Ich kann nie mehr von dir lassen

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Fast zehn Jahre hat Glory sich nach ihrer Tochter gesehnt, als sie ihr begegnet: im Haus ihrer Jugendliebe Jim, der nicht ahnt, dass Liza seine Tochter ist und dass seine Familie Glory während der Schwangerschaft erpresst hat. Ihre neu erwachte Liebe scheint ohne Zukunft …


  • Erscheinungstag 10.07.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783955764555
  • Seitenanzahl 116
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Ich kann nie mehr von dir lassen

Aus dem Amerikanischen von Angelika Oberhof

MIRA® TASCHENBUCH


MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg


Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH


Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: 

Glory, Glory

Copyright © 1990 by Linda Lael Miller

erschienen bei Silhouette Books, Toronto


Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.ár.l


Konzeption: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildungen: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Redaktion: Mareike Müller


ISBN eBook 978-3-95576-455-5


www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Als Glory Parsons sich dem ihr nur allzu vertrauten Ortsschild mit der Aufschrift »Pearl River, Oregon – 6710 Einwohner« näherte, umklammerte sie das Lenkrad unwillkürlich etwas fester.

Sie brauchte nur zu wenden und nach Portland zurückzufahren. Ihre Wohnung hatte sie ja noch, und eine neue Arbeitsstelle würde sie ohne Schwierigkeiten finden. Vielleicht werde ich mich mit Alan doch wieder vertragen, dachte sie.

Sie hatte sich vorgenommen, drei Wochen in Pearl River zu bleiben. Anschließend wollte Glory zu ihrer Freundin nach San Francisco fahren, sich dort nach einem Job umsehen – und ihr Leben noch einmal ganz von vorn beginnen. Was Alan betraf – nein, von ihm hatte sie endgültig genug!

Das kleine Bistro war ebenso weihnachtlich mit einer bunten Lichterkette und glitzernden grünen Lamettagirlanden geschmückt, wie auch die Buchhandlung und das Lebensmittelgeschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Brauner Schneematsch bedeckte die Straße, doch vom Himmel fielen bereits wieder frische, dicke weiße Flocken herab.

Glory fuhr am Bistro vorbei und lächelte, als sie den kitschigen Plastik-Weihnachtsmann mit dem Rentier sah, der auf dem Dach befestigt war. Sie hupte zweimal kurz, um ihre Mutter zu begrüßen, und fuhr weiter.

Der Friedhof befand sich am anderen Ende des Ortes in der Nähe des Flusses. Glory parkte ihren Wagen vor dem schmiedeeisernen Tor, direkt hinter einem Streifenwagen, der verlassen dastand. Dann griff sie nach dem Blumenstrauß, den sie unterwegs gekauft hatte, und stieg aus.

Ein kalter Windstoß trieb ihr die Schneeflocken ins Gesicht. Sie klappte den Kragen ihres langen Wollmantels hoch, der so blau war wie ihre Augen. Vorsichtig schritt sie den vereisten Weg entlang.

Dylans Grab war schneebedeckt. Glory blieb einen Moment still davor stehen. »Grüß dich, lieber Bruder«, sagte sie mit belegter Stimme, ehe sie sich bückte, um den Strauß aus Christrosen und Tannengrün in die Zinnvase am Fußende des Grabes zu stecken. Als sie sich wieder aufrichtete, waren ihre Augen tränengefüllt. Ihre Hände ballten sich in den Manteltaschen zu Fäusten. »Wie konntest du bloß mit zweiundzwanzig schon sterben? Weißt du nicht, wie sehr ein Mädchen seinen großen Bruder braucht?«

Sie wischte den Schnee vom Grabstein, bis Dylans Name, das Geburtsdatum und der Todestag sichtbar wurden. Dylan war bei einer Explosion ums Leben gekommen, kurz nachdem er zur Luftwaffe gegangen war. Glory würde dafür sorgen, dass niemand jemals vergaß, dass es ihn gegeben hatte.

Sie holte tief Luft und wischte sich die Augen mit ihren Handschuhen trocken. »Ich habe geschworen, nie hierher zurückzukommen«, fuhr sie verzweifelt fort, »nicht einmal, um dich zu besuchen. Aber Mom will wieder heiraten. Zu ihrer Hochzeit musste ich einfach kommen.«

Glory nahm ein Taschentuch und putzte sich die Nase. »In Portland habe ich mich von so einem miesen Typ reinlegen lassen. Wärst du noch da, Dylan, hättest du ihn sicher längst verprügelt. Er schwor, mich zu lieben, stattdessen hat er nur auf den rechten Moment gewartet, um mich in meinem Job auszustechen.«

Sie hielt inne. Auf dem Friedhof war es durch die großen Kiefern und Eichen normalerweise recht dunkel. Jetzt leuchtete der Schnee heller als der von dichten grauen Wolken verhangene Himmel. »Ich habe also meinen Job an den Nagel gehängt und meine Möbel zur Aufbewahrung gegeben«, vertraute Glory ihrem Bruder an. »Wenn Weihnachten und Moms Hochzeit vorbei sind, beginne ich in San Francisco noch einmal ganz vorn. Ich weiß nicht, wann ich dich wieder besuchen komme.«

Leises Knirschen im Schnee ließ Glory aufhorchen. Als sie aufblickte, weiteten, sich ihre blauen Augen vor Erstaunen.

»Jim!«

Er stand auf der anderen Seite von Dylans Grab und trug die grünbraune Polizeiuniform von Oregon. Der Sheriffstern, der an seiner kurzen Jacke befestigt war, glänzte im Winterlicht. Wie Glory war Jim achtundzwanzig Jahre alt.

Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Was machst du hier, Glory?«, fragte er dann in einem Ton, als hätte er sie nach Geschäftsschluss vor dem Safe einer Bank erwischt.

Glory war sich darüber im Klaren gewesen, dass sie nicht nach Pearl River zurückkommen konnte, ohne Jim irgendwann über den Weg zu laufen. Nur dass es so schnell geschehen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Wut stieg in ihr auf, gepaart mit einem Schmerz, den sie längst vergessen glaubte. Sie deutete auf Dylans Grab. »Was glaubst du denn, was ich hier tue?«, gab sie zurück. »Ich besuche meinen Bruder.«

Jim schob die Daumen hinter den Hosengürtel und sah sie spöttisch an. »Die Beerdigung war vor acht Jahren. Du hattest es wirklich eilig wiederzukommen.«

Ja, dachte Glory, acht Jahre waren seit der Beerdigung vergangen, acht Jahre, seit sie Jim Bainbridge zum letzten Mal gesehen hatte. Sie atmete tief durch, musterte einen Augenblick gedankenverloren seine Uniform und sagte dann: »Wie ich sehe, bist du inzwischen Sheriff geworden. Hat dein Großvater dir je Wählerstimmen besorgt?«

Einen Moment lang kniff er die Lippen zusammen, aber dann grinste er in seiner typisch verwegenen Art, mit der er auf der Highschool so viele Mädchenherzen erobert hatte. »Was soll das? Dich hat er doch auch gekauft, oder nicht?«

Wie wohl jeder andere hier in Pearl River dachte also auch Jim, dass der alte Sam Bainbridge sie damals mit einem Geldangebot überredet hatte, die Stadt zu verlassen! Doch Glory war sich ziemlich sicher, dass Jim nie etwas von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte.

Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Jim die Dienstmütze auf, machte kehrt und stapfte durch den Schnee davon.

Sprachlos sah Glory ihm hinterher. Als er außer Hörweite war, stemmte sie die Hände in die Hüften und sagte in Richtung Dylans Grab: »Der Kerl macht mich fix und fertig. Ich konnte nie verstehen, warum du ihn so sehr mochtest!«

Du mochtest ihn doch auch, Glory, hörte sie eine Stimme tief in ihrem Herzen antworten. Du hast sein Kind zur Welt gebracht!

»Komm mir nicht damit!«, fuhr sie auf und verschränkte die Arme. »Ich war gerade achtzehn, und mein Hormonhaushalt war noch reichlich durcheinander.«

Glory glaubte, Dylans Lachen im kalten Wind zu hören, und musste trotz der unangenehmen Begegnung mit Jim Bainbridge unwillkürlich lächeln.

»Ich liebe dich, Dylan«, flüsterte sie zum Abschied und strich noch einmal zärtlich über den Grabstein.

Es wurde Zeit, Pearl River in Augenschein zu nehmen. Das hatte Glory seit Dylans Beerdigung nicht mehr getan und hätte es auch jetzt am liebsten gelassen – aus mehreren Gründen.

Glorys Sportwagen, der einzige Luxus, den sie sich leistete, sprang mit einem satten Röhren an. Während sie langsam in den Ort zurückfuhr, nahm sie sich vor, die Dinge so zu nehmen, wie sie auf sie zukamen. Weihnachten und die Hochzeit würden bald vorüber sein, und dann konnte sie in Ruhe Zukunftspläne schmieden.

Sie stellte ihren Wagen vor »Delphines Bistro« ab und stieg aus. Unwillkürlich blickte sie zu dem Weihnachtsmann auf dem Dach hinauf und erinnerte sich an die vielen Jahre, in denen Dylan ihn dort befestigt hatte. Immer machte er absichtlich Faxen, weil er wusste, dass seine Mutter und Schwester fürchteten, er könnte herunterfallen.

Als Glory die Tür öffnete, klingelten die kleinen Messingglöckchen, die jeden Besucher ankündigten. Mrs Parsons, schlank und temperamentvoll wie eh und je, strahlte ihrer Tochter glücklich entgegen.

»Glory«, flüsterte sie gerührt und eilte auf sie zu.

Die herzliche Umarmung trieb Glory erneut die Tränen in die Augen. »Hallo, Mom.«

»Wird aber auch Zeit, dass du kommst«, erscholl eine tiefe Männerstimme von der Theke her. Harold Seemer, der gutmütige Installateurmeister, dem es nach fünfjährigem Hofieren endlich gelungen war, Delphine zum Jawort zu überreden, lachte seiner zukünftigen Stieftochter fröhlich entgegen. »Wir wollten dich schon als vermisst melden.«

»Hallo, Harold«, sagte Glory und nahm den wohlgenährten Mann mit der Glatze in die Arme. Delphine und er hatten sie einige Male in Portland besucht, und Glory hatte ihn recht lieb gewonnen.

»Du siehst dünn aus«, bemerkte Delphine kritisch, nachdem Glory den Mantel ausgezogen und ihn an der Garderobe aufgehängt hatte.

Glory lachte. »Danke, Mom. Ich habe extra zwei Monate lang gehungert, weil ich weiß, wie gern du mich aufpäppelst.«

Harold trank seinen Kaffee aus. »So, ich muss wieder an die Arbeit. Ihr habt euch sicher viel zu erzählen.«

Als er gegangen war, nahm Glory auf einem der Barhocker Platz, seufzte und strich sich das vom Wind zerzauste goldblonde Haar glatt. »Keine Kundschaft?«, fragte sie und betrachtete die sechs leeren Rattantische mit den rot gepolsterten Stühlen.

Delphine zuckte mit den Schultern, trat hinter die Theke und schenkte ihrer Tochter eine Tasse Kaffee ein. »Die Mittagsmeute ist schon wieder weg. Bis zum Abend bleibt es jetzt ruhig.«

Glory zog die Tasse näher zu sich heran. Der frische Kaffeeduft wirkte beruhigend, aber Glory trank noch nicht. »Ich habe Jim getroffen«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte leicht.

»So? Wie ist denn das passiert?«

»Ich bin zum Friedhof gefahren und habe Dylan einen Strauß Christrosen gebracht. Plötzlich tauchte Jim auf.« Glory beobachtete das Gesicht ihrer Mutter, das bei dem Gedanken an ihren verlorenen Sohn etwas blasser geworden war. Doch sie fing sich schnell wieder. Sie war eine wahre Kämpfernatur.

»Jims Bruder Gresham und dessen Frau liegen dort im Familiengrab. Heute muss ein besonderer Tag für Jim sein.«

Glory erinnerte sich an das Flugzeugunglück, das Gresham Bainbridge, den vielversprechenden jungen Senator, und seine hübsche Frau Sandy in den Tod gerissen hatte. Diese Tragödie hatte tagelang die Schlagzeilen in Oregon beherrscht. »Hatten sie nicht ein Kind zurückgelassen?«, wollte Glory wissen. Sich über das Schicksal der Bainbridges zu unterhalten, war leichter, als über ihr eigenes und das ihrer Mutter nachzudenken.

Delphine spülte die Glaskanne aus, um frischen Kaffee aufzusetzen. »Ja, ein kleines Mädchen«, erwiderte sie leise. Eine Minute später drehte sie sich zu Glory um, lehnte sich gegen die blitzblanke Bar und sah ihrer Tochter direkt in die Augen. »Erzähl mir von diesem Alan. Was hat er getan, dass du alles stehen und liegen lässt, um woanders einen Neuanfang zu machen?«

Glory fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ihren Kaffee hatte sie immer noch nicht angerührt. »Er war ein Mistkerl, Mom«, antwortete sie nach einer Weile. »Er hat sich das Vertrauen aller meiner Kunden erschlichen, während ich zu einer Schulung in Chicago war. Als ich wiederkam, hatte der Vorstand ihn mit der Beförderung belohnt, die mir versprochen war.«

»Und daraufhin hast du ihnen ins Gesicht gesagt, was du von ihnen hältst, hast deinen Schreibtisch geräumt und bist auf und davon, habe ich recht?« Delphines Bemerkung klang nicht wie ein Vorwurf, dennoch wurde Glory rot.

»Was hätte ich denn tun sollen, Mom? Etwa dort bleiben und Alans unterwürfige Sekretärin spielen? Ich hatte vier Jahre lang Tag und Nacht für diese Beförderung geschuftet!«

Delphine zuckte die Achseln. »Ich denke, vielleicht wolltest du schon länger Schluss mit ihm machen, und diese Angelegenheit lieferte nur den idealen Vorwand. Es würde mich nicht einmal überraschen zu hören, dass du Jim Bainbridge nie vergessen hast.«

Glorys Hand zitterte, als sie ihre Tasse zum Mund führte. Ärgerlich trank sie einen Schluck und verbrannte sich prompt die Zunge. »Irrtum«, brachte sie nur heraus. Noch immer stieg in ihr die Wut hoch bei dem Gedanken, dass Jim sich nie die Mühe gemacht hatte, sie in Portland zu besuchen, als sie sein uneheliches Baby erwartete. Oder sie zu sich heimholte. Obwohl ihr schon damals klar war, dass es sich dabei nur um Wunschträume handelte: Jim Bainbridge war nicht aufgetaucht, weil er überhaupt keine Ahnung hatte, dass Glory, sein Highschool-Schwarm, von ihm schwanger war.

Stumm legte Delphine die Hand auf den Arm ihrer Tochter und sah sie voller Mitgefühl an.

Glory zog ihren Arm weg, stand auf und ging zur Jukebox hinüber. Sie studierte die Titel der Platten. Alles altvertraute Songs – im Augenblick fühlte sich Glory jedoch nicht in der Verfassung, sich einen davon anzuhören.

Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Aus der Drogerie gegenüber kam der Besitzer, Mr Kribner, heraus und hängte einen Kranz aus Tannengrün über der Eingangstür auf.

»Frohe Weihnachten«, murmelte Glory niedergeschlagen. Hätte ich doch Portland nie verlassen, dachte sie.

Delphine war ihr gefolgt und stand nun hinter ihr. »Komm, Schatz, du bist müde, und ich wette, du hast heute noch nicht zu Mittag gegessen. Ich mache dir ein Sandwich, und danach gehst du nach oben und ruhst dich ein wenig aus, ja?«

Glory nickte, obwohl sie keinen Appetit verspürte und schon seit Tagen nicht mehr zur Ruhe gekommen war.

Sie hörte, wie ihr Delphine aus der Küche zurief: »Harvey Baker war vor einigen Tagen hier. Er sucht eine Assistentin in der Bank, Allie Cordman hat eine Arbeit in Seattle angenommen.«

»Cleveres Mädchen«, bemerkte Glory. Pearl River war ein totes Nest. Jeder, der sich hier auf Dauer niederließ, sollte auf seinen Geisteszustand untersucht werden.

Delphine kam mit Glorys Lieblingssandwich aus der Küche – Kartoffelsalat mit Tomaten- und Gurkenscheiben! Dazu stellte sie ihr ein großes Glas Orangensaft hin. Glory hätte geschworen, dass sie keinen Hunger hatte, aber beim Anblick des reich garnierten Tellers machte sie große Augen. »Danke, Mom«, sagte sie begeistert und nahm sich eine Papierserviette: Dann biss sie herzhaft von dem Sandwich ab.

»Heute Abend gibt es eine Sondervorstellung im ‚Rialto‘. Alte Filme mit James Stewart und Cary Grant!« Delphine verdrehte schwärmerisch die Augen.

»Ja, solche Männer findet man heutzutage einfach nicht mehr«, stimmte Glory ihrer Mutter zu.

»Da wäre ich aber gar nicht so sicher«, entgegnete Delphine mit einem schelmischen Lächeln.

Glory verschluckte sich beinahe. »Oh Mom, du bist einfach hoffnungslos«, prustete sie heraus.

Zwei halbwüchsige Jungen kamen ins Bistro. Sie unterhielten sich lautstark, wahrscheinlich aus Angst, sie könnten sonst übersehen werden. Sie warfen ein paar Münzen in die Jukebox, und gleich darauf tönte fetzige Rockmusik aus alten Tagen durch das kleine Restaurant. Die beiden setzten sich an einen der Tische und streckten betont lässig die Beine aus.

Glory wurde an ihre Schulzeit erinnert, als sie öfter im Restaurant ausgeholfen hatte. Sie stand auf und ging zu den Jungen hinüber.

»Na, was habt ihr beide auf dem Herzen?«, fragte sie freundlich.

Die bewundernden Blicke der Jungen waren nicht zu übersehen. Glory lächelte insgeheim.

»Mit Ihnen würde ich mal gern auf die Piste gehen«, sagte der eine mit der Zahnspange.

Glory lachte hell auf. »Und was würde deine Mutter dazu sagen?«

Der andere Junge pfiff leise durch die Zähne. Auf seiner Jeansjacke war sein Name eingestickt: »TONY«.

»Und du?«, wandte sich Glory an ihn.

»Ich hätte gern einen Cheeseburger, einen Vanilleshake und eine große Portion Pommes«, antwortete dieser forsch, aber sein frecher Blick auf ihren Pullover verriet, dass Essen nicht alles war, was ihn momentan zu faszinieren schien.

In diesem Augenblick klingelte das Glockenspiel über der Tür. Glory drehte sich um.

Jim war hereingekommen und klopfte den Schnee von seinen Schultern auf Delphines frisch gebohnerten Boden. Sein Blick glitt an Glory vorbei zu den Jungen, die er beide mit Namen begrüßte. Dann setzte er sich an die Theke. »Hallo, Delphine!«, rief er in Richtung der Küche. »Wie geht es dir?«

Delphines Kopf erschien kurz in der Türöffnung. »Hallo, Jim«, begrüßte sie ihn freundlich.

Glory gab die Bestellung der beiden Teenager an ihre Mutter in der Küche weiter. »Was macht Jim hier?«, flüsterte sie aufgeregt.

»Wahrscheinlich will er Kaffee trinken«, gab Delphine ungerührt zurück.

Glory funkelte sie an. »Ich verschwinde nach oben, wenn du nichts dagegen hast.«

»Nein. Warum sollte ich?«

Ungeduldig wartete Glory darauf, dass der Käse des Cheeseburgers unter dem Grill zerschmolz. »Die Pommes frites dauern noch etwas«, erklärte sie den Jungen, als sie servierte. Dabei vermied sie, Jim Bainbridge anzusehen.

Als aus der Jukebox eine der alten Melodien ertönte, die ihr aus der Zeit mit Jim nur zu gut bekannt waren, hatte Glory endgültig genug. »Das reicht«, murmelte sie zu sich selbst und verließ das Lokal.

Sie nahm ihr Gepäck aus dem Kofferraum ihres Sportwagens und trug es die Stufen hoch ins Apartment ihrer Mutter über dem Bistro.

In dem Moment, als Glory durch die Tür ins Wohnzimmer trat, stürzten die Erinnerungen wie eine Flutwelle über sie herein. Alles war eng und sehr einfach eingerichtet. Noch immer standen der alte Fernseher und das Radio auf dem Sideboard an der Wand. Nichts schien sich verändert zu haben.

Glory war damals zwölf gewesen und Dylan vierzehn, als ihre Mutter den Job als Wirtin des kleinen Bistros übernahm. Die beiden Kinder waren ganz aus dem Häuschen von der Aussicht, endlich ein richtiges Zuhause zu haben, nachdem sie einen ganzen Sommer in Delphines altem Wohnmobil zugebracht hatten. Denn es war inzwischen Herbst geworden und die Nächte schon frostig kalt.

Außerdem war Delphine schon lange pleite, und die Familie war gezwungen, sich ihre Mahlzeiten in Kirchen und Wohltätigkeitsvereinen zu ergattern, zusammen mit anderen, die auf der Schattenseite des Lebens standen.

In ihrem neuen Heim hatte jedes der Kinder endlich sein eigenes Bett, wenn es auch nur ein Etagenbett aus Restbeständen der Heilsarmee war. Delphine schlief auf der Couch.

Mit einem energischen Ruck schloss Glory die Wohnungstür hinter sich. Trotz der vielen Jahre, die zwischen heute und damals lagen, schmerzten die Erinnerungen noch sehr, besonders da Dylan nicht mehr lebte.

Sie brachte ihr Gepäck in dem winzigen Raum neben dem Wohnzimmer unter, der Delphine jetzt als Schlafzimmer diente. Ich hätte doch besser irgendwo ein Hotelzimmer genommen, dachte Glory. Schon am Telefon hatte ihre Mutter jedoch darauf bestanden, dass sie bei ihr wohnen sollte. Wie in alten Zeiten, hatte sie gesagt.

Glory war zu nervös, um ihre Sachen auszupacken oder sich hinzulegen. Ruhelos wanderte sie durch die kleine Wohnung. Nachdem sie einen Blick aus dem Fenster geworfen und festgestellt hatte, dass Jims Wagen nicht mehr vor dem Bistro geparkt war, ging sie ins Restaurant hinunter, um ihren Mantel zu holen.

Der Koch, der Delphine um halb drei Uhr ablösen sollte, war schon da, und eine junge Aushilfe bediente die Horde lärmender Schüler von der Highschool, die das Lokal füllte.

Delphine reichte Glory ihren Mantel. »Komm mit«, schlug sie vor. »Ich zeige dir das neue Haus, in das Harold und ich einziehen werden.«

Draußen schneite es jetzt stärker. Als sie den Bürgersteig entlanggingen, grüßte Delphine den einen oder anderen Ladenbesitzer und Passanten. Sie bogen in eine Seitenstraße ein, die in ein Neubaugebiet führte. Die Häuser waren mit Erkern und Giebelfenstern dem alten Stil nachempfunden und die Vorgärten hübsch angelegt und gepflegt.

Delphine hielt vor einem Haus im Kolonialstil an, und ihr Blick glitt voller Verzückung vom schneebestäubten Rhododendron im Garten zur weißen Fassade mit den dunkelblauen Fensterläden hinüber. Unter jedem Fenster waren Blumenkästen mit Buchsbäumchen aufgehängt.

Auch Glory machte große Augen. »Ist es das?«, fragte sie erstaunt.

Ihre Mutter nickte stolz. »Harold und ich haben den Kaufvertrag am Freitag unterschrieben. Es gehört uns.«

In spontaner Freude nahm Glory ihre Mutter fest in die Arme. »Du hast es geschafft, Mom!«, jubelte sie. »Ich bin so glücklich für dich.«

Beide standen sie eine Weile in den Anblick des Hauses versunken da und dachten an die Zeiten zurück, als keine von ihnen auch nur zu träumen gewagt hätte, in so einem Haus zu wohnen, geschweige es zu besitzen.

»Behältst du weiterhin das Bistro?«, fragte Glory.

»Aber natürlich. Ich würde vor Langeweile sterben, wenn ich meinen Stammkunden nicht mehr ihren Kaffee servieren dürfte.«

Glory kicherte leise. »Die würden dich wahrscheinlich zu Hause aufsuchen und in deiner neuen Küche herumsitzen, um dir den letzten Klatsch und ihre Sorgen bei einer Tasse Kaffee zu erzählen.«

Als sie in die kleine Wohnung über dem Bistro zurückkamen, verabschiedete Delphine sich schon bald wieder. Sie wollte auf keinen Fall die Filmvorstellung im »Rialto« versäumen.

Bevor sie ging, streckte sie ihren rotblonden Lockenkopf zur Badezimmertür herein. »Möchtest du wirklich nicht mitkommen?«, fragte sie.

Autor

Linda Lael Miller
<p>Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.</p>
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