Hochzeitsnacht im Himmelbett

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Seit Julianne auf dem Schloss des attraktiven Millionärs Simon Keller wohnt, beschwört er sie, das verbotene Zimmer zu meiden. Doch ihre Neugier siegt, und der Preis ist hoch: Simon verlangt, dass Julianne ihn heiratet. Nur so kann er verhindern, dass sie sein Geheimnis verrät!


  • Erscheinungstag 15.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504072
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Crosby

IMPRESSUM

Hochzeitsnacht im Himmelbett erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

© 2006 by Susan Bova Crosby
Originaltitel: „Forced To The Altar“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1483 - by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Gabriele Ramm

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751504072

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

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1. KAPITEL

„Das gehörte nicht zu meinem Plan“, murmelte Julianne Johnson, doch die Worte wurden vom Dröhnen des Schnellbootes verschluckt, das in Richtung Promontory unterwegs war. Promontory gehörte zu einer Inselgruppe vor der Küste des Staates Washington. Im Internet hatte Julianne herausgefunden, dass es auf den Inseln vor allem kleine Touristenhäfen, Fischerdörfer, Künstlerkolonien und Fahrradwege gab. Promontory – oder Prom, wie der Schnellbootführer es nannte – war allerdings nur mit privaten Booten oder per Hubschrauber erreichbar. Eine öffentliche Fährverbindung gab es nicht.

Julianne betrachtete die Insel, der sie sich näherten. Gab es hier auch Touristen? Obwohl sie hierhergeschickt worden war, um während der Gerichtsverhandlung ihres Bruders unterzutauchen, wollte sie sich ihren Unterhalt verdienen, indem sie für Simon Keller, den Besitzer des „Spirit Inn“ arbeitete. Wenn es ein Gasthaus gab, musste es auch Gäste geben, oder?

Vielleicht war es ja doch nicht so einsam, wie sie befürchtete.

„Wo ist der Ort?“, rief sie Mr. Moody, dem Bootsführer, zu.

Er deutete geradeaus, doch sie sah nichts als Bäume, Klippen und eine steile felsige Landspitze, die in den Pazifischen Ozean hineinragte.

Für eine dreiundzwanzigjährige junge Frau, die aus dem Sonnenstaat Kalifornien kam und an riesige Einkaufszentren gewöhnt war, glich das Ganze eher einem Gefängnis.

Und sie war hier gefangen.

Das Boot wurde langsamer und glitt sanft neben die anderen Boote, die davon zeugten, dass die Insel zumindest bewohnt war.

„Wo ist der Ort?“, fragte Julianne noch einmal, nachdem sie angelegt hatten.

„Da drüben“, antwortete Mr. Moody und neigte den Kopf, weil er in jeder Hand einen ihrer Koffer trug.

„Gibt es dort viele Geschäfte?“

„Einen Laden. Eine Zapfsäule.“

„Das ist alles?“

„Mehr brauchen wir hier nicht.“

Sie fuhren eine schmale gepflasterte Straße entlang, und schon nach wenigen Minuten tauchten in der Ferne die Umrisse eines Gebäudes auf. Je näher sie kamen, desto beeindruckter war Julianne. „Es ist eine Burg“, murmelte sie fasziniert.

„Stein für Stein aus Schottland hergebracht und wieder zusammengebaut.“

„Von Mr. Keller?“ Vor ihren Augen sah sie ihren neuen Chef vor sich: ein rothaariger Mann im Schottenrock.

„Nein. Schon lange vorher. Von Angus McMahon.“ Mr. Moody hielt vor dem Gebäude.

Sie stiegen aus dem Wagen und gingen auf einen gemauerten Torbogen zu, der einer soliden Holztür Schutz bot. Froh, dem ungemütlichen Spätnovemberwetter zu entfliehen, folgte Julianne Mr. Moody ins Haus. Nachdem sie einen Wirtschaftsraum durchquert hatten, traten sie in eine Küche, in der zwar noch ein großer offener Herd stand, die ansonsten aber mit modernen Edelstahlgeräten und Granitarbeitsplatten ausgestattet war.

Eine große kräftige Frau, so um die sechzig, stand an der Spüle und wusch Salat. Sie schaute auf.

„Meine Frau Iris“, stellte Mr. Moody sie vor.

„Willkommen, Miss Johnson.“

„Bitte nennen Sie mich Julianne.“ Der Name klang noch ungewohnt in ihren Ohren. Es war der Name, den sie benutzen wollte, solange sie sich versteckt hielt.

Ihre Hoffnung, dass auch die Moodys sie bitten würden, sie mit Vornamen anzureden, erfüllte sich leider nicht. Hätte sie sich vielleicht doch lieber einen anderen Ort zum Verstecken suchen sollen, einen, an dem es etwas weniger förmlich zuging? Doch man hatte ihr ja keine Wahl gelassen, da ihr Freund James Paladin, Jamey, die Sache arrangiert hatte, ohne ihr eine Alternative zu bieten.

„Ich werde Ihnen Ihr Zimmer zeigen“, sagte Mrs. Moody und nahm ihrem Mann einen Koffer ab.

Julianne griff nach dem anderen und folgte ihr durch ein schmales dunkles Treppenhaus hinauf in den zweiten Stock. Es gab nur eine einzige Tür, das Treppenhaus schien hier zu enden.

„Dies ist eines unserer Turmzimmer“, erklärte Mrs. Moody und ging hinein. Sie stellte Juliannes Koffer auf eine Holzkiste, die am Fuße des großen Doppelbettes stand. „Die Sachen, die Sie vorgeschickt hatten, finden Sie im Schrank und in der Kommode.“

„Danke“, meinte Julianne befangen. Es war ihr unangenehm, dass eine Fremde ihre Sachen weggeräumt hatte.

„Die Burg wurde vor einigen Jahren modernisiert. Sie werden also alle Annehmlichkeiten, die Sie von daheim gewohnt sind, auch hier genießen können. Zusätzliche Decken finden Sie unter dem Fenstersitz. Wenn Sie sich frisch gemacht haben, kommen Sie einfach in die Küche. Mr. Keller wird nicht mit Ihnen zu Abend essen. Er schläft.“

Na, der muss ja schon ziemlich alt sein, wenn er um sechs Uhr abends ein Nickerchen macht, überlegte Julianne. „Vielen Dank, Mrs. Moody.“

Die Frau schloss die Tür hinter sich, während Julianne sich langsam im Zimmer umsah und schließlich zu dem hohen schmalen Fenster ging. Sie kniete sich auf die breite Fensterbank, doch die Dunkelheit war bereits angebrochen, und abgesehen von den Umrissen der Bäume und Felsen konnte sie kaum etwas erkennen.

Sie hatte bisher nur in Städten gelebt, jedoch immer in der Nähe des Meeres. Die frische salzige Luft gefiel ihr, genau wie der Wind, der manchmal stürmisch, manchmal sanft blies. Was sie nicht mochte, war die Abgeschiedenheit. Sie konnte nur hoffen, dass der Prozess ihres Bruders schnell begann und die Sache bald ausgestanden war. Voller Sehnsucht erwartete sie den Tag, an dem sie endlich frei war. Sie hatte Pläne – sie wollte ihre Collegeausbildung beenden, ihr Leben selbst gestalten und nicht länger so leben, wie andere es ihr vorschrieben. Sie sehnte sich nach Unabhängigkeit.

Bis dahin jedoch konnte sie froh sein, dass Jamey einen sicheren Ort gefunden hatte, an dem sie sich aufhalten konnte, bis der Sturm sich gelegt hatte …

Warum nur fühlte sie sich dann im Moment gar nicht so sicher?

Julianne ging auf den riesigen, antik aussehenden Esstisch zu, an dem problemlos zwölf Menschen Platz gefunden hätten. An einer der Stirnseiten lag ein Gedeck, man hatte ihr also schon einen Platz zugewiesen.

„Ich bin doch kein Gast“, protestierte sie nun, während Mrs. Moody, die sie in das Esszimmer geführt hatte, ein Tablett auf den Tisch stellte. „Ich kann mit Ihnen und Ihrem Mann essen.“

„Wir haben bereits gegessen.“

Julianne unterdrückte ein Seufzen und setzte sich auf den gepolsterten Stuhl mit der hohen Lehne. Einige unvorhergesehene Hindernisse stellten sich ihr in den Weg – ein Chef, der anscheinend viel schlief, zwei fürsorgliche, aber nicht gerade gesellige Angestellte und eine weit größere Abgeschiedenheit, als Jamey sie hatte glauben lassen.

„Sind keine weiteren Gäste hier?“, fragte Julianne.

„Für Touristen ist jetzt nicht die richtige Zeit. Lassen Sie es sich schmecken.“

Julianne, die großen Hunger hatte, genoss den deftigen Fischeintopf mit dem grünen Salat und dem knusprigen Brot, sehnte sich aber nach Gesellschaft. Sie konnte sich sogar selbst kauen hören. Und merkwürdige Geräusche von oben beunruhigten sie. Hastig beendete sie die Mahlzeit und brachte das Tablett zurück in die Küche, wo die Moodys an einem kleinen Tisch saßen und Tee tranken.

„Das war sehr gut, vielen Dank, Mrs. Moody“, sagte Julianne und stellte das Tablett ab. Bevor Mrs. Moody aufstehen konnte, stellte sie schnell das Geschirr in die Spüle und sagte: „Nein, bleiben Sie sitzen. Ich erledige das.“ Sie nahm eine Spülbürste und fragte: „Womit vertreiben Sie sich Ihre Zeit hier?“

„Im Gemeinschaftsraum steht ein Großbildfernseher, angeschlossen an eine Satellitenschüssel, es gibt einen DVD-Player und eine große Auswahl an Spielfilmen.“

Julianne blickte auf die Uhr. Es war gerade erst halb acht, zu früh, um in ihr Zimmer zu gehen, selbst nach einem langen Reisetag.

„Würden Sie mir das Haus zeigen, wenn ich hier fertig bin?“, fragte sie.

Das Paar stand auf. „Mein Mann wird Sie herumführen.“ Mrs. Moody schob Julianne zur Seite und übernahm den Abwasch. „Wir sehen uns dann morgen früh. Kaffee gibt es ab sechs Uhr, aber natürlich können Sie sich Zeit zum Ausschlafen nehmen.“

„Danke.“ Sie war es gewohnt, früh aufzustehen. In ihrem letzten Job als Kellnerin hatte sie um sechs Uhr anfangen müssen.

Mr. Moody führte sie durch das Esszimmer und einen breiten Flur entlang zur großen Eingangshalle. Im angrenzenden Wohnzimmer befand sich neben einem riesigen Kamin auch ein Klavier, dessen Transport den Berg hinauf in die Burg wahrscheinlich unglaublich anstrengend gewesen war. Die Möbel stammten, wie sie vermutete, aus dem neunzehnten Jahrhundert. Nebenan befand sich der modern eingerichtete Gemeinschaftsraum, von dem Mrs. Moody gesprochen hatte.

„Dort ist Mr. Kellers Büro“, sagte Mr. Moody und zeigte dann zu einer Tür am Ende des Flures. „Der Zutritt ist Ihnen nicht gestattet.“ Warum nicht?

Ein Bad, ein Gästezimmer sowie die abgeschlossene Wohnung der Moodys lagen ebenfalls im Erdgeschoss. Julianne und Mr. Moody gingen wieder in die Eingangshalle, von wo aus eine breite Treppe nach oben führte.

„Hier ist nur ein Zimmer für Sie von Interesse“, sagte er, als sie im ersten Stock ankamen und nach rechts bogen. „Dieses Zimmer. Hier werden Sie arbeiten.“

„Kann ich auch das andere Turmzimmer anschauen?“, fragte sie. „Sieht es genauso aus wie meins?“

„Es ist abgeschlossen.“ Er öffnete die Tür zu ihrem Arbeitszimmer und trat dann zur Seite, damit Julianne hineingehen konnte. In dem Raum standen ein Computer und eine Reihe von Aktenschränken. Julianne war erleichtert. Zumindest sah es so aus, als würde sie hier wirklich etwas zu tun haben.

Einige Minuten später saß Julianne allein im Gemeinschaftsraum. Sie zappte durch das Fernsehprogramm, entschied sich dann aber doch für eine Komödie auf DVD.

Nach einer Stunde gab sie den Versuch, sich durch den Film ablenken zu lassen, auf und ging in ihr Zimmer, wo sie sich im Schneidersitz auf die Fensterbank setzte. Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie eine Bewegung wahr. Im Schein des Halbmondes konnte sie die Silhouette eines Mannes erkennen, der auf den Klippen entlanglief. In Juliannes Vorstellung entstand das Bild eines Mannes mit einer dunklen Aura – dunkles Haar, dunkle Augen und eine abschreckende Miene.

Da die Burg das einzige Gebäude an diesem Ende der Insel zu sein schien, war der nächtliche Spaziergänger sicher ihr Wohltäter, Simon Keller. Wenn er so alt war, wie sie vermutete, dann hatte er noch erstaunlich viele Haare – sie wehten, genau wie sein langer Mantel, im Wind.

Hoffnung keimte in ihr auf – Hoffnung, dass er nett und zugänglich war und sie zum Lachen bringen würde. Sie konnte eine Dosis Fröhlichkeit gebrauchen.

Er blieb stehen und drehte sich zur Burg. Hastig lehnte Julianne sich zurück, da sie nicht gesehen werden wollte. Sie schaltete das Licht aus und setzte sich wieder ans Fenster, wobei sie sich wie ein Spion vorkam – doch sie sehnte sich verzweifelt nach Ablenkung.

Zwei große Hunde rannten auf den Mann zu und stießen spielerisch gegen seine Beine, während er sich vorbeugte, um sie zu streicheln.

Ihr Handy klingelte, und Julianne bekam Herzklopfen, als wäre sie auf frischer Tat beim Spionieren ertappt worden.

„Hallo, Jamey“, sagte sie zu dem einzigen Menschen, der die Nummer ihres neuen Satellitenhandys kannte.

„Gut angekommen?“

„Ja.“ Sie setzte sich wieder ans Fenster und schaute nach draußen, doch der Mann und die Hunde waren verschwunden. „Allerdings bin ich nicht sicher, ob du mir damit einen Gefallen getan hast, mich hierherzuschicken.“

„Ist wohl ein wenig zu rustikal für deinen Geschmack, was, Venus?“

„Julianne“, erinnerte sie ihn an ihren neuen Namen. „Du hast gesagt, hier wäre ich sicher. Du hast mir aber nicht gesagt, dass das hier das Ende der Welt ist. Und, ganz ehrlich, diese Burg ist ein bisschen gespenstisch.“

„Du wolltest doch verschwinden. Wie deine Mutter. Das waren deine Worte.“

„Und du meintest, dass dieser Simon Keller mich bräuchte. Ich hoffe, du hast recht. Wehe, es gibt nicht reichlich Arbeit, denn ich werde schon jetzt fast verrückt.“

„Es gibt eben jede Menge verschiedene Bedürfnisse, Julianne.“

Damit brachte er sie ein paar Sekunden lang zum Schweigen. „Was meinst du damit? Ich habe den Mann noch nicht einmal kennengelernt.“

„Du wirst schon merken, was ich meine, wenn es denn so sein soll.“

„Für einen pragmatischen Privatdetektiv bist du heute ja ganz schön philosophisch.“

Er lachte leise. „Entspann dich und genieße die Zeit. Das ist eine einmalige Gelegenheit.“

Sie sah sich im Zimmer um. „Stimmt. Ein zweites Mal wird es mich sicher nicht in so eine Einöde verschlagen.“

„Melde dich mal wieder.“

„Das werde ich bestimmt.“

Sie beendete das Telefonat und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Eigentlich war sie zu aufgedreht, um schlafen zu gehen, aber da sie nichts zu Lesen mitgebracht hatte, entschied sie sich schließlich doch, ins Bett zu gehen. Es war gemütlich und warm. Sie schloss die Augen …

Julianne streckte sich, als sie am nächsten Morgen erwachte, überrascht, dass es fast sieben Uhr war. Sie schlenderte zum Fenster, um sich die Umgebung bei Tageslicht anzuschauen, und war erstaunt, dass die Landschaft von einer harschen Schönheit war, felsig, aber übersät von immergrünen Bäumen.

Weil sie bei ihrem neuen Chef einen guten Eindruck hinterlassen wollte, nahm sie sich die Zeit, ihre Haare zu glätten, obwohl die Luftfeuchtigkeit schon nach wenigen Stunden die Locken wieder zum Vorschein bringen würde. Bekleidet mit einer schicken schwarzen Hose und einem dunkelgrünen Pullover, ging sie nach unten.

Sie frühstückte allein in der Küche und wartete dann auf Anweisungen. Als sie keine bekam, entschied sie sich, einen Spaziergang zu machen. Die Hände tief in ihren Manteltaschen vergraben, kämpfte sie gegen den erstaunlich starken Wind an. Als sie in die Burg zurückkehrte, bot sie ihre Hilfe bei der Hausarbeit an, wurde abgewiesen und machte sich dann erneut draußen auf Entdeckungstour.

Nach dem Abendessen setzte sie sich eine Zeit lang ans Klavier und spielte nach Noten, die sie auf dem Klavierhocker gefunden hatte. Von ihrem Zimmer aus konnte sie später wieder den Mann und die Hunde beobachten und fragte sich, warum sie die Hunde tagsüber bei ihren Spaziergängen nicht gesehen hatte.

Vier Tage später war immer noch nichts passiert, außer dass in der vergangenen Nacht ein Hubschrauber in der Nähe gelandet war. Von ihrem Fenster aus hatte sie nach Menschen Ausschau gehalten, doch es war niemand gekommen, weder im Auto noch zu Fuß, aber etwas später hatte sie jemanden weinen gehört. Das heftige Schluchzen hatte ihr eine Gänsehaut bereitet, und dann war es plötzlich abrupt verstummt. Sehr gespenstisch, fand sie.

Einmal fragte sie Mrs. Moody, wann sie wohl Mr. Keller treffen würde, und erhielt eine nüchterne und leicht herablassende Antwort: „Wenn es ihm beliebt.“

Schließlich riss Julianne der Geduldsfaden, und sie rief Jamey an. „Ich sterbe vor Langeweile“, jammerte sie, sobald er sich gemeldet hatte. „Ich vermisse meinen Mokka. Hol mich hier raus.“

„Vor Langeweile zu sterben ist immer noch besser als aus anderen Gründen zu sterben.“

„Oh, komm schon, Jamey. Mein Leben ist nicht in Gefahr, nur meine Unabhängigkeit. Vielleicht würde man mich ein wenig unter Druck setzen. Aber das ist wahrscheinlich angenehmer als das, was Mr. Keller mit mir macht. Das ist schlichtweg unhöflich. Ich könnte genauso gut im Gefängnis sein.“ Sie erzählte Jamey, dass ihr neuer Hausherr sich ihr noch nicht einmal vorgestellt hatte.

„Was ist mit der Arbeit, die er dir gibt?“

„Bisher habe ich noch keine Aufgaben erhalten. Kannst du bitte irgendetwas organisieren? Ich würde gern irgendwo hingehen, wo ich unter etwas normaleren Umständen leben kann.“

„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Wenn du es nicht tust, dann werde ich selbst einen Weg finden, das schwöre ich.“ Immerhin hatte sie einen Ausweis mit ihrem neuen Namen. Das würde ihre Jobsuche erleichtern.

Da man ihr nicht erlaubt hatte, den Computer zu benutzen, setzte sie handschriftlich ihre Kündigung auf, nachdem sie ihr Gespräch mit Jamey beendet hatte. Zum Abendessen nahm sie den Brief mit hinunter, um ihn Mr. Moody zu geben, damit er ihn an ihren Chef weiterreichte.

„Das Abendessen wird heute im Esszimmer serviert“, sagte Mrs. Moody, als Julianne in die Küche kam.

Da sie aufgehört hatte, nach Gründen zu fragen, warum bestimmte Dinge so und nicht anders gehandhabt wurden, ging sie ins Esszimmer und stellte überrascht fest, dass der Tisch für zwei gedeckt war.

Endlich Gesellschaft. Sie legte den Brief neben den Teller, als sie Schritte hörte. Ein Mann betrat das Esszimmer. Es konnte nicht Simon Keller sein – dieser Mann war zu jung, höchstens Anfang dreißig. Die dunkle Gestalt, die nachts über die Klippen wanderte, konnte es auch nicht sein, denn dieser Mann hatte goldblondes Haar und strahlend blaue Augen. Er reichte ihr die Hand.

„Ich bin Simon Keller. Willkommen im ‚Spirit Inn‘.“

2. KAPITEL

Simon beobachtete, wie Juliannes Gesichtsausdruck von Überraschung zu Rebellion wechselte. Ihre abwehrende Haltung ihm gegenüber wurde durch ihre verschränkten Arme noch unterstützt. Ihr frisches, nach Zitrusfrüchten duftendes Parfüm erinnerte ihn an etwas. Oder an jemanden?

„Es tut mir leid, dass ich mich nicht schon früher vorgestellt habe“, sagte er.

„Tatsächlich?“

Er war es nicht gewohnt, dass jemand ihn oder sein Handeln infrage stellte. Oft vermied er es, eine Frage direkt zu beantworten, doch wenn er etwas sagte, war es die Wahrheit. Meistens jedenfalls, korrigierte er sich.

„Es war unhöflich von mir“, sagte er und überging damit ihren Vorwurf. Sie sah ihn mit ihren erstaunlich großen braunen Augen an, ohne zu blinzeln. Die Lippen hatte sie fest zusammengepresst.

Er beschloss, sie zappeln zu lassen, und dachte daran, was den Duft ihres Parfüms in ihm ausgelöst hatte, als er ihn zum ersten Mal wahrgenommen hatte. Letzte Woche, nachdem Mrs. Moody Juliannes Sachen, die vorausgeschickt worden waren, ausgepackt hatte, war er in das Turmzimmer gegangen und hatte sie sich angeschaut. Er hatte herausfinden wollen, was für eine Frau sie war, zumal sie Jamey so wichtig war. Er hatte die Sachen im Schrank und in der Kommode berührt und den schwachen Zitrusduft wahrgenommen. Dieser Duft hatte sich in seiner Erinnerung festgesetzt.

Er hatte sich den Körper ausgemalt, der zu diesen bunten Sachen passte – zu den unpraktischen kurzen T-Shirts, den Röcken und Shorts; zu dem hellgrünen Bikini und der hauchdünnen Unterwäsche, die er jedoch lieber nicht berührt hatte. Ein Bild von Julianne war in seinem Kopf entstanden – wohlproportioniert, fraulich. Begehrenswert.

Simon hatte häufig längere enthaltsame Perioden in seinem Leben durchgemacht, die letzte dauerte jetzt schon fast sieben Monate an. Aber er war immer in der Lage gewesen, seine Bedürfnisse zu unterdrücken, und er erwartete auch nicht, dass es diesmal anders sein würde, obwohl sie leibhaftig noch verführerischer, ihr Körper sogar noch kurviger war, als er es sich vorgestellt hatte.

„Offensichtlich bedurfte es eines Anrufs von Jamey, bevor Sie sich dazu durchringen konnten, mich zu begrüßen“, sagte sie schließlich und durchbrach die immer unangenehmer werdende Stille. „Ich fühle mich wirklich sehr willkommen.“

Ihr Sarkasmus ließ ihn kalt. Er hatte sie nicht hier haben wollen, sondern sie nur aufgenommen, weil er Jamey seit dreizehn Jahren einen Gefallen schuldete. „Ich habe nicht mit ihm geredet“, sagte er ehrlich.

Sie runzelte die Stirn. „Warum sind Sie dann hier?“

„Weil es an der Zeit war. Höchste Zeit.“

Sie musterte ihn kritisch. „Ich hatte einen älteren Mann erwartet.“

„Tut mir leid, wenn ich Sie enttäusche.“

„Ich bin nicht enttäuscht. Ich nahm nur an, Sie wären alt, da Sie nachmittags schlafen.“

„Manchmal bin ich die ganze Nacht lang auf. Dann schlafe ich tagsüber.“

„Was machen Sie?“

„Ich spreche nicht über meine Arbeit.“

Ihrer Miene nach zu urteilen, hatte er gerade einen weiteren Minuspunkt kassiert. Pech. Er würde sein Wort halten und sie hier an diesem sicheren Ort wohnen lassen, bis der Prozess ihres Bruders vorüber war, selbst wenn es bedeutete, dass er sie in den Turm sperren musste.

„Sie sprechen nicht über Ihr Gasthaus?“, fragte sie herausfordernd, als hätte sie bereits herausgefunden, dass das „Spirit Inn“ niemals Feriengäste beherbergte. „Wie soll ich dann für Sie arbeiten?“

„Sie werden Aufgaben bekommen.“ Es gefiel ihm nicht, wie sie ihn mit ihrem Blick durchbohrte, als könnte sie seine Gedanken lesen, doch er sah sie weiterhin an.

„Werden diese Aufgaben etwas mit dem Hubschrauber zu tun haben, der gestern Nacht gekommen und heute Morgen wieder abgeflogen ist?“

Er hatte sich schon gefragt, ob der Lärm sie wohl geweckt hatte.

„Ich vermute, die Antwort darauf ist Nein“, fuhr sie schließlich fort. „Ich habe etwas für Sie.“ Sie drehte sich um und nahm ein zusammengefaltetes Papier vom Tisch.

Als sie danach griff, fragte Simon sich, was sie wohl unter ihrer Hose und dem Pullover trug. Vielleicht etwas Rotes aus Spitze?

Ihre Hände zitterten, als sie ihm das Papier reichte. Simon bemerkte, dass ihre Wangen gerötet waren, da er sie jedoch nicht gut genug kannte, wusste er nicht, ob es Makeup oder Verlegenheit war. Hatte sie ihn ertappt, als er eben ihren Körper bewundernd gemustert hatte?

Er las ihre Kündigung, faltete das Papier zusammen und hielt es ihr wieder hin. Doch sie weigerte sich, es anzunehmen.

„Sie werden bleiben“, sagte er ruhig und stopfte die Kündigung in seine Tasche.

Julianne hob die Augenbrauen. „Sie können mich nicht zwingen.“

„Ich habe Jamey versprochen, auf Sie aufzupassen. Und ich halte meine Versprechen.“

„Jamey wird etwas anderes für mich finden. Ich werde meine Sachen einpacken. Es wäre nett, wenn Sie sie mir schicken könnten, sobald ich mein neues Versteck bezogen habe.“

„Nein.“ Ihre Sturheit überraschte ihn. Jamey hatte ihm gesagt, Julianne wäre nett, ein bisschen naiv und hochanständig. Simon würde sich eine eigene Meinung bilden müssen. Bisher wusste er nur, dass sie durchsetzungsfähiger war, als Jamey ihn hatte glauben lassen. „Mir ist durchaus bewusst, dass Sie Ihre gewohnten Annehmlichkeiten und Gesellschaft vermissen, aber soweit ich es verstanden habe, werden Sie nicht lange hier sein.“

„Ich bin keine verwöhnte Prinzessin, Mr. Keller. Ich mache mich gern nützlich und bin gern beschäftigt. Ich dachte, ich wäre hier, um Ihnen zu helfen, aber Sie haben mich völlig ignoriert.“

„Das wird sich jetzt ändern. Nennen Sie mich bitte Simon“, sagte er und beendete damit die Diskussion, als Mrs. Moody mit dem ersten Gang hereinkam. „Bitte, nehmen Sie Platz, Julianne.“

Nach kurzem Zögern setzte sie sich. Als sie sich die Serviette auf den Schoß legte, konnte Simon ihre Verärgerung noch deutlich spüren. Trotzdem vergaß sie nicht ihre guten Manieren und dankte Mrs. Moody lächelnd.

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Er bedauerte, keine Musik aufgelegt zu haben. Es jetzt noch zu tun, wäre jedoch ein Triumph für Julianne. Und er war entschlossen, sie nicht die Oberhand gewinnen zu lassen.

„Es war schön, Sie Klavier spielen zu hören“, sagte er, nachdem Mrs. Moody den Hauptgang aufgetischt hatte.

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