Im Brautkleid zurück zu dir ...

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Rick Tyler wird ihr neuer Nachbar? Charlotte ist entsetzt. Natürlich wird sie den Arzt wie Luft behandeln – schließlich hat er sie einst im Brautkleid stehen lassen! Doch als sein süßer Sohn sie ebenso umschwärmt wie Rick, schmilzt ihre kühle Fassade. Aber kann sie ihm verzeihen?


  • Erscheinungstag 26.12.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536240
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Charlotte Shields am Pausenraum der Sekretärinnen vorbeikam, drang ein vielstimmig gesungenes Happy Birthday auf den Flur. Sie blieb stehen.

„Mach mein Geschenk als Erstes auf!“, rief eine Stimme.

„Warte doch noch bis nach dem Kuchen“, sagte jemand, und mehrere Frauen lachten fröhlich.

Charlotte hätte sich gern dazugesellt, aber sie wusste, dass sie nicht willkommen gewesen wäre – nicht mehr. Als sie hier anfing, hatten mehrere Kolleginnen sie eingeladen, mit ihnen auszugehen. Sie hätte zwar gern zugesagt, aber dennoch abgelehnt. Gleich an ihrem ersten Tag hatte ihr Vater sie nämlich in sein Büro bestellt und ihr eine Liste mit extra für sie aufgestellten Regeln überreicht. Ganz oben stand, dass sie keinen privaten Umgang mit den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern pflegen durfte. Seiner Erfahrung nach wäre es nämlich zu kompliziert, einen befreundeten Menschen abzumahnen oder gar zu entlassen. Sie hatte sich anstandslos gefügt.

Nach einer Weile erhielt sie keine Einladungen mehr. Die anderen Frauen empfanden sie als eingebildet und ablehnend, und vom Verhalten her wurde sie ihrem Ruf nur zu gerecht. Inzwischen bereute sie es sehr, damals alles getan zu haben, um ihrem Vater zu gefallen.

Charlotte ging weiter und blieb am Schreibtisch ihrer eigenen Sekretärin stehen. „Hat jemand angerufen, während ich weg war?“

„Ja, Mrs. Shields.“ Anita reichte ihr einen Stapel Zettel. „Ihr Vater hat für heute Nachmittag um drei Uhr eine Besprechung angesetzt.“

„Danke.“

Obwohl Anita mit dreiunddreißig nur ein Jahr jünger als sie war, sprach sie Charlotte nie mit dem Vornamen an. Bisher hatte es Charlotte nie gestört, aber heute schmerzte sie diese distanzierte Haltung.

Sie öffnete den Mund, um Anita nach deren Schwangerschaft zu fragen, fand aber nicht die richtigen Worte.

„Ist noch etwas, Mrs. Shields?“

„Nein.“

Charlotte blätterte die Informationen durch. Nichts Dringendes. Sie dachte an die Besprechung, die ihr Vater für den Nachmittag vereinbart hatte. Dass er so plötzlich eine Konferenz einberief, beunruhigte sie. Aber es wäre sinnlos, ihn nach der Tagesordnung zu fragen, denn er würde sie ihr nicht verraten. Sie war zwar seine Tochter, aber er behandelte sie nicht besser als alle anderen. Im Gegenteil, zu ihr war er strenger.

Trotz ihrer Masterabschlüsse in Betriebswirtschaft und Marketing hatte sie ganz unten anfangen und sich ihre jetzige Position als Leiterin der Marketingabteilung hart erarbeiten müssen.

Pünktlich um fünf Minuten vor drei betrat sie den Konferenzraum. Mehrere Manager unterhielten sich leise. Nervös starrte sie auf die gerahmten Zeitungsartikel an den Wänden, die den Weg von Shields Manufacturing zu einem der führenden Möbelhersteller der Welt nachzeichneten.

Fünf Minuten später kam ihr Vater herein, gefolgt von einem Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte.

„Nehmen Sie Platz“, sagte Charles Shields. Sein Begleiter setzte sich rechts von ihrem Vater – auf ihren Stuhl. Charlotte nahm auf dem Stuhl daneben Platz.

Eine Sekunde lang wirkte ihr Vater nachdenklich, was äußerst ungewöhnlich war.

Ging es ihm nicht gut? Nach dem Tod ihrer Mutter Rachel vor zwei Jahren hatte er Gewicht verloren, aber sie hatte es auf Appetitmangel in der Trauerzeit zurückgeführt. Sie musterte ihn – er sah aus wie immer.

„Bestimmt fragen Sie sich, warum ich diese Sitzung anberaumt habe.“ Charles lächelte, und er lächelte sonst nie. Charlottes Herz schlug schneller.

„Wir haben einen langen Weg hinter uns. Ich möchte sicherstellen, dass wir auch in Zukunft so erfolgreich sind wie bisher. Deshalb lege ich die Leitung des Unternehmens nieder, um Platz für jemand anderen zu machen.“

Alle redeten durcheinander, nur Charlotte nicht. Ihr Herz klopfte heftig. Endlich belohnte ihr Vater sie mit der Position, die sie verdiente – die harte Arbeit, die langen Tage und einsamen Nächte hatten sich ausgezahlt.

Charles räusperte sich, und im Raum wurde es still. „Dies ist Gabriel Jenkins, mein Nachfolger.“

Ihr Vater sprach weiter, aber Charlotte hörte nicht mehr hin. Das konnte er ihr nicht antun. Sie hatte so viel für ihn geopfert, für die Firma. Und er übergab die Leitung einem Fremden!? Jemandem, der keine Träne und keinen Blutstropfen vergossen hatte, um Shields Manufacturing zu dem erfolgreichen Unternehmen zu machen, das es jetzt war. Ihr Vater hatte sie verraten.

Sie wehrte sich gegen das Gefühl der Übelkeit und das schwarze Loch, das sie zu verschlucken drohte. Ihr Vater sah sie nicht einmal an, sondern widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem neuen Chef, der jetzt mit seinem Studium in Harvard prahlte.

Charlotte warf einen Blick in die Runde. Die meisten Spitzenmanager wirkten betroffen oder wenigstens peinlich berührt.

Zornig stand sie auf und schob den Stuhl so heftig zurück, dass er gegen die Wand knallte. Alle starrten sie an, und der neue Firmenchef verstummte. Ihr Vater zog eine Augenbraue hoch. Früher hätte sie den Blick gesenkt und sich wieder hingesetzt, aber nicht heute. Sie hatte ab sofort nichts mehr zu verlieren.

„Charlotte.“ Ihr Vater klang kalt.

„Ich kündige.“ Sie schaute auf ihre Uhr. „Um drei Minuten nach drei und mit sofortiger Wirkung.“

Ihr Vater verzog keine Miene. Sein Nachfolger öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, aber sie drängte sich an ihm vorbei und eilte in ihr Büro. Dort bewahrte sie nur wenige persönliche Dinge auf, nur eine Wolldecke für ihre Füße an kalten Tagen und einen alten Schnappschuss von sich mit ihrer Mutter und den Schwestern Charmaine und Carmen. Sie steckte das Foto in die Handtasche, schnappte sich die Decke und schaltete das Licht aus.

„Mr. Adams von der First Bank of America wartet in Leitung vier“, sagte Anita.

„Der ist nicht mehr mein Problem!“, erwiderte Charlotte und ging an der Frau vorbei, die vielleicht eine echte Freundin geworden wäre, wenn sie nicht jeden Annäherungsversuch abgeblockt hätte – noch ein Fehler, den sie begangen hatte, um ihrem Vater zu gefallen. Sie ging zum Fahrstuhl und drückte ungeduldig auf den Knopf.

Endlich glitt die Tür auf. Blinzelnd wehrte sie sich gegen die Tränen. Sie kniff die Augen zusammen und atmete tief durch.

Sie warf ihre Sachen auf den Beifahrersitz und raste aus der Tiefgarage.

Als sie wenig später auf ihrem Sofa saß, hatte sich ihre Empörung gelegt, und ihr wurde bewusst, was sie gerade getan hatte.

Sie hatte ihren Job hingeschmissen.

Um Geld machte sie sich keine Sorgen. Sie hatte klug investiert und lebte nicht über ihre Verhältnisse, aber sie hatte die Verbindung zu ihrem Vater gekappt und damit zum letzten Familienmitglied, zu dem sie überhaupt noch eine Beziehung gehabt hatte.

Sie wehrte sich gegen die Übelkeit. Sie hatte Schlimmeres überlebt und war dadurch stärker geworden. Sie würde also auch diese Situation meistern.

„Fast da“, sagte Rick Tyler und versuchte, begeistert zu klingen. Er warf seinem zehnjährigen Stiefsohn einen Blick zu und schaute wieder nach vorn, um den Umzugstransporter um eine Kurve zu lenken.

„Hurra.“

Rick unterdrückte ein Seufzen. Zu sagen, dass Bobby sich nicht freute, von Milwaukee wegzuziehen, wäre die Untertreibung des Jahrtausends gewesen. Bobby hatte sich mit Händen und Füßen gegen alles gewehrt, seit seine Mutter sie vor anderthalb Jahren verlassen hatte. Seitdem war Funkstille gewesen, und ihnen war auch nicht klar, wie sie sie kontaktieren konnten.

„Sweet Briar ist ein toller Ort. Ich habe hier viel Zeit verbracht, als ich auf dem College war. Ich habe sogar ein paar Sommer hindurch in einer Möbelfabrik gearbeitet.“

„Du kannst Möbel bauen?!“, fragte Bobby, und in seinen Augen blitzte ein Anflug von Interesse auf.

„Nein. Ich habe im Büro gejobbt.“

Bobbys Blick wurde wieder ausdruckslos. Rick konnte es ihm nicht verdenken. Papiere zu wälzen war nicht halb so aufregend wie mit großen Werkzeugen zu hantieren. Und die Erfahrung hatte ihn erkennen lassen, dass Schreibtischarbeit nichts für ihn war. Er hatte sie gehasst, aber die Zeit mit der Tochter des Chefs hatte ihn dafür entschädigt.

Charlotte war süß und lustig gewesen, wenn auch etwas zu sehr darauf bedacht, ihrem Vater zu gefallen – ein Bedürfnis, das er allerdings nur zu gut aus eigener Erfahrung kannte. Sie beide waren einander sehr nahe gekommen, und ihre Väter hatten von ihnen erwartet, sich zu verloben.

Rick wusste, dass er dem Druck schon viel früher hätte widerstehen müssen, aber irgendwie waren die Dinge zu schnell außer Kontrolle geraten. Je näher die Hochzeit rückte, desto größer waren Ricks Zweifel geworden. Seine Eltern hatten das Sagen – und er war das Gefühl nicht losgeworden, in der Falle zu sitzen.

Sein Vater wollte, dass Rick ins Familienunternehmen seiner Zukünftigen eintrat. Schließlich würde er bestimmt bald selbst eine Familie ernähren müssen. Ricks Traum, Medizin zu studieren, löste sich vor seinen Augen in Luft auf. Er bat Charlotte schließlich, die Hochzeit abzusagen.

Sie weigerte sich. Und letztendlich war er nicht zur kirchlichen Trauung erschienen.

Er hatte es gehasst, seiner Verlobten wehzutun, aber er war absolut verzweifelt gewesen. Sie zu heiraten, wäre ein riesiger Fehler gewesen. Er hätte ihr – bewusst oder unbewusst – die Schuld an seinem gescheiterten Traum gegeben. Auf lange Sicht war es für sie beide das Beste gewesen. Jedenfalls redete er sich das ein, wenn das schlechte Gewissen ihn nachts wieder einmal nicht schlafen ließ.

„Wenn es so toll war, warum bist du nicht in Sweet Briar geblieben?“

„Weil ich an der Universität in Michigan einen Studienplatz in Medizin bekommen habe.“

Rick war überzeugt, dass Bobby sich in Sweet Briar wohlfühlen würde, aber er wusste auch, dass er einiges wiedergutzumachen hatte, angefangen bei Charlotte. Er hatte versucht, sich bei ihr zu entschuldigen, aber erfolglos. Wenn er in ihre Heimatstadt ziehen wollte, würde er sich mit Charlotte aussöhnen müssen. Und er musste den Mitbürgerinnen und Mitbürgern beweisen, dass er es wert war, ihr Arzt zu sein.

Jake Patterson, sein Berater an der Universität, hatte Angehörige in der Gegend. Er war es gewesen, der Rick erzählt hatte, der langjährige Arzt der Stadt sei verstorben, und die Einwohner von Sweet Briar müssten zur Behandlung bis nach Willow Creek fahren. In der Zwischenzeit waren zwei andere Mediziner hergekommen, aber wieder abgezogen. Rick hatte deshalb zusagen müssen, mindestens zwei Jahre in Sweet Briar zu bleiben. Bei der Gelegenheit wollte er sich mit Charlotte aussprechen.

Vor zwölf Jahren war ihm einfach nicht bewusst gewesen, wie sehr er ihr wehtat. Dann hatte ihn vor eineinhalb Jahren seine Ex-Frau verlassen, und ihm war klargeworden, wie schmerzhaft sein Abgang damals für Charlotte gewesen sein musste. Wie erniedrigend. Jetzt wusste Rick, dass er ihr damals das Herz gebrochen haben musste. Sie wiederzusehen, würde also durchaus nicht angenehm sein, aber daran war er selbst schuld. Was er ihr angetan hatte, war abscheulich. Das war ihm jetzt vollkommen klar. Er wünschte nur, er hätte es schon damals begriffen. Er hatte sie am Tag nach der geplatzten Hochzeit angerufen, aber sie hatte sich geweigert, mit ihm zu sprechen. Er hatte ihr zwei Briefe geschrieben, aber beide waren ungeöffnet zurückgekommen. Danach war ihm nie wieder der Sinn danach gestanden, ihr sein Verhalten zu erklären.

Rick und Bobby schwiegen eine ganze Weile. Als der Junge endlich etwas sagte, klang er bedrückt und regelrecht verängstigt. „Mom wird nicht wissen, wie sie mich findet. Sie wird wiederkommen, ich bin mir ganz sicher, aber dann wohnt jemand anderes in unserem Haus!“

Rick bezweifelte, dass sie jemals zurückkehren würde. Sherry war seiner Meinung nach viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Singledasein in vollen Zügen zu genießen – nicht, dass er das jemals seinem Sohn erzählen würde. „Die Browns von nebenan wissen, wo wir sind, und können es ihr ausrichten. Und ich habe noch immer dieselbe Handynummer. Wenn deine Mom uns erreichen will, kann sie es. Okay?“

„Ja, sicher, Rick“, erwiderte Bobby sarkastisch, aber seine Besorgnis war nicht zu überhören.

Rick zählte stumm bis zehn.

„Du hast mich jahrelang Dad genannt. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich jetzt nicht Rick nennen würdest.“

„Sonst noch was?! Willst du mir einen blöden Brief schreiben und dich mitten in der Nacht davonschleichen? So wie Mom?“ Bobbys Stimme zitterte.

Rick legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das wird niemals passieren. Du bist mein Sohn, und ich liebe dich. Wo ich bin, bist du auch. Verstanden?“

Bobby nickte heftig blinzelnd. Einmal mehr verfluchte Rick seine Ex-Frau. Na gut, sie wollte nicht mehr mit ihm verheiratet sein – das leuchtete ihm durchaus ein, aber er konnte einfach nicht glauben, dass sie auch ihren Sohn nicht mehr wollte. Wie sollte er Bobby bloß helfen, mit dieser Situation fertigzuwerden?

Hoffentlich würde Sweet Briar ihm die Antworten liefern, die er suchte. Bobby war zuerst traurig gewesen und hatte nicht umziehen wollen, dann war er zornig geworden. Er hatte Freunde gefunden, die allerdings aus Ricks Sicht nicht gut für den Jungen waren, hatte seine Hausaufgaben nicht mehr gemacht und den Unterricht gestört. Schließlich hatte der Direktor vorgeschlagen, Bobby an einer anderen Schule anzumelden, und Rick hatte begriffen, dass er etwas unternehmen musste.

Er machte sich nichts vor. Bobbys Probleme würden in Sweet Briar nicht wie von Zauberhand verschwinden, aber er würde eine kleine Praxis betreiben und dadurch viel mehr Zeit für seinen Sohn haben als in Milwaukee.

Er fuhr langsamer und hielt nach der Adresse Ausschau, die der Makler ihm gegeben hatte. Er war froh, dass er die Doppelhaushälfte gefunden hatte.

Kurz darauf parkte er den Transporter am Straßenrand. „Wir sind da!“

Bobby sprang hinaus, nahm seinen Basketball vom Rücksitz und dribbelte die Einfahrt entlang.

„Lass uns gleich ausladen. Ich will die Betten aufstellen, danach können wir essen.“

Bobby warf den Ball auf den Rasen und ging im Schneckentempo zur Hecktür.

Rick kuppelte den Mustang ab und stellte ihn neben einer mitternachtsblauen BMW-Limousine ab. Dann schloss er den Transporter auf.

„Unser Nachbar scheint zu Hause zu sein“, sagte Rick und suchte auf der Ladefläche nach einem Karton, der nicht zu schwer für Bobby war. Der Junge nahm ihn entgegen, drückte ihn an die Brust und runzelte die Stirn. „Ach, das ist doch so ein Alte-Leute-Auto. Wahrscheinlich ein missmutiger Opa, der mich anschreit, wenn ich seinen Rasen betrete.“

„Vielleicht ist es eine nette alte Lady, die liebend gern Kekse backt.“

„Und Angst um ihre Blumen hat, wenn ich Basketball spiele.“

Rick kam nicht dazu zu antworten, denn die Haustür öffnete sich, und eine Frau trat ins Freie. Sie kehrte ihm sofort den Rücken zu, aber er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass es sich keineswegs um eine alte Lady handelte, sondern dass die Nachbarin etwa dreißig und durchaus attraktiv war. Zweifellos war sie verheiratet oder in einer festen Beziehung – und wenn schon. Er hatte die Verantwortung für Bobby, und in seinem Leben war sowieso kein Raum für eine Frau. Da sie aber sozusagen unter einem Dach leben würden, konnte es nicht schaden, freundlich zu sein.

„Komm schon, Bobby. Stellen wir uns vor.“

Bobby verdrehte die Augen, aber er folgte Rick durch den Vorgarten. Als sie näher kamen, drehte die Frau sich um. Rick blieb fast das Herz stehen.

Charlotte.

Das konnte nicht wahr sein.

Charlotte Shields starrte den Mann an, auf den sie vor zwölf Jahren im schönsten Brautkleid in der knallvollen Kirche vergeblich gewartet hatte. Spielte die Fantasie ihr einen bösen Streich? Sie blinzelte, als könnte sie ihn dadurch verschwinden lassen, doch es half nichts. Rick Tyler stand noch immer vor ihr, mit ungläubigem Gesicht. Ihre Knie wurden weich, bis sie fast nachgaben. Nur mit Mühe straffte sie die Schultern und hob das Kinn. Sie hatte damals nicht die Fassung verloren und würde dies jetzt auch nicht tun.

„Rick.“ Sie legte alles, was sie an Abneigung fühlte, in das einzelne Wort.

Er lächelte vorsichtig. „Charlotte.“

Sie funkelte ihn an und hoffte, dass er die Botschaft verstehen und verschwinden würde.

„Wow. Du siehst großartig aus.“ Er stellte einen Fuß auf die unterste Treppenstufe. Sie wich zurück, bis sie gegen ihre eigene Haustür stieß. War das sein Ernst? Sie waren keine alten Freunde, die einander umarmten und Erinnerungen austauschten. War ihm nicht klar, dass sein schäbiges Verhalten sie beide zu Feinden fürs Leben gemacht hatte?

„Dad. Ich dachte, wir packen aus und essen was. Ich hab tierisch Hunger.“

Sie sah auf den Jungen, der sie mit gerunzelter Stirn anstarrte. Zehn oder elf, überschlug sie und spürte einen Stich in der Brust. Rick hatte anscheinend nicht sehr lange damit gewartet, sich eine andere Frau zu suchen. Offenbar hatte er nur sie nicht heiraten wollen.

„Bobby, sag Hallo.“

Der Junge murmelte die unfreundlichste Begrüßung, die sie seit Jahren gehört hatte. Angesichts ihrer allgemeinen Unbeliebtheit hieß das schon etwas.

„Hi.“ Sie klang nicht freundlicher, und die Augen des Jungen wurden groß. Dann marschierte er über ihren Rasen und zertrampelte dabei einige ihrer Blumen. Sie verzog keine Miene. Ihr war selbst danach, ein paar niederzuwalzen.

„Wir ziehen nebenan ein“, sagte Rick überflüssigerweise.

„Warum?“

„Ein Neuanfang.“

„Ausgerechnet in meiner Stadt?“

„Hier hat es mir immer gefallen. Die Menschen sind warmherzig und offen. Genau das braucht Bobby jetzt.“

„Das gilt auch für viele Kleinstädte im ganzen Land.“

„Kann sein, aber dort wären wir Fremde. Hier habe ich Freunde.“

„Ich hoffe, du zählst mich nicht dazu.“

Wenigstens wirkte er verlegen. „Ich möchte mich noch einmal in aller Aufrichtigkeit entschuldigen …“

„Noch einmal“, wiederholte sie lauter, als ihr lieb war. „Ich muss das erste Mal irgendwie verpasst haben. Du hast mir über deinen Trauzeugen eine Nachricht geschickt: Charlotte, es tut mir leid, dass du nicht auch der Ansicht bist, wir sollten nicht heiraten. Hältst du das wirklich für eine Entschuldigung?!“

Er ließ kurz den Kopf hängen, bevor er ihr in die Augen schaute. Immerhin. Er schämte sich. Gut. Dazu hatte er allen Grund. „Du hast recht“, sagte er. „Es war keine. Es tut mir leid, Charlotte, aber ich bin in Panik geraten. Das lässt mich nicht gerade gut aussehen, aber es ist die Wahrheit. Ich weiß, dass ich dich verletzt und blamiert habe. Das hattest du in keinster Weise verdient. Bitte verzeih mir.“

„Oh nein, nicht in diesem Leben.“

„Charlotte“, begann er, aber sie schnitt ihm das Wort ab.

„Keine Sorge, Rick, ich erzähle deiner Frau nicht, was für ein Idiot du bist.“

„Ich bin geschieden.“

„Offenbar ist sie schlauer als ich damals.“

Er drehte sich um und folgte seinem Sohn über den Rasen und ins Haus.

Charlotte schaute ihm nach und sagte sich, dass ihr Herz nur vor Schock so heftig klopfte – und nicht etwa, weil sie noch etwas für ihm empfand. Langsam ging sie ins Haus und an den Kleiderschrank in ihrem dritten und meistens ungenutzten Schlafzimmer. Sie öffnete ihn und starrte auf ihr Brautkleid. Es war das schönste im ganzen Geschäft gewesen, und sie hatte sofort gewusst, dass sie sich darin wie eine Prinzessin fühlen würde. Und so war sie sich auch vorgekommen – bis zu dem Moment, in dem sie hatte einsehen müssen, dass ihr Bräutigam sie am Traualtar versetzt hatte.

Seit Tagen war er damit angekommen, die Hochzeit absagen zu wollen, aber sie hatte geglaubt, dass es nur am Lampenfieber lag. Er wollte, dass sie ihn zu seinen Eltern begleitete, um ihnen zu erklären, dass sie beide nun doch nicht heiraten wollten. Sie hatte sich geweigert. Sicher, ihre Väter hatten das Ganze arrangiert, aber das störte sie nicht. Sie hatte sich in Rick verliebt, und er schien gern mit ihr zusammen zu sein. Sie war überzeugt, dass Rick einsehen würde, wie glücklich sie ihn machen würde.

Sie hatte sich gehörig getäuscht.

Jetzt strich sie mit beiden Händen über die durchsichtige Hülle, die ihr Brautkleid vor Schmutz und Staub schützte, und schloss die Schranktür wieder. Sie war damals ihrem Herzen gefolgt und nicht ihrem Verstand. Das würde ihr kein zweites Mal passieren.

Rick läutete an Charlottes Tür. Er wusste, dass sie zu Hause war, denn ihr Wagen stand in der Einfahrt, und durch das offene Wohnzimmerfenster drang Motown-Musik. Er konnte noch immer nicht fassen, dass ausgerechnet sie Nachbarn waren. Vorhin hatte er den Schmerz in ihren Augen gesehen. Seine Anwesenheit tat ihr weh, und das wollte er nicht. Selbst wenn er es schaffen sollte, aus dem Mietvertrag auszusteigen, würde er Bobby schon wieder einen Umzug zumuten müssen. Irgendwie musste es ihm gelingen, mit Charlotte Frieden zu schließen.

Als damals seine zwei Briefe an sie ungeöffnet zurückgekommen waren, hätte er nicht aufgeben dürfen. Er hatte sich aber eingeredet, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte und er ihren Wunsch respektieren musste. Insgeheim war er froh darüber gewesen, denn es hatte ihm den einfachsten Weg aus einer schwierigen Situation geboten. Jetzt, zwölf Jahre später, war er älter und hoffentlich klüger.

Ihre Tür ging auf. „Was willst du?“

„Können wir reden?“

„Ich hatte gehofft, dich nie wiederzusehen.“

„Charlotte, ich weiß, dass ich unsere Freundschaft zerstört habe und du mir nichts schuldest. Können wir trotzdem ein paar Minuten reden? Bitte.“

Sie schwieg so lange, dass er schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete. „Fünf Minuten“, sagte sie schließlich, „aber danach lässt du mich in Ruhe. Ist das klar?“

Obwohl auf ihrer Veranda zwei Stühle standen, lehnte sie sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich hätte dich nicht in der Kirche allein lassen dürfen, Charlotte. Ich hätte bei dir sein sollen.“

„Warum hast du es dann getan?“, fragte sie leise.

„Ich habe begriffen, dass es ein zu hoher Preis gewesen wäre, zu heiraten und unsere eigenen Träume den Plänen unserer Väter zu opfern. Ich konnte dich nicht dazu bringen, zu mir zu halten.“

„Soll das heißen, es war meine Schuld, dass du nicht in die Kirche gekommen bist?“

„Nein. Es war allein meine Schuld. Ich war feige.“

Charlotte seufzte. „Mein Vater hat mir vorgeworfen, dich vertrieben zu haben!“

„Das ist doch verrückt. Du hast nichts falsch gemacht. Sie hätten uns nicht zwingen dürfen, zu heiraten. Sie brauchten unsere Heirat nicht, um ihre Firmen zu fusionieren.“

„Trotzdem ist es nicht zur Fusion gekommen.“

„Das war nicht unsere Schuld.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Sind wir fertig?“

„Nimmst du meine Entschuldigung an?“

„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“

Er schaute in ihre wunderschönen Augen und hoffte, darin irgendein Gefühl zu entdecken. Er sah keins. Wenn sie etwas fühlte, so verbarg sie es vor ihm. „Hast du denn nie etwas getan, das du bereust? Jemandem wehgetan, der dir etwas bedeutete? Würdest du nicht wollen, dass er oder sie dir verzeiht – egal, wie spät die Entschuldigung kommt?“

Sie schloss die Augen. „Na gut. Ich verzeihe dir. Wenn es sonst nichts mehr gibt …“

Er wünschte, er könnte ihr glauben, aber er wusste, dass sie ihn nur loswerden wollte. Er würde mehr Zeit brauchen.

„Ich habe meinen Makler angerufen und versucht, aus dem Mietvertrag auszusteigen. Es geht nicht. Ich tue es dir nur ungern an, aber wir bleiben Nachbarn.“

„War’s das? Oder hast du noch eine schlechte Nachricht für mich?“

„Nein. Gute Nacht.“

Sie antwortete nicht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Es war ein Anfang. Vorläufig würde er sich damit begnügen.

„Wie lange wird das dauern?“, fragte Bobby, als Rick am nächsten Morgen vor der Praxis parkte. Bobby murrte, seit Rick ihm erklärt hatte, dass er nicht allein zu Hause bleiben durfte. Sobald sie beide sich eingerichtet hatten, würde er jemanden suchen, der auf den Jungen aufpasste, bis die Schule begann.

„Ich will mich nur kurz umsehen.“ Sich hier als Arzt niederzulassen, ohne die Praxisräume zu kennen, war riskant gewesen, aber Rick sah es als berufliche und private Chance an. Er hatte sich auf die Auskünfte des Bürgermeisters Alexander Devlin III. und die Fotos des Maklers verlassen.

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Du hättest ein Buch mitnehmen können. Wenn du dich nicht …“

„Ja, ich weiß, dann gerate ich auf die schiefe Bahn und lande dort, wo ich nicht sein will – hier zum Beispiel.“

„Bobby.“

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