Im Strandhaus der Liebe

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ihre sinnlichen Lippen, ihr glänzendes Haar - alles an Eve zieht den Unternehmer Jake Romero unwiderstehlich an. Auch wenn sie ihm die kalte Schulter zeigt. Jake bleibt nur eine Hoffnung: Wird er in seinem romantischen Strandhaus auf San Felipe endlich ihr Herz erobern?


  • Erscheinungstag 30.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779726
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Eve war gerade dabei, Storms Pferdebox auszumisten, als ihre Großmutter in den Stall kam. Eigentlich hätte die Arbeit schon am Morgen erledigt werden sollen, doch Mick war heute nicht gekommen, und Eve hatte sich erboten, auszuhelfen.

Sie wurde ein wenig verlegen, als die alte Dame sich das Taschentuch vor die Nase hielt und sich räusperte: „Komm nach draußen, ich möchte mit dir reden.“

Eve widersprach nicht. Niemand wagte es, ihrer Großmutter zu widersprechen.

Während das Geräusch von Ellie Robertsons Gehstock auf dem kargen Steinboden immer leiser wurde, lehnte Eve die Mistgabel an die Stallwand und vergewisserte sich, dass an ihren Händen kein Schmutz klebte. Dann folgte sie ihr hinaus in den kalten Abend.

Es war November. Der Geruch von Holzrauch, der aus den Kaminen aufstieg, vertrieb den Stallgeruch. Ein Hauch von Frost hing in den Bäumen, und die Hoflichter flirrten in der Kälte.

„Cassie kommt morgen“, verkündete die alte Dame, kaum dass ihre Enkelin aus der Stalltür getreten war.

Eve schluckte. „Du meinst Cassandra?“

„Nein, ich meine Cassie“, versetzte Ellie etwas schroff, während sie sich den Kaschmirschal, den sie über ihrer Tweedjacke trug, fester um die Schultern zog. „Ich habe meine Tochter Cassie getauft, nicht Cassandra. Wenn sie sich mit diesem albernen Namen anreden lassen will, muss ich mich noch lange nicht danach richten.“

Eve zog kurz die dunklen Augenbrauen zusammen und schwieg. Sie fand es bezeichnend, dass Ellie den Schal trug, den Cassie ihr vor Jahren geschenkt hatte. War dies ein Zeichen dafür, dass sie ihrer Tochter letzten Endes verziehen hatte? Hatten ihre zunehmenden Altersbeschwerden sie daran erinnert, dass ihr nicht mehr allzu viel Zeit auf dieser Erde blieb?

„Wie lange wird sie bleiben?“, erkundigte Eve sich beiläufig. Wie auch immer die Antwort ausfiel, es würde eine schwierige Zeit werden. Für sie und für Cassandra. Sie würden niemals Freundinnen werden können. Am besten war es, wenn Eve sich für diese Zeit ein Hotelzimmer nahm.

„Davon hat sie nichts gesagt.“ Ellies Stimme klang mürrisch. „Wie üblich werde ich mich wohl nach ihren Wünschen richten müssen. Ach, übrigens – sie bringt einen Mann mit. Ich weiß nicht, wer er ist, aber wie ich Cassie kenne, kann er ihr bei ihrer beruflichen Karriere vermutlich nützlich sein.“

„Na schön …“ Eve versuchte, die Dinge nüchtern zu betrachten. „Wenn sie einen Freund mitbringt, wird sie kaum allzu lange bleiben, nehme ich an. Sicher wird er seine Verpflichtungen haben.“ Sie kaute an ihrer Unterlippe. „Was soll ich nun deiner Meinung nach tun?“

Aus grauen Augen, die denen ihrer Enkelin auffallend ähnlich waren, blickte Ellie sie erstaunt an. „Warum sollte ich wollen, dass du irgendetwas tust? Ich dachte mir nur, dass ich dich … dich …“

„Warnen sollte?“

„Informieren sollte“, betonte Ellie. „Wenn ich ihr absagen könnte, würde ich es sofort tun.“

„Nein, das würdest du ganz sicher nicht“, widersprach Eve. „Im Grunde bist du doch froh, dass sie dich besuchen kommt, auch wenn sie dieses Haus mal wieder zu ihrem privaten Hotel machen wird.“

„Eve …“

„Ellie, ich verstehe, wie du dich bei dem Ganzen fühlst. Möchtest du, dass ich woanders bleibe, während sie hier ist? Bestimmt hat Harry …“

„Wir wollen Reverend Murray aus dem Spiel lassen.“ Die alte Dame machte ein pikiertes Gesicht. „Du kannst nicht bei ihm wohnen, das schickt sich nicht. Außerdem ist das hier dein Zuhause. Ich möchte nicht, dass du ausziehst.“

„In Ordnung“, erwiderte Eve abschließend. Doch ihre Großmutter musste wie üblich das letzte Wort haben.

„Das hier ist Northumberland, nicht der Norden von London“, sagte sie mit einem leisen Beben in der Stimme. „Die Zeiten, in denen du davongelaufen bist und in einer muffigen Behausung gelebt hast, sind vorbei.“

Eve wurde blass. Ellie erwähnte so gut wie nie, aus welchen ärmlichen Verhältnissen sie sie gerettet hatte. Ihrer Miene war auch anzusehen, dass sie ihre Worte jetzt bereute.

„Du wolltest damit also sagen, dass du nicht hier sein willst, solange Cassie da ist?“, fügte Ellie nun etwas milder hinzu. Der ganze Zwiespalt, in den der bevorstehende Besuch ihrer Tochter sie stürzte, war auf ihrem faltigen, angespannten Gesicht zu lesen. „Denn wenn das so ist …“

„Ich dachte nur, es wäre einfacher für uns alle, wenn ich mich zurückziehe und die Dinge dir überlasse“, unterbrach Eve sie etwas unwillig. Sie wollte der Frau, die ihre engste Verwandte und ihre Freundin war, nicht wehtun.

„Nun, das ist es nicht“, widersprach ihre Großmutter. „Also kein Wort mehr von Harry Murray. Aber es ist zu kalt hier draußen, um weiter zu schwatzen. Wir reden später noch darüber. Vielleicht beim Abendessen.“

Eve wusste jedoch jetzt schon, dass es dazu nicht kommen würde. Für Ellie war der Fall bereits erledigt. In gewisser Weise war sie ebenso egoistisch wie Cassie. Zwar hätte sie ihr Kind niemals nach der Geburt weggegeben oder dessen Existenz in den ersten fünfzehn Jahren seines Lebens verleugnet, wie Cassie es getan hatte. Aber sie hatte ihren eigenen Willen, und Eve hatte nicht die Kraft, um ihr zu widersprechen.

„Du kommst doch bald ins Haus?“, vergewisserte die alte Dame sich, und Eve nickte.

„Sobald ich Storm wieder in seine Box zurückgebracht habe“, versprach sie.

In zügigem Tempo legte der Aston Martin die Meilen zwischen London und dem Norden Englands zurück. Jacob Romero, von allen nur Jake genannt, bevorzugte die Autobahn. Besonders diese Fahrt würde auf diese Weise rascher vergehen. Je schneller dieser Trip zu Ende war, umso besser.

„Sollen wir anhalten und etwas essen?“, fragte Cassandra.

Sie gab sich betont gut gelaunt, doch zum ersten Mal ging Jake auf ihr lebhaftes Geplauder nicht ein. Es war nicht richtig, dachte er bei sich. Er hätte nicht mitkommen sollen. Cassandra wollte ihn ihrer Mutter vorstellen, doch damit ließ sie den Eindruck einer Beziehung entstehen, die zwischen ihnen gar nicht bestand. Zwar hatten sie in den letzten sechs Monaten einige Zeit zusammen verbracht, aber es war nichts Ernstes. Zumindest nicht von seiner Seite aus. Er hatte nicht die Absicht, noch einmal zu heiraten, schon gar nicht jemanden wie Cassie. Hin und wieder hatte er ihre Gesellschaft ganz gern, aber mit ihr zusammenzuleben würde ihn die Wände hochgehen lassen.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe, Darling?“, bestand Cassandra auf einer Antwort.

Jake warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ja, ich habe es gehört. Aber hier ist weit und breit kein Restaurant.“

„Oh doch, in fünf Meilen kommt eine Raststätte“, widersprach seine Begleiterin.

„Mir steht nicht der Sinn nach matschigen Pommes und Hamburgern“, erklärte Jake. Er warf einen Blick auf seine schmale goldene Armbanduhr. „Es ist erst Viertel vor eins. In einer knappen Stunde sollten wir am Ziel sein.“

„Das bezweifle ich.“

Bei ihrem schmollenden Tonfall warf Jake ihr abermals einen kurzen Blick zu. „Aber du sagtest doch, es wären nur etwa zweihundert Meilen“, erinnerte er sie. „Wenn ich richtig rechne, haben wir drei Viertel der Fahrt bereits hinter uns.“

Cassandra zuckte nur mit den Schultern. „Mag sein, dass ich die Strecke etwas unterschätzt habe.“

Jakes Finger umklammerten das Steuerrad fester. „Und? Hast du das?“

„Hmm, ja.“ Um Verzeihung heischend lächelte Cassandra ihn an. „Ich hatte Angst, dass du nicht mitkommen würdest, wenn ich dir gesagt hätte, dass es über dreihundert Meilen von London sind.“

Sanft strich sie über seine gebräunte Hand und die dunklen Härchen an seinem Handgelenk, doch er reagierte nicht auf ihre vertraute Berührung. Dreihundert Meilen, dachte er. Das bedeutete, dass sie noch mindestens zwei Stunden zu fahren hatten. Ebenso hieß es, dass sie irgendwo halten mussten, damit Cassandra ihren üblichen Salat und ihren Milchkaffee bekam.

„Du verzeihst mir doch, Darling, oder?“ Cassandra war ein wenig näher an ihn herangerückt und legte kurz ihren Kopf an seine Schulter. „Können wir also anhalten? Ich müsste mir auch dringend mal die Füße vertreten.“ Sie lächelte verschämt. „Na ja, du weißt schon …“

Angesichts dieser Tatsache hatte Jake natürlich keine andere Wahl mehr. Wortlos setzte er den Blinker und lenkte den Wagen in die Raststätte. Selbst im November herrschte hier noch viel Betrieb. Jake musste den Aston Martin notgedrungen in der hintersten Ecke parken. Er konnte nur hoffen, dass das Auto noch dastand, wenn sie zurückkehrten.

„Das war doch eine gute Idee, oder?“, bemerkte Cassandra, nachdem sie sich mit ihrem Essenstablett an einem Zweiertisch am Fenster niedergelassen hatten. Sie hatte den obligatorischen Salat vor sich stehen, doch in Ermangelung von Milchkaffee trank sie ein Wasser. „So haben wir wenigstens ein wenig Zeit für uns allein.“

„Wir hätten mehr Zeit füreinander gehabt, wenn wir in London geblieben wären“, wandte Jake ein. Er klappte sein Sandwich auseinander und blickte mürrisch auf die fast durchsichtig dünne Scheibe Schinken. Würden die Briten jemals begreifen, dass in ein Schinken-Sandwich auch eine ordentliche Portion Schinken gehörte? fragte er sich verdrossen. Mit nostalgischer Wehmut dachte er an seine Heimat. Was hätte er darum gegeben, wenn er wieder zurück in der Karibik hätte sein können!

„Ich weiß.“ Über den Tisch hinweg legte Cassandra ihre Hand mit den langen roten Fingernägeln auf seine. „Aber wir werden auch unseren Spaß haben, das verspreche ich dir.“

Jake bezweifelte das. Von dem, was Cassandra ihm erzählt hatte, musste ihre Mutter bereits weit über siebzig sein und ihr einziger Bruder mindestens fünfzehn Jahre älter als sie.

Er wusste nicht einmal so genau, wie alt Cassandra war. Ein ganzes Stück älter als er, schätzte er. Aber es hatte ihn nie gestört. Beim Fernsehen oder am Theater hatte das Alter ohnehin einen anderen Stellenwert. Da waren Schauspielerinnen so alt wie sie sich gaben, und viele spielten noch jugendliche Rollen, wenn sie schon weit in den Vierzigern waren.

Jake beschloss, der Situation das Beste abzugewinnen. „Erzähle mir etwas über Watersmeet“, bat er. „Wer lebt dort alles, außer deiner Mutter? Du hattest einmal erwähnt, dass es sich um ein größeres Anwesen handelt. Sicher hat sie auch Personal?“

„Oh ja …“ Cassandra schien erst einmal überlegen zu müssen. „Also, da sind Mrs. Blackwood, Mums Haushälterin, und der alte Bill Trivett, der sich um den Garten und das Grundstück kümmert. Früher, als Mum noch Pferde züchtete, hatten wir auch etliche Stallburschen. Aber nachdem die Pferde alle verkauft wurden, braucht sie auch keine Stallburschen mehr, nehme ich an.“

Jake runzelte die Stirn. „Du weißt es nicht, nimmst es nur an?“

Eine leichte Röte erschien auf Cassandras Gesicht. „Es … es ist schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal zu Hause war“, verteidigte sie sich. Als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah, redete sie rasch weiter. „Ich hatte viel zu tun, Darling. Außerdem ist Northumberland nicht gerade leicht zu erreichen, wie du selbst sehen wirst.“

„Es gibt schließlich Flugzeuge.“ Jake biss in sein Sandwich und war froh, dass wenigstens das Brot frisch war.

„Flüge sind teuer“, redete Cassandra sich heraus. „Und ich wollte meine Mutter nicht um Geld bitten.“

„Wie du meinst.“

Jake hatte keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen, denn es ging ihn im Grunde nichts an. Wenn Cassandra sich so wenig um ihre Mutter kümmerte, war das ihre Sache.

„Hat Mrs. Wilkes nicht eine Gefährtin, die bei ihr wohnt?“, erkundigte er sich dennoch, und wieder sah er die Farbe auf Cassandras Gesicht kommen und gehen.

„Ja, Eve“, erwiderte sie widerstrebend, ohne näher darauf einzugehen. „Der Nachname meiner Mutter ist übrigens Robertson, nicht Wilkes.“

„Ah, wie kommt das?“ Jake schaute sie fragend an.

„Ich habe meinen Namen geändert, als ich nach London gezogen bin“, erklärte sie mit sichtlichem Unwillen. „Das tun viele Schauspieler.“

Jake gab sich damit zufrieden. Aber Cassandras offensichtliche Reserviertheit befremdete ihn auch. „Diese Eve … ist sie eine Altersgenossin deiner Mutter?“ Um seine Mundwinkel zuckte es leicht. „Billigt sie deinen Lebensstil nicht, oder was?“

„Meine Güte, nein!“, versetzte Cassandra so gereizt, dass er sich fragte, womit er diese Reaktion ausgelöst hatte. „Eve ist … eine entfernte Verwandte. Mum hat sie vor etwa zehn Jahren zu sich geholt.“

„Als Gesellschafterin?“

„Zum Teil“, antwortete Cassandra mürrisch. „Ansonsten arbeitet sie als Grundschullehrerin im Ort.“

Jake erwiderte nichts mehr darauf. Er machte sich nur seine Gedanken. Über das, was sie ihm erzählt hatte, ebenso wie über das, was sie ihm verschwiegen hatte. Er hatte das Gefühl, dass Cassandra diese Eve ablehnte. War sie eifersüchtig, weil sie ein so gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hatte?

Erst am späten Nachmittag erreichten sie den kleinen Ort Falconbridge. Die letzten Meilen ihrer Fahrt hatten durch die Hügellandschaft von Redesdale geführt. Das schwindende Tageslicht hatte violette Schatten auf die Cheviot Hills im Hintergrund gezaubert und ihnen einen geheimnisvollen Reiz verliehen. Trotz seiner Abneigung gegen diese Reise musste Jake zugeben, dass die Gegend sein Interesse geweckt hatte.

Cassandra dagegen schien es bei dem Anblick zu frösteln. „Ich kann wirklich nicht verstehen, wie jemand freiwillig hier draußen leben kann“, murrte sie. „Ich brauche Licht und Leben um mich.“

„Ich finde es wunderschön hier“, erwiderte Jake, während er die Geschwindigkeit drosselte, denn sie näherten sich wieder einer dieser unübersichtlichen Kuppen. „Ich kenne eine Menge Leute in London, die etwas darum geben würden, wenn sie die Hektik der Stadt hin und wieder mit dieser ländlichen Ruhe vertauschen könnten. Aber nicht jeder kann sich diesen Luxus leisten.“

Cassandra warf ihm einen ungläubigen Blick zu. „Willst du damit sagen, dass du lieber hier leben möchtest als in San Felipe?“

„Nein, das nicht“, gab Jake offen zu. So gern er auch in der Welt herumreiste, nirgendwo gefiel es ihm so gut wie auf seiner Heimatinsel. „Aber ich hatte ja auch von London gesprochen. Du wirst zugeben müssen, dass dort viel zu viele Menschen auf einem viel zu kleinen Platz leben.“

Cassandra ließ sich nicht überzeugen. „Mir gefällt es. Wenn du für die Medien arbeitest wie ich, musst du einfach mittendrin sein im Geschehen.“

„Ja, natürlich.“ Jake ließ dieses Argument gelten, auch wenn Cassandra in den sechs Monaten, die sie sich kannten, nur eine einzige kleine Rolle gehabt hatte. Und selbst das war nur ein Werbespot für Gesichtscreme gewesen.

Über eine alte Steinbrücke, die einen munter dahinplätschernden Fluss überspannte, näherten sie sich dem Ort. Die historische Falcon Bridge, nahm Jake an und war froh, dass ihnen auf der schmalen Brücke kein Fahrzeug entgegenkam.

Unter ihnen reihten sich graue Steinhäuser entlang der Straße. In den Fenstern schimmerte Licht, und aus den Kaminen stieg der Rauch in die kalte Abendluft.

„Das Haus meiner Mutter liegt am Ortsrand“, erklärte Cassandra. „Du brauchst nur der Straße durch den Ort zu folgen, dann wirst du es sehen. Es liegt etwas zurückgesetzt hinter Bäumen.“

„Etwas zurückgesetzt“ war eine leichte Untertreibung, wie Jake wenig später feststellte. Nachdem sie zwischen zwei steinernen Torpfosten hindurchgefahren waren, mussten sie noch über eine Viertelmeile zurücklegen, bevor sie endlich am Haus angelangt waren. Die eine Seite der Einfahrt war von immergrünen Rhododendronbüschen gesäumt, auf der anderen Seite reckten hohe Pappeln ihre kahlen Äste in die Abenddämmerung.

Watersmeet machte einen gediegenen Eindruck. Es war ebenso aus Stein erbaut wie die Häuser im Ort, zweistöckig und mit Giebeln an jeder Ecke. Vor den hohen Fenstern zu beiden Seiten der Eingangstür waren die Vorhänge nicht zugezogen, und ein goldener Lichtschein fiel auf den kiesbestreuten Hof.

„Wir sind da“, stellte Cassandra überflüssigerweise fest, ohne Anstalten zu machen, auszusteigen. Sie zog ihre Kunstfelljacke enger um sich. „Ob sie bemerkt haben, dass wir hier sind?“

„Das werden wir gleich herausfinden.“ Jake stieß die Fahrertür auf und schwang seine langen Beine heraus. Sofort bekam er die Kälte zu spüren, die hier herrschte. Er angelte nach seiner Lederjacke, die auf dem Rücksitz lag, und schlüpfte hinein.

In diesem Moment öffnete sich die Haustür, und eine Frau erschien. Durch das helle Licht hinter ihr konnte er mehr oder weniger nur ihre Umrisse erkennen. Sie war groß und schlank, und das dunkle Haar fiel ihr über die Schultern.

Ganz sicher war das nicht Cassandras Mutter, wurde Jake klar. Gleichzeitig hörte er, wie Cassandra einen ungehaltenen Laut von sich gab. Es musste die entfernte Verwandte sein, denn für die Haushälterin war sie zu jung.

Das heftige Zuschlagen der Autotür ließ ihn herumfahren.

„Eve“, begann Cassandra, womit sie unbewusst seine Frage beantwortete. Ihr dünnes Lächeln und ihre steife Haltung sagten ihm, dass er sich nicht getäuscht hatte, was ihre Feindseligkeit gegenüber dieser Frau anbetraf. „Wo ist meine Mutter? Ich dachte, sie würde herauskommen und uns begrüßen.“

Die junge Frau kam jetzt die Stufen herunter, und Jake bemerkte, dass sie leicht getönte Haut hatte wie er. Ihre Augen konnte er nicht erkennen, aber er nahm an, dass sie ebenfalls dunkel waren. Sie schenkte ihm kaum einen Blick. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf Cassandra gerichtet. Sie war von fremdartiger Schönheit, und er fragte sich, was sie wohl dazu bewogen haben mochte, ihre Zeit mit einer alten Frau zu verbringen, entfernte Verwandte oder nicht.

Bevor sie etwas erwiderte, presste sie kurz die Lippen aufeinander. Sie schien genauso wenig begeistert zu sein, Cassandra zu sehen wie umgekehrt.

„Ellie ist schon zu Bett gegangen“, erklärte sie ohne Begrüßung. „Sie ist gestern Abend gestürzt, und Dr. McGuire befürchtet, dass der Knöchel gebrochen ist.“

„Er befürchtet es?“, wiederholte Cassandra. „Kann er es denn nicht mit Sicherheit sagen? Hätte er den Fuß nicht röntgen lassen sollen?“

„Hätte er“, gab Eve ihr recht. Jake registrierte flüchtig, dass sie sich nicht von Cassandra provozieren ließ. „Aber Ellie wollte zu Hause sein, wenn du eintriffst. Ich habe bereits veranlasst, dass sie morgen mit der Ambulanz nach Newcastle ins Krankenhaus gebracht wird.“

„Ambulanz!“, schnaubte Cassandra. „Warum fährst du sie nicht selbst?“

Eves Gesicht war eine kühle Maske. „Weil ich auch noch einen Beruf habe“, erwiderte sie kurz angebunden. Dann blickte sie Jake zum ersten Mal direkt an. „Wollen Sie beide nicht hereinkommen?“

2. KAPITEL

Erst eine Stunde später konnte Eve sich in ihr Zimmer zurückziehen, um sich zum Abendessen umzukleiden. In der Zwischenzeit hatte sie Cassie zu ihrer Mutter begleitet, Jacob Romero sein Zimmer gezeigt – natürlich hatte Ellie mit allem Nachdruck darauf bestanden, dass Cassie mit ihrem Liebhaber nicht in einem Zimmer schlief, nicht unter ihrem Dach – und sie hatte mit Mrs. Blackwood vereinbart, in der Bibliothek Erfrischungen zu servieren.

Eve tat ihr Bestes, um Cassie aus dem Weg zu gehen, ebenso diesem Jacob Romero mit seinen unergründlichen dunklen Augen und den markanten Gesichtszügen. Sie konnte nicht recht sagen, wie sie sich Cassies Begleiter vorgestellt hatte. Mit Sicherheit ein Stück älter, denn immerhin war Cassie bereits sechsundvierzig. Romero schien erheblich jünger zu sein als sie. Mit seiner hochgewachsenen Gestalt, dem muskulösen Oberkörper und den schmalen Hüften wirkte er kraftvoll und männlich.

Er sieht irgendwie – gefährlich aus, dachte Eve bei sich. Zumindest gefährlich attraktiv. Und unglaublich sexy. Man konnte leicht verstehen, was Cassie an ihm bewunderte. Eve beunruhigte es zutiefst, dass auch sie sich von seiner Erscheinung angezogen fühlte. Hatte sie nicht auch vom ersten Blick an diese merkwürdig ungute Vorahnung gehabt, die sie nicht recht einordnen konnte?

Übertrieben albern schnitt sie ihrem Spiegelbild eine Grimasse, dann zog sie sich aus und ging unter die Dusche. Sie war wirklichkeitsfremd geworden. Vor zehn Jahren noch hätten Männerblicke sie nicht so sehr gestört, aber damals war sie auch noch auf der Hut gewesen, misstrauisch und vorsichtig. In den Jahren, die sie bei ihrer Großmutter lebte, hatte sie den Schutzwall, mit dem sie sich umgeben hatte, seit sie alt genug war, um die Dinge zu begreifen, allmählich wieder abgebaut.

Als sie sich später die Haare föhnte, überlegte sie, was sie anziehen sollte. Ihre Garderobe war nicht besonders aufregend. Röcke, Blusen und Pullis für die Schule, Jeans und Sweatshirts für zu Hause. Für den seltenen Fall, dass sie einmal ausging, hatte ihre Großmutter ihr ein schwarzes, langärmliges Samtkleid gekauft, dessen Saum ihre Knie umspielte. Aber das hier war nicht der richtige Anlass dafür. Sie wollte nicht Cassies neugierige Blicke auf sich ziehen, wenn sie etwas so Unangemessenes zum Abendessen trug.

Am liebsten hätte Eve das Haar offen auf die Schultern fallen lassen, wie sie es oft tat, wenn sie es gewaschen hatte. Doch jetzt verzichtete sie darauf und flocht es lieber zu einem unauffälligen Zopf.

Nach einigem Hin und Her entschied sie sich für ein jadegrünes Top mit V-Ausschnitt, dessen Farbe gut mit ihrem Teint harmonierte. Dazu wählte sie eine schwarze Cordhose. Nachdem sie ein leichtes Make-up aufgetragen hatte, verließ sie ihr Zimmer.

Watersmeet war ein ziemlich großes Gebäude, doch mit der Zeit hatte Eve sich daran gewöhnt. Die Räume mit den hohen Decken und die breiten Korridore fielen ihr schon gar nicht mehr auf. Einige Jahre bevor sie hier eingezogen war, war eine Zentralheizung installiert worden. Dennoch war es schwierig, das Haus bei angenehmer Temperatur zu halten. Während der kalten Jahreszeit wurde deshalb in allen Räumen, die benutzt wurden, ein Kaminfeuer geschürt.

Als Erstes ging Eve in die Küche, um zu sehen, wie Mrs. Blackwood zurechtkam. Obwohl sie nicht so oft Gäste hatten, ließ sich die Haushälterin nicht aus der Ruhe bringen. Gerade bereitete sie Schinkenröllchen mit einer hausgemachten Käsefüllung zu. Das Avocado-Dressing, das sie dazu servieren wollte, war bereits fertig.

„Die verehrte Lady möchte nichts von dem Dressing“, erklärte Mrs. Blackwood. Eve wusste, dass sie damit Cassie meinte, denn ihre Großmutter achtete schon lange nicht mehr auf Kalorien. „Hoffentlich findet wenigstens der Seebarsch ihre Zustimmung“, redete sie weiter. „Ich hatte Mr. Goddard um eine spezielle Lieferung gebeten, denn ich weiß ja, dass sie sich nichts aus Fleisch macht.“

„Bestimmt wird alles ganz hervorragend schmecken“, meinte Eve mit einem warmen Lächeln. „Was gibt es zum Dessert?“

„Frisch gebackenen Apfelkuchen mit Eis“, erwiderte Mrs. Blackwood. „Ich dachte mir, nach ihrem bösen Sturz darf Mrs. Robertson ruhig ein wenig verwöhnt werden.“

„Das finde ich auch.“ Eve nickte zustimmend. „Aber jetzt gehe ich besser hinauf und sehe nach ihr. Hoffentlich hat sie sich nicht aufregen müssen.“

Die Haushälterin sah kurz von ihrer Arbeit hoch, als Eve zur Tür ging. „Machen Sie sich darum keine Sorgen“, sagte sie. „Ihre Großmutter ist ein zäher alter Vogel. Das hatte sie auch immer sein müssen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich will damit nicht sagen, dass sie ihre Tochter nicht liebt. Natürlich tut sie das. Aber sie kennt sie auch zu gut, um sich noch über irgendetwas aufzuregen, das Cassie sagt.“

„Ich hoffe, Sie haben recht.“

Eve ging aus der Tür und wandte sich der Treppe zu. Nach der gemütlich warmen Küche fand sie die große Eingangshalle richtig kalt. Sie überlegte gerade, ob sie sich aus ihrem Zimmer nicht eine Jacke holen sollte, als jemand die Treppe herunterkam.

Es war Jacob Romero. Auch er hatte sich umgezogen, stellte sie mit einem kurzen Blick fest. In dem Kaschmirpullover und den schwarzen Hosen aus samtweichem Material machte er eine ausgezeichnete Figur. Alles an ihm wirkte irgendwie exklusiv. Der Mann schien Geld zu haben. Ob das für Cassie der Hauptanziehungspunkt war? Nein, sicher nicht allein. Ihre Blicke hatten deutlich gemacht, dass sie seinen gut gebauten Körper ebenso begehrte.

Eve trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Sie hatte erwartet, dass er mit einem höflichen Lächeln an ihr vorbeigehen würde, doch stattdessen blieb er neben ihr stehen. Erst jetzt wurde sie sich seiner Größe richtig bewusst. Obwohl sie selbst ziemlich groß war, überragte er sie noch um einiges.

Er stand dichter neben ihr, als ihr lieb war. Nur mit Mühe konnte Eve dem Drang widerstehen, vor ihm zurückzuweichen. War da nicht eine Spur von Belustigung in seinen dunklen Augen? War ihm die Wirkung, die er auf sie hatte, ebenso bewusst wie ihr?

„Ich wollte mich bei Ihnen noch für Ihre Gastfreundschaft bedanken“, sagte er mit einem leichten Akzent in seiner rauen Stimme. War er Amerikaner? Wenn ja, dann hatte er einen sehr weichen Tonfall, was seine sinnliche Ausstrahlung noch betonte. Eve konnte nicht verhindern, dass ihr ein leichtes Prickeln über den Rücken lief.

„Es ist nicht mein Haus“, versetzte sie schroffer als beabsichtigt. Zum Teufel aber auch, er brachte sie völlig durcheinander! Und er wusste es, dessen war sie sich sicher.

„Aber Sie wohnen hier“, erwiderte er. „Cassandra sagte, dass Sie im Ort unterrichten. Ist das eine interessante Beschäftigung?“

„Es ist mein Beruf“, erklärte Eve, während sie die Hand auf das Treppengeländer legte und damit bedeutete, dass sie die Unterhaltung als beendet betrachtete.

Er ging jedoch nicht darauf ein. „Gefällt es Ihnen, hier draußen zu leben?“, fragte er weiter. „Es scheint sehr einsam hier zu sein.“

„Sie meinen, fern von jeder Zivilisation?“, entfuhr es Eve mit leichtem Spott.

„Ich meinte, es ist sicher nicht leicht, nur eine alte Dame zur Gesellschaft zu haben“, berichtigte er. Ein kleines amüsiertes Lächeln spielte jetzt um seine Mundwinkel. „Aber ich sehe schon, Sie wollen uns nicht hier haben.“

„Das hatte ich nicht gesagt.“ Eve war leicht geschockt, dass man ihr ihre Gefühle so offen ansehen konnte. „Natürlich ist Cassie jederzeit willkommen. Immerhin ist das hier ihr Zuhause.“

„Das schon.“ Ihr Unbehagen schien ihn zu amüsieren. Seine weißen Zähne bildeten einen starken Kontrast zu seinem gebräunten Gesicht, als er leicht grinste. „Aber es ist nicht mein Zuhause.“

Eve wich seinem Blick aus. „Sie wollen mich absichtlich missverstehen“, warf sie ihm vor, während sie von seinem Gesicht, auf dem sich bereits die Andeutung eines Bartes abzeichnete, nach unten blickte. Doch der Anblick seiner eng sitzenden Hosen war noch weitaus beunruhigender.

Großer Gott!

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
Mehr erfahren