Historical Saison Band 93

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SCHEINVERLOBT MIT EINEM DUKE von EVA SHEPHERD
Oliver Huntsbury, Duke of Somerfeld, hat sich geschworen, nie zu heiraten – mehr als Affären will er nicht. Doch damit ihm der Ehemann seiner aktuellen Geliebten nicht auf die Schliche kommt, muss er sich mit Schauspielerin Arabella verloben – eigentlich zum Schein! Aber warum prickelt es dann so erregend in Arabellas Nähe?

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  • Erscheinungstag 27.09.2022
  • Bandnummer 93
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511421
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Eva Shepherd, Louise Allen

HISTORICAL SAISON BAND 93

1. KAPITEL

London, 1893

Oliver Huntsbury, fünfter Duke of Somerfeld, war normalerweise kein Mann, der sich vor einem Kampf drückte.

Doch angesichts einer Schar von fünf Gegnern, die alle wild darauf waren, ihm das Schlimmste anzutun, und von denen einer sogar ein Messer schwang und drohte, ihm damit seine edelsten Teile abzuschneiden, gab es nur eine vernünftige Reaktion: die Flucht ergreifen.

Und das tat er. Er rannte den Gang hinter der Bühne des Limelight-Theaters entlang, sprang über Requisiten, die achtlos im Weg lagen, wich Arbeitern aus, die Teile der Bühnendekoration schleppten, und raste an Revuemädchen vorbei, deren blumiges Parfüm ihn kurz in eine duftende Wolke hüllte und den muffigen Geruch des feuchten Gemäuers übertünchte. Er widerstand der Versuchung, stehenzubleiben und die spärlich bekleideten Schönen zu bewundern. Ausnahmsweise hatte er Wichtigeres im Sinn: Er musste sich in Sicherheit bringen.

„Bleib stehen, du Dreckskerl, und stell dich deiner Strafe wie ein Mann!“, brüllte Lord Bufford hinter ihm. Dabei wedelte der wütende Angehörige des Hochadels mit einem Messer. Bühnenarbeiter und Revuemädchen verschwanden wie von Zauberhand aus dem Gang. Als Oliver kurz über seine Schulter schaute, waren Lord Bufford und seine Handlanger, die mit diversen hässlichen Mordwerkzeugen bewaffnet waren, nur wenige Meter von ihm entfernt.

Also blickte Oliver wieder nach vorn und steigerte sein Tempo. Irgendwo in diesem Labyrinth von Fluren war Lucys Garderobe. Die musste er finden, bevor seine Angreifer ihn einholten und ihn seines liebsten Körperteils entledigten.

Es widerstrebte ihm zutiefst, sich hinter einem Weiberrock zu verstecken, aber er brauchte ein Alibi. Schließlich musste er dieser blutrünstigen Bagage beweisen, dass er unmöglich Lady Buffords Liebhaber sein konnte, wenn er doch jede Nacht in Lucy Bakers einladenden Armen lag – was die bekannte Schauspielerin hoffentlich bestätigen würde. In der Tat hatte er schon zahlreiche Nächte in ihren reizenden Armen verbracht, ihre noch reizenderen Beine leidenschaftlich um seine Hüften geschlungen. Allerdings hatte er auch in der einen oder anderen Nacht die zahlreichen Reize der Lady Bufford genossen. Und ja, er war bekannt dafür, nicht nur eine einzige Frau in seinem Bett zu haben, sofern sich denn eine solche Gelegenheit ergab. Aber selbst er konnte nicht die eine Dame in London beglücken und eine andere weit draußen auf ihrem Landsitz in Essex.

Solange Lucy beteuerte, dass er jede Nacht bei ihr gewesen sei, würde sein bestes Stück sicher sein. Ebenso auch Lady Buffords guter Ruf. Obwohl die bewusste Lady nie verhehlt hatte, einen Geliebten zu haben, so wollte sie doch ganz gewiss nicht, dass diese Tatsache in der Öffentlichkeit breitgetreten wurde.

Ohne Zweifel würde es die Gerüchteküche kräftig anheizen, wenn der Geliebte von dem erzürnten Gatten entmannt wurde – abgesehen davon, dass durch diese Maßnahme auch das Feuer des Geliebten einen gewaltigen Dämpfer erhalten würde.

Lady Bufford hatte schon vor langer Zeit das Interesse an ihrem plumpen Gatten verloren, jedoch nie das Interesse an seinem Geld, an dem bequemen Leben und an der gesellschaftlichen Position, die sie durch diese Ehe erlangt hatte. Sie wäre ruiniert, wenn Lord Bufford sich dazu entschließen würde, wegen Ehebruchs die Scheidung zu verlangen. Eine solche öffentliche Schande wünschte Oliver keiner seiner Geliebten.

Nein, ihm blieb nichts anderes übrig, als zu flüchten. Wo war nur Lucys Garderobe? War er diesen Gang nicht schon einmal entlanggerannt? Lief er im Kreis?

Er stieß mit dem Ellenbogen gegen ein Gestell mit grellbunten Kostümen, das krachend zu Boden fiel. Hoffentlich würde das seine Verfolger aufhalten und ihm ein wenig Zeit zum Nachdenken verschaffen.

Hatte Lucy, als sie sich das letzte Mal miteinander vergnügten, nicht erwähnt, dass sie etwas Neues versuchen wollte? Er hatte natürlich angenommen, sie meinte damit ihre Liebesspiele, die sie noch aufregender gestalten wollte. Aber vielleicht hatte er sie missverstanden und sie hatte ein neues Engagement an einem anderen Theater? Er sollte wirklich besser zuhören! Heute Abend, bei der Vorstellung, hatte er sie nicht auf der Bühne bemerkt. Allerdings war seine Aufmerksamkeit auch von einer neuen Schauspielerin gefesselt worden, die er noch nie gesehen hatte. Mit ihrem rabenschwarzen Haar, einer Haut wie Elfenbein und einer atemberaubenden Figur hatte sie ihn wahrhaftig verzaubert. Doch daran sollte er jetzt lieber nicht denken. Er musste Lucy finden und bis dahin besser nicht aufhören zu rennen.

„Das ist Erpressung! Das ist Nötigung! Das ist … das ist einfach unfair!“ Arabella hatte ihre Hände energisch in die Hüften gestemmt und funkelte ihren Vater wütend an.

„Nenn es, wie du willst, Liebes, aber ein besseres Angebot werde ich dir nicht machen.“ Ihr Vater erwiderte ihren Blick ungerührt, seine Miene schien wie in Stein gemeißelt. Mit diesem Blick, das wusste Arabella, pflegte er zaudernde Geschäftspartner zur Räson zu bringen. Mr. van Haven hatte sich nicht durch Zaghaftigkeit aus tiefer Armut zu einem der reichsten Männer Amerikas emporgearbeitet. Und nun war eben Arabella seinen gnadenlosen Geschäftspraktiken ausgeliefert.

Warum wunderte sie das eigentlich? Hatte sie nicht aus bitterer Erfahrung gelernt, dass ihr Vater vor nichts Halt machte, um seine Ziele zu erreichen – einerlei, wem er dabei Leid zufügte, und sei es der eigenen Tochter?

„Ich bin mehr als fair. Die meisten Väter würden es ihrer Tochter nie verzeihen, wenn sie herausfänden, dass sie gegen ihren ausdrücklichen Willen zur Bühne ging! Ich sage nur, du hattest deinen Spaß und nun wirst du das tun, wofür ich dich nach England geschickt habe: einen Mann mit einem Titel heiraten! Und um dir den Handel zu versüßen und als Versicherung für mich, dass du dich nicht wieder auf Abwege begibst, rette ich dein kostbares Theater! So einfach ist das.“

Einfach. Nichts an diesem geschmacklosen Vorschlag war einfach. „Also kurzum – du bezahlst mich, damit ich heirate, oder besser gesagt, du wirst das Theater finanzieren, wenn ich heirate.“

Das hätte ihn beschämen sollen! Seiner Tochter eine Heirat abzupressen, nur weil er sein Ansehen durch einen englischen Aristokraten in der Verwandtschaft steigern wollte, war wohl etwas, dessen sich jeder anständige Mann zutiefst schämen würde. Das musste doch selbst er erkennen!

Aber ihm war keinerlei Scham anzusehen. Stattdessen schenkte er ihr ein selbstzufriedenes Lächeln. „Gut! Endlich verstehst du, was ich von dir erwarte.“

Heftig schüttelte Arabella den Kopf, ihre Unterlippe bebte. Was hatte sie denn gedacht? Natürlich schämte er sich nicht! Wenn es um finanzielle Transaktionen ging, war ihm nur eins wichtig: den Handel zu gewinnen. Und in diesem Fall wäre die Heirat seiner Tochter nichts anderes als ein weiterer erfolgreich abgeschlossener Handel.

„Ich tue das nicht! Ich will einfach nicht!“

„Oh, doch, du willst.“ Im Gegensatz zu ihr sprach ihr Vater völlig ruhig. „Schmoll, solange du willst. Veranstalte meinetwegen eine Szene, wenn dir danach ist, aber du wirst einen Adeligen heiraten. Einmal hast du mich enttäuscht, ein zweites Mal passiert das nicht.“ Er atmete tief ein und stieß die Luft geräuschvoll aus. „Vermutlich bin ich selbst schuld. Ich hätte dich gleich persönlich nach England begleiten sollen, anstatt dich mit meiner Schwester reisen zu lassen. Prudence sollte lediglich als Anstandsdame fungieren, wenn du den Mann triffst, den ich für dich ausgesucht hatte. Alles war arrangiert. Doch selbst das brachte sie nicht zustande.“ Er schüttelte den Kopf. „Und warum der Duke of Knightsbrook dann nicht dich, sondern mein Mündel heiratete, werde ich nie verstehen. Nun, jetzt bin ich ja persönlich hier und werde mich darum kümmern. Also mach dir keine falschen Hoffnungen: Du wirst einen Mann mit Titel heiraten.“

Arabella blinzelte die Tränen fort, die ihr aus Wut und Enttäuschung in die Augen gestiegen waren. „Wie kannst du mir das nur antun? Es ist … es ist …“

„Es ist zu deinem Besten. Wenn ich dir die Wahl deines Gatten selbst überlassen würde, würdest du wieder eine falsche Entscheidung treffen – hast du es nicht schon einmal bewiesen? Also tust du nun, was ich dir sage, und ich werde diesem Theater großzügig das nötige Geld zukommen lassen. Falls dich mein Angebot nicht überzeugt, solltest du, glaube ich, an die Alternative denken. Dann würdest du nämlich mit mir auf dem nächsten Schiff nach Amerika zurückreisen und nie wieder auf der Bühne stehen – nicht einmal auf einer Laienbühne. Und dieses Theater hier, das dir offensichtlich so sehr am Herzen liegt, kann meinetwegen noch ein paar Wochen länger kämpfen, bevor es sang- und klanglos untergeht. All deine neuen Freunde werden arbeitslos sein, und anders als du hat keiner von denen einen reichen Vater. Willst du wirklich, dass sie auf der Straße landen, ohne Geld und Arbeit?“

„Das ist verachtenswert, einfach verachtenswert“, murmelte Arabella vor sich hin, von Kummer zerfressen. Sie konnte die Schauspielerei nicht aufgeben, einzig dafür lebte sie doch. Und konnte sie dem Theater die letzte Chance verweigern, weiter zu bestehen? Es brauchte dringend Geld für Plakate und eine bessere Ausstattung, sonst konnte es dichtmachen. Heute Abend war der Saal nicht einmal halb voll gewesen. Nun war auch noch die Zugnummer geplatzt, denn Lucy Baker, die Hauptdarstellerin, hatte sich ein besser bezahltes Engagement gesucht. Das Theater brauchte dringend finanzielle Unterstützung, wenn es überleben wollte.

Aber deswegen heiraten? Noch dazu einen Mann, den ihr Vater aussuchte? Das war zu viel verlangt.

„Ich sehe, du bist verärgert, meine Liebe, also mache ich dir ein Zugeständnis.“

Arabellas Spannung löste sich ein wenig. Was würde er ihr anbieten?

„Die Art des Titels ist mir gleich. So wählerisch bin ich nicht – Duke, Earl, Viscount, meinetwegen nur Baron – Hauptsache, du wirst Lady Soundso.“

Arabella klappte fast der Mund auf; ungläubig starrte sie ihn an. Ein Zugeständnis konnte man das wohl kaum nennen. Wie man es auch betrachtete, sie sollte sich an einen beliebigen Mann mit einem Adelstitel verkaufen, um das Bedürfnis ihres Vaters nach mehr Prestige zu befriedigen. Dass er zu den reichsten Männern Amerikas zählte, genügte ihm nicht. Deshalb wollte er seine Tochter benutzen, um den sozialen Status zu erlangen, der ihm seinem Empfinden nach noch fehlte. Damit ihr Vater sich auch in Bezug auf seine gesellschaftliche Stellung jedem New Yorker Snob überlegen fühlen konnte, sollte sie auf dem Altar der Ehe geopfert werden. Es war unvorstellbar!

„Ach, hör auf zu schmollen, Arabella“, blaffte er sie an. „Zum ersten Mal verlange ich etwas von dir, nachdem ich jahrelang all deinen Launen nachgegeben habe. Habe ich dir nicht immer alles gegeben, was du wolltest?“

Zu entsetzt, um zu antworten, konnte Arabella ihn nur weiter anstarren. Ja, an materiellen Gütern hatte er ihr alles gegeben, was immer sie sich gewünscht hatte: elegante Kleider, teuren Schmuck, Musikstunden, Gesangsstunden und vieles mehr. Doch Wärme, Geborgenheit oder Zuwendung – hatte sie nie von ihm bekommen.

„Ich habe dir sogar verziehen, als du dich drüben in New York als kleine Laienspielerin verdingt hast, aber ich hätte nie gedacht, dass du so schlichten Gemütes wärst, das beruflich machen zu wollen. Hoffentlich reicht das Vermögen, das du in eine Ehe mitbringst, um den Schaden wiedergutzumachen, den dein Ruf dadurch erlitten hat. Doch nun bin ja ich hier in England und wir können all diese Dummheiten hinter uns lassen. Wenn du erst verheiratet und eine Lady bist, die auf ihrem luxuriösen Landsitz lebt, wird diese ganze dumme Schauspielerei vergessen sein.“

Der Boden schwankte unter Arabellas Füßen. Sie würde sich nicht darauf einlassen! Sie würde dieses Leben, das sie so sehr liebte, nicht aufgeben. Ihr würde schon noch irgendetwas zur Rettung des Theaters einfallen, ohne dass sie sich wie eine Sklavin verkaufen musste. Sie hatte sich so angestrengt, um das Engagement als Schauspielerin zu bekommen. Sie hatte nicht nur gut spielen, sondern hatte planen und intrigieren müssen, damit sie an den Proben teilnehmen konnte, ohne dass Tante Prudence etwas bemerkte. Nachdem ihr Vater in London angekommen war, hatte sie immer kompliziertere Ausreden erfinden müssen, aber es war ihr gelungen. Nun, bis heute Abend.

„Du bist für Besseres als dies hier geboren“, fuhr er fort, wobei er angewidert den Blick durch die winzige Garderobe schweifen ließ. Mit dem Daumennagel schnippte er ein Stückchen abgeblätterte Farbe von der Wand, unter dem der grobe graue Putz zum Vorschein kam. Dann betrachtete er mürrisch den abgeschabten Frisiertisch mit dem fleckigen Spiegel, die Kostümständer und die mit Requisiten vollgestopften Zimmerecken.

Ja, der Raum mochte eng sein und ein bisschen schäbig, und unglücklicherweise diente er teils auch als Abstellkammer, aber Arabella freute sich einfach, eine eigene Garderobe in einem echten Theater zu haben. Sie war stolz darauf, ihre erste Rolle auf einer Londoner Bühne zu spielen, wenn es auch nur eine kleine war.

Und sie hielt sich viel lieber in dieser abgenutzten Garderobe auf, als sich auf öden Bällen und sonstigen Gesellschaften zu Tode zu langweilen, wie es von einer Frau in ihrer gesellschaftlichen Stellung erwartet wurde. Daheim in New York hatte sie den meisten dieser Veranstaltungen zum Glück fernbleiben können, da ihr Vater so oft abwesend war, dass er das gar nicht bemerkt hatte. Seit sie in London war, konnte sie fast noch freier über ihre Zeit bestimmen. Ihre hypochondrische Tante Prudence lag meistens mit irgendeinem eingebildeten Leiden im Bett. Nellie, Arabellas Zofe, war ihr eher eine Freundin als eine Bedienstete und unterstützte Arabella nach Kräften dabei, sich ihren Traum zu erfüllen.

Diesen Traum, auf einer Theaterbühne zu stehen und zu spielen, hegte sie schon seit ihrer Kindheit. Und jetzt, da er kurz davor war, in Erfüllung zu gehen, würde sie sich das nicht von ihrem Vater verderben lassen. Sie musste einfach einen Weg finden, das zu schaffen, was zahllosen Geschäftsleuten und Politikern bisher nicht gelungen war – nämlich sich nicht von ihrem Vater, dem berüchtigten, rücksichtslosen New Yorker Bankier Mr. van Haven, unterkriegen zu lassen.

Die Tür flog auf und Arabellas Blick wurde sofort von dem hochgewachsenen blonden Mann gefangen genommen, der in den Raum stürzte. Jeder Zoll von ihm hätte einem erstklassigen Hauptdarsteller zur Ehre gereicht. Dabei hatte er einzig Augen für sie – tiefbraune Augen – und steuerte direkt auf sie zu.

„Da bist du ja, mein Schatz“, rief er und schenkte ihr ein verwegenes Lächeln.

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, umschlang er sie fest, bog sie so weit nach hinten, dass sie sich gerade noch auf einem Fuß halten konnte, und küsste sie leidenschaftlich.

Unwillkürlich keuchte Arabella auf und klammerte sich an den Fremden, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor und umfiel. Obwohl – so fest, wie er sie in den Armen hielt, war umfallen ihre kleinste Sorge.

Es war empörend! Sie sollte dem ein Ende machen. Sofort!

Warum aber tat sie nichts? War es, weil sie es so seltsam tröstlich empfand, in seinen starken Armen zu liegen? Oder war es, weil sein frischer männlicher Duft – Moschus und Leder und eine Spur von Limonenseife – so betörend war?

Sie schmolz geradezu dahin, und ihr Körper schmiegte sich perfekt an den seinen. Es war, als sei genau dort ihr Platz.

Nein. Das war lächerlich. Natürlich war das nicht ihr Platz. Schluss damit! Jetzt sofort. Besonders, weil seine Zunge lockend über ihre Unterlippe strich, sodass sie unwillkürlich den Mund öffnete, um dieses köstliche Gefühl ganz und gar zu genießen.

Nein! Es war empörend! Sie musste dem ein Ende machen, bevor er den Kuss vertiefte. Bevor sie noch den Kuss erwidern würde. Sie ließ ihre Finger durch sein zerzaustes Haar gleiten, während sie sich gleichzeitig ermahnte, dass es keine Rolle spielte, wie herrlich es war, so ungestüm umfangen zu werden. Nein, es spielte überhaupt keine Rolle!

Er zog sie jedoch sogar noch enger an sich. An seinen starken Körper. Sie konnte seine kräftige, muskulöse Brust unmöglich nicht bemerken. Harte, feste, mächtige Muskeln.

Ach, das war verkehrt. Ganz verkehrt. Doch sie empfand es nicht als verkehrt, so hingebungsvoll geküsst zu werden! Als dieser hinterhältige Schuft von Arnold Emerson sie damals in New York geküsst hatte, war es ganz anders gewesen. Dieses Mal lag sie in den Armen eines Könners. Sie öffnete ihren Mund ein wenig mehr, schwelgte in seinem maskulinen Aroma, genoss es, wie sein sprießender Bart an ihrer Wange rieb. Sie war nicht gewillt, dieses Vergnügen zu unterbrechen, das ihr solchen Genuss bereitete.

Nur war der Mann anderer Ansicht. Sacht stellte er sie wieder auf ihre Füße, wobei er ihr zublinzelte und ihr das verruchteste Lächeln zuwarf, das sie je gesehen hatte. Sie blinzelte heftig, um den Schleier vor ihren Augen zu vertreiben, dann schaute sie zu ihrem Vater und wartete darauf, dass er explodieren würde.

Ihr Vater würde nun nämlich tun, was sie selbst hätte tun sollen. Er würde diesen Mann, der sich solche Freiheiten herausgenommen hatte, ganz gewaltig maßregeln.

Doch ihr Vater sagte kein Wort, sondern taxierte den Fremden in aller Seelenruhe. Er ließ seinen Blick über den perfekt geschnittenen Abendanzug gleiten und lächelte, als er die Uhrkette aus purem Gold und die Manschettenknöpfe aus schimmerndem Perlmutt bemerkte. Er lächelte noch breiter, als er am Zeigefinger des Fremden einen schweren goldenen Siegelring mit dem eingeprägten Wappen entdeckte. Dann drehte er sich zu den anderen fünf Männern um, die inzwischen an der Tür aufgetaucht waren und äußerst bedrohlich wirkten. Dies beeindruckte ihn jedoch nicht im Mindesten. Sein Lächeln hatte inzwischen ein Ausmaß erreicht, bei dem sämtliche Zähne aufblitzten wie bei einem Wolf, der ein Lämmchen entdeckt hatte.

„Ich bin Mr. van Haven“, erklärte er und streckte dem Fremden die rechte Hand entgegen. „Und nach einem solchen Kuss kann ich wohl nur annehmen, dass Sie der Verlobte meiner Tochter Arabella sind.“

Der Fremde schaute zu ihrem Vater, dann über die Schulter zu den fünf Kerlen an der Tür, dann zurück auf die ausgestreckte Hand. „Das bin ich in der Tat, Sir. Ich freue mich sehr, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er schmeichlerisch und schüttelte ihrem Vater forsch die Hand.

2. KAPITEL

Das Sprichwort „vom Regen in die Traufe kommen“ scheint mir überaus passend, dachte Oliver, während er, weiterhin den grimmigen Lord Bufford im Blick behaltend, die Hand des lächelnden Amerikaners schüttelte.

Aus der Traufe jedenfalls musste er umgehend verschwinden. Eine Verlobung war nichts für ihn, und eine Heirat stand ganz eindeutig nicht zur Debatte. Wie schon sein verstorbener Vater war er einfach kein Mann, der einer Frau treu sein konnte. Aber im Gegensatz zu seinem Vater würde er einer Frau damit nie Kummer bereiten. Er hatte sich geschworen, eine Frau nie derart zu kränken, wie sein Vater es bei seiner Mutter getan hatte. Darum hatte er schon vor Jahren entschieden, dass er niemals heiraten würde. Und eben darum ließ er sich nur mit Frauen wie Lady Bufford oder Lucy Baker ein, Frauen, die nach den gleichen Regeln lebten wie er selbst. Nur Vergnügen und beiläufige Beziehungen, niemals eine feste Bindung.

Er blickte zu der jungen Frau, mit der er nun angeblich verlobt war. Schön war sie jedenfalls! Viele Männer wären glücklich, eine Frau wie sie zur Gattin zu haben. Allerdings sah seine zukünftige Gemahlin in diesem Moment ebenso verwirrt drein, wie er sich fühlte.

Ihre schlanken Finger berührten sacht ihre vollen roten Lippen, ihr Gesicht war entzückend rosig überhaucht, und der Blick ihrer großen blauen Augen huschte rasch zwischen ihm und ihrem Vater hin und her.

Sie war die Schauspielerin, die er bei der Vorstellung vorhin so bewundert hatte. Die, deren Bekanntschaft zu machen er gehofft hatte, wenn auch bestimmt nicht unter diesen Umständen.

Es war nicht zu übersehen, dass die beiden Vater und Tochter waren. Beide hatten pechschwarzes Haar, das des Vaters schon etwas grau an den Schläfen. Beide hatten diese strahlend blauen Augen, obwohl nur die der Tochter ihrem Gesicht einen süßen, sanften Ausdruck verliehen, während die Augen des Vaters eisig waren und ihn gewieft und berechnend wirken ließen.

Ebenfalls bestand kein Zweifel daran, dass der Vater etwas im Schilde führte, doch was es auch war – im Moment war Oliver fest entschlossen, es sich für seine eigenen Pläne zunutze zu machen.

Er schenkte der jungen Schönheit für das, was er gleich tun würde, einen entschuldigenden Blick und hoffte, sie würde ihm nicht nur vergeben, sondern sein Spiel mitspielen.

„Arabella hat Ihnen wahrscheinlich schon alles über mich erzählt, aber erlauben Sie, dass ich mich offiziell vorstelle“, sagte er, wobei er immer noch die Hand des Amerikaners drückte. „Ich bin Oliver Huntsbury, Duke of Somerfeld.“

„Ein Duke? Schön, schön, ein Duke.“ Mr. van Haven schnurrte geradezu, sein durchdringender Blick bohrte sich in den Olivers. „Da hat meine Tochter wirklich einen guten Fang gemacht! Stellen wir am besten gleich sicher, dass Sie sich nicht mehr herauswinden können. Na, wollen Sie uns nicht Ihre Freunde vorstellen?“

Alle drei schauten zu den finster wirkenden Gestalten, die noch immer vor der Tür verharrten.

Freunde? Wenn das nicht eine gewaltige Übertreibung war! „Ja, natürlich. Darf ich vorstellen? Lord Bufford und seine Begleiter: Schläger, Schlitzer und Mordgesellen.“

Mr. van Haven nickte grüßend, was mit den düstersten Blicken erwidert wurde. Wahrscheinlich hatten den vieren die Namen, mit denen er sie bedacht hatte, nicht gefallen, doch wenigstens besaßen sie den Anstand, ihre Waffen hinter ihren Rücken verschwinden zu lassen.

„Lord Bufford ist Lady Buffords Gatte“, fuhr Oliver fort, wobei er Arabella flehend anlächelte. Sie war zwar nicht Lucy Baker, dennoch hoffte er inständig, dass sie eine ebenso gute Schauspielerin war und sich zu einer kleinen Improvisation herablassen würde.

„Lady Bufford und Arabella sind die besten Freundinnen“, sprach er weiter, an Lord Bufford gewandt. „Die beiden verplaudern so häufig die Nächte, dass ich mich manchmal ganz vernachlässigt fühle.“

„Ach ja?“, fragte die amerikanische Schönheit. Wieder sah er sie bittend an und deutet kaum merklich mit dem Kopf zu Tür.

„Oh, ja, sicher. Ihre Gattin ist eine so reizende Gesellschaft“, fuhr sie fort und lächelte Lord Bufford versuchsweise an.

Oliver war erleichtert. Er hatte sein Alibi. Hoffentlich würde das Lord Bufford und seine mordlustige Entourage dazu bewegen, rasch zu verschwinden. Dann könnte auch er selbst sich aus dieser Szene verabschieden. So gerne er bleiben würde, um die junge schwarzhaarige Schauspielerin besser kennenzulernen, und so gerne er jenen Kuss noch einmal wiederholen würde, musste er auf dieses Vergnügen verzichten. Die Lage war schon kompliziert genug. Es war Zeit, sie zu vereinfachen, indem er von der Bühne abtrat.

„Da wir doch alle so gute Freunde sind, würden Lord Bufford und seine Begleiter sich uns bestimmt gerne zu einem verspäteten Supper anschließen, damit wir die Verlobung meiner Tochter mit dem Duke of Somerfeld feiern können“, kam es plötzlich aalglatt von Mr. van Haven.

Olivers Lächeln erlosch. Anscheinend würde sich sein Abgang noch eine Weile verzögern.

Er, die junge Dame und ihr Vater blickten erwartungsvoll zu Lord Bufford, der boshaft und höhnisch die Zähne zeigte.

„Wir wären entzückt“, grollte er, während er Oliver nicht aus den Augen ließ.

Mr. van Haven wiederum klopfte Oliver gutmütig auf den Rücken. „Gut, gut. Lord Bufford, Sie und ich werden zwei Droschken besorgen, die uns ins Savoy bringen. Dabei können Sie mir alles über meinen zukünftigen Schwiegersohn erzählen.“

Die vier Schläger folgten Lord Bufford, und Oliver erkannte eine Gelegenheit, sich davonzumachen. Eine kurze Entschuldigung und vielleicht ein Abschiedskuss für die junge Schauspielerin, dann er würde weg sein.

Jedoch verhinderte Mr. van Haven mit einer Handbewegung den Abgang der vier Kerle. „Oh, nein. Sie vier können hier warten. Wir werden nicht lange brauchen.“ Er schenkte Oliver ein Grinsen, das man nur als triumphierend bezeichnen konnte. „Während wir beide fort sind, können Sie die Anstandsdamen für meine Tochter und den Duke spielen.“

Anstandsdamen? Eher Gefängniswärter!, dachte Oliver.

Mit sinkendem Mut sah er die Chancen schwinden, das Weite zu suchen. Anscheinend wäre es sehr unklug, diesen Amerikaner zu unterschätzen, der offensichtlich Gedanken lesen konnte.

Mit großen Augen blickte Arabella den Fremden an, diesen Duke of Somerfeld, ihren Verlobten. Er schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln, von dem man einfach angetan sein musste. Es ließ sein Gesicht erstrahlen und zog ihren Blick auf seine schön geformten Lippen.

Sie wollte wirklich zornig auf ihn sein; auf diesen Mann, der offenbar der Ärger in Person war. Doch diesen Zorn aufrechtzuerhalten fiel ihr schwer, wenn sie in seine braunen Augen schaute, die so schelmisch blitzten, und in sein Gesicht, das attraktiv genug war für eine glänzende Bühnenkarriere. Mit anerkennendem Blick betrachtete Arabella die kleinen Lachfältchen um seine Augen – er musste wohl oft lachen –, die kräftige Linie seines Kiefers, der Ansatz von Bartstoppeln auf seinen Wangen … und jene Lippen, deren Kuss sie völlig verzaubert hatte.

Die ganze Zeit über hatte sie das Gefühl gehabt, als hinge von diesem Kuss sein Leben ab. Nun zeigte sich, dass das nicht weit von der Wahrheit entfernt gewesen war, sofern sie die blutrünstigen Blicke der vier stämmigen Kerle richtig deutete.

Arabella schüttelte sich unmerklich. Es brachte nichts, jetzt an jenen Kuss zu denken. Die Situation war einfach unmöglich und sie musste sich auf irgendeine Weise daraus befreien.

Sie trat zu ihm, woraufhin sich sein Lächeln von entschuldigend zu beifällig wandelte. Arabella ignorierte dies ebenso wie die Tatsache, dass ihr Herz schneller schlug, weil sie ihm so nahe war. So nah, dass sie die Wärme seines Körpers spürte. So nah, dass sein männlicher Duft ihre Sinne betörte.

„Nun, wer sind Sie wirklich und was tun Sie in meiner Garderobe?“ Sie flüsterte, damit die Kerle an der Tür sie nicht hören konnten.

Amüsiert hob er eine Braue und flüsterte zurück: „Ich bin wirklich Oliver Huntsbury, Duke of Somerfeld, und ich entschuldige mich für mein ein wenig unkonventionelles Eintreten. Ich suchte Lucy Baker.“

Arabella straffte sich und reckte das Kinn. „Ah, tut mir leid, dass ich Sie enttäuscht habe.“ Sie hörte selbst, wie gekränkt ihr Tonfall klang, und versetzte sich dafür im Geiste einen Tritt. Was interessiert es, dass er eigentlich Lucy Baker küssen wollte? Mich jedenfalls hätte er nicht küssen dürfen.

Er dürfte gar nicht in ihrer Garderobe sein und ganz gewiss hätte er nicht diese Verlobung bestätigen dürfen.

„Glauben Sie mir, ich bin nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil.“ Wieder lächelte er dieses aufregende, schalkhafte Lächeln, bei dem seine Augen amüsiert aufblitzten. „Aber Ihnen steht eine Erklärung zu. Sehen Sie, Lord Bufford hat etwas gegen meine Freundschaft mit Lady Bufford. Um seiner Abneigung Nachdruck zu verleihen, brachte er seine Kumpane dort mit. Er drohte mir, einigen meiner Körperteile gewaltigen Schaden zuzufügen. Ich suchte daher nach Lucy, die auch eine gute Freundin ist, da ich hoffte, sie würde meine Ausflüchte bestätigen und so meine Unschuld beweisen.“

Arabellas Haltung wurde noch steifer; sie kniff die Lippen zusammen. „Ich nehme an, Lady Bufford und Lucy Baker sind eigentlich mehr als nur gute Freundinnen.“

Ganz so missbilligend hatte sie gar nicht klingen wollen. Letztendlich bedeutet ihr dieser Mann nichts, warum also sollte es sie kümmern, ob er mit irgendjemandem gut Freund war?

Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Nun, ja, so könnte man sagen.“

Arabella schnaubte abfällig. Eine ihrer Fragen war beantwortet. Als er sie geküsst hatte, hatte sie schon vermutet, dass er ein erfahrener Mann war, der wusste, wie man eine Frau erfreuen konnte. Und das war ihm eindeutig gelungen. Darum hatte sie so heftig auf den Kuss reagiert. Sie konnte nichts dafür. Es lag einfach an seiner Technik und Erfahrung, dass sie darauf so ganz gegen ihren Charakter ansprach.

Es erklärte auch die hohe Meinung, die er anscheinend von sich hatte. Seine selbstbewusste Haltung war ganz klar die eines Mannes, der glaubt, er könnte jede Frau verführen, wenn er wollte. Aber sie ließ sich nicht so leicht von einem hübschen Gesicht und einem muskulösen Körper beeindrucken. Sie würde auch nicht in Ohnmacht fallen, weil er sie geküsst hatte, bis sie fast nicht mehr klar denken konnte. Nein, nichts würde sie von der Ansicht abbringen, dass er nur ein Frauenheld war, ein Mann ohne Charakter und Tiefe, an den eine vernünftige Frau keinen zweiten Gedanken verschwendete.

Um ihm nachdrücklich zu zeigen, wie wenig er sie beeindruckte, stemmte sie die Hände in die Hüften und hob stolz den Kopf. „Nun, Lucy hat das Limelight verlassen. Das heißt aber nicht, dass Sie einfach nach Lust und Laune in die Garderobe einer Dame platzen können und … und …“ Sie machte eine unbestimmte Geste in Richtung der Stelle, wo er sie umarmt hatte.

„… sie küssen.“ Wieder lächelte er sein teuflisches Lächeln „Sie haben recht, das war ein schlimmer Angriff auf Ihre Tugend. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie aus der Fassung brachte.“

Gut, wenigstens hatte er den Anstand, sich zu entschuldigen. Sein bezauberndes Lächeln ließ sie jedoch daran zweifeln, dass er seine reuevollen Worte ernst meinte.

„Nur weil ich Schauspielerin bin, heißt das nicht, dass Sie mich respektlos behandeln können. Die Leute unterstellen Schauspielerinnen alles Mögliche, aber das entspricht nicht der Wahrheit. Die meisten von uns sind ehrbare Frauen, die ihre Kunst sehr ernsthaft ausüben.“ Darüber hatte sie schon mit ihrem Vater gestritten, war allerdings bei ihm auf taube Ohren gestoßen.

Der Duke nickte zustimmend. „Ja, das weiß ich, und ich weiß auch, dass Sie sehr talentiert sind. Ich sah Sie nämlich heute Abend auf der Bühne und war äußerst beeindruckt.“

Arabellas Haltung lockerte sich, ihr wurde ganz warm. Sie konnte nicht anders, als vor Freude zu strahlen. „Sie haben meinen Auftritt gesehen? Wirklich? Und es hat Ihnen gefallen? Es ist ja nur eine kleine Rolle, aber ich trete in jeder Szene auf und fast immer mit Text.“ Sie plapperte zu viel, doch sie konnte einfach nicht aufhören, denn es war so großartig, dass er sie bemerkt hatte.

„Sie sind ein Naturtalent. Und hier in der Garderobe haben Sie eben eine wirklich umwerfende Vorführung gegeben. Ich wurde noch nie so überzeugend von einer mir Fremden geküsst.“

Die Wärme, die sie erfüllte, loderte auf und ließ ihre Wangen erglühen. „Nun, Sie … Sie … überrumpelten mich. Ich war immer noch in meiner Bühnenrolle. Da handelte ich unwillkürlich, als wäre ich noch mitten im Stück. Das war alles.“

Er schaute gespielt missbilligend. „Spielten Sie heute Abend nicht eine jungfräuliche römische Priesterin?“

Mit nach wie vor glühenden Wangen zuckte Arabella die Achseln. „Wie auch immer, das erklärt noch nicht, warum Sie vorgaben, mein Verlobter zu sein“, zischte sie in der Hoffnung, ihn davon abzulenken, wie übertrieben enthusiastisch sie seinen Kuss erwidert hatte.

Abermals fuhr er sich mit der Hand über den Nacken. „Auch das tut mir leid. Unglücklicherweise hatte ich in dem Moment nur die Wahl, mich zu verloben oder Opfer einer Gewalttat zu werden. Da schien mir eine Verlobung die weniger schmerzhafte Prozedur.“ Er verzog das Gesicht. „Verzeihen Sie mir, aber ich habe nicht vor, überhaupt zu heiraten.“

Arabella wischte seine Entschuldigung mit einer Handbewegung beiseite. „Das ist mir klar. Ich bin nicht dumm. Auch ich habe kein Interesse an einer Ehe. Das ist nur die Idee meines Vaters. Er will, dass ich die Schauspielerei aufgebe und mich verheirate, bevor er nach Amerika zurückkehrt. Ihm ist dabei völlig gleichgültig, wer mein Zukünftiger ist oder wie er ist, solange er nur einen Adelstitel hat. Anscheinend erfüllen Sie die Bedingungen.“

Der Duke runzelte die Stirn und wirkte betroffen, als er sie unverwandt ansah. „Und was ist mit Ihrer Mutter? Was hat sie dazu zu sagen?“

Arabella zuckte erneut die Achseln und ignorierte den schmerzhaften Druck in ihrer Brust. „Meine Mutter ist tot.“

„Oh, das tut mir leid.“ Sanft legte er ihr eine Hand auf den Arm.

Wieder zog sie die Schultern hoch. „Es ist lange her. Einundzwanzig Jahre.“

Er musterte sie forschend; anscheinend schätzte er ihr Alter. Ja, sie war einundzwanzig, und, ja, ihre Mutter war drei Monate nach ihrer Geburt gestorben und hatte sie in der Obhut eines Mannes gelassen, der nur wenig Interesse an seiner kleinen Tochter gehabt hatte. Und dieser Mangel an Interesse hielt bis heute an. Erst jetzt, da ihr Vater erkannt hatte, wie sehr sie ihm nutzen konnte, seine Position sowohl in der englischen als auch in der New Yorker Gesellschaft zu verbessern, war sie ihm plötzlich etwas wert.

„Das muss schwer für Sie gewesen sein“, meinte Oliver.

Arabella schüttelte den Kopf. „Nun, wenn sie noch leben würde, wäre sie bestimmt nicht damit einverstanden, dass ihre Tochter an irgendeinen beliebigen Mann verheiratet wird. Aber meinem Vater ist einerlei; er wird nicht nachgeben, bis ich einen Titel erlangt habe. Doch das soll nicht Ihr Problem sein.“

Er hob die Brauen, schaute zur Tür und dann wieder zu Arabella. Dabei atmete er tief ein. Sein Blick sollte wohl sagen, dass es im Augenblick durchaus sein Problem war.

„Wann will Ihr Vater nach Amerika zurückreisen?“

„Sobald er mich verheiratet hat, was er so schnell wie möglich bewerkstelligen will. Er ist seiner kostbaren Bank schon mehr als einen Monat fern. Ich zweifle, ob er es noch lange aushält. Er lechzt geradezu nach dem Geruch frisch gedruckter Dollarscheine.“

Nachdenklich legte er einen Finger an seine sinnlichen Lippen. „Dann überlassen Sie alles mir. Ich glaube, ich kann uns beide vor einer unerwünschten Heirat bewahren. Ich habe eine Idee, wie Sie für die nähere Zukunft ihren Vater los werden und wie ich mich gleichzeitig davor retten kann, gewaltsam einige meiner kostbaren Körperteile zu verlieren.“

3. KAPITEL

Die vier Schläger wirkten inzwischen ziemlich gelangweilt und fingerten geistesabwesend an ihren diversen Mordinstrumenten herum. Oliver fragte sich, ob sie wohl in diesem Zustand weniger gefährlich waren als vorhin, doch so oder so schätze er ihre Anwesenheit nicht.

Natürlich wäre er imstande, Lord Buffords Handlangern in nächster Zeit irgendwie zu entkommen, nur würde das der entzückenden Arabella van Haven nicht aus ihren Schwierigkeiten helfen. Was ihr Vater dieser begabten Schauspielerin antun wollte, war unentschuldbar. Wie verwerflich, sie quasi an einen x-beliebigen Mann zu verkaufen, nur um einen Titel in der Familie zu haben! Anscheinend war er selbst nun in der Position, diese doch recht zauberhafte Maid in Nöten zu retten. Und ganz nebenbei konnte er noch seine eigene Haut und Lady Bufford vor Schaden bewahren. Das musste doch sicher jeder als gutes Werk anerkennen.

Da die Langeweile der vier „Anstandsdamen“ in Angriffslust umzuschlagen drohte, seufzte Oliver erleichtert auf, als Mr. van Haven und Lord Bufford wieder auftauchten. Nie war er froher gewesen, den Ehemann einer seiner Geliebten zu erblicken.

„Fein“, rief der Amerikaner und rieb sich die Hände. „Die Droschken warten, also machen wir uns auf ins Savoy.“

Was immer er mit Lord Bufford während ihrer Abwesenheit besprochen hatten, schien Arabellas Vater sichtlich zu erfreuen, denn sein Raubtierlächeln war noch breiter geworden.

Er schien sich nun sicher zu sein, dass er Oliver auf dem richtigen Weg hatte – nämlich schon so gut wie vor dem Altar.

Heiraten oder zusammengeschlagen werden und gar lebenswichtige Glieder zu verlieren – was für eine Wahl! Vermutlich war eine Ehe die schlimmere Tortur, beides bedrohte jedoch seine Männlichkeit. Wenn sein Plan aufging allerdings, würde er sowohl dem einen wie dem anderen entgehen.

Er blickte umher. Alle sahen ihn an und warteten auf seine Reaktion. Und freundlich schaute keiner außer Arabella. Sie war die einzig völlig harmlose Person hier. Sie sollte nicht leiden! Was heute Nacht auch geschehen mochte, er würde sie davor bewahren, ihn heiraten zu müssen.

„Großartig“, sagte er also. „Unsere Verlobung mit einem Supper im Savoy zu feiern, klingt prächtig. Und ich könnte mir keine nettere Gesellschaft wünschen.“ Er machte eine kleine Verbeugung vor den Anwesenden und erhielt zum Dank wütende Blicke von Lord Bufford und dessen Handlangern, einen resignierten Seufzer von Arabella und ein äußerst selbstzufriedenes Grinsen von Mr. van Haven.

Oliver wandte sich an Arabella: „Darf ich dir in den Mantel helfen, Liebes?“ Während er einen Mantel vom Kleiderständer nahm und ihn Arabella zum Hineinschlüpfen hinhielt, warf sie ihm einen misstrauischen Blick zu. „Vertrauen Sie mir“, flüsterte er unauffällig an ihrem Ohr. „Noch vor dem Morgengrauen habe ich uns beide vor dieser Ehe gerettet.“

Das beschwichtigte ihr Misstrauen kaum, doch sie gestattete ihm, ihr den Mantel um die wohlgeformten Schultern zu legen. Einen winzigen Moment verharrte er, um ihren Duft nach Jasmin erneut in sich aufzunehmen. Eben jenen Duft, den er eingesogen hatte, als er sie küsste – frisch und mädchenhaft wie die, die er umgab.

Als sie sich abwandte und nach ihrem Retikül griff, überkam ihn unwillkürlich ein Gefühl von Enttäuschung. Nach dieser Nacht würde er sie nie wieder im Arm halten, sie nie wieder küssen, nie wieder ihren wunderbaren Duft einatmen. Aber es ging nicht anders. Er musste das Richtige tun.

Er bot ihr seinen Arm. „Gut, gut, gehen Sie voran, Mr. van Haven“, rief er so fröhlich, als hätte er keinerlei Sorgen.

Die ungleiche Gruppe verließ die Garderobe und ging über den Bühnenausgang hinaus auf die Straße, wo zwei Droschken warteten. Während Lord Bufford mit seinem grimmigen Gefolge in die eine kletterte, half Oliver Arabella in die andere, gefolgt von Mr. van Haven. Dabei ergab sich ein kleines Gerangel, denn der Amerikaner ließ sich nicht davon abhalten, Oliver – anders als es die Höflichkeit gebot – in die Mitte zu nehmen. Vermutlich will er verhindern, dass ich aus der fahrenden Droschke springe, um ihm zu entkommen.

Mit seinem Gehstock klopfte Mr. van Haven gegen das Wagendach, und schon ratterten sie durch die dunklen Straßen Londons. Die Droschke holperte über unebenes Pflaster, was Oliver jedoch nicht stört, denn diesem Umstand war es zu verdanken, dass sich sein rechtes Bein höchst erfreulich an Miss van Havens linkem rieb.

Schließlich erreichten sie die Stadtmitte, wo elegante Herren und Damen unter den modernen elektrischen Straßenlaternen flanierten und die milde Sommernacht genossen.

Nachdem die Kutschen angehalten hatten, kletterten alle hinaus auf den Gehweg und steuerten den Eingang des Savoys an. Endlich schienen sich die vier Schläger einmal unbehaglicher zu fühlen als Oliver, wie sie da ihre wenig feinen Anzüge zurechtrückten und schließlich den anderen ins Foyer folgten.

Der Empfangschef erkannte Mr. van Haven, geleitete die Gruppe sofort zu einer Nische mit üppig gepolsterten Sitzen und winkte ein paar Kellner heran. Noch bevor er Platz genommen hatte, rief der van Haven schon: „Champagner für alle, und nicht zu knapp!“

Wie durch Zauberhand erschienen silberne Sektkübel, und der Empfangschef schenkte mit ausholender Geste ein. Als alle Gläser gefüllt waren, zog er sich unter devoten Verbeugungen zurück. Mr. van Haven erhob sein Glas und prostete den Gästen zu. „Auf den Duke of Somerfeld und die zukünftige Duchess of Somerfeld!“

Am Tisch erklang ein leises, wenig euphorisches Murmeln. Anscheinend interessierten sich Lord Bufford und seine Handlanger für die Verlobung ebenso wenig wie das gefeierte Paar.

Dennoch machten sie das Beste aus dem Abend und leerten ein Glas Champagner nach dem anderen, als wäre es billiger Apfelwein.

„Wir sollten die Verlobung so schnell wie möglich öffentlich verkünden“, erklärte Mr. van Haven, „und gleich nächstes Wochenende die offizielle Feier abhalten. Gewiss werden Sie als Gastgeber fungieren wollen?“, wandte er sich an Oliver. „Das gebe mir Gelegenheit, Ihre Familie kennenzulernen und Ihren Besitz in Augenschein zu nehmen.“

Arabelle verdrehte die Augen. „Das ist ein bisschen kurzfristig, nicht wahr Vater? Eine Woche?“

„Unsinn! Das passt Ihnen doch, mein Sohn, nicht wahr?“

Oliver lächelte über die Überheblichkeit des Amerikaners. Er vermutete, dass er als Gastgeber auftreten sollte, um sicherzustellen, dass er zu seiner eigenen Verlobungsfeier auch tatsächlich erschien. „Natürlich ist mir das recht. Nichts lieber als das.“

„Und Sie sind herzlich eingeladen, Lord Bufford“, sagte van Haven mit einem vielsagenden Blick zu Oliver.

Lord Bufford zeigte mehr die Zähne, als dass er lächelte. „Davon wird mich nichts auf der Welt abhalten. Natürlich wird meine Gattin mich begleiten. Ich kann es gar nicht abwarten, ihr zu erzählen, dass Somerfeld bald heiratet.“

Dann schnippte er mit den Fingern. Dies war das Zeichen für sein mittlerweile angesäuseltes Gefolge, sich zu erheben. „Danke für Ihre Gastfreundschaft, Mr. van Haven“, brummte er. „Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen. Ich muss zu meiner Gattin und ihr unbedingt diese Neuigkeit mitteilen.“ Er verneigte sich vor Arabella, warf Oliver einen letzten wütenden Blick zu und verließ den Saal, gefolgt von den schwankenden Schlägern.

„Welch charmante Zeitgenossen“, bemerkte Oliver. „Ein Jammer, dass sie so früh aufbrechen mussten.“

„Ich denke, wir sollten jetzt gleich den Ablauf der Hochzeitsfeierlichkeiten besprechen, damit die Eheschließung so schnell wie möglich vonstattengehen kann“, verkündete Mr. van Haven, während er nach einer neuen Champagnerflasche griff, um die Gläser nachzufüllen.

Oliver setzte eine höchst bekümmerte Miene auf. „Ach, nein, leider wird das nicht möglich sein. Ganz und gar nicht.“

Der Amerikaner hielt inne, die Flasche über Olivers Glas noch mitten in der Luft. „Und warum nicht?“, blaffte er mit einem Blick zum Ausgang, als wollte er Buffords Schlägertrupp zurückholen.

„Es gibt da ein Kodizill bezüglich meines Titels.“

„Ein was?“

„Nun, ein Kodizill“, sagte Oliver. Er nahm van Haven die Flasche aus der Hand und schenkte sich selbst ein. „Das ist eine spezielle Klausel in einem Testament, die …“

„Ich weiß, was ein Kodizill ist, Mann!“, fauchte Mr. van Haven, wobei er hochrot anlief. „Aber warum sollte es Sie von der Heirat mit meiner Tochter abhalten?“

Oliver nippte an seinem Champagner. „Sollte ich vor meinem fünfunddreißigsten Lebensjahr heiraten, würde ich alles verlieren – den Titel, den Besitz … Das heißt also, Ihre schöne Tochter wird leider sieben Jahre darauf warten müssen, meine Gemahlin zu werden. Dann aber wird es mir eine Ehre sein, sie zur Duchess of Somerfeld zu machen.“ Er hob sein Glas, prostete Arabella zu und leerte es in einem Zug.

Seine frischgebackene Verlobte schenkte ihm zur Antwort ein entzückendes, anerkennendes Lächeln und wandte sich ihrem Vater zu.

Der starrte sie über den Tisch hinweg mit einem vor Wut verzerrten Gesicht an.

Arabella wusste, dass es klüger wäre, sich ihre Freude über diesen Sieg nicht anmerken zu lassen, doch sie konnte ihr wenig damenhaftes, breiter und breiter werdendes Grinsen einfach nicht unterdrücken.

Ihr sogenannter Verlobter hatte vollbracht, was Industriemagnaten, Bankiers und Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks nie gelungen war: Er hatte den skrupellosen Mr. van Haven übervorteilt. Es erfüllte sie mit großer Befriedigung zu sehen, wie endlich jemand ihrem Vater erfolgreich die Stirn bot; besonders nach dem, was damals in New York mit Arthur Emerson passiert war.

Wie bei Emerson lief es auch heute darauf hinaus, dass es keine Hochzeit geben würde. Nur hatte ihr Verlobter sie dieses Mal gerettet statt sie im Stich zu lassen wie damals. Oh, ja, das war ein Sieg, der gefeiert werden musste! Sie hob ihr Glas, prostete Oliver zu und trank einen großen Schluck.

„Sie können nicht heiraten, ehe Sie fünfunddreißig sind?“ Ihr Vater, immer noch mit finsterer Miene, quiekte fast.

„Natürlich kann ich heiraten, wann ich will“, erklärte Oliver, während er die Gläser aufs Neue füllte. „Wenn ich mich allerdings vor meinem Fünfunddreißigsten vermähle, verliere ich den Titel. Natürlich habe ich dann auch keinen Anspruch mehr auf das Familienvermögen. Und da ich noch nie meinen Lebensunterhalt selbst verdienen musste, bin ich mir nicht sicher, wie ich zurechtkommen würde.“ Er schaute Arabella an und runzelte übertrieben besorgt die Stirn. „Was genau tut man eigentlich, wenn man arbeiten muss, um zu davon leben?“

Sie lächelte, als ob das eine entzückend absurde Frage wäre, und zuckte mit den Achseln. „Dazu wird es sicher nicht kommen“, meinte sie, „weil mein Vater sicher einsieht, wie sinnlos es wäre, wenn wir heirateten. Nicht wahr, Vater?“

Mr. van Haven, die Stirn in tiefe Falten gelegt, schaute zwischen den beiden hin und her und klopfte langsam mit einem Finger gegen sein Glas. Offensichtlich musste er über diese Entwicklung eine Weile nachdenken. „Nun, eine Verlobung mit einem Duke ist auch nicht zu verachten“, stellte er dann gelassen fest. „Immerhin ist es eine Verlobung mit einem Angehörigen des Adels; auch wenn sie sieben Jahre dauert.“ Er sah den beiden fest in die Augen. Sein Raubtiergrinsen war zurückgekehrt und Arabella verspürte leichte Übelkeit.

„Gut, das ist geregelt“, erklärte er entschieden. „Nächste Woche ist die Verlobungsfeier. Wir verkünden das Verlöbnis in allen wichtigen Zeitungen, hier und in New York, und in sieben Jahren werdet ihr heiraten, sodass meine Tochter dann die Duchess of Somerfeld wird.“

Arabellas Lächeln erstarb und sie ließ die Schultern hängen. Ihr war also doch kein Sieg vergönnt. Ihr Vater verlangte immer noch, dass sie irgendwann heiratete.

Aber was hatte sie erwartet?

Als sie sich das letzte Mal ihrem Vater wegen eines Mannes widersetzt hatte, ging es um den treulosen Arnold Emerson. Ihr Vater hatte stur behauptet, Arnold sei nur hinter ihrem Geld her. Sie selbst hingegen war sich sicher gewesen, dass der gut aussehende, charmante Schauspieler sie liebte, so wie sie ihn.

Doch wie sehr sie sich geirrt hatte!

Kaum dass ihr Vater ihm eine ordentliche Summe Geld angeboten hatte, verschwand Arnold blitzartig aus Arabellas Leben, ohne auch nur Lebewohl zu sagen. Es war niederschmetternd und demütigend gewesen und hatte ihr Vertrauen in die Männer und in ihr eigenes Urteilsvermögen schwer erschüttert.

Aber dieses Mal war es anders.

Sie mochte ja wenig über die Männer wissen und sich in Arnold Emerson gewaltig getäuscht haben, doch sogar sie konnte erkennen, dass Oliver Huntsbury kein Mann für sie war. Ja, er sah umwerfend gut aus mit seinem verruchten Lächeln, bei dem jede Frau schwach wurde, dennoch war er ganz offensichtlich ein Frauenheld. Keine Frau mit bestimmten Vorstellungen von Anstand würde es je in Betracht ziehen, mit ihm eine Ehe einzugehen.

Glücklicherweise wollte er sie genauso wenig heiraten wie sie ihn, sodass sie dieses Mal beim Kampf gegen ihren Vater einen Verbündeten hatte.

Sie senkte den Blick und knabberte an ihrer Unterlippe. Vielleicht war das gar nicht so schlecht. Sie würde sich verloben müssen, ja. Aber eine Verlobungszeit von sieben Jahren war besser, als jetzt gleich heiraten zu müssen. Und sieben Jahre, das war eine lange Zeit. So lange würde ihr Vater nicht in England bleiben wollen. Und wenn der erst wieder in Amerika war, von wo aus er sich nicht mehr in ihr Leben einmischen konnte, würde sie sich ganz ihrer Karriere widmen. Sieben Jahre herrlicher Freiheit, die die leicht zu überlistende Tante Prudence kaum beeinträchtigen konnte. Sieben Jahre, um sich zusammen mit dem Duke einen Ausweg zu überlegen.

Nein, es war kein vollständiger Sieg, doch zumindest hatten sie eine erste entscheidende Schlacht gewonnen.

Arabella hob den Kopf, lächelte und streckte ihrem Vater eine Hand hin. „Gut, Vater, der Duke und ich werden uns verloben und in sieben Jahren heiraten. Im Gegenzug hältst du dich an dein Versprechen und rettest das Limelight-Theater. Auf einen besseren Handel brauchst du nicht zu hoffen.“

Ihr Vater musterte sie kurz, dann ergriff er ihre Hand und schüttelte sie kräftig. Und mit diesem Handschlag besiegelte Arabella ihr Schicksal – sie war verlobt und würde heiraten.

4. KAPITEL

Da er die ihm so wichtige Angelegenheit nun erfolgreich geregelt hatte, sah Mr. van Haven sich im Saal um. Sein Blick fiel auf einen ihm bekannten Geschäftsmann, der weiter hinten saß. Rasch verabschiedete er sich, jedoch nicht, ohne Arabellas frischgebackenen Verlobten daran zu erinnern, dass der Bruch eines Heiratsversprechens harte Strafen und gesellschaftliche Ächtung nach sich ziehe. Der Duke sollte wissen, welche Konsequenzen ihn erwarteten, falls er versuchen sollte, sich herauszuwinden.

Aber wenigstens das Limelight war jetzt gerettet. Was Geschäftsvereinbarungen anging, stand ihr Vater in dem Ruf, stets sein Wort zu halten. Und ihre Heirat war ja nichts anderes als ein Geschäftsabschluss.

Arabella lächelte traurig zu Oliver hinüber. Ihr neuer Verlobter war ebenso gegen dieses Verlöbnis wie sie selbst. Das musste sie doch ein wenig darüber hinwegtrösten, dass ihr Vater sie verkauft hatte, oder?

Oliver füllte gerade ihre Gläser nach, als das bestellte Acht-Personen-Menü serviert wurde. Die Kellner brachten eine mit Köstlichkeiten gefüllte silberne Platte nach der anderen, bis der Tisch geradezu überquoll.

Arabella musterte den Festschmaus und seufzte. Ihre Schauspielkolleginnen wohnten in einer billigen Pension in der Nähe des Theaters und würden sich wie gewohnt mit dünner Suppe und grobem Brot abfinden müssen. Trotz solch bescheidener Kost und der schäbigen Unterkunft wäre sie lieber bei ihnen. Wie gern würde sie die Kameradschaft und die ausgelassene Stimmung genießen, die meist nach einer Vorstellung herrschte, anstatt in diesem prunkvollen Restaurant zu sitzen, umringt von den Vornehmsten der Londoner Gesellschaft.

„Mach dir keine Sorgen, Arabella“, murmelte Oliver, der ihren Seufzer falsch deutete, „wir sind nur dem Namen nach verlobt. Allerdings denke ich, wir sollten, um niemanden auf dumme Gedanken zu bringen, auch unter uns beim Du bleiben.“

Sie seufzte erneut und nickte. „Ich weiß, ich weiß. Immerhin wird mein Vater seiner Bank nicht mehr allzu lange fernbleiben können. Wenn er heimkehrt, bist du frei.“

Abwehrend wedelte er mit der Hand. „Es mag nicht ideal sein, aber ich denke, ein nettes, langes Zweckverlöbnis wird uns beiden durchaus zusagen. Also trink deinen Champagner und iss etwas. Wir können genauso gut feiern, und wenn auch nur, dass du den Kuppeleiversuchen deines Vaters nicht mehr ausgesetzt bist. Und mich bewahrt es davor, von Lord Bufford und Konsorten gehängt, gerädert und gevierteilt zu werden.“

„Dann auf eine lange Verlobungszeit!“ Arabella hob lächelnd ihr Glas. Sie stießen an und tranken die prickelnde Köstlichkeit.

Danach sah sie ihn nachdenklich an. „Vermutlich brauchst du nicht bis zu deinem fünfunddreißigsten Geburtstag zu warten, ehe du heiraten kannst?“

Er blinzelte ihr verschwörerisch zu, sodass sie ihre ganze Schauspielkunst aufwenden musste, um ihr Herzklopfen zu verbergen und nicht zu erröten.

„Als mein Vater vor zwei Jahren starb, ging der Titel auf mich über, und den kann mir niemand nehmen. Ich bin der Duke of Somerfeld, bis ich sterbe, aber das müssen wir ja deinem Vater nicht erzählen.“

„Nein, wenn er das herausfände, hätten wir ein großes Problem. Er kann ziemlich skrupellos sein, wenn man seine Pläne durchkreuzt.“

Sie schauten hinüber zu dem Tisch, an dem ihr Vater in ein Gespräch vertieft war und vermutlich schon ein neues Geschäft aushandelte, da die Sache mit der Heirat seiner Tochter ja erledigt war.

„Hab keine Sorge, Arabella, mit uns beiden als Gegner hat dein Vater keine Chance.“

Irgendwie klang das beruhigend. Oliver mochte sich auf die Verlobung eingelassen haben, um seine Haut zu retten, dennoch war es schön, einen Verbündeten zu haben, jemanden, der ihren Vater ebenfalls die Stirn bot.

Arabella hob ihr Glas. „Auf den Sieg über meinen Vater!“

„Auf uns!“, antwortete Oliver, als sie anstießen.

„Nun, da wir die nächsten sieben Jahre verlobt sind, sollten wir vielleicht etwas mehr übereinander erfahren“, meinte Arabella. „Mehr als deinen Namen und dass Lord Bufford dir jeden Knochen im Leib brechen will, weiß ich nicht von dir.“

Er rieb sich den Nacken. „Du bist zweifellos noch nicht lange in England, wenn du noch nichts von den Skandalen gehört hast, in die die Familie Huntsbury und der Duke of Somerfeld verwickelt sind. Ich habe sogar den Verdacht, dass dein Vater nicht ganz so begeistert von der Verbindung mit meiner Familie wäre, wenn er davon wüsste.“

„Huntsbury? Ja, da war etwas.“ Arabella legte die Stirn in Falten. Wo hatte sie den Namen schon einmal gehört? Hatten die anderen Schauspielerinnen nicht über jemand mit diesem Namen getratscht? Dann fielen ihr die schmutzigen Details ein. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund.

„Dann weiß du es wohl doch“, stellte er fest.

Arabella schluckte schwer und nickte. Ihre Kolleginnen hatten ausführlich erzählt, wie der vorherige Duke of Somerfeld in den Armen seiner Geliebten gestorben war. Nicht nur einer Geliebten! Wie man munkelte, hatte er einen Herzanfall, während er mit gleich vier Frauen im Bett eine recht komplizierte Stellung einzunehmen versuchte – in einem riesigen Himmelbett, extra gebaut nach seinen eigenen Vorstellungen, damit er seine Orgien gehörig zelebrieren konnte.

Die beiden Schauspielerinnen hatten das besonders amüsant gefunden, da sie schon selbst an der Bettakrobatik des Dukes teilgenommen hatten.

Hastig nahm Arabella einen Schluck aus ihrem Glas, um die Bilder aus ihrem Kopf zu vertreiben.

„Ich glaube, nicht einmal …“ Sie hüstelte. „… ich glaube, nicht einmal das würde meinen Vater aufhalten. Ihm ist einerlei, wen ich eheliche oder ob es in der Familie Skandale gibt, solange ich nur einen Titel bekommen.“

„Anscheinend haben wir beide Väter, denen nichts wichtig ist außer ihren eigenen Wünschen, und die nicht bedenken, wer am Ende die Leidtragenden sind.“

Arabella nickte. Eine Weile schwiegen sie, jeder in seine Gedanken versunken.

Inzwischen füllte sich das Restaurant mit Nachtschwärmern, die aus den umliegenden Klubs, Opern- und Schauspielhäusern hereinströmten. Unter den Neuankömmlingen entdeckte Arabella auch die Herren Gilbert und Sullivan, deren berühmte komische Opern im benachbarten Theater aufgeführt wurden. Einmal in einem dieser Stücke aufzutreten, war Arabellas Traum, und gewiss einer, der ihr mehr am Herzen lag als eine Heirat.

Im Gefolge der beiden Berühmtheiten befand sich eine Gruppe junger hübscher Schauspielerinnen, und Arabella konnte nicht umhin zu bemerken, dass einige zu Oliver herschauten. Sie konnte genauso wenig übersehen, wie viele der Damen ihm ein Lächeln, ein grüßendes Nicken schenkten oder ihm gar zublinzelten.

Unverkennbar waren Lady Bufford und Lucy Baker nicht die einzigen sehr guten Freundinnen des Duke of Somerfeld. Aber warum sollte das Arabella kümmern? Sie machte sich über ihn keine Illusionen. Er war ganz eindeutig ein Frauenheld, genau wie sein Vater. Aber vielleicht war das ja sogar von Vorteil? Solange er jedem Rock hinterherlief, hatte er wohl kaum Zeit, sich in Arabellas Leben einzumischen. So könnte sie ihre eigenen Wünsche verfolgen, nämlich auf der Bühne Karriere zu machen.

Ja, so war es wirklich am besten.

Doch dann ging die nächste attraktive Frau an ihm vorüber und lächelte ihn vielsagend an. Trotz der Gedanken, die ihr eben noch durch den Kopf gegangen waren, konnte Arabella einen missbilligenden Blick nicht unterdrücken, was ihr ein kleines spöttisches Lächeln einbrachte.

„Noch eine deiner guten Freundinnen, nehme ich an.“ Verärgert bemerkte sie, wie nörgelnd ihr Ton klang.

Entschuldigend zuckte er die Achseln. „Ja, so könnte man sagen.“

„Also, wie viele solcher guten Freundinnen hattest du schon, und wie viele sind es zurzeit?“

Er wandte ihr sein Gesicht zu. „Wird das ein Problem für dich sein?“

Heiße Glut schoss ihr in die Wangen. „Nein, nein, natürlich nicht“, stammelte sie. „Ich mache nur Konversation. Es geht nicht um mich. Du kannst Hunderte gute Freundinnen haben, wenn du willst. Es kümmert mich nicht.“

Immer noch sah er sie durchdringend an, die Stirn gerunzelt, und obwohl Arabella versuchte, sich ganz lässig zu geben, errötete sie unter seinem Blick noch tiefer. Es sollte mir gleichgültig sein. Es ist mir gleichgültig! Warum spürte sie dann jedes Mal, wenn eine Frau ihn anlächelte, einen Stich in der Brust?

„Es ist doch klar, dass diese Verlobung für uns beide eine reine Zweckverbindung ist, Arabella, oder?“

„Natürlich ist sie das“, fuhr sie ihn an. „Ich will überhaupt keine Verlobung und schon gar nicht mit dir. Und ganz gewiss will ich nicht heiraten. Ja, es passt uns gerade beiden sehr gut! Wie du bereits sagtest, bewahrt es dich vor Prügel und mich vor den ewigen Kuppelversuchen meines Vaters.“

„Und wir beide können ungestört unsere eigenen Interessen verfolgen?“

Arabella nickte und betrachtete all die schönen Frauen ringsum. Ihr Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken daran, dass Olivers Interesse seinen zahlreichen sehr guten Freundinnen galt. Für ihn würde es immer andere Frauen geben; Frauen, die er umarmen und küssen würde, so wie er sie in ihrer Garderobe geküsst hatte. Mit denen er vermutlich mehr tat als nur das, wenn sie Lord Buffords Verhalten richtig deutete.

Sacht strich sie sich über die Lippen, rief sich den Kuss ins Gedächtnis. Nun verstand sie, warum so viele Frauen diesem Mann verfielen. Jener Kuss hatte bewirkt, dass sie sich selbst vergaß, alle Zurückhaltung fallen ließ und dass sie mehr wollte, viel mehr.

Sie erwiderte seinen Blick und er lächelte. Schon dieses sündige Lächeln genügte, um sie dahinschmelzen zu lassen. Wenn er lächelte, sah sie nur noch seine schimmernden braunen Augen, Augen, deren Farbe an heiße, sämige Schokolade erinnerte, einladend und befriedigend, und seine weichen lächelnden Lippen, die so wunderbare Gefühle in ihr ausgelöst und so köstlich geschmeckt hatten.

Eine blonde Locke war ihm in die Stirn gefallen, und Arabella kämpfte gegen die Versuchung an, sie ihm zurückzustreichen und ihm dann genüsslich mit den Fingern durch sein dichtes Haar zu fahren, wie zuvor, als er sie geküsst hatte.

Ja, sie verstand durchaus, warum so viele Frauen ihm erlagen.

Energisch richtete sie sich gerade auf und schaute im überfüllten Saal umher. Sie war nicht wie die meisten anderen Frauen. In ihren ehrgeizigen Plänen kam kein Mann vor. Außerdem hatte sie sich die Finger einmal heftig verbrannt. Das würde nicht wieder passieren.

Nein, es machte ihr nichts aus, nicht das Mindeste, wenn andere Frauen um seine Aufmerksamkeit buhlten. Sie mochte mit diesem Mann verlobt sein, doch sie hatte ihn gerade erst getroffen. Er bedeutete ihr nichts. Überhaupt nichts.

Und das würde sie ihn auf jeden Fall wissen lassen. „Wenn ich mich also keinen Deut um dich und deine Freundinnen schere – und das ist so – kann ich wohl annehmen, dass du dich deinerseits in keiner Weise in meine Bühnenkarriere einmischst?“

„Das versteht sich von selbst.“

Bin ich nun erfreut oder enttäuscht, fragte sich Arabella. Das hieß doch vermutlich, dass es ihm absolut gleichgültig war, was sie tat? Dass sie ihm absolut gleichgültig war? Aber das war doch gut, oder? „Gut, das ist geklärt.“

In diesem Moment schlenderte erneut eine Frau an ihrem Tisch vorbei und besaß die Frechheit, Oliver einen Zettel zuzuschieben. Das war empörend! Er saß hier in weiblicher Begleitung! Da sollten sich andere Frauen fernhalten, wenn auch nur für diese eine Nacht.

Offensichtlich gab es so viele Frauen in Olivers Leben, dass er alle gleich behandelte und keiner besondere Privilegien gewährte. Vermutlich wussten sie alle sehr gut, wie er war, und akzeptierten ihn so. Anscheinend hatte er von seinem Vater nicht nur den Titel geerbt.

Oliver starrte das Briefchen an, als wäre es ein hässlicher Fleck auf dem strahlend weißen Tischtuch. Normalerweise würde ihm eine kleine Nachricht von Lady Ambrose sehr willkommen sein. Wahrscheinlich war es eine Erinnerung, dass er zu einer ihrer berüchtigten Partys eingeladen war. Partys, die stets eine erfreuliche Zerstreuung bedeuteten. Partys mit unzähligen Frauen, die nichts gegen seine Lebensweise einzuwenden hatten, die ihn sogar in seinem freizügigen Treiben ermutigten.

Aber heute fühlte er sich merkwürdigerweise peinlich berührt.

Er ließ den Zettel verstohlen in seiner Tasche verschwinden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Doch Arabellas missbilligende Miene zeigte ihm deutlich, dass sie es noch im Sinn hatte.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er beinah das Gefühl, er müsste sich für seine Lebensweise entschuldigen. Er war versucht, ihr zu erklären, dass er mit seinem Verhalten nie jemandem wehtat, wenigstens keiner Frau. Was die Gatten der Damen empfanden, war deren Sache.

Die meisten jener Frauen waren wegen ihrer Mitgift oder wegen ihrer gesellschaftlichen Verbindungen geheiratet worden, und solange sie Diskretion wahrten, war den Ehemännern gleichgültig, was ihre Frauen trieben und mit wem. Und einmal der gesellschaftlichen und ehelichen Zwänge ledig, waren sie zu einigem bereit, wenn sie in Olivers Bett stiegen.

Sogar Lord Bufford war nur aufgebracht, weil über die Art, wie seine Gattin sich aufführte, in seinem Klub offen gespottet wurde. Er war nicht etwa eifersüchtig, sondern nur rasend vor Wut, weil in die Öffentlichkeit gedrungen war, dass sie einen Liebhaber hatte.

Aber warum hatte Oliver plötzlich das Bedürfnis, seine Lebensführung zu rechtfertigen? Das war ihm noch nie passiert.

Vielleicht war es ja jener Kuss, überlegte er, den ich noch immer auf den Lippen spüre, oder die Erinnerung daran, Arabellas warmen Körper an meiner Brust zu spüren. Vielleicht war es ihr verführerisches Lächeln, oder auch einfach nur, dass sie nicht zu der Sorte Frau gehört, mit der ich gewöhnlich Umgang pflege? Was es auch war, es verursachte ihm ziemliches Unbehagen.

Es musste einfach daran liegen, dass sie so anders war als seine sonstigen weiblichen Bekanntschaften.

Er ertastete den Zettel in seiner Tasche und rief sich streng ins Gedächtnis, warum er sich nicht mit Frauen wie Arabella van Haven einließ – einerlei, wie verführerisch ihre Küsse auch sein mochten.

Olivers Vater hatte es nie gekümmert, wenn er mit seiner stürmischen Hingabe an sinnliche Freuden Schaden anrichtete. In dieser Hinsicht war Oliver anders. Sein Vater hatte jede hübsche Frau verführt, die ihm über den Weg lief, gleichgültig, ob er Herzen brach oder den Ruf einer Frau ruinierte, solange er nur bekam, was er wollte.

Die Liebe zu den Frauen hatte Oliver zweifellos geerbt, und je mehr, desto lieber, aber er ließ sich grundsätzlich nur mit denen ein, die ebenso leichtfertig wie er selbst waren. Und dazu zählte Arabella eindeutig nicht.

Sie war süß und unschuldig. Sie verdiente einen anständigen Mann, nicht einen wie ihn, der eine feste Bindung scheute wie der Teufel das Weihwasser. Sie mochte behaupten, dass sie nicht heiraten wollte, und möglicherweise stimmte das auch. Trotzdem verdüsterte sich Arabellas Miene jedes Mal, wenn eine andere Frau seinen Blick suchte. Das bewies, dass sie nicht damit zurechtkam, wenn sie einen Mann teilen sollte. Und eine einzige Frau genügte ihm nun einmal nicht, würde ihm nie genügen. Eben darum verkehrte er mit Frauen wie Lady Bufford, Lucy Baker und der übrigen Weiblichkeit, die Vergnügen, aber keine Bindung suchte.

Dennoch er würde sein Versprechen halten, würde für die absehbare Zukunft mit Arabella verlobt bleiben. Vielleicht gab es bequemere Wege, Lord Buffords Rache zu entgehen, aber versprochen war versprochen, und er würde dazu stehen.

Wenigstens würde er so diese süße junge Frau davor bewahren, von ihrem widerlichen Vater herumgeschubst zu werden, als wäre sie nur ein Bauer beim Schachspiel. Sie würde nun frei sein, als Schauspielerin zu arbeiten. Nach ihrem Auftritt heute Abend zu urteilen, hatte sie tatsächlich sehr großes Talent.

Als er sich daran erinnerte, wie er sie auf der Bühne erlebt hatte, lächelte er. „Was an der Schauspielerei liebst du so sehr?“ Er wollte es wissen. Außerdem wollte er das Gespräch von seinem eigenen tadelnswerten Betragen auf ein harmloseres Thema lenken.

Ihre schön geschwungenen Lippen formten sich sofort zu einem Lächeln, und ihre blauen Augen funkelten lebhaft. Er schaute in diese Augen und fand, sie einfach als blau zu bezeichnen werde ihnen nicht gerecht; Saphir- oder Aquamarinblau oder das Himmelsblau eines warmen Sommertags schienen besser zu passen. So wunderschöne blaue Augen! Hätte er doch nur die Seele eines Dichters, um die richtigen Worte zu finden.

Welche Farbe sie auch immer hatten, er war davon gefesselt.

„Ach, einfach alles! Das Schauspielern selbst und das Theater. Den Geruch der Theaterschminke. Den Lärm des Publikums. Den kameradschaftlichen Umgang unter den Theaterleuten. Am meisten liebe ich natürlich den Applaus am Schluss! Dagegen kommt nichts an. Als würde man von liebevollen Armen umfangen! Es ist die Klang gewordene Würdigung der geleisteten Arbeit! Es ist einfach wunderbar!“

Sie strahlte noch immer, doch er fragte sich unwillkürlich, ob sich hinter ihrem Lächeln nicht Traurigkeit verbarg. Er blickte zu Mr. van Haven hinüber, der für seinen Gesprächspartner irgendetwas – vermutlich ein Geschäftskonzept – auf das feine weiße Tischtuch kritzelte. Von diesem gewinnsüchtigen Vater hatte sie sicher nie viel Liebe erfahren. Und ihre Mutter, hatte sie erzählt, war sehr früh gestorben. Kein Wunder, dass sie sich nach der Liebe und Bewunderung ihres Publikums verzehrte.

Eine ungekannte Empfindung überkam ihn, und er legte seine Hand auf die ihre und streichelte sie sanft. Was war das? Wozu drängte es ihn? Sie vor Männern wie ihrem Vater zu beschützen, oder sie in dem Schmerz, den sie erlitten hatte, zu trösten, oder mehr noch – ihr die Liebe zu geben, die ihr bisher gefehlt hatte?

Rasch zog er seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Welch seltsame Gefühle er auch gerade hegte, für eine Frau wie Arabella sollte er sie besser nicht hegen. Er konnte ihr nicht das Mindeste bieten.

Trotz jenes Kusses war sie eine unschuldige junge Frau, und das durfte er nie, nie vergessen. Einen Mann wie ihn brauchte sie nicht in ihrem Leben.

Er verfluchte sich im Stillen. Warum ging ihm dieser Kuss einfach nicht aus dem Sinn? Anders als erwartet war er eindringlich, leidenschaftlich gewesen, hatte geradezu brennendes Verlangen in ihm geweckt. Sie hatte einen Fremden geküsst, jedoch reagiert, als wären sie ein frisch verliebtes Paar und würden einander verzweifelt begehren. Unschuldig mochte sie sein, trotzdem hatte er unverkennbar ein Feuer in ihr entfacht, das sie beide beinahe verschlungen hätte.

Einzig der Umstand, dass sie nicht allein im Raum gewesen waren, hatte ihn davon abgehalten, die Flamme zu schüren und zu sehen, wie heiß sie brennen würde.

Ganz zweifellos war diese junge Frau von einer großen Leidenschaft erfüllt, die nur darauf wartete, befreit zu werden; eine heißblütige Natur, die bereit war, erkundet zu werden.

In einem Zug goss er den Champagner hinunter, den er sich nachgeschenkt hatte. Er war entsetzt, dass er seine Gedanken in diese Richtung hatte wandern lassen. Pflegte sein Vater nicht genau so zu denken? Betrachtete sein Vater nicht jede Frau als eine neue Beute, die nur darauf wartete, verführt zu werden? Aber ich bin nicht so! Ich werde niemals so sein. Und schon gar nicht gegenüber Arabella.

Je schneller das Verlöbnis offiziell unter Dach und Fach war und sie getrennte Wege gehen konnten, desto besser. Erst dann würde er vor diesen ungehörigen Gelüsten sicher und nur dann würde Arabella vor ihm sicher sein.

5. KAPITEL

Arabella machte sich keine Illusionen. Nur weil ihr Vater sich wieder einmal durchgesetzt hatte, saß Oliver noch mit ihr an diesem Tisch und war nicht schon längst einer der Frauen in diesem Restaurant auf den Fersen. Er blieb gezwungenermaßen bei ihr, nicht freiwillig.

Und er hatte ihr deutlich gemacht, dass er, auch wenn sie verlobt waren, erwartete, jede ihm genehme Frau hofieren zu dürfen.

Sie zuckte die Achseln und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Nun, dazu hatte er jedes Recht, und sie hatte kein Recht, ihn davon abzuhalten. Und sie würde es auch nicht versuchen. Sie würde sich an die Vereinbarung halten. Wenigstens das konnte sie für ihn tun. Letztendlich sollte sie ihm dankbar sein. Er hätte sich nicht auf das Verlöbnis einlassen müssen, sondern flüchten und sie ihrem Schicksal überlassen können. Sie kannte ihren Vater gut genug. Ihr Schicksal war auf jeden Fall besiegelt. Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit sie einen Adeligen heiratete. Sie musste Oliver wirklich sehr dankbar sein. Seinem Geistesblitz war es zu verdanken, dass sie sieben Jahre lang keine Angst vor einer aufgezwungenen Ehe haben musste.

Dass sie nun eine Dauerverlobte war, war mehr, als sie sich hatte erhoffen können. Und wenn das bedeutete, mit einem Mann verlobt zu sein, in dessen Leben es von zahllosen anderen Frauen wimmelte, dann war es eben so. Schließlich bedeuteten sie einander ja nichts. Sie hatten sich doch gerade erst kennengelernt. Da sie ihm vermutlich überaus dankbar war, würde sie ihn gewiss nicht daran hindern, anderen Frauen nachzulaufen, oder?

Ja, sie verdankte ihm ihre Freiheit, daher würde sie ihrerseits seine Freiheit nicht einschränken. Kein Schmollen mehr, wenn eine Frau ihm gewisse Blicke zuwarf. Keine abfälligen Bemerkungen über seine guten Freundinnen. Nein, er konnte sich aufführen, wie er wollte, und sie würde keine Einwände erheben.

Wie um diesen festen Entschluss zu unterstreichen, lächelte sie ihm zu. „Ich hoffe, du hast dir für den Rest des Abends etwas Vergnügliches vorgenommen. Ich würde nur ungern denken, dass mein Vater deine Pläne gestört hat.“

Entgegen ihres Vorsatzes, sich ganz nonchalant zu geben, wanderte ihr Blick wie magisch angezogen zu seiner Jackentasche, wo er das Briefchen der ganz besonders attraktiven Brünetten verwahrte.

Er lächelte zurück, dieses Mal mit einem eher einfältigen als ruchlosen Lächeln. „Es war eine besonders angenehme Störung und ich bedauere den Verlauf des Abends nicht.“

Er fand ihre Gesellschaft angenehm. Er bedauerte nicht, hier mit ihr zu sitzen, trotz all der Frauen, die um seine Aufmerksamkeit wetteiferten.

Sie erwiderte sein Lächeln, und seines wurde sündhaft verführerisch, sodass sie den Blick nicht von seinen sinnlichen Lippen abwenden konnte. Sie stellte sich vor, wie sie diese so betörenden Lippen berührte, zärtlich die Umrisse nachzeichnete, bevor sie ihn erneut küsste. Mit der Zunge daran entlang …

Wo um Himmels willen kam dieses Bild her? Sie war entsetzt. Wohin hatten ihre Gedanken sie geführt? Rasch schloss sie die Augen und schüttelte abwehrend den Kopf.

Ja, er hatte sie geküsst, aber nur aus einem einzigen Grund: weil der Gatte seiner Geliebten ihn bedrohte und er ein Alibi brauchte. Und eigentlich hatte er ja nicht sie küssen wollen, sondern Lucy Baker. Und selbst wenn er sie noch mal würde küssen wollen – was ungewiss war –, konnte sie es nicht zulassen. Sie hatte sich ein Mal wegen eines Mannes zum Narren gemacht, und das würde sich nicht wiederholen! Wenn Arnold Emerson sie irgendetwas gelehrt hatte, dann, dass sie sich selbst nicht trauen konnte, wenn es um Männer ging. Wenn das schon bei Arnold Emerson so gewesen war, dann konnte sie sich bei diesem verführerischen, charmanten Frauenhelden erst recht nicht auf ihre Gefühle verlassen. Das bewies schon ihre Reaktion auf seinen Kuss.

Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass Oliver sie fragend musterte, offensichtlich verwundert über ihr ungewöhnliches Verhalten. Wie lange hatte sie so mit geschlossenen Augen dagesessen?

Ihre Wangen brannten. Hastig ergriff sie ihre Serviette und drückte sie an ihren Augenwinkel. „Ich glaube, ich habe etwas im Auge“, behauptete sie. Mit jedem Wort, mit dem sie ihre Verwirrung und ihre seltsame Reaktion auf seinen Blick zu erklären versuchte, wuchs ihre Verlegenheit.

„Da, erlaube mir.“ Er nahm ihr die Serviette aus der Hand, beugte sich vor und tupfte behutsam ihren Augenwinkel ab. Das war ja noch schlimmer, als Arabella es sich hätte vorstellen können. Nun war er ihr so nah, dass sie die Wärme seines Körpers spüren, seinen berauschenden männlichen Duft einatmen und sich die harten Muskeln unter seinem weißen Hemd ausmalen konnte. Sie bemühte sich, nicht zu atmen, ihr Fühlen und Denken völlig abzustellen.

„Mach die Augen weiter auf, damit ich mehr sehen kann.“

Sie gehorchte und starrte angestrengt gegen die Decke, um nicht in sein hübsches Gesicht schauen zu müssen. Die Situation an sich war ungemütlich genug. Ihr würde nur noch unbehaglicher werden, wenn sie sein markantes Kinn und seine vollen, einladenden Lippen vor Augen hätte.

„Ich sehe nichts. Vielleicht hast du den Fremdkörper schon entfernt, als du die Lider geschlossen hast.“

Er ließ die Hand sinken und Arabella schaute wieder geradeaus. Ein Fehler! Nun blickte sie ihm genau in die samtig braunen Augen und wurde von einer köstlichen Empfindung überwältigt. Es war, als zerginge sahnige Schokolade auf ihrer Zunge.

Sie unterdrückte einen entzückten Seufzer und senkte den Blick schnell auf ihren Schoß – ein verzweifelter Versuch, ihre überhitzte Fantasie abzukühlen.

Warum musste er auch so großartig aussehen? Diese Begegnung wäre insgesamt viel einfacher, wenn sie nicht bei jedem Blick zu ihm dahinschmelzen würde.

Dass er charmant war, konnte nun wirklich niemand bestreiten, sonst hätte er wohl kaum solchen Erfolg bei den Frauen, oder? Sie durfte sich davon jedoch nicht beeindrucken lassen, denn eines wollte sie ganz bestimmt nicht: sich von einem Mann bezaubern lassen, der in der Kunst der Verführung so erfahren war.

Tief atmete sie ein. Nein, wie bezaubernd oder wie ansehnlich er auch war oder wie fesselnd sein verruchtes Lächeln, sie würde ihm nicht erliegen! Sie würde sich stets vor Augen führen, wie dieser Mann beschaffen war. Ein Frauenheld, lasterhaft und ausschweifend. So einen konnte sie in ihrem Leben nicht gebrauchen.

Er reichte ihr die Serviette, die sie zögernd aus seiner ausgestreckten Hand entgegennahm, sehr bemüht, ihn nur nicht zu berühren. Wenn sie sich nicht darauf verlassen konnte, dass ihr Körper ebenso vernünftig handelte wie ihr Geist, war es dringend nötig, zwischen ihr und dem Duke of Somerfeld gehörigen Abstand zu wahren. „Also, ich denke, ich ziehe mich zurück und überlasse dich deinen weiteren Vergnügungen.“

„Ich habe es nicht eilig, und du hast noch keinen Bissen zu dir genommen.“

Sie musterte die Platten und Schüsseln voller Speisen, die vor ihr aufgereiht waren. Essen war das Letzte, wonach ihr zumute war. „Ich habe keinen Hunger, aber bitte lass dich von mir nicht abhalten.“

Er machte eine abwehrende Geste, daher winkte sie einem Kellner. „Packen Sie das bitte ein“, bat sie, „und lassen es an diese Adresse liefern.“ Aus ihrem perlenbestickten Abendtäschchen zog sie eine leere Karte, schrieb die Adresse der Pension darauf, in der ihre Bühnenkollegen wohnten, und reichte sie dem Angestellten. Dort würde man dieses Festessen würdigen, das sonst verderben würde.

„Wie gesagt, ich bin müde und gehe wohl besser zu Bett.“ Allein das Wort Bett ließ ihr das Blut in die Wangen schießen, und sie musste daran denken, wie sein Vater gestorben war. Hatte Oliver dieses Bett geerbt, in das dem Hörensagen nach sogar acht Frauen gleichzeitig passten? Würde er etwa dort den Rest des Abends verbringen? Und welche von den Frauen hier im Saal würden ihm dort Gesellschaft leisten?

Um von ihm und von diesen verstörenden Vorstellungen fortzukommen, warf sie die Serviette auf den Tisch und stand hastig auf. „Ja, ich muss wirklich gehen“, sagte sie, wobei sie umherschaute, als wäre sie sich plötzlich nicht ganz sicher, wo sie sich befand.

„Dann gestatte mir, dich heimzubegleiten“, bat er mit einem spöttischen Lächeln.

Er weiß, was ich denke. Darum lächelt er so.

Autor

Eva Shepherd
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Louise Allen
<p>Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.</p>
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