Im Testament stand nichts von Liebe

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Vier Geschichten darüber, wie ein Testament das Leben zweier Menschen verändern kann. Liebe, Glück, Familie - alles ist möglich…

AUF DER SUCHE NACH DEM GLÜCK

Für Tessa wird ein Traum wahr: Der attraktive Milliardär Nick Ramirez, in den sie schon lange heimlich verliebt ist, bittet sie, seine Frau zu werden. Es gibt nur eine Antwort: Ja! Auch wenn Nick nicht von Liebe spricht, sind ihre Gefühle stark genug, um eine glückliche Ehe zu führen. Glaubt sie - bis eine gehässige Bemerkung der intriganten Nadia tiefe Zweifel in Tessa weckt: Angeblich will Nick sie nur heiraten, um eine Bedingung im Testament seines Vaters zu erfüllen ...

VERMÄCHTNIS DER LIEBE

Darcy ist wütend, zornig und verletzt: Ihr Vater, der mächtige Rinderbaron Jock McIvor, hat ein unglaubliches Testament hinterlassen! Ausgerechnet Curt Berenger, ihr Exbräutigam, soll ihr bei der Leitung der Farm zur Seite stehen. Jetzt kann Darcy ihm nicht mehr aus dem Weg gehen. Wie damals weckt der attraktive Mann ihr Verlangen, aber sie ist nicht die Einzige, die sich für Curt interessiert: Courtney, ihre jüngere Schwester, kann kaum die Augen von ihm lassen ...

DICH UND SEHR VIEL LIEBE

Okay, dann muss es eben sein: Die hübsche Perri und der Rancher Matt Ransom heiraten. Vor zwölf Jahren war ' genau das Perris sehnlichster Wunsch, aber damals zerbrach ihre Beziehung an einer Intrige. Dass Perri jetzt Ja sagt, liegt nicht gerade an glühend heißer Liebe, die sie für Matt empfindet. Nein, diese Ehe ist die Bedingung, unter der sie und Matt gemeinsam das große Anwesen von Gannie Gledhill erben. Obwohl - schon in der Hochzeitsnacht muss Perri feststellen, dass Gannie ihr mit diesem verrückten Testament ein großes Geschenk gemacht hat! Liebe, Glück, Familie - alles ist möglich…

DREIßIG NÄCHTE UND EIN LEBEN

Dreißig Tage muss Nathan gemäß dem Testament seines besten Freundes in dessen Haus in Hunter's Landing wohnen. Nur dann erhält der Ort eine großzügige Spende. Beschauliches Leben auf dem Land - ein Albtraum für den weit gereisten Hotelier. Trotzdem will Nathan den letzten Wunsch seines Freundes erfüllen. Helfen will ihm dabei die bezaubernde Keira Sanders. Mit viel Charme und einer Prise Erotik bemüht sich die engagierte Bürgermeisterin, ihn bei Laune - und vor allem im Dorf zu halten. Und immer drängender stellt sich Nathan die Frage: Geht es Keira nur ums Geld?


  • Erscheinungstag 03.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734565
  • Seitenanzahl 578
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Emma Darcy, Margaret Way, Virginia Dove, Maureen Child

Im Testament stand nichts von Liebe

IMPRESSUM

Auf der Suche nach dem Glück erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2005 by Emma Darcy
Originaltitel: „The Ramirez Bride“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA,
Band 1708 - 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: SAS

Umschlagsmotive: AntonioGuillem / GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733734695

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
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1. KAPITEL

Ein großer wattierter Briefumschlag aus Brasilien. Per Kurier und nur bei Nick Ramirez persönlich abzugeben. Mit der Auflage, sich die Lieferung durch die Unterschrift des Adressaten bestätigen zu lassen. Um von vornherein alle Möglichkeiten auszuschließen, dass dieser Umschlag Nick Ramirez nicht erreichte.

Nick sah dem Kurierfahrer nach, als er das Büro verließ, den Blick auf den Rücken des Mannes geheftet, auf die sich schließende Tür. Weil er den Umschlag, der jetzt vor ihm auf dem Schreibtisch lag, nicht ansehen wollte. Diese Sendung musste von seinem Vater sein. Seinem leiblichen Vater, der nicht das Recht hatte, Nicks Leben in irgendeiner Weise nahe zu kommen, geschweige denn, sich Einlass zu erzwingen. Diese Tür war schon vor sechzehn Jahren ins Schloss gefallen.

Nein, früher.

Nick war jetzt vierunddreißig. Sieben war er gewesen, als die Zurückweisung ihn von allen Seiten und mit voller Wucht getroffen hatte. Wut schoss bei der Erinnerung an den kleinen Schuljungen auf, der er damals gewesen war, brachte ihn dazu, aus dem Stuhl aufzustehen und sich von dem Umschlag aus Brasilien zu entfernen. Mit sieben war man dem Lügennetz, das die Erwachsenen spannten, hilflos ausgeliefert. Er hatte versucht herauszufinden, wohin er gehörte, die Wahrheit war brutal gewesen – nirgendwohin.

Also hatte er gelernt, sich selbst einen Platz zu schaffen.

Dieses Büro hier war Teil seines Platzes. Der Dreh- und Angelpunkt der Werbeagentur, die zwei Etagen des noblen Geschäftsgebäudes am Circular Bay einnahm, mit einem atemberaubenden Blick auf den Hafen von Sydney. Nicks Agentur. Er hatte sie aufgebaut, war mit seinem Konzept seinem Instinkt gefolgt, worauf der Markt reagieren würde, und hatte recht damit gehabt. Bahnbrechend recht.

Von seinem Fenster aus konnte er auf das Opernhaus und die Hängebrücke blicken. Jeder wusste, dass Sex und Glamour sich verkauften, er wusste es aus eigener Erfahrung. Er hatte ein besseres Händchen als jeder andere dafür, wie es sich am besten verkaufen ließ. Seine Fotos blieben in Erinnerung, trafen bei der gewünschten Zielgruppe ins Schwarze, fixierten das Produkt unauslöschlich in jedermanns Kopf. Seine Werbebilder hatten ihn zu einem reichen Mann gemacht, er konnte sich diesen Millionendollar-Ausblick leisten, hier im Büro wie auch in seinem Penthouse-Apartment in Woolloomooloo.

Er stand auf dem Gipfel seiner eigenen Welt, unabhängig und erfolgreich aus eigener Kraft. Er brauchte nichts von seinen Vätern, den reichen Männern, die seine Mutter angezogen hatte, von denen sie hatte haben können, was immer ihr habsüchtiges Herz begehrte.

Für ihn hatten diese Männer in seiner Kindheit auch tief in die Tasche gegriffen, wohl um ihr zu gefallen. Er hatte das Geld angenommen, um die eigenen Ziele zu verwirklichen. Warum auch nicht. Er hatte es sich verdient. Weil er ihnen das Leben nicht zur Hölle gemacht hatte.

Jetzt nahm er von niemandem mehr etwas an.

Er brauchte es nicht, und er wollte es nicht.

Für Enrique Ramirez war es zu spät, ihm noch etwas anzubieten. Der Brasilianer hatte immerhin zwei Chancen gehabt, in Nicks Leben etwas zu bewirken. Von der ersten Chance war er selbst weggegangen. Und das zweite Mal … Das war, als Nick als Achtzehnjähriger in Rio de Janeiro auftauchte, um einen Vater zu treffen, den er nie kennen gelernt hatte, und mit wütender Ablehnung empfangen worden war, weil er die Unverschämtheit besaß, sich als Enriques Sohn an dessen Haustür vorzustellen.

„Was willst du von mir? Was, glaubst du, lässt sich aus mir rausholen?“

Die verächtliche Unterstellung des hochgestellten Brasilianers hatte Nick veranlasst zu erwidern: „Nichts. Ich wollte dich eigentlich nur sehen. Aber deinen Namen werde ich annehmen. Denn der steht mir zu.“

Am genetischen Erbe konnte es keinen Zweifel geben – Nick hatte das gleiche dichte dunkle Haar, die gleichen grünen Augen mit den langen dunklen Wimpern, die gleiche olivenfarbene Haut, eine gerade, aristokratische Nase, ausgeprägte Wangenknochen, ein markantes Kinn, gespalten durch ein Grübchen in der Mitte, sinnlich geschwungene Lippenkonturen. Er war groß, und seine muskulöse Statur zeugte sowohl von Kraft als auch von Sportlichkeit.

Oh ja, er war seines Vaters Sohn. Zurück in Australien, hatte er den Namen seines Vaters angenommen, Ramirez. Zumindest das war keine Lüge. Aber was immer in dem Umschlag aus Brasilien sein mochte … Alles in Nick rebellierte gegen die Vorstellung, Enrique könnte irgendwie auf ihn einwirken wollen.

Das Telefon begann zu klingeln.

Mit wenigen Schritten war Nick beim Schreibtisch und nahm den Hörer auf.

„Mrs. Condor wartet in der Leitung“, teilte ihm seine Assistentin mit. „Sie möchte mit Ihnen reden.“

Seine Mutter. Schon die zweite unerwünschte elterliche Störung heute Morgen. „Stellen Sie sie durch.“ Ein Klicken und dann die trockene Einladung für seine Mutter, das Gespräch zu eröffnen. „Mutter?“

„Darling! Es ist etwas ganz Außergewöhnliches geschehen. Wir müssen reden.“

„Wir reden doch.“

„Ich meine, wir sollten uns treffen. Kannst du dich heute Vormittag freimachen? Ich bin auf dem Weg in die Stadt. Es ist wichtig, Nick. Ich habe ein Päckchen aus Brasilien erhalten.“

Nicks Wangenmuskeln spielten. „Ich auch.“

„Oh!“ Überraschung und Enttäuschung zugleich. „Nun, ich wollte es dir sanft beibringen, schließlich war er dein Vater … aber dafür besteht dann ja wohl keine Notwendigkeit mehr.“ Sie seufzte dramatisch. „Er war doch noch viel zu jung, er kann nicht viel älter als sechzig gewesen sein. Und immer so voller Leben und Energie …“

Ein Stich durchzuckte Nicks Herz, während sein Verstand begriff, dass Enrique Ramirez gestorben war. Tot. Von seinem Sohn nie gekannt. Und keine Möglichkeit mehr, ihn kennen zu lernen.

Nick starrte auf den Umschlag. Das letzte Lebenszeichen.

„Er hat mir das schönste Smaragdcollier geschenkt …“

Seine Mutter liebte schöne Dinge. Durch sie hatte Nick den Wert von Eleganz und Schick erkannt. Jeder Mann, der ihr Bett geteilt hatte, ob Ehemann oder Geliebter, erwarb sich dieses Privileg mit schönen Dingen. Mittlerweile war sie in ihrer fünften Ehe, und sollte eine neue Herausforderung in Form eines megareichen Mannes am Horizont auftauchen, so bezweifelte Nick nicht, dass in ihren goldfarbenen Augen auch neues Interesse auflodern würde. Enrique Ramirez allerdings hatte sie nicht als Ehemann einfangen können.

Wahrscheinlich hatte sie gar keinen brasilianischen Ehemann gewollt. Sie hätte sich ja in einem fremden Land niederlassen müssen. Ihr hatte es ausgereicht, dass der internationale Polospieler als Juror bei den Miss-Universum-Wahlen fungierte, damals in dem Jahr, als Nadia Kilman den Titel gewonnen hatte.

Die Schwangerschaft war mit Sicherheit nicht geplant gewesen. Ein höchst unglücklicher Unfall, vor allem, da sie vorhatte, Brian Steele zu heiraten, Sohn und Erbe des milliardenschweren australischen Minenmagnaten Andrew Steele. Doch einer Frau ihres überzeugenden Charmes war es nicht schwer gefallen, den Ehemann ihrer Wahl denken zu lassen, das Kind unter ihrem Herzen stamme von ihm. Es hatte auf jeden Fall die Hochzeitsvorbereitungen rasant beschleunigt.

Die gesamte Geschichte ihrer Mutter-Sohn-Beziehung lief jetzt vor Nicks geistigem Auge ab, während Nadia von den Ramirez-Smaragdminen schwärmte, als habe sie einen legitimen Anspruch darauf. Seine Mutter war Spezialistin, was Ansprüche anbelangte.

Nick fragte sich, ob er wohl Brian Steeles Sohn geblieben wäre, wäre die Lüge seiner Mutter nicht herausgekommen. Selbst nach der Scheidung und nachdem beide mit anderen Partnern verheiratet gewesen waren, hatte Nick Brian Steele immer noch für seinen leiblichen Vater gehalten. Verletzt, weil Brian nicht zu Schulanlässen oder Sportveranstaltungen seines Sohnes gekommen war, wie andere geschiedene Väter es machten, hatte Nick ihn zur Rede gestellt.

„Frag deine Mutter“, war die einzige Reaktion gewesen.

„Es ist nicht meine Schuld, dass du meine Mutter nicht mehr liebst.“ Es war so ungerecht. „Ich bin nicht nur ihr Sohn, sondern auch deiner.“

„Nein, bist du nicht.“

Schockiert, zutiefst verletzt und maßlos wütend ob dieser Zurückweisung hatte Nick weiter argumentiert. „Von seinen Kindern kann man sich nicht scheiden lassen. Du bist mein Vater. Nur, weil du eine neue Familie gegründet hast …“

„Ich bin nicht dein Vater.“ Diese Aussage war dem siebenjährigen Nick brutal ins Gesicht geschleudert worden. „Herrgott, sieh doch nur mal in den Spiegel!“

Es stimmte, Nick hatte weder rote Haare noch blaue Augen, aber bis dahin hatte er immer angenommen, er hätte den dunklen Teint von seiner Mutter geerbt. „Du willst mich nur einfach nicht, nicht wahr?“

„Richtig. Warum sollte ich den Bankert eines anderen Mannes als meinen Sohn annehmen? Der Name deines echten Vaters ist Enrique Ramirez, und wenn er nicht gerade irgendwo auf der Welt Polo spielt, lebt er in Brasilien. Ich bezweifle, dass er jemals zu deiner Schule kommen wird. Aber du kannst ja deine Mutter fragen.“

Mit dieser neuen Information im Kopf und der trotzigen Entschlossenheit eines Siebenjährigen hatte Nick es versucht.

„Oh, Darling, es tut mir so leid, dass du dich aufregst, weil Brian nicht dein leiblicher Vater ist.“ Die mitfühlende Stimme und das wunderbare Lächeln hatten wohl den dunklen Schmerz beruhigen sollen. „Aber Harry ist doch ein fabelhafter Stiefvater. Und mit ihm hat man auch viel mehr Spaß …“

„Ich will alles über meinen richtigen Vater erfahren“, hatte Nick störrisch weitergebohrt.

„Nun, er ist verheiratet, Liebling. Eine Scheidung kommt wohl nicht infrage, fürchte ich, wegen der Religion und der gesellschaftlichen Normen in seinem Land.“ Ihre schlanken, manikürten Hände waren wedelnd durch die Luft gefahren. „Wir werden also nie eine Familie sein können, selbst wenn wir wollten.“

„Weiß er von mir?“

„Ja.“ Ein schwerer Seufzer. „Auf Grund eines dieser unglücklichen Zufälle im Leben. Er spielte auf einem Turnier in Australien, und dein Großvater – nun, jetzt weißt du, dass er eigentlich gar nicht dein Großvater ist – lud Enrique zu einem Polo-Wochenende auf den Besitz in Singleton ein. Ein riesiges gesellschaftliches Ereignis, unmöglich, sich irgendwie abzusetzen. Ich hatte gehofft, Enrique wäre diskret genug, um vorzugeben, mich nicht zu kennen.“ Noch ein Seufzer. „Aber als er dich sah …“

„Er hat mich als seinen Sohn erkannt?“

„Nun, ja … Da war zum einen dein Aussehen und dann dein Alter, beides zusammen … Ich musste es zugeben, und er hat es benutzt, um … nun, um …“

Um sie zu erpressen, mit ihm zu schlafen.

Mehr hatte Nick seinem leiblichen Vater nicht bedeutet – ein Druckmittel, um sich die ehemalige Miss Universum erneut gefügig zu machen.

Obwohl … Nick ging davon aus, dass der auffallend attraktive und charismatische Brasilianer nicht viel Druck hatte ausüben müssen.

Das Risiko eines Skandals war beiden gleichgültig gewesen.

„Deine Mutter war so versessen nach mir wie ich nach ihr“, hatte Enrique mit einem Handwisch abgetan, als Nick ihn damals auf die möglichen Konsequenzen hinwies. Von Reue keine Spur. „Sie hätte nur Nein zu sagen brauchen. Ich dränge mich Frauen nicht auf. Es war ihre Wahl. Ihr Leben.“

„Und mein Leben zählte nicht für dich, oder?“, hatte Nick ihm vorgeworfen.

„Ich habe dir dein Leben gegeben. Du solltest endlich anfangen, es zu genießen. Dieses Herumwühlen in der Vergangenheit bringt dir nichts.“

Ein guter Rat. Den Nick sich zu Herzen genommen hatte.

Und genau deshalb wollte er diesen Briefumschlag aus Brasilien nicht anfassen.

„Was hat er dir denn zukommen lassen, Darling?“ Das Smaragdcollier hatte ihren Appetit auf mehr kostbare Geschenke aus Brasilien angeregt.

„Mein Aussehen, würde ich sagen“, spöttelte Nick.

„Das schon, Liebling, aber das meinte ich nicht, und du weißt das auch. Sei nicht so störrisch. Das Collier ist ein kleiner Dank dafür, dass ich ihm einen so beeindruckenden Sohn geboren habe, wie er mir schrieb. Wenn du Enrique so offensichtlich imponiert hast, wird er dir sehr viel mehr als ein Collier hinterlassen haben.“

„Ich habe die Sendung noch nicht geöffnet.“

„Na, dann tu es, Nick. Ich will alles genau erfahren, wenn ich in dein Büro komme. Ach, das ist so aufregend, ich kann’s kaum erwarten. Dein Vater war geradezu verboten reich.“

Das wusste er. Er hatte den unermesslichen Reichtum in Enriques Haus gesehen. Altes Geld, die Art Geld, wie sie die Aristokratie besaß. Reichtum, der über Jahrhunderte in der Familie blieb und vom Vater auf den Sohn weitervererbt wurde.

Nick wollte nichts von dem Mann. Alles in ihm sträubte sich dagegen, etwas anzunehmen, das seinem Vater offensichtlich mehr bedeutet hatte als der uneheliche Sohn.

„Ich müsste in einer Viertelstunde da sein“, kündigte seine Mutter jetzt an. Es war nicht zu überhören, wie sehr sie sich auf das Zusammentreffen freute. „Ist es nicht wunderbar, wenn man nach all den Jahren nicht vergessen ist?“

Nie wäre sie auf die Idee gekommen, die Welt anders als mit ihren Augen zu sehen, allein ihr Blickwinkel zählte. Was Nick provozierte zu widersprechen: „Nein, Mutter, es ist nicht wunderbar. Ich finde es sogar äußerst beleidigend von meinem Vater, zu warten, bis er tot ist, bevor er sich zu irgendeiner Anerkennung seines Sohnes herablässt.“

„Sei doch nicht so heikel, Nick. Was vorbei ist, ist vorbei. Man sollte immer das Beste aus dem machen, was man hat.“

Das in Stein gemeißelte Lebensmotto der Nadia Kilman/Steele/Manning/Lloyd/Hardwick/Condor. Daran hielt sie sich eisern, davon würde sie nie abweichen.

„Natürlich, Mutter. Ich freue mich darauf, dich und dein Collier gleich zu sehen.“

Nick legte den Hörer zurück und blickte auf den Umschlag. Ein Teil von ihm wollte ihn ungeöffnet in den Papierkorb fallen lassen. Ein anderer Teil war neugierig darauf, welchen Wert der Mann seinem leiblichen Sohn zumaß. Mit zynischem Galgenhumor dachte er, dass es wohl besser sei, es herauszufinden, damit er ein für alle Mal damit abschließen konnte.

Nick öffnete den Umschlag.

Der zwei Briefe enthielt.

Ein Brief war sofort als der Brief eines Anwalts zu erkennen. Javier Estes, Testamentsverwalter des Ramirez-Besitzes. Der zweite war überraschenderweise von Enrique, handgeschrieben und an Nick persönlich adressiert. Aus dem Inhalt ging hervor, dass Enrique erstaunlich gut über nahezu alle Details in Nicks Leben informiert gewesen war. Und der Schlusssatz präsentierte eben diesem Leben eine völlig neue, faszinierende Herausforderung.

Nick beschäftigte sich immer noch intensiv mit den soeben erfahrenen Neuigkeiten, als seine Assistentin die Tür öffnete und seine Mutter ihren Auftritt hatte.

Das Erscheinen seiner Mutter war immer ein Auftritt.

Sie war fünfundfünfzig und sah keinen Tag älter aus als fünfunddreißig. Die Verkörperung der weiblichen Schönheit, mit einem Körper, dessen jede einzelne Rundung puren Sexappeal ausströmte. Eine Traumfrau, die wusste, wie man seine gottgegebenen Vorzüge am besten zur Geltung brachte.

Wo immer sie auftauchte, verblasste jeder in ihrer Umgebung. Alle Blicke richteten sich auf sie, einfach, weil es sich so sehr lohnte, sie anzuschauen. Miss Universum zeigte immer noch, was sie hatte. Die Jahre, die seit dem Erringen des Titels vergangen waren, hatten ihr nichts anhaben können.

Kaum dass die Tür hinter ihr geschlossen wurde, bedachte sie ihren Sohn mit einem strahlenden Lächeln. „Nun?“ Sie war daran gewöhnt, zu bekommen, was sie wollte.

Nick lehnte sich lässig gegen die Schreibtischkante und betrachtete seine Mutter mit zynischem Amüsement. Die Nachrichten, die er ihr zu verkünden hatte, würden ihrer beispiellosen Eitelkeit einen Dämpfer versetzen.

„Ich vermute, du bist nicht die einzige Frau, die heute Morgen ein Smaragdcollier von Enrique Ramirez erhalten hat.“

Eine perfekt gezupfte Augenbraue wurde in die Höhe gelupft. „Was soll das heißen?“

„Anscheinend hat mein Vater während seiner Polo-Jahre seinen Samen in die Welt hinausgetragen. Ich habe einen Halbbruder in England und einen weiteren in den USA. Und beide müssen meinen seligen Vater ebenso beeindruckt haben wie ich, trotz der Tatsache, dass wir alle außerehelich gezeugt wurden. So ist anzunehmen, dass er sich deren Müttern gleichfalls erkenntlich zeigen wollte.“

„Oh!“ Lächelnd zuckte sie mit den Schultern. „Er war ja auch ein unwiderstehlicher Mann. Ich zweifle nicht daran, dass viele Frauen der gleichen Meinung waren. Für dich allerdings ist das nicht gut, Nick. Vermutlich hat Enrique das Erbe also zu drei gleichen Teilen aufgeteilt.“

Das Erbe war völlig unwichtig. Nick wollte seine Halbbrüder kennen lernen. Und um das zu können, musste er die verrückte Vorstellung eines toten Mannes wahr werden lassen: Die illegitimen Söhne sollten ein anderes Leben führen als er, ein Leben mit echter Liebe, Treue, Verantwortung und Vaterschaft. Entweder heiratete Nick in den nächsten zwölf Monaten und wurde Vater, oder er würde nie etwas über seine Halbbrüder erfahren.

Das war Enriques Vermächtnis … seine Herausforderung an Nick.

Der Rest interessierte nicht.

Nick glaubte nicht an Liebe und Ehe und glückliche Familien, aber er konnte und er würde nach außen hin die Bedingungen erfüllen, um ein Treffen mit seinen Halbbrüdern zu erreichen. Echte Blutsbande, so entfernt sie auch sein mochten. Nicht Stiefgeschwister, die mit den Hochzeiten und Scheidungen seiner Mutter kamen und gingen. Er wollte Enriques andere zurückgelassene Souvenirs kennen lernen, wollte wissen, ob sie so waren wie er, wollte wissen, dass er nicht allein war.

„Es gibt kein Erbe“, log er. Seine Mutter würde unweigerlich mit dem Fädenziehen beginnen, sollte er ihr die Wahrheit sagen. Er lächelte spöttisch. „Mein Vater hat mir großzügigerweise das Wissen um eine Familie zukommen lassen, nach der ich suchte, als ich achtzehn war. Man könnte sagen, es ist ein wenig spät.“

„Halbbrüder.“ Wieder wurde die Braue hochgezogen. „Willst du jetzt etwa Kontakt mit ihnen aufnehmen?“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich sie finden könnte. Im Gegensatz zu mir wissen sie nicht, dass Enrique ihr Vater ist, daher bedeutet ihnen der Name Ramirez nichts. Man teilte mir mit, dass ich ihre Namen erfahren werde, sobald die Angelegenheit mit dem Ramirez-Besitz erledigt ist. In der Zwischenzeit werde ich mich weiter um meine Angelegenheiten kümmern.“ Er schlenderte zur Tür und hielt sie auf. „Danke für deinen Besuch, Mutter. Ich bin froh, dass du dich über dein Collier freust.“

„Bist du nicht enttäuscht, Nick?“

„Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden.“

„Oh, du …“ Sie tätschelte ihm sanft die Wange. Der Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen glitt über sein Gesicht auf der Suche nach einem Riss in der zynischen Fassade. „Du hättest Enrique dazu bringen sollen, dich offiziell anzuerkennen, solange er noch lebte. Du warst schon immer viel zu stolz, Nick, zu unabhängig.“

„Ich bin das Produkt meiner Lebensumstände. Auf Wiedersehen, Mutter.“

Da es nichts gab, an dem sie sich festbeißen konnte, akzeptierte Nadia den Schlusssatz als gegeben. Sie war begierig darauf, das Collier schätzen zu lassen. Sie wollte wissen, wie viel sie Enrique Ramirez wert gewesen war. Nadia konnte fantastisch mit Zahlen umgehen, wenn es darum ging, herauszufinden, auf welche Summe sich der Profit aus einer eingegangenen Beziehung belief.

Wieder allein, dachte Nick über Möglichkeiten nach, um das zu erreichen, was er wollte, ohne einen zu hohen Preis dafür zahlen zu müssen. Die Informationen reichten nicht – keine Namen, keine Wohnorte, keine Altersangaben –, um seine Brüder selbst zu finden. Die einzige Garantie, die es gab, war, den Weg zu gehen, den Enrique vorgeschrieben hatte.

Es stand außer Frage, dass er auf seine echte Familie verzichten würde. Was bedeutete, dass er Heirat und Vaterschaft vorab in Angriff nehmen musste. Alles kam nur darauf an, dass er eine Situation schuf, mit der er leben konnte. Er hatte nicht vor, ein Kind der Scheidung der Eltern auszusetzen. Wenn er also ein Kind in die Welt setzte, so würde es ein stabiles Umfeld für dieses Kind geben müssen.

Immer wieder kehrten seine Gedanken zu einer Frau zurück.

Tess würde er vertrauen. Sowohl mit sich als auch mit dem noch ungezeugten Kind.

Er war ziemlich sicher, dass er mit ihr zu einer Einigung kommen könnte. Eine vernünftige, rechtlich abgesicherte Vereinbarung, die alle Beteiligten schützte. Tess war nicht wie die anderen Frauen, die er kannte. Alle anderen hätten sich sofort in eine Ehe mit ihm gestürzt, Tess dagegen wollte nichts von ihm. Sie wollte von keinem Mann etwas.

Aber gut möglich, dass sie ein Kind wollte. Und sie kannte Nick und wusste, woher er kam.

Denn Tessa Steele kam auch daher.

Dass sie Brian Steeles Tochter war – seine leibliche Tochter –, war unwichtig. Sie hatte ihren eigenen Kopf, und sie hatte sich ein eigenes Leben geschaffen. Wie Nick.

Die Frage war nur … wäre sie auch bereit, ein Leben mit ihm in Betracht zu ziehen, mit dem Anreiz, ein gemeinsames Kind zu haben?

2. KAPITEL

„Er hat überhaupt nichts von dir, Tessa“, knurrte Brian Steele und betrachtete seinen zwei Monate alten Enkel mit mürrischer Miene.

Nichts von ihm, meint er, dachte Tessa. Sie wusste, dass sie Brian Steeles Lieblingskind war, weil er sich in ihrem roten Haar, den blauen Augen und der hellen Haut wiedererkannte. Bis heute wusste sie nicht, ob es irgendein primitives männliches Bedürfnis in ihm war, seine Gene weiterzuvererben, oder eine Manie, weil man ihm das Kind eines anderen Mannes als das eigene untergeschoben hatte. Nicks Mutter hatte reichlich emotionales Chaos im Fahrwasser ihrer Ehe mit Brian Steele zurückgelassen.

Zweifellos war es verletzter Stolz gewesen, der ihren Vater direkt in die nächste Ehe getrieben hatte – mit der blonden Film- und Bühnenschönheit Livvy Curtin. Dieses ungleiche Paar hatte nur zwei Jahre überlebt, aber immerhin war eine Tochter aus der Verbindung hervorgegangen, und bei der Scheidung war Livvy nur zu dankbar gewesen, Brian das Sorgerecht zu überlassen. Damit sie ungehindert mit ihrer Schauspielkarriere fortfahren konnte.

Tess war sich der Liebe ihres Vaters immer sicher gewesen. Selbst als in seiner dritten und noch aktuellen Ehe zwei Söhne geboren wurden, auf die er extrem stolz war, hatte er sich immer einen besonderen Platz im Herzen für seine älteste und einzige Tochter bewahrt. Eine Schwäche, die von seiner dritten Ehefrau mit Misstrauen und Argwohn beäugt wurde. Sie hatte jede Gelegenheit genutzt, Tessa zu ihrer Mutter abzuschieben, die es allerdings vorzog, die Realität einer Tochter zu ignorieren. Livvy – du sollst mich doch nicht Mummy nennen – hatte nicht das geringste Interesse, die Mutterrolle auch nur zu spielen.

Auf Grund der eigenen Erfahrungen hatte Tess eine sehr genaue Vorstellung, wie das Familienleben ihres Sohnes aussehen sollte. Keine Ehe, keine Scheidung, keine angeheirateten Verwandtschaften. Ihr Sohn würde wissen, dass seine Mutter ihn liebte, seine genetische Abstammung war irrelevant. Sie hatte dieses Baby auf die Welt gebracht, es war ihr Baby. Ganz allein ihres.

„Er hat Locken“, meinte sie, auch wenn ihre eigene Lockenpracht von Livvy stammte und nicht von ihrem Vater.

Brian Steeles Haar war drahtig und gerade, das Rot längst schlohweiß. Die blauen Augen jedoch blickten immer noch wach und durchdringend, und jetzt lag ihr Blick auf der Tochter, um nach gewissen Punkten zu forschen, denen Tess bisher erfolgreich ausgewichen war.

Sie saßen zusammen im sonnigen Garten des Familienbesitzes in Singleton. Beide hatten sich eine Auszeit von ihren jeweiligen geschäftlichen Interessen genommen. Das Anwesen auf dem Land bot Tess die Ruhe und Abgeschiedenheit, die sie für die Geburt gesucht hatte, und da es das erste Enkelkind für ihren Vater war, hatte er ihr willig zugestanden, ein paar Monate hier zu verbringen, während er und seine Frau zwischen den Steele-Residenzen in Sydney und Melbourne pendelten.

„Wirst du mir nun sagen, wer der Vater ist?“

„Das ist unwichtig, Dad.“ Sie lächelte glücklich auf das dunkelhaarige grünäugige Baby in dem Schaukelsitz zu ihren Füßen hinab. „Er ist mein Sohn.“

„Tessa, ich habe inzwischen begriffen, dass du den Mann nicht heiraten willst …“

„Er würde mich auch nicht heiraten wollen.“ Es schlüpfte ihr heraus, bevor ihr klar wurde, dass sie diese Information vielleicht besser für sich behalten hätte.

„Und warum nicht?“ Ihr Vater klang beleidigt, so als müsse sich jeder Mann geehrt fühlen, ihr Ehemann zu werden. Schließlich war sie eine Steele, Milliardärstochter, Erbin eines ansehnlichen Teils der Familienvermögens und keineswegs unattraktiv, wenn sie sich die Mühe machte und ihre Vorzüge betonte.

Sie schüttelte nur den Kopf. Sie hatte nicht vor, die Identität des anderen Elternteils preiszugeben. Ihr Vater wäre noch viel beleidigter, würde er erfahren, dass Nick Ramirez ihm zu seinem Enkelsohn verholfen hatte.

„Weiß er überhaupt von diesem Kind?“

„Nein. Es würde alles nur verkomplizieren, wenn ich es ihm sagte.“

„Ist er verheiratet?“

„Nein.“ Der Blick ihrer blauen Augen bohrte sich jetzt eindringlich in seinen. „Es war nur eine einmalige Erfahrung, Dad. Rückblickend ein Fehler, für uns beide falsch. Okay?“

Auf jeden Fall falsch für Nick. Das hatte er nachher sehr deutlich gemacht. Er hatte regelrecht entsetzt ausgesehen, sich mitten in dieser Explosion von ungezügeltem Sex mit Brian Steeles Tochter wiederzufinden.

„Meinst du nicht, er wird es sich denken können, sobald er dich mit dem Baby sieht?“

„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass wir aufeinander treffen.“ Tess ging davon aus, dass Nick dieses Kapitel abgeschlossen hatte. „Wir verkehren nicht in denselben Kreisen. Und bis man erfährt, dass ich Mutter bin, wird genug Zeit vergangen sein, um keine Verbindung mehr herzustellen.“

„Du willst nicht, dass er es erfährt“, schloss ihr Vater listig.

Es wäre wirklich zu kompliziert. Mal ganz abgesehen von den verworrenen Familienverhältnissen … Tess war nicht der Typ Frau, dem Nick normalerweise den Vorzug gab. Wenn er dann noch herausfand, dass sie ungewollt schwanger geworden war, würde er die ganze Situation verabscheuen.

Er war gegen die Ehe eingestellt und in Bezug auf die Liebe der vollkommene Zyniker. Vaterschaft generell war ein wunder Punkt bei ihm, und wenn man ihm dann auch noch die Kontrolle über sein Leben mit einer ungewollten Vaterschaft aus der Hand reißen wollte … Tess erschauerte allein bei der Vorstellung, wie er reagieren würde. Sie hatte nicht vor, so etwas an ihren Sohn herankommen zu lassen.

Es war besser für Nick, wenn er es nicht wusste. Für sie war es auch besser. Nick Ramirez war wie die verbotene Frucht. Die Versuchung war groß, auch wenn man wusste, dass man mit dem Genuss der Frucht unweigerlich Ruhe und Frieden im Leben aufgab.

„Geheimnisse“, stieß Brian jetzt aus, „sind der Garant für Kummer. Es wird die Zeit kommen, da der Junge wissen will, wer sein Vater ist.“ Er zog die weißen Augenbrauen zusammen. „Wirst du ihn dann anlügen? Ihm sagen, sein Vater sei tot?“

„Das weiß ich nicht. So weit habe ich noch nicht vorausgedacht.“

„Nun, dann solltest du besser anfangen zu denken“, riet er streng. „Du solltest diese Sache mit dem Kindsvater jetzt klären. Dein Sohn hat ein Recht darauf, zu wissen, wer er ist und woher er kommt. Je länger du wartest, desto größer der Schock.“

Sie sah ihn abschätzend an, versuchte abzuwägen, ob sie das heikle Thema ansprechen sollte. Erst kürzlich hatte Livvy ihr erzählt, was damals vor all den Jahren zwischen ihrem Vater und Nick geschehen war. Als frisch vermählte zweite Frau hatte sie alles von ihrem wütenden Ehemann über diesen Jungen erfahren. Dass Miss Zentrum-ihres-eigenen-Universums praktischerweise vergessen hatte, dem Bankert ihres brasilianischen Liebhabers zu sagen, dass er nicht Brians Sohn war.

„Du meinst, wie bei Nick Ramirez, Dad?“

Es zuckte in seinem Gesicht, dann musterte er seine Tochter mit scharfem Blick. „Woher weißt du das?“

„Von Livvy.“

Er schnaubte. „Wie ich deine Mutter kenne, hat sie eine hoch dramatische Schilderung abgeliefert.“

„Um genau zu sein … sie meinte, ich sollte über die Familiengeschichte informiert sein, da ich geschäftlich mit Nick zu tun habe.“

„Geschäftlich …“, spottete er. „Der perfekte Vorwand für Livvy, sich in Szene zu setzen. Ein erfolgreicher Mann wie Nick Ramirez würde sich durch persönliche Beziehungen nie das Geschäft verderben lassen.“

„Aber damals … es war ein Schock für ihn, nicht wahr?“

„Allerdings.“ Brian krümmte sich bei der Erinnerung. „Ich bin nicht gerade empfindsam mit ihm umgegangen. Ich bereue es bis heute. Aber ich war so wütend auf Nadia, und ich habe es an ihm ausgelassen. Dabei war es doch gar nicht seine Schuld. Er war doch nur ein Junge, der um das kämpfte, was er als sein Recht betrachtete.“

„Also … bewundertest du ihn?“, drängte sie vorsichtig.

Brian lachte trocken auf. „Nein, ich habe ihn gehasst. Weil ich in ihm nur diesen brasilianischen Nabob gesehen habe. Hinterher habe ich mich geschämt dafür, wie ich ihm die Wahrheit ins Gesicht gespien habe.“ Er seufzte. „Der Junge war gerade mal sieben, und doch versuchte er sich durchzusetzen. Bis ich seinen Glauben, ich sei sein Vater, in den Boden rammte. Es war … es war, als hätte ich etwas in ihm abgetötet.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will nicht, dass mein Enkel so etwas durchmachen muss, Tessa. Tu das deinem Sohn nicht an. Er hat ein Recht darauf, es von Anfang an zu wissen.“

Ein sehr ernüchternder Rat inmitten des Gefühlstumults, den Tessa jedes Mal durchmachte, wenn sie an Nick dachte. Sie konnte nicht vergessen, wie peinlich es ihm gewesen war, mit ihr im Bett zu landen. Er hatte gar nicht schnell genug wieder hinauskommen können. Und danach hatte er sorgsam darauf geachtet, es nie wieder auch nur mit einer Andeutung zu erwähnen. Nachdem sie übereingekommen waren, dass dieser intime Ausrutscher ihre Arbeitsbeziehung nicht beeinträchtigen sollte.

Nick bediente sich häufig ihrer Dienste als Agentin, um die passende Besetzung für die Werbespots zu finden, die er fürs Fernsehen produzierte. Während der ersten Monate ihrer Schwangerschaft hatte sie auf irgendein Zeichen von ihm gewartet, sich danach gesehnt, dass er ihre Beziehung über das Geschäftliche hinaus ausweiten wollte.

Ein alberner Wunsch. Nicht nur war kein Zeichen gekommen, sondern er hatte sich auch sofort in eine heiße Affäre mit dem nächsten der Models gestürzt, die ständig um ihn herum- und in sein Bett flatterten.

Nachdem Livvy ihr von den Hintergründen erzählt hatte, war Tess klar – Nick Ramirez würde sich niemals auf eine feste Beziehung mit Brian Steeles Tochter einlassen. Wahrscheinlich hatte es ihm eine Art bitteres Vergnügen bereitet, ausgerechnet mit ihrer Agentur zusammenzuarbeiten, auch wenn sich mit der Zeit die Kooperation als sehr produktiv erwiesen hatte.

Zwischen ihnen hatte sich eine kollegiale Freundschaft entwickelt, auf Grund des Verständnisses für den jeweiligen Background. Doch eines Abends war die Leidenschaft aufgeflammt … im Nachhinein wohl höchst unpassend für Nick, sodass er von da an peinlich genau darauf achtete, nie wieder die Kontrolle zu verlieren.

Gesunder Menschenverstand hatte Tess dazu gezwungen, die gleiche Einstellung an den Tag zu legen, wann immer sie und Nick sich geschäftlich trafen. Und mit jedem Treffen war deutlicher geworden, dass er keine Konsequenzen aus dem erwartete, was er offensichtlich als Anfall von momentanem Wahnsinn erachtete. Ihr Umgang beschränkte sich auf das rein Geschäftliche.

Dennoch erkannte Tess, dass ihr Vater recht hatte. Ihre und Nicks Gefühle waren irrelevant, ihr gemeinsames Kind konnte nichts dafür, dass es eine Konsequenz war. Jedes Kind hatte das Recht, seine Eltern zu kennen. Sie würde es Nick sagen müssen, aber erst, wenn sie mehr Kraft gesammelt hatte.

Ihr Handy begann zu läuten.

Sie lächelte ihren Vater an, während sie das kleine Gerät aufnahm. „Kannst du einen Moment auf Zack aufpassen?“, bat sie und ging weiter in den Garten hinein, um das Gespräch anzunehmen.

„Ich weiß nicht, wie man einen Jungen Zack nennen kann“, brummte Brian. „Was ist denn das für ein Name? Ich wette, da hatte deine Mutter ihre Finger im Spiel …“

Es war die Art ihres Vaters, sie wissen zu lassen, dass er von Livvys gestrigem Eintreffen in Sydney erfahren hatte. Er vermutete wohl, der Anruf sei von Livvy, die sich übrigens mal wieder seinen Unmut zugezogen hatte, weil sie sich kürzlich einen blutjungen Schönling als Liebhaber zugelegt hatte.

Da Tess ebenfalls ihre Mutter am anderen Ende erwartete, wollte sie außer Hörweite sein. Dieses Gespräch würde unweigerlich bissige Kommentare seitens ihres Vaters provozieren.

„Tess, Nick hier. Nick Ramirez.“

Der Schock, die Stimme des Mannes zu hören, der soeben noch Dreh- und Angelpunkt ihrer Gedanken und Gefühle gewesen war, raubte ihr für einen Moment die Sprache. Mitten im Schritt blieb sie stehen.

„Wo bist du im Moment?“ Scheinbar war Nick zu ungeduldig, um die Zeit für eine normale Begrüßung zu finden.

Ich stehe vor dem Polofeld, wo dein Vater und mein Vater damals zusammen gespielt und damit die Vorgänge in Bewegung gesetzt haben, die für unsere heutige Situation verantwortlich sind. Sie verdrängte die Worte hastig und ging weiter hinaus auf das offene Feld. „Gibt es ein Problem, Nick?“, fragte sie, so sachlich sie konnte.

Es musste etwas mit der Agentur zu tun haben. Hatte ihre Assistentin irgendetwas verbockt?

„Nein, kein Problem“, versicherte er.

„Warum rufst du dann an?“

„Ich möchte mich mit dir treffen.“

„Wozu?“

Schweigen.

Pure Angst schoss durch sie hindurch, ließ sie erstarren. Hatte er von dem Baby erfahren? Vermutete er, er könne der Vater sein?

„Können wir zusammen zum Lunch gehen? Du musst doch wieder in Sydney sein. Livvy ist auch hier.“

„Nein, ich bin nicht in Sydney, Nick.“

„Hattest du mir nicht gesagt, deine Mutter wolle dich bei ihrer ersten Regiearbeit als persönlichen Manager dabeihaben? Musste ich nicht deshalb die letzten sechs Monate mit deiner Assistentin arbeiten anstatt mit dir? Weil du mit deiner Mutter unterwegs warst?“

„Ja.“ Ihr Magen verkrampfte sich bei der Vorstellung, wie einfach es für ihn sein würde, ihre Lügen aufzudecken, wenn er es darauf ankommen lassen wollte.

„Livvy ist gestern aus L. A. zurückgekommen“, fuhr er fort. „Und da du diesen Anruf angenommen hast, musst du wohl auch in Australien sein. Also, wo bist du?“

„In Singleton, ich besuche meinen Vater.“ Zumindest das stimmte.

Er stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Tess, ich muss mit dir reden.“

„Worüber?“

Er ging nicht auf ihre Frage ein, erwähnte stattdessen ein Ereignis, bei dem ihre Anwesenheit auf jeden Fall erwartet werden würde. „Am Donnerstag ist doch die Premiere von Waking Up …“

Ein Teenie-Horrorfilm, dessen Erstaufführung für die Weihnachtsferien angesetzt war, um ein größtmögliches Publikum anzuziehen. Tess hatte am nächsten Tag nach Sydney und in ihr Haus in Randwick zurückkehren, sich mit ihrer Mutter treffen, sich etwas Passendes zum Anziehen für die Premiere kaufen wollen …

„Du hast doch die Besetzung für den Film gemacht.“ Nick war hörbar zufrieden mit sich, sie auf eine definitive Zeit und einen bestimmten Ort festgenagelt zu haben. „Wenn du noch keinen Begleiter hast, biete ich mich an. Einverstanden?“

Das konnte man nicht als Geschäftstreffen bezeichnen. Tess konnte ihre Überraschung nicht mehr zurückhalten. „Aber warum?“, entschlüpfte es ihr.

„Warum nicht?“, kam prompt die Erwiderung. „Oder hast du endlich einen Mann gefunden, der dir etwas bedeutet? Der etwas dagegen haben könnte, dich mit mir zusammen zu sehen?“

Sein angespannter Ton verriet, wie wenig ihm ein solcher Stolperstein für seinen Plan gefallen würde. „Gibt es denn da keine Frau, die es dir übel nehmen würde, zusammen mit mir gesehen zu werden?“, drehte sie den Spieß um.

„Nein, das ist kein Faktor.“

„Ich kann nicht glauben, dass du niemanden an deinem Frackzipfel hängen hast.“

„Dieser Frackzipfel wird noch vor Donnerstag abgeschnitten.“

Das klang mit Sicherheit entschieden, aber was bedeutete es? Nick wechselte häufig seine Frauen, also nichts Unübliches. Aber seiner jetzigen Begleiterin wegen eines wahrhaft unüblichen öffentlichen Auftritts mit ihr den Laufpass zu geben …?

Wollte er reinen Tisch machen, um sich mit dem Thema Vaterschaft zu befassen? Doch wie sollte er von dem Baby wissen, wenn sie sich im wahrsten Sinne des Wortes völlig aus der Sydneyer Gesellschaft zurückgezogen hatte?

Sie atmete tief durch und beschloss, direkt zu sein. „Worum geht es, Nick?“

„Das sage ich dir, wenn wir uns sehen. Wo und wann soll ich dich abholen?“

Er ging ganz selbstverständlich davon aus, dass sie keinen Begleiter für den Abend hatte. Allerdings hätte sie in dem Falle wahrscheinlich auch anders auf seinen Vorschlag reagiert. Zudem war Nick Ramirez ein wichtiger Kunde, der wohl eine gewisse Sonderbehandlung verdiente.

Und die Mahnung ihres Vaters stand ihr noch frisch vor Augen. Es wäre eine Möglichkeit, eine persönlichere Beziehung zu Nick aufzubauen. Wegen des Kindes. Besser also, sich nicht zu sehr zu sträuben, wenn sie ihre eigenen Absichten verfolgen wollte. Und sowieso keinen Begleiter hatte.

„Ich werde für die Nacht im Regent Hotel bleiben.“ Neutrales Gebiet. „Der Empfang findet dort nach dem Film statt.“

„Fein. Treffen wir uns um sechs in der Lobby auf einen Drink.“

Ein öffentlicher Ort. „Einverstanden.“

„Danke, Tess.“

Hörte sie da Erleichterung in seiner Stimme? Tess fand die Vorstellung faszinierend, Nick Ramirez könne sie aus persönlichen Gründen brauchen.

„Weißt du, du hast mir diese sechs Monate gefehlt“, fügte er hinzu, und sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. Dieses trockene, spöttische Lächeln, das er immer benutzte, wenn es sich um irgendwelche Gefühle handelte. „Ich freue mich darauf, dich wiederzusehen.“

Damit wurde die Leitung unterbrochen, und Tess stand regungslos da.

Dieser Anruf hatte nichts mit einem möglichen Verdacht seinerseits hinsichtlich des Babys zu tun. Er glaubte diese Geschichte ihres angeblichen Aufenthalts in L. A. Und er hatte gesagt, sie habe ihm gefehlt.

Angesichts seiner vorherigen negativen Einstellung zu jedweder Art von persönlicher Beziehung mit ihr ergab das alles keinen Sinn. Er hatte sich ja noch nicht einmal von seiner jetzigen Freundin verabschiedet.

Die einzige mögliche Antwort … er wollte etwas von ihr. Etwas, das ihm so wichtig war, dass er mit seinen eigenen Regeln brach.

Wirklich faszinierend.

Tess entschied, dass sie von diesem Treffen nichts zu befürchten hatte.

Im Gegenteil, sie konnte nur gewinnen.

3. KAPITEL

Nick lächelte vor sich hin, als er das Regent Hotel betrat. Ein großartiger Schachzug seinerseits – eine ernste Beziehung mit Tess im Rampenlicht einer Filmpremiere zu beginnen. Wenn der Typ, den Enrique beauftragt hatte, Nick im Auge zu behalten, jetzt seinen Job machte, konnte er Javier Estes einiges berichten.

Schritt eins hin zu Liebe und Ehe.

Es war Punkt sechs, in der Lobby summte es vor Betriebsamkeit. Die Gäste kamen zurück von ihrem Tag, machten Pläne für den Abend. Man traf sich, bevor man gemeinsam ausging. Die Aufzüge lagen am hinteren Ende der Lobby. Nick stellte sich in die Nähe der Rezeption, wo weniger Trubel herrschte. So konnte Tess ihn sofort erblicken, als sie aus ihrem Zimmer kam. Anders als die meisten Frauen, die er kannte, war Tess ein Pünktlichkeitsfanatiker.

Das rührte wahrscheinlich noch vom Leben im Internat her, wo Schulglocken einen von einem Platz zum nächsten beorderten und Trödeln bestraft wurde. Noch etwas, das sie gemeinsam hatten … die Internatsschule, wohin lästige Kinder abgeschoben wurden. Er war ganz sicher, dass Tess ihm da zustimmen würde – ihr Kind würde nie auf ein Internat kommen. Wenn sie denn eins haben würden.

Diese Idee mit der Vaterschaft war noch nicht endgültig entschieden. Im Moment spielte Nick noch mit den verschiedenen Faktoren, wägte ab, suchte nach Möglichkeiten, einen Rahmenplan aufzustellen, mit dem er leben konnte. Das mit der Eheschließung mit Tessa war halb so wild. Papierkram, mehr nicht. Ein für beide Seiten akzeptabler Vertrag. Das mit dem Kind war erheblich schwieriger.

Enriques Herausforderung hatte Nick zum Nachdenken darüber angeregt, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen sollten. Aus eigener Erfahrung hatte er eine ziemlich lange Auflistung auf der Negativseite sammeln können, aber die Punkte auf der positiven Seite waren keineswegs eine leichte Aufgabe. Damit würde man sich sehr genau auseinander setzen müssen.

Wenn er diese Sache überhaupt tatsächlich durchzog.

Enrique hatte sich da etwas wirklich Ausgekochtes einfallen lassen. Um die eigenen Brüder kennen zu lernen, musste Nick ein eigenes Kind zeugen. Ein Kind war völlig abhängig von den Eltern. Die Brüder dagegen mussten alle erwachsene Männer sein, die er vielleicht nicht einmal sympathisch finden würde, geschweige denn Bruderliebe für sie empfinden konnte. Vielleicht war es den ganzen Aufwand nicht wert.

Aber dass sie einander bewusst vorenthalten worden waren …

Absolut inakzeptabel.

Der Geräuschpegel in der Lobby änderte sich. Nick sah, wie sich die Köpfe zu der breiten Treppe drehten, die vom Zwischenlevel, wo sich das Restaurant befand, in die Lobby führte. Sicher ein Filmstar, der sich zur Premiere aufmacht, dachte Nick und schaute zur Treppe, in der Erwartung, dort ein bekanntes Gesicht zu erblicken.

Ja, das Gesicht kannte er tatsächlich, aber es dauerte einen Moment, bevor er wirklich begriff, was er sah.

Tess, die die Treppe herunterkam wie eine Filmdiva.

Tess, die so umwerfend aussah, so traumhaft schön, dass sie sowohl die eigene wie auch seine Mutter zusammen in den Schatten stellte.

Ihr rotes Haar, betont durch goldene Strähnchen, fiel in langen Locken wie ein seidiger Vorhang über ihre perlmuttfarben schimmernden Schultern. Ihr Gesicht, umrahmt von dieser Aureole und von kunstvoll aufgetragenem Make-up verschönert, strahlte mit Sicherheit Starqualitäten aus, die blauen Augen leuchteten mit ihrem Lächeln um die Wette.

Sie trug ein Kleid, das auf jedem roten Teppich der Welt Aufsehen erregt hätte. Fliederfarbene Spitze mit winzigen silbernen Perlen bedeckte kaum ihre Brust. Das verführerische Dekollete lief in Falten fliederfarbenen Chiffons aus, der sich eng um ihre schmale Taille schmiegte, um weiter in Rauchgrau und dunklem Violett hinabzufallen. Ein Schlitz an der Seite ließ den Blick auf einen perfekt geformten Schenkel frei, die zierlichen Füße steckten in silbernen Riemchensandaletten mit hohem Absatz.

Passend dazu der Schmuck: ein Diamantarmband am Handgelenk, lange Diamantohrringe, die im Ohrläppchen baumelten, und um den Hals eine Diamantkette aus unzähligen kleineren Steinen, von deren Ende ein großer tropfenförmiger Solitär herabhing. Die Erbin des Minenimperiums stellte ihr Licht heute Abend wahrlich nicht unter den Scheffel!

Dieses Bild von Tess verursachte seltsame Dinge in Nicks Magen.

Und noch schlimmere in seiner Lendenregion.

Was wiederum bewirkte, dass sein Hirn mehr oder weniger den Dienst quittierte.

Tess blieb auf halber Höhe der Treppe stehen. Sie hatte Nick erblickt, bevor sie den gefährlichen Abstieg auf diesen sexy Pfennigabsätzen begonnen hatte, die unbedingt zu diesem Kleid getragen werden mussten. Zuerst hatte er noch woanders hingeschaut, doch jetzt hatte sie auch seine volle Aufmerksamkeit. Er starrte unablässig und direkt in ihre Richtung. Aber er rührte sich nicht. Er kam nicht auf sie zu, um sie zu begrüßen.

Sein perplexer Gesichtsausdruck bereitete ihr diebisches Vergnügen. Nur weil sie es sich während ihrer geschäftlichen Beziehung zum Prinzip gemacht hatte, sich nicht auffällig schick zu kleiden, um nicht zu der endlosen Anzahl Frauen zu gehören, die alles daransetzten, ihm zu gefallen, hieß das nicht, dass sie es nicht mit den Glamourösesten von ihnen aufnehmen konnte. Schließlich brauchte man dazu nicht mehr als einen meisterhaften Coiffeur, Zeit im Schönheitssalon, einen Einkaufsbummel. Und Geld, natürlich. Kleider machen Leute … der alte Spruch hatte seine Gültigkeit nicht verloren.

Wenn schon, denn schon. Wenn sie ihm schon die Neuigkeit über ihr gemeinsames Kind eröffnen musste, dann wollte sie Nick eine kleine Erinnerungshilfe geben, warum er sich in jener Nacht zu ihr hingezogen gefühlt hatte. Sie hätte nicht sagen können, ob es weiblicher Stolz war, der sie antrieb, oder ein primitives Bedürfnis, ihn so aus den Schuhen zu hauen, dass er sich noch einmal genau überlegte, wie er sich ihre Beziehung vorstellte.

Es war jetzt fast ein Jahr her, dass er dieser explosiven, wilden Nacht den Rücken gekehrt hatte. Und sie somit gezwungen hatte, es ebenfalls zu tun. Sah er die Bilder in diesem Moment wieder vor sich? Stand er deshalb so regungslos da? Böse Tess, unartiges Mädchen! Da rührte sie alles wieder auf! Unverschämte Tess, die ein Mal nicht vernünftig sein wollte!

Rebellisch hob sie leicht das Kinn. Nick hatte sie in eine Ecke gedrängt, und dagegen wehrte sie sich. Fein! Wenn er nicht auf sie zukam, würde sie eben zu ihm gehen. Würde ihn zwingen zuzugeben, dass er heute Abend mit ihr hier war. Und zwar auf seine Veranlassung hin!

Tess ging weiter die Treppe hinunter, der Ärger verlieh ihr eine rigidere Haltung, machte ihre Schritte energischer. Ein Bewusstsein für grundlegende Höflichkeit musste wohl durch den anfänglichen Schock gedrungen sein, denn jetzt kam Nick endlich auf die Treppe zu, und die Menschen im Foyer machten Platz für ihn, so wie Moses das Rote Meer geteilt hatte – wie immer.

Ihn umgab die charismatische Aura des großen dunkelhaarigen, attraktiven Mannes, vor allem in Abendgarderobe. Und etwas an seinem Latin-Lover-Aussehen ließ einem eine angenehme Ahnung von Gefahr über den Rücken kriechen, die die sinnliche Ausstrahlung dieses Mannes noch erhöhte.

Als Tess ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte sie gedacht, dass es wohl keine Frau auf der Welt geben konnte, die nicht zumindest den flüchtigen Wunsch verspürte, ihn in ihr Bett zu locken, nur um zu sehen, wie es mit ihm sein würde. Das Problem war nur … Nick wusste es. Etwas in ihr hatte Tess getrieben, diese Regung zu unterdrücken. Sie wollte die glorreiche Ausnahme sein von all den Frauen, die ihm im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen sanken.

Sie war keine Ausnahme.

Sobald er die Möglichkeit hatte durchblicken lassen, mit ihm zu schlafen, war sie gesunken. Und sie würde wieder sinken, sollte sich eine zweite Chance ergeben. Zweifelsohne wäre es sehr viel einfacher, ihm von seinem Sohn zu berichten, wenn sie nebeneinander im Bett lagen.

Allerdings … sollte sie ein Feuer in ihm entfacht haben, so hielt er es eisern eingedämmt, als er am Fuße der Treppe zu ihr trat und sie mit einem galanten Handkuss begrüßte.

„Hollywood pur, Tess“, murmelte er mit den Lippen an ihrer Haut. Dann lächelte er sein spöttisches kleines Lächeln und zog eine Augenbraue hoch. „Schon in Stimmung für die Premiere?“

Kleine Stromstöße liefen ihren Arm hinauf, Adrenalin ergoss sich in ihr Blut und versetzte ihren Verstand in Verteidigungsmodus. Der letzte Funken Hoffnung, es könnte etwas anderes von Nick kommen als platonische Freundschaft, erstarb in ihrem dummen, albernen, verletzlichen Herzen.

„Ich dachte mir, für einen öffentlichen Auftritt im Rampenlicht sollte ich meine Messlatte etwas höher anlegen als üblich.“ Sie wollte sachlich, nüchtern klingen, auf keinen Fall vertraulich.

In seinem Lachen klang Spott mit. „Du hast die Messlatte nicht nur höher gelegt, du hast sie unüberwindbar für jegliche Konkurrenz gemacht.“

„Ich konkurriere nicht“, stritt sie hastig ab und verabscheute die Vorstellung, dass er das denken könnte. „Habe ich es übertrieben? Bist du deshalb dort stehen geblieben, statt mich zu begrüßen?“

Er schüttelte den Kopf, amüsiert über den plötzlichen Riss in ihrem Selbstbewusstsein. „Nein, du hast nicht übertrieben, Tess. Um genau zu sein, du hast stehende Ovationen verdient. Ich war einfach nur nicht auf diesen grandiosen Auftritt vorbereitet.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich kann durchaus die Tochter meiner Mutter sein, wenn ich will. Und warum sollte ich nicht wollen, wenn ich zu einer Premiere gehe?“

„Ja, warum nicht? Ich brauchte nur einen Moment, um mich an dieses Image von dir zu gewöhnen.“

„Du hast mich auch vorher schon zurechtgemacht gesehen“, kam es ihr unwillkürlich über die Lippen, weil sie ihn unbedingt erinnern wollte, dass er sie schon einmal verführerisch gefunden hatte. An jenem Abend, als sie zu der Produkteinführungsparty gegangen waren. Getrennt. Und danach gemeinsam im Bett gelandet waren.

Die dunklen Wimpern senkten sich über seine Augen, wohl um seine Reaktion auf die Erinnerung zu verschleiern. Er verzog den Mund zu einem provozierenden Lächeln. „Spielst du etwa mit dem Feuer, Tess?“

Hitze schoss an ihrem Nacken hoch und kroch in ihre Wangen, und innerlich verfluchte sie ihre helle Haut, die wie ein Barometer jede ihrer Gefühlsregungen anzeigte. Verwirrung fand ihr Ventil in einer Gegenattacke.

„Du hast die gezogenen Grenzen durchbrochen, Nick. Ich bin nicht diejenige, die dich gebeten hat, mich heute Abend zu begleiten.“

„Stimmt, das war ich.“ Trotzdem … mit seinem Lächeln vermittelte er ihr den Eindruck, sie sei nicht anders als die anderen, die versuchten, eine Einladung in sein Bett zu ergattern.

„Was nun den grandiosen Auftritt angeht … den hast du ebenfalls selbst provoziert.“ Das Bedürfnis, die Waagschalen ausgeglichen zu halten, erlangte rasant ein Eigenleben. „Erst bist du so mit deiner eigenen Welt beschäftigt, dass du mich nicht einmal wahrnimmst, und dann, als du mich endlich siehst, hältst du es nicht für nötig, mir entgegenzukommen. Stattdessen lässt du mich die ganze Treppe allein heruntersteigen.“

„Sag jetzt nicht, du hättest das allgemeine Aufsehen nicht genossen.“

„Zu deiner Information, Nick Ramirez: Ich bin für den Anlass entsprechend angezogen. Und anstatt deinem männlichen Ego zu schmeicheln und zu denken, ich hätte das nur getan, um dich zu beeindrucken … vielleicht solltest du mich jetzt endlich nach oben eskortieren, damit wir im Restaurant noch einen Bissen zu uns nehmen können, bevor wir ins Filmtheater müssen.“

„Ganz zu Diensten“, fügte er sich, diesmal mit einem offenen Lächeln. Er nahm ihre Hand, die er immer noch hielt, und legte sie sich auf den Arm. „Deine spitze Zunge hat mich gerade wieder daran erinnert, warum du mir so gefehlt hast.“

„Hat das geschäftige Bienchen sich etwa mit zu viel Honig den Magen verdorben?“ Sie wusste, dass sie die Grenzen des Takts überschritt, und doch … Sie war maßlos eifersüchtig auf all seine verschiedenen Frauen. Allerdings war es keine gute Idee, das mit spitzen Bemerkungen auch noch einzugestehen.

Zu ihrer Erleichterung lachte er auf, die grünen Augen funkelten amüsiert. Das stählerne Rückgrat, das ihr der Stolz zu wahren vorschrieb, begann rapide zu schmelzen. Es war einfach nicht fair, dass ein einzelner Mann so attraktiv war. Wäre es nur das Aussehen, würde es vielleicht nicht so schwierig sein, Distanz zu wahren. Aber sie schwammen auch auf einer gemeinsamen Wellenlänge, waren in vielen Bereichen einer Meinung, und jedes Mal in seiner Gesellschaft erfasste Tess das unbändige Sehnen, Nick Ramirez als ihren Mann für sich ganz allein zu haben.

Das Wissen um die Unmöglichkeit schmälerte leider nicht das Begehren. Normalerweise begegnete Tess diesem Verlangen, indem sie sich sachlich und nüchtern gab, aber heute Abend gelang es ihr nicht wie sonst. Sechs Monate lang hatte sie keine Übung mehr gehabt, und das Bewusstsein, dass sich so oder so alles zwischen ihnen ändern würde, raubte ihrem vormaligen Entschluss die Kraft.

Deshalb konnte sie genauso gut offen sein. Sie hielt ihre Stimme unbeschwert, um ihren wunden Punkt anzusprechen. „Dann erzähl mir, warum du deine aktuelle Bettgespielin hast fallen lassen, um heute Abend mit mir auszugehen.“

Nick zuckte die Schultern. „Es traf sich gerade so. Sie war bereits auf dem Sprung.“ Er grinste trocken. „Da stand schon der nächste Kandidat wartend vor der Tür.“

„Weil ihr klar wurde, dass du ihr niemals einen Ring an den Finger stecken wirst?“

„Ich habe nie, bei keiner Frau, falsche Erwartungen geweckt, Tess.“

„Was allerdings auch keine davon abgehalten hat, sich Hoffnungen zu machen. Schließlich gehört es mit zum Handel.“

„Was für ein Handel?“

„Das weißt du doch ganz genau. Es gehört nun mal zu der Welt, in die wir beide hineingeboren wurden. Männer entscheiden sich für die schönste Frau, die sie sich leisten können, Frauen suchen sich den reichsten Mann, den sie für sich gewinnen können.“

Ihr Vater und seine Mutter waren Paradebeispiele für diese Regel.

„Ich kaufe meine Frauen nicht“, stritt Nick ab.

Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Natürlich tust du das. Du kaufst sie, indem du bist, wer du bist. Allerdings bringst du nicht einen Handel zum Abschluss. Es dauert, bis den Frauen klar wird, dass du zwar in ihr Schlafzimmer kommst, aber nicht vorhast, dort zu bleiben. Wahrscheinlich ist jede Einzelne von ihnen überzeugt, sie sei die eine, die dich zum Bleiben bewegen kann.“

„Hoffnungen anderer kann ich nicht kontrollieren, aber ich habe sie nie genährt.“

„Ein Ehrenmann?“

„Täuschungen habe ich schon immer gehasst, Tess.“

Eine Bemerkung, bei der ihre Nerven zu flattern begannen. Weil sie etwas vor ihm zurückhielt. Vielleicht sollte sie es jetzt einfach herausposaunen, sollte ihm die Nachricht mit seiner Vaterschaft vor den Kopf schlagen und beobachten, wie er mit der Neuigkeit umging. Andererseits … bisher wusste sie nicht, was er von ihr wollte. Es musste einen Grund geben, warum er sie heute Abend hatte begleiten wollen. Es lag sicherlich nicht nur an seiner Sehnsucht nach ihrer spitzen Zunge.

Das mit der Vaterschaft konnte also noch ein wenig warten, erst wollte sie ihre Neugier befriedigen.

„Würde dir eine Käseplatte reichen, oder möchtest du etwas Solideres?“, fragte Nick, als er Tess auf einen leeren Tisch in dem Restaurant zusteuerte. „Was möchtest du trinken?“

„Hm … einen cremigen Brandy Alexander und dazu ein großes Stück Schoko-Sahne-Torte.“ Sie würde sich heute Abend diesen sündigen Genuss erlauben, weil sie sich so dünnhäutig fühlte. Auf seinen erstaunten Blick hin fügte sie trocken hinzu: „Du bist nicht in Gesellschaft eines Kalorien zählenden Models. Ich habe einfach Lust, mich zu verwöhnen.“

Sein Lächeln wurde warm. „Ein paar Kurven schaden nichts.“ Sein Blick fiel auf ihren Ausschnitt und brachte schon wieder einen roten Schimmer auf ihre verräterische Haut. Noch mehr errötete sie, als sie das lustvolle Aufblitzen in seinen Augen sah, die sie anlächelten. „Ich gehe und bestelle. Dann geht es schneller. Bin gleich wieder da.“

Sie nickte stumm, sagte sich in Gedanken, dass ihr Aufzug eine solche männliche Reaktion geradezu herausforderte, und Nick hatte es soeben nur bestätigt. Sie sollte sich freuen, sie wollte doch von ihm begehrt werden. Aber nicht, weil sie heute ihre großzügige Oberweite in dem Kleid zeigte. Das stellte sie in die gleiche Kategorie wie die anderen Frauen.

Tess schüttelte verwirrt den Kopf über sich selbst. Was erwartete sie sich von dem Abend mit Nick? Eines durfte auf jeden Fall nicht geschehen – er durfte nicht herausfinden, welche Sehnsüchte er in ihr schürte. Es war schlimm genug, dass sie sich sinnlich erregt fühlte, wenn sie bisher noch keine Antwort von ihm bekommen hatte. Reichlich Reaktionen von ihrer Seite, ohne irgendeine Begründung für seine Aktionen. Sie atmete tief durch und beschloss, die Initiative zu übernehmen. Sobald er zurückkam, würde sie ihn zur Rede stellen.

Doch bevor sie sich einen entsprechenden Ansatz überlegen konnte, ließ Nick sich auch schon wieder auf seinen Stuhl ihr gegenüber gleiten. Offensichtlich hatte er ein Gespräch im Sinn, das er auch sofort eröffnete.

„Und wo liegt deine Position in dem Handel, Tess?“

Sie sah ihn verständnislos an. „Von welchem Handel redest du?“

„Du weißt schon, von dem, wenn die Männer sich die schönste Frau leisten und die Frauen sich den reichsten Mann angeln können.“

„Ich passe nicht in dieses System.“ Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Vermutlich lässt sich eine Erbin nicht von dem Reichtum trennen, den sie mitbringt. Was nun eine Heirat betrifft, so würden Männer wohl immer mehr Augenmerk auf mein Vermögen als auf mich richten.“

„Ist das der Grund, weshalb du lieber allein bleibst, Tess? Du traust keinem Mann zu, dich um deiner selbst willen zu lieben?“

Sie betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. „Versuchst du dich schon wieder als Psychoanalytiker, Nick? Du bist nämlich nicht besonders gut darin. Beim letzten Mal lautete deine Diagnose, zu viele Männer hätten mich benutzt, und deshalb sei ich zur Eiskönigin geworden. Und alles nur, weil ich nicht auf dein Spiel hereingefallen bin.“

„Auf mein Spiel?“

„Ja, das Spiel, in dem du Wellen von sexuellem Magnetismus aussendest, die mich zu Wachs in deinen Händen machen sollen.“

Bei ihrer Beschreibung verdrehte er die Augen. „Ich habe nicht versucht, Wellen auf dich auszusenden.“

„Nein, um fair zu bleiben, sollte man wohl sagen, dass sie ganz natürlich von dir ausströmen. Aber du warst eindeutig angesäuert, weil ich widerstanden habe. Warum sonst solltest du mich als Eiskönigin bezeichnen?“

„Weil du deine Weiblichkeit verneinst, Tess“, hielt er ihr vor. „Ständig trägst du diese geschlechtslosen Jeans. Hemden, kein Make-up, das Haar unschmeichelhaft zurückgebunden …“

„Wenn ich arbeite, brauche ich niemanden mit meinem Aussehen zu beeindrucken. Als Agentin muss ich das äußere Erscheinungsbild meiner Klienten verkaufen. Da ist es wohl besser, wenn ich die Aufmerksamkeit nicht auf mich lenke.“

„Na schön, dann habe ich das wohl missverstanden.“ Es zuckte um seine Mundwinkel. „Und du hast mir bewiesen, wie sehr ich mich irrte. Es ist lange vorbei, dass ich Eis mit deiner Sexualität in Verbindung brachte.“

„Es ist kaum ein Jahr her“, korrigierte sie ihn. Dabei fiel ihr wieder ein, dass sie ihm immer noch von Zack erzählen musste.

„Ich kenne dich jetzt besser, Tess.“

„In intimer Hinsicht.“ Sie war fest entschlossen, ihm erneut vor Augen zu führen, was sie nicht vergessen konnte. Und das Resultat ihrer Intimität musste sie ihm auch noch präsentieren.

„Hättest du etwas dagegen, wenn wir uns wieder so nahe kämen, Tess?“

Ein Schuss, abgefeuert aus heiterem Himmel. Keine Einleitung, kein Vorspiel, keine verführerischen Anspielungen. Sex offen auf den Tisch gelegt. Es war an ihr, zuzugreifen oder abzulehnen.

Die Frage raubte ihr den Atem und machte sie sprachlos. Sie hätte sowieso keinen zusammenhängenden Satz herausbringen können, dazu war der Schock zu groß. Die Leere dröhnte in ihrem Kopf, das rhythmische Echo ihres rasenden Herzschlags.

Ein Ober trat an den Tisch, servierte Drinks und Schokoladentorte. Eine willkommene Unterbrechung. Nick würde keine Antwort erwarten, bis sie nicht wieder allein waren.

Er lehnte sich zurück und musterte sie abwartend. Und in Tess breitete sich die beunruhigende Ahnung aus, dass er seine gesamte dynamische Energie sammelte, um ihre Antwort niederrollen zu können und genau das zu erreichen, worauf er aus war.

Aber warum? Und warum ausgerechnet jetzt?

4. KAPITEL

Nick fragte sich still, ob er den sexuellen Ansatz nicht besser hätte weglassen sollen. Tess war schockiert, man sah es ihr deutlich an. Damit hatte sie nicht gerechnet, und möglicherweise zog sie sich jetzt zurück.

Er hatte ihren provozierenden Treppenabstieg auf sich bezogen, als eine bewusste Verführungstaktik angesehen. Aber vielleicht war einfach nur weibliche Lust an der Freude der ausschlaggebende Grund gewesen. Vielleicht hatte sie es nur getan, weil sie es konnte, und freute sich an der allgemeinen Aufmerksamkeit und der Bewunderung. Möglicherweise erschien ihr dieses Benehmen nach den sechs Monaten mit ihrer Mutter in L. A. völlig normal.

Das Problem war nur … er war verführt worden.

Verführt, daran zu denken, wie es gewesen war, als nichts als Hitze und Leidenschaft zwischen ihnen geherrscht hatte. Ein Fehler, hatte er sich gesagt, sich mit einer sehr nützlichen Geschäftsverbindung einzulassen, aber die Wahrheit war … er fühlte, wie er mit Tessa Steele in immer gefährlichere Gewässer glitt. Sein Überlebensinstinkt hatte alarmiert aufgeschrien – so schnell wie möglich raus hier und nie wieder dahin zurück. Die Wellen schlugen höher und höher, und er hatte sich diesen Konsequenzen nicht stellen wollen.

Eine Ehe … das war nun wieder etwas völlig anderes. Und wenn er ein Kind mit Tessa haben wollte, würde er mit dieser Konsequenz wohl umgehen müssen.

Den großartigen Sex mit ihr betrachtete er als Bonus und auch als Anreiz für sie, sich mit dem Gedanken an eine Ehe mit ihm anzufreunden. Zwischen ihnen herrschte zweifelsfrei eine Chemie, die, ließ man ihr freien Lauf, geradezu explosiv war.

Tess saß jetzt sehr still da, während der Kellner sein Tablett ablud. Stumm, angespannt, den Blick starr auf die flinken Hände des Mannes gerichtet. Sobald der Ober sich vom Tisch entfernte, nahm sie die Kuchengabel auf und stach damit ein Stück der Torte ab, führte die Gabel zum Mund. Aß jedoch nicht, sondern fixierte Nick über der hochgehaltenen Gabel mit eisblauem Blick.

„Das ergibt keinen Sinn, Nick. Wieso solltest du auf einmal Interesse an einem weiteren One-Night-Stand mit mir haben?“

„Nun, soweit ich mich entsinne, handelte es sich dabei doch um eine durchaus wiederholenswerte Episode.“

Ihre Wangen wurden rot, aber ihr Blick blieb fest. „Ich dachte immer, du seist mehr für ein lockeres Kommen und Gehen.“

„In der heutigen Welt ständig wechselnder Partner scheint mir das auch die vernünftigste Lösung. Es verursacht weniger Kummer.“

„Dann sollten wir doch wohl unter die Kategorie ‚erledigt‘ fallen. Warum das Ganze noch einmal aufrollen?“

„Ich hatte nicht unbedingt eine einzelne Nacht im Sinn.“

„Du solltest besser erklären, was genau du im Sinn hast, Nick, denn im Moment kann ich dir nicht folgen.“

Sie schob sich den Bissen Schokoladentorte in den Mund. So würde er Gelegenheit haben, ohne Unterbrechung zu reden. Den Blick hielt sie jedoch durchdringend auf sein Gesicht gerichtet. Sie würde sich nicht das kleinste Mienenspiel entgehen lassen.

„Bei einer engeren Beziehung zwischen uns würdest du zumindest sicher sein können, dass es nichts mit deinem Geld zu tun hat.“ Er tastete sich vorsichtig voran, versuchte ihre Gefühle zu respektieren. „Nichts würde mich dazu bringen, die Steele-Milliarden anzurühren.“

Ein verächtliches kleines Lachen entschlüpfte ihr. „Ich dachte, das gilt auch für mich.“

Er verstand nicht. „Was meinst du?“

„Nun, nach unserem … spontanen kleinen Zwischenspiel konntest du dich nicht schnell genug absetzen. Du hast mich nicht wieder angefasst. Mir scheint, du warst entsetzt, dass du dich selbst in flagranti mit Brian Steeles Tochter erwischt hast.“

„Glaubst du, es kümmert mich, wer dein Vater ist?“ Ein solcher Gedanke erstaunte ihn. „Väter sind irrelevant für mich, Tess. Wir alle sind für unser eigenes Leben verantwortlich.“

„Irrelevant also …“, wiederholte sie nachdenklich und nahm noch einen Bissen Kuchen in den Mund. „Na schön, gehen wir mal davon aus, dass du nicht an meinem Geld interessiert bist. Wer mein Vater ist, ist ebenfalls unerheblich für dich, auch wenn du ihn mal für deinen gehalten hast und von ihm zurückgewiesen wurdest …“

„Das ist längst vergessen, Tess.“

„Ist es das?“ Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Bisher dachte ich immer, wir seien durch unsere Erfahrungen geprägt. Die Vergangenheit steckt in uns, ist unser Antrieb, macht uns zu dem, was wir sind. Väter, zum Beispiel … ich liebe meinen.“

„Dagegen ist auch nichts einzuwenden“, versicherte er schnell. „Ich habe kein Problem mit Brian Steele. Er hat schließlich nur die Wahrheit gesagt – ich bin nicht sein Sohn. Und dass du seine Tochter bist, stört mich nicht.“

Es amüsierte Nick sogar, dass der Mann, den er einstmals für seinen Vater gehalten hatte, nun möglicherweise sein Schwiegervater werden würde.

Tess schüttelte den Kopf. „Damit ich es richtig verstehe … Aus unserer einen Nacht konnte deiner Ansicht nach nicht mehr werden, weil wir zusammenarbeiten und eine Affäre zwischen uns die Dinge unschön verkompliziert hätte?“

„Genau.“

Der Hauptgrund war ein anderer gewesen. Nick war der Grube gefährlich nahe gekommen, in die auch alle Männer seiner Mutter gefallen waren – nämlich die Kontrolle zu verlieren und sich wegen einer Frau zum Narren zu machen. Eine einzige Nacht mit Tess hatte ihm gezeigt, wie süchtig er nach ihr werden könnte. Instinktiv war Nick davor zurückgeschreckt, einer Frau solche Macht über sich zu verleihen. Wenn sich die Dinge jedoch auf einer vernünftigen Basis arrangieren ließen … und Tess war schließlich eine vernünftige Frau …

„Und jetzt, nach meiner sechsmonatigen Abwesenheit …“, spann sie den logischen Faden weiter, „… während du weiterhin mit meiner Agentur zusammengearbeitet hast, hast du die Situation noch einmal überdacht und bist zu dem Schluss gekommen, dass wir nun doch eine kleine Affäre miteinander haben können? Ist das der Punkt, an dem wir jetzt stehen, Nick?“

Ihr ungläubiger Ton sagte ihm, wie wenig sie von seinem Vorschlag halten würde, aber er musste ihn trotzdem machen. Je eher, desto besser. Damit sie weiterkamen.

„Ich hatte weniger an eine Affäre gedacht, Tess, sondern an eine Ehe. Wir sollten heiraten. Und ein Kind zusammen haben.“

Zu behaupten, Tess sei wie vom Donner gerührt, wäre die Untertreibung des Jahres. Hysterie wollte sich in ihr breit machen, wollte sie herausschreien lassen: Aber wir haben doch schon ein Kind. Allerdings blockierte das Wort „Ehe“ jegliche Reaktion in ihr.

Die ganze Zeit über hatte sie hin und her überlegt, wie sie ihm die Existenz seines Sohnes beibringen konnte. Mehrmals schien ihr der richtige Moment gekommen zu sein, doch dann hatte die Vorstellung, Nick sei an einer Affäre mit ihr interessiert, sie wieder abgelenkt.

Aber eine Ehe …! Nick als ihr Mann … Der unmögliche Traum wäre wahr geworden.

Allerdings redete er nicht von Liebe – von seiner Seite wäre das auch völlig absurd. Es war elf Monate zu spät, um Gefühle ins Spiel zu bringen. Was er allerdings erwähnt hatte, war eine Wiederholung der gemeinsamen sexuellen Erfahrung. Nur … seit wann heiratete man, wenn man miteinander schlafen wollte?

Blieb nur ein Faktor – ein gemeinsames Kind.

Mal davon abgesehen, dass sie bereits ein Kind zusammen hatten … Wieso sollte Nick, ein Mann, der jedwede verantwortungsvolle Bindung mied wie die Pest, plötzlich ernsthaft mit dem Gedanken spielen, Vater zu werden? Er hatte auch nichts davon gesagt, warum er ausgerechnet sie als seine Ehefrau wünschte. Warum er überhaupt eine Ehefrau wünschte! Für die Institution Ehe hatte er bisher nur Verachtung übrig gehabt, hatte sie eine „Besitzerfalle“ genannt, in die nur Narren freiwillig tappten.

„Das ist mal eine Überraschung“, sagte sie schließlich lahm.

„Hoffentlich keine unangenehme.“ Er lächelte, wollte sie mit seinem magnetischen Charme auf seine Seite ziehen. „Ich bin überzeugt, wir würden gut miteinander zurechtkommen.“

Seine Stimme hätte die einer männlichen Sirene sein können – lockend, verführerisch, unwiderstehlich. Aber die schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit hielten Tess davon ab, sich kopfüber in ein emotionales Minenfeld zu stürzen.

„Was ist los, Nick? Ist die Katze das Mausen leid?“ Über den Rand ihres Glases sah sie ihn durchdringend an, während er eine passende Antwort formulierte.

„Ich denke, Monogamie mit der richtigen Frau hat durchaus auch bequeme Seiten.“

Tess nippte an ihrem Brandy. Es schmeichelte, als die „richtige Frau“ eingestuft zu werden, aber das war wohl eher zynisch gemeint. Der Schwerpunkt lag hier auf „bequem“.

„Du wärst also tatsächlich bereit, mit deiner Frau zusammenzubleiben, ihr treu und gehorsam ergeben zu sein, bis dass der Tod euch scheidet?“

Er schnitt eine Grimasse. „Ich rede von einer Partnerschaft, Tess, nicht von einem lebenslangen Gefängnisurteil. Und wie jede Partnerschaft sollte sie halten, solange sie funktioniert. Wenn sie uns nicht mehr gibt, was wir brauchen, kann sie aufgelöst werden.“

Kurz gesagt, er würde genau das tun, was er wollte. Wie immer. Aus Nick Ramirez’ Mund war keine unsterbliche Liebeserklärung zu erwarten. Dieser Mund war zum Küssen geschaffen, versprach unendliche Lust und körperliche Freuden, aber eine lebenslange Liebe? Sicher nicht!

„Behauptest du nicht immer, die maximale Existenzdauer für Leidenschaft liege bei zwei Jahren?“ Sie lächelte ihn spöttisch an. „Selbst wenn du dich während meiner Abwesenheit vor Sehnsucht nach mir verzehrt haben solltest, gibst du unserer Ehe eine längere Lebensdauer?“

Er nickte. Und Tess konnte es nicht fassen. Nick Ramirez, der ihr eine Bindung anbot, die über die Hitze der Gefühle hinausging?

„An diesem Punkt setzt dann der Teil mit dem ‚bequem‘ ein“, erklärte er. „Ich habe deine Gesellschaft immer genossen, Tess. Ich war nie gelangweilt mit dir, und du hast mir auch nie das Gefühl vermittelt, ich würde dich langweilen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich das in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Was meinst du dazu?“

„Ich weiß nicht. Unsere sporadischen Treffen können wohl kaum dazu herangezogen werden, diese Annahme zu untermauern. Es erstaunt mich, dass du willens bist, deshalb eine Ehe in Betracht zu ziehen. Erstaunt, dass du überhaupt an eine Ehe denkst.“ Sie zog herausfordernd eine Augenbraue hoch. „Willst du mir nicht den Grund dafür nennen?“

Die Schotten fielen so schnell, dass Tess meinte, das Zuschlagen zu hören. Neonzeichen leuchteten auf: Privat – streng geheim – unzugängliche Information. Nick Ramirez würde es keiner Frau erlauben, hinter die Mauern zu blicken, die sein Herz umgaben. Auch einer Ehefrau nicht.

Eines allerdings wurde ihr aus seiner Reaktion klar: Das Motiv für diesen Heiratsantrag war sehr persönlich und ging tief, sonst wäre Nick nicht so sehr darauf bedacht, es vor ihr geheim zu halten. Aus irgendeinem Grund brauchte er eine Ehefrau, und sie schien ihm die geeignetste Kandidatin für diesen Posten zu sein.

Tess – deren Sex-Appeal mit der einen Nacht noch nicht aufgebraucht war.

Tess – die nicht getobt und gewütet hatte, als er ihr den Rücken kehrte und zur nächsten Gespielin überging.

Tess – die ihn nicht finanziell ruinieren würde, wenn die Zeit für die Trennung kam, weil sie selbst mehr als genug Geld im Rücken hatte.

Die ach so vernünftige Tess, die ihm keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten würde, wenn er sein persönliches Ziel erst erreicht hatte.

Eine Welle grimmigen Unmuts wallte in ihr auf, während sie auf Nicks Antwort wartete. Kommt überhaupt nicht infrage, dachte sie gallig. Sie würde sich nicht zu einer Komparsin in seinem kleinen Stück herabsetzen lassen, zu einer Marionette, für die er nichts empfand, sondern die er nur nach Belieben benutzte. Sie war kurz davor zu explodieren und ihm einige Wahrheiten an den Kopf zu werfen. Das Gefühl, jeden Moment aus der Haut fahren zu müssen, wuchs, während sie ihn musterte. Kein Lächeln auf seiner Miene, als er den Blick seiner ernsten grünen Augen hob, um ihrem zu begegnen.

„Es geht darum, ein Kind zu haben“, sagte er leise. „Unser Kind soll in einem stabilen Zuhause aufwachsen, etwas, das wir beide nicht gekannt haben. Darin stimmst du doch mit mir überein, Tess, oder? Wir erinnern uns beide nur zu gut, wie es war, und deshalb …“, sein Blick bohrte sich in ihre Augen, „… werden wir es anders machen. Besser.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, ließ die Tirade, die ihr auf der Zunge gelegen hatte, verpuffen.

Nick wusste von Zack. Das musste es sein. Sein Heiratsantrag zielte darauf ab, ihrem Kind ein Heim zu bieten, in dem beide Eltern unter einem Dach lebten, Stabilität, Geborgenheit …

„Ich glaube wirklich, wir haben eine gute Chance“, bekräftigte er noch einmal.

In ihrem Kopf überschlug sich alles. Nie hätte sie damit gerechnet, Nick könnte sich mit dem Gedanken an eine Vaterschaft anfreunden, geschweige denn, er würde auf die altmodische Vorstellung verfallen, um des Kindes willen zu heiraten. Das Baby war bereits geboren, war Nicks Baby genauso wie ihres. Hatte das eine Art Besitzerinstinkt in Nick geweckt?

„Du musst mich nicht heiraten“, sprudelte es aus ihr heraus. „Ich werde dir keine Steine in den Weg legen, wenn du Zack sehen willst. Ich bin sogar froh, dass du eine Rolle in seinem Leben spielen möchtest.“

„Zack?“ Eine tiefe Falte erschien auf Nicks Stirn.

Genau wie ihr Vater, der den Namen kritisierte! „Bis jetzt hast du noch keine Rechte über unseren Sohn, Nick“, entfuhr es ihr leicht schnippisch. „Du warst schließlich nicht anwesend, als ich ihn vor zwei Monaten zur Welt brachte, und deshalb …“

„Du hast … unseren Sohn … vor zwei Monaten … zur Welt gebracht …?“

Seine Stimme veränderte sich graduell von einem bedrohlichen Knurren zu donnerndem Gebrüll. Seine Miene war plötzlich finster und hart wie Stein. Aus seinen Augen blitzte Rage. Den Rücken steif durchgedrückt, schien er zum Angriff bereit.

Das Geräusch von berstendem Glas lenkte Tessas Blick auf Nicks Hand. Der lange Stiel des Cocktailglases war in der Mitte durchgebrochen, der obere Teil rollte über den Tisch, den unteren Stielteil hielt Nick mit eisernem Griff umklammert. Blut tropfte aus einem Schnitt in seiner Haut und vermengte sich mit dem ausgelaufenen Drink.

Und Tess wurde mit plötzlichem Entsetzen klar, dass Nick nicht einmal von Zack geahnt hatte!

5. KAPITEL

Es war die Wahrheit.

Ganz gleich, wie sehr Nick es nicht wahrhaben wollte. Was Tess ihm da gerade eröffnet hatte, war keine Lüge. Und es war nur deshalb herausgekommen, weil sie sich irrte und geglaubt hatte, er wüsste es bereits.

Wenn er das als die Wahrheit akzeptierte, gab es auch andere Wahrheiten, die er akzeptieren musste. Die Worte in Enriques Brief standen ihm plötzlich wie züngelnde Flammen vor Augen.

Ich entsinne mich nur allzu gut an Deinen Besuch. An die Verachtung in Deinem Blick, die Du für meinen Lebensstil empfandest. Weil ich schöne Frauen genossen habe, ohne einen Preis dafür zahlen zu wollen. Glaubst Du wirklich, Du wärest nicht den gleichen Weg gegangen? Hättest nicht genossen, was Du genießen kannst, nur weil es Dir möglich war?

Du folgst in meinen Fußstapfen …

Nein, ich bin anders als du, hatte Nick gedacht. So verantwortungslos werde ich nie sein …

Und doch hatte er genau das getan, was sein Vater vor ihm getan hatte. Ausgerechnet mit Tess. Hatte sie mit einem Kind sitzen lassen, von dem er nicht einmal wusste.

Ein Sohn, vor zwei Monaten geboren.

Ein Bankert …

„Miss Steele, die Limousine ist vorgefahren.“

Die Stimme des Hotelpagen drang in Nicks tumultartige Gedanken.

„Nein!“, entfuhr es ihm. Mit der freien Hand schlug er auf den Tisch. „Schicken Sie sie weg. Wir werden zu keiner Premiere fahren.“

„Sir!“ Der junge Mann schaute erschreckt auf Nicks Verletzung. „Brauchen Sie ärztliche Hilfe? Wenn man Ihnen ein gesprungenes Glas gebracht hat …“

Ärztliche Hilfe? Erst jetzt bemerkte Nick den verschütteten Drink, die Scherben, den Glasstiel, den er noch immer hielt, das Blut, das über seine Hand lief.

„Wenn Sie vielleicht Verbandsmaterial bringen könnten …“, hörte er Tess sagen.

Und endlich rührte er sich. „Es ist nichts“, versicherte er hastig. Er wollte nicht noch mehr Aufsehen erregen. „Ich nehme mein Taschentuch, das reicht.“ Er zog das blütenweiße Tuch aus seiner Brusttasche und wickelte es um seine Hand. „Tut mir leid wegen der Sudelei“, murmelte er.

„Das ist kein Problem, Sir. Ich werde es gleich aufwischen. Miss Steele, wegen der Limousine …“

„Tess …“, knurrte Nick warnend.

Sie sah die wütende Entschlossenheit in seinen Augen und holte tief Luft. „Ich brauche sie nicht mehr. Bitte lassen Sie den Chauffeur wissen, dass sich meine Pläne geändert haben.“

Der Page verschwand, und gleich darauf kam ein Ober, um den kleinen Unfall zu bereinigen.

„Du solltest diesen Schnitt nachsehen lassen, Nick“, riet Tess. Ihr Blick glitt zu dem Taschentuch, das die Verletzung verhüllte.

Sie ist nervös, fiel ihm auf. Hatte Angst vor einem Mann, der sich nicht genügend unter Kontrolle hatte und Gläser in der Hand zerbrach, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie versuchte, sich ruhig und gefasst zu geben, doch die hochroten Wangen waren Beweis genug für ihre Aufgewühltheit. Hinter der gelassenen Fassade mussten sich die Gedanken überschlagen.

Nick prüfte die Wunde, um ihr wenigstens eine ihrer Sorgen zu nehmen. „Ein Pflaster, mehr wird nicht nötig sein“, tat er ab. Adrenalin pumpte wie wild durch seine Adern. Die Hände, jetzt auf seinen Schenkeln, waren zu Fäusten geballt, wie bereit zum Kampf. Und ja, Nick wollte kämpfen, aber der Verstand sagte ihm, dass es Enrique war, auf den er eine solche Wut hatte, nicht Tess.

Tess war die Lösung, nicht das Problem.

Er musste ihr gegenüber fair bleiben, sie mit Respekt behandeln. Sie dazu bringen, sich mit ihm zusammenzutun. Und allem voran musste er sich und der Welt beweisen, dass sein verantwortungslos durch die Betten wandernder brasilianischer Vater sich in Bezug auf ihn, Nick, irrte. Und zwar massiv!

„Möchten Sie einen anderen Drink, Sir?“

Der Ober war mit seinen Aufräumarbeiten fertig.

„Nein, danke.“

Er musste nüchtern bleiben, einen klaren Kopf behalten. Sich auf den nächsten Schritt konzentrieren. Ihm blieb gar nichts anderes übrig. Tess hatte sein Kind. Und sie hatte das Steele-Vermögen im Rücken. Sie konnte jeden Anspruch seinerseits auf seinen Sohn mühelos abwehren, wenn sie wollte. Sie hatte die volle Macht dazu.

Er musste sie dazu bringen, ihn zu heiraten. Das war jetzt vorrangig. Seine Halbbrüder zu treffen, war soeben in den Hintergrund getreten. Hier ging es um seinen Sohn!

„So …“, hob er an, als der Kellner verschwunden war, „… dann hast du dich also heute mit mir getroffen, um mir das zu sagen?“

Tess schüttelte den Kopf. „Mehr, um herauszufinden, was du von mir wolltest. Ob du eventuell erfahren hattest …“ Ein schwerer Seufzer über ihren Fehler, herausposaunt zu haben, was immer noch ein Geheimnis sein könnte.

Es war Nick nicht möglich, den scharfen Ton in seiner Stimme zu mildern. „Warum hast du mich nicht wissen lassen, dass du unser Kind erwartest, Tess?“

Die Frage stand zwischen ihnen, Anschuldigung und Kritik zugleich. Nick sah, wie Tessas Blick unruhig durch den Raum schweifte. Es war unmöglich für ihn, die Frage zurückzunehmen, unmöglich für sie, sie nicht zu beantworten.

„Ich wollte es dir nicht sagen“, gestand sie schließlich tonlos.

„Warum nicht?“, hakte er nach.

Sie zuckte die Schultern, zögerte mit einer weiteren Erwiderung. Griff nach ihrem Glas, um an ihrem Brandy zu nippen.

Nick überlegte fieberhaft, welche Gründe sie gehabt haben könnte. „Du glaubst, ich hätte abgestritten, dass das Kind von mir ist?“

Sie beschäftigte sich angelegentlich mit ihrem Drink. Unter halb geschlossenen Wimpern hervor sah sie Nick an. „Du benutztest in der Nacht Kondome.“

„Die nicht hundertprozentig sicher sind. Deshalb fragte ich dich ja auch, ob du die Pille nimmst.“

Sie richtete den Blick ihrer blauen Augen direkt auf ihn. „Ich habe gelogen.“

„Aber warum?“

„Ich wollte dich nicht wissen lassen, dass ich schon so lange mit niemandem mehr zusammen gewesen war, dass Verhütungsmaßnahmen für mich keine Rolle spielen.“ Sie lächelte selbstironisch. „Ich bin sicher, die anderen Frauen in deinem Leben sind in dieser Hinsicht besser vorbereitet. Ich war es nicht.“

„Und deshalb hast du mir nichts von dem Baby sagen wollen?“

Angriffslustig hob sie das Kinn. „Es war ein One-Night-Stand für dich, erinnerst du dich nicht mehr? Du wolltest keinerlei Konsequenzen daraus.“

„Ich wollte nur nicht, dass Sex unsere Geschäftsbeziehung stört“, meinte er frustriert. Er hörte den Schmerz in ihrer Stimme, das Verletztsein. Er wollte sie nicht noch mehr verletzen, aber er konnte auch nicht so einfach nachgeben. „Ein Baby ist etwas anderes, Tess.“

Die Gefühle entluden sich in einer Explosion. „Genau, ein Baby zu haben ist etwas völlig anderes. Für eine Frau ist es ein unermesslich wichtiger Teil in ihrem Leben, und du hast mich als Frau zurückgewiesen, Nick. Warum also sollte ich das mit dir teilen?“

Ja, warum?

Zurückweisung tat weh, das wusste er aus eigener Erfahrung. Nur war ihm nicht klar gewesen, dass Tess es so empfunden hatte. Er hatte versucht, es unter der Kategorie „glorreiche sexuelle Erfahrung“ abzuspeichern, eine, die für beide lohnenswert gewesen war.

„Und als ich von meiner Schwangerschaft erfuhr, hattest du dich bereits in die nächste Affäre gestürzt.“

Das Bild wurde immer klarer. Beschämend klar. Er war davongerannt, vor einer Beziehung mit Tess, die ihm zu schnell zu ernst geworden war, und hatte versucht, sich mit jemand anderem abzulenken. Er hatte nur an sich gedacht, hatte nur seine Bedürfnisse beachtet. Er war genauso egozentrisch und selbstsüchtig wie seine Mutter, wollte unbedingt als Sieger aus dem Kampf der Geschlechter hervorgehen, niemals als der besiegte Galan.

Ein Mistkerl.

Dafür musste Tess ihn halten.

„Es tut mir leid.“ Die Entschuldigung war ernst gemeint, hörte sich jedoch selbst für seine Ohren banal und hohl an.

Was konnte er sonst sagen?

Er hob beide Hände in einer um Verzeihung bittenden Geste. Ihm war klar, er hatte sie in eine unmögliche Position gebracht. Hätte es diesen Brief aus Brasilien nicht gegeben, hätte er nie von seinem Sohn erfahren. Stolz allein wäre Grund genug gewesen, keine nähere Verbindung zu ihm zu halten. Sein Sohn wäre aufgewachsen, ohne den Vater je zu kennen. Eine Realität, die bewies, dass Enrique vielleicht vorausschauender war, als Nick eingestehen mochte.

„Es tut mir wirklich leid“, wiederholte er, aufgewühlter jetzt, als ihm das ganze Ausmaß der Situation klar wurde. Er hatte Tess so sehr verletzt. Tess, die er sehr gern mochte und die er in sein Leben einschließen wollte.

Die heiße Wut in ihren Augen wandelte sich in schwelenden Argwohn, machte Nick klar, dass es für sie keinen Grund zu der Annahme gab, er könne seine Entschuldigung ernst meinen. Worte würden sie an diesem Punkt nicht mehr überzeugen. Instinktiv streckte er die Hand aus und legte sie auf ihre Finger.

„Wenn ich du wäre, würde ich es mir auch nicht gesagt haben“, gestand er mit einem reuigen Lächeln ein, in der Hoffnung, die Spannung zwischen ihnen zu lösen. Dann drückte er fest ihre Hand. „Aber ich bin froh, dass du es mir gesagt hast.“

War er das?

Tess senkte den Blick auf die Hand, die die ihre hielt, spürte das Prickeln in ihren Fingern, die Wärme, die seine Haut ausstrahlte, und bemühte sich verzweifelt, die sexuelle Erregung zu unterdrücken, die Nick Ramirez so mühelos in ihr auszulösen vermochte. Sie musste sich auf die essentiellen Dinge konzentrieren, durfte sich nicht durch diffuse Gefühle ablenken lassen.

Nick hatte ihr die Ehe angetragen, mit dem Ziel, ein Kind zu zeugen. Zu erfahren, dass bereits ein Kind existierte, war zweifelsohne ein Schock für ihn gewesen, dennoch akzeptierte er seine Vaterschaft erstaunlich schnell und ohne die aggressive Reaktion, die Tess erwartet hatte. Er schien sogar zu verstehen, warum sie es bisher vor ihm geheim gehalten hatte.

Alles in allem reagierte er überaus positiv auf die Neuigkeit, und das wiederum verwirrte sie völlig. Sie kannte doch seine Einstellung zu Beziehungen im Allgemeinen. Allerdings passte es in das Bild seines Antrags. Und zu seiner Begründung dafür. Der leichte Druck seiner Hand an ihren Fingern ließ vermuten, dass er dieses Ziel immer noch verfolgte.

„Wo ist das Baby … unser Sohn jetzt?“, fragte er, und seine Stimme klang rau vor Emotionen.

Berührte es ihn tatsächlich so tief, Vater zu sein? Oder war das nur vorgetäuscht, um seinen Plan mit allen Mitteln durchzusetzen?

„Hier in deiner Suite?“, hakte er nach, als sie nicht antwortete.

„Nein.“ Sie würde Nick nicht zu nahe herankommen lassen, solange sie nicht wusste, welches Ziel er verfolgte. Deshalb blieb sie sachlich, als sie erklärte: „Er ist zu Hause, in der Obhut einer Kinderschwester.“

Nick war sofort alarmiert. „Eine Kinderschwester?“

„Eine Caritas-Schwester, die darauf spezialisiert ist, jungen Müttern in der ersten Zeit zu helfen.“ Ihr Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln. „Ich habe sie mehr gebraucht als Zack. Der Junge ist kerngesund, Nick.“

Sie sah die Erleichterung auf seinem Gesicht. Nur natürlich, jeder wünschte sich ein gesundes Baby. Trotzdem fragte sie sich, wie Nick seine Vaterschaft wohl aufgenommen hätte, wäre das Baby nicht gesund. Nick war daran gewöhnt, sein Leben genau so zu leben, wie er sich das vorstellte. Alles, was nicht hineinpasste, wurde entsprechend schnell ausgegrenzt.

„Du hast ihn Zack genannt. Ist das eine Abkürzung für Zachary?“

„Nein, er heißt einfach nur Zack.“ Sie hob ein wenig das Kinn. „Der Name gefiel mir.“

„Zack Ramirez“, sprach Nick probehalber aus. „Nicht schlecht. Das wird wohl keine abwertenden Spitznamen in der Schule herausfordern. Mit einem solchen Namen müsste ein Junge gut leben können.“

Seine selbstherrliche Arroganz reizte sie, ihn kühl zu korrigieren: „Der Junge heißt Zack Steele, nicht Ramirez.“

„Ich bin sein Vater, Tess.“

„Du wirst mich erst davon überzeugen müssen, dass dir das Vatersein auch ansteht“, gab sie die Herausforderung zurück, auch wenn seine Intensität sie aufrüttelte.

„Dann lass uns gleich damit anfangen. Ich fahre dich nach Hause, und du kannst mich meinem Sohn vorstellen.“

„Du willst ihn heute Abend noch sehen?“

„Gibt es einen Grund, warum nicht?“

Darauf war sie nicht vorbereitet. So hatte sie sich den Abend mit Nick Ramirez auf jeden Fall nicht vorgestellt. Nicht nur benahm er sich völlig atypisch, er drängte sich auch in ihr Privatleben. Nachdem er nun einen stichhaltigen Grund hatte.

Vielleicht war er nur neugierig auf sein Kind, eine Neugier, die schnell zu befriedigen sein würde. Wahrscheinlich war es das Beste, schlicht zuzustimmen. Dann konnte sie auch sehen, wie Nick mit seinem Sohn umging. Sie hatte heute Abend ein echtes Problem mit Nicks Glaubwürdigkeit, und das sollte schnellstens gelöst werden.

„Nun gut. Zack schläft höchstwahrscheinlich, und ich würde ihn lieber nicht stören, aber wenn du damit zufrieden bist, ihn dir nur anzuschauen …“

„Was immer das Beste für ihn ist“, stimmte Nick sofort zu.

Nick war schon aufgestanden und zog sie von ihrem Stuhl hoch, ohne darauf zu achten, dass ihr Glas noch nicht leer und das Tortenstück kaum angerührt war. Angesichts seines Eifers, seinen Sohn kennen zu lernen, wäre sie sich schäbig vorgekommen, gegen den schnellen Aufbruch zu protestieren. Nick legte den Arm um sie und zog sie entschlossen mit sich.

Wie immer reagierte ihr Körper prompt, beschämte sie mit der verräterischen Erregung, obwohl sie doch wusste, dass Sex im Moment das Letzte war, an das Nick dachte. Vorhin noch hatte er seine Ausstrahlung als Waffe benutzt, um seinen Willen durchzusetzen, jetzt aber ging es ihm nur noch darum, Zack zu sehen.

Sie gingen die Treppe ins Foyer hinunter. Viele schauten ihnen entgegen – die Blicke der Frauen galten Nick, die der Männer Tess. Dieses Kleid war dazu gemacht worden, männliche Bewunderung zu erregen. Tess hatte es darauf abgesehen gehabt, dem Vergleich mit Nicks anderen Frauen standhalten zu können – nein, sie zu übertreffen. Sie hatte ihm beweisen wollen, dass auch sie verführerisch sein konnte. Sie hatte es geschafft, als Sexobjekt angesehen zu werden, dabei war es nicht das, was sie wollte. Und er wollte es auch nicht. Also war dieser ganze Aufwand umsonst gewesen …

Aus welchem Grund auch immer: Nick hatte beschlossen, dass er ein Kind wollte, und hatte sie dafür als Partnerin ausgewählt. Eine pragmatische Wahl. Erstens bestand bei ihr nicht die Gefahr, dass sie es auf sein Geld abgesehen hatte. Zweitens war sie jung genug, um größere Risiken bei der Fortpflanzung auszuschließen, und drittens passte sie „bequem“ in sein Leben, weil sie verstand, wie sein Leben funktionierte. Ironie des Schicksals. Hätte er ihr vor einem Jahr einen Antrag gemacht, hätte sie jubelnd zugestimmt und wäre glücklich gewesen anstatt innerlich zerrissen.

Der Antrag kam elf Monate zu spät.

Nick hatte ihre Verteidigungsmauern erstürmt, hatte das Geschenk angenommen, das sie ihm bot – sich selbst –, und hatte erschreckend klargemacht, wie wenig es ihm bedeutete. Sie hatte ihn dafür gehasst. Weil sie ihn liebte und er nicht einmal merkte, was sie ihm da angeboten hatte.

Zumindest machte sie sich nach elf Monaten keine Illusionen mehr, was sie von einer Ehe mit Nick Ramirez zu erwarten hatte. Er würde sie mit dem Respekt und der Höflichkeit behandeln, mit denen er sie auch auf beruflicher Ebene behandelte. Hinzu käme das Vergnügen, sich tagtäglich in seiner Gesellschaft zu befinden. Der Sex würde sicherlich gut sein, schließlich war Nick ein erfahrener Experte auf diesem Gebiet. Aber Tess wusste auch, dass tiefe, echte Gefühle nie damit verbunden sein würden.

Die waren einfach nicht da.

Sie hatte sich schon einmal etwas vorgemacht. Diesen Fehler würde sie nie wieder begehen.

Doch solange sie wusste, worauf sie sich einließ, nicht zu viel erwartete und vor allem nicht darauf hoffte, es könnte sich ändern … Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, ihn zu heiraten. Es könnte seine Vorteile haben, vor allem für Zack.

Zack würde mit Vater und Mutter unter einem Dach groß werden, und das wäre gut. Wie es dazu gekommen war, würde den Jungen nicht interessieren. Solange er beide um sich hatte und beide für ihn da waren. So, wie es sein sollte.

Wenn Nick sich tatsächlich als der Vater entpuppte, der gut für den Jungen war.

War er selbstloser Liebe überhaupt fähig?

Tess bezweifelte, dass eine Frau bedingungslose Liebe von Nick Ramirez erwarten konnte, aber ein unschuldiges Kind konnte es vielleicht.

Sie waren bei der Rezeption angekommen, und Nick ließ seinen Wagen von einem Pagen vorfahren. Tess dachte an die reservierte Suite, die sie nun nicht benutzen würde. Der Suitenbutler würde ihre Sachen zusammenpacken und sie ihr morgen nach Hause nachschicken. Es war nur Gepäck – unwichtige Besitztümer, nichts, was ihr Leben auch nur einen Deut verändern würde.

Es gab nur eines, das heute Abend wichtig war.

Zack. Und wie Nick auf ihn reagierte.

Fühlte Nick kein Band zu seinem Sohn, gab es für eine Ehe kein nennenswertes Fundament. Sexuelle Anziehungskraft – unwichtig. Der Traum von der Liebe, die ein Leben lang hält – unrealistisch. Die Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft hing jetzt allein davon ab, wie viel das Vatersein Nick wirklich bedeutete.

Die schlichte, einfache Wahrheit. Und Tess nahm sich vor, diese Wahrheit immer im Sinn zu behalten. Wenn sie die Angelegenheit nicht mit gesundem, nüchternem Menschenverstand anging und sich zu viel von Nick Ramirez erhoffte, könnte sie maßlos verletzt werden. Ein Vater für Zack – allein darum drehte es sich hier. Und Nick Ramirez würde sich dieses Titels besser würdig erweisen.

„Da kommt der Wagen“, murmelte Nick jetzt neben ihr und meinte damit den silbernen Lamborghini, der vorgefahren wurde.

Ein schnittiges Auto, ein rasanter Lebensstil, ein energiegeladener Mann … Tess verspannte sich unwillkürlich. Sie musste verrückt sein, sich einzubilden, ein Familienleben mit Nick Ramirez sei auch nur im Entferntesten machbar. Und sie war tatsächlich dumm genug, ihn in ihr Leben, in ihr Heim, in ihr Herz einzulassen …

Ihr war gar nicht bewusst, dass sie die Nägel in seinen Arm gekrallt hatte. Er legte seine Hand auf ihre verkrampften Finger, seine Wärme wirkte beruhigend, ebenso wie seine sanfte Stimme den plötzlichen Angstschub in ihr dämmen sollte.

„Ich verspreche dir, es wird alles gut, Tess.“ Entschlossenheit schlich sich in seinen Tonfall. „Ich sorge dafür, dass alles gut wird.“

Tess atmete tief durch. Für eine Umkehr war es zu spät. Nick war nicht bereit, so einfach zu vergessen, dass er ein Kind hatte. Sie sah in die grünen Augen, die ihr Sohn von seinem Vater geerbt hatte.

„Zack sieht aus wie du, aber ich will nicht, dass er so wird wie du, Nick. Ich hoffe nur, du bist bereit, viele Dinge hinter dir zu lassen, bevor du heute Abend in sein Leben trittst.“

Er biss die Zähne zusammen, seine Wangenmuskeln spannten sich an und ließen das Grübchen in seinem Kinn tiefer werden. Tess fragte sich, ob Nick auch in seinem Innern so gespalten war, welcher Unterschied zwischen dem oberflächlich betrachteten Nick und dem wahren Nick bestand. Ein Muskel in seinem Gesicht zuckte, so als spüre er einen Schmerz, den er nicht kontrollieren konnte. Der das Strahlen aus den grünen Augen verschwinden ließ und sie matt und noch undurchdringlicher machte.

Nick seufzte, entspannte sich mit Anstrengung und lächelte schief. „Dann auf in die schöne neue Welt.“

Und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Zentrum ihrer neuen Welt – zu einem neun Wochen alten Baby, das selig schlief und nicht ahnte, dass es der Auslöser für eine Zukunft war, die seine beiden Elternteile sich so nie vorgestellt hatten.

6. KAPITEL

Nick hatte Mühe, das Tempolimit einzuhalten. Der Lamborghini verlangte förmlich danach, das Gaspedal durchzutreten, um die Entfernung bis zu Tessas Haus in Randwick so schnell wie möglich zu überbrücken. Denn dort wartete ein Kind auf Nick. Sein Sohn.

Rasantes Fahren gehörte jedoch nicht in die schöne neue Welt des Vaterseins. Ein Lamborghini auch nicht. Tess hatte recht. Er sollte sich besser darauf vorbereiten, sehr viele Dinge hinter sich zu lassen.

Zack sieht aus wie du, aber ich will nicht, dass er so wird wie du.

Das Schlimmste an dieser beißenden Bemerkung war, sie erinnerte ihn an die Hölle, die er mit seinem leiblichen Vater durchgemacht hatte. Er sah aus wie Enrique, aber er wollte nicht sein wie Enrique.

Die Zeit war gekommen, sich selbst – und Tess – zu beweisen, dass er ein Familienmensch sein konnte. Und ein guter Ehemann. Sie glaubte es nicht, aber immerhin hatte sie heute Abend die Tür für ihn geöffnet, die Tür, die in ein Leben mit ihr und seinem Sohn führte. Nick musste den Fuß in dieser Tür behalten, sonst verlor er nicht nur in Hinsicht auf Enriques Herausforderung, er würde auch sein Selbstwertgefühl verlieren.

Tess hatte ihn von ihrer Schwangerschaft ausgeschlossen, von der Geburt, von den ersten Monaten in Zacks Leben. Er wusste ja nicht einmal …

„Ist er in L. A. zur Welt gekommen?“

Er hörte, wie sie leise nach Luft schnappte, und ermahnte sich, keine Kritik an Tessas Entscheidungen zu üben, sondern lediglich interessiert nachzufragen.

„Nein. Er wurde in Sydney geboren. In einer Privatklinik in Mona Vale.“ Tess seufzte. „Ich war nicht in L. A., meine Mutter brauchte mich gar nicht. In Livvys Leben bin ich völlig überflüssig. Genau wie in deinem. Ich habe lediglich behauptet, nach L. A. zu fliegen, weil ich Abstand zwischen uns bringen wollte … Aus den Augen, aus dem Sinn.“

Er hasste es, wenn sie sich selbst niedermachte. Er hörte aber auch den Schmerz hinter den Worten. Über die Zurückweisung, die er ihr zugefügt hatte. „Du bist mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen, seit wir uns das erste Mal getroffen haben, Tess“, versicherte er ihr. „Und je länger wir uns kennen, desto mehr Platz nimmst du in meinem Kopf ein.“

Er erhaschte ihren misstrauischen Seitenblick, spürte den Gefühlstumult in ihr, die stille Frage – ob sie ihm glauben sollte oder nicht.

„Es hat keinen Spaß gemacht, mit deiner Assistentin zusammenzuarbeiten. Du hast mir gefehlt, Tess. Deine persönlichen Ansichten und Kommentare über meine Arbeit haben mir gefehlt. Ich habe das Prickeln vermisst, das ich in deiner Gesellschaft immer verspüre, das …“

„Das Prickeln?“

Er bedachte sie mit einem kurzen Lächeln. „Ja, der prickelnde Kampf der Geschlechter, der Schlagabtausch, zu dem jedes unserer Gespräche wurde.“

„Wir haben uns übers Geschäft unterhalten!“, fuhr sie auf, entrüstet über seine Interpretation ihrer Treffen.

Autor

Emma Darcy
Emma Darcy ist das Pseudonym des Autoren-Ehepaars Frank und Wendy Brennan. Gemeinsam haben die beiden über 100 Romane geschrieben, die insgesamt mehr als 60 Millionen Mal verkauft wurden. Frank und Wendy lernten sich in ihrer Heimat Australien kennen. Wendy studierte dort Englisch und Französisch, kurzzeitig interessierte sie sich sogar für...
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Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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