Historical Weihnachten Band 15

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Am Hof von Richard III. soll sich die junge Alice am Weihnachtstag mit dem schneidigen John Talbot verloben. Eine rein politische Verbindung! Doch ihre Familien stehen auf unterschiedlichen Seiten. Kann Alice ihrem Zukünftigen überhaupt vertrauen?

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  • Erscheinungstag 14.10.2022
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510929
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Blythe Gifford, Jenni Fletcher, Amanda McCabe

HISTORICAL WEIHNACHTEN BAND 15

Für Holly und Amy, voller Liebe

1. KAPITEL

Das erste Weihnachtsfest

Heiligabend 1483, Westminster Palace

Der Bote kam herein, schenkte ihr ein kaum wahrnehmbares Lächeln und sagte: „Ich habe eine Nachricht für Lady Alice. Von Dame Elizabeth.“

Es dauerte einen Moment, bis Alice begriff, wer damit gemeint war. Bis vor ein paar Monaten war „Dame Elizabeth“ noch die Königin von England gewesen. Die Königin, die schon bei Alices Geburt auf dem Thron gesessen hatte.

„Ich bin Lady Alice. Wie lautet die Nachricht?“

Der Bote, größer und älter als die meisten, die eine solche Pflicht erfüllten, sah sich um. „Die Nachricht ist allein für Eure Ohren bestimmt.“

Mit einer Geste wies sie ihre Bediensteten an, den Raum zu verlassen, dann verschränkte sie die Finger ineinander, damit der Bote nicht bemerkte, dass sie zitterten. Ihr Vater hatte sie davor gewarnt, dass dieses Weihnachtsfest bei Hofe tückisch werden könnte.

Bis zu diesem Jahr hatte sie nur einen König gekannt: Edward, der vierte dieses Namens, der immer sicher und verlässlich und warm wie die Sonne gewesen war. Ein Mann voller Leben, mit einer glücklichen, kinderreichen Familie. Alices Eltern waren oft bei Hofe gewesen, und obwohl sie gehört hatte, dass es Kämpfe um den Thron gegeben hatte, war dies nicht mehr als eine ferne Erinnerung gewesen, auf die ein glückliches Ende gefolgt war.

Doch dann war König Edward dieses Jahr plötzlich gestorben. Und nichts war mehr so, wie es gewesen war. Oder wie es sein sollte.

Sie musterte den Boten, der mit gesenktem Blick vor ihr stand und wartete.

„Nun“, sagte sie nervös. „Was sollst du mir ausrichten?“

„Dame Elizabeth bittet Lady Alice um ein Treffen, aus Gründen von großer persönlicher Wichtigkeit für Eure Zukunft.“

„Du wirst Mut brauchen“, hatte ihr Vater gesagt, bevor sie gegangen war. „Du wirst von unseren früheren Freunden hören. Erweise ihnen Ehre.“

War es das, was er damit gemeint hatte?

Mit leicht gerunzelter Stirn blickte Alice aus dem Fenster in Richtung Westminster Abbey, wintergrau vor dem dunklen Himmel. Die ehemalige Königin war vor sechs Monaten in die Abtei geflohen, nachdem Richard ihren Bruder getötet, sich den Thron genommen und die beiden Söhne Elizabeths entführt hatte.

Seither hatte niemand mehr die Jungen gesehen.

Um ihre Töchter vor einem ähnlichen Schicksal zu schützen, hatte die ehemalige Königin Zuflucht im Abtshaus der Abtei gesucht. Würde ein Besuch dort ebenjenes Misstrauen wecken, das ihre Familie zu vermeiden versuchte?

Wie auch immer, Alice konnte die Nachricht nicht ignorieren, und sie wollte es auch nicht. Die älteste Tochter der Königin, die ebenfalls Elizabeth hieß, und sie selbst hatten schon in der Kinderstube miteinander gespielt. Ali und Bessy hatten sie einander genannt.

Trotzdem, ein solcher Besuch konnte gefährlich sein.

Sie musterte den Boten und fragte sich, warum die ehemalige Königin ihn gut genug zu kennen glaubte, um ihn mit dieser Nachricht zu ihr zu schicken. Sein Gesicht war knochig und schien nur aus scharfen Winkeln zu bestehen, Wangen, Stirn, Kinn. Seine Miene wirkte hart, sogar misstrauisch.

Nun, es waren schließlich auch nicht die richtigen Zeiten für zu große Vertrauensseligkeit.

„Ist das denn erlaubt? Dass ich Dame Elizabeth besuche?“ Zufluchtsort nannte man die Abtei, doch die Situation der ehemaligen Königin hatte eher etwas von Gefangenschaft. Mönche standen vor ihrer Tür Wache. Ärzte und Priester durften sie besuchen, aber abgesehen davon wurde es nicht vielen gestattet.

Er nickte. „Kommt allein. Ihr werdet vor der Vesper erwartet.“

Dann blieb ihr also noch ein wenig Zeit. Sie sah an sich hinab. Ihr Kleid war nicht gerade das, was sie sich für eine Begegnung mit der Königsfamilie, ehemalig oder nicht, ausgesucht hätte.

Sie hob den Blick wieder zu dem Boten. Der durchdringende Ausdruck in seinen Augen war ihrer Konzentration nicht gerade förderlich. Sie straffte die Schultern und sah ihm direkt ins Gesicht. „Richtet Ihrer Gnaden … ich meine Dame Elizabeth aus, dass ich da sein werde.“

Darauf folgte eine kurze Stille. Dann machte er eine knappe, kreisende Geste über seinem Kopf. „Ohne den …“

Sie hob die Hand an ihren Kopfputz. Eine große, markante Hörnerhaube. Hoch in Mode. Damit würde sie ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Ihr Besuch war also nicht verboten, trotzdem sollte möglichst niemand Notiz davon nehmen.

Sie nickte. „Ich verstehe.“

War das ein Lächeln gewesen, kurz bevor er sich verbeugte und ging? Und konnte man ihm trauen?

Ihre Eltern hatten ihr erlaubt, allein an den Königshof zu reisen. Nun musste sie zeigen, dass sie dieses Vertrauen verdiente.

Ein paar Stunden später trug Alice ein Kleid aus grünem Samt und betrat das Abtshaus, das dicht neben der Abtei lag. Die in schwarze Roben gekleideten Mönche an der Tür ließen sie passieren. Eine Frau, die eine andere Frau besuchte … nun, da drohte wohl kaum Gefahr.

Obwohl sich das Abtshaus in unmittelbarer Nähe von Westminster Palace befand, erinnerte hier nichts an die Pracht des Königshofes. Die Große Halle stand voller nicht zusammenpassender Stühle, Tische und Truhen, rasch zusammengesucht, als die Königin geflohen war. Es wirkte eher, als befände man sich in einem Lagerraum.

Ganz am anderen Ende der Halle saß Elizabeth, die ehemalige Königin, auf einem schlichten Schemel.

Obwohl sie noch so weit von Elizabeth entfernt war, sank Alice in einen Knicks. Die Königin – denn das war sie für Alice noch immer – winkte sie zu sich.

Während Alice die Halle durchschritt, blickte sie sich um, in der Hoffnung, Bessy irgendwo zu sehen, doch abgesehen von ihnen beiden befand sich niemand im Raum, nicht einmal ein einziger Bediensteter. Offenbar war das, was sie bei diesem Besuch erfahren würde, nur für ihre Ohren bestimmt.

Schließlich blieb sie vor der Frau stehen, die sie zu sich gerufen hatte, und knickste erneut. Die Witwe des Königs war so schön und anmutig, wie Alice sie in Erinnerung hatte, und ihre Haltung wirkte noch immer majestätisch, obwohl sie aus vergleichsweise bescheidenen Familienverhältnissen stammte.

Die Stille dehnte sich, doch es stand Alice nicht zu, als Erste zu sprechen.

„Der Earl und die Countess of Oakshire – geht es ihnen gut?“ Bei dieser Frage wurde die Miene der Königin etwas weicher. Alices Eltern waren dieser Königin respektvoll begegnet, als es viele andere nicht getan hatten. Sie war die Witwe eines Ritters aus dem Hause Lancaster gewesen, und ihr Vater entstammte dem niederen Adel, weshalb es viele Edelleute nicht gern gesehen hatten, als ihre Familie zu Königswürden aufgestiegen war.

Manchmal dachte Alice, die Zuneigung ihrer Eltern zu diesem Königspaar würde vielleicht daher rühren, dass auch sie aus Liebe geheiratet hatten.

„Meine Mutter ist krank, und mein Vater hat entschieden, bei ihr zu bleiben, also wurde ich geschickt, um die Familie zu repräsentieren. Allerdings haben sie mir aufgetragen, Euch etwas auszurichten, falls ich Euch begegnen sollte …“ Sie sah sich um und stellte zufrieden fest, dass sie noch immer allein waren. „Ich soll Euch von ihnen grüßen und Euch sagen, wie leid es ihnen tut wegen der …“

Wegen der Prinzen, hing unausgesprochen in der Luft. Nach dem Tod des alten Königs war sein Bruder Richard zum Lordprotektor ernannt worden, um anstelle seines jungen Neffen zu regieren. Doch nur wenige Monate später hatte man den jungen König und seinen Bruder in den Tower of London gebracht.

Seither waren sie verschwunden. Wie die meisten glaubte auch Alices Vater, dass die Jungen tot waren.

Die Königin, die in diesem Moment vor allem Mutter war, schloss kurz die Augen und nickte kaum wahrnehmbar zum Dank. Alles andere musste unausgesprochen bleiben.

Als sie die Augen wieder öffnete, war sie erneut ganz die Königin. „Uns bleibt nicht viel Zeit. Ich habe dich herrufen lassen, um dir eine freudige Nachricht zu überbringen. Du wirst am ersten Weihnachtstag verlobt.“

Am ersten Weihnachtstag. Morgen.

Die Welt schien still zu bleiben. „Wie bitte?“ Nicht die Antwort, die sie eigentlich hätte geben sollen, aber sie war zu überrascht für klug gewählte Worte.

„Du wirst verlobt“, wiederholte die Königin, dieses Mal bedächtiger. „Am ersten Weihnachtstag.“

So bald schon? Hätte sie diese Neuigkeiten nicht von ihrem Vater und ihrer Mutter hören sollen? „Meine Eltern haben mir nichts davon gesagt.“ Natürlich war sie mit siebzehn Jahren durchaus im heiratsfähigen Alter, doch in einem Jahr, das drei Könige gesehen hatte, war nicht viel Gelegenheit geblieben, über ihre Hochzeit nachzudenken.

Die Königin winkte ab. „Es ist alles besprochen. Sie wollten, dass ich es dir sage.“

Alice hielt inne und versuchte, dies zu verstehen. Ihre Eltern hatten angekündigt, dass dieses Weihnachtsfest bei Hofe wichtig für ihre Zukunft werden würde. War dies der Grund dafür, dass sie ihr erlaubt hatten, allein nach Westminster zu reisen?

„Falls dich die Königin ruft …“

Sie mussten es gewusst haben. Aber warum diese Heimlichkeit?

„Es wird eine trügerische Zeit bei Hofe sein. Wir vertrauen dir, du wirst alle Klippen sicher umschiffen …“

Doch sie hatten ihr keinen Kompass mitgegeben.

Sie räusperte sich. „Mit wem?“

„Mit John Talbot, Sohn und Erbe des Earl of Stanson.“

Sie erkannte den Namen. Aus dem Norden Englands, wo der derzeitige König viele Unterstützer hatte. Weit fort von ihrer Familie und ihren Verbündeten. War sie ihm schon einmal bei Hofe begegnet? Es spielte keine Rolle. Es stand ihr nicht zu, zu widersprechen. Die Zuneigung, die ihre Eltern damals verbunden hatte, war ein Privileg, das sich nicht viele erlauben konnten, besonders in diesen ungewissen Zeiten. Eine Hochzeit war eine Allianz, eine Frage, die über Leben und Tod entscheiden konnte, keine belanglose Gefühlsduselei.

Trotzdem gingen ihr gleich mehrere Fragen durch den Kopf. Warum dieser Mann? Warum jetzt? Wann würden sie verheiratet werden? Und warum war es ausgerechnet die Königin, die ihr dies mitteilte?

Letztendlich sprach sie jedoch nur eine einzige ihrer Fragen aus: „Wann werde ich ihn kennenlernen?“ Sie hatte nie erwartet, dass sie sich ihren Ehemann selbst aussuchen konnte, doch sie hatte gehofft, ihn vor der Hochzeit wenigstens einmal zu treffen.

Die Königin hob den Blick und sah an Alice vorbei. „Jetzt.“

Alice drehte sich um.

Dort, bei der Tür, stand in einem pelzgefütterten Mantel mit dem Hut eines Arztes auf dem Kopf der Mann, der ihr vor wenigen Stunden als Bote gegenübergetreten war.

Und er schien nicht sonderlich begeistert zu sein.

Sir John biss die Zähne fest zusammen, als er den Raum betrat, um ja nichts zu sagen. Mit großen Augen starrte Lady Alice ihn an, und sein Eindruck von ihr blieb unverändert.

Jung. Naiv. Hübsch. Rotblondes Haar. Sanfte, unschuldige blaue Augen …

Doch dann veränderte sich ihre Miene. Sie wirkte nicht zornig. Noch nicht. Aber verwundert, als hätte sie gerade die Sonne im Westen aufgehen sehen.

Er sah genau, in welchem Moment sie ihn erkannte und begriff, was er getan hatte. Ihr Blick wurde schärfer, die Augen schmaler, und er wusste, dass sie nie wieder so naiv sein würde wie zuvor.

Besser so. Es waren gefährliche Zeiten.

Er trat vor und verbeugte sich, eine höflich wirkende Geste, wie er hoffte.

Ihr Blick huschte zu der früheren Königin, dann wieder zu ihm. „Dann seid Ihr also weder der Bote noch der Arzt, der ihr zu sein vorgebt.“

Er zwang sich zu einer geschliffenen Antwort. „Ich bin ein Ritter, Sohn und Erbe des Earl of Stanson.“

Sie neigte den Kopf, allerdings nicht mehr als unbedingt nötig. „Möge unsere Verbindung unseren Familien Ehre bringen.“

Eine auswendig gelernte Floskel. Genau wie seine Erwiderung: „Wir werden tun, was wir können, um dafür zu sorgen.“

Stille. Unbehagen. In ihrem Blick las er jedoch zahllose Fragen.

Sie sah zurück zu Dame Elizabeth. „Dann wird dies also bei Hofe verkündet werden?“

Er tauschte einen Blick mit der früheren Königin und überließ es ihr, zu antworten.

„Die Verlobungsfeier wird eine private Angelegenheit sein, aber natürlich wird sie öffentlich angekündigt. Mein Anteil daran muss allerdings ein Geheimnis bleiben.“

Die Fältchen auf Alices Stirn vertieften sich.

„Und die Zustimmung des Königs?“, fragte sie.

„Wurde erteilt.“

Sie sah nicht aus, als ob sie das glauben würde. Dumm war sie also nicht. Dann war es nur gut, dass sie nicht wusste, wer der Priester war, der die Zeremonie abhalten würde, nämlich ein geheimer Verbündeter Henry Tudors, der im Exil eine Armee um sich scharte, um den englischen Thron einzunehmen.

Er sah, wie sie sich sammelte. „Der erste Weihnachtstag ist morgen. Die Zeremonie kann doch sicher warten, bis meine Eltern hier sind.“ Der Hauch einer Forderung schwang in ihrer Stimme mit.

Dame Elizabeth winkte ab, als würde sie immer noch regieren und als wäre die Audienz damit beendet. „Nein. Kann sie nicht. Sir John, bitte sorgt dafür, dass Lady Alice wohlbehalten in den Palast zurückkehrt.“

Eine letzte Verbeugung, und sie verließen die Halle wieder, Seite an Seite.

Die Winterdunkelheit hatte sich bereits herabgesenkt, und bald würde sich der Hof zum Adventsmahl am Ende dieses Fastentags niederlassen. Mit ein wenig Umsicht würden sie ungesehen bleiben.

Der Wind vom Fluss pfiff um den Palast und fing sich in Röcken und Tüchern. Alice zitterte neben ihm, woraufhin er einen Arm um sie legte, sie an sich zog und in die Wärme seines pelzgefütterten Mantels hüllte.

Nun, da sie ihm so nah war, wurde sie auf einmal mehr für ihn als nur eine Schachfigur in diesem Spiel. Sie würde seine Ehefrau sein. Sobald sie verheiratet waren, würde er ihre weiche Wärme erkunden können, er würde ihren Körper an seinem spüren, ihr Haar und ihre Brüste berühren, und …

Wenn. Falls. Vielleicht. So viele unwahrscheinliche Dinge mussten zuvor noch geschehen.

Sie löste sich von ihm. Der kalte Wind befreite ein paar helle Haarsträhnen aus ihrem Kopftuch und wehte sie ihr über das Gesicht. „Ihr habt mir etwas vorgemacht. Warum?“ Sie schien der Meinung zu sein, dass sie eine Antwort verdiente.

Er spürte ein schuldbewusstes Kribbeln im Nacken. Er machte ihr noch immer etwas vor. „Ich bin Kriegsmann. Ich erkunde vor der Schlacht gern die Lage.“

Wieder wurden ihre Augen groß, und ihre Lippen teilten sich. „Ihr betrachtet diese Ehe als eine Art Krieg?“

Was sollte er darauf antworten? Das ganze Land befand sich im Krieg mit sich selbst, auch wenn im Augenblick keine Schwerter gezogen wurden. „Ich wollte … Euch nur sehen, bevor Ihr … es wisst.“

Endlich ein Lächeln. Unerwarteterweise. „Ihr meint, bevor auch ich eine Maske aufsetze?“

Verblüfft hob er die Brauen. „Eine Maske?“ Ihm war nicht einmal in den Sinn gekommen, sie könnte sich auch … verstellen. Was ein Fehler gewesen war. Männer plusterten sich gern auf ihren Thronen auf, aber im Schatten schmiedeten die Frauen ihre eigenen Pläne. Wenn es um diese Heirat ging. Und mehr. „Ich hoffe, dass Ihr das nicht notwendig finden werdet.“

Sie zuckte mit den Schultern.

Dieses Mal bedauerte er ihr Schweigen.

Als sie den Palast betraten, hüllte sie der Geruch nach Fisch und der Duft des Tannengrüns ein. Sie entzog sich ihm und trat aus seiner Reichweite. „Noch sind wir nicht verlobt. Lasst mich den letzten Adventsabend allein genießen.“

Damit wandte sie sich ab und ließ ihn stehen.

Er tat ihr den Gefallen und wünschte ihr einen friedlichen Abend. Es gab so vieles, was sie nicht wusste.

Jedenfalls noch nicht.

2. KAPITEL

In ihren Gemächern betrachtete sich Alice im Spiegel. Sie strich sich die Augenbrauen glatt und betupfte ihre Lippen mit Bienenwachs. An diesem Abend wollte sie so hübsch wie möglich aussehen.

Ihr letzter Abend als ungebundene Frau.

Das Weihnachtsfest würde für eine verlobte Frau ganz anders verlaufen als für ein unverheiratetes Mädchen.

Was für alberne Hoffnungen sie sich doch im Hinblick auf dieses Fest bei Hofe gemacht hatte. Ihre Eltern hatten sie vor Hinterhältigkeit gewarnt, aber nach diesem langen und schrecklichen Jahr hatte sie nur daran gedacht, wie sie lächeln und lachen und erst mit diesem, dann mit jenem Mann tanzen würde, ohne einen Gedanken an all die Sorgen.

Die zwölf Tage, auf die sie sich gefreut hatte, waren zu zwölf Stunden zusammengeschrumpft, und da dies der Abend der Weihnachtsvigil war, würde es keinen Tanz geben. Nur noch mehr Fisch und endlose Gebete.

Ihre Zofe half ihr dabei, den turmartigen Kopfputz aufzusetzen, der unsicher hin und her schwankte, bis er richtig saß und befestigt war. Damit würde sie sich nur langsam und vorsichtig bewegen können, und sie musste den Kopf still halten. Immerhin würde sie das von ihren Zweifeln bezüglich ihrer Verlobung am kommenden Tag ablenken.

Eine Verlobung war zwar noch keine Hochzeit, aber sie war bindend und verbat den Verlobten die Vermählung mit jemand anderem, selbst dann, wenn sie einander schließlich nicht heirateten.

Dies war auch das Argument, das König Richard angeführt hatte, um die Kinder seines Bruders für unehelich erklären zu lassen und um aus Königin Elizabeth eine Mätresse zu machen – alles wegen eines früheren Verlöbnisses von König Edward, das passenderweise gerade rechtzeitig ans Licht gekommen war, um es Richard zu ermöglichen, den Thron an sich zu reißen.

Sobald sie selbst also erst verlobt war, würde sie Sir John heiraten oder gar niemanden.

Langsam, um den Kopfputz nicht aus der Balance zu bringen, schritt sie die Treppe hinab. Sie hatte das Fest eigentlich genießen wollen, doch stattdessen würde sie ihre Enttäuschung nun hinter einem Lächeln verbergen müssen.

„Wir wissen, dass du das Richtige tun wirst.“

Was hatten ihre Eltern sonst noch gewusst? Und war diese Verlobung wirklich das Richtige?

Als sie die Halle betrat, war sie mit einem Mal umgeben von zu schrillem Gelächter, misstönend und nicht zur Musik passend. Niemand wusste, was von diesem Fest zu erwarten war, von der ersten Weihnachtsfeier des neuen Königs.

Im vergangenen Jahr hatte der frühere König, fröhlich und großzügig in seinem Zobelumhang, Tausende von Gästen willkommen geheißen. Er war umgeben gewesen von seiner Frau und seinen Kindern, und vielleicht waren ihm die Festlichkeiten ein wenig wichtiger gewesen als ihr religiöser Hintergrund, was jedoch kaum jemanden gestört hatte.

Der neue König konnte sich eine solche Großzügigkeit nicht leisten. Als sich die Gäste um die Tafel versammelten, unterhielten sie sich nur gedämpft.

Laute, Harfe und Flöte wurden nur leise gespielt, und falls einem auffiel, dass einige Stücke des Silberbestecks fehlten – verkauft, um die Festlichkeiten bezahlen zu können –, nun, dann erwähnte man es klugerweise lieber nicht.

Obwohl König Richards Krönung bereits fünf Monate zurücklag, schien er sich auf seinem Platz am Kopfende der Tafel immer noch nicht richtig wohlzufühlen. Aus gutem Grund. Erst vor wenigen Wochen hatte sich einer seiner vertrautesten Unterstützer gegen ihn gewandt, mit dem Ziel, ihn zu stürzen und stattdessen Henry Tudor auf den Thron zu setzen.

Warum? Hatte der Mann plötzlich zu seinem Gewissen gefunden, oder war er nur wütend darüber gewesen, nicht großzügiger belohnt worden zu sein? Das wusste niemand, nicht einmal Alices Vater, der mit Sicherheit mehr wusste, als er sagte. Als Richard seinen früheren Freund dann jedoch gefangen genommen hatte, um ihn kurz darauf köpfen zu lassen, waren viele, die sich der Rebellion angeschlossen hatten, über den Kanal geflohen, um sich um Henry Tudor zu scharen, der im Exil in der Bretagne lebte.

Viele im Südosten Englands, in dem Gebiet, in dem auch Oakshire lag, hatten zu den Waffen gegriffen. Ihr Vater glücklicherweise nicht, weshalb er Strafe und Exil entgangen war, trotzdem zweifelte der König noch immer an der Loyalität des Earls.

Mit mehr Grund, als Richard erfahren durfte.

Als der König sie also schließlich nach dem Mahl zu sich rief, atmete sie tief durch und zwang sich zu einem Lächeln.

„Euer Vater ist nicht hier, Lady Alice.“ Ein Stirnrunzeln zeigte seinen Unmut darüber.

„Du bist unser einziges Kind. Du musst uns repräsentieren.“

Sie verbarg ihre zitternden Finger in den Falten ihres Rocks und beugte vor dem König das Knie.

„Zu seinem großen Bedauern, Eure Majestät. Meine Mutter ist erkrankt, und mein Vater ist bei ihr geblieben, um sich um sie zu kümmern. Sie haben mich geschickt, um Euch unserer Treue zu versichern.“ Sie hielt den Atem an. Hatte sie die richtigen Worte gewählt? Es durfte keinen Zweifel daran geben, dass die Abwesenheit ihrer Eltern keinen Treuebruch darstellte, obwohl auch unverbrüchliche Loyalität kein Schutz vor diesem König bedeutete.

Richards Königin berührte Alices Hand. „Ich hoffe, es ist nichts Ernstes. Ich musste meinen Sohn zurücklassen … er ist krank …“

Alice murmelte ein paar tröstliche Worte. Das Königspaar hatte nur einen Sohn.

Nur einen Thronerben.

„Wie ich höre“, meldete sich der König wieder zu Wort, „wünscht Eure Familie eine Verbindung zum Sohn des Earl of Stanson.“

Sie schluckte und nickte, wobei sie versuchte, sich zu sammeln. Dann wusste der König also doch davon. War nur sie nicht eingeweiht gewesen?

„Mein Anteil daran muss allerdings ein Geheimnis bleiben.“

Sie musste ihre Worte gut abwägen. „Es ist an der Zeit für mich, zu heiraten, Eure Majestät.“ Eine Tatsache. Nur die Unruhen des vergangenen Jahres hatten verhindert, dass sie schon früher versprochen worden war. „Mit Eurer Erlaubnis, natürlich.“

Und wenn er ihr diese Erlaubnis nicht erteilte …?

Ein Stirnrunzeln. „Stanson war der Krone stets treu ergeben. Ich hoffe, dass dies auch für Eure Familie gelten wird.“

„Daran dürft Ihr nie zweifeln, Eure Majestät.“ Auf keinen Fall durfte sie etwas tun, um einen solchen Zweifel zu erregen. Ihr Vater empfand wenig Bewunderung für König Richard, aber bisher hatte er – größtenteils – geschwiegen.

Alles andere war gefährlich.

„Ah!“ Abgelenkt sah der König auf. „Da ist ja Sir John. Es ist Zeit, die Stechpalmen- und Efeukränze aufzuhängen. Ihr wollt ihm sicher dabei helfen.“

Das wollte sie keineswegs, doch sie zwang sich zu einem Lächeln und drehte sich zu Sir John um, damit sie ihn begrüßen konnte. Wieder hatte er sein Erscheinungsbild verändert. Er war weder Arzt noch Knappe oder Ritter – dieses Mal trug er ein prächtiges blaues Brokatwams und Hosen aus Wolle.

War dies sein wahres Gesicht?

Der König war allerdings noch nicht fertig. „Wenn die Kränze hängen, ist es Zeit fürs Gebet. Schluss mit der Zuchtlosigkeit der vergangenen Weihnachtsfeste. Sorgt dafür, Sir John.“

Nachdem er Alice zu seinem „stets treu ergebenen“ Untertan geschoben hatte, ging Richard davon und ließ sie miteinander allein.

John nahm ihre Hand, sein Griff war so stark und sicher, als würde sie bereits ihm gehören.

„Er weiß es“, flüsterte sie. „Er weiß von unserer Verlobung.“

„Habt Ihr es erwähnt?“ Es klang, als hätte sie es nicht tun sollen.

„Nein, er hat es selbst angesprochen, aber er stimmt zu. Wie Ihr gesagt habt.“

Der Krone stets treu ergeben. Hegte der König den Verdacht, dass ihre Familie genau das nicht war? Sollte dieser dem König so treu ergebene Mann sie ausspionieren?

Er lächelte. „Das ist doch ein Grund zum Feiern. Trotzdem seht Ihr nicht so aus, als würdet ihr Euch freuen, Lady Alice.“

Als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Nun, wenn sie heiraten sollten, würde er sich daran gewöhnen müssen, dass sie unverhohlen sagte, was sie dachte.

„Ich hatte auf ein Fest voller Freude und Tanz und Ausgelassenheit gehofft, bevor ich eine Ehefrau werde“, sagte sie, so leise, dass es niemand außer ihm verstehen konnte. „Stattdessen bleibt mir nur noch dieser Abend, und der besteht aus der Nachtwache, dem Fasten und der Messe. Danach werden wir verlobt, und ich bin daran gebunden, was auch immer Euer Verlangen ist.“

Das Wort „Verlangen“ schien zwischen ihnen nachzuhallen.

Sie biss sich auf die Zunge.

Seine Hand lag warm auf ihrer, doch er musterte sie mit einem harten, scharfen Blick, als wollte er ergründen, ob sie der Feind war oder nicht. „Wir bekommen nicht immer, wonach wir verlangen. Kommt. Ein ganzer Korb voller Stechpalmenzweige wartet auf uns. Es gibt schon ein paar Möglichkeiten, wie wir die nächsten Stunden auf angenehme Weise verbringen können.“

Sie erschauderte. Dieser Mann, dieser John, der ihr Gemahl sein würde – war er so skrupellos wie der König? Wem sollte sie trauen? Ihren Eltern? Der früheren Königin? Dem derzeitigen König?

Oder diesem stillen Mann, der in eine Verkleidung nach der anderen schlüpfte?

Umgeben von lachenden Menschen betrachtete John seine zukünftige Verlobte, während sie vorsichtig einen weiteren Stechpalmenzweig aus dem Korb nahm, ihn drehte und wendete, als gäbe es einen perfekten Winkel, in dem er aufgehängt werden musste.

Sie richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Zweige statt auf ihn.

Offenbar hatte ihre Familie ihr nichts erzählt. Hielten ihre Eltern sie nicht für klug genug, um eingeweiht zu werden? Oder versuchten sie nur, sie zu schonen? Vielleicht waren sie einfach genauso vorsichtig wie sein eigener Vater. Der Earl enthüllte seinem Sohn seine Pläne nicht immer. Je weniger John wusste, desto unschuldiger konnte er auftreten.

Er hatte sie für naiv gehalten. Vielleicht war sie nur beschützt worden.

John war der Erbe des Earls. Ihm war dieser Luxus nicht zuteilgeworden.

Er hatte gesehen, wie sich Männer so wankelmütig nach dem Wind drehten wie Wetterhähne und nach Lust und Laune die Seiten wechselten. York. Lancaster. Das waren nur Namen. Wappen, die man sich anstecken und die man wieder ablegen konnte. Treue schien bedeutungslos geworden zu sein. Denn wenn ein Mann nach Macht strebte und ihm jemand im Weg stand … Nun, dann konnte man das Wappen der weißen Rose ebenso beiläufig mit dem eines weißen Ebers vertauschen, wie man nach einem frischen Becher Wein griff.

Dieser König hatte genau das getan. Er hatte sich einen York genannt, dem rechtmäßigen yorkistischen Herrscher, seinem eigenen jungen Neffen, dann aber den Thron gestohlen. Sein Bruder hatte ihn zum Beschützer des Jungen ernannt, doch das Einzige, was Richard beschützt hatte, war seine eigene Macht gewesen.

Er war ein Mann, der Loyalität forderte, selbst jedoch keine kannte und deshalb nach Johns Meinung auch keine verdiente.

Als sich die Rebellen also vor ein paar Monaten erhoben hatten, war John bereit gewesen, mit ihnen zu reiten. Nur schieres Glück und die Strenge seines Vaters hatten ihn gerettet, sonst wäre auch er hingerichtet oder ins Exil geschickt worden, anstatt nun hier das Weihnachtsfest bei Hofe mit einem Becher Punsch zu genießen.

Unsere Zeit wird kommen. Warte ab.

Beim nächsten Weihnachtsfest würde er hoffentlich Henry Tudor, dem neuen König, zuprosten können.

Doch Richard wusste nur von der früheren, unverbrüchlichen Treue seiner Familie, und mehr durfte er nicht wissen. Von dem geheimen Versprechen an die frühere Königin und ihre Verbündeten durfte er nichts erfahren.

Wieder sah er Lady Alice an und versuchte, sie zu mustern, ohne sich von ihren vollen Lippen und Brüsten ablenken zu lassen. Ihre Eltern hatten ihr zugetraut, allein hierherzukommen. Das musste etwas zu bedeuten haben.

Würde sie ihm helfen und ihn unterstützen? Oder stellte sie eine Gefahr dar? War sie eine einfältige Närrin oder eine weise und gerissene Frau, so wie die frühere Königin und die Mutter von Henry Tudor?

Was wäre wohl besser? Wenn sie dumm war, konnte er sie einfach ihren häuslichen Pflichten überlassen. Aber wenn sie klug war? Nun, die frühere Königin und Henry Tudors Mutter hatten ihm gezeigt, was eine Frau aus den Schatten heraus erreichen konnte. Doch er musste sicher sein, dass die Interessen ihrer Familie mit seinen eigenen übereinstimmten.

Und er musste darüber nachdenken, was er tun sollte, falls es anders war.

Denn in dieser Ehe ging es um mehr als um ihn und sie. Sogar um mehr als um Stanson und Oakshire. Er durfte kein Risiko eingehen.

„Autsch!“, rief sie leise und steckte sich einen Finger in den Mund.

Er holte sein Taschentuch hervor. „Lasst mich sehen.“

„Die Stechpalme … Ich habe nicht aufgepasst.“

Er nahm ihre Hand. Es war kaum mehr als ein Nadelstich. Eine Wunde, die ein Ritter nicht einmal bemerken würde. Es blieb nur ein winziger Blutfleck auf dem Taschentuch zurück, dann hatte sich die Wunde schon geschlossen.

Trotzdem ließ er ihre Hand nicht los. Nun, da er ihr so nah war, atmete er unwillkürlich ihren Duft ein. Eine Mischung aus Blumen und Gewürzen, die seine Gedanken verwirrte. Schon morgen würde er sie küssen können. Warum nicht schon heute Abend? Warum nicht jetzt? Er beugte sich vor, seine Lippen waren ihrem Mund ganz nah …

Sie entzog sich ihm, und er atmete aus, dankbar für ihre Stärke. Er war der Naive von ihnen beiden, wenn er seinen Gelüsten folgte, obwohl der Thron auf dem Spiel stand. Auch Edward hatte das getan, und zu viele Adlige hatten ihm nie verziehen, dass er eine Frau von niederer Geburt zu seiner Königin gemacht und ihre Familie damit dem Hochadel vorgezogen hatte. Dieser schwärende Groll hatte Richard schließlich zum Aufstieg verholfen.

Er wich zurück. Aus sicherem Abstand zu Lady Alice konnte er schließlich weitersprechen. „Ist es so besser?“

Sie nickte. „Zumindest kann ich noch die Hände zum Gebet falten, so wie es der König verlangt.“ Sie lächelte nicht. „Ich werde mich jetzt zurückziehen und gleich damit anfangen.“

„Wartet.“

Sie hob die Brauen.

Er wollte sie nicht aus den Augen lassen. Nichts durfte vor morgen, wenn sie verlobt wurden, noch schiefgehen.

„Der König bevorzugt vielleicht das Gebet, aber es gibt noch andere Wege, die Zeit bis zur Mitternachtsmesse zu verbringen. Wie wäre es mit einem Kartenspiel?“

„An Heiligabend?“ Sie klang schockiert, doch ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Karten sind bis morgen verboten.“

Dann konnte er sie also verlocken. Gut. So konnte er auf sie aufpassen, ohne dabei Verdacht zu erregen. „Wir ziehen das Fest nur um ein paar Stunden vor.“

„Und Eure Eltern? Haben sie nicht vielleicht andere Pläne?“

Sie waren ebenfalls bei Hofe, gingen jedoch ihren eigenen Aufgaben nach. Lady Alice war seine Aufgabe. „Sie gehen gewiss davon aus, dass ich mich um Euch kümmere, da Eure Eltern nicht hier sind.“

Ein Zögern. Dann nickte sie.

Mit gesenktem Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen, verließen sie die Halle und fanden schließlich einen Raum mit einem Kamin, dessen Feuer er schürte, bis es wieder lichterloh brannte. Er zog seine Karten hervor und wurde mit einem staunenden Bick ihrerseits belohnt. Er war stolz auf sein Deck. Das Papier war mehrschichtig, was den Karten Festigkeit verlieh. Handbemalt mit farbiger Tinte und einigen Sprengseln Silber und Gold. Jede von ihnen ein Kunstwerk.

Sacht berührte sie eine davon. „Wer ist Euer Kartenmacher?“

Ah, eine Frau, die sich mit Spielkarten auskannte. Dann musste er wohl gestehen. „Sie stammen aus Burgund.“

„Ihr brecht das Gesetz?“

Spielkarten zu importieren war verboten, zum Schutz der Kartenmacher Londons. „Sie waren ein Geschenk, das ich nicht ablehnen konnte.“ Gekonnt mischte er das Deck. „Ihr werdet mich deshalb doch hoffentlich nicht verhaften lassen.“

Ihr Lachen, tiefer und volltönender, als er erwartet hatte, war seltsam tröstlich. „Nein, werde ich nicht. Allerdings verstehe ich jetzt, warum der Import verboten ist. Keiner unserer ehrwürdigen Kartenmacher könnte etwas so Schönes zustande bringen.“

Glücklicherweise hatte sie nicht gefragt, wie genau er an die Karten gekommen war. Selbst verbotene Annehmlichkeiten waren für einen gewissen Preis zu bekommen, wenn man Männer kannte, die heimlich die Meerenge passierten. „Unser Glück, dass die Priester die Spielkarten inzwischen nicht mehr verteufeln und verbrennen.“ Er sagte es leichthin, während er mischte.

Kartenspielen war noch die am wenigsten gefährliche seiner Unternehmungen.

„Die höchste Karte gewinnt?“, fragte er beiläufig.

Sie nickte. „Die dritte zählt.“

Sie hatte offenbar mehr Erfahrung im Kartenspiel, als er gedacht hatte. „Was ist der Einsatz? Ein Kuss?“

Einen Moment lang musterte sie ihn nur, wobei sie weder verärgert noch beleidigt wirkte, aber … „Setzen wir doch etwas Wertvolleres.“

Nun war er es, der verblüfft war. „Ist Eure Tugend denn nicht wertvoll?“

„Warum sollten wir um etwas spielen, das Ihr Euch morgen einfach nehmen könnt? Mir wäre etwas anderes lieber. Wahrheit.“

Er unterdrückte ein Schaudern. Nein. Sie war kein bisschen naiv. „Wahrheit?“

Ein nachdrückliches Nicken. „Wenn wir morgen verlobt werden, dann wüsste ich gern mehr über Euch als nur Euren Namen.“

„Nun gut.“ Er war vorsichtig. Vielleicht würde sie ja nur wissen wollen, wie er sein Fleisch gebraten haben wollte.

Sie griff nach ihren Karten und zog sie zu sich. „Ihr beginnt.“

Eins. Zwei. Verdeckt ausgeteilt. Die dritte wurde aufgedeckt.

Er hatte eine zwei. Sie eine drei.

„Also“, sagte er, wobei er sich eingestehen musste, dass er tatsächlich ein wenig nervös war. „Was möchtet Ihr wissen?“

3. KAPITEL

Alice lächelte über seine Frage. Was wollte sie wissen? Alles. Allerdings musste sie behutsam beginnen, damit er nicht misstrauisch wurde. „Erzählt mir von Eurem Zuhause.“

Ah, sie hatte ihn überrascht. Das bescherte ihr ein Gefühl von Zufriedenheit, weil sie offenbar auch ein wenig davon verstand, wie man vor der Schlacht die Lage erkundete. Sicherlich hatte er mit einer schwierigeren Frage gerechnet.

„Die Burg überblickt eine Flussquerung, und sie ist gut befestigt, mit dicken Mauern und vielen Türmen. Uns kann niemand überraschen.“

Sie seufzte. Sie fragte ihn nach seinem Zuhause, und er beschrieb ihr eine Festung. „Ich will nicht wissen, wie imposant die Burg ist, sondern wie es dort aussieht. Wenn ich dort leben soll, an einem Ort, den ich nicht kenne, dann wüsste ich gern, was ich jeden Tag vor Augen haben werde. Ist der Fluss breit und klar oder reißend und gefährlich? Kann man den Sonnenaufgang sehen? Oder den Sonnenuntergang? Wird der Himmel dabei feuerrot und golden oder zartrosa und gelb?“

Bei ihren Worten wurde sein Blick weicher, als würde er seine Heimat mit den Augen eines Liebenden betrachten. Aha, dann gab es unter all den scharfen Kanten also doch etwas, das ihm wichtig war. Falls sie jemals eine solche Liebe in seinen Augen erkennen würde, wenn er sie ansah, dann konnte sie sich glücklich schätzen.

„Die Burg liegt hoch auf einem Hügel, an einem Fluss mit den fettesten Fischen in ganz England, umgeben von üppigen grünen Wäldern voller Wild. Der Wind kommt aus Südwesten, und es ist das schönste Land der Christenheit.“

Nun war sie verblüfft. Mehr als nur ein Kämpfer. Offenbar steckte auch ein Dichter in ihm. Ein Mann, der seinem Land ebenso treu ergeben war wie seinem König. „Das klingt wunderbar.“

Er blinzelte, als wäre er gerade aufgewacht, und ein Hauch von Rosa stahl sich auf seine Wangen. „Aye.“

„Ihr liebt es sehr.“

„Tut nicht jeder Mann alles, was er tun muss, um seine Heimat zu beschützen?“ Nun fiel ihr auf, dass er beim Sprechen ganz leicht das R rollte, was sie zuvor nicht bemerkt hatte.

Eine Erinnerung daran, wie weit fort von ihrem eigenen Zuhause sie leben würde, sobald sie erst verheiratet waren. Ihr Vater hatte loyal zum Hause York gestanden. Was Richard betraf, war er jedoch immer skeptisch gewesen, selbst als dieser noch der Duke of Gloucester gewesen war.

Ihr zukünftiger Verlobter war nun wieder ganz der ernste Mann mit dem durchdringenden Blick, als er die Karten ein weiteres Mal aufnahm. „Nun, ich habe geantwortet. Lasst uns noch einmal spielen.“

Sie schwiegen, während er mischte und dann die Karten austeilte. Eins, zwei, drei. Sie deckten beide ihre Karten auf. Ihre war eine Königin. Doch er hatte einen König.

Natürlich, ein paar Runden würde sie wohl auch verlieren. Sie hielt den Atem an. Was würde er wissen wollen?

„Seid Ihr eine Frau, die einen Haushalt gut führen kann?“

Sie stieß die angehaltene Luft aus. Erleichterung und Enttäuschung. Mit den Fragen, vor denen sie sich gefürchtet hatte, war sie verschont worden – Fragen über ihre Familie und deren Gesinnung. Doch was sie selbst anging? In dieser Hinsicht wollte er nur wissen, ob sie eine gute Gehilfin sein würde, eine Dienerin seiner schönen Burg.

Also antwortete sie mit: „Ja.“

Dummkopf. Er hatte ihr eine Frage gestellt, die sich mit Ja oder Nein beantworten ließ. Mehr würde er von ihr nicht bekommen. Natürlich hätte sie damit angeben können, wie gut sie die Küche und die Geschirrschränke im Griff hatte, den Garten und die Vorratskammer. Sie konnte einen Haushalt auf eine Reise vorbereiten und ihn so in Schuss halten, dass sich jeder Gast willkommen fühlte. Er hatte ein Recht darauf, dies von ihr zu verlangen.

Doch würde es ihn interessieren, wenn er erfuhr, dass sie die ersten Verse der Canterbury Tales auswendig konnte? Oder dass sie die Laute spielte?

Nun, ja. Offenbar war nun doch sie der Dummkopf, weil sie von ihrem Ehemann mehr erhofft hatte, als dass er ihr Schutz bot.

„Ja?“, hakte er nach. „Das ist alles?“

„Ihr habt gefragt. Ich habe geantwortet. Nächste Runde.“ Dieses Mal nahm sie die Karten. Vielleicht würden sie ihr mehr Glück bringen, wenn sie das Deck selbst mischte.

Eins. Zwei. Und … sie hatte schon wieder verloren.

„Was möchtet Ihr wissen?“, fragte sie seufzend.

Einen Moment lang wirkte er verwirrt, als fiele ihm einfach nichts ein, was er sie fragen konnte. Dann veränderte sich etwas in seinem Blick, als hätte er gerade begriffen, was er wirklich wissen wollte …

„Ein Kuss.“

Es klang fast wie ein Knurren. Tief aus der Kehle.

Erstaunt sah sie ihn an. Wollte er einfach nur, dass sie aufhörte zu reden? War dies der vorgeschriebene Tribut an den weihnachtlichen Mistelzweig? Nein. Dies hier ging tiefer. Als würde er etwas von ihr wollen, das über den pflichtschuldigen Kuss einer Ehefrau hinausging. Etwas, das ein bisher ungekanntes Verlangen in ihr entfachte.

Er kam näher. Sie beugte sich zu ihm vor. Wärme, seine Brust, die gegen ihre drückte, seine Arme, die sie umfingen, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte …

„Ein Kuss. Das ist keine Frage.“ Ihre Stimme klang heiser.

Er hielt inne.

Ganz kurz wurde sein Blick wieder klar, doch er ließ sie nicht los. Ihre Brust an seiner, so wie es vielleicht einmal im Ehebett sein würde.

„Würdet. Ihr. Mich. Küssen?“ Seine Worte klangen noch rauer als ihre.

Er hatte gefragt. Und sie wollte es, sie wollte es so sehr … „Ja.“

Wie hatte sie je denken können, dass eine Ja-Nein-Frage dumm wäre? Denn die Antwort bestand nicht nur aus einem Wort, sondern aus der Wärme seines Atems auf ihrer Wange, aus ihren Lippen auf seinen, aus ihrem ganzen Körper. Der Kuss schien sich in ihr auszubreiten, als würde er sie enger miteinander verbinden, als es ein Verlöbnis je könnte.

John war es, der sich schließlich von ihr löste. Er atmete so schwer, als käme er gerade vom Schlachtfeld. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Gar nichts. Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war es dieser Kuss gewesen, den er mehr gewollt hatte als alles andere. Seit er die Kurven ihres Körpers bewundert und dabei immerzu versucht hatte, seine Blicke vor ihr zu verbergen, damit sie den Hunger darin nicht entdeckte.

Und sie hatte ihn nicht entdeckt. Sie hatte nur einen Boten gesehen, jemanden, den sie bei ihrer zweiten Begegnung wahrscheinlich nicht einmal auf Anhieb wiedererkannt hätte. Doch der Schwung ihrer Taille, die Neigung ihres Kopfes, dies alles hatte sich sofort in sein Gedächtnis eingebrannt. Als er dann den Mantel um sie gelegt und ihre Wärme an seinem Herzen gespürt hatte, da hatte er begriffen, dass es mehr werden würde als eine simple Heirat.

Alles andere als die formelle Verbindung, die er gewollt hatte.

Dieses Verlöbnis war nur ein Zug in einem großen, ungewissen Schachspiel. Ein Versprechen, von jemand anderem aus Gründen gegeben, die nichts mit ihr oder mit ihm zu tun hatten. Um zwei Familien an etwas zu binden, das hoffentlich die Zukunft des Landes verändern würde.

Nichts Persönliches.

Jedenfalls bis jetzt.

Nun war es etwas, das er wollte, unbedingt. So sehr, dass er zugelassen hatte, dass dieses Verlangen sein Urteilsvermögen trübte, seine Leidenschaft weckte und sie seinem Verlangen aussetzte. Einem Verlangen, das erst befriedigt werden konnte, wenn sie wirklich vereint waren …

Sie regte sich in seinen Armen, und rasch ließ er sie los. „Ich glaube, die nächste Runde gewinne besser ich“, sagte sie gelassener, als er es in diesem Moment zustande gebracht hätte.

Ihr spitzer Kopfputz saß schief. Er wollte ihn geraderücken, stieß ihn jedoch nur noch weiter zur Seite. Lachend wollte sie danach greifen, wobei sie versehentlich über seine Hände strich.

Er ließ die Arme sinken und zwang sich zu einem Lächeln.

Daraufhin nahm sie kurzerhand den Kopfputz ab und legte ihn beiseite, ohne John anzusehen. Dann wandte sie sich wieder dem Tisch zu und teilte schweigend die Karten aus.

Er konnte nicht sagen, wessen Finger stärker zitterten.

Eins. Zwei. Drei. Dieses Mal hatte sie gewonnen.

Nervös wartete er, während sie ihn musterte. Wie würde ihre Frage lauten?

„Wart Ihr schon einmal mit einer Frau zusammen?“

Es gab viele Fragen, die er nicht hätte beantworten wollen, doch an diese hatte er nicht gedacht. Sie machte ihn verlegen. Was sollte er entgegnen? Er öffnete den Mund …

„Ich meine …“, fügte sie rasch hinzu. „Erzählt mir von den Frauen, mit denen Ihr zusammen wart.“

Erleichtert lachte er auf, als ihm sein eigener Fehler von zuvor wieder einfiel. „Ihr könnt die Frage nicht nachträglich ändern.“ Er konnte mit einem einzigen Wort antworten. Das machte es einfach. Welcher Mann war noch nicht mit einer Frau zusammen gewesen? Oder mit zwei. Oder mehr. „Ja.“

Die Glocke begann zu läuten und rief alle zur Mitternachtsmesse. Alice schob die Karten zu einem ordentlichen Stapel zusammen, reichte sie ihm und erhob sich.

„Dann betet heute Nacht um Vergebung.“

Zwischen der Mitternachts- und der Morgenmesse hatte Alice nur wenig Schlaf gefunden. Sie redete sich ein, es läge daran, dass sie an Weihnachten verlobt werden würde, doch das stimmte nur zum Teil.

Jedes Mal wenn sie die Augen schloss, spürte sie wieder seinen Kuss. Nicht nur auf den Lippen, sondern auf ihrer Haut, in ihrem Blut. Sogar – konnte sie es wagen, es auch nur zu denken? – in ihrer Seele. Alles hatte sich verändert, und auf einmal war sie eifersüchtig auf jene anderen Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, bevor sie ihn überhaupt gekannt hatte.

Sie versuchte, stattdessen an die Verlobungszeremonie zu denken und an die Anweisungen, die man ihr gegeben hatte. Sie beide sollten nach der Morgenmesse noch bleiben, dann würde man sie in eine kleine Kapelle neben der Kirche bringen, wo sie ihr Treuegelöbnis ablegen sollten.

Sie machte sich auf den Weg, als die Morgendämmerung den noch dunklen Himmel berührte, eine Erinnerung an die Geburt Jesu, das Licht der Welt. Im Augenblick war es eine dunkle Welt, die das Licht dringender brauchte als jemals zuvor.

Sie lauschte den vertrauten lateinischen Versen und dachte an die frühere Königin und ihre Töchter auf der anderen Seite der Mauern von Westminster. Sie hatte erfahren, dass es einem Priester gestattet worden war, sie zu besuchen und mit ihnen die Weihnachtskommunion zu zelebrieren. Derselbe Priester, der sie schon bald mit John vereinigen würde.

Stand der Mann in irgendeiner Weise mit der früheren Königin und ihren Geheimnissen in Verbindung?

Als die Messe vorüber war, kniete sie weiter schweigend in ihrer Reihe. Niemand würde sie fragen, warum sie noch im Gebet verweilte. Endlich war es um sie herum still geworden, und sie öffnete die Augen. Auf der anderen Seite des Mittelgangs erhob sich John.

Als er die Kirche verließ, stand auch sie auf und ging zu der kleinen Kapelle des Heiligen Erasmus, wo John vor dem Altar auf sie wartete. Der Priester war ebenfalls anwesend. Seine Miene war finster, zweifellos, weil man ihn noch länger von seinem Frühstück fernhielt.

Ihr eigener Magen knurrte, und sie legte eine Hand darauf, um das Geräusch zu dämpfen.

Bei einem Verlöbnis mussten Zeugen anwesend sein, doch diese Rolle erfüllten Johns Eltern, wodurch der Kreis der Eingeweihten möglichst klein blieb. Die Zeremonie war zwar kein Geheimnis, doch sie wurde sehr diskret gehandhabt, was Alice noch immer nicht verstand.

Etwas verspätet begriff sie, dass sie John genau danach hätte fragen sollen, als sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Nicht diesen Unsinn über andere Frauen.

Sie musterte seine Eltern. Genau wie sein Sohn war der Earl of Stanson ein harter, schlanker Mann, doch sein Gesicht zeigte, dass er weit mehr Jahre voller Krieg und Betrug erlebt hatte als John. Seine Gemahlin trat an Alices Seite und tätschelte ihr den Rücken, als wäre sie ein Kind.

Was für eine Ehe führten diese beiden wohl? Was erwartete John von ihrem gemeinsamen Leben?

Unvermittelt nahm John ihre Hand. Sein Griff war tröstlich. Stark. Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen. Ein wenig sanfter an diesem Morgen. Ein wenig müde. Eines Tages würde sie neben ihm im Bett erwachen. Vielleicht würden sie sich dann wieder küssen …

Der Priester begann. Er redete schnell. Versprechen vor Gott … Darf nicht gebrochen werden … Sie sprachen ihre Zeilen, ebenso monoton wie zuvor in der Messe. Johns Vater überwachte die Zeremonie mit gerunzelter Stirn, als wäre er sich nicht sicher, ob es das Richtige war.

Und ihre abwesenden Eltern? Was, wenn sie sich irrte? Was, wenn sie hiermit nicht einverstanden waren …?

Dann war es vorbei. Einfach so.

„Wann werden wir verheiratet?“, frage Alice.

Peinlich berührtes Schweigen. Blicke wurden getauscht.

John war es, der schließlich antwortete. „Das ist noch nicht entschieden.“

Seine Eltern setzten ein geübtes Lächeln auf, als sie die Kapelle verließen, und murmelten bedeutungsleere Glückwünsche.

Alice stellte keine Fragen mehr.

John musterte den Speisesaal beim Eintreten unauffällig. Richard und seine Königin saßen etwas abseits, doch seine Eltern und der Rest des Hofes hatten offenbar beschlossen, es wäre ein Grund zum Feiern, dass sie das vergangene Jahr überlebt hatten und noch immer den Kopf auf den Schultern trugen.

Er selbst war nicht in Feierlaune.

Seine Verlobung war ein Glücksspiel, und sie hatten viel zu verlieren. Seine Familie hatte im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben darauf verwettet.

Allerdings würde es Aufmerksamkeit erregen, wenn er einfach schweigend herumstand, also holte er zwei Krüge Ale, reichte Alice einen davon und prostete ihr zu.

Sie hob die Brauen. „Auf was trinken wir, Mylord?“

„Auf ein langes Leben.“ Er stieß sacht mit seinem Krug gegen ihren. „Zusammen“, fügte er nur ein wenig verspätet hinzu. Es wäre schon ein Glücksfall, wenn er auch nur das kommende Jahr überlebte.

Auch ihre Miene wirkte ernst, trotzdem hob sie den Krug und prostete ihm ebenfalls zu.

Er rang sich ein Lächeln ab. Sie tat dasselbe. „Werden wir für den Rest des Tages … zusammenbleiben?“

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht nötig.“ Nun, da die Verbindung geknüpft war, musste er sie nicht mehr unbedingt ständig im Auge behalten, und vielleicht war es besser, wenn er sich von ihr fernhielt, um nicht in Versuchung zu geraten. Denn so wichtig das Verlöbnis auch war, es durfte dennoch keine vollzogene Ehe daraus werden. Noch nicht.

Also trennten sich ihre Wege, und sie durchstreiften den Saal jeder für sich allein, auch wenn offenbar keiner von ihnen beiden viel Zeit mit irgendjemand anderem verbringen wollte.

Sehen und gesehen werden. Keine Aufmerksamkeit erregen. Genug Musik und Fröhlichkeit, um Unterhaltungen unnötig zu machen und nur eine heitere Miene zur Schau tragen zu müssen.

Als sie einander jedoch wieder begegneten und schweigend nebeneinanderstanden und die Menge beobachteten, fühlte er sich bei ihr seltsam zu Hause. Selbst ihre geteilte Verlegenheit war tröstlich.

Es lenkte ihn davon ab, sie küssen zu wollen.

Der arme Scogin, der Narr, der schon dem letzten König gedient hatte, versuchte so verzweifelt, seinen jetzigen Herren zum Lachen zu bringen, als hinge sein Leben davon ab. Obwohl er Richard seit Jahren kannte, schien er sich genauso unsicher darüber zu sein wie der Rest des Hofes, was der König wohl als Nächstes tun würde.

John hatte bemerkt, wie Richards Blick ihm durch den Saal gefolgt war. Der König schien sich erst ein wenig entspannt zu haben, als sich John wieder zu Alice gesellt hatte. Gut gespielt also. Dass eine Familie, die dem früheren König ergeben gewesen war, eine Verbindung mit einer Familie einging, die loyal zu ihm selbst stand, schien Richard zu beruhigen. Genau so war es gedacht.

In Wahrheit hätte Richard besser genau das Gegenteil empfinden sollen.

Alice wandte sich ihm zu, nicht herausfordernd, aber mit einer neuen … Selbstsicherheit.

„Wir sind jetzt verlobt.“ Sie sprach leise, damit nur er sie verstand.

John nickte. Inzwischen wusste er, dass sie kaum etwas ohne bestimmten Grund sagte.

„Und dieses Verlöbnis geht über eine Verbindung zwischen unseren Familien hinaus.“

Eindeutig nicht naiv und lebensklüger, als er erwartet hatte. Er wich ihrem Blick aus. Konnte er ihr die Wahrheit anvertrauen?

Als er in ihre blauen Augen sah, vergaß er seine Gedanken und wünschte, dieses Verlöbnis wäre nicht an Bedingungen und Ungewissheiten geknüpft. Er wünschte, er wäre nicht so allein …

Ein weiterer Schluck Ale, ein Blick über die Schulter, dann führte er sie in den Korridor hinaus, fort von der Halle, doch mit freier Sicht, damit sich ihnen niemand unbemerkt nähern konnte. Dann beugte er sich zu ihr vor, und seine Lippen waren ihrem Ohr verführerisch nah. Für jeden, der sie zufällig sah, mussten sie wie ein lächelndes Pärchen aussehen, das während der Festlichkeiten miteinander tändelte.

„Ja“, flüsterte er. „Das tut es.“

4. KAPITEL

Ja. Das tut es.“

Alice hatte es gewusst, schon bevor John die Worte ausgesprochen hatte. Andernfalls wäre die frühere Königin nicht darin verwickelt gewesen, und es hätte keinen Grund dafür gegeben, sich am Rande der Heimlichtuerei entlangzuhangeln. Die Anzeichen waren deutlich.

„Wir vertrauen dir“, hatten ihre Eltern ihr gesagt. „Sei tapfer.“ Allerdings hatten sie ihr nicht verraten, worin die Gefahr bestand. Nun musste sie mutig genug sein, sich ihr zu stellen.

Sie begegnete Johns Blick. Ihr Verlobter, und dennoch waren ihr seine Beweggründe noch genauso schleierhaft wie bei ihrer ersten Begegnung. Warum? „Wir sind verlobt. Mein Schicksal ist für immer an das Eure geknüpft. Sagt es mir.“

Er musterte sie, und sie versuchte im Gegenzug, in seiner Miene zu lesen. Ihre Verbindung war eine Lüge, und dabei hatte sie noch nicht einmal richtig begonnen. Konnte es überhaupt Vertrauen zwischen ihnen geben?

Autor

Blythe Gifford
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