Ich will dich noch immer wie damals

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Ihr Anblick trifft Prinz Quinn wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Die sexy Ärztin, die vor ihm steht, ist seine Ex-Frau Anais! Vor sieben Jahren hat sie die Scheidung eingereicht – und ihm damit das Herz gebrochen. Sein Verlangen nach ihr lodert jedoch noch immer heiß wie am ersten Tag …


  • Erscheinungstag 04.05.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522519
  • Seitenanzahl 131
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Diese medizinische Einrichtung war irgendwie seltsam. Die Veränderungen an Almsford Castle, seit Ex-Prinzessin Anais Corlow zuletzt hier gewesen war, machten fast ein neues Gebäude daraus. Oder zumindest eine alternative Realität, sodass sie vorgeben konnte, nie hier gewesen zu sein, nie weggelaufen zu sein.

Manchmal kam es ihr sogar mehrere Sekunden hintereinander so vor.

Dr. Anna Kincaid – so hieß sie nun – sah prüfend auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten Mittagspause, genau nach Plan. Sie stieg auf das Laufband im Fitnessraum, das dem Ausgang am nächsten war. Fünfzehn Minuten würde sie laufen, dann wie der Blitz duschen. Sie wäre zurück, wenn der erste Patient der Nachmittagsschicht kam.

Kaum hatte sie das Band gestartet, erhöhte sie die Geschwindigkeit so stark, dass sie sich anstrengen musste, um mitzuhalten. Vernünftig war das nicht.

Sie war entschlossen, den neuen Job zu behalten, der es ihr erlaubte, in Corrachlean zu bleiben – doch sie hatte ständig das Bedürfnis davonzulaufen. Und es wurde über den Tag hin stärker. Noch mehr, wenn sie keine Patienten zu versorgen hatte und alleine in ihrem Büro saß, nur mit ihren Erinnerungen.

Anais war in der Sekunde gestorben, als sie den Traumprinzen Quinton Corlow, den zweiten Sohn von Corrachlean, verlassen hatte. Ohne ihren Ehemann stand ihr kein Titel zu – wobei sie am Titel ohnehin nie Interesse gehabt hatte. Aber sie hatte auch ihre Ländereien verloren und ihr Zuhause, in dem sie sieben Jahre lang gelebt hatte.

Das Reha-Zentrum Almsford gehörte nun den Soldaten von Corrachlean, also Menschen, die sie hier haben wollten. Menschen, die sie willkommen geheißen hatten, vielleicht mehr noch, als sie beim letzten Mal unerwünscht gewesen war. Diese Menschen hatten es möglich gemacht, dass sie überhaupt einen Fuß auf das Gelände setzen konnte. Die Veränderungen am Gebäude ermöglichten ihr zu bleiben. Und auf der Stelle zu laufen, hielt sie davon ab fortzurennen.

Eine Schutzfolie bedeckte das bunte Glasfenster, das die obere Hälfte der sechs Meter hohen Westwand im ehemaligen, zum Fitnessraum umfunktionierten Ballsaal einnahm. Es sorgte so für eine weitere Abgrenzung zu ihrer Vergangenheit, hielt die verstörenden Erinnerungen davon ab, sie zu überwältigen.

Damit sie es – beinahe – wegstecken konnte.

Draußen auf dem Korridor, von dem aus die Patientenzimmer im ersten Stock zu erreichen waren, hallte das freundliche Lachen eines Mannes.

Ein prickelndes Gefühl wie tausend winzige Küsschen loderte auf, lief ihr über den Rücken, kribbelte an ihrem Hals, über ihre Schultern und bis hinunter zu ihren Schenkeln. Und sie vergaß alles.

Nur nicht, dass sie, ungeachtet ihrer schmerzenden Muskeln und der surrenden Maschine, aufgeregt war und lächelte.

Irgendwo in ihrem Inneren erwachte ein Teil ihrer Seele, und eine Welle der Erregung erfasste sie. Bilder von seidenen Laken und einer Wiese voller Gänseblümchen tauchten in ihrem Kopf auf. Grüne Blätter streiften und kitzelten ihre nackten Waden, als sie halb rennend, halb tanzend durch das Gras lief …

Sie kannte dieses Lachen.

Oh Gott!

Sie stolperte und wäre ohne Sicherheitsbügel vom Laufband gefallen.

Nicht er. Nicht hier.

Sie sprang von der Maschine und schwankte, ihre Beine zitterten.

Quinns Stimme klang aus einiger Entfernung zu ihr herüber, vielleicht ging er aber auch den Korridor in ihre Richtung entlang. Sie könnte ja, um sich zu vergewissern, den Kopf auf den Gang strecken. Und wenn sie sich direkt seinen berühmten Grübchen ausgesetzt sah?

Wohin jetzt? In den Garten?

Zu auffällig.

Wie unangenehm wäre es, wenn der geliebte, spitzbübische Soldaten-Prinz von Corrachlean den Gang entlangkäme und sie nach sieben Jahren des selbst auferlegten Exils hier vorfand? Sie hatte ihr Bestes gegeben, um ihr Äußeres zu verändern. Selbst über die Veränderungen hinaus, die ihr die Welt und ihre Scheidung abverlangt hatten. Vielleicht erkannte er sie nicht? Zumindest bis sie an ihm vorbeihuschen konnte?

Die Patienten hatten keine Ahnung, und sie hielt sich von allen fern, die sie gekannt hatte – außer ihrer Mutter natürlich.

Er sollte gar nicht im Land sein, sondern im Einsatz. Das hatte sie jedenfalls gehört. Oder, wenn man den Klatschblättern Glauben schenken durfte, in einem anderen Land, einem Palast oder sonst wo, und immer mit einem schlanken Model im Arm … Warum auch nicht? Sie hatten recht behalten, dass ihre Ehe den Bach runtergehen würde. Egal wie schmerzhaft und furchtbar es gewesen war, dass sie immer herzlosere Artikel veröffentlicht hatten.

Erst vor vier Wochen war sie zurückgekommen. Auch wenn es ein kleiner Inselstaat war, es hätte möglich sein müssen, ihm wenigstens ein Jahr lang nicht über den Weg zu laufen. Und jetzt – nur einen Monat hatte es gedauert? Dreißig mickrige Tage?

Anna sollte so oder so keine Gefühle für Prinz Captain Quinton Corlow hegen. Wenn sie es den meisten heterosexuellen Frauen gleichtat, die dem dunkelblonden Teufel begegneten, müsste sie von seinem filmstargleichen Aussehen schwärmen.

Jedenfalls sollte ihr nicht der kalte Schweiß ausbrechen und sie überlegen müssen, ob ihr Puls so schnell war, dass sie eine Kardioversion in Betracht ziehen müsste.

Noch bevor sie allen Mut für einen wilden Spurt zu ihrem Büro zusammennehmen konnte, dröhnte seine Stimme den Korridor entlang und verbannte jeden Gedanken aus ihrem Kopf.

Es war kein Lachen.

Keine freudig klingenden Worte. Seine Stimme bebte vor Schreck, und der heisere Kraftausdruck, der folgte, erschütterte sie bis ins Mark.

Einen Atemzug später folgte ein fürchterlicher Schrei um Hilfe.

„Quinn …“

Ihr Herz machte einen Satz, und bevor sie es überhaupt richtig merkte, lief sie bereits den langen Flur entlang.

Seine Stimme hatte weit entfernt geklungen, wie weit genau, konnte sie nicht sagen. Sie jagte an den offenen Türen vorbei, drosselte das Tempo nur, um einen Blick hinein zu werfen, ob sie dort gebraucht wurde. Sie vergeudete dadurch Zeit, weil sie den Menschen ausweichen musste, die aus ihren Zimmern humpelten oder rollten.

Die Bewohner drehten sich um und blickten den Gang hinunter, und sie verließ sich einfach auf deren Reaktion.

Beim drittletzten Zimmer auf der rechten Seite stand eine Tür offen, um die sich eine Menschentraube gebildet hatte. Sie zwängte sich hindurch.

„Entschuldigung. Verzeihung …“, sagte sie, hielt aber nicht inne, bis sie durch die Tür war.

Selbst von hinten und trotz der Veränderungen, die das Soldatenleben über sieben Jahre an seiner Schulterbreite bewirkt hatten, erkannte sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers wieder, ihn, der über einer auf dem Boden liegenden Person kauerte.

Ihr Quinn. Ihr Ehemann.

Nein. Früher einmal vielleicht. Aber jetzt nicht mehr. Während sie seine Gegenwart in sich aufsaugte, ließ sie ihren Blick durchs Zimmer schweifen.

Das Bett stand gekippt, und an den Gittern des Kopfteils war ein durchgeschnittenes Laken befestigt.

Erhängt.

Sie lief um Quinn herum und kauerte über den Patienten, dessen Haut blau verfärbt war.

„Lieutenant Nettle?“ Sie rief seinen Namen und griff an seine Halsschlagader, um den Puls zu prüfen. Dabei konzentrierte sie sich auf das Wesentliche: ihren Patienten.

Noch bevor sie bis zehn zählen konnte, packte eine große Hand sie am Handgelenk und riss sie hoch, sodass sie den Blick von ihrer Armbanduhr abwandte und Quinn ansah.

Der Schock des Erkennens legte sich über seine attraktiven Gesichtszüge, die im Laufe der Jahre nur noch gefährlicher geworden waren. Sein karamellfarbenes Haar, das er einst kurz und adrett getragen hatte, war länger geworden. Doch es waren seine stürmischen grauen Augen, die sie anklagend anblickten.

„Nicht.“ Etwas anderes fiel ihr im Moment nicht ein. Als sie sah, wie etwas Farbe in Nettles Gesicht zurückkehrte, riss sie sich los und erhob sich. „Ich will, dass er aufs Bett gelegt wird.“

„Und ich will, dass zuerst sein Hals stabilisiert wird“, entgegnete Quinn bissig. Sein ungläubiger Blick drückte allerdings aus, dass es ihm schwerfiel, die beiden sich überlappenden Realitäten miteinander in Einklang zu bringen. Ihr ging es genau so.

Nur dass er besser damit umging. Natürlich musste Nettle zuerst stabilisiert werden. „Ich … Ich hole eine Halsmanschette.“

Im Gegensatz zurr Reaktion ihres Körpers auf sein Lachen ergriff sie nun etwas, das weitaus finsterer war als die aufkommende Panik, die sie antrieb.

Schuldgefühle. Bedauern. Wut. Angst.

Garstige Biester, die an ihrer Kompetenz, an ihrer Professionalität zerrten.

Der vertraute Anflug von Angst und Wut hinterließ einen schalen Geschmack in Quinns Mund.

Vor seinen Einsätzen war diese ätzende Kombination selten aufgetreten, sodass er diese Gefühle ohne Auseinandersetzung damit nicht hätte benennen können. Heute erkannte er sie, sobald sie ihn trafen. Was er jedoch nicht wusste: welche der beiden Personen sie hervorgerufen hatten – sein bester Freund, den er aufgehängt vorgefunden hatte, oder seine Ex-Frau, die ihn im Stich gelassen hatte.

Eines war ihm klar: Anais verdiente nicht, dass er jetzt an sie dachte, auch wenn sie seine Wut verdiente. Allein Ben zählte.

„Ganz ruhig, Mann“, sagte er, während Ben unter seinen Händen kämpfte, dann sah er Anais an. Sie konnte in sein Leben platzen, so schnell, wie sie es verlassen hatte – aber diese unsägliche Verkleidung würde niemanden täuschen.

Reglos stand sie da, starrte ihn an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Manschette“, wiederholte er, um den Schock zu durchdringen, der sich auf ihrem Gesicht abzeichnete.

Denk doch nicht über ihren Schock nach. Sie hatte sicher nur Angst, dass er sie anschreien, sie vielleicht entlarven würde. Im Moment war sie nur deswegen wichtig, weil sie Ben helfen konnte.

Rasch wischte er sich die verschwitzten Hände an seinen Oberschenkeln ab, dann legte er sie um Bens Hals, fixierte ihn, damit er sich nicht weiter bewegte. Erst dann setzte sie sich in Bewegung und hastete aus dem Zimmer.

Nachdem der König Quinns Scheidung und seine Einberufung befohlen hatte, hatte man ihm Disziplin eingebläut. Er hatte gelernt, Befehlen zu gehorchen, und er hatte seinem Körper beigebracht zu folgen. Mit Selbstdisziplin würde er diese Situation durchstehen. Egal, wie falsch es gewesen war, Ben dort hängen zu sehen. Egal, wie falsch es war, Anais auf diese Weise wiederzusehen, oder wie sie sich verändert hatte. Braune Haare und Augen, gebräunte Haut … Alles falsch.

Er beschloss, ruhig zu bleiben, und schob seine Verärgerung beiseite, während er seine Aufmerksamkeit auf Ben richtete – der sie offensichtlich nicht erkannt hatte. „Wie heißt die Ärztin?“

„Anna“, antwortete Ben.

Der passte zu ihrer bizarren Rundumerneuerung.

Quinn griff zum einzigen Mittel, das ihm einfiel, um die Trostlosigkeit in den Augen seines Freundes zu vertreiben. „Die gute Nachricht ist, deine Arme funktionieren noch super. Ich bin fast sicher, dass ich ein Veilchen davontragen werde“, scherzte er.

„Du hättest mich in Ruhe lassen sollen“, krächzte Ben mit schmerzerfüllter Stimme.

„Sicher nicht“, murmelte Quinn, dann sah er zur Tür. „Hätte ich das getan, würde Rosalie angeklagt werden – weil sie mich langsam aus Rache umgebracht hätte.“

Wo zum Teufel war Anais hingelaufen, um die Manschette zu holen – ans andere Ende der Stadt?

„Was machst du überhaupt hier, Doc?“

„Du hast meine Anrufe ignoriert. Schlimmer noch als meine Ex-Frau“, antwortete er, gerade als Anais wieder das Zimmer betrat. Sie wurde begleitet vom ratschenden Geräusch der Manschettenriemen, die sie gerade öffnete und die perfekt zu ihrem Gesicht passten, aus dem alle Farbe wich. Sie hatte ihn gehört. Gut.

Er konzentrierte sich auf Ben, und seine Wut verringerte sich augenblicklich. „Ich bin hier, um nach dir zu sehen, Idiot.“

Quinn nahm die Manschette entgegen und legte sie Ben zur Stabilisierung um den Nacken. Erst als sie richtig saß, half er ihm in einen Rollstuhl.

Aufgaben erledigen war hilfreich. Anais nicht anzusehen, half. Würde er sie ansehen, könnte er – so wie sein Herz in seinen Ohren dröhnte – durchaus das Falsche sagen oder tun. Auch das hatte er beim Militär gelernt: Er musste nicht überlegen, wie er etwas sagte. Nur ob er es sagen sollte oder nicht. Soldaten schätzten unverblümte Ehrlichkeit noch mehr als Diplomaten. Woran sich sein Bruder Philip nach Quinns erster königlicher Aufgabe erinnern würde.

„Du hättest mich hängen lassen sollen“, wiederholte Ben, und seine Worte trafen Quinn wie ein Faustschlag in den Magen.

Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte dich sehen, bevor ich zum König gehe. Du siehst, wo meine Prioritäten liegen. Du bist die letzte Person in diesem Raum, die ich hängen lassen würde.“

Auch das würde sie hören. Und das Folgende: „Vielleicht sogar die letzte Person auf Erden – obwohl ich die Cover-Models der Zeitschrift QC ausnehmen muss. Sogar die vom Mai, und du weißt, wie das ausgegangen ist.“

Es fühlte sich gut an, ein bisschen gemein zu sein. Wobei – so gemein war das nicht, schließlich war sie gegangen. Und Ben lächelte fast. Selbst das kleinste Zucken seiner Lippen war besser als die Trostlosigkeit, die Quinn in den Augen seines Freundes las.

„Du wirst ertragen müssen, dass ich dich untersuche.“

Bei ihrer Rückkehr hatte sie eine Tasche dabei und trug einen weißen Kittel über ihren Trainingsklamotten. Auf Brusthöhe war die Lüge eingestickt, die sie als ihren Namen ausgab: Dr. Anna Kincaid.

Kincaid. Ihr Nachname. Das war weder ihr Mädchenname noch sein Name.

Aus ihrer Tasche zog sie ein Stethoskop heraus und reichte es ihm, ohne zu fragen. Ihre Hand zitterte.

War das Angst? Vielleicht zitterte sie aus Sympathie für ihren Patienten oder aus Angst um ihn. Falls sie dieser menschlichen Emotionen überhaupt fähig war.

Er schnappte sich das Stethoskop, setzte die Stöpsel sich in die Ohren und machte sich an die Arbeit. An seine frühere Arbeit. Er war kein Sanitäter mehr; gestern war sein letzter Tag als Soldat gewesen.

Sich auf das schnelle, aber stabile Pochen zu konzentrieren, das er über die Ohroliven vernahm, erforderte mehr Willenskraft, als er dachte. Der Drang, Anais wie einen Neandertaler über die Schulter zu werfen, sie irgendwohin zu bringen, wo er sie zwang, ihm Antworten zu liefern, war genauso groß, wenn nicht stärker. Sieben verdammte Jahre wartete er nun schon auf Antworten, nie hatte er eine befriedigende erhalten. Aber er würde warten, bis er seinem Freund geholfen hatte – denn heute hatte sich sein Glück gewendet. Sie war hier; Antworten waren nur eine Frage der Zeit.

Bens Atmung klang etwas flach, aber normal in Anbetracht der Umstände.

„Lass uns hier verschwinden. Wir brauchen etwas frische Luft.“

„Qui… Prinz … Captain? Es gibt ein Protokoll …“, bemerkte Anais hinter ihm.

Er drehte sich um und sah demonstrativ auf ihr Namensschild. „Dessen bin ich mir sicher. Wer auch immer deswegen auftaucht, schicken Sie ihn in den Garten, Anna.“

„Ja, Sir.“ Sie zuckte nicht mit der Wimper, aber – so bemerkte er – sie sah ihm auch nicht in die Augen.

Die Schiebegriffe von Bens Rollstuhl in der Hand, manövrierte er sie beide aus der Tür hinaus und den Gang entlang. Den Weg zum Garten kannte er.

In diesen Gärten hatte er ein Mädchen geliebt, das offenbar nicht länger existierte.

Wie zum Teufel hatte sie es geschafft, sich unter falschem Namen ins Land zu schleichen und ausgerechnet in einer öffentlichen Einrichtung zu praktizieren?

An der frischen Luft angekommen, fuhr er zu einer Bank, wo er sich setzen und auf Augenhöhe mit der Person sein konnte, die offenbar Redebedarf hatte.

Von der Sommersonne beschienen saß er da und wartete. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um Druck auszuüben. Oder um Ben zu sagen, dass er leben wollen sollte. Oder ihm von seinem eigenen Zustand zu erzählen. Er würde zuhören und über andere Dinge sprechen. Er würde ein Freund sein. Präsent sein.

Und sobald er ging, würde er Bens Verlobte und Familie informieren.

Dieses Theater mit Anais würde er auf später verschieben, denn es war nicht wirklich wichtig. Sie konnte nichts sagen, was die Dinge, die zwischen ihnen vorgefallen waren, wiedergutmachen konnten.

Ich habe dich nie geliebt.

Ich liebe dich nicht mehr.

Du warst mir nie so wichtig …

Was konnte sie sagen, um ihr Weggehen zu erklären?

Der Wunsch, es dennoch zu erfahren, resultierte natürlich daraus, dass er sie wiedergesehen hatte und die Verzweiflung aufkam, die er vor Jahren hinter sich gelassen hatte.

Aber eigentlich war es egal. Sie war ihm inzwischen egal.

Drei Stunden und mindestens einhundert Ermahnungen später, nicht über Anais nachzudenken, fand Quinn sich vor der geschlossenen Tür zu Dr. Anna Kincaids Büro wieder.

Anna Kincaid. Dieser Name ließ ihm die Galle hochkommen. So verzweifelt, wie er sich danach sehnte, durch die Tür zu greifen, um sie zu erreichen, hätten die sieben Jahre durchaus nur sieben Sekunden sein können.

Stellenweise war es ihm gelungen, sie aus seinen Gedanken zu verbannen und für seinen Freund da zu sein. Natürlich hatte er den spärlichen Worten gelauscht, die Ben herausbringen konnte, doch in den langen Pausen spukte sie ihm wieder im Kopf herum. Als der Psychiater sie gefunden hatte, durfte Quinn bleiben, aber wesentlich mehr hatte er nicht über die Ursachen des Versuchs erfahren. Er wusste nur, was Bens Augen ihm mitteilten; und er erinnerte sich daran, wie seltsam er sich gefühlt hatte, als er vergleichsweise unwichtige Teile seines eigenen Körpers im Dienst verloren hatte. Noch heute erschrak er, wenn er an seiner Hand hinuntersah und feststellte, dass nicht nur die Finger, sondern auch sein Ehering weg waren. An manchen Tagen rechnete er sogar damit, dass Anais, wenn er morgens aufwachte, an seiner Seite war.

Eigentlich müsste er jetzt Anrufe erledigen und zum Palast fahren, wo man ihn schon vor Stunden erwartet hatte. Stattdessen stand er vor ihrer verschlossenen Tür. Ob sie da war, konnte er nicht hören. Aber er spürte ihre Gegenwart wie eine Flamme auf der Haut.

Er wollte es kaum sich selbst gegenüber zugeben, aber er hatte ihre Anwesenheit in dem alten Schloss der Familie gespürt, kaum dass er es betreten hatte. Zu dem Zeitpunkt dachte er, es lag an den Erinnerungen, die ihn hier verfolgten. Doch nun stand er hier und musste nicht die Tür berühren, um sie auf der anderen Seite zu spüren. Seine verstümmelte Hand schwebte über dem Knauf, der seine Handfläche wie ein Feuer versengte …

Seine Hand zitterte; er musste sie zurückziehen. Sein Arm war so angespannt, dass er dachte, er bekäme einen Krampf.

Was schlimmer war, wusste er nicht: die Ungewissheit oder dass er wirklich annahm, dass sie der Grund für diese Hitze war. Nein, das war seit Langem schwelender Ärger und Schmerz.

Wenn ihn irgendjemand beobachtete, wie er dastand und die Energie aufsog, die von ihrer Tür ausging, obwohl jeder vernünftige Mensch einfach reingehen würde … Wahrscheinlich würde der Psychiater als Nächstes mit ihm ein paar Takte reden wollen.

Er öffnete die Tür, die prompt gegen etwas knallte, das seinen Vormarsch stoppte.

Anais stolperte hinter der Tür hervor und wirkte verwirrt. Dass sie schwankte, erlaubte ihm, einzutreten und die Tür hinter sich zu schließen.

„Warum standst du da?“

„Ich habe überlegt, die Tür abzuschließen“, sagte sie ohne Umschweife. Dann konterte sie: „Wieso warst du vor der Tür?“

„Anais, ich hatte einen schrecklichen Tag. Ich stand da, weil ich sicher sein wollte, mich unter Kontrolle zu haben. Dass ich nicht schnurstracks hier hereinstürme und dich so heftig schüttle, dass diese Bräune von dir abfällt. Was zum Teufel soll das? Dieser unmögliche Look und die Namensänderung? Hältst du dich illegal im Land auf?“

Sie schrak zurück und entfernte sich ein paar Schritte von ihm, stand nun am anderen Ende ihres winzigen Büros. Wieder hatte er einen Nerv getroffen, was ihn eigentlich nicht freuen sollte. Aber dass sie unter ihrer unnatürlichen Farbe hochrot anlief und sich demonstrativ die Haare glättete, erfüllte ihn beinahe mit Zufriedenheit. Er hatte noch Sticheleien aus sieben Jahren in petto, und so wie es aussah, würde es in nächster Zeit nicht langweilig werden.

„Selbstverständlich nicht. Ich habe meinen Namen geändert, offiziell. Danach mein Aussehen. Meine Mutter wird älter – sie hat Diabetes und letzten Sommer hatte sie einen leichten Herzanfall. Aber ich schulde dir keine Erklärung. Das ist auch mein Land, und ich sollte es nicht für immer verlassen müssen, nur weil ich schlecht verheiratet war, als ich jung und naiv war.“

Sein rechtes Augenlid zuckte bei ihrem Konter.

Eindeutig anders als die Anais, die er gekannt hatte.

„Wie…?“

„Dein Bruder war es, er hat meinen Namen in aller Stille geändert.“ Sie rieb sich die Wange, und so erfuhr er, wo sie die Tür abbekommen hatte. Trotzdem blieb sie dort stehen, und weil hinter ihr die Wand war, war sie nahe genug, dass er sie berühren konnte, wenn er wollte.

Er wollte – und darum schob er die Hände in seine abgewetzte Uniform, die er dieser Tage bevorzugte. Allerdings würde er diese bequeme Kleidung bald ablegen, wenn er den neuen Mantel der Pflicht anlegte.

„Ich habe mich für Anna entschieden, weil es nahe genug an Anais dran ist, falls ich aus Versehen ansetze, meinen alten Namen zu nennen. Kincaid ist der Mädchenname meiner Großmutter, ich habe also eine Verbindung dazu. Der Doktor gehört rechtmäßig mir.“

Früher hatte Anais etwas überaus Weiches umgeben. Ein zartes Gemüt. Sanftes, offenes rotblondes Haar. Kurven, die ihn betörten. Sanfte aquamarinfarbene Augen. Füllige Wangen und Lippen … Weich einfach.

Ein roter Fleck färbte ihre Wange dunkel, zusätzlich zu der allmählich abklingenden Röte. Sie hatte mit dem Ohr an der Tür gelauscht, als er sie forsch geöffnet hatte. Von wegen abschließen!

Sie klang noch härter, als sie schien, und diese körperliche Härte war die größte Veränderung an ihr. Das war es auch gewesen, was ihn von den Socken gehauen hatte, als sie in Bens Zimmer gekommen war. Weder ihre Haarfarbe noch die Augenfarbe. Auch nicht die Brille oder diese dubiose Bräune … Es war vielmehr die Tatsache, wie kantig ihr Kinn nun wirkte, ihre eingefallenen Wangen und der schlanke, aber offenbar starke Körper, der das alles unterstrich. Anna Kincaid war hart.

Ihm fehlten die Worte.

Sieben Jahre lang hatte er jede Menge Fragen gehabt – die meisten in den Anfangsjahren, als alles schwierig war. Nun stand er vor ihr und wollte sie nicht fragen, warum sie gegangen war. Diese alten Wunden konnten bei der kleinsten Gelegenheit aufreißen. Allein den Schatten ihrer selbst, der einst so hell strahlenden Anais, übte einen schmerzhaften Druck auf seine Brust aus.

„Wohnst du wieder in Easton?“

„Nein. Und du? Noch immer im Penthouse?“

„Ja“, bestätigte er. Wieso wollte er sie unbedingt nach seinem Gespräch mit Ben aufsuchen? „Gibt es etwas, das du mir sagen willst?“

Zum Beispiel Entschuldigung?

Sie schüttelte den Kopf, schien aber ihre Meinung zu ändern, denn das Schütteln ging in ein Nicken über. „Woher kennst du Lieutenant Nettle?“, fragte sie ruhig.

„Wir haben zusammen gedient. Der erste Einsatz“, erklärte Quinn. Fühlte sie noch etwas für ihn? Außer Wut? Und wieso eigentlich war sie sauer auf ihn? Denn ihren Ärger und die Tatsache, dass sie ihn weit wegwünschte, konnte er durchaus spüren. Früher hatten ihre Augen gestrahlt, wenn sie ihn sah – selbst beim letzten Mal, obwohl sie gewusst hatte, dass es das letzte Mal sein würde. Aber jetzt waren sie unter diesen unmöglichen braunen Kontaktlinsen verborgen, sodass er sie nicht sehen konnte. Aber vielleicht war das Strahlen auch einfach nicht da. Eine Frau, die noch Gefühle für ihren Mann hegte – selbst für ihren Ex-Mann –, würde nicht so hart wirken, wenn er ihr nie geschadet hatte. Selbst ein Freund wäre erfreut, einen nach sieben Jahren Heimkehrenden zu begrüßen. Doch sie wollte nur, dass er verschwand.

Während seiner Einsätze hatte er gelernt, sich aus heiklen Situationen herauszukämpfen. An erster Stelle stand Kämpfen und Überleben, die Mission zu Ende bringen an zweiter. Hier konnte er sich nicht herauskämpfen. Er wusste nicht einmal, wo er anfangen sollte.

Er konnte sie die Wut spüren lassen, vielleicht höfliches Interesse wecken. Sie zu berühren, würde nur ihm wehtun; da waren keine Wahrheiten zu gewinnen. Er würde so auch nicht das hören, wonach er sich sehnte: dass sie es bereute, gegangen zu sein, dass sie deswegen litt und dass es ihr leidtat.

Erst wollte er seine Arme entspannen, änderte dann aber seine Meinung. Er zog seine verstümmelte linke Hand aus der Hosentasche und hielt sie ihr hin.

„Ben war dabei, als mir die Finger abgeschossen wurden.“ Zu sehen, wie sie erblasste, ermutigte ihn noch. So detailliert wie möglich erinnerte er sich an diesen Tag. Er beschrieb, wie der Ehering, den er noch getragen hatte, zu einem Platinschrapnell geworden war, das Ben aus dem herausziehen musste, was von seiner Hand übrig geblieben war. Wie Ben seine baumelnden Finger wegschneiden musste. „Und das hat trotzdem weniger wehgetan als du mir.“

Ihre Augen wurden groß, als er seine Hand in die Höhe hielt. Und sie atmete schneller, heftiger. Selbst auf diese Entfernung spürte er ihren warmen Atem auf seinen drei Fingern und seiner Handfläche.

„Gewöhn dich daran, mich hier zu sehen. Um Bens willen werde ich versuchen, die Kameras fernzuhalten.“

Ihr schwerfälliges Atmen verwandelte sich nun in ein Würgen. Er erkannte, dass sie sich übergeben würde, eine halbe Sekunde, bevor sie sich tatsächlich abwandte und über ihren Papierkorb gebeugt erbrach. Ihr Körper zog sich bei jedem Würgen krampfartig zusammen.

Und ihm drehte es den Magen um.

Verdammt.

Sie hatten sich beide verändert. Ein paar Überreste des Mannes, der sie geliebt und geheiratet hatte, waren noch da. Diesem Mann war ebenfalls übel, er wollte den Blick abwenden.

Doch der Realist, zu dem er sich entwickelt hatte, konnte sich nicht allzu schlecht fühlen. Was war denn der Grund für diese Übelkeit? Zu hören, wie er seine Finger verloren hatte? Oder der Gedanke, dass die ihm unweigerlich folgenden Kameras auch sie einfangen könnten?

Als ob das wichtig wäre. Er sollte sie stehen lassen und das feine Gefühl der Genugtuung auskosten, das ihn bei ihrer starken körperlichen Reaktion durchflutet hatte.

Er würde ihr nicht die Haare beiseite streichen oder beruhigend über den Rücken streicheln. Er würde auch nicht um Entschuldigung bitten, dass er die Brutalität jener Situation nicht für sie abgemildert hatte, für seine Familie hingegen schon.

Sie gehörte nicht mehr zu seiner Familie. Sie war diejenige gewesen, die gegangen war. Und er hatte nie die Gelegenheit bekommen, ihr darauf etwas zu erwidern, denn seine Familie hatte ihn direkt im Anschluss in die Grundausbildung geschickt.

Autor

Amalie Berlin
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