Ich warte auf ein Zeichen von dir

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Wird im romantischen Venedig alles anders? Seit Kindertagen liebt Laura den Arzt Tom Nichols. Um ihre Familien vor einem Skandal zu retten, muss sie aber den erfolgreichen Randal heiraten. Und der ausnehmend attraktiven Unternehmer scheint auf ihrer Hochzeitsreise in die Lagunenstadt wild entschlossen, Lauras Herz zu erobern! Aber gehört es nicht auf immer Tom?


  • Erscheinungstag 20.11.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775018
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Wind blies rau die Themse entlang und kräuselte die graue Oberfläche zu Hunderten kleiner Wellen. Die vertäuten Lastkähne schaukelten hin und her, ihr verzogenes Holz krachte. Die Zweige der Uferplatanen wurden vom Sturm gepeitscht, und die kalte Brise drang bis in die Knochen der alten Männer, die unter den Brücken schliefen und sich mit alten Zeitungen zugedeckt hatten. Kneipenschilder schwangen in rostigen Scharnieren, Jalousien klapperten an den Schaufenstern, und trockene Blätter raschelten im Rinnstein der engen Vorstadtstraßen.

„London kann unheimlich sein so spät am Abend“, sagte Laura Hallam und blickte sich um.

„Es war deine Idee“, erinnerte Pat Basset sie, „ich habe dir vorher gesagt, dass du die Gegend hier unheimlich finden wirst.“

„Ich freue mich dennoch, dass ich mitgekommen bin“, entgegnete Laura. „Diese armen Kinder! Es ist schon schlimm genug, die Mutter zu verlieren, aber wenn der Vater auch noch im Gefängnis sitzt …“

„Das kommt jeden Tag vor“, fiel Pat ihr ins Wort. „Wir tun jedenfalls unser Bestes, auch wenn es nicht viel ist. Die Kinder, die du gesehen hast, sind noch glücklich dran. Sie haben wenigstens eine Tante, die sie aufnimmt. Es gibt andere Kinder, die bei Fremden untergebracht werden müssen. Das ist viel schlimmer.“

Laura hatte den Eindruck, dass Pat sie kritisierte. Pat sah ihr Interesse offensichtlich als ganz gewöhnliche Neugier an. Aber Laura hatte nicht die Absicht, Pat zu erklären, dass Tom die Veranlassung für ihr Interesse an der Sozialarbeit war. Pat kannte Tom und arbeitete mit ihm zusammen. Dadurch hatten sie sich kennengelernt.

Sie liefen schweigend nebeneinander her, ihre Schritte hallten auf dem Pflaster wider. Eine Tür auf der anderen Straßenseite öffnete sich, und die Stille wurde von Gelächter und lauten Stimmen unterbrochen. Ein junger Mann kam heraus und bestieg ein Motorrad. Die Maschine sprang mit lautem Geknatter an, und das Motorrad raste die Straße hinunter.

Danach erschien die Stille noch tiefer. Als sie an einem schäbigen Laden vorbeikamen, sah Laura einen Mann im Türeingang stehen, und ihre Nerven spannten sich unter seinem unverschämten Blick. Pat jedoch ignorierte den Mann, und Laura wunderte sich über ihren Mut. Abend für Abend suchte Pat dieses heruntergekommene Viertel auf, und meistens ging sie allein die Straßen entlang. Ein- oder zweimal war Pat schon angegriffen, ja sogar verletzt worden. Aber sie hatte ihren Beruf als Sozialhelferin nicht aufgegeben.

Tom bewunderte Pat natürlich auch. Sie gehörte zu jener Art junger Frauen, die Tom respektierte – tapfer, unabhängig, fürsorglich. Pat lebte in einem Mietshaus mitten in diesem Bezirk.

Als sie an einer Straßenlampe vorbeikamen, sah Laura sie von der Seite an, und plötzlich fragte Pat: „Hat Tom dich dazu aufgefordert, heute Abend mitzukommen?“

Laura zögerte, bevor sie antwortete. „Nein“, sagte sie nach einer Weile. „Es war allein meine Idee.“

„Was hast du dir davon versprochen?“, wollte Pat wissen.

„Einen Einblick in Toms Welt“, bekannte Laura freimütig und wurde rot. Sie wurde sich plötzlich bewusst, dass sie etwas preisgegeben hatte, was Pat eigentlich nicht wissen sollte.

Pat runzelte die Stirn. „Liebst du Tom?“

Laura biss sich auf die Lippen, bevor sie antwortete. „Das ist eine sehr persönliche Frage, und ich bin nicht sicher, ob ich dir darauf antworten soll.“

„Du hast es bereits getan“, stellte Pat fest. „Trotzdem möchte ich dir sagen, dass du deine Zeit verschwendest. Tom ist kein Mann für dich. Ihr seid zu verschieden.“

„Du kennst mich doch kaum“, entgegnete Laura verletzt.

„Ich kenne Tom“, stellte Pat kurz angebunden fest.

Eine dunkle Figur tauchte direkt vor ihnen aus dem Schatten auf, und Laura schrak zusammen, bevor sie erkannte, dass es ein Polizist war. Pat lächelte ihn an: „Guten Abend! Kalt heute, nicht wahr?“

„Scheußliches Wetter“, stimmte er zu. „Machen Sie Ihre Runde, Miss Basset? Sie haben sich einen schönen Abend dafür ausgesucht. Haben Sie Joe Printence gesehen? Seine Mutter ängstigt sich seinetwegen zu Tode. Es hat den Anschein, dass er wieder ausgerissen ist. Seit sein Vater fort ist, wird sie nicht mehr mit ihm fertig. Ich habe ihr gesagt, dass ich es Ihnen berichten werde, wenn ich Sie treffe.“

„Ich werde morgen vorbeischauen“, seufzte Pat.

„Ein Hundeleben, nicht wahr?“ Der Polizist grinste, und Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er Lauras Erscheinung wahrnahm. „Guten Abend, Miss. Begleiten Sie Miss Basset, um zu lernen?“

„Nein“, entgegnete Pat, „nur, um die Slums zu sehen.“

Laura errötete. Sie hatte in Wahrheit den Wunsch gehabt, einen Blick in die Welt zu tun, in der Tom Nicol arbeitete.

Der Polizist nahm Pats Bemerkung als Scherz auf, wünschte ihnen eine gute Nacht und ging weiter. Laura aber verstand, dass Pats schneidende Antwort wohlüberlegt war.

Als sie wieder eine dunkle Straße kreuzten, kam ein Auto quietschend um die Ecke, raste an ihnen vorbei, um Sekunden später zu halten. Laura erschrak, und Pat runzelte die Stirn. Der weiße, rassige Sportwagen konnte kaum einem Mieter dieser baufälligen kleinen Häuser gehören, an denen sie vorbeigegangen waren. Vier Männer stiegen einer nach dem anderen aus und kamen auf sie zu. Ihr lautes Lachen bezeugte, dass sie betrunken waren, ihre Anzüge jedoch waren teuer, elegant und maßgeschneidert. Sie machten den Eindruck, als wenn sie von einer wilden Party kämen.

„Was wollen Sie?“, fragte Pat und hob aggressiv ihr Kinn.

Pats Frage wurde mit wildem Gelächter beantwortet. „Wir sind auf Schatzsuche“, sagte einer der Männer mit schwerer Zunge. „Wir – wir brauchen ein weibliches Kleidungsstück vom ersten weiblichen Wesen, das wir treffen.“

Es war ein junger Mann von mittlerer Größe; sein Haar war ein wildes braunes Lockengewirr. Unter seiner Smokingjacke konnte man seine breiten Schultern erkennen.

Pats Stimme klang ruhig. „Sie sind wohl Medizinstudenten auf Sauftour?“, fragte sie.

Er sah sie spöttisch an. „Nee, ich zum Beispiel bin Dracula!“

In diesem Augenblick trat einer seiner Begleiter näher. Sein Gang ließ vermuten, dass er noch ziemlich nüchtern war. Seine Stimme klang schnippisch, fast frech. „Ich denke, wir sollten es besser woanders versuchen. Diese Damen scheinen sich nicht gern vor uns auszuziehen!“

Der Mann, der zuerst gesprochen hatte, schüttelte den Kopf. „Verdammt noch mal, Randal, wir haben keine Zeit, wählerisch zu sein. Wir müssen nehmen, was die Götter uns schicken. Es steht in den Regeln: Das erste weibliche Wesen, das wir treffen …“ Seine Blicke wandten sich Laura zu, die einen grauen Mantel mit einer Pelzkapuze trug, die ihr Gesicht halb verdeckte. Aber durch den engen Schnitt des Mantels wurde ihre schlanke Figur eher betont als verhüllt.

Der Braunhaarige sprang vor und schob ihre Kapuze zurück. „Eine tolle Schönheit!“, sagte er voll Bewunderung. „Wagt jemand, mir zu widersprechen?“

Laura schlug ihm auf die Hand, als er wieder nach ihr griff. „Lassen Sie mich in Frieden!“

Er brach in ein kurzes Gelächter aus. „Was beim Himmel machen Sie denn hier?“

„Ich bin Sozialarbeitern! In diesem Bezirk“, fiel Pat ein und trat wie zum Schutz näher an Laura heran. „Ich brauche nur laut zu rufen, dann sind in zwei Minuten ein Dutzend Hafenarbeiter hier. Ich an Ihrer Stelle würde schleunigst verschwinden.“

Der junge Mann lachte. „Nicht, bevor ich unsere Beute habe.“

Plötzlich trat der, der von dem Quartett am wenigsten betrunken war, dazwischen. „Das ist mein Vorrecht!“, sagte er lässig.

„Wenn Sie mich anrühren, schreie ich alle Welt zusammen!“, stieß Laura wütend hervor. Sie wich zurück und spürte das Eisen eines Laternenpfahls in ihrem Rücken.

Als sie den jungen Mann ansah, fielen ihr seine blassgrauen Augen auf, mit denen er sie an den Pfahl zu spießen schien.

„Ich werde mich mit einem Ihrer Handschuhe begnügen“, sagte er mit eigentümlich gedehnter Stimme. „Und damit …“

Bevor sie seine Absicht erkennen konnte, hatte er sie an sich gerissen und küsste sie. Er hielt ihre Hände an der Seite fest, und Laura entrang sich ein schwacher, gequälter Seufzer. Sie konnte seinen schlanken, starken Körper beinahe auf der Haut spüren und war sich dabei nicht sicher, ob es ihr eigenes Herz war, das so heftig schlug, oder seins.

Nach einer Ewigkeit, wie es ihr schien, ließ er sie los. Zitternd, atemlos und außer sich vor Zorn starrte Laura ihn an.

„Sie sehen nicht danach aus, als wenn es Ihnen missfallen hat“, stellte er lächelnd fest.

Laura kam es wie blanker Hohn vor, und wütend schlug sie auf ihn ein, um sich für die Gefühle zu rächen, die er in ihr wachgerufen hatte.

Er zuckte mit dem Kopf zurück, aber ihr Schlag traf noch. Offensichtlich hatte er ihre langen Fingernägel zu spüren bekommen. Eine tiefe Schramme zeichnete sich von seinem Mund bis zu seinem Unterkiefer ab. Er hob seine Hand, berührte die Wunde, und Laura sah, dass seine Finger Blutspuren zeigten. „Sie haben Ihr Zeichen auf mir hinterlassen, meine Liebe“, sagte er sanft, obwohl sie selbst vor Schreck zitterte.

„Und Sie jagen ihr Angst ein“, sagte Pat an Lauras Seite. „Lassen Sie das Mädchen doch endlich in Frieden!“

Die anderen Männer lachten. „Vergiss nicht den Handschuh“, rief einer von ihnen, und der Mann mit Namen Randal zog ohne Eile Laura einen Handschuh von der Hand. Dann drehte er sich um und ging zum Wagen zurück, ohne noch einen Blick auf sie zu werfen. Die anderen drei folgten ihm lärmend. Dann raste das Auto los und war Sekunden später verschwunden.

Pat sah Laura halb ängstlich, halb irritiert an. „Ich habe es dir gleich gesagt. Es ist zu gefährlich in dieser Gegend!“

Laura atmete schwer und fragte mit belegter Stimme: „Sie waren nicht von hier, nicht wahr?“

Pat machte ein finsteres Gesicht. „Tom wird mir Vorwürfe machen, dass ich dich einer solchen Situation ausgesetzt habe.“

„Ich bin zwanzig“, entgegnete Laura heftig. „Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will. Ich bin kein Kind mehr.“

„Sag das Tom“, gab Pat verärgert zurück. „Komm jetzt, ich bringe dich nach Hause.“

Sie gingen bis zu einer Bushaltestelle, um in den vornehmeren Teil der Stadt zu fahren, in dem Laura wohnte, und liefen dann eine breite Allee entlang, bis sie das Haus erreichten.

„Geht es dir jetzt besser?“, fragte Pat kurz angebunden.

„Ja, danke“, antwortete Laura schüchtern. „Und vielen Dank, dass du mich heute Abend mitgenommen hast.“

„Es wird nicht wieder vorkommen“, erwiderte Pat. „Ich muss verrückt gewesen sein, als ich heute zugestimmt habe. Aber ich dachte, es würde gut sein, wenn du mal siehst, was für eine Kluft zwischen der Welt besteht, in der du lebst, und der Welt, die Tom gewählt hat.“

Laura sah sie erstaunt an, aber dann drehte sie sich um und ging auf das Haus zu. Sie öffnete die Haustür und hörte eine Stimme aus dem großen Wohnzimmer, das fast das ganze Erdgeschoss einnahm.

„Bist du es, Liebling? Wo bist du gewesen?“, fragte Lauras Mutter ängstlich.

Mrs Hallam war eine kleine, sehr zarte Frau von ungefähr fünfzig. Ihr weißes Haar war elegant frisiert, und ihre Augen waren wie Lauras von einem sanften Grünton. Es war ihr anzusehen, dass sie bereits zwei Herzanfälle hinter sich hatte.

„Wo ist Dad heute Abend?“, fragte Laura und sah sich im Zimmer um, das sehr schön und gemütlich eingerichtet war.

„Dein Vater ist ausgegangen“, antwortete Mrs Hallam, ein leichter Schatten huschte über ihr Gesicht.

Abgesehen von seiner ergebenen Liebe zu seiner gesundheitlich angegriffenen Frau, hatte Mr Hallam einen starken Hang zur Geselligkeit, dem er nicht widerstehen konnte. Er verbrachte einen großen Teil seiner Zeit mit Freunden, die er selten mit nach Hause brachte. Er war sehr lebenslustig, und sein Heim war ihm einfach zu ruhig.

Laura fühlte sich gereizt. Sie wäre heute Abend nicht ausgegangen, wenn ihr Vater nicht versprochen hätte, dass er bei seiner Frau bleiben würde. Warum hatte er sein Wort gebrochen? Wie konnte er ihre Mutter so allein lassen?

„Ich denke, dass ich jetzt ins Bett gehen werde, da du wieder zu Hause bist, meine Liebe“, sagte Mrs Hallam und faltete ihre Handarbeit zusammen.

„Soll ich dir etwas Milch heiß machen?“, fragte Laura.

„Das wäre sehr nett von dir.“ Mrs Hallam lächelte sie liebevoll an. „Du weißt, wir können eine Gesellschafterin herbitten, falls du ausgehen möchtest, Darling. Zum Glück können wir uns das leisten. Ich hasse den Gedanken, dass du Abend für Abend meinetwegen zu Hause sitzen solltest. Du bist jung, du solltest mehr Vergnügen haben.“

„Sei nicht töricht“, entgegnete Laura. „Ich leiste dir gern Gesellschaft, und ich habe ja auch mein Vergnügen. Tom nimmt mich immer ins Kino mit, wenn er kann.“

„Wenn er kann“, seufzte ihre Mutter. „Aber das ist nicht einmal in der Woche, meine Liebe. Tom ist so beschäftigt.“ Sie blickte Laura besorgt an. „Das Leben eines Arztes ist nicht leicht, besonders für seine Frau.“

Laura errötete. „Er hat mich noch nicht gefragt, Mutter!“ Sie stritt die Möglichkeit, dass er sie heiraten würde, keineswegs ab. Ihre Mutter wusste genau, wie viel Tom ihr bedeutete.

„Tom ist ein netter Junge“, meinte Mrs Hallam vorsichtig. „Er ist auch ein fabelhafter Arzt, aber ich möchte, dass du sorgfältig überlegst, bevor du eine endgültige Entscheidung über deine Zukunft triffst, Laura.“ Sie lächelte. „Oh, ich weiß, Mütter sind töricht, und du wirst sicherlich ärgerlich über meine Worte sein, aber ich mache mir doch Sorgen um dich.“

Laura umarmte sie. „Das weiß ich. Aber du brauchst dir wirklich keine Gedanken um mich zu machen. Tom und ich …“ Sie seufzte. „Tom hat zwar noch nie die Andeutung einer Heirat gemacht, aber ich bin ganz sicher, dass er denkt, ich sei noch viel zu jung.“ Ihre Augen glänzten. „Er hält mich noch für das kleine Mädchen, das ihm überall hin folgte, als er noch Medizinstudent war.“ Sie wurde plötzlich rot, als sie daran dachte, was sich vorhin auf der Straße ereignet hatte.

Mrs Hallam sah sie durchdringend an. „Was ist? Du bist ganz rot geworden.“

„Ach“, Laura zuckte mit den Schultern, „wir trafen vorhin einige Medizinstudenten, die – sie machten dumme Streiche, das ist alles.“

Mrs Hallam lachte. „Das machen alle. Tom war ebenfalls schön wild als Student, auch wenn du dich daran kaum erinnern wirst.“

Laura hatte das Bild von Tom als Student noch sehr lebhaft vor Augen, aber sie widersprach ihrer Mutter nicht. Sie ging zur Küche, um die Milch heiß zu machen. Dabei dachte sie wieder an die angeheiterten Studenten auf der Straße, und ihr Gesicht brannte vor Zorn.

Der eine, der sie geküsst hatte und den die anderen Randal genannt hatten, war älter als seine Begleiter gewesen. Er mochte etwa dreißig sein, eigentlich zu alt, um sich auf solch wildes Benehmen einzulassen. Laura presste ihre Handflächen gegen ihr heißes Gesicht. Sie musste voller Scham an die heftige Gemütsbewegung denken, die sie überwältigt hatte, als sein Mund sich ihren Lippen näherte. Es war ihr noch nie geschehen, dass sie eine derartige Erregung verspürt hatte.

In diesem Augenblick war ihr klar geworden, dass ihr Körper Wünsche und Sehnsüchte hatte, aber dass er so auf einen fremden Mann reagierte, war besonders schlimm.

Als Laura die warme Milch heraufbrachte, fand sie ihre Mutter schon schlafend im Bett. Sie sah auf das müde, blasse Gesicht hinunter und konnte sich daran erinnern, wie sie als Kind immer Angst gehabt hatte, dass ihre Mutter plötzlich sterben könnte. Sie beugte sich hinunter, um die Wange ihrer Mutter zu küssen; dann schaltete sie das Licht aus und ging auf Zehenspitzen zurück in die Küche.

Laura wusch gerade das Geschirr ab, als ihr Vater plötzlich hereintrat. Er sah sie entgeistert an. „Hallo, Laura“, murmelte er und zwang sich zu einem Lächeln.

„Dad, du hättest nicht ausgehen und Mutter allein lassen dürfen“, sagte Laura ruhig.

Sein Blick bat um Verzeihung. „Ich wollte nur zehn Minuten bleiben, aber ich traf jemanden, und irgendwie verging die Zeit.“ Plötzlich wechselte seine Stimmung. „Ich schufte schwer, um deiner kranken Mutter das schöne Heim hier zu bieten“, sagte er, „und es ist nicht leicht, für die Mercier Company zu arbeiten. Sie erwarten viel für ihr Geld, und mein Gehalt ist nicht gerade aufregend.“

Laura hatte sein Klagen über die Firma schon mehrfach gehört. „Ich weiß, dass du schwer arbeitest, Dad“, sagte sie, obwohl sie seine Anschuldigung lächerlich fand. Wie die Mercier Gesellschaft auch sein mochte, kleinlich war sie jedenfalls nicht. Wie konnte ihr Vater es sonst ermöglichen, ein so großes Haus zu unterhalten, in dem sie lebten? Wie sonst konnte er seiner Frau immer die vielen schönen Kleider kaufen. Außerdem hatte er selbst auch immer viel Geld in der Tasche.

James Hallam war ein tüchtiger Geschäftsführer. Er arbeitete seit zwanzig Jahren bei der Mercier Company und war dort schnell aufgestiegen. Er war ein unternehmungslustiger Mensch und sprach wenig über seine Arbeit; nur hin und wieder machte er verächtliche, böse Bemerkungen über die Firma. Alles, was Laura über die Mercier Company wusste, hatte sie in Zeitungen gelesen.

Yves Mercier war kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nach England gekommen, ein Franzose ohne einen Penny. Er begann in einer der neuen Autofabriken zu arbeiten. Später heiratete er die Tochter eines der beiden Firmeninhaber. Während der nächsten zwanzig Jahre hatte Mercier dann das ganze Geschäft erworben und zeugte zwei Töchter und einen Sohn, der jetzt hauptsächlich für die Firma verantwortlich war.

Nachdem der Sohn das Unternehmen übernommen hatte, begann Lauras Vater sich über seine Arbeit zu beklagen. Der junge Mercier war ein neuer Besen, der energiegeladen Umgruppierungen in der Firma vornahm, die ihren Vater kränkten.

Ihr Vater runzelte die Stirn. „Findest du, dass Mutter in letzter Zeit schlechter aussieht oder dass sie schneller müde wird?“

„Ich glaube nicht“, wehrte Laura sofort ab.

Er lächelte beruhigt und warf einen schnellen Blick auf ihren Kaffee. „Du darfst ihn nicht kalt werden lassen, Laura. Gehst du jetzt ins Bett?“

„Ja, Dad“, antwortete sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben. „Gute Nacht.“

Als sie oben an der Treppe angekommen waren, sah sie sich um. Es beunruhigte sie, dass ihr Vater fast verstört in die dunkle Diele blickte, als wenn er Geister sähe.

In letzter Zeit hatte sie schon öfter einen ähnlichen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen. War es nur die Sorge um ihre Mutter? Oder beunruhigte ihn noch etwas anderes? Es war zwecklos, ihn direkt zu fragen. Er würde es ihr nicht sagen.

Als sie später im Bett einen Krimi las, war sie erstaunt, dass ihre Gedanken abschweiften und sie plötzlich wieder das freche dunkle Gesicht des Fremden vor sich sah.

Der einzige Mann, der sie je zuvor geküsst hatte, war Tom. Sein Kuss war sanft und hatte so gar keine Ähnlichkeit mit dem wilden Besitzergreifen, mit dem sich ihr dieser Fremde genähert hatte.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen kam Tom, um ihre Mutter zu besuchen. Auch wenn er nicht ihr Arzt war, so beobachtete er ihre Gesundheit sorgfältig. Sie waren entfernt verwandt, und er betrachtete Mrs Hallam als Tante.

Tom war etwas über dreißig, Sohn eines hervorragenden Chirurgen, der sein ganzes Leben aus freien Stücken im Armenviertel gearbeitet hatte. Es stand außer Frage, dass Tom auch Arzt würde. Die Medizin hatte ihn von frühester Jugend an interessiert. Er verehrte seinen Vater und war entschlossen, ihm nachzueifern. Nachdem er sein Examen bestanden hatte, ließ er sich als praktischer Arzt im East End nieder. Eine Enttäuschung war für ihn, dass er nicht die geschickten, wendigen Hände seines Vaters geerbt hatte und nicht Chirurg werden konnte.

Lauras Eltern hielten Tom für einen Narren, der sein Talent in den Armenvierteln der Stadt vergeudete. Aber Laura wollte keine Kritik an ihm hören. Für sie war er vollkommen, der Mann, den sie anbetete und bewunderte, seit sie ein kleines Mädchen war.

Laura hatte ihm nichts von ihrer Absicht gesagt, seinen Stadtbezirk zusammen mit Pat am Abend aufzusuchen. Sie war sich über seine Reaktion nicht sicher. Als er sie jetzt anlächelte, dachte sie neugierig, ob Pat ihm wohl etwas erzählt hatte. Laura wusste, dass Pat und Tom sich stets morgens in seiner Praxis trafen, da es immer Fälle gab, die sie gemeinsam angingen und besprochen werden mussten.

„Was hat das auf sich, dass du gestern Abend mit Pat losgezogen bist?“, fragte er in ruhigem Ton.

Sie sah ihn unsicher an. Er schien nicht ärgerlich zu sein.

„Ich wollte gern sehen, wo du arbeitest“, sagte Laura zögernd. „Ich habe davon so viel gehört, aber ich habe noch nichts davon gesehen.“

Toms blaue Augen hatten einen besorgten Ausdruck. „Du musst mir versprechen, niemals wieder dorthin zu gehen“, sagte er langsam.

„Bist du ärgerlich?“ Sie wurde plötzlich blass und ihr Mund zitterte. Sie konnte es nicht ertragen, wenn er ihretwegen verärgert war.

„Ärgerlich?“ Ein Lächeln huschte über seine Gesichtszüge.

„Bin ich je ärgerlich über dich gewesen? Wer kann das, wenn du ihn so ansiehst?“ Seine Hand berührte ihre Wange, glitt über die zarte Haut, die fast unsichtbare goldene Härchen bedeckten.

Laura war so erleichtert, dass ihre Blässe wich. Auch ihre grünen Augen glänzten wieder. Sie griff Toms Hand und küsste sie zärtlich.

„Du bist schon zu erwachsen, um so etwas zu tun, Darling“, sagte er leise.

Ihre Augenlider senkten sich; durch ihre dichten Wimpern hindurch sah sie ihn scheu an. „Magst du es nicht, wenn ich dich küsse?“

Für einen Augenblick schwieg Tom, dann sagte er mit lachender Stimme: „Du kleine Hexe! Versuchst du, mit mir zu flirten? Du scheinst erwachsen zu werden.“

„Ich bin erwachsen“, stellte sie ärgerlich fest. „Ich bin fast zwanzig.“

„So alt?“, bemerkte er leicht spöttisch. „Und ich dachte daran, dir eine Puppe zum Geburtstag zu kaufen! Ich glaube, ich muss noch einmal darüber nachdenken.“

„Das ist ja der Jammer! Du glaubst immer noch, dass ich ein Kind bin“, entgegnete Laura heftig. „Ich bin es nicht – ich bin eine Frau!“

„Mach dir nichts draus, Darling. Ich bin sicher, dass es junge Männer gibt, die sich gern Hals über Kopf in dich verlieben.“

„Ich will nicht, dass sich junge Männer in mich verlieben“, widersprach sie mit leicht brüchiger Stimme. Warum wich er so absichtlich aus? Sie wusste, dass er sie liebte. Sie konnte es jedes Mal sehen, wenn er sie ansah. Seine Augen schmeichelten ihr mit jedem Blick. Warum sagte er es nie? Warum fuhr er fort vorzugeben, dass er sie noch für ein Kind hielt? Oder hatten ihre Gefühle sie getäuscht?

„Na, es ist noch viel Zeit“, meinte er beschwichtigend. „Hab es nicht zu eilig, erwachsen zu werden!“ Er berührte wieder ihre Wange mit einer unwillkürlichen, halb widerstrebenden Zärtlichkeit. „Es würde mir leidtun, meine kleine Laurie zu verlieren.“

„Du wirst mich niemals verlieren, Tom“, sagte sie eifrig. War es möglich, dass er nicht wusste, wie sehr sie ihn liebte?

Er zog widerstrebend seine Hand zurück und verschränkte die Finger ineinander: Es sah aus, als ob er nervös war. „Pat erzählte mir, dass euch betrunkene Studenten belästigten“, fuhr er schnell fort. Seine Stimme war belegt. „Und einer von ihnen hat gewagt, dich zu küssen! Hattest du denn überhaupt keine Angst?“

„Ich war wütend“, rief Laura entrüstet. Unausgesprochen blieb jedoch die Frage, warum sie diesen schrecklichen Mann nicht empört von sich gestoßen hatte.

Toms Blicke waren auf ihr Gesicht geheftet. Sie wurde abwechselnd blass und rot. Die grünen Augen glänzten vor Wut und Selbstverachtung. Tom runzelte die Stirn und griff nach ihrer Hand.

Seine schlanken kühlen Finger berührten wie unabsichtlich ihr Handgelenk, um nach dem Puls zu fühlen. Tom bemerkte, dass er schnell und heftig schlug.

„Du kannst jetzt sicher verstehen, weshalb ich nicht möchte, dass du so spät am Abend in dieser Gegend herumläufst“, sagte er. „Es ist zu riskant. Es kann so viel passieren. Dort gibt es häufig Überfälle. Du bist nicht geschaffen für eine derartige Welt.“

Laura war von seiner Fürsorge gerührt. Aber die Tatsache ärgerte sie, dass Pat diesen Teil seines Lebens teilen durfte, während sie strikt davon ausgeschlossen wurde. „Ich verspreche dir, nicht noch einmal dorthin zu gehen“, gab sie nach. „Aber ich bin kein Kind mehr, Tom!“

Er sah sie amüsiert an; sein müdes Gesicht strahlte bei diesem zärtlichen Lächeln. „Wirklich nicht? Bist du sicher?“ Eine Sekunde lang leuchtete etwas in seinen blauen Augen auf, das ihr den Atem nahm. „Du bist etwas ganz Besonderes, Laurie. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt. Du bist wie ein Stück zartes Meißner Porzellan.“ Er hielt ihr Handgelenk und hob es leicht hoch. „Sieh, mit zwei Fingern kann ich dein Handgelenk umspannen, und es bleibt noch immer Platz dazwischen. Es wäre eine einfache Sache, einen dieser Knochen zu zerbrechen, die so zart sind wie bei einem kleinen Vogel. Du gehörst in eine andere Welt, umhegt und in Watte eingewickelt.“ Seine Stimme war jetzt ernst. „Meine Welt ist anders als alles, was du jemals kennengelernt hast. Männer stoßen ihre Frauen in den Tod und misshandeln ihre Kinder. Sie kommen betrunken nach Hause und zerschlagen die Einrichtung in Stücke. Es ist eine brutale, gefährliche Welt, und ich möchte nicht, dass irgendein Teil dieser Welt dich je berührt.“

„Aber Tom …“ Sie wollte ihm sagen, dass sie sich nach allem in dieser Welt sehne, sogar nach der Brutalität und der Furcht.

„Halte dich von all dem fern, Laurie.“ Dann wandte er sich um und ging zur Treppe, um zu ihrer Mutter hinaufzugehen.

Laura machte Kaffee, während er oben war. Gerade als Tom wieder herunterkam, klingelte es heftig an der Tür. Laura öffnete. Sie bekam einen furchtbaren Schreck. Pat stand vor ihr, ihr blasses Gesicht war durch das kalte Wetter gerötet.

„Ich bin gekommen, um Tom abzuholen“, sagte sie sehr bestimmt. „Er ist doch noch hier, nicht wahr? Wir sind in Eile, könntest du ihn holen?“

Laura trat zurück und machte eine einladende Geste. „Er kommt gerade.“

Tom stand auf der untersten Treppenstufe, als Laura die Tür schloss. Er lächelte und nickte Pat zu. „Vielen Dank, dass du gekommen bist.“ Er blickte zu Laura hinüber. „Mein Wagen ist nicht in Ordnung. Ich habe ihn in die Werkstatt gebracht, aber man sagte mir, dass es zwei Tage dauern würde, bis ich ihn wiederbekomme. Daher kutschiert Pat mich im Augenblick herum.“

Laura wünschte, dass sie selbst einen Wagen hätte, damit sie ihre Hilfe anbieten könnte. Seufzend sagte sie: „Ich habe gerade Kaffee gemacht. Hast du noch Zeit für eine Tasse?“

Pat antwortete schnell: „Nein, es tut uns leid.“

Tom beobachtete Lauras bewegtes, ausdrucksvolles Gesicht. Er seufzte schwach. „Oh, ich denke schon, nicht wahr, Pat? Ich sterbe vor Sehnsucht nach Kaffee.“

Lauras Gesicht leuchtete vor Freude. Pat und Tom folgten ihr zur Küche. Laura goss den Kaffee ein und gab Tom sehr viel Sahne dazu, sodass er lachte und neckend sagte: „He! Willst du mich mästen?“

„Du isst nicht genug“, entgegnete Laura zärtlich. „Du arbeitest zu schwer, und es ist verkehrt, dabei völlig das Essen zu vergessen.“

Autor

Charlotte Lamb
Die britische Autorin Charlotte Lamb begeisterte zahlreiche Fans, ihr richtiger Name war Sheila Holland. Ebenfalls veröffentlichte sie Romane unter den Pseudonymen Sheila Coates, Sheila Lancaster, Victoria Woolf, Laura Hardy sowie unter ihrem richtigen Namen. Insgesamt schrieb sie über 160 Romane, und zwar hauptsächlich Romances, romantische Thriller sowie historische Romane. Weltweit...
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