Historical Saison Band 97

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EINE WETTE, EIN WÜSTLING UND EIN WEICHES HERZ von LUCY ASHFORD
Wie empörend! Der Marquis von Montpellier hat nur mit ihr getanzt, um eine Wette zu gewinnen. Lady Serena ist so wütend, dass sie dem Wüstling gehörig die Meinung sagt. Als er sie jedoch vor einem Erpresser rettet und auch noch küsst, erkennt Serena, dass unter der rauen Schale ein weiches Herz schlägt und sie Gefahr läuft, ihres an den attraktiven Marquis zu verlieren!

EIN EHEMANN FÜR DIE SCHÖNE BÄCKERIN? von JENNI FLETCHER
Ein Einbrecher? Henrietta befürchtet das Schlimmste, als sie in ihre kleine Backstube tritt. Doch dann steht da Sebastian Fortini, der Bruder ihrer Freundin, der nach Jahren auf See zurückgekehrt ist. Damit die alleinstehende Henrietta ihre drei kleinen Neffen bei sich aufnehmen kann, trägt Sebastian ihr galant die Ehe an! Henrietta weiß nicht, ob sie sich darauf einlassen soll, auch wenn sie Sebastian ausgesprochen charmant findet …


  • Erscheinungstag 14.03.2023
  • Bandnummer 97
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517942
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Ashford, Jenni Fletcher

HISTORICAL SAISON BAND 97

1. KAPITEL

Mai 1794 – London

Es war nach neun Uhr, als Serena, einen Umhang mit Kapuze um die Schultern, den Droschkenfahrer an der Ecke zur Henrietta Street bezahlte und sich in Richtung Covent Garden wandte. Die Menschenmenge, die sich allabendlich hier einfand, wollte sich vergnügen, aber Serena hatte das Gefühl, auf ihren schlimmsten Albtraum zuzugehen.

Am Himmel schien der Vollmond, aber sein silbernes Licht verschwand vor den strahlenden Lampen, die die Vergnügungssüchtigen zu den vielen Wirtshäusern und Spielhöllen lockten. Es war eine warme Mainacht, und Frauen in spärlicher Bekleidung stellten sich am Platz schamlos zur Schau und tauschten Geplänkel mit den jungen Männern aus, die stehen blieben, um sie zu begaffen. Hausierer liefen die Straßen auf und ab, verkauften Blumen und Obst und sonstige Speisen, die sie vorher vom Markt gestohlen hatten. Neben der Kirche spielte ein Fiedler lustige Melodien, und einige Männer – ganz offensichtlich betrunken – versuchten sich ungeschickt an einem Tänzchen.

Ich komme zu spät, tadelte sie sich verzweifelt. Das Treffen sollte hier an der Ecke zur King Street stattfinden, aber bisher war noch kein Zeichen von dem Mann zu sehen, den sie erwartete. Sie versuchte, gegen die aufsteigende Panik anzukämpfen. Vielleicht hatte er seine Meinung geändert …

Sie stieß einen leisen Schrei aus, als eine Hand sie an der Schulter packte und ein Mann sie grob zu sich herumzerrte. „Sind Sie die Dame, die Mr. Silas Mort hier treffen will?“

„Ja.“ Serena entzog sich seinem Griff. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. „Und rühren Sie mich nicht wieder an. Haben Sie verstanden?“

Er grinste höhnisch. „Sind ganz schön weit weg von Ihrem schicken Zuhause, was, Mylady? Das ist ’ne andere Welt, als was Sie gewohnt sind, wie?“ Er wies mit einem Daumen auf einen engen Weg. „Mr. Mort ist da entlang. Und er mag’s nicht, wenn man ihn warten lässt.“

Schon machte er sich auf den Weg zur Gasse, ohne sich offenbar dafür zu interessieren, ob Serena ihm folgte oder nicht. Aber natürlich war sie gleich hinter ihm. Sie hielt den Kopf stolz erhoben, obwohl sie innerlich zitterte vor Angst.

Sie wurde zu drei Männern geführt, die im Schatten einer Schenke lauerten, und zog den Umhang, den sie sich von ihrer Zofe geliehen hatte, unwillkürlich fester um den Leib, wobei sie darauf achtete, dass die Kapuze ihr auffallendes blondes Haar ganz verdeckte. Wenn es auch eigentlich keinen Zweck hatte, sich zu verkleiden. Sie wussten genau, wer sie war.

„Ich habe eine Verabredung mit einem Mann namens Silas Mort.“ Sie wunderte sich, wie ruhig ihre Stimme klang. „Wer von Ihnen ist es?“

„Wer von Ihnen ist es?“ Einer der Männer ahmte höhnisch ihren vornehmen Akzent nach. „Sieh mal einer an, unser Silas hat diesmal ein ganz besonderes Täubchen aufgegabelt, um sich warm zu halten, was, Jungs?“

Dann erkannte sie den schwarz gekleideten Mann mit dem Narbengesicht, der jetzt hinkend auf sie zukam.

„Sie sind also gekommen, was?“ Er nickte anerkennend. „Umso besser für Sie.“

Mit einer Handbewegung gab er seinen drei Gefährten ein Zeichen zurückzutreten. Inzwischen hatte Serena die Gelegenheit, noch einmal den grauenvollen Striemen seiner Narbe zu betrachten, der von der Stirn und über ein Auge bis zu seiner Wange verlief. Ihr Puls schlug heftiger. „Mr. Mort“, sagte sie. „Ich bin gekommen, um Ihnen das Geld zu geben, das Sie verlangt haben. Ich muss Sie ebenfalls davon in Kenntnis setzen, dass ich sofort die Behörden auf Sie ansetzen werde, sollte ich je wieder etwas von Ihnen hören.“

Sie hoffte, sie klang selbstbewusst, doch Silas Mort brach lediglich in Gelächter aus. „Ach, werden Sie die Behörden auf mich hetzen, Eure Ladyschaft? Oh, das glaube ich nicht. Denn wenn Sie es tun, wird die ganze Welt von dem anstößigen Skandal erfahren, den Sie doch so gern verbergen möchten.“ Er drohte ihr mit einem Zeigefinger und lachte jetzt nicht mehr. Seine Stimme war zu einem Knurren geworden. „Also Schluss mit Ihren Drohungen. Sie zahlen am besten einfach, Mylady. Und zwar ohne große Worte.“

Serena hatte bereits eine Hand in ihrem Retikül. „Hier sind zwanzig Guineas. Und als Gegenleistung, Mr. Mort, verlange ich ein für alle Mal das Ende Ihrer Gier.“

Er entriss ihr die Tasche und prüfte die Münzen darin. „Sieht so aus, als wäre alles da. Aber werfen Sie mir Gier vor, Mylady? Ausgerechnet Sie mit Ihrem feinen Haus, Ihrer Kutsche und Ihrem Schmuck?“ Er brachte sein Gesicht plötzlich so dicht an ihres heran, dass Serena sein Gestank in die Nase stieg. „Allein dafür finde ich, dass Sie mir noch viel mehr schulden. Noch mindestens zwanzig Guineas mehr.“

Serena schloss einen Moment die Augen und nahm allen Mut zusammen. „Oh nein. Ich weigere mich, Ihnen noch mehr zu geben.“

Silas Mort hob eine Hand, und seine drei Freunde umringten Serena. Einer zerrte ihre Kapuze herunter, sodass ihre blonden Locken darunter zum Vorschein kamen. „Hübsch“, meinte er lüstern. „Sehr hübsch …“

Verzweifelt versuchte sie, ihn von sich zu stoßen. Sie hatte geglaubt, in den vergangenen Jahren vernünftiger geworden zu sein, aber jetzt erkannte sie, wie unklug es gewesen war, sich in eine so gefährliche Situation manövriert zu haben. Sie versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien, aber ihre Feinde waren zu zahlreich und zu stark.

In diesem Moment erklang direkt hinter ihr eine ruhige Stimme – eine gebildete Stimme, die eine vornehme Herkunft verriet, und den Hauch eines fremdländischen Akzents. „Gentlemen, vergeben Sie meine Einmischung. Aber ich habe die Vermutung, dass Sie einem Irrtum erlegen sind.“

Gleich darauf schlenderte ein hochgewachsener Mann in dunklem Umhang und einem Hut, der sein Gesicht beschattete, auf die Männer zu. Er legte Serena eine Hand besitzergreifend auf den Arm und blickte ihre verblüfften Angreifer an. „Vielleicht sollte ich erklären“, fuhr er fort, „dass diese Dame unter meinem Schutz steht. Also wäre ich Ihnen enorm zu Dank verpflichtet, wenn Sie uns erlaubten, allein unser Rendezvous zu genießen.“

Doch in seiner höflichen Rede lauerte etwas anderes – ein stählerner Wille –, der Morts Männer zögern ließ. Dennoch war er nur einer gegen vier. Sie werden ihn töten, dachte Serena entsetzt. Lieber Gott, sie werden ihn gewiss töten!

Das taten sie nicht, aber sie wichen auch nicht zurück. Der Neuankömmling zog Serena dichter an sich, den Arm fest um ihre Taille gelegt. „Sagen Sie nichts“, befahl er ihr leise. Wieder dieser harte Ton in der Stimme. „Überlassen Sie alles mir.“

Sie hätte sowieso keinen Laut hervorbringen können. Vor Schrecken hatte es ihr die Sprache verschlagen. Denn jetzt, da sie es gewagt hatte, ihn näher zu betrachten, erkannte sie ihn.

Es war Raphael Lefevre, ein französischer Adliger, der im vergangenen Jahr nach England geflohen war, um den Folgen der Revolution zu entkommen, die sein Heimatland verwüstete. Viele seiner Landsleute hatten es ihm gleichgetan, aber Lefevre unterschied sich von allen anderen, denn statt den Opfern zu helfen und alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Not der Franzosen zu lenken, verkündete er unbekümmert, dass er froh wäre, wenn er seine Heimat niemals wiederzusehen bräuchte.

Dank einer englischen Erziehung – sein Vater, der Marquis de Montpellier, hatte ihn zunächst nach Eton und danach nach Oxford geschickt – beherrschte er die Sprache fast vollkommen. Vor einem Jahr, im Alter von achtundzwanzig Jahren, war er nach England zurückgekommen, hatte seine alten Freunde wiedergetroffen und neue Freundschaften geschlossen, gewiss auch aufgrund seines großen Vermögens. Aber er hatte auch sehr viel Kritik über sich ergehen lassen müssen, besonders da er oft in der Gesellschaft der berüchtigtsten Wüstlinge Londons gesehen wurde. Andererseits konnte er sehr charmant sein, wenn er es darauf anlegte, und viele hielten ihn für ausgesprochen attraktiv mit seinem dichten dunklen Haar und den faszinierenden Augen.

Tatsächlich war selbst Serena fast einmal auf seine honigsüßen Worte und das umwerfende Lächeln hereingefallen. Aber nie wieder, hatte sie sich geschworen. Leider führten die exklusiven Gesellschaften Londons sie immer wieder zusammen. Und seine bemerkenswerten Augen, immer spöttisch, immer lachend, schienen ihr überallhin zu folgen.

Nur vor wenigen Tagen auf Lady Sunderlands Ball hatte sie das Pech gehabt, in seiner Nähe zu stehen, als die Treue zum Vaterland in einem Gespräch aufgekommen war. Er tat das Thema mit einer zynischen Bemerkung ab, und Serena konnte sich nicht zurückhalten. „Wir wissen alle, wo Ihre Pflichten liegen, Monsieur le Marquis! Viele Ihrer Landsleute sind in der Heimat geblieben und versuchen, die Ordnung wiederherzustellen. Aber zu Ihren Prioritäten gehört offensichtlich nur Ihr eigenes Vergnügen!“

Es folgte zustimmendes Gemurmel von einigen Gästen, aber Raphael Lefevre, sonst immer so träge und gelassen, antwortete mit ungewohnter Heftigkeit. „Ah, Madame, welch feuriges Temperament! Mögen Sie es lange zufrieden sein, Witwe zu bleiben. Denn es müsste schon ein sehr mutiger Mann sein, der Sie zu seiner Frau machen wollte.“

Das kaum unterdrückte Gelächter seiner Begleiter hatte sie tief getroffen und ging ihr nicht aus dem Kopf. Und jetzt kam ihr ausgerechnet der verachtenswerte Marquis zu Hilfe.

„Die Dame und ich“, sagte er ruhig zu Silas Mort und dessen Männern, „hatten hier eine Verabredung, Gentlemen, und unser Treffen ist recht privater Natur, Sie verstehen? Wenn ich auch fürchte, dass ich mich etwas verspätet habe. Und dafür muss ich mich zutiefst bei Ihrer Ladyschaft entschuldigen.“

„Nein“, protestierte Mort, „hören Sie mal, sie ist gekommen, um mich zu treffen!“

„Wirklich?“ Lefevre hob ungläubig die Augenbrauen. „Mein guter Mann, Sie werden mir vergeben, wenn ich Ihre Behauptung recht grotesk finde. Meinen Sie nicht auch, Serena?“

Er sah sie an, und seine Stimme klang sanft, aber der entschlossene Zug um den Mund ließ keinen Zweifel daran, was er von ihr erwartete. Sie sollte zugeben, dass sie ein Stelldichein recht privater Natur mit ihm hatte? War er von Sinnen?

Zweifellos machte er sich lustig über sie. Er wollte sich an ihr rächen, weil sie kein Hehl aus ihrer Verachtung für ihn machte. Doch es fiel ihr auf, dass sich inzwischen eine Gruppe von neugierigen Passanten angesammelt hatte, offensichtlich auf der Suche nach allem, was neue Unterhaltung versprach.

Aber konnte man sich einen unwahrscheinlicheren Ritter in schimmernder Rüstung vorstellen als den eitlen, trägen Marquis? Er verbrachte Unmengen von Zeit am Kartentisch, nahm an allen wilderen Sportarten teil und verprasste sein Vermögen für unnützen Flitterkram. Die jüngeren Männer des ton ahmten in ihrer Dummheit die lässige Art nach, mit der er seine kostbare Kleidung trug, und äfften jede seiner Eigenarten nach, sogar den leichten französischen Akzent. In diesem Moment war er allerdings ihre einzige Hoffnung, und Serena überkam ein sehr seltsames Gefühl. Es kam ihr vor, als wäre es nur natürlich für sie, sich seiner verführerischen Umarmung zu ergeben …

Im nächsten Moment hinkte Silas Mort näher und straffte drohend die Schultern. „Hören Sie, es ist nicht klug, sich in Angelegenheiten einzumischen, die einen nichts angehen.“

Lefevres Griff um Serena blieb unverändert fest. „Aber es ist meine Angelegenheit“, erwiderte er kühl. „Wer immer diese Dame beleidigt, beleidigt mich. Und das wäre wirklich ganz und gar nicht klug.“

Serena erbebte leicht, doch dieses Mal nicht aus Angst vor Silas Mort und seinen Männern, sondern aus einem ganz anderen, sehr schockierenden Grund. Wer diese Dame beleidigt, beleidigt mich?

Natürlich war das nur eine Lüge. Er log schon wieder. Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, doch sein starker Arm presste sie noch fester an sich, und dann hörte sie seine Stimme dicht an ihrem Ohr, und trotz der Situation erschauerte sie wieder. „Hören Sie auf, mich zu bekämpfen, Lady Serena. Ist Ihnen nicht klar, was sie mit Ihnen tun werden, wenn ich Sie ihnen überlasse?“

Serena schoss die Röte ins Gesicht. Plötzlich hatte sie einen ganz trockenen Mund. Sie waren oft in den reichsten Salons Londons aneinandergeraten, aber bisher war ihr nicht bewusst gewesen, wie überwältigend seine Stärke war, wie einschüchternd sein Zorn. Als sie ihn ansah, heftete ihr Blick sich fasziniert auf seinen festen, und doch so sinnlichen Mund …

Mort und seine Männer umzingelten sie inzwischen, und Lefevre umfasste in einer fast zärtlichen Geste ihr Gesicht und sagte leise: „Bleiben Sie dicht bei mir, ma chère, und ich werde mich um Sie kümmern.“

Ma chère? Was redete er da? Er musste sich über sie lustig machen, wie er es schon so oft getan hatte! Doch plötzlich streichelte er die zarte Haut unter ihren Ohrläppchen, sodass Serena bis ins Innerste erbebte. Und dann geschah das Unfassbare. Er neigte den Kopf, und ihre Lippen trafen sich zu einem feurigen Kuss, der eine nie gekannte Hitze in Serena entfachte. Jetzt dachte sie nicht mehr daran, ihn von sich zu stoßen. Stattdessen schmolz sie regelrecht dahin, sodass sie das Gefühl hatte, eins mit ihm zu sein. In diesen wenigen Augenblicken gab es nichts als diese erschütternde Intimität, seine Lippen auf ihren.

Bis ihr bewusst wurde, dass noch mehr Männer dazugekommen waren – die gleiche Art reicher Lebemänner wie Lefevre selbst, die sich nachts damit vergnügten, die Lasterhöhlen von Covent Garden zu besuchen. Sie kannte jeden von ihnen beim Namen – Lord Giles Beaumaris, Sohn eines Dukes, Callum Finlay, der ganze Landstriche in Schottland besaß, und Sir Simon Hawkesworth, der auf seinem Landsitz in Berkshire Rennpferde züchtete.

„He, Lefevre!“, rief Beaumaris. Er und seine Freunde waren offenbar schon dabei, die Drohung einzuschätzen, die Mort und seine Bande darstellten. „Was geht hier vor? Kannst du etwas Hilfe gebrauchen?“

Als die drei Männer näher kamen, zog Serena hastig die Kapuze bis in die Stirn, sodass ihr Gesicht halb verdeckt war, aber Lefevres Verbündete achteten nicht auf sie. Vielmehr steuerten sie auf Morts Gruppe zu, offensichtlich bereit zu einem Kampf. „Schöner Abend für eine Prügelei, was, Freunde?“, wandte Finlay sich gelassen an die anderen zwei Gentlemen. Finlay war ein begeisterter Faustkämpfer, seine Freunde ebenfalls stark und in bester Verfassung, und Morts Männer waren klug genug, die Herausforderung nicht anzunehmen. „Sieht so aus, als wäre Verstärkung gekommen, Jungs“, knurrte Mort und verschwand zusammen mit seinen Männern in einer der dunklen Seitengassen.

Jetzt, dachte Serena, und ihr Herz klopfte schneller. Jetzt ist deine Gelegenheit zur Flucht gekommen.

Sie versuchte es. Sie versuchte wirklich, sich zu befreien, aber Lefevre hielt sie mit eisernem Griff fest, während seine Freunde sie neugierig betrachteten. Beaumaris hob die Augenbrauen. „Was zum Teufel geht hier vor sich, Lefevre, du Gauner? Ich dachte, wir vier wollten uns hier treffen und den Abend gemeinsam verbringen. Aber wie es aussieht, hast du mit dieser kleinen Dame andere Pläne.“ Er musterte Serena eingehend, und sie presste das Gesicht an Lefevres Schulter.

„Dame?“, spottete Hawkesorth. „Seit wann nennt man denn ein lockeres Vögelchen wie die hier eine Dame? Und pass bloß auf, mein Freund. Sieht so aus, als hätte sie dich in einen ganz schönen Schlamassel gebracht, wenn wir nicht rechtzeitig gekommen wären. Also sorg dafür, dass du für dein Geld angemessen entschädigt wirst. In diesem Sinne lassen wir euch am besten allein.“

Und damit gingen sie weiter, nicht ohne noch einige besonders anstößige Bemerkungen von sich zu geben. Serenas Wangen glühten vor Scham. Sobald ich diesen fürchterlichen Albtraum hinter mir gelassen habe, dachte sie grimmig, werde ich alles tun, um Raphael Lefevre nie wieder in die Nähe zu kommen.

Aber der Marquis hatte offenbar andere Pläne, denn er hielt sie noch immer fest und dirigierte sie in die entgegengesetzte Richtung. Wieder versuchte sie, sich ihm zu entwinden, aber Raphael Lefevre ließ sich nicht beirren. „Noch lasse ich Sie nicht fliehen, Mylady“, erklärte er. „Bevor ich Sie nach Hause bringe, ist es Zeit für ein ernsthaftes Gespräch. Eins, das wir schon viel zu lange hinausgeschoben haben.“

Serena sank der Mut.

2. KAPITEL

Raphael führte sie eine schmale Gasse entlang, bis sie zu einer Schenke nördlich des Platzes kamen. Im Nachhinein musste er allerdings sagen, dass er besser einen respektableren Ort hätte wählen sollen, denn hier lungerten recht schräge Gestalten in den Schatten herum, und an jeder Ecke hielten Dirnen nach einem neuen Freier Ausschau. Tatsächlich wandte eine von ihnen sich sogar an ihn. „Spezieller Preis für einen so schönen Gentleman wie dich, Süßer!“

Er zog Serena wieder dichter an seine Seite. Und in dem Moment fiel ihm auf, wie heftig sie zitterte.

In der Schenke ging er mit ihr in eine abgelegene Ecke, die kaum von den billigen Talgkerzen beleuchtet wurde. Hier sah er, dass ihr die Kapuze vom Kopf gerutscht war, und ihre vollkommene Schönheit nahm ihm den Atem. Sie mochte ja blass und verstört sein, und das Haar hatte sich teilweise aus der Frisur gelöst, aber sie war zweifellos eine der schönsten Frauen des ton. Ihr ovales Gesicht war hinreißend, der Mund voll und sinnlich, und die von dichten Wimpern umrahmten Augen hatten die Farbe des Ozeans an einem sonnigen Sommertag.

Die Leute fragten sich, warum sie kein zweites Mal geheiratet hatte. Und immer lautete die Antwort, dass sie ihren Mann, den Ehrenwerten Lionel Willoughby, der als Kriegsheld gestorben war, geliebt habe. Und deswegen könne es niemals einen anderen Mann für sie geben.

Sie sah ihn plötzlich voller Verachtung und Ärger an. „Ist das ein weiterer Versuch, mich zu erniedrigen, Monsieur le Marquis? Dass Sie mich an einen solchen Ort bringen?“

Flüchtig überlegte er, dass die Überheblichkeit des englischen Adels sich in jeder Hinsicht mit der der französischen Aristokratie messen konnte. „Soweit ich sehe, könnte Ihr eigener Versuch, sich zu erniedrigen kaum übertroffen werden, Lady Serena – nicht einmal von mir.“ Er winkte die Bedienung herbei. „Bringen Sie uns Wein. Und sorgen Sie dafür, dass die Gläser sauber sind.“

Als der Wirt gegangen war, wandte er sich wieder an Serena. „Was führten Sie vorhin im Schilde? Und sagen Sie mir nicht, es gehe mich nichts an, denn da bin ich ganz anderer Ansicht.“ Die Flasche Wein wurde vor ihnen auf den Tisch gestellt, und Raphael schenkte ihnen ein. „Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie ein wenig Dankbarkeit zeigen würden.“

„Dankbarkeit? Monsieur le Marquis, wollten Sie mit dieser Zurschaustellung männlicher Eitelkeit etwa meine Dankbarkeit erregen?“

Er erinnerte sich noch genau an den Abend im vergangenen November, als er ihr bei einem Ball vorgestellt worden war. „Sie ist eine wahre Schönheit“, hatte Giles Beaumaris ihm gesagt. „Warte nur, bis du sie siehst.“

Doch was Raphael vor allem aufgefallen war, war nicht ihre Schönheit gewesen, sondern ihre Verletzlichkeit. Sein erster Gedanke, als er sie im überfüllten Ballsaal erblickt hatte, war: Sie sieht sehr, sehr einsam aus.

Dann hatte er sie um einen Tanz gebeten, doch er hatte keine Gelegenheit bekommen zu erfahren, was diesen verlorenen Ausdruck in ihren Augen verursacht haben mochte, weil von da an alles schiefgegangen war. Seit jener katastrophalen Begegnung hatte die hochmütige Witwe eines heldenhaften Soldaten offenbar beschlossen, Raphael zur Zielscheibe ihres Spotts zu machen, den er mit trockenem Humor und dank seiner allgemeinen Beliebtheit im ton meist erfolgreich abwehren konnte.

Er leerte sein Glas und schenkte sich erneut ein. Gewiss fand Lady Serena, dass der billige Wein ebenso unter ihrer Würde war wie er selbst. Raphael entging nicht, dass einige ihrer schimmernden goldblonden Locken sich auf verführerische Weise um ihren schlanken Hals ringelten.

„Sie nennen Ihre Rettung durch mich also eine ‚Zurschaustellung männlicher Eitelkeit‘, was? Seltsam, aber ich hatte den Eindruck, Sie vor einem Haufen von Schurken zu retten, die im Begriff waren, ausgesprochen scheußlich zu werden. Ihnen kann die Gefahr für Ihren Ruf doch kaum entgangen sein, ganz zu schweigen von Ihrer Sicherheit, wenn Sie bei Nacht ein so verrufenes Viertel wie das hier aufsuchen, oder?“

„Ich könnte Ihnen dieselbe Frage stellen!“, fuhr sie ihn an, aber er sah, dass sie errötete.

„Ich bin ein Mann, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte“, erwiderte er. „Und kann deswegen in einer solchen Gegend auf mich aufpassen. Was meinen Ruf anbetrifft, so hat man mir versichert, dass er gar nicht übler werden könnte. Sie andererseits sind die Schwester eines Mitglieds des englischen Hochadels, keines Geringeren als des Earl of Stainsby. Und doch sind Sie ohne Begleitung, ohne Schutz in diese Gegend gekommen. Warum?“

Flüchtig zeigte sich Panik auf ihrem Gesicht, und wieder schien sie, was sehr ungewöhnlich für sie war, nach Worten zu ringen. „Meine Anwesenheit hier war vollkommen privater Natur, und ich muss Ihnen deutlich sagen, dass ich großen Anstoß daran genommen habe, wie Sie …“

„Wie ich Sie für mich beansprucht habe?“ Er machte eine wegwerfende Geste. „Sie müssen schon verzeihen, falls Sie andere Pläne hatten, wie Sie mit jenen bedrohlichen Schurken fertigwerden wollten. Haben Sie eine Pistole unter Ihrem Umhang? Oder wollten Sie sie vielleicht mit Ihrer scharfen Zunge bekämpfen?“

Sie blickte verzweifelt zur Tür, doch er hob träge eine Hand und murmelte: „Ich rate Ihnen, nicht an eine Flucht zu denken. Nicht in dieser Gegend. Lady Serena, warum haben Sie sich so vehement dagegen gewehrt, meine Hilfe anzunehmen?“

Nur das schnelle Flattern ihres Pulses an ihrem Hals verriet ihren inneren Aufruhr, doch Raphaels erfahrenen Augen entging es nicht. „Es war nicht notwendig“, brachte sie hervor, „dass Sie mich … dass Sie mich vor all jenen Leuten so grob anpackten. Dass Sie es so aussehen ließen, als wären wir … als wären …“

„Als wären wir ein Liebespaar? Aber ich hatte den Rüpeln doch gesagt, dass wir ein Rendezvous miteinander hatten. Und da ich ihnen am Anfang noch zahlenmäßig unterlegen war, durften sie keinen Augenblick daran zweifeln, dass ich bereit war, Sie zu verteidigen. Komme, was wolle.“

Sie errötete wieder. „Sie, Monsieur“, sagte sie mit nicht ganz so fester Stimme, „sind ein skrupelloser Schurke.“

„Ohne Zweifel“, stimmte er zu. „Aber Sie, Lady Serena, sind viel zu stolz.“ Fasziniert beobachtete er, wie sie sich auf die volle Unterlippe biss, und fast empfand er Mitleid mit ihr. Doch dann erinnerte er sich daran, dass er vor kaum einer Woche mit angehört hatte, wie sie sich darüber gewundert hatte, dass er seine Landsleute herzlos im Stich ließ. „Und soweit wir wissen, sogar seine Freunde und Familie“, hatte sie hinzugefügt. „Ja, er ließ sie alle zurück, um hier die Art von liederlichem Leben zu führen, das die Revolution in Frankreich überhaupt verursacht hat!“

Jetzt war er mit ihr in diesem schäbigen Gasthaus und zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Er wies auf ihr unberührtes Glas. „Wollen Sie wirklich keinen Wein?“

Wieder blitzten ihre Augen zornig auf. „Natürlich nicht! Ich will keinen Wein, und ich will nicht hier sein, noch dazu ausgerechnet mit Ihnen!“

Gelassen nippte er an seinem Wein und bemerkte, dass ihr Umhang sich leicht geöffnet hatte und ihn einen Blick auf das blassgrüne Kleid werfen ließ, das sie darunter trug. Es war hochgeschlossen, sogar prüde, aber Raphael fragte sich, ob ihr bewusst war, wie eng sich der weiche Stoff an ihre Brüste schmiegte. Unwillkürlich dachte er an das Gefühl ihres schlanken Körpers an seinem, als er sie an sich gezogen hatte, und hastig unterdrückte er ein erstes Prickeln des Verlangens.

Denk daran, dass sie dich verabscheut. Außerdem könnte sie dir gefährlich werden. Jetzt ist die beste Gelegenheit, also ergreife sie, Himmel noch mal!

„Lady Serena“, fuhr er in umgänglichem Ton fort, „Ihnen ist sicher klar, dass es das Beste wäre, jene Grobiane, die Sie bedroht haben, anzuzeigen. Darf ich Sie fragen, ob Sie beabsichtigen, das zu tun?“

Sie blieb nur einen Augenblick stumm. „Ich könnte sie nicht anzeigen“, meinte sie dann. „Weil es um eine Angelegenheit geht, die ich für mich behalten möchte.“

„Aha.“ Er nickte verständnisvoll. „Könnte es tatsächlich sein, dass Lady Serenas Heiligenschein ein wenig ins Rutschen gekommen ist? Quelle surprise.“ Er wedelte warnend mit einem Zeigefinger. „Ich habe einen Vorschlag für Sie. Vielleicht sollten Sie sich mit den Fehlern in Ihrem eigenen Leben beschäftigen, bevor Sie sich voller Bitterkeit über meine auslassen. Aber was rede ich denn da? Lady Serena hat keine Fehler. Sie ist die Vollkommenheit in Person.“ Er beugte sich leicht vor. „Und doch habe ich das Gefühl, dass jene unappetitlichen Kerle, mit denen Sie heute hier verabredet waren, es darauf abgesehen hatten, Sie zu erpressen.“

Er sah, wie sie den Atem anhielt.

„Und“, sprach er gnadenlos weiter, „hier noch eine Warnung: Erpresser kommen immer wieder.“

„Aber ich habe ihnen das Geld gegeben, das sie wollten …“ Sie brach entsetzt ab, als ihr klar wurde, was sie gesagt hatte.

„Du liebe Güte“, meinte er leise. „Also hatte ich recht. Ihr Heiligenschein ist wirklich in Gefahr, was? Lassen Sie mich Ihnen raten, Mylady. Ich kümmere mich um diese Männer. Und als Gegenleistung hören Sie sofort auf, in aller Öffentlichkeit meinen Ruf zu verunglimpfen.“

„Ich werde allein mit diesen Schurken fertig. Wie ich Ihnen schon sagte, ich bin schon mit ihnen fertiggeworden!“

Er schüttelte fast mitleidig den Kopf. „Glauben Sie das wirklich? Nun, zwei von ihnen sind uns gefolgt. Ich bemerkte sie gleich zweimal, während wir auf dem Weg hierher waren. Glauben Sie mir also, dass Sie mit denen noch lange nicht fertig sind. Außerdem müssen Sie noch etwas anderes bedenken. Was wäre gewesen, wenn einer meiner Freunde Sie erkannt hätte?“

„Nein“, sagte sie schnell. „Das ist unmöglich. In diesem alten Umhang können sie doch gewiss nicht …“ Sie schluckte mühsam. „Monsieur, Sie würden es ihnen doch sicher nicht verraten, oder? Ich denke, selbst Sie können nicht so tief sinken!“

„Ihre Meinung über mich hört nicht auf, mich zu amüsieren“, sagte er trocken, „aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Warum in aller Welt sollte ich mir die Mühe machen, diese Geschichte weiterzuerzählen? Aber wie ich schon sagte, jeder einzelne von ihnen könnte trotz Umhang und Kapuze leicht einen Blick auf Ihr Gesicht erhascht haben. Sie sind schließlich unverwechselbar. Und dann würden sie sich fragen, warum Lady Serena Willoughby auf dem Platz von Covent Garden herumschleicht, noch dazu auf eine Weise, wie es keine Dame des ton jemals tun würde? Und ausgerechnet in der Gesellschaft von Raphael Lefevre!“

Sie blieb stumm, offensichtlich unfähig, ihm zu antworten.

„Sie sollten Ihre Lage wirklich sorgfältiger bedenken“, meinte er schließlich, „ganz besonders falls diese Geschichte doch herumerzählt wird. Ich schlage vor, dass ich Sie morgen Nachmittag besuche.“

„Warum?“

„Weil ich immer noch glaube, dass Sie meine Hilfe brauchen, Lady Serena.“ Er hielt ihr einen Arm hin, um sie zur Tür zu begleiten. „Auf die eine oder andere Weise.“

„Niemals“, beharrte sie, wenn auch ein wenig betroffen. „Außerdem ist es morgen Nachmittag nicht möglich. Ich habe andere Pläne.“

„Meiner Meinung nach wäre es klüger von Ihnen, diese Pläne zu ändern. Ich sehe Sie gegen vier Uhr.“ Er wies auf die Tür. „Gehen wir?“

3. KAPITEL

Wie im Traum – oder vielmehr wie in einem Albtraum – ließ Serena es zu, dass Lefevre sie in die Gegend der Strand führte. Es hatte angefangen zu regnen, und ihr Umhang war ziemlich feucht geworden, bevor es ihnen gelang, eine Droschke anzuhalten.

„Sie brauchen meine Adresse“, sagte Serena.

„Ich kenne Ihre Adresse“, antwortete er knapp. Und tatsächlich, nachdem er ihr hineingeholfen hatte, hörte sie ihn dem Kutscher Anweisungen geben. „Curzon Street.“ Er bezahlte den Mann, und ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und schritt im Regen die Straße hinunter – alles mit der Arroganz, die ihn in allem auszeichnete.

Serena lehnte sich erschöpft in die Polster zurück, als die Droschke anfuhr. Er hatte ihr gesagt, dass zwei von Morts Männern ihnen gefolgt waren. Aber das konnte natürlich auch eine Lüge gewesen sein. Lieber Himmel, was für eine Katastrophe dieser Abend doch gewesen war! Dass ausgerechnet Raphael Lefevre auftauchen musste, um die sowieso schon verfahrene Situation noch mehr zu verwirren! Aber sein Kuss hatte sie davor gewarnt, wie gefährlich er ihr werden konnte, sogar wenn er vorgab, auf ihrer Seite zu stehen.

Sie verschränkte die Hände nervös im Schoß. Er hatte ihr gedroht, sie aufzusuchen, aber sicher würde er seine Meinung ändern. Irgendwie musste sie sich an dieses Fünkchen Hoffnung klammern. Und doch würden sie sich zwangsläufig wieder begegnen – auf Gesellschaften, Bällen, Musikabenden … Lieber Himmel! Sie suchte verzweifelt nach einer Lösung, aber bis zu dem Moment, da die Droschke mit einem Ruck vor ihrem Haus in Mayfair hielt, hatte sie keine gefunden.

Schnell eilte sie die makellosen Marmorstufen hinauf, und in der Halle kam ihr ihre Haushälterin Mrs. Penney aufgeregt entgegen. „Mylady! Wie konnten Sie nur bei diesem Regen unterwegs sein? Ihr Umhang ist ja ganz nass!“

Serena ließ sich den Umhang von Mrs. Penney abnehmen und zwang sich zu einem fröhlichen Lächeln. „Ich war wegen meiner Wohltätigkeitsarbeit unterwegs, was denn sonst, Mrs. Penney? Die Besprechung dauerte länger als erwartet.“

Lügen, so viele Lügen.

Die liebe Mrs. Penney schüttelte missbilligend den Kopf, aber ihre Stimme klang jetzt sanfter. „Was Sie jetzt brauchen, Mylady, ist ein schönes, heißes Bad. In Ihrem Zimmer brennt bereits ein warmes Feuer, und ich schicke Ihnen Martha herauf. Die kann Ihnen aus diesen nassen Kleidern helfen.“

Ihr älterer Bruder George hatte sie vor eineinhalb Jahren gebeten, sich dieses Haus anzusehen. Damals war Serena nach einer Zeit der Einsamkeit auf dem Familiengut in Yorkshire nach London zurückgekehrt. „Das Haus gehört dir, wenn du es möchtest“, hatte George gesagt. „Bald wirst du wieder bereit sein, dein Leben weiterzuführen, das weiß ich.“

Sie hatte das Haus vom ersten Moment an geliebt, heiß und innig geliebt – seine hohen Decken und die großen Fenster, die so viel Licht einließen. Die Einrichtung allerdings, die George selbst ausgewählt hatte, wie er ihr voller Stolz berichtete, war etwas anderes. Nun ja, George mochte ja ein ausgezeichneter Gutsbesitzer sein, der seine Pflichten sehr ernst nahm, aber seinen Geschmack konnte man nur als erstaunlich bezeichnen. Doch es machte Serena nicht wirklich etwas aus. Mit gestreiften Chintzsofas und vergoldeten Blumenkästen konnte sie leben, wenn sie sich auch dazu überwinden musste. Es gab allerdings ein anderes Problem. „George, du weißt, dass ich noch das Haus in der Dover Street habe“, hatte sie ihm in Erinnerung gerufen. „Wo ich mit …“

Wo sie mit Lionel gelebt hatte, ihrem Gatten, dem Armeeoffizier.

„Lionel lebt nicht mehr“, hatte George sanft geantwortet. „Es wird Zeit, dass du dein Leben wieder genießt. Beende den Pachtvertrag für die Dover Street und fang an, dich wieder zu amüsieren, das ist mein Rat an dich. Kauf dir neue Kleider, geh auf Gesellschaften und alles, was du sonst gern tust. Ach ja, und ich weiß, du wirst deine kleinen Mildtätigkeiten fortsetzen wollen, über die du und deine Freundinnen ständig redet.“

„Liebster George, das sind keine kleinen Mildtätigkeiten! Meine Freundinnen und ich versuchen, armen Kindern eine Ausbildung zu geben, damit sie sich eine bessere Zukunft erkämpfen können. Aber ich danke dir von ganzem Herzen für das Haus und für alles andere. Du bist ein Schatz.“

Armer George. Seit dem Tod ihres Vaters vor einigen Jahren nahm er seine Pflichten als Haupt der Familie ausgesprochen ernst. Oft wünschte Serena, er würde stattdessen auf seinen eigenen Rat hören und sich ein wenig mehr amüsieren.

Also begab sie sich wieder in die Londoner Gesellschaft – als dreiundzwanzigjährige Witwe mit einem wunderschönen, wenn auch seltsam eingerichteten Haus in Mayfair und dem Glauben, dass sie bereits einige der härtesten Lektionen erlernt hatte, die einem das Leben erteilen konnte. Doch heute Abend hatte sie erkannt, dass sie bei Weitem noch nicht genug gelernt hatte. Silas Mort und Raphael Lefevre. Wer von beiden stellte die größere Gefahr dar?

Nach ihrem heißen Bad half Martha ihr in ein elfenbeinfarbenes Satinnachtgewand. Aber die ganze Zeit über hörte Serena nur Raphael Lefevres spöttische Bemerkungen. Ihr Heiligenschein ist wirklich in Gefahr, was?

„Hier, Mylady.“ Martha redete noch immer fröhlich weiter. „Dass Sie es geschafft haben, so nass zu werden, also wirklich!“

Doch endlich ließ sie ihre Herrin in einem Sessel neben dem Kamin zurück, eine Tasse heiße Schokolade neben sich auf dem Tisch und Mary Wollstonecrafts Buch „Die Verteidigung der Frauenrechte“ in einer Hand. Aber Serena musste feststellen, dass ihr nicht danach zumute war. Vielmehr verspürte sie das Verlangen, sich gründlich auszuweinen. Sie holte ihr Taschentuch hervor und betupfte sich ungeduldig damit die Augen.

Sie hatte ein so behütetes Leben geführt. Ihre Kindheit auf dem Familiengut in Yorkshire war idyllisch gewesen. Wenn sie auch Momente großer Trauer erlebt hatte, denn ihre Mutter war gestorben, als Serena gerade vierzehn Jahre alt gewesen war. Ihr Vater hatte sich niemals von diesem Verlust erholt und war seiner geliebten Frau nur drei Jahre später ins Grab gefolgt. Und so war George im Alter von einundzwanzig der neue Earl of Stainsby geworden, während Serena dank eines Nachlasses von ihrer Mutter über ihr eigenes Vermögen verfügen konnte.

Als sie neunzehn wurde, war George mit ihr ins große Stadthaus der Familie in der Clarges Street umgesiedelt, wo sie ihre erste Saison genießen konnte. Obwohl George sich nicht viel aus London machte, war er entschlossen, seine Pflicht zu erfüllen und einen guten Ehemann für seine kleine Schwester zu finden. Armer George, noch einer seiner Pläne, der gescheitert war. Serena verliebte sich, oder glaubte es zumindest, in einen fünfundzwanzigjährigen Armeeoffizier namens Lionel Willoughby, den dritten Sohn eines Viscounts.

Sie ließ sich von seinem Charme verzaubern und lauschte ehrfürchtig seinen Geschichten über die Länder, in denen er mit seinem Regiment gewesen war. Doch in den ersten zwei Jahren ihrer Ehe war er in London stationiert und erfüllte eine wichtige Stellung in den Kasernen in Knightsbridge, was bedeutete, wie er ihr erklärt hatte, dass er oft bis spät in den Abend hinein arbeiten musste. Serena hatte ihm geglaubt – bis sie entdeckte, dass sein sogenannter Dienst eine Lüge war, die seine Spielleidenschaft und seine Trinkgelage in verrufenen Schenken und Spielhöllen in den zwielichtigen Gegenden Londons verbergen sollte.

Lionel war nichts weiter als ein vergnügungssüchtiger Lebemann gewesen, genau wie Raphael Lefevre – doch sie hatte sich unwiderstehlich zu dem gutaussehenden jungen Offizier hingezogen gefühlt. Als sie die Wahrheit erkannte, schämte sie sich so sehr, dass sie niemandem ihren Fehler eingestand. Vor der Welt gab sie weiterhin vor, ihre Ehe wäre glücklich, doch ihre Liebe für Lionel war erloschen. Ihr Bruder hatte seinen Schwager von Anfang an abgelehnt und sogar versucht, die Heirat zu verbieten, doch Serena hatte sich durchgesetzt.

Kurz nachdem sie erkannt hatte, dass es besser gewesen wäre, auf George zu hören, wurde Lionels Regiment nach Indien geschickt, wo er vor zwei Jahren in einer Schlacht gefallen war. Er hatte den Heldentod erlitten, hatte man ihr versichert, und Serena hatte sich für die Zeit ihrer Trauer aufs Familiengut in Yorkshire zurückgezogen. Alle waren davon ausgegangen, dass sie gramerfüllt war vom Tod ihres Gatten, doch Serena hatte die Zeit genutzt, um sich vorzubereiten. Um Kraft zu finden. Sie war entschlossen gewesen, keine Fehler mehr zu begehen, und schwor sich, nie wieder willentlich ihre Freiheit aufzugeben.

Lionels Vergangenheit sollte sie jedoch erneut heimsuchen. Tatsächlich war es wegen Lionel, dass sie heute gezwungen gewesen war, sich mit Silas Mort zu treffen.

Vor einer Woche war sie mit Martha im Park spazieren gegangen, als ein in Lumpen gekleideter Mann mit vernarbtem Gesicht auf sie zu hinkte. „Geld für einen armen, alten Soldaten, Mylady?“, hatte er gejammert. Martha wollte ihn schon fortscheuchen, aber der Mann war näher gekommen und hatte geflüstert: „Ich habe Ihnen etwas über Ihren Mann zu sagen, Lady Serena. Es wäre klug von Ihnen, mir zuzuhören.“

Und so, Böses ahnend, hörte Serena dem Mann zu.

Er hieß Silas Mort und war vor zwei Jahren unter dem Befehl ihres Mannes als Soldat in Indien gewesen. „Es heißt, er ist als Held gestorben, als er gegen den Sultan von Mysore und seine Männer kämpfte“, sagte Mort. „Aber ich muss Ihnen sagen, Mylady, sobald der Sultan das Feuer auf unsere Männer eröffnete, geriet Ihr Gatte in Panik und rannte um sein Leben. Man konnte vor lauter Rauch von den Gewehren und Kanonen kaum etwas sehen, und so machte er den Fehler, auf eine Gruppe Männer des Sultans zuzulaufen, die darauf warteten, unsere Flanke anzugreifen. Natürlich schossen sie ihn nieder. Später hieß es dann, er hätte sie mutig angegriffen. Den Teufel hat er getan! Er lief um sein Leben, und dank des Rauchs haben seine Offiziersfreunde es nicht bemerkt, aber meine Jungs und ich haben alles genau gesehen. Bei der Schlacht fing ich mir eine Kugel ins Knie ein und kam zurück nach London, wo ich mich mittellos und mit einem unnützen Bein zurechtfinden musste. Aber ich habe für mein Land gekämpft, verstehen Sie? Und wenn ich höre, dass Willoughby wie ein Held gefeiert wird, obwohl er versucht hat, wie ein verängstigtes Karnickel vor dem Feind davonzulaufen, dann muss ich sagen, dass das nicht gerecht ist!“

Also war sogar Lionels Heldentod eine Lüge gewesen. Die Geschichte des Soldaten mit dem Narbengesicht klang nur allzu wahrscheinlich. Serena hatte schon immer vermutet, dass solch heldenhaftes Handeln ganz und gar nicht zu ihrem Mann passte. Er war wie ein Feigling gestorben, aber die Vorstellung, die ganze Welt könnte das erfahren, war unerträglich.

Sie, Lady Serena, sind viel zu stolz, hatte Lefevre zu ihr gesagt. Und damit hatte er recht. Deswegen hatte sie zugestimmt, als Silas Mort für sein Schweigen Geld von ihr verlangt hatte, sich mit ihm zu treffen.

Ein großer Fehler! Sie erinnerte sich noch deutlich, wie sie vor Angst gezittert hatte. Erst als Raphael Lefevre erschienen war, hatte sie sich wieder sicher gefühlt. Als er einen Arm um sie gelegt und sie an seinen starken, harten Körper gezogen hatte, war etwas Seltsames in ihr erwacht – etwas Wildes, Unerwartetes und erschreckend Schamloses.

Ihr Körper hatte sie in diesen wenigen Minuten der Schwäche verraten. Serena konnte nicht leugnen, dass sie ein Verlangen für diesen Mann empfunden hatte, das sie fast mehr erschreckt hatte als Silas Morts Drohungen. Hatte der abscheuliche Marquis ihre Verletzlichkeit bemerkt? Es war sehr wahrscheinlich, denn er hatte ihr mit einem allzu wissenden Lächeln tief in die Augen gesehen.

Was er auch getan hatte, um sie in seinen Bann zu ziehen, er war ein Meister darin. Kein Wunder, dass die Frauen sich ihm reihenweise an den Hals warfen. Aber sie selbst gehörte nicht zu diesen Frauen! Sie war zu klug dazu – oder? Sie saß zwar am Kamin, aber es war nicht das Feuer, das sie bis ins Innerste erglühen ließ, es war der Gedanke an Raphael Lefevre und daran, wie sie in seinen Armen gelegen hatte. Es war die Erinnerung an seinen Mund, mit dem er sie so aufregend geküsst hatte.

Abrupt legte sie ihr Buch beiseite und ging durch das Zimmer zum Spiegel, um sich das Haar zu bürsten. Die gemächlichen Bewegungen mit der Bürste beruhigten sie normalerweise sehr, aber heute versetzte ihr Spiegelbild sie in Aufruhr. Ihre blaugrünen Augen sahen fast gehetzt aus. Ihre Lippen schienen voller als sonst, als würden sie den Kuss dieses Schurken noch einmal erleben. Und als sie ihr Nachthemd glatt strich, fiel ihr auf, wie empfindlich ihre Haut auf jede Berührung reagierte, wie ihre kleinen Brüste sich seltsam schwer anfühlten.

Lefevre hatte darauf bestanden, sie morgen zu besuchen, also würde sie einfach dafür sorgen, nicht zu Hause zu sein. Problem gelöst. Und was den Kuss anging, würde kein wahrer Gentleman je darüber reden. Aber wenn nun einer seiner Freunde sie erkannt hatte, wie Lefevre zu bedenken gegeben hatte?

Sie kletterte in ihr Himmelbett und klopfte ihr Kissen in Form, um es sich bequem zu machen. Lieber Himmel, die Neuigkeit ihres Kusses würde ganz London in Aufruhr versetzen!

Lefevre selbst hatte aufgrund seines Titels und Reichtums für ziemliche Aufregung gesorgt, als er im vergangenen Jahr hier aufgetaucht war. Denn im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute, die vor dem Chaos nach der Revolution geflohen waren, war es ihm irgendwiegelungen, einen großen Teil seines Vermögens mitzunehmen. Natürlich schmälerte es seine Beliebtheit nicht, dass er außerdem über eine eindrucksvolle Erscheinung und beißenden Humor verfügte. Tatsächlich war die Gesellschaft des Marquis’ so gefragt, dass Serena erstaunt gewesen war, als er sie auf einer Soiree vor fünf Monaten um einen Tanz gebeten hatte.

Noch mehr überraschte es sie, wie höflich er war und wie angenehm seine Manieren. „Ich hörte, Sie haben Ihren Mann bei einer Schlacht in Indien verloren“, sagte er. „Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?“

Sie fand seinen kaum merklichen französischen Akzent verführerisch und seine Nähe seltsam beunruhigend. Doch am Ende des Tanzes wankte einer seiner Freunde heran und klopfte ihm auf die Schulter. „Verdammt noch mal, Lefevre, du hast deine Wette gewonnen! Ein ganzer Tanz mit dem ‚Eisberg‘. Ich schulde dir zehn Guineas, du Halunke!“

Eine Wette! Der hassenswerte Marquis hatte mit ihr tanzen wollen, um eine Wette zu gewinnen.

An jenem Abend hatte sie nicht schlafen können. Und jetzt lag sie in ihrem gemütlichen, weichen Bett und wartete wieder vergebens darauf, dass der ersehnte Schlaf sie alles vergessen ließ. Warum ging ihr der Kuss von vorhin nicht aus dem Kopf, warum glühte ihr ganzer Körper, als hätte der fürchterliche Mann sie mit einem teuflischen Bann belegt?

Ruhelos warf sie sich im Bett hin und her und kämpfte gegen die Erinnerung an seine festen, meisterhaften Lippen auf ihrem Mund an und daran, wie seine geschickten Hände sie an ihn gedrückt hatten. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, wenn sie sich vorstellte, dass sie zum Gespött der Leute werden würde, sollten sie je von jenem Kuss erfahren.

Abrupt stand sie wieder auf und trat zitternd ans Fenster, wo sie den Vorhang ein wenig beiseiteschob. Seufzend lehnte sie die Stirn an die kühle Scheibe, blickte hinaus und erschauerte. Sie konnte einfach nicht vergessen, mit welcher Kraft und gleichzeitig erstaunlicher Sanftheit er sie an sich gezogen hatte. Dieses eine Mal hatte seine Stimme nicht spöttisch geklungen, sondern fürsorglich und sogar warmherzig. In dem Moment war es Serena so vorgekommen, als würde sie innerlich dahinschmelzen, als würde die schmerzhafte Einsamkeit tief in ihrem Herzen sich in Luft auflösen …

Lieber Himmel, wie hatte sie nur eine solche Närrin sein können?

Sie blickte hinauf, wo der Vollmond hoch über den Schornsteinen am Nachthimmel stand, und tröstete sich damit, dass Lefevre wenigstens nicht wissen konnte, weswegen Mort sie erpresst hatte. Er wusste nicht, dass ihr Mann wie ein Feigling gestorben war. Heute hatte der spöttische Marquis lediglich die Gelegenheit ergriffen, sie zu demütigen. Mehr war nicht passiert. Und sein Angebot, sie zu schützen, war sicher nur ein Scherz gewesen. Silas Mort würde sich von ihr fernhalten, da war sie sicher. Denn er hatte nicht nur sein Geld erhalten, er hatte auch feststellen müssen, dass sie über gute Beziehungen verfügte, die ihm gefährlich werden konnten.

In diesem Moment fiel ihr eine Bewegung auf der Straße auf. Ein streunender Hund vielleicht? Doch dann erschien ein Schatten auf der anderen Straßenseite, und Serena erkannte den Mann, der dort stand und zu ihrem Fenster heraufstarrte.

Sie schnappte erschrocken nach Luft. Schwarzer Hut, schwarzer Mantel, vernarbtes Gesicht – es war Silas Mort! Hastig wich sie zurück. Aber es war zu spät. Er wusste, dass sie ihn gesehen hatte, denn er grinste grausam und tippte sich an die Hutkrempe, als wollte er sagen: Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig, Mylady.

4. KAPITEL

Gegen halb elf in derselben Nacht betrat Raphael Lefevre seinen Club am Piccadilly. Der beliebte Treffpunkt der Reichen und Vornehmen war überfüllt wie immer um diese Uhrzeit. Unter den blitzenden Kronleuchtern saßen ältere Gentlemen in ihren Ledersesseln und ließen sich von livrierten Dienern das gewünschte Getränk servieren. Ging man weiter und unter einem Torbogen hindurch, fand man zwanzig oder mehr Spieler an den grünen Kartentischen sitzen, die ihr Blatt mit vorgetäuschter Gleichgültigkeit betrachteten. Die Hitze, die lauten Stimmen, der Geruch nach Haarpuder und Pomade schienen Raphael ersticken zu wollen. Er hielt inne.

„Da ist er ja, unser Marquis.“ Ein Mann stieß seinen Nachbarn an. „Hast du schon gehört? Vor einer Stunde hat Giles Beaumaris es mir gesagt. Dieses Mal hat sich Lefevre in einer wirklich kompromittierenden Situation erwischen lassen – noch dazu ausgerechnet mit Lady Serena Willoughby.“

Man zeigte sich allgemein erstaunt. „Nein! Lady Serena? Beaumaris muss gelogen haben.“

„Überhaupt nicht“, beharrte der Mann zufrieden. „Er meinte, Finlay und Hawkesworth hätten es auch gesehen. Und er hat Stein und Bein geschworen, dass der Marquis die Lady geküsst hat! Wir alle wissen ja, wie scharfzüngig Lady Serena sein kann. Aber Lefevre hat ihr offenbar beigebracht, wie sie viel erfreulicher von ihrer Zunge Gebrauch machen kann!“

Er brach abrupt ab, als ihm auffiel, dass Lefevres Blick finster auf ihm ruhte.

„Guten Abend, Gentlemen.“ Raphael nickte den Männern knapp zu. „Wie faszinierend zu sehen, dass meine angeblichen Heldentaten schon wieder für Ihr Vergnügen sorgen.“

Der Mann wich bereits zurück. „N…nichts für ungut, Monsieur le Marquis“, stammelte er.

„Sie scheinen zu fürchten, dass ich Sie fordern könnte“, sagte Raphael lässig und lachte. „Monsieur, Sie können beruhigt sein. Glauben Sie mir, Sie sind es nicht wert.“ Und ohne die Männer eines weiteren Blickes zu würdigen, schlenderte er an ihnen vorbei und auf den Billardraum zu.

Also hatte Giles Beaumaris tatsächlich erkannt, dass es sich um Lady Serena handelte. Raphael hatte es befürchtet, da Beaumaris eine Vorliebe für sie entwickelt hatte, bis sie seine Annäherungsversuche mit ziemlicher Schärfe entmutigt hatte. Also plauderte Beaumaris, der gekränkte Verehrer, das Geheimnis einfach aus.

Im Billardraum erwartete ihn lediglich Sir Dominic Southern, mit dem er ein Spiel verabredet hatte. Aber Raphael kam spät, und Dominic, einer seiner respektableren Freunde, musterte ihn mit einer Mischung aus Sorge und Gereiztheit, als Raphael ihn mit einem Nicken begrüßte und ein Queue aufnahm.

„Ich weiß nicht“, sagte Dominic schließlich, „ob ich dir applaudieren oder um dich weinen soll, Raphael. Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass der gesamte Club von nichts anderem redet als deinem Stelldichein mit Lady Serena, oder? Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?“

Sie waren im gleichen Alter, aber Dominic war blond und Raphael dunkelhaarig. Dominic trug einen braunen Rock und Kniehosen, die allerdings den leicht ausgeblichenen, fast rustikalen Stil des letzten Jahrzehnts aufwiesen, während Raphael in Sachen Mode den Ton angab. Viele beschrieben Dominic als den vollkommenen englischen Gentleman, und Raphael wurde allgemein als der vollkommene französische Gauner betrachtet.

Er rieb seine Queuespitze sorgfältig mit Kreide ein. „Vielleicht habe ich es mir ja zur Lebensaufgabe gemacht, die Klatschmäuler zu unterhalten.“ Er studierte die Lage der Kugeln auf dem Billardtisch.

„Was Beaumaris sagte, ist also wahr?“ Dominic schüttelte aufgebracht den Kopf. „Heute bist du zu weit gegangen, Raphael. Zufällig habe ich Lady Serena sehr gern.“

„Wirklich?“ Raphael hob eine Augenbraue. „Manche halten sie für einen zänkischen Drachen. Aber wenn du die Wahrheit wissen willst, habe ich sie in einer sehr heiklen Lage mit einer Bande von Rüpeln erwischt. Ich sagte ihnen, sie sollen sie in Frieden lassen.“ Er stieß eine elfenbeinfarbene Kugel an, dass sie quer über den Tisch schoss, und sah wieder auf. „Als Mitglied des Parlaments und als Mann, der es für seine Pflicht hält, das Gesetz zu achten, hättest du nicht genau dasselbe getan wie ich?“

Dominic ließ einen gereizten Seufzer vernehmen. „Aber du hast sie umarmt! Man hat gesehen, wie du sie sogar geküsst hast! Was läuft zwischen euch? Sag mir nicht, dass du schon kurz davor bist, sie zu verführen. Mein Gott, wenn ich ein Spieler wäre, würde ich sagen, dass deine Chancen gleich null stehen!“

Raphael richtete sich auf und blies Kreidestaub von der Spitze seines Queues. „Beim Wetten verlierst du meist, mon ami. Also stehen meine Chancen, die Dame zu verführen, wohl eher gut. Das heißt“, fügte er nachdenklich hinzu, „wenn ich es wollte.“ Er wies auf den Tisch. „Du bist an der Reihe.“

Dominic rührte sich nicht. „Lieber Himmel, Raphael. Du weißt, dass ich dich immer verteidige, aber Lady Serena hat mächtige Freunde und ist sehr wohlhabend. Darüber hinaus hat sie einen hoch angesehenen älteren Bruder, der zufällig noch ein Earl ist. Also sei sehr vorsichtig. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.“

„Schön, dann können wir also unser Spiel fortsetzen? Wie ich schon sagte, du bist an der Reihe.“

Eine Weile spielten sie schweigend. Sie hatten sich in Eton kennengelernt, wo Raphael von seinem Vater hingeschickt worden war. „Weil er mich aus dem Weg haben wollte“, hatte er oft bitter behauptet. „Mein älterer Bruder Guy war stets der pflichtbewusste Erbe, ich jedoch steckte immer in irgendeiner Patsche.“ Dominic war damals bei vielen Streichen in der Schule und später in Oxford Raphaels widerwilliger Komplize gewesen, aber Dominics größte Tugend war seine Treue. Als der Marquis vor acht Jahren gestorben war, hatte Raphaels älterer Bruder den Titel und die Güter im Süden Frankreichs geerbt, und Raphael selbst hatte sich dafür entschieden, als Offizier in die französische Armee einzutreten. Während all der Zeit war er brieflich mit Dominic in Verbindung geblieben, und sein Freund hatte ihn sogar in einem Sommer auf dem Familiengut besucht. Doch danach war kein Wort mehr von Raphael gekommen.

„Es hatte keinen Sinn gehabt“, hatte er seinem Freund bei ihrem Wiedersehen vor einem Jahr in London erklärt. „Ich war die meiste Zeit mit der Truppe im Ausland. Und dann geschah die Revolution. Glaubst du also wirklich, ich hätte die Zeit gehabt, Briefe zu schreiben? Oder dass sie dich dann auf irgendeine Weise hätten erreichen können?“

Dennoch war Dominic einer der Ersten gewesen, die Raphael begrüßt hatten, als er nach England gekommen war, überglücklich, seinen alten Freund gesund und munter wiederzusehen. Zu der Zeit hatte Raphael den Titel geerbt, weil sein Bruder gestorben war – ermordet von einer revolutionären Meute, wie Raphael ganz knapp erwähnt hatte. Er sprach nur selten von der Vergangenheit, und er wusste, dass Dominic enttäuscht über die Art war, mit der sein alter Freund sich in die Vergnügungen Londons stürzte.

Nicht wenige Leute beschwerten sich darüber, dass der Marquis de Montpellier sich so leicht von den Freuden der englischen höheren Gesellschaft trösten ließ, während Frankreich regelrecht im Blut seiner Untertanen ertrank. Doch der größte Teil des ton bewunderte sein Stilgefühl, wenn es um Mode ging, und seinen trockenen Humor, mit dem er sich vor allem über jene Leute mokierte, die das Leben zu ernst nahmen. Seine Streifzüge in die Unterwelt Londons mit ihren Hahnenkämpfen und riskanten Glücksspielen und in die Halbwelt ganz allgemein wurden lediglich als ein Anzeichen seiner kontinentalen Erbschaft abgetan. Aber vor allem bei den jungen Männern und dem schönen Geschlecht konnte all das seiner Beliebtheit nichts anhaben.

Aber traf das auch auf Lady Serena Willoughby zu?

Sie hatte sich Raphaels Charme gegenüber als immun, ja sogar ablehnend erwiesen, und vor allem in der letzten Zeit hatte ihre Feindseligkeit sich zu einem Problem ausgewachsen. Heute Abend war es Raphael gelungen, die Oberhand zu gewinnen. Aber brachte ihm das auch nur die geringste Befriedigung? Dieu, das sollte es jedenfalls! Doch stattdessen sah er ständig ihr zartes, verletzliches Gesicht vor dem inneren Auge, als sie in seinen Armen gezittert hatte. Und der Ausdruck in ihren schönen blaugrünen Augen, als er sich vorgebeugt hatte, um sie zu küssen …

„Du bist dran, Raphael.“ Dominic sah ihn stirnrunzelnd an. „Hast du mich nicht gehört?“

„Oh, natürlich. Verzeih mir.“

Das Problem war, dass Raphael niemals in der Lage gewesen war, Lady Serena lange aus seinen Gedanken zu vertreiben – und das seit ihrer ersten Begegnung im vergangenen November. Die schlicht gesagt eine Katastrophe gewesen war. Natürlich hatte er schon viel über sie gehört und wusste, dass sie und ihre drei engsten Freundinnen von einem Witzbold, der sich wohl die Gunst dieser vier vornehmen Damen verscherzt hatte, den Spitznamen „Wankelmütige Witwen“ bekommen hatten. Alle vier hatten ihren Gatten in einem relativ jungen Alter verloren und wurden seitdem von vielen Verehrern, besonders Mitgiftjägern, verfolgt. Doch alle vier waren sich darin einig, dass sie kein Verlangen nach einem neuen Ehemann verspürten.

Raphael hatte eigentlich vermutet, dass es sich bei diesen vier Damen um sehr unansehnliche Exemplare ihres Geschlechts handeln musste. Als er Lady Serena dann jedoch begegnete, war er aus allen Wolken gefallen.

Selbst jetzt noch erinnerte er sich ganz genau an das durchscheinende pfirsichfarbene Kleid, das sie getragen hatte. Es war hochgeschlossen, aber eng anliegend und mit Pailletten und Perlen bestickt. Ihre Arme steckten in langen cremefarbenen Handschuhen, die hoch über dem Ellbogen endeten und ihn nur einige Zentimeter nackter Haut sehen ließen, die seine Fantasie jedoch in eine sehr gefährliche Richtung gelockt hatten – so wundervolle Arme. Seiner Erfahrung nach bedeutete das, dass auch ihre Beine lang und schlank waren und sich in dem verlockenden Bereich über ihren Strümpfen verführerisch rundeten …

Er wusste noch, wie er solch skandalösen Gedanken hastig ein Ende gemacht hatte und entschlossen weitergegangen war. Doch dann griff das Schicksal ein. Denn in genau diesem Moment hörte er die Bemerkung einiger gehässiger älterer Frauen, die ganz in der Nähe miteinander tuschelten.

Ein skandalöses Kleid. Man kann ja fast durch den Stoff hindurchsehen! Frauen wie sie sind eine Bedrohung. Entweder stehlen sie die Aufmerksamkeit, die eigentlich unseren Töchtern gehören sollte, oder sie sind darauf aus, unsere Gatten ins Verderben zu locken.

Und auch Serena hatte sie gehört. Er erkannte es daran, dass sie plötzlich die schmalen Schultern straffte und das Kinn stolz reckte. Und da ging er auf sie zu.

„Was für ein Haufen böser alter Drachen“, sagte er heiter. „Ich finde Ihr Kleid vielmehr wunderschön. Mein Name ist Raphael Lefevre. Ich weiß, es ist ungehörig von mir, Sie einfach anzusprechen, wenn wir uns noch gar nicht kennen, aber ich hoffe, Sie werden mir dennoch die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen, Lady Serena.“

Als er ihre Hand nahm und Serena auf die Tanzfläche führte, ergriff ihn das seltsame Gefühl, einer sehr ungewöhnlichen Frau begegnet zu sein – einer unabhängigen, aufrichtigen Frau, die außerdem eine wahre Schönheit war. Ihre Augen waren ihm zuerst aufgefallen, jene blaugrünen Augen, tief wie das Meer, umrahmt von dichten Wimpern und unglaublich ausdrucksvoll. Und dann hatte sein Blick sich unwillkürlich auf ihren vollen rosigen Mund geheftet. Erst allmählich erkannte er, dass sie ganz im Gegensatz zu seinen Erwartungen eher scheu und verwundbar war.

„Ich werde mich nicht von ihnen einschüchtern lassen“, flüsterte sie.

„Bravo“, antwortete er lächelnd.

Raphael wusste, dass sie mit einem hochrangingen Armeeoffizier verheiratet gewesen war, der bei einer Schlacht den Heldentod erlitten hatte. Und er hatte ebenfalls erfahren, dass Lady Serena nach einer angemessenen Trauerzeit verkündet hatte, sie habe nicht den Wunsch, erneut eine Ehe einzugehen. Hatte der Tod ihres Mannes ihr das Herz gebrochen? Er war froh, dass es ihm gelang, sie zum Lächeln zu bringen, und er empfand eine Art Verbindung zu ihr, die ihn wünschen ließ, er könnte bei ihr bleiben, nachdem der Tanz geendet hatte.

Aber danach war alles schnell auf die Katastrophe zugeeilt, weil jemand eine Wette erwähnte. Lady Serena hatte ihn sofort dafür bestraft, und inzwischen zählte ihre gegenseitige Feindschaft zu einer der vielen Vergnügungen des ton.

„Männer wie Raphael Lefevre“, hatte sie schon bald darauf auf einer Gesellschaft bemerkt, „mit ihrer Leidenschaft fürs Spielen und Trinken und ihrer Angewohnheit, Frauen wie ein Spielzeug zu behandeln, lassen erkennen, warum es eine Revolution in Frankreich gegeben hat.“

Raphael war gerade in dem Moment in der Nähe und verbeugte sich anmutig vor ihr. „Ich behandle Frauen wirklich manchmal wie ein Spielzeug, Madame“, erklärte er höflich. „Aber nur wenn besagte Damen mich nett darum bitten.“

Mehrere Damen schnappten schockiert nach Luft, einige kicherten. Raphael schlenderte einfach unbekümmert weiter, sich nur allzu bewusst, dass seine Bemerkung sich bald überall herumgesprochen haben würde. Lady Serenas anfängliche Angriffe hatten ihm nicht wirklich geschadet. Aber neulich war sie einen Schritt zu weit gegangen und hatte angefangen, Fragen über seine Vergangenheit zu stellen. Es wurde Zeit für ihn, entschlossener vorzugehen. Der heutige Abend hatte ihm die Gelegenheit dazu geschenkt.

Das Billardspiel war nicht von langer Dauer, und schon bald verließ Raphael den Club. Es war spät, aber statt nach Hause zu gehen, schlug er die Richtung nach Leicester Fields ein, wo noch viele Schenken geöffnet waren. Und in einer von ihnen fand er seinen Diener Jacques vor.

Raphael setzte sich neben ihn. „Und? Hast du Silas Mort aufgespürt?“

Jacques wischte sich den Bierschaum von den Lippen. „Das hab ich. Er und ein paar seiner Freunde besitzen Räume in einer Herberge ganz in der Nähe, und ich folgte ihnen zu einer Kneipe, die sie gern aufsuchen. Einer von ihnen war angetrunken, und ich habe ihm noch mehr zu trinken gegeben. Am Ende hat er ausgeplaudert, dass Mort eine große Dame erpresst. Und es ist genauso, wie Sie gedacht haben, Mylord.“

Raphael nickte. „Bien“, sagte er leise. „Sehr gut, Jacques. Und was ist mit dem anderen Burschen, den du untersuchen solltest? Jeremy Wolverton?“

„Wolverton ist ein Geschäftsmann, der ein Vermögen mit dem Import teurer Stoffe gemacht hat. Jeden Sonntag besucht er gewissenhaft die Kirche, und zufällig gehört er zu Lady Serena Willoughbys glühendsten Verehrern.“

Jacques war Bretone, nicht sehr groß, aber drahtig und stark. Man hatte ihn sagen hören, dass er bereit wäre, für seinen Herrn zu sterben, aber er fürchtete sich nicht davor, ihm seine offene Meinung zu sagen. Und genau das tat er jetzt. „Sie sind ein großes Risiko eingegangen, als Sie heute mit jener Frau aneinandergeraten sind. Sie müssen sie zum Schweigen bringen, nicht verführen.“

Raphael nahm einen großen Schluck von dem Ale, das der Wirt ihm gebracht hatte, und betrachtete seinen Diener einen Moment nachdenklich. Schließlich sagte er leise: „Aber was ist, wenn beides sich als dasselbe herausstellt, mon ami? Was ist, wenn der einzige Weg, sie zum Schweigen zu bringen, der ist, sie zu verführen?“

Jacques seufzte tief auf. „Sie befinden sich auf einem gefährlichen Kurs, Mylord. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!“

„Gibt es etwas Neues von der anderen Sache, die uns nach London geführt hat?“

„Nein, Mylord. Ich habe nicht aufgehört zu fragen – vorsichtig, wie Sie es wollten –, aber es gibt nichts Neues. Soll ich eine Droschke für Sie finden?“

Raphael sah auf seine Taschenuhr. „Nein. Es regnet nicht, also ziehe ich es vor, zu Fuß zu gehen.“ Um einen klaren Kopf zu bekommen, sagte er sich insgeheim. Sie würden nicht mehr als zwanzig Minuten brauchen, um das Stadthaus am Grosvenor Square zu erreichen, das Raphael gemietet hatte und wo Jacques ein Zimmer in der Dachkammer über den Ställen bewohnte. „Ich traue diesen englischen Stallburschen nicht, Mylord.“

Raphael war da einer Meinung mit Jacques. Er traute niemandem, wenn er es recht bedachte – abgesehen von Jacques und seinem alten Freund Dominic.

Als spürte er die Stimmung seines Herrn, sagte Jacques auf dem Heimweg kein Wort, und in der Stille wurde Raphael bewusst, wie der Mond über ihnen tapfer versuchte, die dichten Wolken zu durchdringen. Wo es ihm gelang, ließ er die feuchten Hausdächer und Straßen silbern schimmern. Aber Raphaels Gedanken blieben düster. Ich dachte, selbst Sie könnten nicht so tief sinken, hatte Lady Serena ihn beschuldigt.

Wie viel schlechter konnte Lady Serena eigentlich noch von ihm denken? Morgen würde sie erfahren, dass man sie als die Frau in seinen Armen erkannt hatte.

Dank Jacques, der ihr seit Wochen gefolgt war, hatte Raphael erfahren, dass Silas Mort sie neulich im Park behelligt hatte. Er hatte die Einzelheiten über ihr geplantes Treffen gewusst, wieder dank Jacques. Und so hatte er es so eingerichtet, dass er sich in der Nähe des Platzes befand und beobachten konnte, was geschah. Außerdem hatte er – und das war der riskanteste Teil seines Plans gewesen – dreien seiner Bekannten vorgeschlagen, sich dort kurz nach neun mit ihm zu treffen.

Serena war einige Minuten zu spät gekommen, was Raphael zunächst beunruhigt hatte, aber glücklicherweise waren auch seine Freunde ein wenig später aufgetaucht. Er hatte Serena in die Arme genommen, sobald er seine Freunde in einiger Entfernung bemerkt hatte. Und dann hatten sie mit angesehen, wie eine der hochmütigsten Damen des ton in seinen Armen gelegen hatte. Die Neuigkeit hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.

Er fragte sich, was Lady Serena davon halten würde, wenn sie wüsste, dass alles genau – und zwar exakt – nach seinem Plan verlaufen war.

5. KAPITEL

Der folgende Tag, zwei Uhr nachmittags

Serena wusste vom ersten Moment an, nachdem sie den Raum betreten hatte, dass ihre Freundinnen jede Einzelheit von ihrer schauderhaften Begegnung mit Raphael Lefevre erfahren haben mussten.

Sie kamen oft auf diese Weise in einem ihrer Häuser zusammen, und heute fand ihr Treffen bei Lady Joanna in der Brook Street statt, und es war Joanna, die als Erste das Wort ergriff. „Also wirklich, Serena, meine Liebe.“ Joanna war die Enkelin eines Dukes und sprach jedes Wort mit aristokratischer Gelassenheit aus. „Was für ein ausgesprochen saftiger Skandal. Erzähl uns doch bitte, wie es dazu kam, dass du in die Gesellschaft des köstlichen Marquis geraten bist.“

Serena winkte achtlos ab. „Ach was. Ihr wisst doch, wie sehr die Klatschmäuler zu Übertreibungen neigen.“

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Beth sie an. „Aber Serena, hast du diesem fürchterlichen Mann wirklich erlaubt, dich zu küssen?“

Serena klopfte das Herz bis zum Hals. Und was für ein Kuss … Zu ihrer Erleichterung rettete das Erscheinen der Diener sie davor, sofort antworten zu müssen. Sie brachten große Servierteller mit winzigen Lachsbroten, Spargeltörtchen und Schokoladeneclairs.

Serena aß ohne Appetit. Sie wusste, sie war nur so lange sicher, wie die Diener ihnen die Erfrischungen servierten. Aber bald würden sie den Salon verlassen und drei neugierige Augenpaare würden sich gnadenlos auf Serena konzentrieren.

Diese Frauen waren ihre engsten Freundinnen, genau wie Serena waren auch sie vermögend und von guter Herkunft. Schon immer hatten sie in denselben Kreisen verkehrt, und dann hatte Mary eine noch festere Bindung zwischen ihnen geschaffen, als sie sie gebeten hatte, ihr bei der Leitung einer Armenschule in Spitalfields, eines der ärmsten Viertel im Osten von London, zu helfen.

„Wie können wir diesen Kindern am besten helfen?“, hatte sie sich an Serena gewandt. „Indem wir dafür sorgen, dass sie eine Ausbildung erhalten. Das ist der Schlüssel zu allem!“

Mit trockenem Humor und einem enormen Vermögen ausgestattet, das sie nach dem Tod ihres Mannes, eines erfolgreichen Geschäftsmannes, geerbt hatte, erwies Mary sich als die geborene Anführerin, die entschlossen war, ihr Geld für wohltätige Zwecke zu verwenden. „Wir müssen diese Mädchen bilden, damit sie es erkennen, wenn die Männer ihnen Lügen auftischen“, hatte Joanna auf ihre unverblümte Art verkündet.

Doch dann wurde Lionel Willoughby nach Indien geschickt, wo er starb. Serena sagte sich oft, dass es der Verlust ihres Gatten war, der für die besonders enge Bindung der vier Freundinnen verantwortlich war – ganz besonders da viele verheiratete Frauen ihre Gesellschaft mieden.

„Als ob ich mich für einen ihrer öden Männer interessieren könnte!“, hatte Joanna einmal lachend ausgerufen. „Aber von einem Wüstling könnte ich mich leicht in Versuchung bringen lassen – oh ja, von einem gutaussehenden, verwegenen Schwerenöter. Ich bin entschlossen, nicht mein Leben an mir vorbeiziehen zu lassen, nur weil mein Mann bereits das Zeitliche gesegnet hat!“

Beth war ein wenig schockiert gewesen. Sie hatte ihren Mann, einen freundlichen Gutsherren aus Hampshire, sehr geliebt und war am Boden zerstört gewesen, als er vor zwei Jahren an einem Fieber starb. „Joanna“, protestierte sie. „Das kannst du unmöglich ernst meinen. Einen Wüstling?“

„Ich meine es sogar sehr ernst.“ Joanna klappte ihren Fächer zusammen. „Wenn ich nur die Gelegenheit bekäme. Nimm zum Beispiel den Marquis de Montpellier. Mit dem würde ich jederzeit zum Tanz antreten – und sogar sehr viel mehr.“

Alle wurden still, denn der Marquis hatte den ton im Sturm erobert, obwohl er erst kürzlich in England erschienen war. Und selbst Serena, die noch nicht jenen verhängnisvollen Tanz mit ihm gewagt hatte, musste zugeben, dass er auch ihr Interesse geweckt hatte. Ja, das war das richtige Wort. Ein gewisses Interesse. Mehr nicht.

Bald schon wurden die vier Freundinnen zu den treuesten Verbündeten, die sich jede Woche zu Wein und Gebäck zusammenfanden.

Als Mary mit ihrer allzu scharfen Zunge einen lächerlichen Stutzer vom Gefolge des Prinzen beleidigte, hatte er sich gerächt, indem er den vier Freundinnen den Spitznamen „wankelmütige Witwen“ anhängte. „Aber wir sind doch gar nicht wankelmütig!“, rief Beth entrüstet.

Joanna andererseits hatte es sehr amüsant gefunden, und auch Mary hatte gelacht. „Meine Lieben, ich sehe es eher als Kompliment an, wenn es ein solcher Dummkopf von sich gibt!“

Jetzt nahm Serena den letzten Schluck ihres zart duftenden Tees und atmete tief ein. Das letzte Éclair war verspeist, die Diener verließen den Salon, und Serena spürte, wie mit ihnen auch ihr Mut sie verließ. Drei Köpfe wandten sich ihr erwartungsvoll zu.

„Und?“, drängte Joanna.

Serenas Versuche, das Unerklärbare zu erklären, fielen recht dürftig aus, und wie hätte es auch anders sein können? Sie konnte nicht den wahren Grund für ihre Anwesenheit in Covent Garden angeben, und sie konnte nicht leugnen, dass Raphael Lefevre sie umarmt und geküsst hatte. Hatte sie ihn wenigstens abgewehrt? Ganz im Gegenteil.

Beth sah sie noch immer verständnislos an. „Aber wie entsetzlich, dass er deine Situation ausgenutzt hat, da du doch allein und ihm schutzlos ausgeliefert warst, Serena! Und wie kannst du es bloß lustig finden, Joanna?“

„Beth, mein Liebes“, tadelte Joanna. „Du bist ein herzensguter Mensch, aber manchmal so unglaublich naiv. Ich stelle mir vor, dass unsere liebe Serena womöglich ein heimliches Stelldichein mit Monsieur le Marquis hatte. Schließlich sind wir die wankelmütigen Witwen. Dürfen wir unserem Spitznamen nicht hin und wieder gerecht werden?“

Beth errötete heftig und berührte unwillkürlich das Silbermedaillon an ihrem Hals, in dem sie das Porträt ihres verstorbenen Mannes verbarg. „Keine von uns ist wankelmütig. Und ich möchte es auch gar nicht sein!“

„Wir auch nicht, Beth“, warf Mary ruhig ein und sah Serena an. „Weißt du, meine Liebe, du solltest Lefevre bei den Behörden anzeigen. Wenn der Mann glaubt, er könnte eine Dame in aller Öffentlichkeit beleidigen, musst du um unser aller willen ein Exempel an ihm statuieren.“

Joanna musterte Serena inzwischen neugierig. „Komm schon, Serena. Wir sehen jetzt schon seit Wochen mit an, wie du und der aufregende Marquis euch ständig in die Haare geratet. Kann es sein, dass ihr euch warum auch immer entschieden habt, euch auf die angenehmste Art zu versöhnen?“

Was sollte Serena dazu sagen? „Ich war so unvernünftig, allein auszugehen“, erwiderte sie zögernd.

„Nach Covent Garden? Spät abends?“, meinte Mary skeptisch. „Dein Kutscher war doch sicher nicht bereit, dich dort hinzufahren?“

„Ich nahm eine Mietdroschke“, erklärte Serena. „Ich hatte nicht vor … nun, ich achtete nicht darauf, wohin ich fuhr. Ich schickte die Droschke fort und ging ein Stück zu Fuß weiter, aber dann belästigte mich eine Gruppe von Männern in der Nähe des Platzes. Und Monsieur Lefevre kam zufällig vorbei.“

„Monsieur Lefevre tauchte gerade rechtzeitig auf, um dich vor den Grobianen zu retten?“, fragte Beth ganz atemlos.

„Ja, und danach entschuldigte er sich für … sein recht zudringliches Verhalten. Er machte mir klar, wisst ihr, dass kein Zweifel daran bestehen durfte, welcher Art unsere Beziehung angeblich war. Dass ich also unter seinem Schutz stand. Sonst hätten diese fürchterlichen Männer ihm niemals geglaubt.“

Es herrschte kurzes Schweigen, und Serena hielt besorgt den Atem an, besonders als Mary ein wenig spitz sagte: „So ein Pech, dass du diesem Mann erlauben musstest, dich so zu demütigen.“

Aber Beth kam ihr zu Hilfe. „Wirklich, Mary! Es klingt nicht so, als hätte die arme Serena eine Wahl gehabt. Schließlich war sie in tödlicher Gefahr. Außerdem habe ich bisher noch niemanden sagen hören, der Marquis würde eine Dame schlecht behandeln. Vielmehr ist er bei unserem Geschlecht sehr beliebt, oder?“

„Beliebt? Das will ich meinen!“ Joannas Augen funkelten. „Ich habe von einer Dame, die ihn in Paris kannte, gehört, dass er beim Liebesspiel seine …“

„Joanna!“, rief Beth empört, und Joanna seufzte.

„Liebste Beth, sei nicht so prüde. Wir waren alle verheiratet und wissen Bescheid. Dürfen wir uns jetzt nicht einmal ein paar köstliche Tagträume über den Marquis gönnen?“

Serena saß resigniert da, da sie wusste, dass das nur der Anfang war. Sie würde sich von jetzt an wieder und wieder dieselben Unterstellungen über sich und den Marquis anhören müssen. Der Gedanke erschreckte sie. Aber an wen konnte sie sich um Hilfe wenden? An ihren Bruder George? Selbst wenn er Silas Mort finden könnte, würde er es auf eine so rechtschaffene, schwerfällige Weise tun, dass womöglich eine formelle Klage und Gerichtsverhandlung folgen würden. Die Zeitungen würden sich auf die Geschichte stürzen, und am Ende würde der wahre Grund für ihr Treffen mit Mort enthüllt und genüsslich an die große Glocke gehängt werden.

Gefallener Held in Wirklichkeit ein Feigling. So würden die Schlagzeilen lauten. Sicher, Silas Mort würde bestraft werden, aber Serena würde den Rest ihres Lebens mit der Schande leben müssen.

Gestern hatte Raphael Lefevre angedeutet, dass er ihr den Erpresser vom Leib halten könnte, aber sich auf ihn zu verlassen, war unvorstellbar. Was genau würde er tun, um Mort zum Schweigen zu bringen? Und welchen Preis würde sie selbst dafür zahlen müssen?

Erst jetzt fiel ihr auf, dass Mary mit ihr sprach. „Serena, du musst dem Marquis zeigen, dass du die Sache im Griff hast. Aber du wirst dich schnell für einen Schlachtplan entscheiden müssen, denn ich fürchte, auch andere Leute werden dich darüber ausfragen. Die Geschichte ist inzwischen gewiss schon in der ganzen Stadt bekannt.“

„Die Leute werden die Geschichte ebenso schnell wieder vergessen“, entgegnete sie mit einer Gelassenheit, die sie nicht empfand. „Der nächste Skandal kommt bestimmt.“ Wenn auch kein so saftiger wie dieser, dachte sie insgeheim verzagt.

„Aber Serena“, sagte Beth, „da Monsieur Lefevre dich vor so großer Gefahr bewahrt hat, wirst du doch sicher von jetzt an nett zu ihm sein, ja?“

„Ich glaube nicht, dass ich je so weit gehen könnte, nett zu ihm zu sein“, gab Serena zurück.

„Ich schon“, unterbrach Joanna sie. „Nichts wäre mir lieber.“

Serena zog es vor, sie zu ignorieren. „Wenn ich ihm gestern Abend auch sehr dankbar war, das gebe ich zu.“

„Für die Rettung?“, warf Joanna augenzwinkernd zu. „Oder für den Kuss? Verrate es uns, meine Liebe. Wie hat es sich angefühlt, in den Armen von Raphael Lefevre zu liegen? Bist du dahingeschmolzen vor Verlangen? Mir an deiner Stelle würde es gewiss so gehen!“

Mary schüttelte den Kopf. „Wirklich, Joanna! Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für deine Leichtfertigkeit.“

Serena griff nach ihrem Weinglas, weil ihre Kehle plötzlich wie ausgedörrt war. Wie es sich angefühlt hatte, vom berüchtigten Marquis geküsst zu werden?

Wie im Himmel, flüsterte ihr eine schockierende innere Stimme zu. Ja, genau das war die Antwort. Entschlossen unterdrückte sie die verräterische Stimme. „Hört zu, der gestrige Abend war eine ausgesprochen unangenehme Erfahrung für mich, über die ich wirklich nicht länger reden möchte. Können wir also bitte wieder über die Schule sprechen?“

Woraufhin natürlich alle Mitleid mit ihr bekamen, selbst Mary, die antwortete: „Natürlich, meine Liebe.“ Sie griff nach ihrer Brille. „Wir stellen dir diese Fragen nur, weil wir um dich besorgt sind.“ Sie erhob sich und umarmte Serena, und die anderen zwei Freundinnen taten es ihr nach.

„Und jetzt“, sagte Mary, nachdem sie sich wieder gesetzt und ihre Papiere hervorgeholt hatte, „zu unserem Vorhaben. Ich bemühe mich noch immer, den Mietvertrag für die Schule, der in drei Monaten abläuft, zu erneuern. Aber leider hat sich Lord Gardner, der Besitzer, als recht schwierig erwiesen.“

„Verlangt er mehr Geld?“, fragte Joanna. „Dann kann ich gewiss helfen.“

„Nein, das Geld ist nicht das Problem. Ich fürchte, Lord Gardner ist ganz einfach ein entsetzlich arroganter Mann. Man hat ihn sagen hören, dass er keinen Sinn darin sieht, die niederen Stände zu bilden. Und mit dieser Meinung steht er nicht allein da. Wir brauchen einflussreiche Menschen, die sich für unsere Sache einsetzen. Mr. Jeremy Wolverton hat neulich mit Lord Gardner gesprochen, aber leider ohne Erfolg.“

Unwillkürlich tauschten Serena und Joanna einen Blick. „Dein glühender Verehrer“, flüsterte Joanna.

Serena schüttelte hastig den Kopf. Sie wusste, dass der reiche Jeremy Wolverton regelmäßig für ihren Zweck spendete, und sein Erfolg als Geschäftsmann sicherte ihm einen beträchtlichen Einfluss, aber seine Neigung, Moralpredigten über den hohen Nutzen harter Arbeit zu halten, war doch recht ermüdend.

„Armer Wolverton. Er ist völlig verzaubert von dir“, hatte Joanna sie erst neulich gewarnt. „Irgendwann wird er sich noch zum Problem für dich entwickeln.“

„Also, meine Damen“, fuhr Mary fort. „Wir brauchen so viel öffentliche Unterstützung, wie wir nur bekommen können. Aber auf der anderen Seite werdet ihr euch freuen zu hören, dass Miss Murphy, die neue Lehrerin, die ich eingestellt habe, sich großartig in ihre neuen Pflichten eingewöhnt hat.“

„Und die sieben französischen Kinder?“, fragte Beth. „Wie geht es den armen Kleinen, die erst neulich mit ihren Familien hier eingetroffen sind?“

„Zum Glück spricht Miss Murphy ein wenig Französisch und gibt sich alle Mühe, ihnen dabei zu helfen, sich wie daheim zu fühlen.“ Mary schob ihre Brille zurecht. „Und jetzt lasst uns über die Monatsabrechnungen reden.“

Zu Serenas Erleichterung schienen sie Lefevre vergessen zu haben. Nur sie selbst musste an ihn denken, weil die Uhr auf dem Kaminsims ihr mitteilte, dass es weit nach vier Uhr war – die Zeit, zu der Lefevre sie zu Hause aufsuchen wollte. Und wenn schon, sagte sie sich trotzig. Dann würde er eben feststellen, dass sie ausgegangen war. Er musste lernen, dass sie sich nicht von ihm herumkommandieren ließ. Schon begann sie, etwas freier zu atmen, als ein Diener eintrat, eine Nachricht auf einem Silbertablett.

„Ein fremdländischer Gentleman ist gerade an der Haustür erschienen, Madam“, verkündete er Joanna. „Er sagt, er habe eine Nachricht für Lady Serena.“

Verwundert runzelte Joanna die Stirn. „Sehr eigenartig.“

Aber Serena war auf ein Wort ganz besonders aufmerksam geworden – fremdländisch. „Nein“, sagte sie. „Nein, Joanna, lass mich den Brief ruhig lesen.“ Der Diener übergab ihn ihr, und Serena brauchte nur einen Blick auf die kühne maskuline Schrift zu werfen, mit der ihr Name geschrieben war, und sie wusste Bescheid. Schnell entfaltete sie das Papier und begann zu lesen.

Zweifellos erinnern Sie sich daran, dass ich versprach, Sie heute Nachmittag um vier aufzusuchen. Ihre Diener sagten mir, wo ich Sie finden könne, und in diesem Moment warte ich nicht weit entfernt vor dem Haus in meiner Kutsche. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie sich zu mir gesellen wollten.

Natürlich stammte das Schreiben von Lefevre. Panik schnürte ihr die Kehle zu, und ihr wurde ein wenig übel. Wenn sie nicht gehorchte, würde der Marquis womöglich so weit gehen und das Haus betreten, um sie vor ihren Freundinnen zu blamieren.

Vielleicht war es nicht sehr klug von ihr, aber sie beschloss zu lügen.

„Ich fürchte, ich muss mich schon auf den Weg machen“, sagte sie mit einem verlegenen Lachen. „Wie dumm von mir! Wisst ihr, ich hatte ganz vergessen, dass ich einen Termin mit meiner Schneiderin habe. Sie hat ihren Boten zu mir nach Hause geschickt, und dort hat man ihm gesagt, wo er mich finden kann.“

„Aber natürlich!“, riefen ihre lieben, wundervollen Freundinnen wie aus einem Munde, während sie schon auf die Tür zustrebte. „Wir sehen dich doch Donnerstagabend auf dem Ball des Duke of Hamilton, nicht wahr, Serena?“

Sie blieb abrupt stehen. Nein! Lefevre würde dort sein, ebenso wie seine Freunde, Beaumaris und die anderen. „Ach, habe ich euch das gar nicht gesagt? Leider habe ich für den Abend schon andere Pläne.“

Sie sah gerade noch das Erstaunen in den Gesichtern ihrer Freundinnen, bevor sie hastig die Treppe hinunter und in die Halle eilte, wo ein Diener bereits mit ihrem Umhang und ihrem Hut auf sie wartete. Sie erinnerte sich an Raphael Lefevres Stimme, tief und heiser, an seine Worte von gestern Abend. Ich glaube noch immer, dass Sie meine Hilfe brauchen. Auf die eine oder andere Weise.

Sie hatte den Gedanken entschieden zurückgewiesen. Aber dann hatte Silas Mort gestern Nacht vor ihrem Haus gestanden und höhnisch grinsend nach oben gestarrt.

Lefevre und Mort – lieber Himmel, sie hatte wirklich die Wahl zwischen Hölle und Fegefeuer. Tief durchatmend, straffte sie die Schultern, um sich dem Mann zu stellen, der sehr wahrscheinlich sogar der Gefährlichere von beiden war.

6. KAPITEL

Lefevre stand einige Meter weiter unten in der Brook Street neben einem offenen Zweispänner aus glänzendem Ebenholz und Polstern aus dunkelrotem Leder.

Autor

Lucy Ashford
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Jenni Fletcher
<p>Jenni Fletcher wurde im Norden Schottlands geboren und lebt jetzt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Yorkshire. Schon als Kind wollte sie Autorin sein, doch ihr Lesehunger lenkte sie davon ab, und erst dreißig Jahre später kam sie endlich über ihren ersten Absatz hinaus. Sie hat Englisch in...
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