Ich will dich - Traumfrau!

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Über Nacht hat sich seine Kollegin Becca völlig verändert: Aus der unscheinbaren Chemikerin ist eine wahnsinnig sexy Frau geworden! Ganz verrückt vor Verlangen fiebert ihr Boss Kent Wright jedem neuen Tag im Labor entgegen. Wie keine Frau je zuvor begehrt er Becca …


  • Erscheinungstag 05.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719302
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag im Leben von Rebecca Anne Lewis, genannt Becca. Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit. Mit anderen Dingen beschäftigte sich Becca, die Chemikerin beim Sierra-Scientific-Labor war, nicht. Die Arbeit lag ihr im Blut. Ihr ganzes Leben lang war sie schon ein anständiger, verantwortungsbewusster und zuverlässiger Mensch gewesen. Ein Fels.

Und genau da lag das Problem: Felsen waren solide, aber langweilig.

Letzten Monat hatte sie den großen runden Geburtstag begangen: Dreißig! Sie hatte schon die ersten dreißig Jahre ihres Lebens hinter sich. Ihr Leben war in Ordnung, ihre Wohnung war in Ordnung, ihr Job war es auch – alles lief in geordneten Bahnen, und vor lauter öder Ordnung hätte Becca manchmal laut losschreien können.

Immer öfter in der letzten Zeit – und auch jetzt gerade – hing sie ihrem Tagtraum nach, dass sie alle Vorsicht über Bord werfen würde. Sie wäre rätselhaft schön und verwegen, aufregend und etwas Besonderes. Dann müsste sie nämlich nicht so angestrengt in ihrem Gedächtnis kramen, um sich daran zu erinnern, ob sie in den vergangenen zehn Jahren überhaupt Sex gehabt hatte.

Die Labortür ging auf, und feste, selbstbewusste Schritte kamen auf sie zu. Becca schloss kurz die Augen und stellte sich vor, dass diese Schritte zu einem großen, dunkelhaarigen, tollen Mann gehörten, der alle ihre Träume wahr machen würde. Er würde sie ansehen, mit einer schwungvollen Bewegung seines langen, starken Armes den Labortisch leer fegen und ihr die Hand reichen. Er würde sie hochheben, mit seinen Händen an ihren Hüften entlang zu ihren Schenkeln streichen, sie leicht spreizen, sich dazwischen drängen und Becca dabei unaufhörlich mit diesem glühenden Blick betrachten. Seine Tennisschuhe quietschten und …

Moment mal! Ihr Traummann trug doch keine quietschenden Tennisschuhe. Becca seufzte, als sie wieder von der Wirklichkeit eingeholt und ihre sexuellen Phantasien jäh verdrängt wurden.

Die Schritte kamen näher. Nicht ihr geheimnisvoller Fremder erschien, sondern ihr Chef Kent Wright. „Abwechslung“, murmelte sie und fächelte sich mit der Hand zu. „Ich brauche echt mal eine Abwechslung.“

„Was? Du bist schon in den Wechseljahren?“ Kent stand in der Tür, groß, dunkelhaarig und unverkennbar amüsiert.

„Nein, das kann man so nicht sagen.“

„Sicher? Du gehörst natürlich jetzt ganz offiziell zum alten Eisen.“ Er kam näher, Schultern gerade, mit großen Schritten und voller Selbstvertrauen. Nicht großspurig oder eingebildet, nein, sondern so, als fühlte er sich ganz unglaublich wohl in seiner Haut. In seinen dunklen Augen blitzte der Schalk. „Praktisch jenseits von Gut und Böse“, fügte er hinzu.

„Sehr witzig.“ Meine Güte, kaum war eine Frau dreißig, meinte auch schon jeder, er müsste sie täglich daran erinnern. Gestern erst hatte ihr die Abteilungssekretärin schwarze Rosen gebracht. „Nicht, dass es dich etwas angeht, aber ich meinte mit Abwechslung Abenteuer. Nicht Wechseljahre.“

„Abenteuer!“ Neugierig betrachtete er sie, und sie konnte es ihm nicht verdenken. Sie war ein Muster an Biederkeit. In der Schule hatte sie man sie zu der Person gewählt, deren Bild den Begriff Langweiler im Lexikon am besten illustrieren würde. An der Uni war es kaum besser gewesen, aber da war sie wenigstens in den verschiedenen wissenschaftlichen Seminaren mit ähnlichen Menschen zusammen gewesen.

„Was für ein Abenteuer?“, fragte er. „Zum Beispiel deinen Arbeitsplatz in die Luft jagen?“

Er sprach leise, und seine dunkle Stimme klang freundlich, trotzdem wurde Becca knallrot, als sie daran erinnert wurde, wie sie ihre letzte Stelle als Chemikerin losgeworden war. Sie war unglaublich belesen, schon immer gewesen. Aber während sie einen extrem hohen Intelligenzquotienten besaß, fehlte es ihr an gesundem Menschenverstand. Öfter, als sie es sich eingestehen wollte, hatte sie das schon in Schwierigkeiten und – leider – auch um Jobs gebracht.

Zum Glück schien Kent von ihren Fähigkeiten überzeugt zu sein. Aber sie wollte ihr Schicksal nicht herausfordern. Wenn sie ihm jetzt ihre Pläne für ein erfülltes Privatleben schilderte, könnte ihn das abschrecken. Eigentlich würde es jeden abschrecken, der sie kannte. „Diese Explosion zählt nicht“, verteidigte sie sich. „Doch nicht diese Art von Abenteuer.“

„So.“ Er nickte weise. „Diesmal willst du es also mit voller Absicht tun.“

„Ja. Nein!“ Becca musste über sich selbst lachen. Was blieb ihr auch anderes übrig? „Das betrifft doch nicht die Arbeit. Ich spreche von meinem Privatleben!“

„Was stimmt damit nicht?“

„Es ist … in Ordnung.“ Sie verdrehte die Augen. „Aber es ist so langweilig, dass ich nicht mal darüber sprechen kann. Das wird sich ändern.“

„Muss ich mir Sorgen machen?“

„Natürlich nicht. Du bist doch nicht für mich verantwortlich.“

Zum Glück beließ er es dabei. „Ich habe deinen Bericht über das TD-Virus gelesen“, sagte er. „Vollkommen in Ordnung, gute Arbeit!“

In Ordnung! Schon wieder dieser Begriff. Und auch wenn sie es nicht persönlich nehmen wollte, sie schaffte es einfach nicht. „Könntest du einen anderen Ausdruck verwenden?“

„Aber ‚in Ordnung‘ passt genau.“

„Ich hasse diesen Ausdruck.“

„Warum denn?“

„Weil er so langweilig ist, wie mein ganzes Leben!“

Kent blinzelte. „Womit wir wieder bei dieser Wechsel-Geschichte wären.“

„Ja.“ Sie funkelte ihn böse an. „Also, sei bitte so gut und erzähl mir nicht, meine Arbeit wäre in Ordnung.“

Ein anderer Mann hätte sie jetzt vielleicht verwirrt angestarrt oder gelacht, doch Kent registrierte ihre Aufforderung lediglich. Dann sagte er ernst: „Ich werde ein Memo rausgeben. ‚An alle Mitarbeiter! Bitte beachten Sie, dass die Wendungen In Ordnung und Becca im gleichen Satz nur auf eigenes Risiko benutzt werden dürfen.‘“

Wie hätte er das auch verstehen können. Er hatte dunkles Haar, noch dunklere Augen und, wenn er einmal lächelte, ein absolut hinreißendes Lächeln. Er war groß, schlaksig, aber durchtrainiert und einfach umwerfend, auf eine gefährliche Art. Seine Mitarbeiter, die hingebungsvoll über ihn klatschten, wenn er nicht in Hörweite war, behaupteten, es würde ihm nie an weiblicher Gesellschaft fehlen, sofern er es wünschte.

Er wünschte es allerdings nur selten, auch wenn er wie ein griechischer Gott aussah. Becca war zwar noch nicht lange bei Sierra, aber eines der Dinge, die sie beim Klatsch am Mineralwasserspender erfahren hatte, war, dass er gern allein war, dass er nicht gern Rechenschaft ablegte und vor allem dass er seine Gefühle und Gedanken für sich behielt. Das machte ihn für das andere Geschlecht nur noch attraktiver.

Aber nicht seine Attraktivität beschäftigte Becca, sondern ihre eigene Unscheinbarkeit.

Kent glättete mit dem Finger die Stelle zwischen ihren Augen, die sich immer verzog, wenn sie sich konzentrierte oder die Stirn runzelte. Jetzt runzelte sie die Stirn. „Hat dir deine Mutter nicht gesagt, dass dir die Gesichtszüge so einfrieren können?“

Sie hatten einander noch nie zuvor berührt. Auch jetzt war es ja nur sein Finger, aber dennoch geschah etwas sehr Seltsames. Der leichte Druck jagte beinahe schmerzhaft durch Beccas ganzen Körper. Ihre Brille beschlug, und ihre Zunge war wie gelähmt.

„Da hat es ja ordentlich zwischen uns gefunkt“, sagte Kent und starrte verblüfft auf seinen Finger.

Auch er runzelte jetzt die Stirn und trat, die Hände in den Taschen seines weißen Laborkittels, einen Schritt zurück. Die Sache war ihm gar nicht geheuer. Er hegte schließlich eine Abneigung gegen alles, was seine kostbare Freiheit hätte einschränken können. Becca wusste zwar nicht, warum das so war, aber schließlich musste sie über ganz andere Dinge nachdenken. Zum Beispiel über ihren Beschluss, dass sie ihr Leben ganz entscheidend ändern wollte. Das war wirklich überfällig.

Ihre gesamte Kindheit hatte sie als stämmiges, hochintelligentes Mauerblümchen im Schatten ihrer dynamischen, umwerfenden und lustigen Schwester zugebracht. Als Teenager hatte sie so getan, als würde sie lieber lernen, als sich für Jungen zu interessieren. Und daran hatte sich leider nichts geändert.

Als Erwachsene brachte sie die meiste Zeit in einem weißen Laborkittel zu, trug eine dicke Brille, hatte die Haare unter einer umgedrehten Baseballkappe versteckt und starrte in ein Mikroskop, um ein Medikament gegen Schnupfen zu entdecken. Wenn sie nicht arbeitete, dann besuchte sie Seminare, um noch mehr zu lernen, und behauptete immer noch, dass die Arbeit viel mehr Spaß mache als ein abwechslungsreiches Privatleben.

So war sie. Becca, das Aschenputtel, ein Albtraum für jeden Modeschöpfer, immer die Nase in einem wissenschaftlichen Buch vergraben.

Trotzdem … tief drinnen steckte ein Rebell, das wusste sie. Also drehte sie sich weg, knöpfte ihren Kittel zu, setzte sich auf ihren Hocker und dachte halblaut bei sich: „Ich finde schon noch heraus, was einen Mann von den Socken reißt!“

„Wie bitte?“ Kent sah sie aus seinen unergründlichen Augen ganz unschuldig an. Das hätte sie gleich warnen sollen – von Unschuld konnte bei ihm mit Sicherheit nicht die Rede sein. „Hast du etwas gesagt?“

„Nein.“

„Doch. Irgendwas über meine Socken, was sehr ungewöhnlich ist. Mir ist nämlich aufgefallen, dass du montagmorgens immer nur an die Arbeit und nie ans Vergnügen denkst. Also, da war doch etwas …“ Er öffnete seinen Laborkittel, zog die weiche, ausgeblichene Jeans, in der seine langen, kräftigen Beine steckten, hoch und enthüllte ein Paar weiße Tennissocken, die in weißen Joggingschuhen mit ausgefransten Schnürsenkeln steckten. „Hm. Alles in Ordnung, wie mir scheint.“ Voller Ernst betrachtete er seine Füße und ließ sie kreisen. „Heute passen sie sogar zusammen, das ist mal etwas Neues.“

„Sie gehen ein bisschen ins Rosarote“, erwiderte sie und tat so, als ließe es sie kalt, dass sogar seine Waden perfekt geformt waren. „Du solltest es mal mit Bleichmittel versuchen.“

„Tja, das passiert halt, wenn man sie zusammen mit roten Spitzenhöschen wäscht.“

Verblüfft sah sie ihn an. „Das soll wohl ein Witz sein.“

„Vielleicht.“ Er lächelte sie auf seine umwerfende Art an. „Oder auch nicht.“

„Hmm.“ Sie verschränkte die Arme und wandte sich ab. Seltsam, wieso war sie jetzt ärgerlich auf ihn?

„Du solltest dich für mich freuen.“

„Ich würde mich mehr freuen, wenn ich auch mal etwas abbekäme“, murmelte sie und suchte nach ihren Notizen.

„Dazu müsstest du mit jemandem ausgehen, Becca.“ Ironisch lächelnd lehnte Kent sich an den Tisch, während Becca sich hektisch an ihrem Arbeitsplatz zu schaffen machte, um ihre Verwirrung zu verbergen.

„Woher willst du wissen, dass ich nicht ausgehe?“

„Nun, du hast es Cookie erzählt, die hat es Tami erzählt, die es dann …“

„Ach so.“ Becca knirschte mit den Zähnen. „Der Laborklatsch!“

Kent lächelte, und der Schalk blitzte nur so in seinen Augen. Es ärgerte sie, dass er über ihr nicht vorhandenes Sexualleben diskutieren wollte. Und die Tatsache, dass er glaubte, sie würde Einladungen ablehnen, obwohl sie doch nicht mal welche erhielt, stimmte sie nur wenig milder.

„Allerdings müsstest du dich dazu eine Weile von deiner Arbeit losreißen“, fügte er im Plauderton hinzu und knipste noch eine Lampe über ihrer Arbeitsplatte an.

Widerstrebend bemerkte sie, wie gut er duftete. Nicht nach Parfüm, es war eher ein sehr männlicher Duft, frisch und natürlich, und er zog sie an. Und das brachte sie noch mehr auf die Palme.

„Ich sollte dich eigentlich fragen, was du am Wochenende getrieben hast, aber das kann ich mir schon denken.“ Kent lächelte. „Du hast dich bestimmt für dein Seminar vorbereitet, bist ins Labor gekommen und hast an deinem neuen Projekt weitergemacht.“

Das also glaubten alle von ihr? Dass sie nur an die Arbeit dachte? Nie ans Vergnügen?

Da half es auch nicht, dass dies der Wahrheit entsprach. „Woher weißt du das?“

Verwegen hob er eine Augenbraue, ein Bild der Versuchung. „Weil du genau so aussiehst: abgekämpft, immer noch müde, obwohl das Wochenende gerade erst vorbei ist.“

Ein kurzer Blick in den kleinen Spiegel über einem der drei Waschbecken bestätigte die schmerzliche Wahrheit. Die ganze Welt konnte es sehen: blasse Haut, noch blassere grüne Augen mit dunklen Ringen, ihre Haare unter der Baseballkappe von einem langweiligen, unscheinbaren Braun.

Aber wer hatte schon Zeit, sich um seine Frisur zu kümmern? Ihre Brille verbarg den größten Teil ihres Gesichts, und das war gut so, denn Becca war gänzlich ungeschminkt. Nicht dass sie etwas gegen Make-up hätte, sie fand nur, dass sie immer eine starke Ähnlichkeit mit Frankensteins Braut hatte, wenn sie welches auflegte.

Ihr Körper, na ja. Nicht kurvenreich, nicht mager, Durchschnitt eben. Und sowieso unter ausgebeulten Jeans, T-Shirt, Sweatshirt und Laborkittel völlig versteckt.

Das kam daher, dass sie morgens keinen Gedanken an ihre Garderobe verschwenden wollte. Gut, dass Sierra diese unförmigen Labormäntel zur Verfügung stellte, dadurch kam es auf die Kleidung überhaupt nicht mehr an.

Trotzdem – im Grunde war sie nicht der Typ, der viele Einladungen erhielt, wohl nicht mal durchschnittlich viele.

„Wieder eine Falte.“ Kent klang überrascht und vorsichtig, als wüsste er zwar, dass er der Anlass für die Falte war, aber nicht, wie er sich deswegen verhalten sollte. „Du solltest dich an die Arbeit machen“, sagte er besorgt. „Das heitert dich doch sonst auch immer auf.“

„Oh ja, das ist genau, was ich brauche, noch mehr Arbeit.“

Ihre Reaktion überraschte ihn sichtlich, und so hatte sie das nicht gemeint. Becca versuchte ihre Worte abzumildern. „Tut mir leid. Es ist eben Montag.“

„Das ist es nicht“, sagte er langsam und vorsichtig. „Du bist heute so anders als sonst.“

Sie war anders. Oder besser, sie wollte es werden. „Also, ehrlich gesagt …“

„Sag bloß, du willst schon wieder eine Gehaltserhöhung.“

„Es geht doch gar nicht um die Arbeit.“

„Okay.“ Kent lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und wirkte völlig entspannt, während Becca von ihren Hoffnungen und Träumen gemartert wurde. „Leg schon los.“

Genau in diesem Moment läutete das Telefon, und Becca hob ab, während Kent sie nachdenklich betrachtete. „Sierra-Scientific-Labor.“

„Becca!“

Summer, ihre Schwester, brachte jeden mit ihrer fröhlichen und vergnügten Stimme sofort zum Lächeln. Becca aber widerstand.

„Hallo, bist du noch dran?“, fragte Summer. „Was ist denn los mit dir?“

Becca schaffte es, ihren Blick von Kent zu lösen, und schob sich die Brille hoch. „Ich habe doch gar nichts gesagt. Wie willst du da wissen, ob etwas mit mir los ist?“

„Ich weiß es eben. Arbeit oder Seminar?“

„Das Leben“, antwortete Becca spontan und wünschte im selben Augenblick, sie könnte diese Worte rückgängig machen.

„Du arbeitest aber auch zu viel. Du gönnst dir keine Pause, und in den Spiegel schaust du auch nicht. Genau deshalb rufe ich ja an: Ich habe, was du brauchst.“

„Du hast immer, was ich brauche“, sagte Becca. „Als ich mich das letzte Mal darauf eingelassen habe, hat es mir grüne Haare beschert.“

Kent zog die Brauen hoch.

„Damals musste ich doch noch lernen, die Farbe richtig anzuwenden“, sagte Summer steif ins Telefon. „Ich habe viel dazugelernt.“

Aus den Augenwinkeln beobachtete Becca, wie sich Kent jetzt konzentriert und mit ruhigen, sicheren Händen über seine Arbeit beugte. Er hatte sie schon vergessen.

Verständlich. Er war ja nur ihr Chef. Sie kannten sich kaum. Wieso konnte sie dann nicht wegsehen? Die Muskeln auf seinem breiten Rücken traten hervor. Seine langen Finger streckten und bewegten sich, und plötzlich, mit beängstigender Intensität, wünschte sie sich diese Finger auf ihrem Körper.

Das war verrückt.

Kent griff nach seiner Tasse und trank einen Schluck Kaffee; die Muskeln an seinem Hals arbeiteten. Was für ein Schluck, dachte sie verzückt. Aber da sie offenbar nicht gleichzeitig Kent beobachten und ihr Gehirn gebrauchen konnte, rückte sie ihre Baseballmütze zurecht und wandte sich ab.

Trotzdem vibrierte es sehr seltsam in ihr, und das war in jedem Fall unerwünscht. Oh Mann, das war gar nicht gut – auf den Chef scharf zu sein. Sie brauchte wirklich ganz, ganz dringend ein Abenteuer.

„Becca?“

„Ja?“ Sie räusperte sich und versuchte ihre Hormone unter Kontrolle zu halten. „Ich bin noch dran. Hör mal, Summer!“ Im Flüsterton fuhr sie fort. „Weißt du noch, wie wir immer darüber gesprochen haben, dass wir zusammen wilde Abenteuer erleben wollten? Zum Beispiel spontan nach Italien fliegen, ohne festes Ziel? Oder Tiefseetauchen lernen? Oder in einen Striptease-Club gehen?“

Hinter ihr verschluckte sich Kent an seinem Kaffee. Summer lachte ihr ins Ohr. „Meinst du damals, als wir noch jung und dumm waren?“

War das schon so lange her, dass sie diese Träume gesponnen hatte? Sorgfältig vermied sie Kents neugierige Blicke und meinte: „Komm, wir tun es jetzt!“

„Also Becca, du hast vielleicht Einfälle. Als ob wir beide jetzt, wo wir so viel zu tun haben, einfach weg könnten. Da wir jetzt aber beim Thema sind: Ich wollte dir gratulieren.“

Becca seufzte. „Wozu denn?“

„Du bist die Allererste, die unsere monatliche Schönheitsbehandlung gewonnen hat, hier bei uns im Salon. Toll, was?“

„Ich habe doch gar nicht …“

„Ich weiß genau, dass du mir das nicht übel nimmst“, unterbrach sie Summer schnell. „Aber keine andere Frau hat ‚Summers erste Gratis-Behandlung‘ mehr verdient als du.“

„Na, vielen Dank auch. Wann hast du denn dieses Preisausschreiben ausgeheckt?“

„Ich wollte dich schon lange mal unter die Finger kriegen, das weißt du doch.“

Ein Besuch bei der Kosmetikerin, du liebe Zeit. „Also, ich werde vermutlich mit meinem Abenteuer viel zu sehr eingespannt sein.“

„Kein Mensch ist zu beschäftigt für eine Schönheitsbehandlung.“

„Ich schon“, versprach Becca und warf einen Blick auf ihre einfachen weißen Tennisschuhe, dann auf Kent, der wieder in seine Arbeit vertieft war. Geöffnete Aktenordner und Objektträger fürs Mikroskop stapelten sich vor ihm; seine Lampe brannte. Auch sein Gesicht wirkte voll konzentriert, während er ganz intensiv … einen Katalog für Dessous betrachtete!

Er merkte, dass Becca ihn ansah, und er bedachte sie mit einem langsamen Lächeln, sein Gesicht strahlte, und es raubte ihr den Atem. Er hatte schwere, sinnliche Lider, und für einen Augenblick gestattete sich Becca noch einmal ihren Tagtraum. Diesen Ausdruck in seine Augen zu zaubern, für diesen Mann da sein zu können …

Aber ein Besuch im Schönheitssalon? Das Ganze war doch sinnlos, narzisstisch und … peinlich, aber sehr verlockend.

„Denk doch an die Werbung für meinen Laden“, versuchte Summer sie zu locken.

„Ja, aber …“

„Ich brauche Vorher- und Nachher-Fotos von dir, weil keiner dir diese Verwandlung von, ehrlich gesagt, absolut null Stil zum …“

„Also bitte!“

„… zum absoluten Topmodel abnehmen wird. Du hast dir bisher noch nie helfen lassen.“

„Weil ich es selbst kann.“ Jawohl. Auf genau diese Art war sie gerade eben dreißig geworden und hatte schon so lange keine Verabredung mehr gehabt, dass der Lippenstift, den sie nur bei Rendezvous auflegte, längst ausgetrocknet war. Wieder blickte sie zu Kent, der immer noch seinen Katalog studierte. Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.

„Ach, Becca!“ Summers Stimme wurde jetzt flehend. „Du machst doch mit, nicht wahr?“

Becca hatte keine große Familie, Summer war im Grunde ihre einzige Angehörige. Solange sie denken konnte, hatte Summer ihr damit in den Ohren gelegen, dass sie endlich einmal etwas für sich tun sollte. Nur für sich. „Ich denke nicht …“

„Klasse!“, unterbrach sie Summer schnell. „Bloß nicht denken!“

„Eine neue Frisur wird mein Leben auch nicht verändern.“

„Nein, aber sie ist schon mal ein Anfang. Das ganze Drumherum macht es: Frisur, Make-up, Kleidung, alles.“

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du das alles nur erfindest, um mich zu beschwatzen.“

Ihre Schwester lachte. „Sei doch nicht so dumm.“

Aber es war dumm. Trotzdem … „Ich trage sowieso kein Make-up.“

„Ich zeige dir, wie man es macht.“

„Mit meiner Kleidung ist alles in Ordnung.“

„Klar, wenn du im Dunkeln bleibst.“

„Wenigstens ist meine Frisur …“

„Mausig, Schwesterherz. Es tut mir leid, aber du brauchst eine Veränderung. Lass es mich doch für dich machen.“

Summer klang so überzeugend, so voller Vorfreude. Aber schließlich war Summer auch – wie ihr Name schon andeutete – genau das Gegenteil von Becca: groß, schlank und schön.

Stolz kann etwas Grässliches sein. „Lass mich darüber nachdenken.“ Becca legte auf und blieb lange nachdenklich neben dem Telefon stehen. Sie wollte Summer nicht enttäuschen, ihre Schwester meinte es ja ehrlich gut. Sie klang so glücklich, sprudelte nur so vor Aufregung und war einfach … vollkommen. Wie immer.

Becca war nicht direkt eifersüchtig, denn sie liebte Summer von ganzem Herzen. Sie hatten nur einander, aber gelegentlich fühlte Becca sich irgendwie bedrückt, wenn sie mit ihrer Schwester zusammen war.

Kent schob seinen Katalog beiseite. „Ein Striptease-Club?“

„Das ist also das Einzige, was du von meinem Gespräch gehört hast?“

„Das hat mich am meisten beeindruckt“, gestand er. „Und, machst du es?“

Der Gedanke an den Schönheitssalon flößte Becca Angst ein, verursachte ein ganz komisches, schwereloses Gefühl in ihrem Magen, flüsterte ihr ein, sich doch mal vorzustellen, wie es wäre, wenn …

Kents Augen weiteten sich. „Du überlegst es dir wirklich.“

War das so unvernünftig? So lächerlich? „Na und?“

„Also … ich kann es wirklich nicht glauben, dass du in einen Striptease-Club gehen willst.“

Verwirrt starrte sie ihn an. „Ich rede doch von einem Termin bei der Kosmetikerin.“

„Ach so.“ Das schelmische Grinsen, mit dem er sie beglückte, hatte vermutlich schon Hunderte von Herzen dahinschmelzen lassen. Ach was, Tausende. „Und ich hatte schon gedacht, du würdest nur an die Arbeit denken und nie ans Vergnügen.“ Versuchte er sie etwa herauszufordern? Das brachte das Fass zum Überlaufen! Na gut, es war beschlossene Sache.

Becca schnappte sich den Telefonhörer, hämmerte die Nummer von Summers Salon ein und wartete ungeduldig. „Ich wollte ein Abenteuer“, murmelte sie. „Ich wollte eine Veränderung. Und genau das kriege ich jetzt, zum Kuckuck, und wenn es mich umbringt. Passt bloß auf, wenn ich damit fertig bin.“

„Worauf aufpassen?“, wollte Kent verunsichert wissen.

Gut so. „Vielleicht finde ich ja wirklich einen Strip-Club.“

Der Ausdruck auf seinem Gesicht hätte sie königlich amüsiert, wäre sie nicht so aufgebracht gewesen. „Willst du nur zugucken oder mitmachen?“, fragte er vorsichtig.

„Beides.“

Jetzt verschwand der belustigte Ausdruck von seinem Gesicht. „Wie du meinst, aber vielleicht solltest du es dir noch einmal durch den Kopf gehen lassen.“

Autor

Jill Shalvis
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