Ich will mehr von Dir

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Das bildschöne Dessous-Model Cassie hat keine Probleme mit Männern: Sie weiß, dass sie für viele Erotik pur verkörpert. Warum sollte der attraktive Sean Taggart eine Ausnahme sein? Sie will ihn, denn bestimmt ist er besonders gut und fantasievoll im Bett! Doch gerade Sean bleibt standhaft...


  • Erscheinungstag 02.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779221
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Vor zehn Jahren

In rasantem Tempo fuhr ein Auto nach dem anderen vom Daisy Inn weg. Schließlich war heute Abschlussball, die Nacht der Nächte: voller Träume und Hoffnungen, verbotenem Alkohol und verlorener Unschuld. Der absolute Höhepunkt der ganzen High-School-Zeit.

Es sei denn, man gehörte zu den Tremaines.

Besonders schlimm war es, in Pleasantville, Ohio, ein weibliches Mitglied dieser Familie zu sein.

Cassie Tremaine Montgomery betrachtete Biff Walters, mit dem sie sich für heute verabredet hatte. Kaum zu glauben, dass eine Mutter ihren neugeborenen Sohn so wenig mochte, dass sie ihn Biff nannte. Cassie hatte nur aus einem Grund zugestimmt, mit dem gut aussehenden Footballstar – der leider nicht der Hellste war – zum Ball zu gehen. Es lag an dem Geschenk, das er von seinem Vater zum Schulabschluss bekommen hatte: ein kirschrotes Cabrio.

Da Cassie alle teuren und für sie unerschwinglichen Dinge liebte, hatte das Cabrio eine unwiderstehliche Wirkung auf sie ausgeübt.

„He, Baby.“ Biff suchte ihren Blick und legte eine große, schwitzende Hand auf ihren Oberschenkel. „Du siehst heute Abend wirklich scharf aus.“

Wie originell! Cassie war nun mal blond, groß und attraktiv wie ein Model aus dem Playboy. Deshalb waren die Männer seit vier Jahren hinter ihr her. Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr. Außerdem hielt man alle Frauen der Tremaines für Flittchen. Ausnahmslos.

Sie hatte die Wahl, mit dem Makel zu leben oder aus Pleasantville zu verschwinden.

Leider hatte sie es sich als Kind nicht aussuchen können. Zusammen mit ihrer Cousine Kate war sie in Pleasantville aufgewachsen, und beide Mädchen hatten ihre Lektion gelernt. Schon vor langer Zeit hatte Flo, Cassies Mutter, das Schicksal ihrer Tochter besiegelt. Sie war als Vamp der Stadt verschrien und hatte ungeniert so viele Ehemänner wie nur möglich verführt.

Klar, dass Cassie ebenso unbeliebt wie ihre Mutter war – oder eben beliebt, wenn es nach den Männern ging.

„Willst du an den See?“ fragte Biff hoffnungsvoll.

Bloß nicht! Der See war der Platz außerhalb der Stadt, an dem wild herumgeknutscht wurde.

Nein danke! Das war nichts für sie. Cassie teilte nicht die Schwäche ihrer Mutter für Männer.

„Natürlich willst du. Du bist doch eine Tremaine.“ Biff lachte schallend. Er kniff ihr in den Oberschenkel, dann wanderten seine Finger nach oben und hinterließen eine feuchte Spur auf dem Seidenkleid, das sie heimlich im Billigkaufhaus erstanden hatte.

„Alle Tremaines stehen auf Sex.“ Biff war sich absolut sicher. „Je wilder, desto besser. Deshalb habe ich dich doch eingeladen. Komm schon. Zeig, was du hast, Baby.“ Er beugte sich über sie und presste den Mund auf ihren Hals. Seine Bierfahne verursachte ihr Übelkeit.

Trotzdem lächelte Cassie. Sie rutschte zur Seite und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Da zahlte sie ja einen happigen Preis für eine Fahrt in einem tollen Auto. Jetzt musste sie sich etwas ausdenken, um ungeschoren davonzukommen. „Warum so eilig?“

„Deshalb.“ Biff hing schon die Zunge zum Hals heraus. Er legte die Hand auf seine ausgebeulte Hose und rückte sie zurecht.

Mein Gott, waren die Männer lächerlich. Biff roch nach Bier und Schweiß. „Biff, die haben sich doch vorhin geweigert, uns Bier zu verkaufen.“

„Na und?“ Er schien mächtig stolz auf sich zu sein.

„Wieso riechst du dann nach Bier?“

Er setzte ein breites, dümmliches Grinsen auf. „Jeff hatte zwei Sixpacks im Badezimmer. Eins davon hat er mir gegeben.“

Ein Sixpack! Cassie war kein ängstlicher Mensch, aber sie hing sehr am Leben. „Hast du etwa alle sechs Flaschen getrunken?“

„Ja.“ Als Biff vom Parkplatz fuhr, ließ er angeberisch die Reifen quietschen. Der Wagen kam ins Schleudern.

Cassie hielt die Luft an und klammerte sich am Armaturenbrett fest.

„Keine Angst, Baby.“ Wieder grinste er sie dümmlich an. „Mit Alkohol im Blut fahre ich viel besser.“

Aha, dachte Cassie. Noch eine Woche, und sie würde aus diesem Kaff verschwunden sein, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie hatte vor, der Welt zu zeigen, dass sie jemand war. Etwas Besonderes.

Doch dafür musste sie am Leben bleiben. „Biff, fahr rechts ran!“

„Baby, jetzt …“

„Halt an“, stieß sie hervor. Wenn er sie noch ein Mal Baby nannte, würde sie schreien. Und dann würde er schreien.

„Pass auf!“ Er trat aufs Gas und wechselte blitzschnell auf die Überholspur. „Juchu!“ Beim Einscheren auf die rechte Spur verrenkte er sich beinahe den Hals und zeigte dem entgegenkommenden Fahrer den Mittelfinger. Eine Sekunde länger, und es hätte gekracht! „Mistkerl!“

„Biff!“ Cassie krallte sich mit den Fingernägeln, die sie so sorgfältig lackiert hatte, am Armaturenbrett fest. „Ich …“

„So ein Mist!“ stieß er hervor. Die Polizeisirene heulte. Blitzende Lichter erhellten Biffs Gesicht. Er begann fürchterlich zu fluchen.

Sie fuhren rechts heran. Gott sei Dank, dachte Cassie, als sie Sheriff Richard Taggart auf sich zukommen sah. Der Mann hatte sie wahrscheinlich vor einem Unfall bewahrt. Zumindest vor einem Ringkampf mit einem Idioten.

Biff fluchte immer noch, und Cassie konnte es ihm nicht verübeln. Der Sheriff gehörte nicht zu den Menschen, die fünf gerade sein ließen. Doch obwohl er ein scharfer Hund war, vertraute sie ihm. Sie vertraute ihm, weil er der einzige Mann war, der ihres Wissens nicht mit ihrer Mutter geschlafen hatte. Ein Grund für sie, ihm Respekt entgegenzubringen.

Er trat ans Fahrerfenster, schob seinen Hut in den Nacken und ließ den Kaugummi von einer Seite auf die andere wandern. Seinem scharfen Blick entging nichts. „Habt ihr ein bestimmtes Ziel, Kinderchen?“

„Machst du Witze? Guck doch mal, wen ich bei mir habe.“ Biff lehnte sich zurück, damit der Sheriff einen Blick auf Cassie werfen konnte. „Für heute Abend habe ich mir eine Tremaine besorgt.“

Der Sheriff sah auf Cassie. Um seine Augen zuckte es. „Also zum See unterwegs, oder?“ fragte er.

Biff grinste dümmlich.

Der Sheriff schüttelte den Kopf. „Steig aus, Biff.“

„Aber Onkel Rich…“

„Raus“, wiederholte der Sheriff. „Du wirst nicht mehr fahren. Ich kann deine Fahne von hier aus riechen.“

„O Mann!“ Biff fing an zu jammern, hörte jedoch sofort auf, als der Sheriff ihn ansah.

„Sieh zu, dass du nach Hause kommst, mein kleiner Neffe. Bevor ich dich wegen Trunkenheit am Steuer festnehme.“

Wie ein bockiges Kind knallte Biff die Autotür zu und ging los, ohne auch nur einen Blick auf Cassie zurückzuwerfen, der er gerade eben noch an die Wäsche gewollt hatte.

Na toll! Cassie warf das Haar zurück und tat ihr Bestes, um den Eindruck zu erwecken, dass sie das Ganze nichts anging. Aber ihr Herz hämmerte. Denn obwohl sie dankbar war, dass der Sheriff sie angehalten hatte, verspürte sie plötzlich … Nervosität.

Lächerlich. Der Sheriff war rau und streng und regierte die Stadt mit eiserner Faust, aber er war gerecht. Eine Stütze der Gesellschaft.

Es gab keinen Grund, sich zu ängstigen. Was würde er schon tun können? Wahrscheinlich ließ er sie auch nach Hause laufen. Ja, das wäre in Ordnung. Der ganze Abend war ohnehin ein Reinfall gewesen. Cassie hatte keine Ahnung, was sie sich eigentlich dabei gedacht hatte, sich schön zu machen und mit dem größten Blödmann – äh, Sportass der Stadt auszugehen.

„Cassie.“

„Sheriff.“

„Du hast dich aber hübsch gemacht.“

Starrte er etwa auf ihre Brüste? Cassie ließ sich ihre Bestürzung nicht anmerken. „Ich … ja.“

„Meinst du, dein Kleid macht aus dir einen anderen Menschen?“ fragte er leise. Er ließ den Blick über das schwarze Seidenkleid wandern. Als sie es im Kaufhaus entdeckt hatte, war ihre Freude groß gewesen, aber jetzt hätte sie sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen.

„Steig aus!“

Als sie sich nicht rührte, beugte er sich durchs Fenster. „Ich kann’s dir besorgen“, sagte er aalglatt. „Würde mir ziemlichen Spaß machen.“

Kein Mensch war in der Nähe. Aber selbst wenn jemand da gewesen wäre, hätte ihr niemand geholfen. Zweifellos würden die Vorbeifahrenden meinen, dass der Sheriff Grund hatte, sie anzuhalten. Mit hochgerecktem Kinn verließ Cassie den Wagen und lehnte sich lässig dagegen. „Was kann ich für Sie tun, Sheriff?“ Sie spielte die Kühle.

„Was du für mich tun kannst?“ Er trat so dicht an sie heran, dass sie die Lichter des Streifenwagens in seinen Augen blitzen sah. Sie roch seinen Atem. Als sie seine Hüften an ihrem Körper spürte, wollte sie zurückweichen. Am liebsten wäre sie in Panik ausgebrochen, aber das gönnte sie niemandem in dieser gottverdammten Stadt.

„Was du für mich tun kannst, Cassie, ist nicht ganz einfach. Aber da du Flos Tochter bist …“

„Sie … kennen Flo?“

„So gut, wie ein Mann sie nur kennen kann.“

Er war erregt. Und anscheinend war auch er mit ihrer Mutter im Bett gewesen. Seltsam, dass Cassie das jetzt wie ein Verrat vorkam. Aber sie hütete sich, auch nur eine Miene zu verziehen, denn es war ein großer Unterschied, ob man mit einem dummen achtzehnjährigen Punk in seinem nagelneuen Auto herumknutschte oder sich mit einem erregten Mann einließ, der einen Sheriffstern trug. Energisch warf sie ihr Haar zurück. „Da haben Sie mich wohl mit meiner Mutter verwechselt.“

„Ich verwechsle niemanden.“ Er hob die Hand.

Einen langen Augenblick schwebte die Hand zwischen ihnen. Cassie hielt die Luft an. Als sie langsam wieder ausatmete, tasteten seine Finger über ihre Brustspitzen. Sein Atem ging schnell, und ihr wurde klar, dass er keinen Deut besser als sein Neffe war. Die Erkenntnis, dass jeder Mann, auch dieser hier, ein Sklave seiner Triebe war, hatte etwas Beunruhigendes.

Als sie seine Hand wegschlug, überlief sie eine Gänsehaut. „Wenn Sie mich nicht einsperren wollen, weil ich so dumm war, mit diesem Idioten von Ihrem Neffen auszugehen, betrachte ich diese Angelegenheit für beendet“, sagte sie bemerkenswert ruhig. „Lassen Sie mich durch. Ich gehe zu Fuß nach Hause.“

„Ich kann dich mitnehmen. Vielleicht ist Flo zu Hause. Könnte interessant sein, euch beide …“

Cassie fröstelte.

Er wollte sie beide zusammen haben. Schließlich war und blieb eine Tremaine in seinen Augen ein Flittchen.

Wie hielt ihre Mutter das bloß aus? Einen Mann nur aus Freude am Vergnügen zu verführen? Cassie verstand, dass Flo es genoss, einen Mann schwach zu machen, weil ihn die Lust überwältigte, aber Cassie würde lieber einen Mann vor Schmerz in die Knie zwingen. Mit einem Tritt in seine edlen Teile.

Dieser Mann würde es sich nicht gefallen lassen. Immer noch lächelnd schob sie sich hinter ihm vorbei. „Tut mir Leid, Sheriff, heute Abend bin ich nicht in Stimmung.“

Ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt, als sie sich in Bewegung setzte. Komm mir bloß nicht hinterher! Bei jedem Schritt spürte sie seine Blicke. Sie bog um die Ecke.

Erst als sie wusste, dass sie wirklich allein war und er sie nicht mehr sehen konnte, begann sie zu laufen. Niemand hielt sie auf. Niemand interessierte sich für sie.

Sie rannte die Magnolia Avenue hinunter, immer weiter, bis sie in die Auffahrt des Doppelhauses einbog, in dem sie schon ihr Leben lang mit ihrer Mutter wohnte.

Ihre Tante und ihre Cousine wohnten in der anderen Hälfte. Kate mit ihrem gesunden Menschenverstand würde ihr ein echter Trost sein, aber sie war wohl noch mit ihrem Begleiter unterwegs.

Cassie ging nicht ins Haus. Sie wollte ihrer Mutter nicht begegnen, der bei ihrem Anblick wahrscheinlich wieder die Tränen kamen. Es war klar, dass Cassie so bald wie möglich ausziehen würde, um ihrer eigenen Wege zu gehen.

Doch eines Tages würde sie zurückkommen und es allen zeigen. In einem tollen Auto. Sie würde im größten Haus auf dem Lilac Hill wohnen, nur weil sie es sich leisten konnte. Und … ja, das würde ihr am besten gefallen … sie würde es dem Sheriff heimzahlen. Irgendwie.

Aber vor allem würde sie etwas aus sich machen, und zwar etwas ganz Besonderes.

Sie ging ums Haus herum in den Hinterhof. Im nächsten Augenblick schleuderte sie die Pumps weg, für die sie den ganzen letzten Monat gespart hatte. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und schätzte die Entfernung für den Sprung ab, den sie machen musste.

Sie sprang und streckte die Hände nach der Strickleiter aus. In ihrem knappen schwarzen Kleid hangelte sie sich am Baum hoch und schwang sich ins Baumhaus, in ihr und Kates Versteck, solange sie zurückdenken konnte.

Es war eng und roch modrig. Wahrscheinlich krabbelten überall Spinnen herum. Jetzt musste sie unbedingt allein sein.

Aus einem kleinen Holzkästchen holte sie eine Zigarette und zündete sie an. Das war ihr geheimes Laster und beruhigte die Nerven. In dem Kästchen lagen auch ihr und Kates Tagebuch. Sie nahm ihres heraus, lehnte sich gegen den Baumstamm, blickte zu den Sternen hinauf und ließ im Geist die Dinge Revue passieren, die sie im Leben erreichen wollte. Dann schrieb sie in ihr Tagebuch. Kate würde ausflippen, wenn sie das mit dem Auto erfuhr!

Als Cassie mit Schreiben fertig war, lehnte sie sich zurück und sah, wie eine Sternschnuppe vom Himmel fiel. Auch wenn sie es bis ans Ende ihrer Tage niemals zugeben würde, hatte sie einen großen Wunsch.

Sie wünschte sich, dass sich ihr Leben zum Guten wenden würde, sobald sie nur dieses verdammte Pleasantville hinter sich gelassen hatte.

1. KAPITEL

Zehn Jahre später

Sheriff Sean Taggart hatte gegessen, geduscht und lag nackt und fix und fertig auf seinem Bett, als das Telefon klingelte.

„Vergiss es“, murmelte er und machte sich nicht die Mühe, auch nur den Kopf zu heben. Er hatte einfach keine Kraft mehr und brauchte dringend Schlaf. Die ganze Nacht war er unterwegs gewesen, um dem Sheriff aus dem Nachbardistrikt bei der Verfolgung eines Bankräubers zu helfen.

Bevor er dann am Morgen auch nur an Schlaf denken konnte, musste er vier dumme Kühe retten, die sich mitten auf dem Highway herumtrieben. Außerdem hatte er einen betrunkenen Teenager aus einer Schlucht gezogen.

Jetzt – kurz vor Mittag – wollte er keinen Handschlag mehr tun. Er lebte allein auf einem Hügel über der Stadt. Nicht auf dem Lilac Hill wie die Reichen, sondern in einem gemütlichen, hübschen Viertel, wo die Häuser weit auseinander standen und alt genug waren, um Charakter auszustrahlen – das hieß im Klartext, dass sie ziemlich baufällig waren. Sein Haus hatte er sich nur leisten können, weil es noch verfallener als die anderen war.

Die Renovierung ging langsam voran und war ziemlich teuer. Deshalb hatte Sean bis jetzt nur Schlafzimmer und Küche auf Vordermann gebracht. Doch das Haus gehörte ihm, und er fühlte sich darin wohl. Sein Vater hatte nicht nur mit eiserner Faust über die Stadt, sondern auch über ihn geherrscht. Als er acht wurde, hatte seine Mutter die Familie verlassen, um woanders glücklich zu werden. Seitdem hatte Sean sich gewünscht, irgendwann ein gemütliches und harmonisches Zuhause zu haben.

Er und sein Vater hatten sich nie sonderlich nah gestanden. Sie hatten unterschiedliche Ideale und Wertvorstellungen. Der alte Taggart war von seinem Sohn enttäuscht. Er hatte sich mehr von ihm versprochen.

Sean sehnte sich nach einer Freundin oder einer Ehefrau, zumindest aber nach einer tieferen Liebesbeziehung. Er wünschte sich einen Menschen, auf den er sich verlassen konnte.

Aber jetzt wollte er acht Stunden durchschlafen.

Das Klingeln hörte nicht auf. Er wandte den Kopf, hielt mühsam ein Auge auf und blickte auf das Telefon. Wer konnte jetzt noch anrufen? Zum Beispiel sein Vater, der Exsheriff, der ihm vorschreiben wollte, wie er seinen Job machen sollte.

Es konnte aber auch ein Notfall sein.

„Verdammt noch mal!“ Er nahm den Hörer ab. „Was gibt’s denn?“

„Es ist dringend“, sagte Annie mit ihrer ständig fröhlich klingenden Stimme. Annie war seine Exverlobte und eine unglaubliche Nervensäge.

Er rieb sich die Augen und starrte an die Decke. „Warum rufst du an?“

Sie lachte. „Da rast jemand in einem coolen Flitzer durch die Stadt. Den ganzen Tag über haben wir Anrufe bekommen. Die Leute beschweren sich über die laute Musik und den rücksichtslosen Fahrer.“

Er rieb sich die müden, brennenden Augen und griff nach seiner Hose. „Diebstahl? Beleidigung?“

„Nein, nichts dergleichen. Nur die Musik und das Herumrasen.“

Sean verdrehte die Augen. „Wenn das alles ist, warum kann ich dann kein Auge zutun?“

„Weil wir alle dein liebenswertes Benehmen so sehr schätzen. Mach dich auf die Socken. Und sei da draußen vorsichtig, okay?“

„Ja, bin ich“, murmelte er und suchte nach weiteren Kleidungsstücken. Er zwängte sich in die Stiefel, zog sein Hemd an und griff nach seinem Sheriffstern.

Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf sein großes, zerwühltes, äußerst bequemes Bett verließ er das Zimmer.

Auf halber Strecke in die Stadt rauschte es in seinem Funkgerät. „Ich habe das Kennzeichen und das Modell“, sagte Annie und rasselte die Angaben herunter.

„Hellgelber Porsche.“ Bei dem Gedanken an einen idiotischen Touristen, der wahrscheinlich falsch abgebogen und in Pleasantville gelandet war, schüttelte Sean den Kopf. „Sollte nicht schwer zu finden sein. Name des Besitzers?“

„Moment … Cassie Tremaine Montgomery.“

Also kein Urlauber, kein Reisender, der sich zufällig verirrt hatte, sondern Cassie Tremaine Montgomery.

Früher hatte sie hier gelebt. Jetzt war sie Dessous-Model und lebte meilenweit von Pleasantville entfernt.

Wenn Sean sich richtig erinnerte – und das tat er –, war Cassie kühl, unerreichbar, eingebildet und … scharf gewesen. Sehr scharf.

Man hatte erzählt, dass sie die Stadt fluchtartig nach dem High-School-Abschluss verlassen hatte. Es gab verschiedene Gerüchte: Sie sei schwanger gewesen, auf Drogen, eine Diebin und was sonst noch alles. Sogar sein Cousin Biff, dieser Versager, hatte viele haarsträubende Geschichten erzählt, obwohl Sean sich nicht sicher war, wie viel davon stimmte. Biff neigte nämlich zu Übertreibungen, und Sean hatte keine Energie darauf verschwendet, das nachzuprüfen.

Doch inzwischen war er der Sheriff in der Stadt. Und Cassie war wieder da und stiftete Unruhe. Jetzt musste er über sie nachdenken.

Er sah sie sofort. In einem schnittigen Wagen raste sie die Magnolia Avenue entlang, das Outfit passend zu ihrem Auto. Ihr blondes Haar wehte im Wind, während die Finger am Lenkrad den Takt zu der dröhnenden Musik schlugen.

Sean wendete und jagte hinter ihr her. Das konnte ja heiter werden!

Nimm, was du kriegen kannst, Darling. Nimm, was du kriegen kannst, und such dann das Weite.

Cassie Tremaine Montgomery lächelte grimmig, als sie sich an die Lebensweisheit ihrer Mutter erinnerte. Etwas schneller als erlaubt fuhr sie die Magnolia Avenue hinunter. Als sie durch die Stadt gefahren war, um Besorgungen zu machen, blieben die Leute stehen, glotzten und zeigten mit dem Finger auf sie.

Natürlich wusste sie, dass es an dem Auto lag. Doch mit einem Schlag fühlte sie sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Man erkannte sie wieder und erinnerte sich an sie.

Hatte sie tatsächlich geglaubt, dass die Leute sie vergessen hätten? Hatte Kate sie nicht gewarnt, als sie vor kurzem in der Stadt gewesen war?

Gerade kam Mrs. McIntyre aus dem Teeladen. Die alte Klatschtante hatte sich nicht verändert. Noch immer trug sie ihr Haar in einem Knoten, der so straff gebunden war, dass die Augen zu Schlitzen wurden. Noch immer machte sie dieses finstere Gesicht. Es war kein Tag vergangen, an dem sie nicht über Cassie und Flo hergezogen hatte.

Cassie winkte. Mrs. McIntyre drohte mit dem Finger und wandte sich zu einer blauhaarigen alten Giftnudel neben ihr, die ebenfalls drohend den Zeigefinger hob.

Na schön. Willkommen zu Hause!

Sie war nicht hier, um sich zu erinnern und freundlich zu sein. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie niemals zurückgekehrt. Hier hatte sie überhaupt nichts verloren.

Kate wohnte auch nicht mehr hier. Mit ihrem Sex-Shop für Frauen war sie in Chicago ganz groß herausgekommen.

Einige Leute würden das auch von Cassie behaupten. Aber es bedeutete ihr wenig, dass sie sich die ganze blöde Stadt kaufen konnte, solange sie sich schon beim Herumfahren wieder jung, dumm und unerfahren vorkam. So hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt.

Alle Einwohner von Pleasantville waren sicher gewesen, dass sie genauso wie ihre Mutter werden würde, die ständig in Schwierigkeiten steckte. Schicksal, hatten die Leute gesagt.

Wenn man es als Schicksal ansah, dass Cassie nach New York gehen musste, um ein berühmtes Dessous-Model zu werden, dann war sie ihrem Schicksal nicht entkommen.

Jetzt war sie wieder da. Aber nicht freiwillig. O nein! Sie fuhr an der Bücherei vorbei. Da stand die Bibliothekarin und wechselte das Schild für den Lesezirkel aus. Mrs. Wilkens hatte sich keinen Deut verändert. Sie sah immer noch alt aus, trug ihre Brille an einer Kette um den Hals und blickte Cassie stirnrunzelnd an.

Cassie hatte Stunden in der Bibliothek verbracht. Auf der Flucht aus dem Alltag hatte sie jeden historischen Liebesroman verschlungen, der ihr in die Hände gefallen war.

Was war das? Überrascht reckte sie den Hals und sah im Rückspiegel die Lichter eines Streifenwagens. Der arme Kerl, der jetzt einen Strafzettel bekommen würde! Da sie selbst gern zu schnell fuhr, zuckte Cassie vor Mitgefühl zusammen und verlangsamte das Tempo, um den Streifenwagen vorbeifahren zu lassen.

Doch das tat er nicht.

Kein Problem. Sie fuhr rechts heran. Der Streifenwagen tat dasselbe.

Und da kam ihr die Erleuchtung. Sie war das arme Opfer, das den Strafzettel bekam.

„Verdammt. Verdammt noch mal!“ sagte sie leise zu sich, als sie den Motor abstellte und nach ihrer Brieftasche suchte. Sie war nicht mehr angehalten worden seit … dem Abschlussball.

Die unangenehmen Erinnerungen überrollten sie wie eine Welle. Schon lange hatte sie nicht mehr an jene Nacht gedacht. Die Erinnerung traf sie wie ein Schlag. Genauso wie die Erinnerung an das Gespräch mit dem Sheriff, von dem sie geglaubt hatte, dass er einer der wenigen Männer war, denen sie vertrauen konnte.

Sie hatte sich gründlich geirrt. Man konnte keinem Mann vertrauen. Hatte sie diese schmerzliche Erfahrung nicht gerade erst kürzlich wieder gemacht?

Doch nach all den Schrecken, die sie erlebt hatte und die sie zwangen, hierher zurückzukehren, würde sie jetzt nicht in Panik geraten. Sie würde ihre Brieftasche finden und erklären, warum sie in Eile war. Und wenn sie ihren Wimpernaufschlag gezielt einsetzte, ein sexy Lächeln auf die sinnlichen Lippen zauberte und ihr Haar aufreizend nach hinten warf, dann würde sie vielleicht sogar ohne Strafzettel davonkommen.

Bitte, bitte, lass einen neuen Sheriff hier sein, dachte sie, als sie schließlich ihre Brieftasche in der riesigen Handtasche gefunden hatte, in der sie alles mit sich herumschleppte, auch ihr noch immer gut gehütetes Laster – einen historischen Liebesroman.

„Verdammt noch mal.“

Kein Führerschein dabei. Selbst schuld. Vor einigen Tagen hatte sie mit ihren Freunden einen Club besucht, den Führerschein herausgenommen und in ihre Hosentasche gesteckt. Dort lag er gut!

„Verdammt!“

„Das sagten Sie bereits.“

Beim Hochkommen stieß Cassie an die Sonnenblende, wobei ihre Sonnenbrille verrutschte. Als sie das tiefe, männliche Lachen hörte, blinzelte sie und erblickte … Gott sei Dank … nicht Sheriff Richard Taggart.

Richard Taggart müsste jetzt Ende fünfzig sein. Wahrscheinlich grau, mit Bauch und einem bösen Zug um den Mund.

Der Mann trug eine spiegelnde Sonnenbrille und eine Uniform. Er war nicht ergraut und hatte keinen Bauch. Als ihre Augen an diesem äußerst attraktiven Körper nach oben wanderten, bezweifelte sie, dass an dem hoch gewachsenen, schlanken, sportlich aussehenden Mann auch nur ein Gramm Fett zu viel war.

Solche Männer waren nichts Neues für sie. Die ganze Zeit arbeitete sie mit ihnen zusammen. Mit Models, Fotografen, Regisseuren … und wenn sie auch gern hinsah und den einen oder anderen gern auch einmal anfasste … dieser Mann hier interessierte sie keine Spur.

Er trug eine Polizeiuniform und einen Sheriffstern. Seit dem Abschlussball hatte sie eine echte Abneigung gegen beides.

Ganz zu schweigen von ihrer Aversion gegenüber Behörden. „Ich habe meinen Führerschein nicht dabei“, sagte sie, ohne den Mann anzublicken. Das war unhöflich, aber nicht persönlich gemeint. Wenn es ihr wichtig gewesen wäre, was er über sie dachte, hätte sie es ihm sogar gesagt.

„Also keinen Führerschein“, wiederholte er.

Was für eine Stimme! Jedes Wort ließ ihre Nerven vibrieren. Mit dieser Stimme konnte er ein Vermögen machen. Der tiefe, leicht raue Tonfall beschwor wie aus dem Nichts erotische Fantasien herauf.

„Das mit dem Führerschein ist ein Problem“, sagte er. Er war sich wohl sicher, dass sie keine Gefahr darstellte, nahm die Sonnenbrille ab, steckte sie in die Brusttasche seines Hemdes und stützte sich lässig auf ihren Wagen. Sein Körper kam ihr gefährlich nah.

Dieser Mann hatte nicht nur eine wahnsinnige Stimme, er sah auch wie ein Filmstar aus. Cassie musste sich gar nicht besonders anstrengen, um sich ihn als romantischen Helden vorzustellen.

Natürlich ohne Uniform.

Obwohl sie sich nicht dafür entschuldigte, dass sie keinen Führerschein dabeihatte, nickte er freundlich. Aber schon ein Blick auf den entschlossenen Mund, das kantige Kinn und die unnachgiebigen Augen sagte Cassie, dass dieser Mann nur dann zuvorkommend und freundlich war, wenn es ihm passte.

Betont freundlich legte er den Kopf schief. „Und Sie können sich nicht ausweisen, weil …?“

Weil sie New York überstürzt verlassen hatte. So war das, wenn drei unglaublich schockierende Dinge zur gleichen Zeit passierten.

Erstens war sie verfolgt worden. Von einem Mann, der einmal ihr Freund gewesen war. Bis sie es abgelehnt hatte, mit ihm zu schlafen … von da an wurde es hässlich. Wenn er sie nicht lebendig haben konnte, wollte er sie anscheinend tot.

Ihre Agentin, ihre Freunde und ihre über alle Maßen besorgte Cousine hatten darauf bestanden, dass sie die Stadt verließ. Und da Cassie am Leben hing, hatte sie zugestimmt. Ein besseres Versteck als diese Stadt konnte sie gar nicht finden.

Zweitens hatte ihre Mutter beschlossen, mit ihrem neuesten Freund um die Welt zu segeln. Auf unbestimmte Zeit würde sie nicht da sein. Sie hatte Cassie überraschend früh ihr Erbteil hinterlassen.

So musste Cassie einerseits nach Pleasantville zurückkehren und sich um das Erbe kümmern, und andererseits war es zu ihrer eigenen Sicherheit angebracht, New York für eine Zeit den Rücken zu kehren.

Die dritte Sache veränderte ihr Leben nicht so stark, aber es beschäftigte sie immerhin so sehr, dass sie in den vergangenen Nächten davon geträumt hatte. Kate hatte ihre Tagebücher gefunden und darin diese lächerlichen Listen, die sie beide in jener verhängnisvollen Nacht nach dem Ball im Baumhaus geschrieben hatten. Listen, auf denen der kindliche Wunsch nach Rache an einer Stadt festgehalten war, die sie immer verschmäht hatte. Cassies Wunsch hatte neue Nahrung bekommen. Sie betrachtete den Sheriff und erinnerte sich daran, was sie geschrieben hatte.

1. Ein tolles Auto haben. Am liebsten hellgelb, weil das meine Lieblingsfarbe ist.

2. Es dem Sheriff heimzahlen – irgendwie, aber es muss gut gemacht sein.

3. Im größten Haus auf dem Lilac Hill wohnen.

4. Einen Sex-Shop aufmachen. Kates Idee, aber sie ist gut.

5. Eine bedeutende Persönlichkeit werden. Anmerkung: Das sollte eigentlich an erster Stelle stehen.

Witzig. Irgendwie kindlich. Und doch ziemlich verlockend, wenn man bedachte, dass sie das erste Ziel bereits erreicht hatte. Vielleicht war das schon alles, was sie jemals im Leben schaffen würde, aber eines war ihr im Laufe ihrer interessanten Karriere bewusst geworden: Sie hatte Schwung und war voller Lebensfreude.

Sie wollte leben.

Aber wenn jemand glaubte, dass sie ihr Leben hier verbringen wollte, dann hatte er sich gewaltig geirrt. Lieber würde sie sich einen vereiterten Weisheitszahn ziehen lassen. Und zwar ohne Betäubung.

Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und wünschte sich sofort, sie hätte es nicht getan.

Autor

Jill Shalvis
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