Im Bett des sexy Milliardärs

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"Wie immer, Mr. Wyatt?" Jeden Abend mixt Jeannie ihrem Lieblingsgast einen perfekten Drink. Doch als sie sich plötzlich um ihre Nichte kümmern muss, ist Schluss mit dem Barjob. Jeannies Lage ist katastrophal: kein Geld, keine Erfahrung mit Babys. Aber da steht Robert Wyatt unvermittelt vor ihrer Tür. Mit einem Handstreich löst der Milliardär alle Probleme und verabschiedet sich mit einem atemberaubenden Kuss. Doch dafür verlangt er etwas: Jeannie muss wieder für ihn da sein. Warum braucht der Mann, der alles hat, ausgerechnet sie in seinem Leben?


  • Erscheinungstag 23.07.2019
  • Bandnummer 2090
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725303
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Guten Abend, Dr. Wyatt.“ Jeannie Kaufman nickte dem Mann zu, der seinen gewohnten Platz am Ende der Bar einnahm, so weit entfernt von den anderen Gästen wie möglich. Wie immer freitagabends herrschte viel Betrieb im Trenton’s, einem Restaurant mit Bar.

„Jeannie.“ Es war sein gewohnt knapper Tonfall. Aber an diesem Abend hörte sie noch etwas anderes heraus, eine gewisse Anspannung.

Dr. Robert Wyatt war – gelinde gesagt – ein ungewöhnlicher Mann. Seiner Familie gehörte Wyatt Medical Industries, und Dr. Wyatt selbst war im vergangenen Jahr in die Top Five der Junggesellen-Milliardäre in Chicago aufgestiegen. Das hatte sicher ebenso viel mit dem Vermögen seiner Familie zu tun wie mit der Tatsache, dass er gut einen Meter achtzig groß war, gut proportioniert und muskulös. Dazu kamen das üppige schwarze Haar und seine eisblauen Augen.

Als wären sein Reichtum und sein attraktives Äußeres nicht genug, war der Mann auch noch Herzchirurg auf einer Kinderstation. Er rettete Leben. Jeannie hatte gelesen, dass er bei Familien, die die astronomischen Kosten nicht tragen konnten, stillschweigend die Rechnungen selbst beglich.

Ein Mann, zu gut, um wahr zu sein.

Sie suchte immer noch nach den Schattenseiten hinter all der Perfektion. Schließlich hatte sie genügend reiche und attraktive Gäste, die ausgesprochen unsympathisch waren.

Nicht so Dr. Wyatt.

Er war anders – distanziert, präzise und, soweit sie das beurteilen konnte, vollkommen furchtlos. Eigenschaften, die ihn zu einem herausragenden Chirurgen machten. Falls er stolz auf sich war, so hatte sie davon bisher allerdings nichts bemerkt.

An fünf Abenden in der Woche kam er in die Bar, immer genau um acht Uhr. Er nahm immer denselben Platz ein, bestellte immer den gleichen Drink und gab ihr immer das gleiche Trinkgeld: einen Hundertdollarschein für eine Rechnung über zwanzig Dollar. Er trat niemandem zu nahe, weder den Gästen noch der Bedienung, und wehrte Flirtversuche jeglicher Art, sei es von Frauen oder von Männern, schroff ab.

Er war ihr absoluter Lieblingsgast.

Noch ehe er dazu kam, seine Manschetten zu richten – etwas, das er schon mit fast krankhafter Regelmäßigkeit tat –, stellte Jeannie seinen Manhattan vor ihn hin.

Sie war nun schon seit fast drei Jahren für seinen Drink zuständig. Sein Manhattan enthielt nur den zweitteuersten Rye-Bourbon, den es auf dem Markt gab, weil Dr. Wyatt der Geschmack wichtiger war als der Preis. Dazu kam ein Wermut, den sie exklusiv für ihn aus Italien kommen ließ. Nicht zu vergessen ein Schuss Bitterlikör, von dem die Flasche über hundert Dollar kostete. Alles war perfekt aufeinander abgestimmt und in einem Fass aus amerikanischer Eiche sechzig Tage gereift, serviert in einem eisgekühlten Martiniglas mit einer Zitronenspirale. Fast acht Monate hatten sie mit verschiedenen Mengen der Zutaten experimentiert, bis der Drink perfekt war.

Aber das war es wert gewesen.

Jedes Mal, wenn er das Glas an die Lippen hob, so wie in diesem Moment, hielt Jeannie den Atem an. Fasziniert beobachtete sie die Muskeln an seinem Hals beim Schlucken. Er zeigte keinerlei Gefühle, heuchelte keine Freundlichkeit. Aber wenn er dann das Glas zurück auf den Tresen stellte …

Er lächelte!

Es war kaum als Lächeln zu bezeichnen, und ein oberflächlicher Betrachter hätte es sicher nicht einmal wahrgenommen. Aber sie kannte Dr. Wyatt gut genug, um zu wissen, dass die leichte Lippenbewegung und die flüchtige Wärme in seinem Blick dem entsprachen, was bei anderen Menschen ein Freudentanz war.

„Perfekt“, murmelte er und sah ihr dabei in die Augen.

Es war das einzige Kompliment, das sie je von ihm gehört hatte.

Ihre innere Anspannung wuchs, als sie spürte, wie heißes Verlangen sie durchströmte. Sie bot keinen Sex zu den Drinks, aber sollte sie je von dieser Regel abweichen, dann wäre es für ihn.

Bedauerlicherweise kam er nur wegen des Drinks.

Jeannie liebte historische Liebesromane. Seit drei Jahren schon stellte sie sich Robert immer wieder als Grafen vor, der in eine unpassende Rolle gedrängt wurde. Als einen Adeligen, der das Gedränge in den Ballsälen hasste, der dennoch der Etikette genügen und all das tun musste, was Adelige eben so machten, während er nur Arzt sein und ansonsten in Ruhe gelassen werden wollte. In diesen Romanen gab es immer eine Haushälterin oder eine im Grunde anständige Taschendiebin – manchmal auch eine junge Frau aus der Taverne –, die sein Herz zum Schmelzen brachte und ihn lehrte zu lieben.

Jeannie schüttelte ihre Träume ab. Sie schenkte den Scotch für den Handelsvertreter am anderen Ende der Bar ein und machte den Wein für Tisch elf fertig, aber ihre Aufmerksamkeit war ganz auf Wyatt konzentriert. Sie musste ihm endlich die schlechte Nachricht überbringen. Sie würde in der nächsten Woche nicht in der Bar arbeiten, weil sie ihrer Schwester Nicole beistehen wollte, die ein Baby erwartete.

Dieses Baby war der Anlass dafür, dass Jeannie und ihre Schwester wieder eine Familie sein wollten. Alle anderen hatte Jeannie verloren. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt, er war bereits vor ihrer Geburt verschwunden. Ihre Mutter war gestorben, als Jeannie zehn war, und Nicole …

Es spielte keine Rolle mehr, was in der Vergangenheit zwischen den beiden Schwestern schiefgelaufen war. Wichtig war nur, dass sie beide diese Chance ergreifen wollten, wieder eine Familie zu sein. Melissa – so wollten sie das Baby nennen – war das Band, das sie zusammenhielt. Jeannie wollte für ihre Schwester da sein, so wie Nicole für sie da gewesen war, als ihre Mom gestorben war und die beiden Schwestern allein gelassen hatte.

Um zu zeigen, wie ernst es ihr war, hatte Jeannie sogar angeboten, wieder zu Nicole in das Haus ihrer Kindheit zu ziehen. Es wäre eine Katastrophe gewesen und hätte den noch brüchigen neugefundenen Frieden zwischen ihnen sicher gefährdet, aber Jeannie hatte es dennoch angeboten, weil es das war, was eine Familie ausmachte – man brachte Opfer und hielt auch in schweren Zeiten zusammen. Erst jetzt, mit sechsundzwanzig, war Jeannie bewusst, wie sehr Nicole sich für sie aufgeopfert hatte. Da schien es ihr selbstverständlich, dass sie sich revanchierte.

Nicole hatte ihr für das Angebot gedankt, meinte aber, es sei nicht nötig, dass sie wieder ein Haus teilten. Jeannie sollte ihre Arbeit im Trenton’s behalten und sich weiterhin um Dr. Wyatt kümmern. Jeden Morgen um zehn würde sie Nicole besuchen, um ihr beim Kochen und Putzen zu helfen oder sich um das Baby zu kümmern.

Jeannie mochte nicht die beste Schwester der Welt sein, aber auf jeden Fall wollte sie sich bemühen, die beste Tante zu werden.

So sah jedenfalls ihr Plan aus.

Dieser Plan hatte nur einen Haken: Dr. Wyatt reagierte nicht gut auf Veränderungen. Das hatte sie sechs Monate nach Beginn ihrer speziellen Beziehung gemerkt. Sie hatte eine Erkältung gehabt und war zu Hause geblieben. Dr. Wyatt hatte ziemlich aufgebracht reagiert, als ihr Kollege Tony ihm an dem Abend einen Manhattan mixte, der vielleicht nicht ganz so gelungen war wie ihrer. Julian, der Besitzer des Trenton’s, berichtete ihr kurz danach, dass Tony eine neue Stelle gefunden habe. Jeannie wusste, das konnte kein Zufall sein.

Bestimmt die Hälfte der Zeit an der Bar verbrachte Dr. Wyatt schweigend. Das war in Ordnung für sie. Aber wenn er dann redete, dann war es kein belangloser Small Talk oder irgendeine abgedroschene Anmache. Jedes einzelne Wort konnte ihr das Herz brechen oder sie dazu bringen, sich noch weiter in ihn zu verlieben.

„Also …“, begann er.

Jeannie wartete geduldig und arrangierte dabei die Gläser neu. Er würde reden, wenn er so weit war.

Hatte er einen Patienten verloren? Soweit sie wusste, waren ihm bei einer OP erst zwei oder drei Kinder verstorben, und das war jedes Mal schrecklich. Er hatte versagt. Das war alles, was er dazu sagte. Aber die Art, wie er dann an seinem Drink genippt hatte, sprach Bände.

Beim letzten Mal, als das passiert war, hatte sie sich im Waschraum die Augen ausgeweint, nachdem er gegangen war. Hinter seiner kühlen Fassade verbarg sich ein Meer an Gefühlen – und wenn er einen Patienten verlor, dann geriet dieses Meer in Aufruhr.

Nach den drei Jahren, in denen sie ihm zugehört hatte, während er ihr in nüchternem Ton sein Herz ausschüttete, wusste sie nur allzu gut, was mit Babys alles schiefgehen konnte. Das machte sie so nervös beim Gedanken an Nicole und Melissa.

„Ich habe da heute etwas erfahren“, fuhr er nach langem Schweigen fort, als ihre Nerven bereits aufs Höchste gespannt waren.

Sie musterte ihn, während sie die Zitronen beiseiteschob und sich an die Limetten machte. Er richtete seine Manschetten und nippte an seinem Drink.

Sie bezwang den Wunsch, wieder auf ihr Handy zu blicken. Nicole würde ihr eine Nachricht schicken, wenn etwas passierte. Dies war die Nacht der Nächte, Jeannie spürte es genau.

Wyatt räusperte sich. „Ich wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass mein Vater sich für das Amt des Gouverneurs bewerben will.“

Jeannie erstarrte. Das Messer blieb mitten in einer Limette stecken. Hatte sie Dr. Wyatt je von seinen Eltern sprechen hören? Und wer hatte ihn in Kenntnis gesetzt? Was für eine merkwürdige Formulierung! „Wirklich?“

„Ja“, sagte Dr. Wyatt rasch. Die unverkennbare Bitterkeit in seinem Ton konnte nur eines bedeuten: Es war eine extrem schlechte Nachricht.

Jeannie arbeitete seit ihrem achtzehnten Geburtstag in der Bar, obwohl es ihr gesetzlich erst mit einundzwanzig erlaubt gewesen wäre, Alkohol auszuschenken. Sie wollte unbedingt fort von ihrer Schwester. Nicole war dagegen gewesen, dass Jeannie sich eine Arbeit suchte – vor allem als Barkeeperin. Sie wollte, dass Jeannie das College besuchte und Lehrerin wurde wie sie selbst. Der Wunsch, eine eigene Bar zu besitzen, war in ihren Augen nicht nachvollziehbar.

Nach dem Streit war Jeannie ausgezogen. Sie hatte sich als älter ausgegeben und den Job von der Pike auf gelernt. Seit sie in dieser Nobelbar arbeitete, hatten ihr schon unzählige Männer und Frauen ihr Herz ausgeschüttet, aber nie zuvor hatte sie einen Gast wie Robert Wyatt gehabt.

Der Arzt leerte sein Glas in zwei Zügen. „Das Problem ist …“, er stellte das Glas mit solchem Nachdruck zurück auf die Bar, dass es Jeannie nicht gewundert hätte, wenn es in tausend Stücke zerbrochen wäre, „… wenn er sich als Kandidat bewirbt, wird er von uns erwarten, dass wir neben ihm stehen, als wären wir eine große, glückliche Familie.“

Sie trocknete sich die Hände ab und tat nicht länger so, als arbeitete sie. „Klingt, als wäre das ein Problem.“

„Sie haben ja keine Ahnung“, knurrte er, was noch irritierender war. Seit wann sprach Dr. Robert Wyatt anders als knapp und präzise?

Sein anthrazitgrauer Dreiteiler war ebenso maßgeschneidert wie das Hemd mit den Manschettenknöpfen, die wie Saphire blitzten. Die blau-orange gestreifte Krawatte passte perfekt zum akkurat sitzenden Einstecktuch. Es war September, und Chicago litt unter den letzten Ausläufern der Sommerhitze, aber Dr. Robert Wyatt kleidete sich, als wäre ihm etwas so Profanes wie Schwitzen fremd.

Seine Krawatte hatte sich etwas gelockert, als hätte er frustriert daran gezerrt. Sein Haar war nicht sorgfältig zurückgestrichen, sondern zerzaust. Es sah gut aus, wie alles an ihm gut aussah, aber es war anders. Statt seiner sonst so aufrechten Haltung saß er mit hängenden Schultern da, den Kopf geneigt. Als er zu ihr aufsah, bemerkte sie die Sorgenfalten auf seiner Stirn. Er wirkte, als laste das Elend der ganzen Welt auf seinen Schultern.

Es tat weh, ihn so zu sehen.

Wäre es ein anderer Mann gewesen, irgendein anderer Gast, dann hätte sie ihn tröstend in den Arm genommen, denn genau das schien er zu brauchen. Aber sie hatte gesehen, wie Wyatt zurückzuckte, wenn jemand ihn berührte.

„Niemand kann Sie zwingen.“ Sie sprach leise und ruhig.

„Aber ich muss!“ Er zupfte an seinen Manschetten. „Ich habe keine Wahl.“

„Wieso nicht? Wenn hier jemand eine Wahl hat, dann doch wohl Sie! Wenn Sie halb Chicago aufkaufen wollten, um hier Gnus zu züchten, dann könnten Sie das tun. Sie können tun und lassen, was Sie wollen, einfach weil Sie Dr. Robert Wyatt sind.“

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder. Wortlos erhob er sich, warf ein paar Geldscheine auf die Bar und wandte sich zum Gehen.

„Dr. Wyatt? Warten Sie!“ Als er einfach weiterging, rief sie: „Robert!“

Damit hatte sie seine Aufmerksamkeit.

Sie zuckte zusammen, als er zur ihr herumfuhr. Es war unübersehbar, er war wütend. Seine Wut war nicht unter Schichten von eisiger Ruhe verborgen, sie lag offen zutage.

War er sauer, weil sie seinen Vornamen benutzt hatte? Oder weil sie ihm widersprochen hatte? Es spielte keine Rolle. Sie beabsichtigte nicht, vor seinem Zorn einzuknicken. „Ich wollte Ihnen nur sagen: Ich muss mich in der nächsten Woche um eine Familienangelegenheit kümmern. Dafür nehme ich Urlaub.“

Sein Zorn wich Verwirrung. Sekunden später war er wieder zurück an der Bar. „Wie lange?“

Sein durchdringender Blick gab ihr das Gefühl, für ihn der einzige Mensch auf der Welt zu sein.

„Nur eine Woche. Übernächsten Montag bin ich wieder da. Versprochen.“ Sein Ausdruck brach ihr fast das Herz. Sie verliebte sich noch ein wenig mehr in ihn. „Kommen Sie zurecht?“

Etwas Warmes streifte ihre Hand. Hatte er sie tatsächlich berührt? Als sie den Blick senkte, war Robert bereits wieder dabei, seine Manschetten zu richten. „Natürlich“, sagte er wegwerfend, als sei es ausgeschlossen, dass er nicht zurechtkam. „Ich bin ein Wyatt.“

Dann ging er.

Jeannie sah ihm nach. Ehe sie sich entscheiden konnte, wie viele Sorgen sie sich um ihn machen sollte, meldete ihr Handy sich. Nicole schrieb:

Es geht los!

„Es geht los!“, schrie Jeannie. Ihre Kollegen applaudierten.

Dr. Robert Wyatt musste warten. Jeannies Nichte hatte Vorrang.

2. KAPITEL

Heute sollte Jeannie zurück sein.

Robert war nicht ins Trenton’s gegangen, solange sie nicht da war. Die allabendliche Routine mit ihr fehlte ihm sehr. Er verbrachte mehr Zeit im Büro, ging Patientenakten durch und erledigte Schriftliches. Dabei mied er es, an Landon Wyatt oder die Politik zu denken.

Endlich war Montag, und Jeannie wartete wieder auf ihn. Es beunruhigte ihn, wie wichtig es ihm war, dass sie da war. Sie war einfach nur eine Barkeeperin, die den perfekten Manhattan kreiert hatte. Jeder konnte einen Drink mixen.

Das war Unsinn, und er wusste es.

Er hätte sie nie berühren sollen. Aber sie hatte ihn mit ihren großen braunen Augen angesehen und ihn gefragt, ob er zurechtkäme. Als sei es ihr wirklich wichtig. Nicht weil er der Milliardär Dr. Robert Wyatt war, sondern weil er Robert war.

Das war es, was ihm in der vergangenen Woche gefehlt hatte. Einfach nur … Robert zu sein.

Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht auf das Display sah, bevor er das Gespräch annahm. „Wyatt.“

„Bobby?“

Robert erstarrte. Das konnte nicht sein … Niemand sonst nannte ihn so.

„Mom?“

„Hi, Darling.“ Die Stimme von Cybil Wyatt klang schwach. „Wie geht es dir?“

Fast drei Jahre waren vergangen, seit er das letzte Mal mit seiner Mutter gesprochen hatte.

Er war schon auf dem Weg zum Fahrstuhl gewesen und kehrte jetzt rasch wieder in sein Büro zurück. „Kannst du reden? Hast du auf laut gestellt?“

„Darling“, fuhr sie fort, und ihre Stimme bebte dabei leicht, „du hast doch von Alexander gehört, oder?“

Das hieß nein. Sie konnte nicht frei sprechen.

Alexander war Landons Assistent. „Ja. Er sagte, Landon will sich um das Amt des Gouverneurs bewerben.“ Eine schreckliche Vorstellung – für den Staat ebenso wie rein persönlich betrachtet.

Robert wusste: Landon Wyatt wollte mit Sicherheit nur Gouverneur werden, weil er einen persönlichen Vorteil darin sah. Es genügte ihm nicht, Politiker und Lobbyisten zu kaufen – er wollte immer noch mehr.

„Dein Vater möchte dich an seiner Seite haben.“ Die Art, wie sie sich räusperte, weckte in Robert den Wunsch, mit etwas um sich zu werfen. „Wir hätten dich gern an unserer Seite“, korrigierte sie sich. Der Schein der heilen Familie musste um jeden Preis gewahrt bleiben.

„Hast du auf laut gestellt?“

Sie lachte gekünstelt. „Natürlich nicht. Alles ist vergeben und vergessen, Darling. Wir wissen beide, dass du es nicht so gemeint hast.“

Hm. Wenn sie nicht auf laut gestellt hatte, saß sie wahrscheinlich in Landons großem Büro, und er beobachtete sie aus zusammengekniffenen Augen – die gleichen Augen, die Robert jeden Morgen im Spiegel ansahen – und achtete darauf, dass Cybil sich an den Text hielt. „Lass mich dir helfen, Mom. Ich kann dich von ihm wegbringen.“

„Wir haben in zwei Wochen eine Gala, um die Kandidatur öffentlich zu machen.“ Ihre Stimme war rau, aber sie sprach weiter. „Sie findet in der Winston Art Gallery statt, direkt an der Magnificent Mile.“

„Ich weiß, wo die Galerie ist.“

„Es würde deinem Vater und mir viel bedeuten, dich dort dabeizuhaben.“

Robert hatte keinen Zweifel daran, dass seine Mutter ihn sehen wollte. Für Landon war das nur eine weitere Möglichkeit, Druck auf ihn auszuüben. Er hatte sich geschworen, Landon diese Macht nie wieder zu geben – sogar wenn es ihn die Beziehung zu seiner Mutter kostete.

„Sag mir, was ich tun kann, um dir zu helfen, Mom.“

Es entstand eine kleine Pause. „Wir haben dich auch vermisst.“

Verdammt. Er wollte nicht heile Familie spielen, weder privat und schon gar nicht für die Öffentlichkeit. Aber er kannte Landon gut genug, um zu wissen, wenn er nicht erschien, musste seine Mutter den Preis zahlen.

So wie immer.

Das konnte er nicht zulassen. Von allen Dingen, die Landon Wyatt sich geleistet hatte und sich noch leisten würde, war dies das Schlimmste: Cybil quasi als Geisel zu nehmen, damit Robert kooperierte.

Dagegen musste er etwas unternehmen. „Denk über das nach, was ich gesagt habe, okay? Wir sprechen uns dann in der Galerie.“

Sie atmete auf. „Das ist ja wunderbar, Junge. Es beginnt um sieben, aber es wäre schön, wenn du schon eher da sein könntest. Dein Vater möchte, dass wir alle genau wissen, worum es geht.“

Robert musste ein Stöhnen unterdrücken. Wissen, worum es geht. Das war eine Drohung. Ganz unverkennbar. „Ich bemühe mich. Ich muss zuerst Visite machen. Wenn ich dich von ihm fortbekomme – kommst du dann mit?“ Nach allem, was beim letzten Mal passiert war …

„Danke, Bobby.“ Er hoffte, dass das ein Ja war. „Ich … wir können es gar nicht erwarten, dich wiederzusehen.“

„Ich auch, Mom. Ich hab dich lieb.“

Die Leitung wurde unterbrochen.

Robert starrte lange ins Nichts.

Dies war genau die Situation, vor der er sich gefürchtet hatte. Landon zwang ihn, vor der Öffentlichkeit auf heile Familie zu machen. Er musste sich vor den Kameras neben ihn stellen. Musste wahrscheinlich selbst Reden halten – voller Lügen über Landons guten Charakter und seine guten Werke. Und wenn Robert es nicht machte …

Würde er seine Mutter dann je wiedersehen?

Landon würde tun, was auch immer er wollte, wenn Robert ihn nicht stoppte. Es musste eine Möglichkeit geben …

Sie können tun und lassen, was Sie wollen, einfach weil Sie Dr. Robert Wyatt sind, hörte er Jeannie wieder sagen.

Vielleicht hatte sie recht.

Jetzt brauchte er dringender denn je einen Drink.

„Und?“

Früher einmal hatte Cybil Landon Wyatts Stimme für die verführerischste Stimmte gehalten, die sie je gehört hatte.

Das war lange her. Sie hatte gerade das College abgeschlossen, war jung und naiv gewesen, als der charmante, fünfzehn Jahre ältere Milliardär sie für sich gewann.

Für den Fehler musste sie seither zahlen. „Er kommt.“

Landon zog eine Braue in die Höhe – eine Warnung.

Cybil lächelte. „Er will versuchen, früher zu kommen, aber er hat Visite“, fuhr sie fort und hoffte inständig, dass Landon sie damit entließ. Bobbys Stimme wieder zu hören … Seinen Zorn, als er versprach, er könne sie von ihrem Mann fortbekommen … Nach fünfunddreißig Jahren …

Gott, wie sie ihren Sohn vermisst hatte! Vielleicht war es diesmal anders. Bobby war zu einem beeindruckenden Mann herangewachsen. War ein brillanter Chirurg geworden. Landon hasste ihn dafür. Hasste ihn, weil Bobby für seinen Lebensunterhalt arbeitete und auch, so vermutete Cybil, weil Landon wusste, dass Bobby ihm überlegen war.

Wenn jemand es mit Landon Wyatt aufnehmen konnte, dann war es sein eigener Sohn.

Sie spürte etwas Warmes, Helles in sich aufsteigen. Hoffnung.

Was, wenn es wirklich eine Möglichkeit gab?

Aber nein, Landon würde sie nie gehen lassen.

Das machte er ihr wieder einmal deutlich, indem er sich erhob und eine Hand über ihr Haar gleiten ließ. Jahre der Übung hielten sie davon ab, unter seiner Berührung zusammenzuzucken. „Ich weiß, du hast ihn vermisst“, murmelte er – als sei nicht er es gewesen, der sie von ihrem Sohn ferngehalten hatte. Er legte die Hand auf ihren Nacken und begann zu drücken. „Du wirst dafür sorgen, dass er tut, was von ihm erwartet wird. Sonst …“

„Natürlich.“ Cybil versuchte auszuweichen, als sein Griff fester wurde.

Wie jeden Tag dankte sie dem Himmel, dass es Bobby gelungen war, sich aus dieser Hölle zu befreien. Solange ihr Sohn sicher war, konnte sie es ertragen.

Sie sah den Mann an, den sie geheiratet hatte, und lächelte, weil er erwartete, dass sie so tat, als sei sie gern bei ihm. Vielleicht … vielleicht hatten ihre Leiden ja bald ein Ende.

„Mr. Wyatt?“ Alexanders näselnde Stimme kam über die Gegensprechanlage. „Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber der Wahlkampfleiter ist auf Leitung eins.“

„Was will er?“ Landon ließ seine Frau abrupt los.

In diesem Moment schon hatte er bereits vergessen, dass sie da war. Rasch ergriff sie die Flucht, verließ das Büro, solange sie konnte.

Sie wollte nicht, dass Bobby wieder in die Welt seines Vaters gezogen wurde. Die Tatsache, dass Landon sie benutzte, um ihrem Sohn seinen Willen aufzuzwingen, machte sie ganz krank. Aber Bobbys Zorn … Seine Bereitschaft, sich gegen den Vater zu stellen …

Vielleicht musste sie diese Ehe ja doch nicht mehr viel länger ertragen …

Konnte Robert seine Mutter überzeugen, Landon zu verlassen?

Beim letzten Mal war es schlecht ausgegangen. Diesmal musste sein Plan besser sein. Er musste seine Mutter nicht einfach verstecken, er musste dafür sorgen, dass Landon niemals wieder in der Lage sein würde, sie ausfindig zu machen.

Er betrat die Bar um fünf Minuten nach acht. Gott sei Dank war Jeannie wieder zurück. Sie konnte ihm vielleicht nicht helfen, aber zumindest konnte sie ihm sagen, ob Neuseeland eine gute Idee war oder nicht. Sie war der einzige Mensch, der ihm die Wahrheit sagen würde. Nun musste er sie nur noch fragen.

„Guten Abend, Dr. Wyatt“, säuselte eine weiche weibliche Stimme. „Was darf ich Ihnen bringen?“

Er spürte förmlich, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Die Bar des Trenton’s war nur schummrig erleuchtet, deswegen brauchte er einen Moment, um die Sprecherin auszumachen.

Die Frau hinter der Bar war nicht Jeannie. Diese Frau war kleiner und hatte sich das lange Haar zu einer Hochfrisur gesteckt. Jeannie war fast genauso groß wie Robert und trug das dunkle Haar kurz.

„Wo ist Jeannie?“, herrschte er sie an.

Es war Montag. Heute sollte sie wieder hier sein.

Die Frau hinter der Bar klimperte mit den Wimpern. „Ich bin Miranda. Jeannie hat Urlaub. Ich bin gern bereit, mich um Sie zu kümmern, während sie fort ist …“

Der Druck in seinem Kopf wurde fast unerträglich. Wenn er Jeannie nicht heute Abend sah – jetzt gleich –, dann machte er vielleicht etwas, das ihnen allen später leidtat.

„Dr. Wyatt?“

Um ihn herum schien es grau zu werden.

Er musste gehen, bevor er die Kontrolle verlor.

Aber das ging nicht, weil er einen Weg finden musste, seine Mutter zu retten. Er musste mit Jeannie reden.

Sie war der einzige Mensch, der wieder Farbe in sein Leben bringen konnte.

„Sagen Sie mir, wo sie ist.“ Er bemühte sich, seinen Ton halbwegs zivil zu halten. „Sonst …“

Miranda wich zurück. „Sie ist nicht da“, sagte sie hastig, und ihre Stimme klang überhaupt nicht mehr weich und weiblich.

Er hatte nicht vor, sie zu schlagen. Ein Wyatt verlor nicht die Kontrolle.

Statt der grauen Leere nachzugeben und zu tun, was Landon getan hätte, zwang Robert sich, die Manschetten seines maßgeschneiderten Anzugs zu richten. Das gab ihm Zeit, tief durchzuatmen und die Ruhe zu wahren.

Er musterte Miranda. Sie wich seinem Blick nicht aus. Er sah das Klopfen des Pulses an ihrem Hals. Wahrscheinlich sagte sie die Wahrheit.

„Ich möchte mit dem Inhaber sprechen. Bitte.“

Zwei Stimmen rangen in ihm. Landons: Ein Wyatt bittet nicht! Und gleichzeitig Jeannies: Na also, war das denn so schlimm?

Wann hatte sie das zum ersten Mal gesagt? Er erinnerte sich nicht. Er wusste nur, dass sie der erste Mensch war, der es gewagt hatte, ihn für seine Unhöflichkeit zu kritisieren und ihn damit zu necken.

Als er sicher war, sich wieder unter Kontrolle zu haben, sah er auf. Miranda rührte sich nicht.

„Jetzt!“, knurrte Robert.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und floh.

Es fühlte sich falsch an, hier zu sitzen, wenn Jeannie nicht auf der anderen Seite der Bar stand. Es war, als wäre es nicht mehr sein Zuhause.

Das war natürlich absurd. Er verbrachte hier jeden Abend vielleicht eine Stunde. Es war nicht seine Stadtvilla mit dem Millionen-Dollar-Blick auf den Michigansee. Es war nicht dieser monströse Palast, in dem er von einer Kette verschiedener Nannys aufgezogen worden war. Dies war nicht sein Zuhause. Dies war nur der Ort, an dem Jeannie gewesen war, als er vor zwei Jahren und zehn Monaten hereingekommen und sich an die Bar gesetzt hatte, weil er sich … verloren fühlte.

Vierunddreißig Monate war es her, dass Jeannie vor ihm gestanden und ihm zugehört hatte, während er sich bemühte, Ordnung in seine Gedanken zu bekommen, weil seine Mutter sich geweigert hatte, bei ihm zu bleiben, und Landon sie geholt hatte. Alles in seiner sorgfältig konstruierten Welt war grau geworden – und das war vielleicht gut so, denn dann musste Robert nichts fühlen. Nichts außer dem übermächtigen Bedürfnis nach einem Drink.

Autor

Sarah M Anderson
<p>Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
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