Ihm verzeih ich alles

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Nach einem anstrengenden Drehtag freut sich die Regisseurin Zoe Collins auf einen gemütlichen Abend in ihrem Cottage. Doch alles kommt ganz anders als geplant: Plötzlich steht der gut aussehende Ingenieur Connel Hillier vor ihr - im Regen klatschnass geworden, da er eine Autopanne hatte - und bittet sie, ihn aufzunehmen. Vehement lehnt Zoe ab, ihn einzulassen - ein sinnloses Unterfangen. Connel nimmt sie auf seine Arme und trägt sie in ihr Bett. Danach geht er schnurstracks zum Duschen. Was wird er danach tun? Erregende Wünsche erwachen plötzlich in Zoe, die sie aber gleich wieder weit von sich weist. Sie kann doch nicht mit einem Fremden...


  • Erscheinungstag 25.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717995
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Normalerweise genoss Zoe es, nach einem langen Arbeitstag im Wagen nach Hause zu fahren. Dabei konnte sie sich entspannen und ihren Gedanken nachhängen, weil sie den Weg so gut kannte. Oft kamen ihr dann beim Fahren ganz neue Ideen. An diesem Abend war sie jedoch einfach zu erschöpft. Ihr Gesicht, das von flammend rotem Haar gerahmt wurde, wirkte blass, die grünen Augen wirkten müde. Bereits um fünf war sie aufgestanden, um sechs am Drehort gewesen und hatte schwarzen Kaffee aus einem Plastikbecher getrunken, während sie die Szene besprachen, die sie filmen wollten. Will, der Kameramann, hatte gestöhnt, als die Sonne am verhangenen Horizont blutrot über nebligen Feldern aufging.

„Ich hab’s gewusst! Sieh dir den Himmel an! Ein roter Morgenhimmel bedeutet nichts Gutes! Gestern war’s so schwül, da wusste ich gleich, dass ein Gewitter im Anzug ist.“

Gewöhnlich hatte Will einen guten Riecher fürs Wetter. Wie ein Tier konnte er Regen oder Gewitter aufziehen fühlen. Zoe hatte beschlossen weiterzuarbeiten, solange das Wetter hielt, weil Außenaufnahmen am folgenden Tag möglicherweise nicht mehr möglich waren. Also hatten sie bis nach sieben Uhr abends gedreht, als schwere Regengüsse einsetzten.

„Isst du mit mir zu Abend?“, hatte Will gefragt und sie mit seinen großen blauen Augen bittend angesehen.

Seufzend hatte Zoe gewünscht, er würde aufhören, sich um sie zu bemühen. Sie mochte Will sehr, aber nicht so, wie er es sich erhoffte.

„Wir essen alle zusammen“, hatte sie diplomatisch erklärt und bei der Verpflegungsfirma warmes Essen bestellt.

Als sie am Drehort alle in den Wohnwagen geklettert waren, in dem Will mit seinen kostbaren Kameras schlief, hatte er ihr einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen. Er war ein großer, schwerer Mann, beachtlich muskulös und besaß kantige Züge. Kameras seien weiblich und duldeten keine Rivalinnen, deshalb habe er nie geheiratet, war seine Redensart. Dann und wann war er mit einem der Mädchen vom Film gegangen, doch diese Beziehungen waren nie von Dauer gewesen. Seine Freundinnen waren es bald leid, die zweite Geige zu spielen, weil seine Arbeit ihm über alles ging.

Zoe war sicher, dass Will sein Werben schließlich aufgeben würde, wenn sie seine Einladungen immer wieder ablehnte. Außerdem glaubte sie sowieso nicht, dass er es ernst meinte. Er hoffte einfach nur, Erfolg zu haben, wo andere gescheitert waren. Da sie als uneinnehmbare Festung galt, betrachteten manche Männer es als Herausforderung, sie zu erobern. Das wurde allmählich langweilig.

Der Chilireis, den die Verpflegungsfirma für das Team geliefert hatte, war genau das Richtige fürs Regenwetter gewesen. Alle hatten sich wie hungrige Wölfe darüber hergemacht, bis auf Zoe, die auf ihre Linie achtete. Kein Wunder, dass ihr jetzt der Magen knurrte. Was hatte sie zu Hause vorrätig, das im Handumdrehen fertig und kalorienarm war? Eier? Suppe?

Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett verriet Zoe, dass es fast elf war. Was brauchte sie dringender? Essen oder Schlaf? Eigentlich beides.

Sie verlangsamte das Tempo an der Ecke der Hauptstraße, wo eine schmale Straße zu ihrem Haus abzweigte. Gähnend wartete Zoe, bis zwei Laster vorbeigebraust waren.

Unvermittelt tauchte aus der dunklen Regennacht ein Mann an Zoes Wagenfenster auf, und sie zuckte zusammen. Müde, wie sie war, glaubte sie im ersten Augenblick, sich die Erscheinung nur einzubilden. Doch dann beugte der Fremde sich vor und versuchte, die Tür zu öffnen.

Als lebenserfahrene Frau von zweiunddreißig war Zoe es gewöhnt, Entscheidungen zu treffen. Sie hatte vor wenig Angst – höchstens vielleicht vor Spinnen oder wenn der Etat überzogen oder ein Film nicht rechtzeitig fertig wurde. Doch im Moment war sie müde und abgespannt, und ihr fiel erst jetzt ein, dass sie die Türen zentralverriegelt hatte, ehe sie losgefahren war.

Auch der Fremde musste das bemerkt haben, denn er klopfte ans Fenster und sagte etwas, dabei strömte ihm der Regen übers Gesicht, das Prasseln übertönte seine Stimme.

Zoe beugte sich vor und betätigte den elektrischen Fensteröffner so, dass die Scheibe einen Spalt aufglitt. „Was wollen Sie?“

Die Stimme des Fremden war dunkel und etwas heiser, als hätte er sich erkältet oder zu viel geraucht. „Mein Wagen streikt. Könnten Sie mich zu einer Werkstatt mitnehmen?“

Er war ungewöhnlich groß, und sein dichtes dunkles Haar wurde von der Kapuze eines alten Marineanoraks halb verdeckt. Ein lockiger schwarzer Bart verbarg den größten Teil der unteren Gesichtshälfte des Mannes, und er wirkte eher wie ein Landstreicher als ein Wagenbesitzer. Unschlüssig betrachtete Zoe ihn. Seine Jeans waren derb und verschmutzt. Selbst wenn ihr Instinkt sie nicht gewarnt hätte, würde sie ihn nicht mitnehmen. Eine Frau, die nachts allein im Wagen unterwegs war, musste verrückt sein, einen fremden Mann in ihr Auto zu lassen. Zoe kannte genug Horrorgeschichten von Frauen, die das getan hatten.

„Die nächste Werkstatt ist schon seit neun geschlossen“, erwiderte sie abweisend. „Etwas weiter unten an der Straße, gegenüber der Kirche, befindet sich eine Telefonzelle. Von dort können Sie ein Taxi rufen.“

Der Mann sah sie mit seinen dunklen Augen durchdringend an. „Sie können mich hier nicht einfach im Regen stehen lassen“, erklärte er scharf. „Ich bin bis auf die Haut durchnässt. Bei der Telefonzelle war ich schon, aber sie ist verwüstet. Etwa drei Kilometer von hier bin ich durch ein Dorf gekommen und habe einen Pub gesehen, der noch geöffnet zu sein scheint. Sie könnten mich ohne große Mühe dort absetzen.“

„Ich rufe Ihnen mit dem Handy ein Taxi“, gab Zoe widerstrebend nach.

Sie griff in ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz, wühlte darin, bis sie das Handy gefunden hatte, und zeigte es dem Mann.

Der Wind blies ihm Regenschwaden ins Gesicht. Frierend schüttelte er sich. „Großartig. Machen Sie dem Fahrer Dampf, damit er schleunigst herkommt, ehe ich mir eine Lungenentzündung hole.“

Zoe tippte ihren PIN-Code ein, musste jedoch feststellen, dass die Batterie leer war.

„Tut mir leid, es funktioniert nicht.“ Als Beweis hielt Zoe das Handy hoch. „Ich hab’s seit heute Morgen nicht mehr benutzt, aber die Batterien nutzen sich auch ab, wenn man nicht telefoniert.“ Der Regen rann dem Mann wie Tränen übers Gesicht, und Mitgefühl stieg in ihr auf. Sie hätte nicht mit ihm tauschen mögen. Bei einer Frau hätte sie nicht gezögert, sie mitzunehmen, doch bei einem fremden Mann war das einfach zu gefährlich.

„Hören Sie, ich rufe Ihnen ein Taxi, sobald ich zu Hause bin“, versprach sie. „Warten Sie hier, gleich kommt eins vorbei.“

Doch der Fremde hielt sich an der Tür fest und beugte sich so in den Wagen, dass Zoe sich bedroht fühlte. „Woher soll ich wissen, ob Sie Wort halten?“

Nun verlor Zoe die Geduld. Sie war müde, hatte Kopfschmerzen und wollte nur noch nach Hause und schlafen. „Sie müssen mir eben vertrauen. Und jetzt gehen Sie mir bitte aus dem Weg, sonst fahre ich los, auch wenn Sie sich an die Tür klammern. Und glauben Sie nicht, dass ich das nicht fertig bringe.“

„Ach, das traue ich Ihnen durchaus zu!“ Der Mann ließ die Tür nicht los. „Haben Sie sich aber auch überlegt, wie das in den Medien klingen wird?“

Zoe war sicher, dass der Mann zurückweichen würde, sobald sie losfuhr. Sicherheitshalber drückte sie auf die Taste, um die Scheibe zu schließen.

Zwar versuchte der Fremde, das Fenster offen zu halten, konnte jedoch nicht verhindern, dass die Scheibe nach oben glitt. Wenn er nicht eingeklemmt werden wollte, musste er die Hand zurückziehen.

Entschlossen gab Zoe Gas und fuhr davon. Im Rückspiegel erhaschte sie einen Blick auf den Mann, der im strömenden Regen stand und ihr starr nachsah. Selbst auf die Entfernung wirkte er ungewöhnlich breitschultrig und groß – Zoe schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig –, und die nassen Jeans klebten ihm an den langen, muskulösen Beinen. Sie musste sich eingestehen, dass er attraktiv und kraftvoll aussah.

Doch sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich für Männer wie ihn interessierten.

Irgendwie erinnerte er sie an jemanden, aber Zoe war zu müde, um darüber nachzudenken, während sie die schmale Straße entlang zu ihrem Haus fuhr. Nach drei Minuten sah sie das rote Dach, das von den Bäumen in ihrem Garten halb verdeckt wurde.

Zoe hatte „Ivydene“ wegen seiner friedvollen Lage und dem malerischen Blick auf Felder und Wälder inmitten einer fast noch unberührt wirkenden Landschaft gekauft. Zwar gab es in der Umgebung noch andere Häuser, die jedoch, hinter Bäumen verborgen, in die Landschaft eingebettet lagen. Unmittelbare Nachbarn gab es nicht, sodass auch keine erleuchteten Fenster zu sehen waren. An diesem Abend wünschte Zoe, es wäre nicht so. Die kurze Begegnung mit dem Mann hatte sie beunruhigt.

Sie bog in ihre Auffahrt ein, stellte den Wagen direkt vor der Haustür ab und eilte unter das schützende rot gedeckte Verandadach des Eingangs. Von dort verschloss sie den Wagen. Der Regen trommelte auf das Verandadach und rann über die Efeuranken an den Wänden. Rasch zog Zoe ihre Regenjacke aus und hängte sie zum Abtropfen an einen Mauerhaken. Nachdem Zoe sich auch der Stiefel entledigt und sie an die Verandawand gestellt hatte, schloss sie die Haustür auf und schaltete das Licht in der Diele ein.

Sekundenlang stand Zoe reglos da und lauschte, doch außer dem lauten Ticken der großen viktorianischen Standuhr in der Diele war alles still. Seit drei Jahren wohnte Zoe nun hier. Als sie das Haus mit den drei Schlafzimmern gekauft hatte, war es ziemlich heruntergewirtschaftet gewesen. Nachdem es ein Jahr lang leer gestanden hatte, war das Dach undicht gewesen, an den Tapeten hatte sich Schimmel gebildet, und Jungen aus der Nachbarschaft hatten einige Fenster zertrümmert.

Um die teuren Renovierungskosten zu sparen, hatte Zoe das Haus in ihrer Freizeit selbst auf Vordermann gebracht, es gestrichen, tapeziert und Vorhänge und Teppiche ausgesucht. Das gemütliche kleine Landhaus war in der Zeit König Eduards gebaut worden, und seine geräumigen Zimmer zeichneten sich durch hohe Decken, Stuckverzierungen, elegante schmiedeeiserne Feuerstellen und massive Eichentüren aus. Sogar eine Anrichtekammer war vorhanden.

Auf Strümpfen ging Zoe in die Küche und begutachtete den Inhalt des Kühlschranks. Sie fand nichts Besonderes. Wenn sie zu dieser späten Stunde etwas Schweres aß, würde sie nicht schlafen können. Also war es besser, sich mit Tomatensuppe und Toast zu begnügen. Im Nu hatte Zoe eine Dose geöffnet und den Inhalt zum Erhitzen in einen kleinen Topf gegeben. Jetzt brauchte sie nur noch zwei Scheiben Brot in den Toaster zu schieben.

Danach ging Zoe ins Wohnzimmer und schaltete den Anrufbeantworter ein. Sie musste lächeln, als die fröhliche Stimme ihrer Schwester den Raum erfüllte.

„Hallo, ich bin’s. Vergiss die Grillparty am Samstag nicht. So um sechs. Wenn du willst, bring jemanden mit – wer ist der neueste Glückliche? Und irgendeine Flasche. Limo, Wein, egal was.“

Im Hintergrund ertönte Gequieke, untermalt von Gehämmer und krachenden Geräuschen.

„Sing leise, Liebes“, sagte Sancha in dem gewohnt nachsichtigem Ton, mit dem sie stets mit dem kleinen Ungeheuer sprach, das Flora hieß. Sollte dieses Gewimmer wirklich Singen sein? Zoe schaltete das erstaunlich echt aussehende elektrische Holzfeuer der Herdstelle ein. Die Zentralheizung ging abends automatisch um sechs an, doch sie lieferte nur Hintergrundwärme, und in einer Nacht wie dieser brauchte Zoe das Gefühl, vor Flammen zu sitzen.

„Zoe, ich habe aufregende Neuigkeiten für dich! Ich … lass die Katze, Liebling!“, rief Sancha unvermittelt, und Fauchen und Miauen mischten sich in Floras Gesang.

„Muss Schluss machen“, erklärte Sancha hastig. „Sie versucht, die Katze durch die Laufstallstäbe zu ziehen. Zoe, denk dran, und komm nicht zu spät. Bis dann!“ Sie legte auf, Surren ertönte, dann meldete sich eine andere Stimme.

„Zoe, bitte, ich muss dich sprechen. Darüber sollten wir doch reden können!“

Zoe bediente den Schnellvorlauf, um Larrys rauchige Stimme nicht hören zu müssen. Noch vor wenigen Wochen hatte sie sich gern mit ihm getroffen, doch mehr war da nicht gewesen. Sie hatten einfach nur Spaß gehabt. Larry war ein netter junger Mann, als er aber anfing, die Sache ernst zu nehmen, hatte Zoe die Beziehung beendet. Ein glatter Bruch war besser, ehe Larry zu viel erwartete. Früher hatte Zoe manchmal gezögert und eine Beziehung zu lange fortgesetzt. Sie wollte niemandem wehtun, sich jedoch auch nicht verpflichtet fühlen, mit jemandem ins Bett zu gehen, den sie nicht liebte.

Das Problem war nur, dass Larry sich nicht abweisen ließ. Nachdem Zoe ihm gesagt hatte, dass sie ihn nicht mehr treffen wolle, rief er sie mehrmals täglich an und schickte ihr beschwörende Liebesbriefe, die sie nervten.

Dabei war sie nicht die erste Frau für ihn. Er hatte andere Freundinnen gehabt. Zoe wusste alles über sie, weil Larry darauf bestanden hatte, ihr alle Einzelheiten seiner früheren Beziehungen zu schildern, obwohl Zoe sie gar nicht hören wollte.

Anfangs hatte sie Larry sehr gemocht, bis seine fast besessene Art, ihr seine Vergangenheit aufzudrängen, sie abzustoßen begann. Zoe selbst sprach nie von den Männern, die sie gekannt hatte. Sie schaltete diese Erinnerungen einfach ab wie ein Fernsehgerät. Lebe im Jetzt war ihre Devise. Die Zukunft lockt. Für sie war die Vergangenheit ein Land, das sie hinter sich gelassen hatte. Warum Zeit auf etwas verschwenden, das nicht wiederkehrt? hatte sie Larry erklärt. Daraufhin hatte er fast triumphierend gelacht und gefragt, ob sie eifersüchtig sei. Das sei unnötig, hatte er ihr versichert. Keine seiner früheren Freundinnen hätte ihm so viel bedeutet wie sie. Sie sei die Frau seiner Träume. Lieber wolle er sterben, als sie zu verlieren.

An diesem Punkt hatte Zoe beschlossen, sich von Larry zu trennen. Die Sache wurde ihr zu erdrückend. Bedauerlich, dass sie nicht schon früher erkannt hatte, wie besitzergreifend er war. Dann wäre sie gar nicht erst mit ihm ausgegangen. Inzwischen wünschte sie, ihm nie begegnet zu sein.

Jetzt ging es ihr nur noch darum: Wie konnte sie ihn dazu bringen, sie endlich in Ruhe zu lassen?

Seufzend strich Zoe sich eine rötlich braune Locke aus dem Gesicht. Morgen würde sie Larry einen höflich kühlen Brief schreiben und ihn bitten, sie nicht mehr anzurufen oder ihr zu schreiben. Wenn er dann nicht begriff, musste sie einen Anwalt einschalten. Larry komplizierte ihr Leben nur, und sie hatte genug von ihm.

Der nächste Anrufer auf dem Band war ein anderer Mann, dessen klagende Stimme Zoe ein Lächeln entlockte. „Zoe, ich bin gar nicht glücklich über die Entwicklung der Kosten …“

„Was gibt’s sonst Neues?“, bemerkte sie ironisch. Während der Buchhalter der Produktionsfirma jammernd eine Ausgabenliste herunterleierte, eilte Zoe in die Küche zurück, um zu verhindern, dass die Suppe anbrannte. Sie schaltete die Herdplatte aus, deckte ein Tablett, füllte Suppe in eine Schale, bestrich den Toast dünn mit Butter und trug alles ins Wohnzimmer.

Philip Cross predigte immer noch düster vor sich hin, als Zoe es sich in ihrem Armsessel vor dem elektrischen Kaminfeuer gemütlich machte.

„Bitte versuch zu sparen, wo immer du kannst, Zoe. Die Produktionsrechnungen sind erschreckend hoch. Ich faxe dir eine Liste mit Einsparvorschlägen. Die Transportkosten, zum Beispiel, ufern immer mehr aus – es muss doch auch billigere Möglichkeiten geben. Ruf mich an, nachdem du die Liste durchgegangen bist, und lass mich wissen, wie du darüber denkst.“

Der Anrufbeantworter schaltete sich aus, und Zoe verzog das Gesicht.

„Verkriech dich in deine Spinnstube, du staubige Buchhalterseele! Ich werde dir sagen, was ich denke, aber das wird dir nicht gefallen.“

Zoe ließ sich Tomatensuppe und Toast schmecken und verbannte Philip Cross und seine Sparpredigt aus ihren Gedanken. Im Moment wollte sie sich nicht damit befassen. Die Wärme des Feuers wirkte entspannend auf ihre müden Glieder, und sie genoss den Frieden um sich her.

Nach dem Essen lehnte Zoe sich wohlig zurück, blickte auf die Kunstscheite und gähnte einige Male.

Wenn sie nicht bald aufstand, würde sie im Sessel einschlafen. Langsam richtete sie sich auf und reckte sich. Dieser Tag hatte es in sich gehabt, bis zum Schluss, als dieser Bärtige …

Meine Güte! Den Mann hatte sie völlig vergessen! Zoe blickte auf die Uhr und stellte fest, dass seit ihrer Heimkehr eine halbe Stunde vergangen war. Ob der Typ immer noch dort wartete? Hatte es jetzt überhaupt noch Sinn, ihm ein Taxi zu bestellen?

Aber sie hatte es versprochen und musste Wort halten. Kurz entschlossen nahm Zoe den Hörer auf und wählte die Nummer des Taxiunternehmens im Ort, das sie gewöhnlich beauftragte.

Eine freundliche Männerstimme meldete sich.

„Hallo, hier ist Zoe Collins.“ Sie berichtete von dem Autofahrer mit der Panne. „Könnten Sie bitte jemanden hinschicken, für den Fall, dass er noch dort ist. Falls nicht, berechnen Sie mir die Leerfahrt.“

„Geht in Ordnung, Miss Collins. Wir schicken jemanden hin“, versprach der Mann und legte auf.

Zoe schaltete das Licht aus, trug das Tablett in die Küche, lud die Geschirrspülmaschine und ging nach oben, um vor dem Schlafengehen zu duschen. Den ganzen Tag über hatte sie körperlich und geistig unermüdlich gearbeitet: Sie hatte dem Team beim Rücken schwerer Gerätschaften geholfen, die Einstellungen konzentriert überwacht. Dabei war sie ständig herumgelaufen, um sicherzugehen, dass die Darsteller ihr Bestes gaben.

Die Arbeit war hart und anspruchsvoll und forderte die ganze Frau. Zoes Glieder schmerzten, und sie sehnte sich danach, die Spuren des Tages abzuwaschen.

Im Schlafzimmer zog sie sich aus, ging ins Bad und drehte die Dusche an. Das warme Wasser rann ihr herrlich sinnlich über Rücken und Brüste, den flachen Bauch, die Hüften und zwischen die Schenkel. Zoe hielt die Augen geschlossen und strich sich wohlig seufzend das nasse Haar aus dem Gesicht. Jetzt fühlte sie sich wieder wie ein Mensch. Dieser Augenblick gehörte für sie zu den schönsten des Tages.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, schlüpfte sie in einen warmen grünen Pyjama und wollte ins Bett gehen, als ihr einfiel, dass sie das Drehbuch unten gelassen hatte. Vor dem Einschlafen wollte sie die Szenen nochmals durchgehen, die am Morgen gedreht werden sollten. Sie eilte nach unten und fand das Drehbuch auf dem Küchentisch, wo sie es hingelegt hatte.

Zoe nahm es auf und wollte damit nach oben zurückkehren, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, weil sie ein Geräusch wahrgenommen hatte, das von draußen zu kommen schien. Mit angehaltenem Atem lauschte sie. Wieder knarrte eine Bohle. Atmete da nicht jemand leise?

Zoe bekam eine Gänsehaut. Sie hatte es sich nicht eingebildet. Draußen war jemand.

Fieberhaft überlegte sie. Was konnte sie notfalls als Waffe benutzen? Den Fleischklopfer? Eins von den superscharfen Küchenmessern, die sie in der Schublade aufbewahrte? Nein, die waren zu gefährlich. Der Einbrecher konnte es ihr entwinden und gegen sie einsetzen. Zoes Blick fiel auf das Tablett, das sie benutzt hatte. Es war aus lackiertem Holz und sehr schwer. Wenn sie dem Einbrecher damit eins über den Kopf zog, würde er vermutlich lange genug bewusstlos sein, dass sie die Polizei rufen konnte.

Lautlos legte Zoe das Drehbuch auf den Tisch zurück, nahm das Tablett und schlich damit in die Diele. In diesem Moment bewegte sich langsam der Knauf der Haustür, und sie wurde geöffnet. Zoe hob die Behelfswaffe über den Kopf und wartete reglos, dabei versuchte sie, ganz flach zu atmen.

Als eine dunkle Gestalt im Türrahmen erschien, sprang Zoe vor und schlug mit dem Tablett zu.

Doch der Einbrecher musste gespürt haben, dass sie hinter der Tür lauerte, oder er hatte ihr Spiegelbild im gegenüberliegenden Fenster gesehen, denn er reagierte ebenso prompt wie sie. Blitzschnell entriss er ihr das Tablett, ehe es ihn am Kopf treffen konnte, und schleuderte es durch den Raum, sodass es krachend auf dem Boden landete.

Sekunden später erkannte Zoe den Mann, und ihr wurde eiskalt. Die Größe, der Bart, das dunkle Haar … Herrje, das musste der Typ sein, den sie im Wagen hatte mitnehmen sollen!

„Versuchen Sie gar nicht erst, mir nahezukommen.“ Sie tastete nach einem Stuhl, mit dem sie den Mann abwehren konnte. „Ich habe einen Kurs in Selbstverteidigung gemacht.“

„Bilden Sie sich bloß nicht ein, ich hätte Interesse an Ihnen!“ Seine Augen glitzerten verächtlich, und Zoe schoss das Blut ins Gesicht.

Doch sie gab sich gefasst und hielt den Stuhl wie einen Schild vor sich. „Was wollen Sie dann? Und wie sind Sie hierher gekommen?“

„Zu Fuß. Und dank Ihnen bin ich jetzt noch nasser als vorher.“

„Wieso sollte das meine Schuld sein? Ich habe den Regen nicht gemacht!“

„Sie hatten versprochen, mir ein Taxi zu schicken.“

„Das habe ich auch getan. Aber anscheinend haben Sie nicht lange genug gewartet.“ Als der Mann sie durchdringend ansah, schlug Zoe das Gewissen. Widerstrebend gab sie zu: „Na ja, ich hatte Sie anfangs vergessen, aber dann ist es mir wieder eingefallen, und ich habe das Taxiunternehmen angerufen, das ich immer beauftrage, und gebeten, dass man Sie abholt.“

„Und warum ist niemand gekommen?“

„Woher soll ich das wissen? Aber ich habe angerufen – los, wählen Sie, und überzeugen Sie sich selbst. Dann können sie den Fahrer gleich schicken, damit er Sie abholt. Das Telefon steht dort.“ Zoe deutete auf die Wohnzimmertür. „Die Nummer steht auf dem Notizblock daneben. Fühlen Sie sich wie zu Hause.“

„Das gedenke ich auch zu tun“, erklärte der Mann grimmig.

Zoe wurde mulmig. „Wie meinen Sie das?“

„Ich bin bis auf die Haut durchnässt, mir ist kalt, ich bin müde und halb verhungert. Nachdem ich den ganzen Weg im strömenden Regen bis hierher gelaufen bin, habe ich nicht die Absicht, in den nassen Klamotten auf ein Taxi zu warten. Jetzt brauche ich dringend erst mal ein heißes Bad, warme Sachen und etwas zu essen – in genau der Reihenfolge. Und da Sie Ihr Versprechen nicht gehalten haben, mir sofort ein Taxi zu rufen, schulden Sie mir die Dinge, die ich brauche.“

„Hören Sie, es tut mir Leid, dass ich das mit dem Taxi vergessen habe, aber ich bin für Ihre Probleme nicht verantwortlich. Ich habe Ihre Wagenpanne nicht verursacht und den Regen nicht bestellt. Also hören Sie auf, mir für alles die Schuld zu geben. Wie haben Sie es überhaupt fertig gebracht, mir zu folgen? Woher wussten Sie, wo ich wohne?“

In den Augen des Fremden blitzte es auf, und ein ausweichender Ausdruck huschte über seine Züge. Zoe war plötzlich alarmiert. Was hatte das Ganze zu bedeuten? Irgendwie spürte sie auf einmal, dass er sie kannte oder genau gewusst hatte, wo sie wohnte. Was ging hier vor? Wer war dieser Mann?

„Sind Sie einer von meinen Nachbarn?“ Die meisten Leute in der Umgebung kannte Zoe vom Sehen oder zumindest dem Namen nach, aber dieser Mann war ihr fremd. Falls sie ihn je vorher gesehen hatte, hätte sie sich bestimmt an ihn erinnert.

Sie musterte den Eindringling nun genauer. Halt! Hatte sie vorhin nicht flüchtig das Gefühl gehabt, dass ihr etwas an ihm vertraut vorkam? Fieberhaft überlegte sie. Hatte sie ihn schon irgendwo getroffen? Und wenn ja, wo?

Doch Zoe fiel nichts ein, obwohl das Gefühl blieb, dass sie ihn irgendwie, irgendwo schon einmal gesehen hatte.

„Nein.“ Er zuckte die Schultern. „Ich habe eine Wohnung in London.“

Das erklärte noch lange nicht, wie er ihr Haus gefunden oder es geschafft hatte, bei ihr einzudringen. Scharf erinnerte Zoe ihn: „Sie haben mir immer noch nicht verraten, wie Sie hierher oder ins Haus gekommen sind.“

Das trug ihr einen feindseligen Blick ein. „Ich habe in dem Wolkenbruch zwanzig Minuten gewartet, bis mir klar wurde, dass Sie mir kein Taxi gerufen haben. Daraufhin bin ich Ihrem Wagen nachgegangen, weil ich mir dachte, dass es irgendwo Häuser geben müsste und ich bei jemandem telefonieren könnte. Als ich hier Licht sah, bin ich die Auffahrt entlanggegangen. Dann habe ich Ihren Wagen draußen wiedererkannt und einige Minuten an der Haustür geklopft, aber vergeblich.“

Da muss ich gerade geduscht haben, dachte Zoe.

„Schließlich merkte ich, dass die Haustür unverschlossen war“, setzte der Mann hinzu.

„Sie lügen! Ich hatte abgeschlossen.“

„Nein, das haben Sie nicht. Sie war unverschlossen – überzeugen Sie sich selbst“, forderte der Fremde sie auf.

Tatsächlich wusste Zoe nicht mehr so genau, ob sie abgeschlossen hatte oder nicht. Normalerweise tat sie das stets. Diesmal hatte sie es jedoch besonders eilig gehabt, ins Haus zu kommen.

Unschlüssig betrachtete sie die abgespannten Züge des Fremden, seine triefnasse Kleidung, und das Mitgefühl trug den Sieg davon. „Natürlich kann ich Ihnen etwas Heißes zu essen und zu trinken anbieten, aber Männersachen habe ich leider nicht. Es wäre sinnlos, Sie hier baden zu lassen und Sie dann wieder in den Regen rauszuschicken. Ich rufe das Taxiunternehmen noch einmal an und mache Ihnen etwas zu essen, während Sie auf den Wagen warten. Was halten Sie davon?“

„Hal hat recht. Sie sind eine kaltblütige kleine Hexe“, höhnte der Fremde.

Argwöhnisch sah Zoe ihn an. „Hal?“

„Mein Cousin Hal Thaxford.“

Plötzlich dämmerte es ihr. „Hal Thaxford? Sie sind sein Cousin?“ Forschend betrachtete sie die Züge des Fremden, und nun wusste sie endlich, wieso er ihr bekannt vorgekommen war. Die Ähnlichkeit war da – die gleiche Hautfarbe, die gleiche Gestalt und Gesichtsform, der finstere Blick, der Hal Thaxford zu einem der bekanntesten Fernsehstars gemacht hatte. Zoe hielt nicht viel von seinen schauspielerischen Fähigkeiten. Meist tauchte er nur oberflächlich in die Rollen ein, die er spielte, und setzte vor allem auf sein blendendes Aussehen, seine erotische Ausstrahlung und die Wirkung seiner finsteren Blicke, die bei den Frauen groß ankamen. Er war stets ausgebucht und kassierte Spitzengagen, warum sich also die Mühe machen, schauspielerisch an sich zu arbeiten?

„Sind Sie auch Schauspieler?“

„Nein“, erwiderte der Fremde verächtlich. „Ich habe nichts mit der Filmbranche zu tun, aber ich kenne die Glitzerwelt, in der Sie zu Hause sind. Hal hat mir genug davon erzählt – und auch von Ihnen.“

Angelegentlich betrachtete er Zoes schlanke Gestalt in dem Pyjama, der ihre kleinen Brüste betonte, und die Hüften und die langen, schlanken Beine locker umspielte.

Der abschätzige Ausdruck in seinen Augen ärgerte Zoe. Gut, Hal mochte sie nicht besonders, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie gehörte nicht zu seinen Bewunderinnen. Aber was mochte Hal diesem Mann gesagt haben, dass er sie so ansah?

Autor

Charlotte Lamb
Die britische Autorin Charlotte Lamb begeisterte zahlreiche Fans, ihr richtiger Name war Sheila Holland. Ebenfalls veröffentlichte sie Romane unter den Pseudonymen Sheila Coates, Sheila Lancaster, Victoria Woolf, Laura Hardy sowie unter ihrem richtigen Namen. Insgesamt schrieb sie über 160 Romane, und zwar hauptsächlich Romances, romantische Thriller sowie historische Romane. Weltweit...
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