Hochzeit wäre die Lösung

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Wann begreift die hübsche Julia endlich, dass Alek Berinski sie nicht nur geheiratet hat, um in den Staaten bleiben zu können? Mit einem glühenden Kuss versucht er es der zarten Schönheit klarzumachen – doch sie ist verwirrt. Wird Julia je verstehen, wie sehr er sie begehrt?


  • Erscheinungstag 28.12.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787202
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Julia Conrad war selbst in besten Zeiten keine geduldige Frau, und die Zeiten waren düster. Rastlos ging sie in ihrem Büro auf und ab und umkreiste immer wieder den Schreibtisch. Sie fühlte sich so hilflos. Sie hätte persönlich mit Jerry zur Einwanderungsbehörde gehen sollen, anstatt die Entscheidung abzuwarten.

Aber sie war mit den Nerven am Ende, und die Beamten hätten das sofort bemerkt. Julia hatte allen Grund zur Besorgnis. Das Schicksal der Firma hing vom Ergebnis der heutigen Anhörung ab. Und sie war letztlich für alles verantwortlich.

Um sich zu beruhigen, sah sie aus dem Fenster des Gebäudes, das ihr Großvater dreißig Jahre zuvor erbaut hatte. Das Wetter schien ihre Stimmung widerzuspiegeln. Der Donner klang wie ein zorniger Grizzlybär, und als es blitzte, flackerten die Lichter im Raum.

Julia konnte sich in der Fensterscheibe sehen. Äußerlich war alles wie sonst. Das dunkle Haar war nach hinten gekämmt und wurde von einer goldenen Spange gehalten. Das schwarze Kostüm verriet exzellenten Geschmack. Sie wirkte gelassen und ruhig. Aber eben nur äußerlich. Innerlich war sie voller Anspannung. Sie war siebenundzwanzig, und wenn sie lächelte, wurde ihr hübsches Gesicht noch attraktiver. Aber in letzter Zeit hatte sie nicht sehr oft gelächelt. Genauer gesagt, seit drei Jahren. Und ihre Augen verrieten es. Schmerz und Verletzlichkeit waren deutlich in ihrem Blick zu erkennen.

Ihr Anblick betrübte sie, und Julia drehte sich hastig um. Sie war entschlossen, die Firma wieder auf die Beine zu bringen. Ihr Bruder Jerry half ihr dabei und opferte wie sie sein Privatleben. Sie hatten einige Erfolge erzielt. Und jetzt dies.

Julia war es ihrem Vater schuldig, Conrad Industries zu retten, und ihr Bruder setzte großes Vertrauen in sie. Sie wollte ihm unbedingt beweisen, dass sie es verdiente, aber dazu musste sie einen kühlen Kopf behalten. Zwei Jahre aufwendiger Forschung drohten umsonst gewesen zu sein, weil sie das Wohl und Wehe der Firma von den Ideen und Experimenten eines einzigen Mannes abhängig gemacht hatten.

Aleksandr Berinski war ein brillanter Biochemiker. Jerry hatte ihn vor Jahren auf einer Europareise kennengelernt und Julia davon überzeugt, dass dieser Mann die Antwort auf ihre Probleme war. Rückblickend fand Julia, dass ihr Bruder recht behalten hatte. Aleks Ideen würden die Farbindustrie bald revolutionieren. Ihn in die Vereinigten Staaten einzuladen war ein kühner Schritt gewesen, aber sie hatte ihn noch nie bereut. Nicht eine Sekunde.

Aleksandr Berinski von Prushkin, einem kleinen Staat, der einmal zum großen sowjetischen Imperium gehört hatte, auszuleihen und nach Seattle zu holen war riskant – das größte Risiko, das Conrad Industries je eingegangen war. Denn jetzt lag das Schicksal der Firma in den Händen eines unerbittlichen Beamten der Einwanderungsbehörde.

Julia hatte alles getan, um Aleksandrs Visum verlängert zu bekommen. Sie hatte in einem Brief erklärt, wie wichtig er für die Firma war. Sie hatte Dokumente beigefügt, die bewiesen, dass Aleksandr Berinski ein angesehener Wissenschaftler war. Jerry, ein verdammt guter Wirtschaftsanwalt, hatte Wochen mit der Vorbereitung ihres Antrags verbracht. Aber er hatte sie gewarnt. Es konnte Probleme geben, denn Aleksandrs Aufenthaltsgenehmigung war vom Typ H-2. Und ein H-2-Visum galt nur für eine vorübergehende Beschäftigung. Außerdem war sein Fall an einen besonders strengen Beamten geraten. Und der konnte durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass man für Aleksandr eine befristete Aufenthaltsgenehmigung beantragt hatte, obwohl die Geschwister von Anfang an vorgehabt hatten, ihn auf Dauer zu beschäftigen.

Julia sah auf die Uhr. Erst wenige Minuten waren vergangen. Sie ärgerte sich über ihre Ungeduld und setzte sich in den weißen Ledersessel. Auf dem schwarzen Schreibtisch war alles ordentlich arrangiert, denn sie hatte gern alles unter Kontrolle.

Als das Telefon läutete, zuckte sie zusammen. Sie griff nach dem Hörer. Das konnte nur Jerry sein.

„Hallo, Schwesterherz“, meldete er sich. „Ich rufe vom Wagen aus an. Ich fürchte, es ist nicht so gut gelaufen, wie wir gehofft haben. Die Behörde weigert sich, Aleks Visum zu erneuern.“

Julia fühlte sich, als hätte sie einen Tritt in den Magen bekommen. Sie schloss die Augen. Warum war sie so entsetzt? Ihr Bruder hatte sie doch gewarnt. Aleksandr konnte keinen festen Wohnsitz in Prushkin mehr nachweisen, und für die Behörde war das der Beweis, dass er für immer in den USA bleiben wollte.

„Wann muss er ausreisen?“

„Bis Ende der Woche. Dann läuft sein bisheriges Visum ab.“

„So schnell?“

„Ja.“

„Jerry, was sollen wir tun?“, fragte sie verzweifelt.

„Darüber reden wir, wenn ich wieder im Büro bin“, sagte ihr Bruder beruhigend. „Keine Sorge, ich habe einen Notplan.“

Wie nett von ihm, dass er es jetzt schon erwähnt, dachte Julia. Er hätte ihr schlimme Stunden erspart, wenn er am Morgen damit herausgerückt wäre.

Keine zehn Minuten später kündigte ihre Sekretärin Jerry an.

Julia stand am Fenster, als er mit Aleksandr Berinski eintrat. Obwohl Aleksandr seit fast zwei Jahren für Conrad Industries arbeitete, hatte sie ihn nur ein paarmal gesehen. Aber sie las seine wöchentlichen Berichte und war begeistert, welche Fortschritte seine Arbeit machte. Zweifellos würden die Ergebnisse Conrad Industries wieder eine solide finanzielle Grundlage verschaffen.

Die Farbenserie, die Aleksandr entwickelte, sollte Phoenix heißen, weil sie und Jerry das Familienunternehmen buchstäblich aus der Asche gerettet hatten. So dicht vor dem Erfolg zu stehen und in letzter Minute zu scheitern war mehr, als Julia ertragen konnte.

Drei Jahre lang kämpfte sie jetzt schon ums Überleben. Dass sie so hart und manchmal sogar rücksichtlos sein konnte, war Roger Stanhope zu verdanken. Aber wenn Aleksandr nach Prushkin zurück musste, war alles umsonst gewesen.

Das Ende der Firma wäre auch das Ende für ihre Großmutter. Niemand wusste besser als Julia, wie angegriffen Ruths Gesundheit seit einigen Monaten war.

„Du sagtest, du hättest einen Notplan“, sagte sie zu Jerry und ging an den Schreibtisch zurück. Als sie sich interessiert vorbeugte, sah Aleksandr sie an.

Hastig wich sie seinem Blick aus. Der Mann irritierte sie auf eine Weise, die sie nicht verstand. Er war groß, schlank und besaß perfekte Manieren. Sein Gesicht war nicht hübsch wie Rogers, sondern eher hager und ausdrucksstark. Die dunklen Augen verrieten Entschlossenheit und charakterliche Stärke. Er lächelte, als Julia ihn fragend anschaute. Rasch konzentrierte sie sich wieder auf Jerry.

„Es gäbe da eine Möglichkeit …“, sagte er.

„Red nicht herum. Heraus damit“, verlangte sie verärgert. Jerry wusste genau, wie kritisch die Lage war.

Ihr Bruder stellte den Aktenkoffer ab und zeigte auf den Sessel. „Vielleicht solltest du dich besser hinsetzen.“

„Wozu?“, fragte sie erstaunt.

„Sie auch, Aleksandr“, riet Jerry und ging ans Fenster.

„Nun sag schon“, forderte Julia ihn auf, als er schwieg.

Jerry ließ seinen Blick von Julia zu Aleksandr wandern, und sie bemerkte, dass seine Wangen gerötet waren. „Es gibt nur einen legalen Weg, Aleksandr hierzubehalten“, sagte er und sah Julia ernst an. „Du müsstest ihn heiraten.“

„Ich hatte gehofft, dass du mich besuchen würdest“, sagte Ruth Conrad, Julias Großmutter, leise und streckte die Hand aus. Sie saß im Bett, blass und mit streng zurückgekämmtem Haar. Nur die Augen verrieten noch einen Hauch ihrer früheren Schönheit. Aber jetzt wurde sie von Tag zu Tag schwächer.

Julias kühle Fassade fiel sofort von ihr ab, wenn sie mit ihrer geliebten Großmutter sprach. Sie setzte sich in den Sessel neben dem alten Messingbett, streifte die Schuhe ab und zog die Beine unter den Körper.

Wann immer sie Ruth besuchte, konnte sie die chaotische Welt draußen lassen. Hier fand sie Ruhe und Ausgeglichenheit. Selbst das Unwetter, das über der Stadt tobte, schien weit weg zu sein.

„Der Donner hat mich geweckt“, sagte Ruth und lächelte matt. „Ich habe Charles die Vorhänge aufziehen lassen. Die Wolken zogen vorbei wie riesige Rauchpilze. Es sah großartig aus.“

Julia nahm die Hand ihrer Großmutter und sah sich in dem Zimmer um, in dem Ruth ihre Schätze um sich gesammelt hatte. Auf dem Nachttisch standen neben den Medikamenten mehrere Fotos in silbernen Rahmen. Über der Lehne des antiken, mit Chintz bezogenen Ohrensessels lag die warme Wolldecke, in die Ruth sich hüllte, wenn sie sich wohl genug fühlte, um das Bett zu verlassen. Auf dem runden Tisch daneben befand sich ein Foto, das kurz nach dem College-Abschluss von Julia gemacht worden war. Wie naiv und unschuldig ich damals wirkte, dachte sie.

„Es ist schön, dass du gekommen bist“, sagte Ruth.

Julia kam fast jeden Tag, denn sie wusste, dass die Zeit, die ihr mit ihrer Großmutter blieb, bemessen war. Sie hatte mit ihr über die Firma und ihre Pläne, sie mit Aleks Hilfe zu retten, gesprochen. Ruth hatte Alek unbedingt kennenlernen wollen, und als Jerry ihr den russischen Wissenschaftler vorstellte, hatten die beiden sich hervorragend verstanden.

„Ich möchte nämlich mit dir reden“, flüsterte Ruth.

Wie schwach sie klang. „Ruh dich aus“, erwiderte Julia. „Wir reden später.“

„Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, Julia. Höchstens ein paar Wochen …“

„Unsinn. Du bist nur müde. Bald geht es dir wieder besser“, sagte Julia aufmunternd, obwohl sie selbst nicht daran glaubte.

Ruth fielen die Augen zu, aber sie öffnete sie wieder. „Wir müssen über Roger reden“, sagte sie leise, aber eindringlich.

Julia lief es kalt den Rücken herunter. „Nicht … jetzt.“

„Doch.“

„Großmutter, bitte …“

„Er hat dich verraten, Kind, und du trauerst noch immer. Der Schmerz wird dich noch umbringen. So, wie mein altes Herz mich.“

„Ich denke gar nicht mehr an ihn“, versicherte Julia, obwohl es eine Lüge war. Sie versuchte, ihn zu vergessen, aber das würde sie wohl erst schaffen, wenn die Wunden verheilt waren, die er ihr geschlagen hatte.

„Die Trauer vergiftet dich … Ich war zu schwach … um dir darüber hinwegzuhelfen.“

„Bitte, Grandma. Ich habe Roger seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Wozu sollen wir jetzt über ihn sprechen?“, fragte Julia.

„Er hat dich im Stich gelassen.“

Julia biss die Zähne zusammen. Das war noch milde formuliert. Roger hatte sie nicht nur im Stich gelassen, er hatte sie verraten, betrogen und verlassen. Wenn sie daran dachte, wie sehr sie ihn geliebt und ihm vertraut hatte, wurde ihr fast übel vor Enttäuschung. Nie wieder würde sie ein Mann in ihr Herz schließen und ihm die Macht geben, sie zu manipulieren.

„Es ist an der Zeit, ihm zu verzeihen“, sagte Ruth.

Julia schüttelte den Kopf. Ihre Großmutter verlangte etwas Unmögliches. Was Roger getan hatte, war unverzeihlich. Und nicht zu vergessen. Roger hatte ihr die wichtigste Lektion ihres Lebens erteilt. Eher würde sie sich in ihrer Arbeit vergraben und nie wieder lieben, als Roger zu vergeben.

In vielerlei Hinsicht hatte sie das bereits getan.

„Ich möchte, dass du wieder liebst.“ Ruth sprach so leise, dass Julia sie kaum noch hörte. „Ich werde nicht in Frieden sterben können, wenn ich weiß, wie schlecht du dich fühlst.“

„Großmutter, wie kannst du so etwas sagen? Jerry und ich arbeiten hart, um die Firma wieder aufzubauen. Wir stehen kurz vor dem Erfolg. Ich habe dir doch erzählt, was Aleksandr schon alles geschafft hat. Wie kannst du sagen … dass ich mich schlecht fühle? Dies ist die größte Herausforderung meines Lebens.“

„Was bedeutet das schon, wenn deine Vergangenheit so schmerzt, dass sie dich lähmt? Ich habe all diese Jahre darauf gewartet, dass du dich davon frei machst und wieder eine Liebe findest …“ Sie zögerte, und ihre Augen wurden feucht. „Ich möchte, dass du heiratest und so glücklich wirst, wie ich es war. Das ist das Einzige, das mich noch am Leben hält.“

„Ich werde nie wieder fähig sein, einem Mann zu vertrauen.“

„Das musst du aber … deinetwegen“, sagte Ruth beschwörend.

„Ich kann nicht. Nicht nach dem, was Roger mir angetan hat. Das musst du doch verstehen …“

Ruth schüttelte den Kopf und hob beschwörend die Hände. „Ich habe den Tag herbeigesehnt, an dem du mir den Mann vorstellst, den du liebst. Ich habe gehofft, dass dieser Mann Aleksandr sein würde … er ist ein so guter, so brillanter Mensch. Aber … ich kann nicht mehr warten. Meine Zeit geht zu Ende.“ Sie schloss die Augen, und ihr Kopf fiel nach vorn.

Julia betrachtete sie schweigend. Sich noch einmal verlieben? Unmöglich. Sie weigerte sich, auch nur daran zu denken.

Heiraten. Alek.

Das war heute schon das zweite Mal, dass sie diesen Vorschlag hörte. Erst von Jerry als Lösung ihres Problems mit der Einwanderungsbehörde, jetzt von ihrer Großmutter als Heilmittel gegen ihren Schmerz.

Julia stand auf. Ruth war eingeschlafen. Die Großmutter, die sie immer geliebt und selbst dann zu ihr gehalten hatte, als die ganze Welt um sie herum zu zerfallen drohte.

Sie dachte, wie sie als kleines Mädchen zu Ruth ins Bett geschlüpft war, als ein heftiges Gewitter ihr Angst gemacht hatte. Diese Geborgenheit hatte sie bei Ruth auch später immer gefunden. Aber bald würde sie den Menschen verlieren, der ihr immer alles gegeben und nie etwas von ihr verlangt hatte. Julia wusste nicht, ob sie ihrer Großmutter diese letzte Bitte abschlagen konnte.

Als Julia ihn bat, zu ihr zu kommen, war Aleksandr nicht überrascht. Seit der Szene in ihrem Büro hatte er auf die Einladung gewartet. Trotzdem würde er Julia Conrad nie verstehen. Sie war eine Frau mit einem Eispanzer um sich und Narben auf der Seele. Das hatte er gleich gesehen. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart nicht wohl und vermied jeden Blickkontakt mit ihm. Wahrscheinlich merkte sie, dass er sie durchschaute und den tiefen Schmerz hinter der selbstsicheren Fassade wahrnahm.

Julias Sekretärin führte ihn zu ihr. Sie saß am Schreibtisch und sah lächelnd hoch, als er eintrat.

„Bitte, setzen Sie sich“, sagte sie förmlich. „Ich hoffe, ich halte Sie nicht von der Arbeit ab.“

„Für Sie bin ich nie zu beschäftigt, Miss Conrad“, erwiderte er.

Ihre Schönheit war so makellos, dass er immer wieder fasziniert von dieser Frau war.

„Ich dachte, wir sollten uns einmal unterhalten“, sagte sie.

„Über meine Arbeit?“

Sie antwortete nicht, sondern stand auf und ging dorthin, wo der Schatten es ihm erschwerte, ihre Miene zu deuten.

„Erzählen Sie mir, was Ihre Experimente machen“, bat sie, die Hände auf dem Rücken. Sie glich einem Anwalt, der nervös vor den Geschworenen stand.

Aleksandr wusste, dass Julia seine wöchentlichen Berichte sorgfältig las. Trotzdem kam er ihrer Bitte nach. Die Farbzusätze, die er für Conrad Industries entwickelte, bargen erstaunliche Möglichkeiten. Mit ihrer Hilfe brauchte eine gestrichene Oberfläche nur mit einer ebenfalls von Conrad produzierten Lösung abgewaschen zu werden, um mit neuer Farbe versehen zu werden. Das Verfahren funktionierte in den verschiedensten Bereichen, von Hausfassaden über Autos bis zu Gartenmöbeln.

Seine zweite Erfindung bestand aus einer chemischen Verbindung, mit der sich alte Farbe mühelos, ohne Abkratzen oder Erhitzen entfernen ließ. Und zwar ohne die schädlichen Auswirkungen, die die bisherigen Mittel auf die Umwelt hatten.

Aleksandr beschrieb Julia seine Experimente. Er bedauerte sehr, dass er nicht bei Conrad Industries bleiben konnte, bis die Produkte auf den Markt kamen, aber es ließ sich nicht ändern.

„Also stehen Sie kurz vor dem Durchbruch“, folgerte sie.

„Wenige Monate.“

Überrascht und erfreut zog sie die schmalen Augenbrauen hoch, aber ihre Miene wurde sofort wieder kühl, als sie den kurzen Blickkontakt abbrach. Aleksandr fragte sich, wie viele Männerherzen Julia wohl schon gebrochen hatte. Sie gab sich unnahbar, unberührbar, als eine Frau, von der die meisten Männer nur träumen durften.

„Aleksandr.“ Sie sprach seinen Vornamen mit einer lässigen Vertrautheit aus, obwohl sie ihn noch nie so angeredet hatte. „Wie Sie wissen … haben wir ein Problem.“ Sie ging zu ihm. „Wir sind zu kurz vor dem Erfolg, um jetzt alles zu verlieren. Ich darf es nicht zulassen. Mein Bruder hat eine Lösung vorgeschlagen.“

Aleksandr traute seinen Ohren nicht. Sie dachte doch nicht etwa ernsthaft daran, ihn zu heiraten?

„Ich habe über Jerrys Vorschlag nachgedacht“, fuhr sie mit schüchterner Stimme fort. Sie sah ihn über die Schulter an, während sie zum Schreibtisch zurückging. „Wie es aussieht, ist eine Heirat tatsächlich unsere einzige Chance.“

Er ließ sich nicht täuschen. Julia Conrad war viel zu stolz und selbstbewusst, um die Rolle glaubwürdig zu spielen.

„Natürlich würden wir Sie für Ihre … Hilfe angemessen entschädigen. Wir würden Ihr jetziges Gehalt verdoppeln“, bot sie an. „Natürlich wäre es keine richtige Heirat. Wenn Sie die Arbeit hier beendet haben, würde es eine diskrete Scheidung geben. Wenn Sie einverstanden sind, lasse ich Jerry einen entsprechenden Vertrag aufsetzen.“

Aleksandr war überzeugt, dass Julia jede andere Lösung vorgezogen hätte, doch leider gab es keine. Nur deshalb war sie zu einer Scheinehe bereit, gefolgt von einer Scheidung in aller Stille.

Dass sie ihn mit Geld bestechen wollte, störte ihn. Er verdiente schon jetzt weit mehr, als er in Prushkin jemals bekommen hätte. Das meiste davon schickte er seiner Familie. Er selbst lebte so sparsam wie möglich.

„Ich weiß, dass Ihre Familie noch in Prushkin lebt“, sagte sie. „Wenn wir … unseren Plan in die Tat umsetzen, könnten wir ihr vielleicht helfen, in die Vereinigten Staaten auszuwandern.“ Er antwortete nicht. „Falls Sie das möchten … Möchten Sie das?“, fragte sie.

„Meine Schwester ist verwitwet und lebt bei meiner Mutter.“ Er stand auf, ging ans Fenster und kehrte ihr den Rücken zu. Am liebsten hätte er Julia Conrad in den Arm genommen. Sie wirkte arrogant und abweisend, aber vor ihm konnte sie ihre Widersprüchlichkeit nicht verbergen. Hinter der kühlen Maske steckte eine Frau, die sich um ihre Mitarbeiter sorgte und manchmal fast zu großzügig war. Kurz nach seiner Ankunft hier hatte er gesehen, wie sie ihre Großmutter durch die wiedererrichteten Firmengebäude führte. Sie hatte vor Stolz und Freude gestrahlt, und dieses Bild hatte er bis heute nicht vergessen.

Heirat. Er seufzte innerlich. Seine Religion ließ eine Scheidung nicht zu, und er wehrte sich dagegen, sein Leben und sein Glück geschäftlichen Belangen zu opfern.

„Ich wünschte, Sie würden etwas sagen“, meinte sie.

Er nahm wieder Platz. „Es gibt eine Menge zu bedenken, bevor wir eine solche Vereinbarung treffen.“

„Natürlich.“

„Ihr Geld interessiert mich nicht.“

Das schien sie zu erstaunen. „Nicht einmal dann, wenn es Ihrer Familie zugutekäme?“

„Nicht einmal dann.“ Was er jetzt verdiente, war absolut ausreichend. Julia war nicht die Einzige, die Stolz besaß. Alek ließ sich nicht kaufen. Sie, eine Frau, die niemanden brauchte, brauchte ihn, und er verstand, wie schwer ihr der Vorschlag gefallen sein musste. Alek war nicht ganz uneigennützig. Er hatte bereits einen Preis im Kopf.

„Was wollen Sie dann?“

Er zuckte mit den Schultern, denn er wusste nicht recht, wie er es ihr sagen sollte.

Sie stand auf, ging davon und kehrte ihm den Rücken zu. Er bewunderte ihre anmutigen geschmeidigen Bewegungen. Sie war eine selbstsichere Frau. Normalerweise. Aber im Moment war sie total verunsichert.

„Finden Sie die Vorstellung, mich zu heiraten, so erschreckend?“, fragte sie schließlich.

„Nein. Sie sind sehr hübsch.“

„Wo liegt dann das Problem?“

„Ich will kein Geld.“

„Wenn nicht Geld, was dann? Einen Anteil an der Firma? Einen Posten als Vizepräsident? Sagen Sie es mir.“ Ihr Blick war fast flehend.

„Für Sie hier in Amerika ist die Ehe etwas anderes als für uns in Prushkin. In meinem Land heiraten ein Mann und eine Frau nicht immer aus Liebe. Aber wenn wir erst verheiratet sind, bleiben wir es unser Leben lang.“

„Aber Sie sind jetzt nicht in Prushkin, sondern in Amerika“, wandte Julia ein.

„Die Amerikaner behandeln die Ehe wie Kleidung. Wenn sie unbequem wird, werfen sie sie weg. Mein Kopf sagt mir, dass ich in Ihrem Land lebe, aber mein Herz glaubt an die Tradition. Wenn wir heiraten, Julia, wird es keine Scheidung geben.“

Ihre dunklen Augen blitzten auf.

Aleksandr ignorierte den Zorn in ihrem Blick. „Ein solches Arrangement nützt uns beiden. Ich bleibe im Land und setze meine Experimente fort. Auch Sie bekommen, was Sie wollen. Aber die Sache hat einen Preis. Diese Ehe wird echt sein, oder es wird sie nicht geben.“

Ihr Blick wurde verächtlich. „Also wollen Sie nicht nur das goldene Ei, Sie wollen auch noch die Gans?“

„Die Gans?“ Aleksandr kannte das Märchen nicht. Er lächelte. „In meinem Land gibt es zur Hochzeit Gänsebraten. Von dem goldenen Ei weiß ich nichts. Das können Sie behalten. Ich will nur Sie.“

„Das habe ich mir gedacht“, erwiderte sie heiser.

Das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete, und Julia riss den Hörer von der Gabel. „Ich sagte, ich möchte nicht gestört werden“, fuhr sie ihre Sekretärin an. Dann lauschte sie. „Ja, ja, das war richtig. Stellen Sie ihn durch … Dr. Silverman, hier ist Julia Conrad. Sie haben meine Großmutter ins Virgina Mason Hospital bringen lassen?“

Alek sah, wie die eben noch wütenden Augen feucht wurden.

„Natürlich“, fuhr sie fort. „Ich werde meinen Bruder verständigen, und wir kommen so schnell wie möglich hin. Danke für Ihren Anruf.“ Sie legte auf und ging zur Tür. Aleksandr schien sie ganz vergessen zu haben.

„Ihre Großmutter ist krank?“, fragte er.

Sie drehte sich um, als wäre sie überrascht, ihn zu hören. „Ich … muss gehen. Ich glaube, es hat keinen Sinn, weiter über meinen Vorschlag zu diskutieren. Ich kann Ihre Bedingung nicht akzeptieren. Eine derartige Ehe kommt für mich nicht infrage. Ich hatte gehofft, wir würden einen Kompromiss finden, aber das scheint unmöglich zu sein.“

„Das enttäuscht mich. Sie hätten mir bestimmt prächtige Kinder geschenkt.“

Sie sah ihn an, als hätte er in der Sprache seiner Heimat geantwortet. „Kinder?“, wiederholte sie leise. Ihre Miene wurde traurig, und sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die Traurigkeit abschütteln.

„Ich werde an Ihre Großmutter denken.“

„Danke.“ Dann drehte sie sich um und verließ das Büro.

Alek sah ihr nach. Die Haltung, die diese Frau auch in einer so schwierigen Situation bewahrte, griff ihm ans Herz. Er wünschte ihrer Großmutter Gesundheit, aber vor allem wünschte er Julia ein glückliches Leben.

Da Aleksandr wusste, dass er nur noch wenige Tage in den Staaten bleiben durfte, machte er lange Überstunden im Labor. Er fühlte sich moralisch verpflichtet, die Experimente auch weiterhin sorgfältig durchzuführen. Vielleicht würde ein anderer Wissenschaftler sie zu Ende führen können.

Im Labor war es still, und die Schritte auf dem Korridor klangen, als würde ein Squashball immer wieder gegen die Wand des Courts knallen.

Erwartungsvoll hob er den Kopf, als Julia Conrad hereinkam.

Sie war blass.

„Julia“, sagte er und stand sofort auf. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

Sie starrte ihn an, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen.

„Ihre Großmutter?“, fragte er leise.

Julia nickte. „Sie … sie hat einen weiteren Herzinfarkt erlitten.“

„Das tut mir leid.“

Sie blickte ihm in die Augen und schien überprüfen zu wollen, ob er das ernst meinte. Dann atmete sie tief durch und sagte entschlossen: „Ich habe es mir anders überlegt, Mr Berinski. Ich akzeptiere Ihre Bedingungen und werde Sie heiraten.“

2. KAPITEL

„Ich will keine aufwendige Hochzeit“, wehrte Julia ab. Ihr Bruder war unmöglich. „Dafür haben wir auch gar keine Zeit.“

„Julia, du hörst mir nicht zu.“

„Ich höre dir zu“, entgegnete sie scharf. „Mir gefällt nur nicht, was ich höre.“

„Ein Empfang im Four Seasons ist doch nicht zu viel verlangt.“

„Aber eine Hochzeit mit Gästen und Brautkleid ist doch einfach lächerlich! Bitte, Jerry, diese ganze Sache gerät uns langsam aus der Hand. Ich sehe ja ein, dass eine Heirat die beste Lösung ist, aber mir war nicht klar, dass ich dazu auch noch eine offizielle Hochzeitsfeier über mich ergehen lassen muss.“

Jerry machte eine hilflose Handbewegung. „Wir müssen dafür sorgen, dass es so glaubwürdig wie möglich aussieht. Offenbar begreifst du nicht, wie wichtig das ist. Außerdem ist es nicht nur die Hochzeit. Die ist nur die erste Hürde. Alles muss so wirken, als wärst du wahnsinnig in Aleksandr verliebt. Sonst nimmt die Einwanderungsbehörde die Sache nicht ab. Wenn sie uns auf die Schliche kommt … darüber will ich lieber nicht nachdenken.“

„Das hast du mir alles schon erklärt.“

„Alek muss mit dir zusammenleben.“

Das war der Teil, der Julia am meisten störte. Ihre Wohnung war der einzige Ort, an dem sie wirklich sie selbst sein konnte. „Aber warum denn?“ Sie kannte die Antwort. Sie hatte protestiert, bis Jerry die Geduld verloren hatte. Julia konnte es ihm nicht verdenken. Aber diese Heirat gestaltete sich schwieriger, als sie es sich je ausgemalt hatte.

„Warum?“, rief Jerry aufgebracht. „Ich habe versucht, es dir so einfach wie möglich zu erklären. Alek ist nicht das Problem, du bist es. Was ich nicht verstehe, Julia, ist, warum du solche Schwierigkeiten machst. Wir sind es doch, die von dieser Sache profitieren.“

„Du machst Alek ja zum Heiligen, nur weil er mich heiraten will.“

„Sagen wir mal so … Conrad Industries profitiert von dieser Verbindung weit mehr als Alek.“

„Ich habe ihm eine stattliche Belohnung angeboten“, sagte Julia.

„Du hast ihn gekränkt. Der Mann ist stolz, Julia. Er tut es nicht für Geld.“

„Warum ist er dann einverstanden?“

Jerry zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Er will seiner Familie helfen.“ Julia dachte an die Mutter und die verwitwete Schwester, die er erwähnt hatte. Als ältester Sohn fühlte er sich für sie verantwortlich. Julia hatte versprochen, ihm dabei zu helfen, seine Familie in die Vereinigten Staaten zu holen. Auch für Aleksandr ging es um einiges, und sie brauchte keineswegs das Gefühl zu haben, ihn auszunutzen.

Autor

Debbie Macomber
<p>SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber hat weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkauft. Sie ist die internationale Sprecherin der World-Vision-Wohltätigkeitsinitiative Knit for Kids. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wayne lebt sie inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder in Port Orchard im Bundesstaat Washington, der Stadt, die sie zu ihrer <em>Cedar Cove</em>-Serie inspiriert hat.</p>
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