Hope's Crossing: Zauber der Hoffnung

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Für die Liebe hat Claire keine Zeit. Ihr Glasperlenladen und ihre beiden Kinder halten die Single-Mom schon genug auf Trab. Energisch wehrt sie die Flirtversuche von Riley McKnight ab. Auch wenn ihr der kleine Bruder ihrer besten Freundin, der kürzlich als Polizeichef nach Hope’s Crossing zurückgekehrt ist, überraschenderweise nicht mehr aus dem Kopf geht. Doch erst als ein schwerer Unfall Claire zum Innehalten zwingt, erkennt sie, dass sich die Dinge in ihrem Leben ändern müssen. Widerstrebend erlaubt sie Riley, sich um sie zu kümmern. Und bald kann auch sie das Knistern zwischen ihnen nicht mehr ignorieren …


  • Erscheinungstag 10.08.2013
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783862787944
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wir alle sind Engel mit nur einem Flügel. Um fliegen zu können, müssen wir uns umarmen.“

Luciano de Crescenzo

Bescheuertes, albernes Horoskop. Claire Bradford starrte – eine Hand am Türgriff, in der anderen ihren Coffee-to-go-Becher – das Chaos in ihrem Laden an.

Die Sterne hatten ihr etwas Schönes und Aufregendes versprochen. Oder zumindest das Horoskop in der Hope Gazette, die sie durchgeblättert hatte, während sie im Coffeeshop/Buchla-den ihrer Freundin Maura auf ihre morgendliche Koffeindosis wartete. Vielleicht konnte sie ja ein paar neue Kunden für ihren Perlenladen String Fever gewinnen oder einen großen Auftrag für ein maßgeschneidertes Kleid an Land ziehen?

Festzustellen, dass in der Nacht eingebrochen worden war, fand sie persönlich zwar aufregend, allerdings nicht gerade schön.

Überall auf dem beigefarbenen Berberteppich lagen glitzernde Perlen verstreut, der Einbrecher hatte die durchsichtigen Schubladen aus der Auslage gerissen und den Inhalt über den ganzen Boden verteilt. Die Kasse war aufgebrochen, und das wenige Wechselgeld, das sie immer darin ließ, fehlte. Die Bürotür stand offen. Selbst von hier aus konnte sie die staubige, leere Stelle sehen, wo sich sonst immer ihr Computer befunden hatte.

Den materiellen Verlust konnte sie verschmerzen, und die Dateien auf dem PC wurden automatisch mehrmals am Tag auf einer externen Festplatte gespeichert. Doch die Aufräumarbeiten würden ein Albtraum werden. Claire schloss stöhnend die Augen bei der Vorstellung, wie viele Stunden und Tage es dauern würde, bis sie all die Perlen sortiert und wieder in die Hunderte von winzigen Kästchen geräumt hatte. Die Existenz von String Fever hing in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten sowieso schon an einem seidenen Faden. Woher nur sollte sie die Zeit und vor allem die Energie nehmen, hier wieder Ordnung zu schaffen?

Chester begann leise zu winseln, sein trauriges Bassetgesicht wirkte noch verdrossener als sonst. Verblüffend, wie schnell er immer ihre Stimmungen aufschnappte. Sie kraulte ihm die kilometerlangen Ohren. „Ich weiß, mein Junge. Schöner Mist, nicht wahr?“

Sie kramte in ihren Manteltaschen nach dem Handy und wollte gerade die Neun-Eins-Eins wählen, da vibrierte das Telefon in ihrer Hand, und das nervenzerfetzende Jaulen einer Sirene ging los: der Klingelton, den sie für ihre Mutter ausgesucht hatte.

Tja, auch hier war wenig Schönes zu erwarten. Verfluchtes Horoskop.

Wieder winselte Chester. Er hasste diesen Klingelton genauso sehr wie sie. Claire unterdrückte ein Seufzen und nahm den Anruf entgegen, obwohl sie es seit etwa sechsunddreißig Jahren eigentlich hätte besser wissen müssen. Aber Ruth Tatum hatte ihre Tochter gut im Griff, so viel war sicher. „Mom, ich kann im Moment nicht reden. Tut mir leid. In meinen Laden ist eingebrochen worden. Ich rufe dich so bald wie möglich zurück, okay?“ „Eingebrochen? Du machst doch Witze?“

„Wirklich? Du denkst, dass ich über so was scherzen würde?“ „Keine Ahnung.“ Ruth ging sofort in die Defensive, etwas, das sie besonders gut konnte. „Du hattest schon immer einen eigenartigen Sinn für Humor.“

Klar. So bin ich nun mal. Für einen schnellen Lacher behaupte ich einfach mal, dass ich Opfer von Dieben wurde. „Das ist kein Witz. Der Laden wurde wirklich ausgeraubt.“

„Das ist ja furchtbar! Was wurde gestohlen?“

„Ich habe mir noch keinen Überblick verschafft. Ich bin gerade erst durch die Tür gekommen. Ich muss jetzt Schluss machen, damit ich die Cops alarmieren kann, Mom.“

„Gut, dann melde dich, sobald du mehr weißt. Brauchst du meine Hilfe?“

Die konnte sie in etwa so sehr gebrauchen wie ein Dutzend Stecknadeln in ihren Augäpfeln. „Im Moment nicht. Trotzdem danke fürs Angebot. Ich rufe dich später an.“

Nachdem sie aufgelegt hatte, wählte sie hastig die Nummer der Polizei.

„Hope’s Crossing Notrufzentrale. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Es war Donna Mazell, eine Nachbarin und gelegentliche Kundin, deren Stimme heute allerdings ein wenig schriller als sonst klang.

„Hey, Donna. Hier ist Claire von String Fever. Ich möchte einen Einbruch melden. Ich habe eben mein Geschäft betreten und es entdeckt.“

„Ach Gottchen. Nicht noch einer!“

„Noch einer?“

„Das ist schon der vierte Ladeneinbruch, der heute gemeldet wird. Eine richtige Einbruchsserie ist das ja. Die Jungs hier haben alle Hände voll zu tun.“

Hope’s Crossing hatte nur fünftausend Einwohner, wobei sich die Zahl im Winter, wenn die Skifahrer über das enorme Silver Strike Skigebiet herfielen, ungefähr verzehnfachte. Claire wusste, dass die örtliche Polizeitruppe gerade mal aus acht Mann bestand, bei Bedarf unterstützt von Mitarbeitern des County Sheriff’s Office.

„Könnten Sie trotzdem jemanden herschicken?“

„Aber sicher. Kein Problem. Der neue Chief ist im Augenblick ganz in der Nähe bei Pinecone Property Management, doch ich glaube, er ist da fast fertig. Ich werde ihn bitten, danach sofort bei Ihnen vorbeizuschauen.“

„Danke, Donna.“

„Sagen Sie jetzt nicht, dass auch diese herrlichen tschechischen Perlen gestohlen wurden, die Sie extra für Genevieve Beaumonts Hochzeitskleid gekauft haben.“

Claires Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Oh, hoffentlich nicht. Ich habe zwei Monate gebraucht, um die durch den Zoll zu kriegen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es schaffen würde, rechtzeitig bis zur Hochzeit neue zu besorgen.“

„Ich drücke die Daumen. Und rufe gleich Riley an, damit er zu Ihnen kommt, sobald er alles beim Immobilienbüro geregelt hat.“

„Danke, Donna.“

„Melden Sie sich, wenn in zehn, fünfzehn Minuten noch niemand aufgetaucht ist. Und rühren Sie nichts an.“

„Das weiß ich, ich schaue ab und zu Fernsehen. Ich werde einfach mit Chester draußen warten, bis Riley hier ist.“

„Es ist eiskalt, Liebes. Bei diesem Wetter können Sie nicht draußen warten, genauso wenig wie Ihr Hund. Der ist schließlich nicht mehr der Jüngste. Den Chief wird es nicht stören, wenn Sie sich drinnen auf einen Stuhl setzen. Hauptsache, Sie sorgen dafür, dass Chester nicht am Tatort herumschnüffelt.“

Sie war viel zu aufgewühlt, um ruhig dazusitzen und auf die Polizei zu warten, deswegen blieb sie in der Tür stehen, nicht zum ersten Mal fassungslos darüber, wie fies Menschen sein konnten. Einzubrechen war eine Sache, der Computer und das Geld interessierten sie nicht sonderlich. Aber weshalb diese Zerstörungswut? Damit hatten der oder die Einbrecher zusätzlichen Schaden anrichten wollen – Ärger machen um des Ärgers willen. So etwas hatte sie noch nie begriffen.

Wie konnte jemand so gemein sein? Und warum traf es gerade sie? Sie war doch immer so bemüht, zu jedem nett und freundlich zu sein. Sicher, es gab ab und zu missmutige Kunden, die es als Verbrechen betrachteten, dass sie zumindest ein klein wenig Gewinn erwirtschaften wollte bei all der Zeit und Energie, die sie ins String Fever steckte. Allerdings waren die bestimmt nicht so verrückt, deswegen ihr Geschäft zu verwüsten.

Sie versuchte es mit der speziellen Atemtechnik, die ihre beste Freundin Alex ihr regelmäßig empfahl – während sie durch das große Schaufenster hinaus auf die Hauptstraße von Hope’s Crossing blickte. Der Morgen war grau und unfreundlich, ein trostloser Tag. Obwohl bereits Mitte April, ließ der Frühling in Colorado dieses Jahr lange auf sich warten.

Später am Abend sollte es laut Wettervorhersage sogar einen Schneesturm geben. Über ein paar Zentimeter Neuschnee würden sich die Skiliftbetreiber freuen, es gab schließlich noch ein paar Skifahrer, die den Frühlingsurlaub lieber auf der Piste als am Strand verbrachten. Zu dieser Jahreszeit hatte sie zwar die Nase gestrichen voll von Schnee, jedoch würden die grauen Schneehaufen da draußen wieder hübsch anzusehen sein.

Trotz der Kälte und des herannahenden Sturms war für einen Montagmorgen im Center of Hope Café auf der anderen Straßenseite ganz schön viel los. Und auch im Dog-Eared Books & Brew. Keiner von diesen Kunden würde natürlich heute bei ihr einkaufen, da das Geschlossen-Schild nach wie vor in ihrer Eingangstür hing.

Genau in diesem Augenblick ging die Tür mit einem fröhlichen Klimpern auf. Claire wollte gerade rufen, dass sie noch nicht geöffnet hätten, als sich ihre Laune noch verschlechterte.

Das gibt meinem aufregend schönen Tag den Rest, dachte sie, sowie die neue Frau ihres Exmannes hereingestürmt kam, jung und hübsch und vor Schwangerschaftshormonen geradezu strahlend.

„Hi, Claire!“, flötete Holly Vestry Bradford und schenkte ihr dieses entzückende Lächeln, an dem ihr Vater, der Kieferorthopäde, jahrelang unermüdlich gearbeitet hatte. Sie knöpfte ihren roten Wollmantel auf und stampfte den Schnee von ihren schwarzen UGGs.

Chester, der noch nie ein großer Fan von Holly gewesen war, ließ sich schnaubend auf den Bauch fallen.

„Ähm, das ist gerade kein günstiger Zeitpunkt“, begann Claire.

Sie war jetzt wirklich nicht in der Stimmung, freundlich zu sein, schon gar nicht zu Holly, die es immer irgendwie schaffte, Claires schlechteste Eigenschaften hervorzukehren.

„Ach du liebe Zeit!“, rief Holly aus. „Was ist denn hier passiert?“

Claire hatte es sich in den letzten beiden Jahren strikt zur Aufgabe gemacht – seit Jeff ausgezogen war und damit das offizielle Ende ihrer schon längst kaputten Ehe verkündet hatte –, so höflich wie nur irgend möglich zu Holly zu sein. „Ich glaube, das war ein Einbruch“, sagte sie ohne einen Hauch von Sarkasmus. „Oh nein! Hast du die Polizei gerufen?“

„Gerade eben. Ist schon auf dem Weg.“

„Ach Claire, das tut mir so leid.“

Claire wusste nicht, was sie schlimmer fand: diesen Einbruch, die endlosen Arbeitsstunden, die vor ihr lagen, um den Laden wieder in Ordnung zu bringen, oder von Holly Bradford bemitleidet zu werden.

„Nicht so schlimm. Meine Versicherung wird für den Schaden aufkommen. Allerdings muss ich dich bitten, nichts anzufassen, okay? Wir dürfen am Tatort nichts verändern.“

„Tatort! Das klingt so gruselig! Genau wie bei CSI: Miami!Wo ist Horatio?“

War sie mit fünfundzwanzig auch so kindisch gewesen? Nein. Andererseits war sie damals schon über ein Jahr verheiratet gewesen, hatte Macy zur Welt gebracht und Doppelschichten geschoben, damit Jeff in Ruhe sein Medizinstudium abschließen konnte.

„Entschuldige die Unordnung.“ Sie versuchte es mit einem Lächeln und stellte fest, dass sie tatsächlich noch eines zustande bringen konnte. „Vielleicht kommst du später wieder, wenn ich hier aufgeräumt habe.“

„Mach dir keine Gedanken. Ist nichts Dringendes. Ich schätze, Macy hat dir von unserer verrückten Shoppingtour erzählt, oder?“

„Sie hat so was erwähnt.“ Ungefähr zwanzig oder dreißig Mal. Ihre zwölfjährige Tochter betete ihre Stiefmutter geradezu an. Und warum auch nicht? Holly war die große Schwester, die Macy sich immer gewünscht hatte. Sie war witzig und jung und hip. Holly hatte alle Twighligt-Bücher gelesen und war bei MySpace, Twitter und Facebook.

Claire bemühte sich sehr, sich über diese gegenseitige Zuneigung nicht zu sehr aufzuregen. Macy liebte ihre Mutter schließlich, auch wenn es manchmal nicht so aussah, vor allem wenn sie ihre Grenzen austestete.

„Dieses Mädchen ist eine echte Shopping-Queen!“, verkündete Holly schwärmerisch. „Jeff hat mir seine Kreditkarte dagelassen, während er mit Owen Snowboarden ist, und Macy hat mir geholfen, meine Schwangerschaftsgarderobe zu kaufen. Und als ich dann zu Hause die ganzen Tüten ausgepackt habe, wurde mir klar, dass ich auf jeden Fall ein paar auffällige Accessoires brauche, damit die Leute von meinem dicken Bauch abgelenkt sind.“

Ja klar. Obwohl Holly schon im fünften Monat schwanger war, passte sie vermutlich immer noch in XXS-Jeans, zumindest wenn der Bund tief geschnitten war.

„Du weißt, dass du toll aussiehst, egal, was du trägst. Aber neuer Schmuck ist immer was Schönes.“ Vor allem wenn er aus den teuren venezianischen Glasperlen gefertigt war, die Holly so mochte. Jene Perlen, mit denen String Fever den meisten Umsatz erzielte. „Ich hab später bestimmt ein paar neue Ideen für dich, wenn es dir nichts ausmacht, noch einmal zurückzukommen.“ „Kein Problem. Ich habe heute nichts mehr vor.“

Oh, wenn sie das von sich auch nur behaupten könnte. Claire gelang es, noch einmal zu lächeln. „Ich werde dich anrufen, sobald die Polizei den Laden freigegeben hat.“

„Du bist so wahnsinnig nett zu mir. Vielen, vielen Dank, Claire.“

Bevor sie noch wusste, wie ihr geschah, hatte Holly sie bereits in die Arme gerissen, und Claire blieb nichts anderes übrig, als sie ein wenig zu drücken, bevor sie sich schnell aus der Umarmung löste.

Es war nicht so, dass sie Holly nicht leiden konnte, aber es war einfach merkwürdig, mit ihr und Jeff in derselben Stadt zu leben, ihnen ständig über den Weg zu laufen und denselben Freundeskreis zu haben.

Jeff behauptete steif und fest, dass Holly nicht der Grund für die Trennung gewesen wäre, außerdem wusste Claire natürlich, dass sie beide gleichermaßen am Scheitern der Ehe Schuld hatten. Und doch begann er sein neues Leben – dieses wahr gewordene Klischee mit der schönen, jungen Sprechstundenhilfe in seiner orthopädischen Praxis – nur wenige Wochen nachdem die Scheidung rechtskräftig geworden war. Sechs Monate später war er wieder verheiratet, und demnächst kam der erste Nachwuchs zur Welt.

Ob es Claire gefiel oder nicht, kümmerten sich inzwischen alle drei um die Kinder. Wenn Owen und Macy bei ihrem Vater übernachteten, war Holly nun mal ein wichtiger Teil in ihrem Leben, und deswegen wollte Claire nicht gehässig oder verbittert sein. Genauso wenig konnte sie aus Hope’s Crossing wegziehen, nicht solange sie hier ihr Geschäft hatte und Macy und Owen ihren Vater brauchten.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“, fragte Holly. „Soll ich nicht besser hierbleiben, bis die Polizei da ist? Du weißt schon, zur moralischen Unterstützung.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, erwiderte sie in dem Moment, in dem die Türglocke erneut bimmelte. Sie drehte sich um, und mit einem Schlag war der Tag trotz allem nicht mehr ganz so trostlos und düster.

Der neue Chief, dunkelhaarig, sehr attraktiv und geradezu unglaublich männlich, stand in dem mit blitzenden Perlen übersäten Eingang. Er trug Jeans, ein hellblaues Hemd und Krawatte, darüber den offiziellen Parka der Hope’s-Crossing-Polizei. An seiner Hüfte hing eine Pistole, auf der anderen Seite die Dienstmarke.

Der Chief betrachtete das wilde Durcheinander und schüttelte den Kopf. „Was soll ich nur mit dir machen, Claire? Kaum habe ich dich vor fünfzehn Jahren mal aus den Augen gelassen, steckst du schon in Schwierigkeiten.“

Und da musste sie lachen. Offenbar hatte Riley es nicht verlernt, ihren merkwürdigen Sinn für Humor – wie ihre Mutter es ausdrückte – zu treffen. Die Arme weit geöffnet, trat er einen Schritt auf sie zu, und ohne zu zögern, schmiegte sie sich an ihn. Anders als Hollys kurze Umarmung fühlte sich diese hier warm und vertraut und vollkommen natürlich an. Zum ersten Mal an diesem Tag hatte sie das Gefühl, in Sicherheit zu sein.

Viel zu schnell schob er sie ein Stück von sich, damit er sie betrachten konnte, und sofort war sie sich ihrer sechsunddreißig Jahre, der zwei Kinder und ihrer Scheidung schmerzhaft bewusst.

„Du siehst fantastisch aus, Claire. Wie lange ist es jetzt her?“

Diesem Lächeln hatte sie noch nie widerstehen können. Nicht einmal damals, als er nur der nervige kleine Bruder ihrer besten Freundin gewesen war, dessen einziger Lebenszweck darin bestand, sie und Alex in den Wahnsinn zu treiben. Dass sie sich nach all den Jahren nun auf einmal zu ihm hingezogen fühlte, war wirklich überhaupt nicht angebracht. Und schon gar nicht jetzt, wo ihr Leben und ihr Laden dermaßen durcheinandergeraten waren.

„Keine Ahnung. Auf jeden Fall ein paar Jahre. Wie das nun mal so ist, wenn man an die Küste abhaut und einfach alles hinter sich lässt.“

„Ich habe gehört, dass du endlich Dr. Vollidiot den Laufpass gegeben hast. Wurde auch höchste Zeit. Du warst immer viel zu gut für ihn, von Anfang an. Mir ist nicht klar, was du jemals an diesem kleinen Angeber gefunden hast.“

Ungefähr eine halbe Minute zu spät und mit einer Mischung aus Entsetzen und Belustigung fiel Claire wieder ein, dass Holly immer noch da war. Sie drehte sich etwas zur Seite, um Rileys Aufmerksamkeit auf die andere Frau zu lenken.

„Ähm, Riley. Darf ich dir Holly vorstellen, Jeffs neue Frau? Holly, das ist Riley McKnight, ehemals stadtbekannter Satansbraten und jetzt der neue Chief der Polizei von Hope’s Crossing.“

Mit hochrotem Kopf und Schmollmund sah Holly aus, als ob sie einen acht Millimeter großen venezianischen Klunker verschluckt hätte.

„Entschuldigen Sie, Ma’am.“ Riley schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln, hielt dabei aber hinter seinem Rücken die Finger so gekreuzt, dass nur Claire es mitbekam. „Claire ist eine alte Freundin von mir, ich fürchte, ich habe mich da etwas hinreißen lassen, ohne nachzudenken.“

Holly schien nicht zu wissen, was zu tun war – ob sie ihren Ehemann verteidigen oder die peinliche Situation einfach ignorieren sollte. Sie wirkte verunsichert und schrecklich jung, obwohl Riley mit seinen dreiunddreißig Jahren nur acht Jahre älter als sie war.

Dann hatte sie offenbar beschlossen, ihn einfach zu übersehen. Steif sagte sie zu Claire: „Ich schätze, du brauchst mich jetzt nicht mehr, oder?“

„Nein, ich komme schon klar.“ Jetzt tat es ihr leid, dass sie einen Moment lang so etwas wie Schadenfreude verspürt hatte. „Aber danke dir. Und ich werde dir Bescheid geben, wann ich das Geschäft wieder aufmache. Dann können wir uns ein paar hübsche Accessoires für deine Schwangerschaftsgarderobe überlegen.“

„Keine Eile, wir können das auch irgendwann mal machen. Ich schätze, dann bis heute bei Abend bei Owens Auftritt, oder? Jeff und ich können für Macy und dich Plätze freihalten, wenn du möchtest.“

Wahrscheinlich hatte sie diese kleine spitze Bemerkung verdient, ob sie nun beabsichtigt war oder nicht – nämlich dass Claire bei der jährlichen Frühlingsfeier der Grundschule, dem Spring Fling, von ihrer zwölfjährigen Tochter begleitet wurde, während Holly neben ihrem attraktiven, erfolgreichen Orthopäden-Chirugen-Ehemann saß.

„Danke, ich weiß allerdings noch nicht, um wie viel Uhr wir kommen werden.“

„Wir reservieren euch trotzdem Plätze. Ganz bestimmt will Macy sehen, wie mir der neue Pulli steht, den wir zusammen ausgesucht haben.“

„Zweifellos“, entgegnete Claire ruhig. „Dann bist später.“ Kaum hatte Holly den Laden verlassen, da wand sie sich aus Rileys Umarmung und versuchte keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, wie viel älter sie sich sofort fühlte. Um Himmels willen, bei ihr war eingebrochen worden. Jetzt war wirklich nicht der passende Zeitpunkt für ein fröhliches, freundschaftliches Wiedersehen.

„Donna Mazell hat mir erzählt, dass String Fever nicht das einzige Geschäft ist, das letzte Nacht überfallen wurde.“

Riley nickte, wobei er sich vorbeugte, um Chester unterm Kinn zu kraulen. „Offenbar hatten die Einbrecher eine arbeitsreiche Nacht. Vier Einbrüche bisher.“

„Ich habe eine Alarmanlage. Warum ist die nicht losgegangen? Die Sicherheitsfirma hätte reagieren müssen.“

„Das ist eine gute Frage. Ich schätze jetzt einfach mal, dass du bei Topflight Security bist.“

„Ja.“

„Ist wohl kein Zufall, dass die anderen Unternehmen ebenfalls Topflight-Kunden sind. Das ist ein Gesichtspunkt, den wir bei den Ermittlungen zu berücksichtigen haben.“

Sie runzelte die Stirn. „Du glaubst doch nicht, dass die Firma da irgendwie mit drinsteckt?“ Der Besitzer der Sicherheitsfirma war ein Freund von ihr, sie konnte sich unter keinen Umständen vorstellen, dass einer seiner Mitarbeiter etwas mit den Überfällen zu tun hatte.

„Im Moment bin ich mir noch nicht sicher, was genau ich denken soll. Könnte sein, dass ihr Computersystem geknackt wurde, aber das wissen wir noch nicht. Wir sind gerade dabei, alle Hinweise zu sammeln, die wir dann später überprüfen. Wann hast du gestern den Laden geschlossen?“

„In der Zwischensaison, im Frühling und im Herbst, haben wir sonntags geschlossen. Also könnte der Einbruch irgendwann zwischen Samstagabend und heute Morgen stattgefunden haben.“ „Hast du schon herausgefunden, was fehlt?“

„Mein Bürocomputer ist weg. Ein ziemlich neuer Mac, den ich erst vor einem halben Jahr gekauft habe. Die Kasse ist leer, doch da lasse ich immer nur ungefähr fünfzig Dollar Wechselgeld drin. Die Einnahmen habe ich am Samstag selbst noch bei der Bank eingeworfen, bevor ich nach Hause gegangen bin.“

Zum Glück. Das Wochenende war zwar stressig gewesen, Owen hatte zur Kostümanprobe gemusst, und ihre Mutter hatte sie in der letzten Sekunde gebeten, verschiedene Medikamente aus der Apotheke zu besorgen, aber sie konnte sich glasklar daran erinnern, wie sie zur Bank gefahren war, um die Geldbombe einzuwerfen.

„Haben sie sonst noch was geklaut?“

„Um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht so genau nachgesehen. Ich wollte keine Spuren verwischen oder so.“

„Gut, dann schau jetzt nach, was fehlt.“

Den abgeschlossenen Glasschrank hatten die Einbrecher zum Glück nicht angerührt. Hier bewahrte sie die wertvollen tschechischen Kristalle auf, die Donna erwähnt hatte, außerdem mundgeblasenes venezianisches Glas und die teureren Schmuckstücke, die entweder sie oder Evie für ihre Kunden angefertigt hatten. An der Wand entdeckte sie drei leere Haken, an die sie ein paar ihrer preiswerteren Ketten gehängt hatte. Das Gute war, dass sie ihre eigenen Stücke sofort erkennen würde, sollte jemand dumm genug sein, die Beute in der Stadt verkaufen zu wollen.

Sie ging quer durch den Verkaufsraum in die Werkstatt, wo sie die Materialien aufbewahrte – Perlen, Verschlüsse und Drähte, Zangen und Seitenschneider. Hier schien nichts zu fehlen.

Zum Schluss betrat sie ihr Büro und schnappte hörbar nach Luft.

Sofort war Riley an ihrer Seite. „Whoa.“ Er starrte das Hochzeitskleid an, das noch in der Schutzhülle mit einer ihrer eigenen Scheren aufgeschlitzt worden war. „Nun, das ist interessant.“ Interessant? Ihr wären spontan hundert verschiedene Adjektive eingefallen, aber interessant war nicht darunter.

„Das ist ein Designerhochzeitskleid“, stieß sie stöhnend aus. „Ich hatte es nur für ein oder zwei Tage hier, damit ich auf Wunsch der Kundin Perlen am Mieder anbringen konnte. Ich habe dafür eine horrende Kommission bezahlt.“

Eine Kommission, die sie jetzt wohl in den Wind schießen konnte – genauso wie die Zukunft des ganzen Ladens höchstwahrscheinlich. „Wer kann nur so fies sein?“

„Reine Spekulation, doch vielleicht war es jemand, der die Braut nicht besonders mag. Wem gehört das Kleid?“

„Genevieve Beaumont. Die Tochter des Bürgermeisters.“ Die Hochzeit mit dem Sohn eines der reichsten Geschäftsmänner der Gegend war das gesellschaftliche Ereignis und sollte erst in acht Monaten stattfinden. Vielleicht konnte man dasselbe Kleid noch einmal bestellen, dann hätte Claire noch genug Zeit für die Perlenstickerei.

Oder die ziemlich verwöhnte künftige Braut beschloss, Claire zu verklagen, weil sie ihren großen Tag ruiniert hatte.

Chester stupste mit dem Kopf gegen ihr Bein, und am liebsten wäre sie neben ihn auf die Erde gesunken, mitten hinein in die verstreuten Perlen, um ihn in die Arme zu nehmen und eine Weile in Selbstmitleid zu schwelgen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, Tränen brannten in ihren Augen, sie blinzelte sie allerdings weg und schluckte schwer. Sie hatte keine Zeit für einen Heulkrampf, nicht jetzt, wo sie dieses Chaos beseitigen musste – und vor allem nicht vor dem neuen Chief der Polizei, Himmel noch mal.

„Das ist ein Albtraum. Und es ergibt auch überhaupt keinen Sinn. Warum haben sie das Kleid zerschnitten, aber nicht mal die Perlen mitgenommen? Die sind ein Vermögen wert.“

„Das kann ich dir nicht beantworten. Doch ich verspreche dir, Claire, dass ich es herausfinde.“

Riley war als Junge vielleicht ein echter Quälgeist und als Teenager ein furchtbarer Unruhestifter gewesen, nach allem was sie jedoch in den vergangenen Jahren von Alex und dem Rest seiner Familie über ihn gehört hatte, schien er sich wirklich gemacht zu haben und sich mit vollem Einsatz seinem Job als Polizist zu widmen.

Die meisten Bewohner von Hope’s Crossing waren froh darüber, dass er seinen Dienst als Undercover-Cop in der Bay Arena in Kalifornien quittiert hatte, um zurückzukommen. Nur im Polizeirevier selbst hatte seine Einstellung wohl einigen Unmut ausgelöst.

„Dann erklär mir, was ich noch tun kann, um dir dabei zu helfen.“

„Lass mich einfach mal in Ruhe den Tatort begehen. Wie wäre es, wenn du mit deinem Hund drüben Maura besuchst und einen Kaffee trinkst? Das hier könnte eine Weile dauern.“

„Ich würde lieber bleiben, wenn es dich nicht stört. Ich werde mich auch bemühen, dir nicht im Weg rumzustehen.“

„Kein Problem. Ich freue mich über deine Gesellschaft. Wünschte nur, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergetroffen.“

Und dann saß sie eine Stunde lang ganz vorn in der ersten Reihe, während Riley arbeitete – Beweise einsammelte, Fingerabdrücke nahm und Fotos machte.

Es war nicht gerade einfach, diesen so kompetent und professionell auftretenden Gesetzeshüter mit der schrecklichen Nervensäge von früher in Einklang zu bringen. Genauso wenig wie mit dem wilden, wütenden Teenager, zu dem er nach der Scheidung seiner Eltern geworden war – wobei sie die Geschichten über seine Sauftouren und Schlimmeres nur vom Hörensagen kannte, da sie zu dieser Zeit in Boulder das College besucht hatte.

Der Riley aus ihrer Erinnerung jedenfalls hatte einmal einen Kassettenrekorder im Zimmer seiner Schwester versteckt, weil der die Gespräche mit Claire aufnehmen wollte. Damals hatten sich diese Unterhaltungen natürlich ausschließlich um Jungs gedreht. Alex und sie waren zwölf, dreizehn Jahre alt gewesen und hatten gerade angefangen, sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Claire hatte sich in Jeff Bradford verguckt, den klügsten und hübschesten Jungen eine Stufe über ihnen. Und Alexandra hatte ein Auge auf den Quarterback des Freshman-Football-Teams geworfen, Jason Kolpecki.

Sie sprachen lang und breit über ihre Traumprinzen an diesem Nachmittag, ohne zu ahnen, dass Riley, die Schlange, alles auf-zeichnete – um später damit zu drohen, den Jungs die Kassette vorzuspielen, wenn sie nicht taten, was er von ihnen verlangte.

Gut nur, dass die Kollegen bei der Polizei, die von Rileys Rückkehr nicht besonders begeistert waren, nichts von seiner Karriere als Erpresser ahnten. Zwei Monate lang hatten Claire und Alex für ihn den Rasen der McKnights mähen müssen.

Das alles schien Ewigkeiten her zu sein, tief vergraben unter den Ereignissen, die später folgten. Der skandalöse Tod ihres Vaters, der Nervenzusammenbruch ihrer Mutter, die Midlife-Crisis seines Vaters, durch die seine Familie schließlich auseinandergerissen wurde.

Was würde sie nicht dafür geben, wieder in dieser herrlich einfachen Zeit zu leben, als sie sich nur Gedanken über ihre Mathenoten machen musste und darüber, ob Riley ihre heimliche Schwärmerei für Jeff Bradford ausplaudern würde oder nicht.

Nach einer weiteren halben Stunde – er hatte lange mit seinen Kollegen an den anderen Tatorten telefoniert – sammelte Riley schließlich das letzte Beweisstück ein und packte alles in eine Tasche.

„Das wär’s erst mal“, verkündete er. „Ich werde das ins kriminaltechnische Labor schicken. Mit etwas Glück haben wir dann ein paar Fingerabdrücke.“

„Danke, Riley. Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.“

„Kein Problem. Ich hoffe, dass ich schon bald Neuigkeiten für dich habe.“

Er schenkte ihr dieses große, breite, umwerfende Lächeln, das er als Jüngster in einer Familie mit fünf Töchtern perfektioniert hatte, dasselbe Lächeln, mit dem er sich früher aus allen Schwierigkeiten herauswinden konnte.

Ein kleiner erregender Schauer durchlief sie – und noch einer, sowie er auf sie zutrat und nach ihrer Hand griff.

„Es ist wirklich toll, dich zu sehen, Claire. Wenn sich die Lage etwas beruhigt hat, könnten wir doch mal zusammen oben im Resort zu Abend essen und über alte Zeiten plaudern. Was meinst du?“

Okay, sie war nun seit Ewigkeiten nicht mehr in der Dating-Szene unterwegs – genau genommen seit sie mit fünfzehn Jeffs Freundin geworden war, doch dieser Vorschlag von Riley McKnight klang definitiv, als ob er mehr als nur ein Dinner im Sinn hätte.

„Ähm.“ Großartige Antwort, das war ihr klar. Allerdings konnte sie sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so durcheinander gewesen war – außer wenn sie mal wieder die Einkaufsliste zu Hause hatte liegen lassen. Bestimmt hatte sie ihn falsch verstanden. Er wollte einfach nur höflich sein, oder?

„Das ist nur eine Einladung zum Abendessen, Claire.“ Sowie er grinste, bildete sich ein Grübchen über seinem Mundwinkel. „Ich wollte dich damit nicht in Angst und Schrecken versetzen.“ Schwach lächelnd rief sie sich ins Gedächtnis, dass es sich bei diesem Mann um niemand anderen als den nervtötenden kleinen Riley McKnight handelte. „Bevor du mich in Angst und Schrecken versetzt, färbe ich mir die Haare pink und steige bei einer Punkband ein.“

„Also, das würde ich wirklich gern erleben.“

Zu spät fiel ihr wieder ein, dass er sich niemals geschlagen gab. Einmal hatte Alex einen Monat lang Hausarrest bekommen, weil sie mit ihrem Bruder gewettet hatte, dass er sich nicht trauen würde, mit dem Fahrrad den Woodrose Mountain hinunterzufahren, ohne zu bremsen. Er hatte es vor seinem spektakulären Sturz schon fast bis nach unten geschafft – und selbstverständlich die Bremse nicht ein einziges Mal berührt.

Doch das war Jahre her. Und man wurde kein erfolgreicher Gesetzeshüter, wenn man nicht wusste, worauf es eigentlich im Leben ankam.

„Wir werden bestimmt jede Menge Gelegenheiten haben, über alte Zeiten zu plaudern“, entgegnete sie so gefasst wie möglich. „Alex hat erzählt, dass du das alte Harperhaus in der Blackberry Lane gemietet hast. Das ist gleich bei mir um die Ecke. Ich wohne in dem roten Ziegelhaus mit den Säulen.“

Wieder lächelte er. „Großartig. Dann weiß ich ja, wo ich mir mal eine Tasse Zucker borgen kann.“

Wie, in aller Welt, schaffte er es nur, dass so eine harmlose Bemerkung dermaßen erotisch klang? Sie beschloss, nicht darauf einzugehen – und nicht zu erwähnen, wie lange es her war, dass sie irgendjemandem eine Tasse Zucker geborgt hatte, um bei seinem Wortspiel zu bleiben.

„Ist es in Ordnung, wenn ich den Laden jetzt öffne? Ich kann es mir nicht leisten, ihn den ganzen Tag geschlossen zu haben.“ „Was meine Arbeit betrifft, klar. Soll ich jemanden zum Aufräumen vorbeischicken?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich trommle selbst ein paar Leute zusammen.“

„Gut. Dann rufe ich dich an, ja?“

Sie runzelte die Stirn. Da sie außer Übung war und nicht wusste, wie sie ihn auf möglichst taktvolle Art und Weise entmutigen konnte, sagte sie einfach: „Riley, ich denke, dass das keine so gute Idee wäre…“

Er warf ihr einen langen, amüsierten Blick zu. „Komisch. Ich hatte angenommen, du würdest gern über die Ermittlungen auf dem Laufenden sein.“

„Natürlich will ich das!“

„Was meinst du, warum ich sonst anrufen wollte?“

Darauf gab es keine Antwort, die sie nicht wie eine Idiotin aussehen ließ. Jetzt erinnerte sie sich wieder ganz genau daran, wie er sie und Alex früher immer schier in den Wahnsinn getrieben hatte.

„Ich meine überhaupt nichts. Bitte ruf mich an. Wenn es um den Fall geht jedenfalls.“

„Sehr schön. Ich melde mich.“

Erst nachdem er gegangen war und sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fiel ihr wieder das alberne Horoskop ein. Etwas Schönes und Aufregendes steht Ihnen bevor. Gut, so könnte man Riley McKnight durchaus beschreiben, keine Frage. Zu schade nur, dass sie momentan kein Interesse an einem Mann hatte – und schon gar nicht am kleinen Bruder ihrer besten Freundin.

2. KAPITEL

Ausnahmsweise war Claire froh, wenig Kundschaft zu haben, da sie sowieso erst einmal das von den Einbrechern hinterlassene Chaos beseitigen musste. Aus purer Verzweiflung hatte sie die verstreuten Perlen vom Boden aufgehoben und zunächst einfach in einen großen Eimer geworfen.

„Dir ist doch klar, dass das hier Monate dauern wird, Liebling?“ Ruth schien mal wieder ihre Gedanken gelesen zu haben, das beherrschte sie perfekt. Bevor Claire etwas entgegnen konnte, meldete sich schon ihre beste Freundin zu Wort.

„Machen Sie Witze, Mrs T.?“ Wenn Alex McKnight lächelte, bekam sie genau so ein Grübchen wie ihr Bruder. „Wenn wir Superfrauen zusammenarbeiten, brauchen wir gerade mal drei Wochen. Höchstens.“

„Ich würde sagen, wir schaffen es in zwei“, behauptete Evie Blanchard, Claires Assistentin. Montags war eigentlich ihr freier Tag, doch sie hatte ihren kurzen Skiausflug sofort abgebrochen, als sie von dem Einbruch hörte, um beim Aufräumen zu helfen.

Evie und Alex waren zwei der sieben Frauen, die um den Werktisch im String Fever verteilt saßen, jede mit einem kleinen Häufchen Perlen vor sich, die nach Farben und Formen sortiert und dann in die Kästchen in der Mitte des Tisches gelegt wurden. Danach sollten sie nach Größe und Typ geordnet werden – Halbedelstein, Cloisonné, gebranntes oder mundgeblasenes Glas.

Claires Mutter hatte neben Maura, Alex’ älterer Schwester, und deren Mutter Mary Ella Platz genommen. Links von Claire saß Evie, rechts Katherine Thorne, die ihr das Geschäft vor fast zwei Jahren verkauft hatte. Alex hatte ihr gegenüber Platz genommen.

Chester lag auf seiner Lieblingsdecke. Manchmal hatte Claire den Eindruck, dass viele ihrer Kundinnen vor allem kamen, weil sie ihren Hund besuchen wollten, der am glücklichsten war, wenn er ausgestreckt in seiner Ecke im String Fever dösen und dem Getratsche lauschen konnte.

In den ersten schwierigen Monaten nach Jeffs Auszug hatte sie hier in ihrem Geschäft, umringt von ihren Freundinnen, Trost und Frieden gefunden. Wie Perlen auf der Schnur waren sie alle miteinander verbunden – durch Freundschaft, Verwandtschaft, gemeinsame Erlebnisse und die Leidenschaft für selbst gefertigten Schmuck.

„Habt ihr schon von Jeanie Strebel gehört?“, fragte Maura. „Nein. Was denn?“, wollte Claire wissen.

„Sie hat gestern Abend Eiszapfen mit einem Besen vom Dach geschlagen, und einer davon ist auf ihr Bein gefallen. Drei Mal gebrochen. Jeff hat sie gestern noch operiert. Ihre Tochter hat mir erzählt, dass sie bis Sonntag im Krankenhaus bleiben muss.“ „Oh nein!“, rief Mary Ella aus. „Als hätten sie nicht schon genug um die Ohren seit der Herzoperation von Ardell vor drei Monaten.“

Maura nickte. „Ich habe heute Morgen Brianna auf dem Mark getroffen. Habt ihr schon ihre Zwillinge gesehen? Die sind irrsinnig gewachsen und haben ganz herrliche schwarze Locken und riesige Augen. Wie auch immer, ratet mal, was passiert ist, während ihr Dad mit ihrer Mom gestern im Krankenhaus war?“ Alle warteten gespannt, als Maura eine dramatische Pause entstehen ließ.

„Jetzt sag schon, Maura“, rief Alex schließlich. „Rück endlich mit der Sprache raus. Was ist passiert?“

„Sie bekamen Besuch von unserem Hoffnungsengel.“ Aufregung machte sich am Tisch breit. Selbst Ruth lehnte sich, die Augen weit geöffnet, nach vorn. „Wirklich? Schon wieder?“ „Scheint so. Jemand hat zehn neue Hundertdollarscheine in einem Umschlag für die Arztkosten unter ihrer Tür durchgeschoben. Ihr hättet Briannas Gesicht sehen sollen, während sie mir davon erzählte. In ihren Augen standen die Tränen, und sie hat wie von innen geleuchtet.“

Seit ein paar Monaten half in Hope’s Crossing ein geheimnisvoller Wohltäter immer genau dort aus, wo er gebraucht wurde. Als Caroline Bybees uralter Plymouth letzten Herbst keinen Mucks mehr machte, entdeckte sie eines Morgens ein gebrauchtes, aber neueres Modell vor ihrer Tür, zusammen mit dem Fahrzeugbrief und einer Karte, auf der stand: „Fahren Sie vorsichtig.“ Ein paar Wochen davor war eine junge geschiedene Mutter in Claires Laden gekommen und hatte berichtet, dass jemand ihre Heizkostenrechnung für den ganzen Winter bezahlt hatte. In der Weihnachtszeit hatten mehrere Familien – alle mit kleinen Kindern – Kuverts voll Bargeld vor ihrer Tür gefunden und dazu die Notiz: „Frohe Weihnachten von jemandem, der gerne hilft.“ Claire fragte sich, wie viele großzügige Taten es in Hope’s Crossing noch gegeben hatte, von denen sie keine Ahnung hatte. Auch konnte sie sich nicht mehr erinnern, wer zuerst den Unbekannten als Hoffnungsengel bezeichnet hatte.

So anstrengend sie es manchmal fand, in derselben Stadt wie Jeff und Holly zu wohnen, waren solche Geschichten doch immer wieder ein Grund, nicht wegzuziehen. Die Leute hier kümmerten sich um einander. Das wusste niemand besser als sie, schließlich waren auch heute ihre Freundinnen sofort herbeigeeilt, weil sie ihr helfen wollten.

„Ihr seid meine Hoffnungsengel“, brach es aus ihr heraus. „Ich kann euch gar nicht sagen, wie dankbar ich euch bin, dass ihr alles habt stehen und liegen lassen, um mir ein paar Stunden unter die Arme zu greifen.“

„Aber das ist doch selbstverständlich.“ Mary Ella lächelte, ihre grünen Augen – die Claire so sehr an die ihres Sohnes erinnerten – glänzten liebevoll. „Du hättest nicht mal zu fragen brauchen, Liebes. In der Sekunde, als ich hörte, dass in deinen Laden eingebrochen worden ist und der Mistkerl ein derartiges Durcheinander hinterlassen hat, hatte ich mich schon auf den Weg gemacht, damit ich dir beim Aufräumen helfen konnte.“ „Ich kann immer noch nicht begreifen, dass jemand aus unserem Ort so was tut.“ Katherine schien den Einbruch geradezu persönlich zu nehmen.

„Ich könnte wetten, dass es ein Urlauber aus dem Skiresort war.“ Evie strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. „Was sagt denn die Polizei?“

„Chief McKnight wollte sich mit mir in Verbindung setzen, bisher allerdings habe ich noch nichts von ihm gehört. Es ist ja auch erst ein paar Stunden her.“

„Na, das kennen wir ja: Mal wieder wartet eine Frau vergeblich auf Rileys Anruf.“

Für diese Anspielung erntete Alex von ihrer Mutter einen rügenden Blick. „Sein Privatleben ist die eine Sache“, erklärte Mary Ella streng, „doch in seinem Beruf ist dein Bruder äußerst pflichtbewusst. Riley ist ein hervorragender Polizist. Du weißt so gut wie ich, dass Katherine und der Rest des Stadtrats sich sonst niemals für ihn entschieden hätten.“

Katherine wirkte beunruhigt, da sie befürchtete, in eine Familienangelegenheit hineingezogen zu werden. „Wir fühlen uns sehr geehrt, dass Riley überhaupt bereit war, zurück nach Hope’s Crossing zu kommen“, meinte sie schnell. „Zuerst war ich jedoch besorgt, dass er hier nicht genug zu tun hätte.“

„Ist das etwa ein Geständnis?“, zog Claire sie auf. „Willst du andeuten, dass du in ein halbes Dutzend Läden auf der Main Street eingebrochen bist, damit Riley was zu tun hat und in Hope’s Crossing bleibt?“

„Claire Renée!“ Ruth klang ehrlich entsetzt. „Dir ist absolut klar, dass Katherine so etwas niemals machen würde, egal, wie gut Chief McKnight in seinem Job sein mag, und egal, wie sehr der Stadtrat ihn halten will.“

Alex verdrehte die Augen, und Claire biss sich innen auf die Wangen, froh darüber, dass sie an diesem schrecklichen Tag überhaupt noch etwas lustig finden konnte.

„Natürlich weiß ich das, Mom“, erwiderte sie. „Ein Witz. Mal wieder.“

„Eigentlich gar keine schlechte Idee.“ Katherine lächelte. „Schade, dass ich nicht vorher draufgekommen bin. Wenn ich es gewesen wäre, hätte ich allerdings nicht so ein Chaos hinterlassen. Und mit Sicherheit hätte ich das Hochzeitkleid der armen Genevieve nicht zerschlitzt.“

Dieser Anruf war Claire wirklich schwergefallen. Genevieve hatte es verständlicherweise nicht besonders gut aufgenommen, dass ihr Hochzeitskleid zerstört worden war. Daraufhin hatte Claire mit dem Designer telefoniert, der versprochen hatte, das gleiche Kleid innerhalb der nächsten Wochen noch einmal zu schicken – gegen einen Aufpreis natürlich. Claire musste die Kosten übernehmen, bis ihre Versicherung für den Schaden bezahlte, das war Claire allerdings unwichtig. Hauptsache, das Ganze führte nicht zu einem Streit mit der Beaumont-Familie.

„Katherine, du hast deine Ohren doch überall.“ Alex fuhr mit geschickten Fingern fort, die Perlen zu sortieren, während sie sprach. „Was glauben denn die Leute, wer hinter dieser Einbruchserie steckt?“

„Als ich vor einer Stunde im Diner vorbeigeschaut habe, gab es jede Menge Gerüchte. Von der ukrainischen Mafia über kalifornische Gangs bis hin zu irgendeiner Regierungsverschwörung war alles dabei. Riley wird eine Menge zu tun haben, diesen ganzen verrückten Hinweisen nachzugehen.“

„Er wird den Fall lösen.“ Mary klang äußerst überzeugt. „Dieser Junge ist von Geburt an äußerst dickköpfig. Er wird nicht aufgeben, bevor er die Einbrüche aufgeklärt und die Verbrecher hinter Gitter gebracht hat. Egal, wie schwer es wird.“ „Mit anderen Worten meint Ma damit, dass ihr einziger Sohn hinterlistig und fies ist“, erklärte Alex.

„Und manipulativ und niederträchtig“, fügte Maura hinzu. „Nicht zu vergessen: störrisch wie ein Esel“, schlug Claire vor. Durch die jahrelangen Streitereien mit Riley hatte sie sich das Recht verdient, mit den anderen über ihn herzuziehen, obwohl sie nicht seine Schwester war.

Alle Frauen lachten, außer Ruth, die die Lippen zusammenpresste. Trotz ihrer Freundschaft mit Mary Ella konnte sie Riley nicht ausstehen und fand nichts, aber auch gar nichts, was ihn betraf, amüsant. Sie konnte nicht vergessen, wie viel Ärger er in seiner Jugend verursacht und wie sehr er seine Mutter verletzt hatte. Alle anderen aber kicherten noch, als die Türglocke bimmelte und besagter Mann in den Laden trat.

So wie er dastand, das dunkle Haar zerzaust vom kalten Wind, einen Anflug von Dreitagebart auf Kinn und Wangen, schien er Unmengen überschüssiges Testosteron zu verströmen. Claire stellte sich vor, wie es wäre, mit den Fingern über seine Bartstoppeln zu streichen, die Linien seines kantigen Kinns nachzuzeichnen und das Grübchen in seinem Mundwinkel zu berühren.

Hitze schoss in ihre Wangen. Was, in drei Teufels Namen, war eigentlich ihr Problem? Es musste der Stress sein. Nur so konnte sie sich diese vollkommen unpassende Reaktion erklären.

Riley musterte die Gruppe kichernder Frauen, und Claire stellte fest, dass sie nicht die Einzige war, die seinem Blick auswich. Doch wahrscheinlich war sie die Einzige, deren Hormone gerade Purzelbäume schlugen.

„Okay, warum habe ich urplötzlich das Gefühl, dass meine Ohren heiß werden sollten?“, murmelte er.

„Dafür gibt es keinen Grund, Darling“, versicherte Mary Ella eilig, zwinkerte dabei aber den anderen zu.

„Sind wir etwa ein wenig narzisstisch veranlagt?“, fragte Alex süffisant.

Statt einer Antwort zog er an dem dunklen Haar seiner Schwester, dann beugte er sich vor und küsste seine Mutter auf die Wange. Claire war nah genug neben ihm, um seinen Duft einzuatmen, erdig und männlich.

„Wie nett von euch allen, Claire zu helfen. Scheint so, als ob das hier Monate dauern würde.“

„Sag ich doch“, erwiderte Ruth murrend.

„Ich schätze, du kennst hier alle“, sagte Mary Ella. „Oh, von Evie einmal abgesehen. Evie Blanchard, das ist der neue Polizeichef von Hope’s Crossing und mein Baby, J. Riley McKnight. Evie arbeitet für Claire.“

Riley warf seiner Mutter einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ich würde es vorziehen, Jüngster genannt zu werden und nicht ‚mein Baby‘, dennoch danke, Ma. Freut mich, Sie kennenzulernen, Evie.“

Er schüttelte Evies Hand, und Claire rechnete damit, dass er sofort beginnen würde, seinen Charme spielen zu lassen. Evie war eine schöne Frau, zart und blond, sie wirkte zerbrechlich – was sie nicht war –, vor allem heute mit den leichten Schatten unter den großen blauen Augen. Aber Riley schaute sie nur höflich und fast schon distanziert an.

„Wie laufen die Ermittlungen?“, erkundigte sich Maura. „Wir haben gerade darüber gesprochen. Bist du vielleicht hier, weil ihr die kleinen Scheißer geschnappt habt?“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Maur, sagt man so was? Und das ausgerechnet vor Mrs Tatum und Stadträtin Thorne. Reiß dich zusammen, sonst wird Ma dir noch den Mund mit Seife auswaschen.“

„Sehr richtig“, bestätigte Mary Ella, die praktischerweise vergessen zu haben schien, welche Schimpfworte sie selbst heute schon von sich gegeben hatte.

Maura hatte noch nie interessiert, was andere von ihr hielten – etwas, wofür Claire sie ehrlich bewunderte. „Du hast doch gesehen, was die hier angerichtet haben. Als was würdest du sie bezeichnen?“

„Der Punkt geht an dich.“

„Ich habe wirklich Glück gehabt, dass sie meinen Buchladen nicht überfallen haben.“

„Also habt ihr sie nun geschnappt oder nicht?“, mischte sich Alex ein.

„Wir arbeiten daran. Ich muss Claire noch ein paar Fragen stellen.“

„Bitte, wir würden auch gern erfahren, was los ist.“ Aus reiner Neugier hatte Ruth offensichtlich beschlossen, ihre Abneigung Riley gegenüber einen Moment lang zu vergessen.

„Wenn es euch nicht stört, würde ich gern allein mit Claire sprechen.“

Ruth versuchte gar nicht erst, ihre Enttäuschung zu verbergen, während Claire sich erhob und ihm voraus in ihr Büro ging. Riley schloss die Tür, machte es sich auf dem Besucherstuhl bequem und rieb sich über die Stirn. Er sieht müde aus, dachte sie. Sein Tag war wahrscheinlich noch anstrengender gewesen als ihrer. Sie hatte schließlich nur mit einem Einbruch zu tun, er allerdings musste sich mit einer ganzen Einbruchsserie auseinandersetzen.

„Möchtest du Kaffee?“, fragte sie. „Oder Tee?“

„Nein, vielen Dank. Noch mehr Koffein, und ich springe durch die Gegend wie ein Grashüpfer, wenn der Rasen gemäht wird.“

„Gibt es Neuigkeiten?“

„Ich schätze, so könnte man es nennen. Viel ist es nicht gerade, aber ich habe dir schließlich versprochen, dich auf dem Laufenden zu halten. Wir haben einen möglichen Augenzeugen gefunden, der ein verdächtiges Fahrzeug vor dem Pizzaladen beobachtet hat. In den frühen Morgenstunden. Einen neueren dunkelblauen oder grünen oder schwarzen Pick-up. Groß. Der Augenzeuge war sich nicht sicher, ob es sich um einen Dodge oder einen Ford handelte.“

„Super. So was fährt ungefähr die Hälfte der Leute hier.“ „Ich weiß, aber es ist besser als nichts. Außerdem sind nicht alle Überwachungskameras in den anderen Läden deaktiviert worden. Im Fahrradgeschäft zeigen die Aufnahmen drei Personen am Tatort. Allerdings tragen sie Skimasken und billige Wegwerf-Regenmäntel über ihren Parkas, damit man ihre Kleidung nicht erkennen kann.“

Beschämt stellte sie fest, dass sie bisher kaum einen Gedanken an die anderen Geschäfte verschwendet hatte. „Haben sie großen Schaden angerichtet?“

„Unterschiedlich. Meistens wurden Computer geklaut und Bargeld. Ein Luxusfahrrad bei Mike’s Bike.“ Trotz der Müdigkeit wurde sein Blick auf einmal scharf. „Vandalismus gab es allerdings nur bei dir.“

Ich Glückskind, schoss es ihr durch den Sinn. „Ich verstehe immer noch nicht, wieso. Vielleicht waren sie sauer, weil sie nicht viel Wertvolles gefunden haben.“

„Kann sein. Oder es ist etwas Persönliches. Tut mir leid, das fragen zu müssen, Claire, aber kennst du irgendjemanden, der etwas gegen dich hat, von Dr. Arsch einmal abgesehen?“

Sie starrte ihn an und begann dann zu lachen. Sie konnte einfach nicht anders. „Jeff? Du denkst, Jeff ist darin verwickelt? Das ist doch völlig verrückt! Er würde so etwas niemals tun. Wie auch immer, er hat überhaupt keinen Grund, sauer auf mich zu sein. Wenn überhaupt, dann …“

„Du auf ihn?“

Ihr Gelächter erstarb. „Jeff und ich bemühen uns sehr, gut miteinander auszukommen. Der Kinder wegen.“

„Ah, die berühmte einvernehmliche Scheidung – eine Seltenheit!“ Obwohl er einen neckenden Ton angeschlagen hatte, bemerkte sie etwas in seinem Blick, eine gewisse Bitterkeit – wahrscheinlich dachte er an die Scheidung seiner eigenen Eltern. Sie und Alex hatten damals gerade mit ihrem Senior Year begonnen, mussten also ungefähr siebzehn gewesen sein und Riley vierzehn. Auch wenn sie die ganze Geschichte natürlich vor allem von Alex gehört hatte, wusste sie, dass alle sechs McKnight-Kinder verwirrt und wütend gewesen waren, völlig verzweifelt darüber, dass diese so scheinbar glückliche Familie von heute auf morgen einfach zerbrochen war.

Riley hatte am meisten gelitten, als einziger „Mann“ im Haus, nachdem der Vater Hope’s Crossing so plötzlich verlassen hatte, um seine wissenschaftlichen Ambitionen zu verfolgen.

„Wir haben hart daran gearbeitet, sie so einvernehmlich wie möglich zu gestalten“, entgegnete sie steif. Sie sprach wirklich nicht gern über ihre Scheidung.

„Was ist mit seiner neuen Frau? Wir glauben, dass zumindest eine der Personen auf dem Film eine Frau ist.“

Sie versuchte sich vorzustellen, wie Holly mit einer Horde Einbrecher durch den Ort streifte, Geschäfte überfiel, Fahrräder und Computer stahl und im String Fever Genevieve Beaumonts Hochzeitskleid zerschlitzte. Das war in etwa genauso absurd wie der Gedanke, dass Jeff der Bandenchef wäre.

„Meinst du damit etwa, dass du eine Frau verdächtigst, die im fünften Monat schwanger ist?“

Da war sein Grübchen wieder. „Unter dem Plastikregenmantel ist es nicht allzu leicht zu erkennen, ob sie schwanger ist oder nicht. Aber okay, wahrscheinlich eher nicht.“

„Kleiner Tipp von mir. Du solltest Holly nicht unbedingt in einen kleinen Raum mit einer nackten Glühbirne sperren, damit du sie befragen kannst.“

Jetzt schenkte er ihr ein breites Grinsen, die Müdigkeit war aus seinem Gesicht verschwunden. Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was für ein Quälgeist er früher gewesen war, was ihr aber ziemlich schwerfiel, denn dieses Grinsen jagte ihr wohlige Schauer über den Rücken … etwas, das sie ewig nicht mehr erlebt hatte.

„Es würde den Ermittlungen helfen, wenn du in Ruhe darüber nachdenkst, wer wütend auf dich sein könnte. Vielleicht fragst du auch deine Mitarbeiter, ob ihnen jemand einfällt, jemand, der etwas gegen dich hat oder gegen sie.“

Sie wollte sich gar nicht erst denken, dass irgendwo da draußen jemand existierte, der sie oder eine ihrer Angestellten nicht leiden konnte. Katherine arbeitete manchmal für sie, aber sie war die beliebteste Frau der Stadt. Evie lebte noch gar nicht lange genug in Hope’s Crossing, um sich Feinde gemacht zu haben – von Brodie Thorne vielleicht abgesehen, Katherines Sohn, der Evie aus irgendeinem Grund nicht ausstehen konnte. Brodie war jedoch einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner der Stadt. Da konnte sie sich ja sogar noch eher Holly und Jeff als eine Art Bonnie und Clyde vorstellen.

Damit blieb noch Mauras Tochter Layla übrig, die nach der Schule und samstags im Laden aushalf.

Und natürlich Claire selbst.

„Das mache ich“, meinte sie. „Ich bin dir wirklich dankbar, dass du extra vorbeigeschaut hast.“

„Gern geschehen.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Wie wäre es, wenn du dich erkenntlich zeigst und mir verrätst, was die da draußen über mich gesagt haben, als ich den Laden betreten habe?“

Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde – was natürlich absolut albern war. „Ähm, was für ein guter Polizist du bist“, stieß sie hervor.

Er lächelte. „Hmm. Warum glaube ich dir das nicht?“

„Weil du ein ziemlich misstrauischer Mensch bist?“ „Praktisch für einen Cop. Aber egal, ich hatte einfach gehofft, es wäre was Anrüchiges gewesen.“

Bevor sie darauf etwas entgegnen konnte, erklang von draußen die Glocke, da jemand die Tür aufriss. Eine Sekunde später stürmte ihr achtjähriger Sohn ins Büro.

Dass ihr Laden nur ein paar Straßen von der Schule entfernt lag, hatte viele Vorteile. Zum Beispiel konnten ihre Kinder nach Schulschluss einfach vorbeikommen, wenn Jeff oder Claires Mutter keine Zeit hatten, sie abzuholen.

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