seines Haars, die unter dem Hut hervorlugten. Seine Augen waren das Fesselndste an ihm, karamellbraun mit dunklen Flecken. Liebend gern hätte sie ein so bemerkenswertes Gesicht gemalt.

Er streckte die Hand aus. „Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich heiße Rossdale.“

Also nicht ihr Cousin. Sie atmete erleichtert auf und schüttelte ihm die Hand. „Miss Summerfield.“

„Summerfield?“ Er hob die Augenbrauen. „Mein Gastgeber, Lord Penford, heißt Dell Summerfield. Sind Sie vielleicht verwandt?“

Sie wusste, dass Lord Penford ihr Cousin war, aber das war schon alles. Dieser Mann war also ein Gast ihres Cousins.

„Nur entfernt.“ Sie hob unwillkürlich das Kinn an. „Ich gehöre zu den skandalösen Summerfields. Sie haben zweifellos schon von uns gehört.“

Sein Lächeln gefror, was Gennas Frage beantwortete. Natürlich hatte er schon von ihrer Familie gehört – von ihrem verstorbenen Vater, Sir Hollis Summerfield of Yardney, der sein Vermögen in unklugen Investitionen verloren hatte. Und ihre Mutter, die berüchtigt war für ihre zahlreichen Liebhaber, einschließlich des Mannes, mit dem sie durchgebrannt war, als Genna so klein gewesen war, dass sie sich kaum daran erinnerte. Wer hatte nicht von den skandalösen Summerfields gehört?

„Dann wohnten Sie früher in Summerfield House.“ Er wies auf das Haus unter ihnen.

„Deswegen male ich es“, erwiderte sie. „Und ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie Lord Penford nicht verraten würden, dass ich sein Land betreten habe. Ich habe nichts angestellt und wollte nur dieses eine Mal kommen, um die Aussicht zu malen.“

Er winkte ab. „Ich bin sicher, es würde ihm nichts ausmachen.“

Davon war Genna nicht so überzeugt. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Lord Penford darauf gedrängt, dass Genna und ihre zwei Schwestern das Haus verließen. Doch sie sagte nichts, sondern begann nur, ihre Malsachen einzusammeln. „Wie dem auch sei, ich gehe jetzt.“

Er legte die Hand auf ihre Staffelei. „Das ist nicht nötig. Bitte machen Sie weiter.“

Genna schüttelte den Kopf. Der Zauber war gebrochen. Sie war daran erinnert worden, dass das Haus nicht mehr ihr Zuhause war. „Ich muss zurückkehren, und es ist ein ziemlich langer Weg.“

„Wohin müssen Sie?“

„Nach Tinmore Hall.“ Sie reckte stolz das Kinn. „Oder haben Sie nicht gehört, dass meine Schwester Lorene Lord Tinmore geheiratet hat?“

Er senkte den Blick. „Das hatte ich vergessen.“

Gennas älteste Schwester hatte den uralten Lord Tinmore wegen seines Vermögens geheiratet, damit Genna, ihre Schwester Tess und ihr Halbbruder Edmund nicht in Armut leben mussten. Und damit sie, im Gegensatz zu Lorene selbst, eine Ehe aus Liebe eingehen konnten.

Genna hatte Lorene noch nicht vergeben, dass sie ihr eigenes Glück geopfert und sich an diesen alten, widerwärtigen Mann gekettet hatte. Und wozu? Genna glaubte nicht mehr an die romantische Vorstellung von Liebe und Glück bis in alle Ewigkeit. Brachte einem die Liebe am Ende nicht bloß Schmerzen und Leid ein?

Gennas Leinwand flatterte im zunehmenden Wind.

Rossdale legte die Finger auf den Rand, damit sie nicht fortgeweht wurde. Er runzelte die Stirn. „Das Haus haben Sie gewiss gut eingefangen, aber der Rest ähnelt in nichts dem heutigen Tag.“

Langsam löste sie die Leinwand von der Staffelei, deckte sie mit Seidenpapier zu und legte sie in einen Lederumschlag. „Ich habe eine Erinnerung gemalt, könnte man sagen.“ Oder das Gefühl dieser Erinnerung.

Eine Bö kam auf, und Genna wandte sich ab, packte rasch den Rest zusammen und wickelte ihre Pinsel in einen mit Farbe befleckten Lappen, bevor sie alles in eine riesige Umhängetasche aus Segeltuch steckte.

„Wie weit ist es bis zu Ihrem Zuhause?“, fragte Rossdale.

Ihr Zuhause lag genau unter ihnen, hätte sie ihm am liebsten geantwortet. „Bis nach Tinmore Hall, meinen Sie? Nicht mehr als fünf Meilen.“

„Fünf Meilen!“ Er sah erstaunt aus. „Sind Sie allein hier?“

Sie presste gereizt die Lippen aufeinander. „Ich brauche keine Anstandsdame dort, wo ich geboren bin.“

Sein Ton war beschwichtigend. „Dürfte ich Sie dann nach Tinmore Hall begleiten?“ Er blickte kurz zu den Wolken hinauf. „Der Himmel sieht recht bedrohlich aus, und vor Ihnen liegt ein langer Weg.“

Fast hätte sie gelacht. Wusste sie nicht besser als die Meisten, was einer Summerfield-Schwester geschehen konnte, die von einem Unwetter überrascht wurde – und das in Gesellschaft eines Mannes? Wenn Genna es auch niemals so weit kommen lassen würde. Nicht wie ihre Schwester Tess, die den Mann geheiratet hatte, mit dem sie in ein Gewitter geraten war. Warum sollte sie nicht einen Ritt mit Rossdale riskieren?

Ihr Lächeln vertiefte sich. „Wie freundlich von Ihnen. Einen Ritt auf Ihrem schönen Pferd wüsste ich sehr zu schätzen.“

Ross befestigte ihre Segeltuchtasche am hinteren Teil des Sattels und stieg auf Spirit, seinen Lieblingswallach, den er selbst in den Zuchtställen seines Vaters gezogen hatte. Dann streckte er die Hand aus und half Miss Summerfield hoch, sodass sie vor ihm sitzen konnte, als säße sie in einem Damensattel.

Sie wandte den Kopf und sah ihn unverwandt an. „Danke.“

Im Grunde sah sie hübsch aus mit ihrer blassen, makellosen Haut, den blauen Augen, die ihn an das Meer erinnerten, den vollen Lippen und dem blonden Haar, von dem sich einige Locken unter ihrem Häubchen hervorstahlen. Der einzige Makel war ihre ein wenig zu große Nase, aber die machte ihr Gesicht nur interessanter. Man konnte sie nicht dreist nennen, aber sie war auch nicht schüchtern oder kokett.

Sie war furchtlos. Ja, das beschrieb sie am besten.

So hatte sie zum Beispiel erwähnt, dass sie zu den skandalösen Summerfields gehörte, ohne den Eindruck zu machen, als wollte sie sich dafür rechtfertigen. Ebenso wenig zeigte sie Zerknirschtheit darüber, dass sie unerlaubt fremdes Land betreten hatte. Es gefiel ihm, dass sie sich so offensichtlich wohlfühlte in ihrer Haut und ihn so nahm, wie er war.

Wahrscheinlich, weil sie nicht wusste, wer er war. Die Menschen verhielten sich anders, sobald sie es wussten. Umso erfrischender war es, einer jungen Dame zu begegnen, die Debretts Adelsregister nicht auswendig gelernt hatte.

„Welche Richtung?“, fragte er.

Sie wies ihm die Richtung, und er trieb sein Pferd an.

„Wie lange sind Sie schon bei Lord Penford zu Gast?“, erkundigte sie sich kurz darauf.

„Seit zwei Tagen. Ich soll bis zum Dreikönigsfest bleiben.“ Was seinen Vater nicht besonders erfreute.

„Hat Lord Penforth etwa Gäste zu Weihnachten eingeladen?“ Sie klang missbilligend.

Er lachte. „Einen Gast.“

„Sie?“

„Nur mich“, bestätigte er.

Eine Weile blieb sie stumm. „Wie … wie gefällt Ihnen das Haus?“, fragte sie schließlich.

Er begriff nicht ganz, was sie meinte. „Es ist angenehm“, antwortete er zögernd.

Abrupt sah sie ihm direkt in die Augen. „Ich meine, hat Lord Penford viele Veränderungen vorgenommen?“

Ach ja, es war ja früher ihr Zuhause gewesen. Selbstverständlich fragte sie sich, ob etwas verändert worden war. „Nun, da ich es vorher nicht kannte, habe ich darauf keine Antwort. Aber ich weiß, dass er einige Reparaturen plant“, meinte er behutsam.

Sie wandte sich wieder ab. „Der Himmel weiß, dass viele Reparaturen notwendig waren.“

„Haben Sie das Haus nicht mehr gesehen, seit Sie ausgezogen sind?“

Sie schüttelte den Kopf.

Inzwischen waren die grauen Wolken gefährlich nahe gekommen. Ross beschleunigte ein wenig das Tempo. „Ich glaube, es wird schneien.“

Als hätte er sie mit seinen Worten herbeigerufen, begannen die ersten Flocken zu fallen, zuerst nur ab und zu, doch dann immer schneller und dichter, bis man kaum weiter sehen konnte als einen halben Meter.

„Biegen Sie hier ab“, sagte Miss Summerfield. „Wir können uns unterstellen.“

Über einen Weg, der fast völlig von Strauchwerk zugewachsen war, gelangten sie zu einem in klassischem Stil gehaltenen Zierbau, der allerdings von wuchernden Ranken bedeckt wurde. Die Erde war übersät von Blättern und Zweigen.

„Wie ich sehe, hat Lord Penford sich nicht um alle Gärten gekümmert“, sagte Miss Summerfield.

„Vielleicht wusste er nicht, dass es den hier gibt.“ Ross stieg ab. „Er liegt sehr versteckt.“

„Jetzt“, entgegnete sie. „Er war es nicht immer.“

Er half ihr herunter und führte Spirit dann unter den Unterstand. Es gab genügend Platz. Miss Summerfield setzte sich auf eine Bank in der Mitte des Zierbaus und zog ihren Umhang dichter um sich.

Ross setzte sich neben sie. „Ist Ihnen kalt?“

Ihre Wangen hatten eine reizende rosige Farbe angenommen, und ihre Wimpern glitzerten von den geschmolzenen Schneeflocken. „Nicht sehr.“

Es gefiel ihm, dass sie sich nicht beschwerte. Er sah sich um. „Auch dieses Häuschen hat schon mal bessere Tage gesehen, vermute ich.“

Einen wehmütigen Ausdruck im Blick, nickte sie. „Es war einmal einer unserer Lieblingsplätze, wenn wir spielen wollten.“

„Sie haben zwei Schwestern. Erinnere ich mich recht?“

Sie ließ die Beine unter der Bank baumeln, so wie sie es als Kind getan haben musste. „Und einen Halbbruder.“ Und nach einem schnellen Blick auf ihn: „Den Bastard meines Vaters, wissen Sie.“

Machte es ihr Spaß, über die Dinge zu reden, die andere Leute meist verbergen wollten?

„Er ist mit Ihnen gemeinsam aufgewachsen, nicht wahr?“ Es hieß, Sir Hollis habe sein uneheliches Kind vor seiner Frau zur Schau stellen wollen.

„Ja, und wir verstanden uns alle sehr gut.“ Als wollte sie eine Frage beantworten, bevor er sie stellen konnte.

„Wo ist Ihr Bruder jetzt?“, fragte er stattdessen.

„Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass er im Lake District Schafe züchtet?“

„Warum sollte ich es nicht glauben?“

„Nun, wenn Sie ihn kennen würden, wären Sie entsetzt darüber. Immerhin war er Offizier im 28. Regiment, und er wurde bei Waterloo verwundet.“ Sie winkte ab. „Ach, ich lasse ihn zu großartig klingen. Er war lediglich ein Lieutenant, aber er wurde wirklich verwundet.“

„Aber er hat sich erholt?“ Sonst würde er kaum Schafe züchten können.

„Oh, ja.“

„Und Ihre andere Schwester?“ Er konnte genauso gut die ganze Geschichte aus ihr herauskitzeln, wenn sie schon gewillt zu sein schien, sie zu erzählen.

„Tess?“ Sie kicherte, versuchte aber, sich zusammenzureißen.

„Was ist so komisch?“

„Tess ist verheiratet.“ Sie kämpfte noch immer mit einem Lachanfall. „Aber warten Sie, bis ich Ihnen sage, wie es zu dieser Heirat kam! Sie und Marc Glenville wurden von einem Unwetter überrascht. Einem Gewitter. Und Lord Tinmore zwang sie zu heiraten.“Wie grauenhaft. Er konnte nichts Witziges an einer erzwungenen Heirat finden. „Aus irgendeinem Grund entgeht mir die Pointe.“

Sie verdrehte die Augen. „Wir sind doch auch von einem Unwetter überrascht worden, oder? Und man könnte auch Sie zwingen, mich zu heiraten.“ Sie hob belehrend den Finger. „Beten Sie also lieber, dass uns niemand zusammen entdeckt.“ Ihr schien ein neuer Gedanke zu kommen. „Es sei denn, Sie sind bereits verheiratet. In dem Fall wäre nur ich diejenige, die den Skandal erleiden würde.“ Aus ihrem Mund hörte es sich an, als wäre gerade die Möglichkeit eines Skandals das Komische an der ganzen Angelegenheit.

„Ich bin nicht verheiratet.“

Sie lächelte breit. „Dann wollen wir hoffen, dass weder Lord Tinmore noch seine Lakaien hier vorbeikommen.“

Niemand würde diesen Ort finden, wenn er ihn nicht schon bereits kannte, wenn überhaupt jemand so dumm sein sollte, während eines Schneesturms aus dem Haus zu gehen. Sollten sie jedoch wirklich zusammen gefunden werden, machte Ross sich keine Sorgen. Lord Tinmores Macht würde sich nicht messen können mit dem Einfluss, den Ross ausübte.

Miss Summerfield atmete tief ein und seufzte. Offenbar hatte sie ihren Lachanfall überwunden.

„Ich bin mit Glenville bekannt“, sagte er. „Ein guter Mann.“

„Ja, das ist er“, stimmte sie zu.

Allerdings konnte er nicht sagen, woher er Glenville kannte.

Ross war mehrere Male auf der Familienjacht mit ihm über den Kanal gefahren, als Glenville in geheimem Auftrag der Regierung unterwegs gewesen war. Sich den gefährlichen Gewässern des Kanals auszusetzen, war die einzige Gefahr, in die Ross sich während des Kriegs hatte begeben dürfen, selbst wenn er sich zur Verfügung gestellt hatte, wann immer er gebraucht wurde. In seinen Augen war es ein eher kümmerlicher Beitrag gewesen, besonders im Vergleich zu dem, was sein Freund Dell geleistet hatte. Und zu den Opfern, die so viele andere Männer gebracht hatten. Ross hatte gesehen, was der Krieg viele Soldaten gekostet hatte – Glieder, Augen, den Verstand. Warum hatten jene tapferen Männer einen so hohen Preis zahlen müssen und er nicht?

Er zwang sich, die schmerzhaften Gedanken zu verdrängen. „Mir war nicht bewusst, dass Glenville zur Heirat gezwungen wurde.“

„Nein?“ Sie sah ihn erstaunt an. „Du liebe Güte. Ich dachte, jeder wüsste es. Dazu muss ich sagen, dass sie jetzt recht glücklich miteinander zu sein scheinen, also hat sich wohl alles zum Guten gewendet. Für den Augenblick jedenfalls.“

„Für den Augenblick?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Man weiß schließlich nie, oder?“

„Sie klingen recht zynisch.“ Tatsächlich schien sie zu recht schnell wechselnden Stimmungen zu neigen.

Jetzt wurde sie ernst. „Selbstverständlich bin ich zynisch. Eine Ehe kann großes Unglück mit sich bringen. Wie zum Beispiel die meiner Eltern.“

„Eine von vielen“, wandte er ein, obwohl er wusste, wie viele seiner Freunde in ihrer Ehe unglücklich waren und deren Frauen sogar noch unglücklicher. Seine Eltern waren allerdings glücklich miteinander gewesen – bis seine Mutter gestorben war. In seiner zweiten Ehe hatte sein Vater allerdings nicht nach Glück gesucht, denn er war sie aus politischen Gründen eingegangen.

„Die Ehe meiner Schwester Lorene mit Lord Tinmore ist nur ein weiteres Beispiel.“ Sie senkte den Blick und sprach leise, als wären ihre Worte nur für sie selbst gedacht. „Sie ist völlig an ihn verschwendet.“

„Ist es so schlimm? Man sagt, sie hat ihn aus seiner Einsamkeit gerettet. Davor sei er ein Einsiedler gewesen.“

„Oh, ich bin sicher, dass er begeistert ist von der Verbindung.“ Sie schnaubte verächtlich. „Jetzt hat er plötzlich so viele Leute, die er herumkommandieren kann.“

Ganz offensichtlich lag ihr nicht sehr viel an Tinmore. „Kommandiert er Sie auch herum?“

„Er versucht es. Er denkt, er kann mich zwingen …“ Sie brach ab. „Schon gut. Manchmal habe ich wirklich eine etwas zu lose Zunge.“

Sie verfiel in Schweigen, offensichtlich tief in Gedanken versunken. Ross war enttäuscht. Ihre Unterhaltung hatte ihm gefallen. Sie hatten miteinander geredet wie zwei Ebenbürtige, ohne zu versuchen, den anderen zu beeindrucken oder in die Irre zu führen. Er wollte diese angenehme Erfahrung nicht beenden. „Erzählen Sie mir von Ihrem Bild.“

Miss Summerfield sah ihn misstrauisch an. „Was ist damit?“

„Ich habe es nicht verstanden.“

Sie setzte sich aufrechter hin. „Sie meinen, weil der Himmel purpurrot und pink war und die Grashügel blau, und nichts darauf an einen Dezembertag in Lincolnshire erinnert?“

„Offensichtlich haben Sie die Landschaft nicht gemalt, wie sie heute aussieht. Sie sagten, Sie würden aus der Erinnerung malen, aber gewiss haben Sie die Szenerie niemals in solchen Farben erlebt.“ Das Bild war eine wahre Farborgie, eine Übertreibung der Wirklichkeit.

Miss Summerfield blickte zur Seite. „Es war eine Erinnerung an jene strahlenden Kindertage, als die Dinge noch waren, wie man sie sich vorstellte, als man beim Spielen eine eigene Welt erschuf und diese Welt sein konnte, wie man sie sich wünschte.“

„Also auch der Himmel und das Gras konnten so sein, wie man es sich wünschte. Ich verstehe.“ Er lächelte. „Ich verbrachte einst einen ganzen Sommer als ehrenvoller Ritter. Sie hätten sehen sollen, wie viele Drachen ich erschlug, wie viele Jungfrauen in Not ich rettete.“

Ihre Augen funkelten begeistert. „Ich war immer Königin Boudicca und kämpfte gegen die Römer.“ Sie stand auf, hob einen Arm und zitierte: „‚Als die britische Kriegerkönigin, blutend von der Römer Lanzen …‘“ Sie setzte sich wieder. „Ich war begeistert von Cowper.“

„Mein Vater besaß eine zweihundert Jahre alte Ausgabe von Spencers ‚Feenkönigin‘. Ich habe sie unzählige Male gelesen und versucht, sie in meiner Vorstellung wieder aufleben zu lassen.“

Sie seufzte. „Damals schien das Leben so einfach zu sein.“

Wieder verfielen sie in Schweigen.

„Fehlt Ihnen Summerfield House?“, fragte er plötzlich.

Ihre Miene wurde wehmütig. „Ja, es fehlt mir. Die vertrauten Räume, Bilder und Möbel. Wir konnten nicht viel mitnehmen.“ Sie presste kurz die Lippen aufeinander. „Ich möchte nicht, dass Sie denken, wir würden Lord Penford Vorwürfe machen. Schließlich war er uns gegenüber in keiner Weise verpflichtet. Und wir wussten, dass er auch viele Probleme geerbt haben muss, die mein Vater verursacht hat.“ Sie stand wieder auf, trat an den Rand des Gebäudes, die Hand auf einer der Säulen, und beugte sich vor. „Der Schnee scheint nachzulassen.“

Zu seiner Überraschung freute er sich nicht darüber. „Wollen wir also wagen weiterzureiten?“

„Ich glaube, das müssen wir“, antwortete sie. „Ich möchte nicht zu spät zurückkehren und mir Fragen anhören müssen darüber, wo ich gewesen bin.“

„Ist es normalerweise so?“

„Ja“, sagte sie grimmig, doch dann lächelte sie vergnügt. „Obwohl ich solche Fragen nicht immer wahrheitsgemäß beantworte.“

„Da bin ich sicher.“

Wieder setzte Rossdale sie vor sich auf sein wunderschönes Pferd. Wie ironisch. Es war die intimste Situation, in der sie sich je mit einem Mann befunden hatte.

Sie mochte ihn. Im Grunde wollte ihr sogar kein anderer Gentleman ihrer Bekanntschaft einfallen, der ihr so gefiel und mit dem sie gern mehr Zeit verbringen wollte. Normalerweise war sie begierig, die Gesellschaft eines Mannes zu verlassen, besonders wenn er anfing, Komplimente zu machen. Und ganz besonders, wenn sie vermutete, dass er sich Hals über Kopf in die großzügige Summe verliebt hatte, die Lord Tinmore ihr als Mitgift versprochen hatte. In Rossdales Blick sah Genna kein gieriges Funkeln, und sie hatte den Eindruck, dass der Gedanke an ihre Mitgift ihm kein einziges Mal in den Sinn gekommen war.

Sie ritten weiter, ohne ein Wort zu wechseln. Nur ab und zu gab Genna Anweisungen. Sie führte ihn über die Felder, da es der kürzeste Weg zu Tinmore Hall war und sie hier sehr wahrscheinlich niemandem begegnen würden. Der Schnee hatte die Gegend in eine Märchenlandschaft verwandelt mit ihrem neuen weißen Gewand – als hätte sie jemand blitzblank geputzt. Kein Laut war zu hören, bis auf das Knirschen der Hufe im Schnee und dem Schnauben des Pferdes.

Sie erreichten den Fluss, den sie nur über eine Brücke überqueren konnten. Als Tess in jener schicksalhaften Nacht vom Unwetter überrascht worden war, hatte das Wasser die Brücke überflutet.

„Lassen Sie mich an der Brücke zurück“, sagte Genna. Es war niemand zu sehen, aber falls sie jemandem begegnen sollten, dann auf dem Weg zur Brücke. „Den Rest kann ich gut zu Fuß gehen.“

„Damit man uns nicht zusammen sieht?“, fragte er scharfsinnig.

Sie musste lachen. „Es sei denn, Sie wollen, dass man Sie zu einer Ehe mit mir zwingt.“

Er hob in gespieltem Entsetzen die Hände. „Nur das nicht!“

„Hier ist es gut.“ Sie rutschte aus dem Sattel, und Rossdale reichte ihr die Tasche. „Es war mir ein Vergnügen, Miss Summerfield.“

„Ich stehe in Ihrer Schuld, Sir“, antwortete sie. „Aber falls Sie es wagen sollten, es irgendjemandem zu verraten, werden Sie meinen Zorn zu spüren bekommen.“

Er lächelte, und wieder dachte Genna, dass sie ihn gern mochte.

„Es bleibt unser Geheimnis“, meinte er leise.

Sie nickte zum Abschied und überquerte schnell die Brücke. Als Genna die andere Seite erreichte, drehte sie sich noch einmal um. Er stand noch da und sah ihr nach. Also winkte sie ihm zu und ging dann hastig weiter. Es war später, als sie beabsichtigt hatte.

Genna näherte sich Tinmore Hall durch den Garten hinter dem Haus und betrat es durch die Gartentür. Sie zog ihre Halbstiefeletten aus, die völlig durchnässt und schneeverkrustet waren. Einer der Diener würde sie gewiss säubern. Eigentlich hätte sie es auch allein getan, so wie früher. Aber falls Lord Tinmore davon erfahren würde, müsste sie sich eine weitere seiner Lektionen über das angemessene Verhalten einer jungen Dame anhören, zu dem keineswegs das Säubern schmutziger Stiefel zählte.

Was für eine undankbare Person sie doch war. Die meisten jungen Damen wären froh gewesen, wenn ihr ein Diener diese Arbeit abnehmen würde. Aber Genna war es gewohnt, selbst Dinge zu erledigen, da sie in Summerfield House kein Geld für Diener gehabt hatten.

Sie hängte ihren feuchten Umhang an einen Haken und trug ihre Tasche auf ihr Zimmer. Das junge Dienstmädchen, das man ihr zugewiesen hatte, half ihr dabei, sich umzuziehen, aber Genna wartete, bis sie gegangen war, bevor sie ihre Tasche auspackte. Das Bild ließ sie auf dem Tisch liegen, da sie nicht sicher war, ob sie noch daran arbeiten sollte oder nicht.

Sie deckte es mit einigen Lagen Seidenpapier ab und verstaute es dann doch in einer Schublade. Jetzt hatte sie keine Zeit zum Malen. Stattdessen eilte sie in die Bibliothek hinunter, öffnete vorsichtig die Tür und schaute hinein. Es war glücklicherweise niemand hier, obwohl ihr sicher eine plausible Ausrede für ihr Kommen eingefallen wäre.

Nach kurzem Suchen fand sie, was sie haben wollte: Debretts Adelsregister. Sie nahm den dicken Band und las zuerst die Namen der Titelträger.

„Rossdale, Rossdale, Rossdale“, murmelte sie vor sich hin, während sie die Seiten überflog. Der Name gehörte zu keinem Titel. Also kehrte sie zum Anfang des Buchs zurück, wo die zweiten Titel aufgelistet waren, die gemeinhin den ältesten Söhnen des Hochadels gegeben wurden. Sie glitt mit dem Finger auf der Seite herunter.

Rossdale. Hier war es! Und neben dem Namen Rossdale gab es den Zusatz Kessington d. D stand für Duke.

Genna war in der Gesellschaft des ältesten Sohnes des Duke of Kessington gewesen – dem Erben des Duke of Kessington. Und sie hatte mit ihm geplaudert, als wäre er lediglich ein Freund ihres Bruders. Schlimmer noch, sie hatte die ganze schmutzige Wäsche ihrer Familie vor ihm ausgebreitet. Er hatte ihr verrücktes Bild gesehen und sich ihren Unsinn über Boudicca anhören müssen.

Sie las den Eintrag über den Duke of Kessington. Es gab zwei Seiten, die angefüllt waren mit den Auszeichnungen und Ehrungen, mit denen man die Familie seit dem siebzehnten Jahrhundert überschüttet hatte. Und sie erfuhr, dass Rossdales Mutter bereits verstorben war. Sein Vorname war John, und er hatte keine Geschwister. Als ältester Sohn durfte er den zweiten Titel seines Vaters tragen und war somit der Marquess of Rossdale.

Genna stöhnte auf.

Der Erbe des Duke of Kessington.

2. KAPITEL

Ross nippte an seinem Rotwein, während er im Salon auf Dell wartete. Es hätte eigentlich bereits vor vierzig Minuten Dinner geben müssen, doch er hatte keinen besonderen Appetit und sehnte sich auch nicht nach Unterhaltung. Er blieb gern noch ein wenig allein und sann über seine Begegnung mit Miss Summerfield nach. Er war sehr angetan von ihr gewesen.

Wie lange war es her, dass eine junge Dame sich ganz schlicht mit ihm unterhalten hatte, noch dazu über die skandalösen Geheimnisse ihrer Familie? Wann immer er in letzter Zeit an einer Gesellschaft teilgenommen hatte, schienen die heiratsfähigen jungen Damen ihn voller Berechnung zu mustern. In Miss Summerfields Augen hatte er nichts als Freundlichkeit gelesen.

Würde sich das ändern? Ganz offensichtlich hatte sie nicht gewusst, wer er war, aber er ging davon aus, dass sie es bald erfahren würde. Er war sehr neugierig zu sehen, wie sie sich danach ihm gegenüber verhalten würde.

Die Tür wurde geöffnet.

„Es tut mir so leid, Ross.“ Dell stürmte herein. „Ich konnte nicht ahnen, dass die Probleme auf dem Gut mich so lange aufhalten würden. Ich habe in der Küche Bescheid gesagt. In wenigen Minuten können wir essen.“

Ross hob die Weinkaraffe. „Möchtest du ein Glas?“

Dell nickte. „Ich habe ungeheuren Durst.“

Nachdem er ihm eingeschenkt hatte, reichte Ross ihm sein Glas.

„Zuerst ist da das Problem mit der Holzfäule, dann der Kuhstall, der offenbar zusammenzufallen droht. Aber das Schlimmste ist der Zustand der Häuser meiner Pächter. Die meisten haben ein undichtes Dach oder schadhafte Mauern oder kaputte Fenster oder alles auf einmal. Ich bräuchte Stunden, um alles aufzuzählen.“ Er nahm einen Schluck von seinem Wein.

„Klingt teuer“, meinte Ross mit echter Anteilnahme.

Wie viele Güter besaß seine eigene Familie eigentlich? Mindestens fünf, ohne die Jagdhäuser und das Stadthaus in Bath mitzurechnen. Und es gab Schwierigkeiten mit ihrer Instandhaltung, obwohl sie dafür Sorge trugen, dass sie nicht verwahrlosten. Auch Dell hatte sich zum ersten Mal mit solchen Problemen auseinanderzusetzen. Er war gerade mit seinem Regiment in Brüssel eingetroffen, als man ihm mitteilte, dass er den Titel geerbt hatte. Seine Eltern, sein älterer Bruder und seine jüngere Schwester waren bei einem entsetzlichen Brand ums Leben gekommen. Ross hatte ihm die Nachricht überbracht und ihn nach Hause geholt.

Wenige Wochen später hatte Dells Regiment bei Waterloo gekämpft.

„Gewiss, es wird meine Finanzen belasten“, sagte Dell. „Zum Henker mit Sir Hollis. Sein Gut einfach so verkommen zu lassen.“

„Hast du genügend Mittel?“, fragte Ross.

Sein Freund bat ihn nie um etwas, doch wenn Ross wusste, dass Not am Mann war, bot er gern seine Hilfe an.

Dell winkte ab. „Ich komme zurecht. Es ärgert mich einfach nur zu sehen, wie wenig sich um alles gekümmert wurde.“ Er schüttelte den Kopf. „Die armen Pächter. Sie haben viel ausstehen müssen, ganz besonders bei diesem kalten Wetter.“

Der Butler erschien an der Tür. „Es ist serviert, Sir.“

Sie begaben sich in das Speisezimmer, wo die lange Tafel an einem Ende für zwei eingedeckt worden war, damit die beiden Freunde sich leichter unterhalten konnten. Der Koch war ein wahrer Künstler. Es gab Rebhuhn, Kürbis und Rüben. Ross spürte, wie sein Appetit wiederauflebte.

„Ich hoffe, du hast dich nicht gelangweilt“, sagte Dell. „Hast du einen Weg gefunden, dich zu unterhalten?“

„Ich habe mich sogar sehr gut unterhalten“, erwiderte Ross. „Ich bin ins Dorf geritten und habe danach dein Gut erkundet.“

„Und damit hast du dich gut unterhalten?“, hakte Dell skeptisch nach.

„Die Dorfbewohner waren sehr redselig.“ Er zwinkerte Dell zu. „Du giltst hier als außerordentlich gute Partie, weißt du.“

Dell lachte. „Dann nehme ich an, dass du nicht erklärt hast, wer du bist.“

Im Dorf nicht. „Ich habe mich einfach als John Gordon vorgestellt.“

„Das erklärt, weswegen noch keine Mamas vor dem Haus Schlange stehen, um dich für ihre Töchter zu sichern.“

Ross lächelte. „Ich glaube, man überlegt allgemein, wie man sich dir am besten vorstellen sollte.“

„Sie verschwenden nur ihre Zeit.“ Dell zuckte mit den Schultern. „Wie soll ich denn heiraten? Das Gut und meine anderen Güter nehmen mich völlig in Anspruch.“

Dell besaß insgesamt drei Güter. „Ich bin gar nicht so sicher, ob deine Anwesenheit nach der Hochzeit als unerlässlich betrachtet werden würde.“ Für so viele junge Damen war es wichtiger, einen Titel geheiratet zu haben, als danach tatsächlich mit dem Träger des Titels das Leben zu verbringen. „In jedem Fall würde es nicht schaden, dich wenigstens mit einigen deiner wichtigeren Nachbarn bekannt zu machen.“

„Mit wem denn?“, fragte Dell ohne besondere Begeisterung.

Ross kaute zu Ende, bevor er antwortete. „Es hieß im Dorf, dass Lord Tinmore sich auf dem Land aufhält.“

„Dieser langweilige alte Bursche?“, meinte Dell verblüfft.

„Er ist sehr einflussreich im Parlament, also kann es dir nur guttun, ihm ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Er könnte dir helfen, wenn du deinen Sitz im Oberhaus einnimmst.“

„Dein Vater wird mir helfen.“

„Natürlich, aber eine Bekanntschaft mit Tinmore kann ebenfalls nicht schaden.“ Ross nahm sich vom Huhn. „Man sagte mir, du seist verwandt mit Tinmores Fau und deren Schwestern.“

„Ja, es sind entfernte Cousinen, glaube ich. Sie sind in diesem Haus aufgewachsen.“

„Vielleicht würden sie ihr altes Zuhause gern wiedersehen.“ Er wusste, dass Genna es auf jeden Fall gern tun würde.

Dell runzelte die Stirn. „Wahrscheinlicher ist, dass sie eine Einladung von mir übel nehmen würden. Gerade heute habe ich erfahren, dass nicht nur das Haus regelrecht verwahrlost zurückgelassen wurde, sondern dass die Töchter nach dem Tod ihres Vaters fast ohne einen Penny dastanden. Mein Vater wies ihnen nur wenige Monate später die Tür, und deswegen hat die älteste Tochter Tinmore geheiratet. Wegen seines Geldes.“

„Sieht so aus, als hättest du heute ziemlich viel erfahren.“ Kein Wunder, dass Genna so verbittert geklungen hatte.

Dell lachte trocken. „Der Gutsverwalter war ebenfalls sehr redselig.“

„Vielleicht wäre es keine schlechte Idee zu versuchen, einiges wiedergutzumachen.“

Ein tiefer Seufzer entfuhr Dells Kehle. „Ja, du hast natürlich recht.“

Ross schwenkte seinen Wein im Glas. „Ich würde dir nicht raten, Lord Tinmore zu verärgern.“

Neugierig sah Dell ihn an. „Für jemanden, der so wenig für die Politik übrig hat, weißt du jedenfalls sehr gut, wie sie funktioniert.“

„Wie sollte ich nicht? Mein Vater redet doch von nichts anderem.“ Ross schenkte seinem Freund nach. „Andererseits würde ich nicht sagen, dass ich nichts dafür übrig habe. Ich weiß ganz einfach nur, dass sie irgendwann mein ganzes Leben ausmachen wird, und ich habe es nicht eilig, diesen Zeitpunkt früher herbeizuführen.“

Dell leerte sein Glas in einem Zug und brachte rau hervor: „Ich wollte diesen Titel niemals haben.“

Betroffen legte Ross die Hand auf Dells Schulter. „Ich weiß.“

Sie schwiegen, bis das Dessert gebracht wurde. Und als sie auch damit fertig waren, füllte Dell wieder ihre Gläser auf. „Na gut“, sagte er entschlossen. „Ich werde sie zum Dinner einladen.“

Ross hob sein Glas und nickte beifällig.

Doch Dell sah ihn eindringlich an. „Sei aber vorsichtig. Die jüngste Schwester ist noch unverheiratet.“

Ross lächelte breit. „Ja, ich bin bereits gewarnt worden.“

Zwei Tage später gesellte Genna sich beim Frühstück zu ihrer Schwester und Lord Tinmore. Wenn sie sich früh genug blicken ließ und einen fröhlichen Eindruck machte, konnte sie manchmal hoffen, bis zum Dinner in Ruhe gelassen zu werden. Außerdem wollte sie natürlich sehen, ob Lorene sie brauchte. Es gab oft Hausgäste oder Besucher, von denen die Meisten sehr höflich waren. Doch Genna wusste, dass fast jeder Lorene für eine Glücksritterin hielt, also wollte sie sie nicht allein lassen. Selbst wenn es Lorenes eigene Schuld war, dass sie sich in dieser Zwangslage befand.

Ein Diener kam herein, ein zusammengefaltetes Papier auf dem silbernen Tablett. „Eine Nachricht für Sie, Mylord.“

Tinmore ergriff das Papier mit einem Nicken, und der Diener verbeugte sich und verließ den Raum.

Nachdem Tinmore die Nachricht überflogen hatte, warf er sie achtlos in Lorenes Richtung. „Von deinem Cousin.“

„Meinem Cousin?“ Lorene nahm das Papier in die Hand. „Es ist von Lord Penford. Er lädt uns für morgen zum Dinner nach Summerfield House ein.“

Gennas Herz schlug schneller. War sie auch eingeladen?

„Dann müssen wir natürlich gehen“, sagte Tinmore entschlossen. Er warf Genna über den Rand seiner Brille einen strengen Blick zu. „Du auch, junge Dame.“ Er sprach sie niemals mit ihrem Namen an.

„Ich würde mich freuen, Summerfield House wiedersehen zu dürfen!“, rief sie.

Lorene sah weniger begeistert aus. „Dann müssen wir wohl annehmen.“

Am nächsten Tag war Genna entschlossen, sich keine besondere Mühe mit ihrem Aussehen zu geben. Schließlich würde das Dinner lediglich eine Art zwangloser Familienzusammenkunft sein und keine förmliche Gesellschaft. Offenbar würde es außer ihnen keine weiteren Gäste geben – außer dem Hausgast.

Genna entschied sich für ihr hellblaues Kleid, weil es das schlichteste war. Sie erlaubte ihrer Zofe allerdings, ihr ein passendes blaues Band ins Haar zu flechten, das sie zu einem einfachen Knoten hochsteckte. Winzige Perlenohrringe, eine einfache Perlenkette und das Paisley-Schultertuch rundeten das Bild ab.

Als Genna ihr Zimmer verließ, begegnete sie Lorene im Gang.

„Du siehst hinreißend aus, Genna. Dieses Kleid bringt deine Augen großartig zur Geltung. Sehe ich gut aus?“, fuhr Lorene fort. „Ich wusste nicht genau, was ich anziehen sollte.“

Auch Lorene hatte ein eher schlichtes Kleid gewählt, aber ihrs war dunkelgrün und sie trug Smaragdohrringe und einen Smaragdanhänger an ihrer Kette.

Genna war größer als sie, und sie war blond und blauäugig, während Lorene mahagonibraunes Haar hatte und braune Augen. Kein Wunder, dass die Menschen sich zuflüsterten, sie müssten von verschiedenen Vätern gezeugt worden sein. Sie waren vollkommene Gegensätze – Lorene erdgebunden, Genna unbeständig.

Genna legte den Arm um Lorene und drückte sie. „Du bist wunderschön, wie immer. Gemeinsam werden wir ein so hübsches Paar abgeben, dass es unserem Cousin leidtun wird, nicht netter zu uns gewesen zu sein.“

Ein mattes Lächeln auf den Lippen, schüttelte Lorene den Kopf. „Du redest Unsinn.“

Genna lächelte breit. „Mag sein. Aber nicht, wenn ich sage, dass du wunderschön bist.“ Sie gingen den Gang entlang und dann die Treppe hinunter. „Wie sind wir eigentlich mit ihm verwandt? Ist er unser vierter Cousin?“

Lorene seufzte. „Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich glaube, unser Vater und er hatten denselben Ururgroßvater oder Urururgroßvater. Ich bringe es immer durcheinander.“

Genna lachte. „Ganz offensichtlich hat er die erfolgreichere Seite der Familie erwischt.“

Arm in Arm hielten sie auf den Salon zu, wo Lord Tinmore zweifellos auf sie warten würde. Und tatsächlich saß er bereits in einem Sessel und hatte – völlig ungewohnt für ihn – sein Krawattentuch gelockert. Sein Kammerdiener, fast so uralt wie der Earl, betupfte ihm die Stirn mit einem feuchten Tuch.

Lorene zog die Brauen zusammen. „Was fehlt dir? Ist dir nicht wohl?“

Er wies auf seine Kehle. „Verflixter Hals ist ganz rau. Und ich habe Fieber. Hat vor einer Stunde angefangen.“

Sofort legte Lorene Umhang und Retikül auf das Sofa und streifte einen Handschuh ab. Sie beugte sich über ihren Mann und fühlte die runzelige Stirn. „Ja, du hast Fieber. Hat schon jemand nach dem Arzt geschickt?“

„Jawohl, Mylady“, antwortete der Kammerdiener.

Sie richtete sich wieder auf. „Wir müssen Lord Penford eine Nachricht schicken, dass wir nicht kommen können.“

Genna sah sie entgeistert an. Sie hatte sich so gefreut, ihr altes Zuhause wiederzusehen.

„Ich kann nicht kommen“, warf Tinmore ein. „Aber du und deine Schwester müsst hingehen.“

Gennas Miene erhellte sich.

„Nein“, protestierte Lorene. „Ich bleibe bei dir und kümmere mich um dich.“

Er winkte ungeduldig ab. „Wicky wird sich um mich kümmern. Und ich denke, er wird besser wissen, was zu tun ist, als du. Nein, nein, du und deine Schwester werdet zum Dinner gehen und mich entschuldigen. Ich möchte den Mann nicht verärgern. Wer weiß, vielleicht brauche ich irgendwann seinen Beistand.“ Ein Hustenanfall ließ seine mageren Schultern erzittern.

Ein Diener trat an die Tür. „Die Kutsche steht bereit, Mylord.“

„Geht.“ Tinmore machte eine Handbewegung, als müsste er lästige Mücken verscheuchen. „Ihr dürft die Pferde nicht warten lassen. Es ist nicht gut für sie, zu lange zu stehen.“

Typisch für Tinmore, dachte Genna. Er machte sich größere Sorgen um das Wohlergehen seiner Pferde als um die Gefühle seiner Frau. Sie nahm Lorenes Umhang und Retikül und ging kurz entschlossen auf die Tür zu. Schnell holte Lorene sie ein und legte sich den Umhang um die Schultern.

„Ich möchte wirklich nicht gehen“, sagte sie leise zu Genna.

„Man wird schon gut für Lord Tinmore sorgen. Mach dir keine Gedanken.“

„Das ist es nicht“, meinte Lorene. „Ich möchte nur nicht gehen.“

„Warum nicht?“, fragte Genna verständnislos. Sie konnte es kaum erwarten, ihr altes Zuhause wiederzusehen.

„Weil es mich traurig machen wird“, flüsterte Lorene.

Lieber Himmel, war sie denn nicht sowieso schon traurig? Genna hatte manchmal wirklich keine Geduld mit ihrer Schwester. Warum konnte sie sich nicht einfach freuen, dass sie einen Abend lang frei von Tinmore sein würde?

Doch sie nahm die Hand ihrer Schwester und drückte sie beschwichtigend.

Sie sprachen nur wenig auf der Fahrt nach Summerfield House. Worüber Lorene auch grübeln mochte, Genna jedenfalls stellte überrascht fest, dass sie bei dem Gedanken, gleich Rossdale zu begegnen, ganz aufgeregt war.

Der Marquess of Rossdale, kein Geringerer.

Nun, falls er damit rechnete, dass sie sich von seinem Titel beeindrucken ließ, würde sie ihn enttäuschen müssen. Sie war nicht wie die meisten jungen Damen, die während ihrer Saison in London alles getan hatten, um das Interesse der höchstrangigen Junggesellen zu erregen.

Ohne auf die Kälte zu achten, lehnten Lorene und sie sich aus dem Fenster, als sie das Tor zu Summerfield House hinter sich ließen und sich der vertrauten honigfarbenen Fassade des Hauses näherten. Aus der Nähe schien das Haus unverändert zu sein, nur die Anlagen sahen gepflegter aus als jemals zuvor. Eine dünne Schneeschicht bedeckte das Land.

Als die Kutsche vor dem Haus hielt, entdeckte Genna ein bekanntes Gesicht. „Becker!“, rief sie und winkte ihm zu.

Ihr alter Diener öffnete die Tür und ließ die Stufen herab. „Mylady“, sagte er ein wenig zurückhaltend zu Lorene, während er ihnen herunterhalf.

„Es ist schön, Sie zu sehen, Becker“, sagte Lorene. „Wie geht es Ihnen? Sind Sie bei guter Gesundheit?“

„Jawohl, Mylady. Vielen Dank, Mylady“, antwortete er.

Dann griff er nach Gennas Hand und lächelte breit. „Miss Genna.“

Sie sprang herunter und umarmte ihn begeistert. Wen kümmerte es schon, dass es sich nicht schickte, einen Diener zu umarmen? Sie kannte Becker schon ihr ganzes Leben. „Sie haben mir so gefehlt!“, rief sie.

Seine Augen schimmerten verdächtig. „Es ist nicht mehr dasselbe hier ohne Sie.“

Schnell fasste er sich und geleitete Lorene und Genna die Stufen hinauf zum Haupteingang. In einem der Führer dieser Gegend stand über Summerfield House, dass es von John Carr, einem Zeitgenossen von Robert Adams, im italianisierten Stil erbaut worden war.

Genna liebte das Wort: italianisiert.

Die Tür wurde geöffnet, kaum dass sie sie erreicht hatten.

„Jeffers!“ Genna lief in die Halle und drückte den alten Butler an sich, einen Mann, der eine beständigere Rolle in ihrem Leben gespielt hatte als ihr eigener Vater.

„Miss Genna, was für eine Freude, Sie zu sehen.“ Er drückte sie auch kurz, bevor er sie freigab und sich vor Lorene verbeugte. „Mylady, wie schön, Sie wieder hier zu sehen.“

Lorene nahm herzlich seine Hand. „Ich bin froh, Sie zu sehen, Jeffers. Wie ist die Lage hier? Und geht es Ihnen gut?“

Er nickte. „Der neue Herr hat viele Dinge erledigen lassen, die es bitter nötig gehabt hatten, aber es ist sehr still hier ohne euch Mädchen.“

Amüsiert dachte Genna, dass Jeffers sie noch immer als kleine Mädchen betrachtete. Sie berührte seinen Arm. „Wir konnten nicht bleiben, wissen Sie.“

Er lächelte traurig. „Das ist wahr, aber dennoch …“ Er blinzelte kurz und blickte dann wieder zur Tür. „Erwarten wir nicht auch Lord Tinmore?“

„Lord Tinmore lässt sich entschuldigen“, erklärte Lorene. „Er ist erkrankt.“

„Das tut mir leid zu hören. Nichts Ernstes, hoffe ich?“

„Nichts Ernstes.“ Lorene wandte den Blick ab. „Ich glaube, Sie sollten uns jetzt Lord Penford ankündigen.“

Genna unterdrückte einen Seufzer. Obwohl Lord Tinmore nicht bei ihr war, um sie wegen ihres allzu vertraulichen Umgangs mit der Dienerschaft zu tadeln, brachte Lorene es doch nicht über sich, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Ein wenig beschämt, nickte Jeffers. „Gewiss. Sie sind im Achteckigen Salon.“

Sofort begannen er und Lorene, die Halle zu durchschreiten, doch dann rief Genna: „Wartet!“

Sie war stehen geblieben und starrte zur verzierten Stuckdecke hinauf – da war es wieder, das vertraute Muster, die vergoldeten Rosetten, die Greifvögel aus der Zeit ihres Großvaters in Indien. Warum hatte sie die herrliche Decke nur nie gemalt? Warum hatte sie das blasse Creme, das Grün und Weiß nicht wenigstens skizziert?

„Komm, Genna“, sagte ihre Schwester ungeduldig. „Sie warten auf uns.“

Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick gesellte Genna sich zu ihr, doch während sie auf den Salon zugingen, blieb sie ein wenig zurück und prägte sich jede Einzelheit ein – die Marmorstufen mit ihrem blauen Geländer, die kleinen Tische und Stühle, die noch immer am selben Platz standen, die vertrauten Gemälde an den Wänden.

Schließlich standen sie vor der Tür zum Salon. Genna fragte sich, ob sich hier etwas verändert hatte.

Jeffers öffnete und verkündete: „Lady Tinmore und Miss Summerfield.“

Die beiden jungen Gentlemen erhoben sich. Einer war natürlich Lord Rossdale, in förmlicher Abendkleidung, was ihn sogar noch mehr wie den Erben eines Dukes aussehen ließ. Der andere Mann war einige Zentimeter kleiner als Rossdale, hatte braunes Haar und blaue Augen.

Jeffers fuhr mit der Vorstellung fort. „Mylady, Miss Summerfield, erlauben Sie mir, Ihnen Lord Rossdale vorzustellen.“

Der Marquess verbeugte sich.

„Und Lord Penford.“

Genna hatte nicht erwartet, dass Penford so jung sein würde.

Jetzt kam er anmutig näher. „Meine lieben Cousinen. Wie erfreulich, Sie endlich kennenzulernen.“ Er klang allerdings nicht besonders erfreut. Er sah Lorene an, als wäre er erstaunt, und reichte ihr steif die Hand. „Wo ist Lord Tinmore, Mylady?“

Lorene errötete, was ihr gar nicht ähnlich sah. Zwar war sie meist ein wenig zurückhaltend, aber nicht schüchtern. Es sei denn, Tinmore hatte es doch noch geschafft, sie zu verunsichern. Genna traute es ihm auf jeden Fall zu. Aber vielleicht war Lorene auch einfach nur ebenso erstaunt wie sie, dass Penford so jung war.

„Lord Tinmore ist leider erkrankt.“ Sie legte ihre Hand in seine. „Nichts Ernstes, aber er hielt es für besser, zu Hause zu bleiben.“

Penford ließ ihre Hand schnell wieder los. „Ich bin froh, dass Sie dennoch gekommen sind.“ Sein Blick ruhte kurz und ohne großes Interesse auf Genna. „Und Ihre Schwester.“ Er gab ihr flüchtig die Hand. „Miss Summerfield.“

Flegel. Genna zwang sich zu einem Lächeln. „Nennen Sie mich Genna. Es kommt mir ziemlich albern vor, so förmlich zu sein, obwohl wir doch verwandt sind.“

„Genna“, wiederholte er abwesend und sah Lorene an.

„Sie können mich Lorene nennen, wenn Sie möchten“, sagte sie leise.

„Lorene.“ Es klang fast verträumt aus seinem Mund. „Meine Freunde nennen mich Dell.“

Was nicht unbedingt bedeutete, dass Lorene und sie die Erlaubnis hatten, ihn so anzusprechen. In diesem Moment trat Rossdale vor.

„Oh.“ Penford schien ihn vergessen zu haben. „Mein Freund Ross ist über Weihnachten bei mir zu Besuch.“

„Mylady.“ Ross verbeugte sich vor Lorene und wandte sich dann zu Genna um und zwinkerte ihr zu. „Miss Summerfield.“

Fast hätte sie gekichert.

„Setzen wir uns.“ Penford reichte Lorene seinen Arm und führte sie zum blassrosafarbenen Brokatsofa und den passenden Sesseln, die ihre Mutter für diesen Salon ausgesucht hatte. Er ließ Lorene in einem der Sessel sitzen und nahm im anderen Platz.

Der Marquess wartete darauf, dass Genna sich setzte, bevor er es tat, doch sie zögerte. „Darf ich mir zuerst den Raum ansehen?“

„Selbstverständlich“, antwortete Penford.

„Sie haben hier gewohnt, wie ich höre“, sagte Rossdale, der an ihrer Seite blieb.

„Ja, das stimmt, Sir“, antwortete sie etwas zu fröhlich.

Bisher hatte er noch nicht verraten, dass sie sich bereits begegnet waren. Er stand höflich neben ihr, während sie auch diese Decke bewunderte, deren Gipswerk sich im Muster des achteckigen Teppichs spiegelte. Auch hier hatte sich nichts verändert, kein Möbelstück war verrückt worden, keine Vase umgestellt. Genna musterte das Porträt ihrer Großmutter über dem Kamin, mit ihrem gepuderten Haar und dem Seidenkleid vor einem idyllischen Gartenhintergrund.

Rossdale bemerkte: „Ein großartiges Gemälde.“

„Unsere Großmutter.“ Obwohl weder sie noch Lorene auch nur die geringste Ähnlichkeit mit ihr aufwiesen. „Von Gainsborough.“

„Wirklich?“ Er klang beeindruckt.

Genna hatte das Bild schon immer geliebt, aber es war Gainsboroughs Wiedergabe des Himmels und der Pflanzen, die sie am meisten faszinierte – so wild, so rau.

„Ich schenke uns etwas Rotwein ein. Möchten Sie ein Glas, Genna?“, rief Penford ihr zu.

Sie hatte das Gefühl, dass er sie auf sanfte Weise zu sich beorderte. „Ja, danke.“ Sie ging zurück und ließ sich auf das Sofa sinken. Rossdale setzte sich neben sie.

„Hat der Raum die Prüfung bestanden?“, fragte Penford mit einem Hauch von Sarkasmus, während er ihr ein Glas Wein reichte.

Genna hob stolz das Kinn. „Es ist genauso, wie ich es in Erinnerung habe“, antwortete sie jedoch, als hätte sie nichts an seiner Frage gestört. „Ich muss zugeben, ich würde sehr gern alle Räume sehen. Es herrschte ein ziemlicher Aufruhr, als wir gingen.“ Als er sie regelrecht aus dem Haus hatte werfen lassen, hieß das.

Penford zuckte leicht zusammen, und er wandte sich an Lorene. „Haben Sie ebenfalls den Wunsch, das Haus zu sehen?“

Lorene senkte den Blick. „Ich habe es endgültig hinter mir gelassen.“

„Ich nehme an, Tinmore Hall ist prachtvoller als Summerfield“, sagte er.

Prachtvoller und kälter, dachte Genna.

„Ja, es ist sehr prachtvoll“, meinte Lorene nur.

Genna wandte sich fast ein wenig verärgert an Rossdale. „Wahrscheinlich kommen Ihnen Summerfield House und Tinmore Hall wie Pächterhütten vor im Vergleich zu dem Haus, in dem Sie aufgewachsen sind.“

Er hob die Brauen. Jetzt wusste sie also von seinem Titel.

„So groß war der Unterschied nicht“, meinte er mit einem Augenzwinkern. „Aber es war wirklich großartiger.“

„Ross ist in Kessington aufgewachsen“, erklärte Penford Lorene. „Haben Sie davon gehört?“

Sie sah ihn verblüfft an. Jetzt wusste auch sie, wer Rossdale war. Es würde amüsant sein zu sehen, was Tinmore sagen würde, wenn er erfuhr, wessen Bekanntschaft er leider nicht gemacht hatte.

„Ja, natürlich“, sagte Lorene und wandte sich an Rossdale. „Es liegt in Suffolk, nicht wahr?“

Er nickte und lächelte. „Mein Vater sollte jemandem beauftragen, es zu malen.“ Er zwinkerte Genna zu, und als er sich vorbeugte, um Wein nachzuschenken, streifte sein Arm ihr Bein.

„Ich kann malen, wissen Sie“, meldete sie sich mit unschuldigem Augenaufschlag zu Wort. „Manchmal male ich sogar Häuser.“

„Wirklich?“, sagte Penford höflich. „Wie schön, so talentiert zu sein.“

Genna wartete darauf, dass er Lorene über die Talente ihrer Schwester ausfragte, aber er tat es nicht. Und Lorene hätte wohl auch nichts gesagt. Nun, sie konnte jedenfalls Lorenes Talente preisen. „Lorene spielt wundervoll Klavier. Und sie singt auch sehr schön.“

Lorene blickte auf ihre fest im Schoß verschränkten Hände hinab. „Ich bin nicht so gut, wie Genna Sie glauben macht.“

„Vielleicht möchten Sie heute Abend etwas für uns spielen“, meinte Penford, noch immer ganz der höfliche Gastgeber.

„Nach dem Dinner vielleicht?“, schlug Genna vor.

„Nach dem Dinner wären Sie vielleicht so freundlich, mir das Haus zu zeigen, Miss Summerfield“, bat Rossdale. „Zwei Fliegen mit einer Klappe, sozusagen. Sie stillen meine Neugier auf das Haus und können selbst eine nostalgische Reise in die Vergangenheit unternehmen.“

Vollkommen, dachte Genna zufrieden. Lorene würde ihr nur die Freude verderben, wenn sie mitkäme, und Lord Penfords Anwesenheit würde Genna ständig daran erinnern, dass dieses geliebte Gebäude ihr nicht mehr gehörte. Doch mit Rossdale würde sie sich gut unterhalten.

Sie schenkte ihm ein entzücktes Lächeln. „Ein ausgezeichneter Plan.“

3. KAPITEL

Ross hatte sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so gut unterhalten. Genna ergötzte sie mit Geschichten über das Haus und ihre Kindheitstage. Aus ihrem Munde klangen jene Tage idyllisch, doch wenn man genau hinhörte, entging einem nicht die Einsamkeit der vernachlässigten Kinder in ihren Geschichten.

Und doch brachte sie ihn zum Lachen, und ihre Schwester ebenfalls, was ihn ziemlich erstaunte. Am Anfang hatte Lady Tinmore jegliche Lebhaftigkeit vermissen lassen, doch Dell war sogar noch ärger. Während des Mahls war er immer stiller und düsterer geworden. Dabei sah es Dell nicht ähnlich, so wortkarg zu sein. Früher war er für jeden Spaß zu haben gewesen, doch er war sehr ernst geworden. Ross konnte es ihm nicht verübeln, er wünschte nur, Dell könnte wieder fröhlich werden wie früher.

In jedem Fall freute Ross sich darauf, mit der äußerst amüsanten Genna das Haus zu erforschen.

Nach dem Dessert meldete er sich zu Wort. „Ich schlage vor, dass wir auf unseren Brandy verzichten und Miss Summerfield erlauben, ihre Hausführung zu beginnen. Dann können wir uns später zum Tee wieder treffen und Lady Tinmore am Klavier bewundern.“

„Gut“, sagte Dell und wandte sich erst dann an Lady Tinmore. „Das heißt, wenn Sie einverstanden sind, Madam.“

„Natürlich.“ Lady Tinmore senkte den Blick.

Sie hätte niemals etwas anderes gesagt, selbst wenn sie nicht einverstanden gewesen wäre, davon war Ross überzeugt.

„Was für eine großartige Idee! Lassen Sie uns gleich anfangen.“ Genna sprang auf und ging schon auf die Tür zu.

Ross holte sie ein, gerade als der Diener die Tür für sie öffnete. Genna lächelte den Mann dankbar an und berührte herzlich seinen Arm. Mit diesen Dienern musste sie aufgewachsen sein. Es gefiel Ross, dass sie ihnen ihre Zuneigung zeigte.

Sie verließen das Speisezimmer und befanden sich im Mittelpunkt des Hauses, von wo aus man über die große Treppe in die oberen Stockwerke gelangte. „Wo wollen wir beginnen?“, fragte Ross.

Genna zögerte. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir zuerst zur Küche hinuntergingen? Ich möchte so gern alle Diener begrüßen. Sie werden sich sehr wahrscheinlich dort aufhalten oder in ihrem Salon. Aber Sie können auch gern hier warten, wenn Sie nicht mitkommen möchten.“

„Warum sollte ich nicht mitkommen wollen?“

Sie lächelte. „Folgen Sie mir.“

Zunächst führte sie ihn eine Treppe hinunter ins Erdgeschoss im linken Flügel des Hauses. Schon bald drangen Stimmen und Geschirrgeklapper an ihre Ohren. Genna beschleunigte ihre Schritte und betrat die Küche. „Hallo, allerseits!“

Ross blieb am Eingang stehen und sah ihr belustigt zu.

Die Köchin und die Küchenmägde ließen sofort fallen, was sie gerade taten, und versammelten sich um Genna. Andere Hausmädchen und Diener kamen aus anderen Räumen herbei, und Genna umarmte oder schüttelte den Meisten die Hand, fragte sie, wie es ihnen ging und hörte sich aufmerksam ihre Antworten an. Und danach erzählte sie ihnen von ihren Geschwistern, doch anders als im Gespräch mit ihm, schilderte sie den Dienern ein sehr viel sonnigeres, fröhlicheres Bild. Wahrscheinlich, damit sie sich keine Sorgen machten.

„Lorene“, sagte sie gerade, „Lady Tinmore, meine ich, hat mich gebeten, euch allen ihre Grüße und besten Wünsche auszurichten. Ich fürchte, sie musste bei unserem Gastgeber bleiben, aber ich bin sicher, sie wird mich mit Fragen über euch überschütten, kaum dass wir allein sind.“

Ross erinnerte sich nicht an ein solches Gespräch zwischen den Schwestern, aber es war sehr freundlich von Genna, es die Diener glauben zu lassen. Am Ende schien sie sich endlich wieder an ihn zu erinnern. Sie winkte ihn lachend heran. „Lord Rossdale! Ich brauche Sie gewiss nicht vorzustellen, oder? Ich bin sicher, alle wissen, wer Sie sind.“ Und damit wandte sie sich schon wieder an die Dienerschaft. „Lord Rossdale bat mich, ihm das Haus zu zeigen, aber eigentlich nur, damit ich mein geliebtes Haus wiedersehen und kurz bei euch vorbeischauen konnte. Man hat mir gesagt, es hat sich kaum etwas verändert.“

„Nur die Räume Ihrer Eltern, Miss Genna“, sagte die Haushälterin. „Lord Penford bat um einige geringe Veränderungen im Zimmer Ihres Vaters, das er selbst bewohnt. Und das Zimmer Ihrer Mutter ist für Lord Rossdale hergerichtet worden.“

Ross wandte sich an die Haushälterin. „Er hätte Sie nicht zu bemühen brauchen, aber es ist wirklich sehr bequem. Wofür ich Ihnen danken möchte.“

Ihrer strahlenden Miene nach zu urteilen, schien Genna erfreut über seine Worte zu sein. „Jetzt sollten wir uns aber wirklich auf den Weg machen. Lady Tinmore wird so bald wie möglich heimkehren wollen, damit wir die Gastfreundschaft des Earls nicht überbeanspruchen.“ Sie lächelte frech. „Ich selbst mach mir darüber nicht so viele Gedanken. Mir ist es recht, wenn unser Cousin uns so lange wie möglich erträgt, weil es so schön ist, wieder zu Hause zu sein. Wenn auch nur für kurz.“

Nachdem sie sich herzlich von allen verabschiedet hatte, versprach Genna noch, dass sie, so oft sie konnte, zu Besuch kommen würde.

Ross unterbrach sie schließlich freundlich. „Könnten wir noch eine Lampe bekommen? Ich denke, einige der Zimmer werden bereits recht dunkel sein.“

Sofort lief ein Diener davon und kam gleich darauf mit einer Lampe zurück. Die Augen tränenfeucht, trennte Genna sich von allen und ließ zu, dass Ross sie sanft mit sich zog. Als sie außer Hörweite waren, flüsterte sie: „Sie fehlen mir alle so sehr.“ Dann warf sie ihm einen herausfordernden Blick zu. „Zweifellos billigen Sie es nicht.“

„Dass Ihnen die Dienerschaft fehlt?“

„Dass ich mich ihnen so verbunden fühle“, sagte sie.

Er hob protestierend die Hände. „Das ist unfair, Miss Summerfield. Was habe ich gesagt oder getan, um eine solche Anschuldigung zu verdienen?“

„Nichts“, gab sie seufzend zu. „Verzeihen Sie mir. Ich neige dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen. Einer meiner größten Fehler. Im vergangenen Jahr habe ich erfahren müssen, dass solche Gefühle nicht geschätzt werden. Tinmore würde gewiss einen Anfall bekommen, wenn er wüsste, dass ich mich so eng mit der Dienerschaft abgebe. Das ist zweifellos auch der Grund, weswegen Lorene nicht mitgekommen ist.“

„Missbilligt Ihre Schwester es ebenfalls, sich zu sehr mit den Dienern einzulassen?“ Es hätte ihn nicht überrascht. Sie schien ihm in jeder Hinsicht das Gegenteil von Genna zu sein.

„Lorene? Du lieber Himmel, nein. Aber sie versucht, Tinmore nicht zu verärgern.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht einmal, wenn er es unmöglich erfahren kann.“

„Was wollen wir uns als Nächstes ansehen?“, fragte er, um das Thema zu wechseln und Gennas Stimmung zu bessern.

„Ich würde gern mein altes Zimmer sehen“, antwortete sie. „Und das Schulzimmer.“

Sie stiegen die Treppe bis zum zweiten Stockwerk hinauf und nahmen den Gang hinunter zum Kinderflügel. Genna öffnete eine der Türen. „Das war mein Zimmer.“

Es war ein angenehmer Raum mit einem großen Fenster, doch die Vorhänge waren vorgezogen. Offenbar bedrückt ging Genna durch das Zimmer.

„Ist es, wie Sie es in Erinnerung haben?“, fragte er.

Sie nickte. „Alles ist an seinem Platz.“

„Aber Sie sind dennoch nicht froh.“

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Es ist nichts von mir geblieben. Das Zimmer könnte jedem gehören. Vielleicht wusste Lorene, dass es so sein würde, und ist deswegen nicht mitgekommen.“

Er runzelte die Stirn. „Es tut mir leid, dass Sie enttäuscht sind.“

Ein trauriges Lächeln um die Lippen, drehte sie sich zu ihm um. „Es ist seltsam. Ich bin zwar enttäuscht, aber ich bin dennoch froh, dass ich es wiedergesehen habe. Es hilft mir, mich daran zu erinnern, wie es gewesen ist. Selbst wenn die Erinnerung mich traurig macht.“

In jedem der diversen Häuser seines Vaters gab es einen Raum nur für Ross, der auf ihn wartete, wann immer er dort wohnte. Doch für ihn waren diese Räume eher ein Käfig als eine Zufluchtsstätte.

„Gehen wir weiter“, sagte Genna schließlich und klang entschlossen.

Sie betraten jedes Schlafzimmer, und Genna erzählte Ross, wem es gehört hatte und welche Erinnerungen sie damit verband. Schließlich kamen sie zum Schulzimmer, und sie ließ die Finger zart über die Tischoberfläche gleiten. „Wir haben alles hiergelassen.“ Sie öffnete eine Holztruhe. „Hier sind noch unsere Schiefertafeln und einige Spielsachen.“ Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. „Es ist, als hätten wir das Haus schon in unserer Kindheit verlassen. Wahrscheinlich um draußen zu spielen.“

„Um Boudicca darzustellen?“

Sie lächelte. „Ja! Draußen fing der Spaß richtig an.“ Sie verschränkte die Hände und sah sich noch einmal im Raum um. „Gehen wir weiter.“

Kurz blickten sie noch in andere Gästezimmer, aber Genna zögerte, als sie die Räume ihrer Eltern erreichten. „Ich werde gewiss nicht in Penfords Zimmer herumschnüffeln“, sagte sie und sprach den Namen mit einem Hauch von Verachtung aus.

„Sie scheinen meinem Freund nicht besonders geneigt zu sein“, bemerkte Ross.

„Nun, er hätte uns ruhig ein wenig länger bleiben lassen können“, sagte sie abrupt.

„Dell hat den Titel erst vergangenen Sommer geerbt. Ich denke, Ihr Groll sollte besser seinem Vater gelten.“

Sie sah ihn verblüfft an. „Oh. Das wusste ich nicht.“

Ross wechselte das Thema, da es Dell vielleicht nicht recht wäre, wenn er noch mehr sagte. „Ich habe jedenfalls nichts dagegen, wenn Sie das Zimmer Ihrer Mutter sehen wollen.“

Sie erholte sich schnell von ihrer Verlegenheit und sah ihn mit gespielter Entrüstung an. „Ich? Das Schlafzimmer eines Gentlemans betreten, noch dazu in Gesellschaft besagten Gentlemans? Was würde Lord Tinmore sagen?“

„Das ist einer jener Fälle, die Lord Tinmore niemals zu Ohren kommen werden.“ Er lächelte amüsiert. „Außerdem werden wir anstandshalber die Tür offen lassen, und ich vermute, mein Kammerdiener hält sich dort auf …“

Sie riss scheinbar entsetzt die Augen auf. „Was, ein Zeuge? Er könnte es Lord Tinmore verraten! Und dann wären wir miteinander verheiratet, bevor Sie wissen, wie Ihnen geschieht. Das können Sie mir glauben.“

Sie schien sich über die Möglichkeit einer Heirat lustig zu machen, ganz im Gegensatz zu den meisten jungen Damen, die sich ihm gemeinhin an den Hals warfen. Doch ihr Blick wurde verschwörerisch. „Obwohl ich Ihnen unbedingt etwas zeigen möchte, also könnten wir vielleicht einen kurzen Moment hineingehen.“

Mit keiner anderen Frau wäre Ross ein solches Risiko eingegangen, und zwar aus ebendem Grund, den sie erwähnt hatte. Er öffnete die Tür und fand, wie erwartet, seinen Kammerdiener vor, der gerade dabei war, seine Sachen zu ordnen.

„Erschrecken Sie nicht, Coogan“, sagte Ross. „Wir bleiben nur einen Augenblick.“

„Ja, Coogan“, sagte Genna lächelnd. „Nur einen Augenblick.“

„Brauchen Sie etwas, Mylord?“, fragte Coogan verwundert. „Ich war gerade im Begriff, mit der Dienerschaft zu Abend zu essen, aber ich kann …“

„Miss Summerfield möchte mir nur etwas hier im Zimmer zeigen“, erklärte Ross. „Bleiben Sie, bis wir gehen.“

Ross war froh, einen Zeugen zu haben – für alle Fälle.

Sie blieb vor einer Wand mit hellblauer Tapete stehen und drückte auf eine Stelle. Sofort schwang eine Tür auf, die Ross bis dahin nicht aufgefallen war. „Jetzt gehen wir“, sagte Genna zu seinem Kammerdiener und gab Ross ein Zeichen, ihr zu folgen. Sobald er die geheime Schwelle hinter ihr überschritten hatte, drückte Genna die Tür hinter ihnen zu. Ihre Lampe erleuchtete einen geheimen Gang, der irgendwo im Dunkeln endete.

„Mein Großvater hat das Haus so gebaut, dass er seinen Dienern nie zu begegnen brauchte, es sei denn, sie sollten etwas für ihn tun. Er ließ in alle Zimmer Geheimtüren einbauen, die alle mit Geheimgängen verbunden sind. Die armen Diener mussten durch diese Gänge huschen. Von hier aus können wir in jeden Teil des Hauses gelangen.“ Sie ging in die Dunkelheit hinein. „Kommen Sie. Ich zeige es Ihnen.“

Dell blieb mit Lorene bis nach dem Dessert im Speisezimmer. Die Unterhaltung kam nur stockend voran, und beide waren merklich verlegen. Er hatte seine Cousinen aus Lincolnshire niemals kennengelernt, wusste von ihnen nur durch die Skandale und den Klatsch, die ihrer Familie anhafteten, und hatte deswegen auch weiter keinen Gedanken an sie verschwendet. Er war nicht auf jemandem wie Lorene gefasst gewesen.

Eine so liebliche, ernste, traurige Frau.

Sie zogen sich in den Salon zurück, und nun war er sich ihrer intimen Situation noch bewusster als vorher schon. Was hatte er sich nur dabei gedacht, Ross und der viel zu lebhaften Genna zu erlauben, sich irgendwo im Haus herumzutreiben? Warum zum Henker hatte Tinmore die Einladung nicht einfach für alle abgelehnt? Warum hatte er seine Frau und Schwägerin allein geschickt?

Ihm fiel auf, dass sie noch immer reglos im Salon standen. Lorene wies auf das Klavier. „Soll ich Ihnen etwas vorspielen?“

„Wenn Sie möchten.“ Wenigstens würde es ihm die Mühe ersparen, eine Unterhaltung mit ihr aufrechtzuerhalten – etwas, womit er sonst mit keiner Frau ein Problem hatte.

Sie setzte sich an das Instrument und begann zu spielen. Nach den ersten zaghaften Tönen war es, als würde sie ihre Zurückhaltung völlig ablegen, und ihr Spiel wurde selbstbewusst und hingebungsvoll. Dell erkannte das Stück, das sie ausgewählt hatte. Seine Schwester hatte es früher oft gespielt – Mozarts Andante grazioso. Die Erinnerung war wie ein Messerstich mitten ins Herz.

Lorene spielte mit großem Können und Gefühl. Als sie endete und ihn ansah, bat er sie sofort, weiterzuspielen.

Dieses Mal begann sie gleich voller Selbstvertrauen – die Pathétique von Beethoven –, und Dell nahm die Traurigkeit, die er an ihr bemerkt hatte, auch in ihrer Musik wahr. Eine Traurigkeit, die ihn tief berührte, da sie ihn an seine eigene erinnerte, und die ihn auf eine Weise zu Lorene hinzog, die sehr unklug war.

Sie war mit einem Mann verheiratet, der im Oberhaus großen Einfluss ausübte, und Dell würde dort zunächst nicht mehr als ein Anfänger sein. Ross hatte recht. Er musste behutsam vorgehen, wenn er Gutes bewirken wollte.

Als Lorene die Sonate beendete, ging sie gleich zu einem nächsten Stück über und danach zu einem anderen. Und jedes war erfüllt mit Melancholie. Mit Sehnsucht.

Die Musik bewegte Dell zutiefst.

Die Frau bewegte ihn zutiefst.

Schließlich legte sie die Hände in den Schoß, und er sah, dass sie leicht zitterten. „Mehr weiß ich nicht auswendig.“

„Es muss doch gewiss Noten geben.“ Er suchte auf dem Klavier, doch Lorene erhob sich und trat an einen Schrank, der neben dem Klavier an der Wand stand.

„Hier sind welche.“ Sie nahm das oberste Blatt. „Oh, es ist ein Lied, das ich früher oft sang.“

„Möchten Sie es für mich spielen?“ Was sollte er schließlich zu ihr sagen, wenn sie aufhörte zu spielen? Es fiel ihm jetzt schon schwer, seinen inneren Aufruhr zu verbergen.

Sie nickte, legte das Blatt auf den Notenständer, spielte die ersten Noten und begann zu seinem Erstaunen zu singen.

Ein stilles Leid quält mich,

Ein Kummer, den niemand soll wissen;

Kein Seufzer entflieht, keine Träne rinnt,

Doch mein Herz wird davon verzehret.

Dies süße Weh, dies geliebte Verzagen,

Soll ewig sein mein Los,

Damit, o Herr meiner Seele, diese Gram

Du niemals sollst erfahren.

Ihre Stimme war klar und rein, und sie sang mit einer Inbrunst, die deutlich zeigte, welche Bedeutung diese Verse für sie hatten. Was war ihr „süßes Weh“, ihr „geliebtes Verzagen“? Dell wusste, was sein Kummer war.

Sie beendete das Lied und sah langsam zu ihm auf.

„Lorene“, flüsterte er.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Tagträumen. Der Butler trat ein. „Verzeihen Sie, Mylord, Mylady.“

„Was ist, Jeffers?“, fragte Dell mit leicht brüchiger Stimme.

„Das Wetter, Mylord. Es hat angefangen zu schneien und zu hageln.“

Lorene wurde blass und stand hastig auf. Rasch trat Dell ans Fenster und seine Hand berührte sie flüchtig, als er die Vorhänge zurückzog. Sie blickten hinaus und stellten fest, dass die Erde bereits mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Das Geräusch des Schneeregens, das sie jetzt so deutlich hören konnten, musste vorhin von der Musik übertönt worden sein.

Lorene wirbelte herum. „Wir müssen aufbrechen! Wo ist Genna?“

„Ich habe Becker auf die Suche nach ihr geschickt“, warf Jeffers ein.

„Gut gemacht, Jeffers. Geben Sie im Stall Bescheid, sie sollen die Kutsche vorbereiten.“ Dell wandte sich an Lorene. „Sie schaffen es vielleicht noch nach Hause, wenn Sie sofort abfahren.“

Lorene legte sich die Hände an die Wangen. „Wir haben nicht mit so schlechtem Wetter gerechnet.“

Beruhigend tätschelte er ihr den Arm. Er wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. „Bitte machen Sie sich keine Gedanken.“

„Wo ist Genna?“, rief sie und lief aus dem Salon. „Warum musste sie unbedingt das Haus sehen?“

Genna führte Ross durch dunkle, schmale Gänge und blieb an den Türen zu den anderen Schlafzimmern immer wieder stehen. Auf der anderen Seite der Türen waren die Eingänge zum Geheimgang kaum sichtbar. Ab und zu drang Musik zu ihnen. „Lorene spielt Klavier“, sagte Genna.

Die Musik verwandelte ihren seltsamen kleinen Ausflug in eine fast unwirkliche Erfahrung. Es war wie ein Spiel. Ross versuchte zu erraten, auf welches Zimmer sie als Nächstes stoßen würden, aber er irrte sich oft. Genna kannte sich aber natürlich aus. Er konnte sich vorstellen, wie sie als kleines Mädchen in diesen Gängen herumgelaufen war.

Jetzt öffnete sie die Tür zum Spielzimmer. „Ist es nicht verrückt? Die Gänge führen sogar hierher. Warum hätte es meinem Großvater etwas ausmachen sollen, ob die Diener im Spielzimmer gesehen wurden?“

„Ich frage mich, warum er dieses ganze Labyrinth gebaut hat“, sagte Ross.

Sie lächelte vergnügt. „Weil man darin wunderbar Verstecken spielen konnte. Die Gänge führen sogar bis auf den Dachboden.“ Sie erreichten eine Treppe, die Genna prompt hinaufzuklettern begann, bis sie eine Falltür öffnete und einen riesigen Dachboden betrat, der bis in jede Ecke angefüllt war mit Kisten, Truhen und Möbeln. Ihre Lampe erleuchtete nur einen kleinen Teil.

Ross stieß mit der Stiefelspitze gegen etwas und bückte sich, um es aufzuheben. Es war ein großes, in Leinen gebundenes Buch.

„Was ist das?“, fragte Genna.

Er reichte ihr das Buch. „Oh, es ist mein Skizzenbuch.“ Ohne an den Staub zu denken, setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden und stellte die Lampe neben sich ab, um im Buch blättern zu können. „Oh, du meine Güte. Ich dachte, ich hätte es für immer verloren!“

„Warum ist es hier oben?“, fragte er.

„Ich hatte geglaubt, es sicher versteckt zu haben, und dann wusste ich nicht mehr, wo es war.“ Sie schloss es und drückte es an sich. „Ich kann nicht glauben, dass Sie es gefunden haben!“

„Darüber gestolpert bin, meinen Sie.“ Er machte einen kleinen Scherz, aber er hörte ihr an, wie erschüttert sie war.

War er jemals einer Frau begegnet, die das Herz so auf der Zunge trug? Und doch gab es etwas, das sie verborgen hielt. Vor jedem, wie er vermutete. Mit ein wenig Glück würde er bei seinem Aufenthalt hier die Gelegenheit bekommen, sie besser kennenzulernen.

Wieder öffnete sie das Buch und blätterte begierig darin. Im Schein der Lampe glühte ihr Gesicht regelrecht, und sie sah sogar noch schöner aus als sonst. Ihr Haar schimmerte wie Gold, ihre blauen Augen erinnerten an Saphire. Wie mochte es sein, die Finger in diesen goldblonden Locken zu stecken und heiße Leidenschaft in diesen faszinierenden Augen zu entdecken?

Ross trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

Obwohl sie aus einer skandalösen Familie stammte, war sie dennoch eine respektable junge Frau. Eine Tändelei mit ihr würde sie entehren, und weder sie noch er wünschten sich etwas Ehrbares – wie zum Beispiel eine Heirat.

Sicher, bald würde er sich unter den jungen Damen des ton eine aussuchen müssen, die würdig war, seine Duchess zu werden. Aber noch nicht. Noch lange nicht.

Sie sah ihn an. „Was soll ich damit tun?“

„Nehmen Sie es mit, wenn Sie möchten. Schließlich gehört es Ihnen.“

Doch sie zögerte. „Lord Penford würde nichts dagegen haben, meinen Sie? Es würde ihn vielleicht nicht freuen zu erfahren, dass ich auf dem Dachboden herumgeschnüffelt habe.“

Ross zuckte mit den Schultern. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihn besonders interessieren würde.“

Sie stand auf, das Skizzenbuch in einer Hand, und klopfte sich den Staub von ihrem Rock. „Wir durften nichts weiter mit uns nehmen als unsere persönlichen Gegenstände.“

„Das ist ein persönlicher Gegenstand.“

Gedankenverloren strich sie mit den Fingern darüber. „Da haben Sie wohl recht.“

Er beugte sich vor, um die Lampe aufzuheben. „In jedem Fall sollten wir uns jetzt wieder auf den Weg zum Salon machen.“

Sie nickte und lotste ihn durch den Geheimgang zurück in den ersten Stock, wo sie jemanden ihre Namen rufen hörten.

„Genna! Wo bist du?“ Das war Lorene.

„Ross! Wir brauchen dich!“, folgte Dells Stimme.

Genna lachte. „Sie müssen glauben, dass wir uns in Luft aufgelöst haben.“

„Weiß Ihre Schwester nicht von den Geheimgängen?“

„Doch, natürlich, aber wir haben schon vor Jahren aufgehört, sie zu benutzen.“ Sie hielt inne. „Lorene und Tess zumindest.“ Kurz entschlossen ergriff sie seine Hand. „Kommen Sie. Wir gehen an einer Stelle hinaus, wo man nicht sieht, dass wir in einem Geheimgang waren.“

Sie betraten eine Halle, die Ross völlig unbekannt war.

„Das ist der Wäscheflügel.“ Genna schritt eilig voran, bis sie sie Haupthalle erreichten, doch vorher hatte sie ihr Skizzenbuch direkt hinter die Tür des Geheimgangs gelegt.

„Genna!“, hörte sie ihre Schwester wieder rufen. Sie musste genau über ihnen sein.

„Wir sind hier!“, rief sie und schloss die Tür, deren Umriss von dieser Seite kaum zu sehen war. „Am Fuß der Treppe.“

Sofort eilte ihre Schwester die Treppe herunter, Dell auf den Fersen. „Wo wart ihr? Wir suchen schon seit einer halben Stunde nach euch!“

Genna klang, als könnte sie kein Wässerchen trüben. „Ich habe Lord Rossdale bloß das Haus gezeigt. Wir waren gerade mit der Wäscherei fertig.“

„Die Wäscherei!“, rief Lady Tinmore. „Welche Sehnsucht hat dich denn in die Wäscherei getrieben?“

„Keine“, antwortete Genna. „Ich dachte nur, es könnte Lord Rossdale interessieren.“

„Ich versichere Ihnen, das tat es auch“, bestätigte Ross ebenso ungerührt wie seine Begleiterin. „Ich fand es schon immer faszinierend zu erfahren, wie andere Häuser geführt werden.“

Gennas Schwester machte eine ungeduldige Handbewegung. „Das Wetter hat sich verschlimmert. Jeffers hat die Kutsche vorbereiten lassen, und wir müssen augenblicklich aufbrechen.“

Genna wurde sofort ernst und nickte. „Natürlich.“

In diesem Moment kam Jeffers mit ihren Umhängen, und Ross half Genna in ihren. Als sie zur Eingangstür eilten und sie öffneten, kam ein Diener, die Schultern schneebedeckt, gerade die Stufen herauf.

„Der Kutscher sagt, er kann die Fahrt nicht riskieren“, sagte er. „Bei dem Schnee ist es zu gefährlich.“

Sie blickten hinaus, aber es war nichts zu sehen als grenzenloses Weiß.

„Oh, nein!“, rief Lady Tinmore entgeistert. „Wir hätten vorher abfahren sollen!“

„Dann wären Sie während der Heimfahrt davon überrascht worden“, warf Dell ein. „Und hätten womöglich die Nacht über im Schnee festgesteckt. Wir werden es Ihnen hier bequem machen, und ich schicke einen Boten zu Lord Tinmore, sobald es möglich ist.“

„Wir müssen die Nacht über bleiben?“, fragte Lorene.

„Es lässt sich nicht ändern“, meinte Genna. „Wir werden hier übernachten müssen.“

4. KAPITEL

Der schöne Abend war vorbei.

Obwohl Lord Penford Tee in den Salon hatte bringen lassen, verdarben Lorenes augenkundliches Unbehagen und Penfords kühle Zurückhaltung Genna die gute Laune. Lorene machte sich natürlich Sorgen darüber, wie Lord Tinmore reagieren würde, aber wer konnte schon sagen, warum Penford sich so distanziert verhielt? Warum hatte er sie eingeladen, wenn ihm ihre Anwesenheit missfiel? Hatte er es aus reinem Pflichtgefühl getan? Nun, es war Lord Tinmore gewesen, der darauf bestanden hatte, dass sie die Einladung annahmen, und sie und Lorene waren gewiss nicht an dem Schnee schuld.

Nicht, dass es wichtig gewesen wäre. Falls Tinmore beschloss, sie seinen Unmut spüren zu lassen, würden ihn reine Vernunftgründe nicht davon abhalten.

Lord Penford schenkte sich und Rossdale Brandy ein und nippte dann düster an dem bernsteinfarbenen Getränk, während Rossdale und Genna sich bemühten, ein Gespräch in Gang zu halten. Ohne jede Vorwarnung erhob Penford sich nach einer Weile und verkündete, dass er sich für die Nacht zurückziehen wolle. Rossdale war so freundlich, Genna und Lorene Gesellschaft zu leisten, bis die Haushälterin ihnen mitteilte, dass die Schlafzimmer für die Damen vorbereitet seien. Also erhoben sie sich und wünschten Rossdale eine gute Nacht.

Die Haushälterin führte sie nach oben. „Wir dachten, Sie möchten vielleicht in Ihren alten Zimmern schlafen.“

„Danke“, sagte Lorene.

Genna umarmte die ältere Frau. „Ja, vielen Dank. Sie sind zu gut zu uns.“

Doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Wir haben auch saubere Nachtwäsche für Sie gefunden. Nellie und Anna werden Ihnen helfen.“ Nellie und Anna waren früher ihre Zofen gewesen.

Sie wünschten der Haushälterin gute Nacht, und Genna betrat ihr Schlafzimmer zum zweiten Mal heute Abend. Doch jetzt brannte ein Feuer im Kamin, und eine alte Freundin wartete bereits lächelnd auf sie.

„Wie schön, dass Sie die Nacht über bleiben werden“, sagte Anna. „In Ihrem alten Zimmer. Wie in alten Zeiten.“

„Es ist großartig!“, stimmte Genna begeistert zu.

Anna half ihr, das Kleid abzulegen und in ein Nachthemd zu schlüpfen. „Setzen Sie sich, damit ich Ihnen das Haar bürsten kann.“

Autor

Diane Gaston
<p>Schon immer war Diane Gaston eine große Romantikerin. Als kleines Mädchen lernte sie die Texte der beliebtesten Lovesongs auswendig. Ihr Puppen ließ sie tragische Liebesaffären mit populären TV- und Filmstars spielen. Damals war es für sie keine Frage, dass sich alle Menschen vor dem Schlafengehen Geschichten ausdachten. In ihrer Kindheit...
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