In den Fängen der Dukes - unzähmbare Leidenschaft - 6-teilige Serie

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Vier Romane und zwei Prequels, über Dukes, die ihre Leidenschaft ausleben und sich nie zähmen lassen werden. Originaltitel der Serie "Dangerous Dukes".

DER DUKE, DER MEIN HERZ STAHL
Einer schrecklichen Ehe entronnen, will Julianna nie wieder heiraten. Aber sie will alles über die Verführungskunst lernen, um sich dann einen Liebhaber zu suchen! Julianna engagiert den Duke of Worthing, einen bekannten Casanova, als Lehrmeister. Alles verläuft nach Plan - bis sie sich in den berüchtigten Duke verliebt ...

DER DUKE, DER MICH BETÖRTE
Einst ist seine Braut Georgianna mit einem Franzosen durchgebrannt - jetzt steht sie vor ihm! Zachary Black, Duke of Hawksmere sinnt auf Rache und entführt sie. Er müsste Georgianna hassen, doch stattdessen wächst sein Verlangen ins Unermessliche. Der Duke zweifelt: Kann er es wagen, ihr noch einmal sein Herz anzuvertrauen?

DER DUKE, DER MICH VERFÜHRTE
Ausgerechnet mit dem arroganten Duke of Wolfingham soll Mariah zusammenarbeiten und im Auftrag der Krone ein Komplott aufklären. Das Schlimmste dabei: Sie fühlt sich unwiderstehlich zu dem attraktiven Duke hingezogen. Dabei hat sie sich nach dem Tod ihres Mannes eins geschworen: Niemals wieder ihre Freiheit aufzugeben!

DER DUKE, DER MICH KÜSSTE
"Sir, bitte bedecken Sie sich!" Von ihrem Versteck aus hat Anna frivolerweise den Anblick des muskulösen Gentlemans genossen, der ein Bad im See nehmen will. Aber nun droht er die letzte Hülle fallen zu lassen. Das muss Anna verhindern! Doch als er seine Lippen auf ihre presst, vergisst sie alle moralischen Bedenken …

DER DUKE, DER MIR DIE SINNE RAUBTE
Eine zarte Gestalt rennt direkt vor seine Kutsche! Schockiert zügelt Griffin Stone, Duke of Rotherham, die Pferde und kümmert sich um die reglose Person. Es ist eine betörende junge Dame, nur mit einem Nachthemd bekleidet. Fesselmale zeichnen ihre blassen Arme und Beine. Wer hat sie so zugerichtet? Er bringt die Ohnmächtige auf sein Anwesen. Aber als die verletzte Schönheit endlich die Augen aufschlägt, hat sie keine Antwort auf seine Fragen. Ihre Erinnerung scheint für immer verloren - und ihre Verzweiflung rührt Griffin an seiner schwächsten Stelle: seinem Herz …

DER DUKE, DER MICH ERLÖSTE

"Du musst mit mir nach England kommen." Christian Seaton, Duke of Sutherland weiß genau, wie töricht sein Wunsch ist, die bezaubernde Französin Lisette beschützen zu wollen. Seine Leidenschaft für die schöne Unschuld kann ihn in tödliche Gefahr bringen. Denn Lisette hütet wertvolle Informationen, für die manche Männer morden würden! Um das zu verhindern, entführt er sie in dunkler Nacht und flieht mit ihr nach England. Längst ist das Herz des Duke of Sutherland in heißer Liebe zu ihr entbrannt. Doch wird Lisette ihm eine Chance geben, wenn sie seine wahre Identität erfährt?


  • Erscheinungstag 31.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734596
  • Seitenanzahl 1088
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Carole Mortimer

In den Fängen der Dukes - unzähmbare Leidenschaft - 6-teilige Serie

IMPRESSUM

Der Duke, der mein Herz stahl erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Carole Mortimer
Originaltitel: „Marcus Wilding: Duke Of Pleasure“
erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL MYLADY
Band 565 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Svenja Tengs

Umschlagsmotive: Novel Expression

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733734701

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Februar 1815, Worthing House, London

Verzeihen Sie, Lady Armitage, doch für einen kurzen Moment glaubte ich, Sie hätten mich darum gebeten, Sie in der Liebeskunst zu unterrichten, damit Sie sich einen Liebhaber nehmen können!“

Das harte und spöttische Grinsen von Marcus Wilding konnte Julianna nichts anhaben. Er klang, als wäre es völlig unmöglich für ihn, sich das auch nur vorzustellen. „Sie haben richtig gehört, Euer Gnaden – außer vielleicht, dass es keine Bitte, sondern vielmehr eine Absichtserklärung war“, fügte sie entschlossen hinzu und reckte das Kinn vor.

Der Duke of Worthing zog die Augenbrauen so hoch, dass sie unter dem tiefschwarzen Haar, das ihm locker in die Stirn fiel, nicht mehr zu sehen waren. Er musterte Julianna mit seinen eiskalten hellgrünen Augen, die er zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen hatte.

„Eine Absichtserklärung?“

Keine Sekunde ließ sich Julianna von der sanften Stimme des Dukes hinters Licht führen – auch nicht von der entspannten Haltung, die er ihr gegenüber auf dem Sessel im Blauen Salon seines Londoner Hauses einnahm. Sie wusste nur zu gut, dass die größte Gefahr von diesem Mann dann ausging, wenn er vernünftig erschien.

Er und ihr Bruder – sowie drei seiner engsten Freunde – waren in der Öffentlichkeit als „Die Durchtriebenen Dukes“ bekannt, und das lag sicherlich nicht an ihren angenehmen Umgangsformen. Allerdings hatten sie sich diesen Namen auch nicht nur aufgrund ihrer Gewieftheit auf dem Schlachtfeld verdient. Ihre Eroberungen in den Schlafgemächern waren mindestens genauso skandalös – und zwar so sehr, dass die meisten Mütter des ton ihre heiratsfähigen Töchter nicht einmal in die Nähe dieser verwegenen Junggesellen ließen. Julianna hatte guten Grund zu der Annahme, dass Marcus Wilding der durchtriebenste von allen war.

Wegen seines Rufs machte sie sich nicht die geringsten Sorgen. Erneut zu heiraten, war das Letzte, was ihr in den Sinn kam, ganz gleich ob es nun um Worthing oder sonst einen Gentleman ging.

Dennoch war sie froh, dass sie sich bei ihrer Ankunft den schwarzen Umhang vom Butler des Dukes nicht hatte abnehmen lassen. Dieses Kleidungsstück umhüllte sie nicht nur von den Schultern bis zu den Knöcheln, sondern verbarg auch das Zittern ihrer behandschuhten Hände unter den großen Falten des Umhangs. Die hellgraue Schute bedeckte jedoch leider nur ihr feuerrotes Haar – nicht ihr sicherlich leichenblasses Gesicht.

Julianna zwang sich zu einem ruhigen, gleichmütigen Gesichtsausdruck, während sie Marcus unverwandt ansah. Er war ein Freund ihres Bruders Christian, weshalb sie ihn gut genug kannte, um zu wissen, dass er jegliches Zeichen von Schwäche ausnutzen würde. „Ja, eine Absichtserklärung“, bestätigte sie in gleichmäßigem Ton.

„Tatsächlich.“ Zwar durchbohrte er sie mit seinem Blick, dennoch konnte sie nicht anders, als seine faszinierenden grünen Augen unter den dunklen, überaus langen und dichten Wimpern zu bewundern. Sein Gesicht war so anmutig und schön wie das eines gefallenen Engels – oder das eines Teufels? „Ist denn die Frage gestattet, warum? Schließlich waren Sie eine verheiratete Dame und sind jetzt Witwe. Es steht Ihnen daher frei, sich einen Liebhaber zu nehmen, anstatt wieder zu heiraten, wenn Sie es so wünschen …“

„Das beabsichtige ich auch“, erwiderte sie entschieden.

Er nickte. „Haben Sie denn schon einen bestimmten Herrn im Sinn, der Ihr … Liebhaber werden soll?“

„Nein, noch nicht.“

Er runzelte die Stirn. „Dann drängt sich mir eine Frage auf: Warum haben Sie sich dazu entschieden, zu mir zu kommen und mir den skandalösen Vorschlag zu unterbreiten, Sie in der Kunst der Verführung zu unterweisen?“

Der sanfte Ton der Frage traf Julianna unvorbereitet. Im Grunde hatte sie mit Worthings Spott und weniger mit der jetzt zur Schau getragenen Nachlässigkeit gerechnet. Dieser Mann gehörte zu den begehrtesten Junggesellen Englands. Sie hingegen war verheiratet gewesen und jetzt verwitwet. Beides hatte seinen Tribut gefordert – sowohl in Bezug auf ihr Äußeres als auch ihre emotionale Verfassung.

An ihrem Hochzeitstag vor vier Jahren war sie eine junge Dame von nur achtzehn Jahren gewesen. Im Herzen voller Optimismus für die Zukunft. Doch nach drei Jahren Ehe mit dem betrügerischen Lord John Armitage und fast einem Jahr im Witwenstand war Julianna zu dem Entschluss gelangt, nicht wieder zu heiraten, wenn ihr Trauerjahr in genau zwei Wochen zu Ende gehen würde. Nein, es wäre viel besser, sich einen Liebhaber zu nehmen, hatte sie entschieden. Einen, den sie sich selbst aussuchen und mit dem sie nach den eigenen Vorstellungen zusammen sein könnte.

Wer könnte sie da besser in der Liebeskunst unterrichten als der Gentleman, von dem es hieß, er sei der vollkommenste Liebhaber von ganz England?

Bis jetzt war es Julianna wie die perfekte Lösung erschienen. Doch jetzt, da sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber saß und sie nur wenige Schritte von dem ungemein verführerischen Duke of Worthing trennten, kamen ihr ernsthafte Zweifel, ob sie klug gehandelt hatte.

Denn Worthing war nicht nur ein vollendeter Liebhaber, sondern im Alter von zweiunddreißig Jahren auch der bestaussehende Gentleman des ton. Die dunklen, längeren Locken fielen ihm auf verwegene und nachlässige Art und Weise in die Stirn, über die Ohren und in den Nacken. Die hohen Wangenknochen betonten seine edle Nase, und der Mund – oh Gott, dieser sündhafte Mund mit den vollen, sinnlichen Lippen übte eine überaus beunruhigende Wirkung auf Julianna aus.

Neben alldem war es offenkundig, dass Worthings tadelloses Erscheinungsbild in keiner Weise dem Können seines Schneiders und Schuhmachers geschuldet war. Seine breiten Schultern, seine schmale Taille, seine muskulösen Oberschenkel und langen Beine in dem schwarzen Frackrock, der grauen Weste, dem schneeweißen Hemd und den schwarzen Pantalons waren einzig und allein auf die vielen Stunden zurückzuführen, die er mit seinen engsten Freunden im Boxring und bei Schwertübungen verbrachte.

Seit Juliannas Hochzeit mit John Armitage hatte Worthing nicht das geringste Interesse an ihr gezeigt – abgesehen von den üblichen Höflichkeitsfloskeln, mit denen er die kleine Schwester seines Freundes bedachte.

„Dürfte meine Wahl sich nicht von selbst erklären, wenn man bedenkt, dass Ihre Fertigkeiten im Schlafgemach den Gerüchten nach legendär sind?“, sagte sie in dem Versuch, desinteressiert zu klingen.

Er zog jene dunklen Brauen ein zweites Mal hoch. „Tatsächlich?“

„Oh ja“, bestätigte Julianna in kühlem Ton.

„Hat Ihr Ehemann Sie nicht … mit der sinnlichen Liebe vertraut gemacht?“

Mit einem Mal fühlte sich ihr Mund ganz angespannt an und beschämt stellte sie fest, dass ihre Wangen anfingen zu glühen. „Mein Mann war zu sehr damit beschäftigt, die Betten anderer, erfahrenerer Frauen aufzusuchen, als dass er seine kostbare Zeit mit mir verschwendet hätte – abgesehen von den Versuchen, einen Erben zu zeugen. An dieser Aufgabe ist er offenkundig gescheitert.“

Entschlossen richtete sie sich auf, als sie ihre Kinderlosigkeit erwähnte. „Ich habe akzeptiert, dass Liebe und Glück in einer Ehe eher die Ausnahme als die Regel sind. Hoffentlich liegen die Dinge bei einem Liebhaber anders. Bevor ich jedoch diesen neuen Weg einschlage, habe ich mir fest vorgenommen zu lernen, wie ich Lust bereiten und selbst erfahren kann.“

Marcus wusste nicht, ob es beabsichtigt war oder nicht, doch er hörte jede Menge Schmerz hinter diesen verbitterten Worten. Und Demütigung. Er war der Ansicht, dass ein Mann eine Frau niemals so verletzen durfte, dass sie sich nach dem Trauerjahr lieber einen Liebhaber nahm, als auch nur die Möglichkeit einer zweiten Hochzeit in Betracht zu ziehen.

Julianna war gerade fünf Jahre alt und ein kleiner Wildfang gewesen, als Marcus eingeladen wurde, in den Sommerferien mehrere Wochen bei seinem Freund Christian Seaton zu verbringen. Die beiden Jungen waren sich zwei Jahre zuvor in Eton begegnet. In den geheiligten Hallen von Eton hatte es an jenem schicksalhaften Tag vor beinahe zwanzig Jahren fünf neue Schüler gegeben, und überraschenderweise war jeder von ihnen Erbe eines Herzogtums gewesen – eine ungewöhnliche Begebenheit, die zu einem lebenslangen Band der Freundschaft geführt hatte.

Christians Eltern, der vorherige Duke und die Duchess of Sutherland, waren nachsichtige, liebevolle, doch häufig abwesende Eltern, die ihre beiden Kinder in den Sommermonaten in der Pflege der Hausangestellten ihres Landsitzes zurückließen. So war es gekommen, dass Marcus und die anderen drei Jungen in den darauffolgenden zehn Jahren viel Zeit in Sutherland Park verbrachten. Bei den Besuchen hatte Christians kleine Schwester darauf beharrt, ihnen zu folgen und bei jedem Abenteuer – vom Bäume hochklettern bis zum Angeln – mit dabei zu sein. Es war ihr gleichgültig gewesen, ob sie sich die Knie aufschürfte oder im Bach unter Wasser gedrückt wurde, solange sie nur bei ihnen und nicht in der Stube beim Kindermädchen war.

Wenn Marcus sie jetzt ansah, konnte er erkennen, dass der kleine Wildfang zwar nicht vollkommen gezähmt, aber unter der Trauerkleidung zumindest gebändigt war. Dennoch war er sich ihres schlanken, unter dem großen Umhang verborgenen Körpers nur allzu bewusst. Ihr Gesicht unter der grauen Haube wirkte wie eine schöne elfenbeinfarbene Kamee – die blassen Wangen betonten das herrliche Blaugrau ihrer Augen. Ihre vollen Lippen lächelten nicht.

Es war nicht schwierig zu erkennen, dass die unglückliche Ehe mit Armitage der Grund für diese Veränderungen an Julianna war. Schon früher hatte Marcus vermutet, dass sie keine glückliche Ehe führte. Damals hatte er eine private Unterhaltung im Spielklub mitgehört. Armitage brüstete sich vor seinen zwielichtigen Gefährten mit seinen Vorlieben im Schlafgemach. Doch die Vergangenheit ließ sich nicht ändern – egal, wie sehr Marcus sich das auch wünschte. Er konnte nicht umhin, sich zumindest teilweise für Juliannas Unglück verantwortlich zu fühlen.

Marcus hatte vor vier Jahren niemandem von seinen Gefühlen für die Schwester seines ältesten, besten Freundes Christian erzählt. Niemand wusste, wie sehr es ihn getroffen hatte, von ihrer Hochzeit mit Lord John Armitage zu erfahren, nachdem er nach einer blutigen Schlacht gegen Napoleons Armee nach England zurückgekehrt war.

In den darauffolgenden Jahren war Marcus innerlich durch die Hölle gegangen. Unerträglich war ihm der Gedanke gewesen, dass Julianna in den Armen, im Bett eines anderen Mannes lag – insbesondere da es sich bei diesem Mann um den ehebrecherischen Armitage handelte.

Jetzt, da ihr Trauerjahr in wenigen Wochen vorbei sein würde, hatte Marcus sich fest vorgenommen, Julianna so zu umwerben, wie er es vor vier Jahren hätte tun sollen: Er wollte ihr einen Heiratsantrag machen.

Weder in seinen kühnsten Träumen noch in seinen wildesten Fantasien – und manche davon waren tatsächlich sehr wild gewesen – hätte Marcus sich vorstellen können, eines Morgens nach einer durchzechten Nacht nach Hause zu kommen und zu erfahren, dass Julianna im Blauen Salon auf ihn wartete – mutterseelenallein, noch nicht einmal von einem Hausmädchen begleitet. Sie hatte ihm von sich aus einen Vorschlag unterbreitet, der nichts mit Liebe und Ehe zu tun hatte. Stattdessen wollte sie, dass er sie zu einer Verführerin machte, damit ihre zukünftigen Liebhaber davon profitieren könnten.

2. KAPITEL

Marcus stand auf, wanderte in dem Salon auf und ab und blieb vor dem Feuer stehen. Die Wärme erreichte ihn jedoch nicht, als er auf die züngelnden Flammen herabsah. Wie sollte er mit dieser komplizierten Situation umgehen?

Juliannas spärlichen Offenbarungen und seinem bisherigen Kenntnisstand über ihre Ehe nach zu urteilen, schloss sie eine zweite Heirat vollkommen aus. Sie war einzig und allein an ihn herangetreten, weil sie mehr über die Natur des ihr bisher versagten sinnlichen Vergnügens erfahren wollte.

Marcus stellte sich vor, wie es wäre, sie in der Kunst des Liebesspiels zu unterrichten und ihr auf jede erdenkliche Art und Weise beizubringen, wie sie einem Mann und sich selbst Genuss bereiten könne. Allerdings hegte er keinesfalls die Absicht, dass dieses Wissen jemals einem anderen Mann zugutekäme. Doch er glaubte nicht, dass sie bereit war, das zu hören. Noch nicht.

War er dazu in der Lage, das zu tun? War er stark genug? Würde er sich so weit zurückhalten, so viel Distanz wahren können, um Julianna sinnliche Lektionen zu erteilen – in der Hoffnung, dass sie ihn eines Tages genauso lieben würde, wie er sie schon seit Langem liebte?

Es blieb ihm keine andere Wahl, denn allein bei dem Gedanken, dass Julianna denselben Vorschlag einem anderen Mann unterbreiten könnte, wurde ihm speiübel und eine heftige Abneigung gegen jenen möglichen Konkurrenten ergriff von ihm Besitz.

Julianna wusste nicht, welche Gedanken Worthing durch den Kopf gingen, während er in die flackernden Flammen starrte, doch sie glaubte nicht, dass es etwas Angenehmes sein könnte – so blass, wie er aussah. Die Lippen presste er so fest zusammen, dass sie wie ein weißer Strich wirkten, sein Kiefer war angespannt.

Abrupt stand sie auf und erhob sich zu ihrer vollen Größe von gut einem Meter sechzig. Stolz reckte sie das Kinn. „Vielleicht war es ein Fehler, zu Ihnen zu kommen …“

„Wieso haben Sie es dann getan?“ Worthing richtete sich auf und schaute sie aus jenen unergründlichen Augen an. „Wie um alles in der Welt sind Sie darauf gekommen, dass Sie mich davon überzeugen könnten, einzuwilligen?“

Der Kloß in Juliannas Kehle wurde nicht kleiner, als sie schluckte, um dem Duke zu antworten: „Ich dachte … Ich kenne Sie seit vielen Jahren … Sie sind ein Freund meines Bruders!“

„Das wäre Grund genug gewesen, nicht an mich heranzutreten, anstatt genau das Gegenteil zu tun. Oder?“, raunte Worthing in barschem Ton.

„Vielleicht“, gab sie zu. „Aber ich dachte, dass die Verbindung zumindest Ihr Schweigen in dieser Angelegenheit sicherstellen würde, falls Sie sich dazu entscheiden sollten, meinen Vorschlag abzulehnen.“

„Fürchten Sie denn gar nicht, dass ich Ihren Bruder Christian über die Einzelheiten dieser Unterhaltung in Kenntnis setzen würde, wenn ich Ihren Vorschlag tatsächlich ablehnen sollte?“

„Nein.“

Angesichts ihrer Bestimmtheit wurden seine Augen schmal. „Warum nicht?“

Unter ihrem Umhang zog sie die Schultern hoch.

„Wenn Sie das täten, dann sähe ich mich dazu gezwungen, Lord Standish darüber zu informieren, wo und mit wem seine Frau die Nacht vor ihrer Hochzeit vor vier Jahren verbracht hat.“

Marcus rührte sich nicht, als er die offensichtliche Drohung hinter diesen Worten vernahm. Ein Drohung, die er vielleicht verdient gehabt hätte, wenn er damals nicht rechtzeitig zu Sinnen gekommen wäre.

Es war in der gleichen Nacht passiert, als er von Juliannas Ehe mit Armitage erfahren hatte. Marcus war tiefbetrübt und nicht minder betrunken gewesen. Am Anfang war er daher offen für Emily Proctors Vorschlag gewesen, das Bett mit ihr zu teilen, bevor sie am darauf folgenden Tag den betagten Randolph Standish heiraten würde.

Immerhin hatte Marcus die Angelegenheit jedoch früh genug abgebrochen und es geschafft, sich nicht vollkommen die Blöße zu geben. Was für eine Ironie des Schicksals, dass Julianna jetzt versuchte, sein Verhalten jener Nacht gegen ihn zu verwenden! Schließlich hatte er nur wegen seines Verlangens nach ihr so gehandelt.

Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Dürfte ich fragen, woher Sie wissen wollen, wo und mit wem Lady Standish die Nacht vor ihrer Hochzeit verbracht hat?“

Julianna schenkte ihm ein triumphierendes, spöttisches Lächeln. „Weil die Dame es mir natürlich erzählt hat.“

Marcus sah sie zweifelnd an. „Hat sie das?“

„Oh ja.“ Julianna nickte zufrieden. „Männer sind nicht die Einzigen, die mit ihren Eroberungen im Schlafgemach angeben, wissen Sie“, versicherte sie ihm in höhnischem Ton. „Emily Standish hat mir beteuert – und sie muss es ja wissen –, dass Sie Ihrem Ruf als vollkommenster Liebhaber von ganz England alle Ehre machen.“

Wäre die hinterhältige Emily Standish in diesem Moment in greifbarer Nähe gewesen, wäre er ihr wohl an die Gurgel gesprungen. Andererseits …

Allem Anschein nach war neben seinem Ruf als Liebhaber die persönliche, wenn auch unwissentliche Empfehlung von Emily Standish der Grund für Juliannas Kommen.

Er spannte den Kiefer an. „Warum gehen Sie davon aus, dass es mir etwas ausmachen könnte, wenn Sie diese Information an Standish herantragen würden?“

Julianna schenkte ihm ein herausforderndes Lächeln. „Weil ich weiß, dass Sie und Christian erst kürzlich eine Geschäftsbeziehung mit ihm eingegangen sind.“

Marcus runzelte die Stirn. „Ach ja?“

„Ja.“ Sie nickte selbstsicher. „Es hat etwas mit Versand zu tun, aber ich könnte mich auch irren.“

Marcus wusste, dass sie alles andere als falschlag, und verfluchte Christian innerlich dafür, Geschäftsangelegenheiten überhaupt mit seiner Schwester zu besprechen.

Auf Marcus’ langes Schweigen fügte Julianna in triumphierendem Ton hinzu: „Einen Skandal möchten Sie unter diesen Umständen doch sicherlich vermeiden. Was würde Standish dazu sagen, wenn herauskäme, dass Sie noch vor ihm das Bett mit seiner Frau geteilt haben?“

Dass Julianna es wagte, dieses Wissen gegen ihn zu verwenden, ohne ihn überhaupt zu fragen, ob es stimmte, erfüllte Marcus mit großem Zorn. Zwar konnte Julianna nicht wissen, dass Emily Standish gelogen hatte, aber dennoch fand Marcus, dass Julianna eine – zumindest kleine – Bestrafung verdiente. Dafür, dass sie sich nicht einmal nach der Wahrheit erkundigt und obendrein noch versuchte hatte, ihn zu erpressen, um ihren Willen durchzusetzen. „Legen Sie Ihren Umhang ab“, wies er sie sanft an.

Julianna blinzelte nervös mit ihren langen Wimpern, als sie Marcus argwöhnisch ansah. Mit der feuchten Zunge benetzte sie sich die trockenen Lippen, bevor sie sprach. „Warum?“

„Damit ich Ihre körperlichen Vorzüge besser begutachten kann, bevor ich eine Entscheidung treffe.“

„Ich verstehe nicht, warum es nötig sein sollte, dass ich …“

„Wie soll ich Sie darin unterweisen, einem Mann Vergnügen zu bereiten, wenn Ihre körperliche Anziehungskraft auf mich nicht ausreicht, um Erregung hervorzurufen?“, sagte Marcus unwirsch.

Julianna fühlte, wie ihre Wangen glühten, als sie sich einmal mehr eingestehen musste, dass sie sich die ganze Angelegenheit besser hätte überlegen sollen, bevor sie so früh am Morgen zum Haus des Dukes aufgebrochen war. Kein einziges Mal hatte sie daran gedacht, wie es wäre, wenn Marcus Wilding derart intim mit ihr reden würde, geschweige denn …

„Ich möchte lediglich, dass Sie mich unterrichten, nicht, dass … dass …“ Sie holte tief Luft. „Ich hege die Absicht, dass der Unterricht verbaler, nicht physischer Natur sein soll.“

„Und ich hege die Absicht, dass er genau das nicht sein soll“, versicherte Marcus ihr in trockenem Ton, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt. Er kämpfte gegen den Impuls an, Julianna über sein Knie zu legen, ihren Rock bis zur Taille hochzuschieben und ihr s olange Klapse auf den Hintern zu geben, bis ihre Pobacken eine sanfte Rötung angenommen hätten.

Bei diesem Gedanken wurde ihm augenblicklich heiß. Es erschien wie eine Verhöhnung der von ihm geäußerten Bedenken, Julianna könne nicht anziehend genug sein.

Alles an ihr betörte ihn – von ihrem dunklen rotgoldenen Haar über ihr schönes Gesicht mit den vollen, sinnlichen Lippen und den cremefarbenen Rundungen ihrer Brüste bis zu der schlanken Taille und den unbändigen Locken …

Und sie wagte es … Sie wagte es, zu ihm zu kommen und zu versuchen, ihn zu erpressen, damit er sie im Liebesspiel unterweise. „Legen Sie Ihren Umhang ab“, wiederholte er in kompromisslosem Ton.

Juliannas Finger zitterten leicht, als sie die Hände hob und ihren Umhang am Hals löste, bevor sie ihn sich von den Schultern gleiten ließ. In ihrem schlichten grauen Seidenkleid stand sie vor Marcus.

„Legen Sie ihn auf den Stuhl“, wies Marcus sie schroff an, wartete, bis sie es getan hatte, und fügte hinzu: „Und jetzt nehmen Sie diese hässliche Haube ab und machen Sie Ihre Haare auf.“

Während Julianna ihre Haube auf den Stuhl neben den Umhang legte, zögerte sie erneut. „Meine Haare aufmachen?“

Spöttisch verzog er den Mund. „Ihre erste Lektion besteht darin, dass es für einen Mann nur einen Grund gibt, warum eine Frau sich das Haar hochsteckt: Damit er ihr genüsslich dabei zusehen kann, wie sie die Haarnadeln wieder löst.“

Verblüfft schüttelte sie mit dem Kopf. „Ich erinnere mich nicht daran, dass mein Mann jemals …“

„Die Unzulänglichkeiten Ihres verstorbenen Gatten haben hier zwischen Ihnen und mir nichts zu suchen!“ Marcus Wildings Augen blitzten warnend auf.

„Aber …“

„Wenn ich Ihrer Bitte nachkomme, dann wird es in diesem Haus nur uns beide geben, Julianna“, fuhr er entschlossen fort. „Keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur das Jetzt.“

„Das Jetzt?“

„Genau.“ Er verzog den Mund, als sie so still wie eine Statue an Ort und Stelle verharrte. „Das Liebesspiel ist ein Genuss für alle Sinne, Julianna. Zuerst das Sehen, dann das Riechen, gefolgt vom Schmecken und Hören und schließlich das Tasten. Ich habe entschieden, dass wir heute mit dem Sehen anfangen. Mit jedem weiteren Tag werden wir einen weiteren Sinn hinzunehmen. Ich habe bereits gesehen, dass Sie hübsch und kurvenreich und Ihre Brüste üppig genug sind, um die Fantasie eines Liebhabers anzuregen. Ein Liebhaber würde Sie jetzt dazu auffordern, Ihr Haar für ihn zu lösen.“

Das Zittern, das in Juliannas Fingern angefangen hatte, erfasste nun ihren ganzen Körper und ließ ihre Haut kribbeln. Ihre Brüste fühlten sich voll und schwer an. Die rosigen Knospen an ihren Spitzen schwollen gegen den Stoff ihres Kleides an. Zwischen ihren Beinen war es heiß, und sie spürte ein loderndes Verlangen in sich aufsteigen, während sie sich des durchdringenden und intensiven Blicks aus Marcus’ grauen Augen nur allzu bewusst war. Es war ein entschlossener Blick – er bat nicht darum, sondern verlangte, dass sie ihm gehorchte.

3. KAPITEL

Aus Protest gegen diese Aufforderung ließ Julianna die Arme schlaff an ihrem Körper hängen. „Ich hatte nicht die Absicht, schon heute mit dem Unterricht zu beginnen.“

Marcus lächelte, als er Unsicherheit in Juliannas dunkelgrauen Augen entdeckte. Dennoch streckte sie ihr hübsches Kinn eigensinnig nach vorne.

„Je früher wir beginnen, desto schneller haben wir es hinter uns, verstehen Sie?“

Sie runzelte die sonst so ebenmäßige Stirn. „Ich bin nicht darauf vorbereitet, heute mit … mit dem Unterricht anzufangen.“

„Ein erfüllendes, aufregendes Liebesspiel hat nichts mit guter Vorbereitung zu tun“, entgegnete Marcus ungeduldig. „Zwischen einem Mann und einer Frau sollten Leidenschaft und Lust immer spontan entstehen. Wir sind hier nicht in Ihrem früheren Ehebett, Julianna“, fuhr er fort, da sie sich nicht rührte, um seine Anweisung zu befolgen. „Zwischen uns beiden wird es kein Kerzen ausblasen, kein Rascheln der Bettdecke und erst recht keinen hastigen Paarungsakt geben.“

Juliannas Gesicht wurde vor Bestürzung aschfahl – nicht nur wegen Marcus’ unverblümter Rede, sondern auch wegen seiner genauen Beschreibung jener demütigenden Momente, in denen John ihr Bett aufgesucht hatte, nur um es am Ende genauso überstürzt wieder zu verlassen. Danach fühlte sich Julianna immer schmutzig und benutzt, stand unverzüglich auf, um Johns Spuren von ihrem Körper zu waschen, zog sich um und bezog das Bett mit sauberen Laken. Anschließend war sie wieder unter die Decke geschlüpft und hatte sich in den Schlaf geweint.

Als Marcus sah, wie Julianna blass wurde, bereute er sofort die Heftigkeit, mit der er seiner Wut Luft gemacht hatte. Ihre Reaktion bewies, dass er mit seiner spöttischen Bemerkung über die Zustände in ihrer Ehe goldrichtig gelegen hatte. Vor diesem Hintergrund war es kein Wunder, dass Julianna erfahren wollte, ob die körperliche Liebe auch andere, zärtliche Seiten habe.

Doch Marcus wusste, dass er heute gewiss nicht in der Stimmung dafür sein würde, ihr jene Zärtlichkeit zukommen zu lassen.

„Warum haben Sie Ihrem Bruder nie von der Brutalität Ihres Mannes erzählt?“ Zweifellos hätte Christian etwas unternommen, wenn er gewusst hätte, wie grausam Armitage seine geliebte Schwester behandelt hatte.

Sie lächelte freudlos. „Was hätte ich ihm denn erzählen sollen? Dass John bis zu unserer Hochzeit nur vorgab, mich zu lieben? Dass er mich nur wegen meines Namens, meines Vermögens und meines Standes als Schwester eines Dukes wollte? Und weil ich ihm einen Erben schenken sollte?“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „In London gibt es Dutzende, Hunderte solcher Ehen. Woher hätte ich das Recht nehmen sollen, mich zu beschweren? Meine Ehe war genauso wie etliche andere.“

Sie hatte natürlich recht. In der feinen Gesellschaft heiratete man nicht aus Liebe, sondern um zu Ansehen und Vermögen zu gelangen. So war es schon immer gewesen, und so würde es immer sein – abgesehen von den wenigen Liebeshochzeiten. Marcus’ Eltern hatten für Titel und Vermögen geheiratet und schließlich das Glück gehabt, sich nach ihrer Hochzeit jeden Tag ein bisschen mehr ineinander zu verlieben. In ihrer Ehe mit Armitage war Julianna hingegen weniger Glück beschieden gewesen.

„Er hat mich nicht geschlagen und mich in der Öffentlichkeit nie bloßgestellt“, fuhr Julianna ausdruckslos fort. „Er hat es mir nicht versagt, Freunde zu haben, und hat mich mit einem großzügigen Taschengeld ausgestattet …“

„Von Ihrem eigenen Geld!“

„Das Gesetz schreibt vor, dass alles Geld bei der Hochzeit an den Bräutigam geht“, erinnerte sie Marcus seufzend.

„Dann muss dieses Gesetz geändert werden!“

„Vielleicht könnten Sie und mein Bruder sich dessen annehmen, wenn Sie nicht gerade mit anderen Angelegenheiten beschäftigt sind?“, erwiderte sie spitzzüngig. „Nach geltendem Recht geht das Geld einer Frau durch eine Heirat in den Besitz des Mannes über – genauso wie die Frau.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Ich hatte einen Mann, schöne Wohnsitze hier und auf dem Land sowie Diener, die mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen haben – was kann sich eine Frau mehr von einer Ehe wünschen als das?“

Marcus fand, dass eine Frau auch Zärtlichkeit, Vergnügen, Heiterkeit und Liebe von ihrem Mann erwarten durfte, sollte. Verdammt, wäre doch nur er es gewesen, den Julianna vor vier Jahren geheiratet hätte.

Ob sie eingewilligt hätte, wenn er um ihre Hand angehalten hätte, bevor er in die Schlacht gegen Napoleon gezogen war? Ob sie an seiner Seite aufgeblüht wäre und sich zu ihrer vollen Weiblichkeit entwickelt hätte? Wie hatte er sich danach gesehnt, ihr all das zu geben, nachdem er mit ihr an ihrem achtzehnten Geburtstag bei Almack’s getanzt und erkannt hatte, dass aus dem kleinen Wildfang eine schöne, begehrenswerte Frau geworden war. Eine Frau, die er nur für sich wollte.

Die Antwort auf seine Fragen würde Marcus nie erfahren. Damals hatte er geglaubt, dass es ehrenwert wäre, Abstand zu halten und sich Julianna gegenüber nicht zu offenbaren. Er war davon ausgegangen, dass ihm noch genügend Zeit bleiben würde, wenn der Krieg mit Napoleon erst vorbei wäre und er sicher sein könnte, Julianna nicht im Handumdrehen zur Witwe zu machen. Erst dann hatte er ihr sagen wollen, was er für sie empfand. Stattdessen war Julianna mit einem anderen verheiratet gewesen, als er nur wenige Monate später nach London zurückgekehrt war.

Die Julianna, die heute zu ihm gekommen war, war nicht dieselbe, in die er sich vor vier Jahren verliebt hatte. Die Julianna von damals hatte noch an die Liebe geglaubt. Jetzt lag es an Marcus, ihr zu zeigen, dass es so etwas wie Zärtlichkeit und Vergnügen sehr wohl gab. Er konnte nur hoffen, dass sie danach Gefühle für ihn entwickeln würde.

Es war eine zweifellos törichte Hoffnung, aber das war immer noch besser als die vergangenen vier Jahre, in denen er an seiner hoffnungslosen Lage in Bezug auf Julianna fast verzweifelt wäre.

Abrupt richtete sich Marcus auf. „Also gut, Julianna. Ich erkläre mich damit einverstanden, dich zu unterrichten.“ Beinahe musste er grinsen, als er einen flüchtigen Ausdruck des Triumphes auf ihrem Gesicht sah – gefolgt von einem Ausdruck der Unsicherheit, als würde sie sich fragen, was sie sich da bloß eingebrockt hatte.

„Die erste Lektion beginnt morgen früh um sechs Uhr hier. Niemand darf dich zu einem späteren Zeitpunkt ankommen oder abfahren sehen“, sagte er, während sich ihre schönen grauen Augen weiteten. „Im Grunde darf niemand sehen, wie du hier ohne Begleitung erscheinst – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Das würde nur zu einem Skandal führen. Und den möchtest du doch sicherlich lieber vermeiden, oder?“ Er zog die Brauen hoch.

Natürlich wollte Julianna in keinen Skandal verwickelt sein – am wenigsten mit dem durchtriebenen Duke of Worthing. Eigentlich war sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie überhaupt noch einmal hierhin zurückkehren wollte.

Zuvor war ihr der Plan so einfach und einleuchtend erschienen. Sie hatte geglaubt, dass ihr im Grunde nichts anderes übrig bleibe, da gewisse Gentlemen nur auf das Ende ihres Trauerjahres warteten, um ihr Avancen machen zu können. Doch hier und jetzt – in der Gegenwart des verwirrenden und vielleicht auch durchtriebenen Marcus Wilding – war sie nicht mehr so überzeugt. War es die richtige Entscheidung gewesen, unter allen Männern ausgerechnet ihn ausgewählt zu haben

Oh, sie hatte keine Bedenken, dass er seinem Ruf als vollkommener Liebhaber gerecht werden würde, doch sie zweifelte jetzt an ihrer eigenen Fähigkeit, Marcus’ faszinierender Ausstrahlung widerstehen zu können.

Ihr verstorbener Gatte hatte sich zwar nicht um ihr Vergnügen im Ehebett gekümmert, aber das bedeutete nicht, dass Julianna noch nie Lust oder Verlangen gespürt hätte. All diese Gefühle hatte einst der Mann, der jetzt am anderen Ende des Saals stand, in ihr ausgelöst.

Als Kind hatte sie Marcus Wilding wie einen Helden verehrt und sich als junge, heranwachsende Dame Hals über Kopf in den besten Freund ihres Bruders verliebt.

Diese Verliebtheit wandelte sich in leidenschaftliche Gefühle, nachdem Julianna in die Gesellschaft eingeführt wurde und den unglaublich gutaussehenden Marcus mehrmals pro Woche auf irgendeiner gesellschaftlichen Veranstaltung aus der Ferne betrachten konnte.

An ihrem achtzehnten Geburtstag bei Almack’s bat Marcus sie sogar um den ersten Walzer des Abends. Auch wenn er es zweifellos nur auf Bitten ihres Bruders tat, um ihr gesellschaftliches Ansehen zu fördern, flammte in ihrem Herzen an jenem Abend eine zarte Liebe für ihn auf. Julianna ergriff ein sengendes Verlangen, als der gutaussehende Duke seine Arme um sie legte. Jene Hitze hatte sie immer tiefer – immer intensiver – in ihrem Inneren gespürt, während er sie in den Armen gehalten und sie beim Tanzen leicht mit der Brust und seinen langen Beinen gestreift hatte.

Heute hatte Julianna innerhalb von nur wenigen Minuten in Marcus Wildings Gesellschaft erkannt, dass sie immer noch jene unerwiderte Sehnsucht nach ihm empfand. Ihre Brüste fühlten sich unter dem Oberteil ihres Kleides so schwer an.

Sehen.

Laut Marcus wurde beim Verlangen zuerst dieser Sinn angeregt. Wie sehr diese Behauptung stimmte, war ihr in den letzten Minuten, in denen sie seine makellose äußere Erscheinung betrachtet hatte, bewusst geworden!

Allein beim Anblick seines Gesichts wäre sie ihm am liebsten mit den Fingern durch die ungebändigten dunklen Locken, die ihm in die Stirn fielen und sich an den Ohren so verführerisch kräuselten, gefahren. Als er sie jetzt ansah, reichte das wissende Leuchten in seinen blassen Augen aus, um ein Zittern tief in ihrem Inneren hervorzurufen.

Was Marcus’ Mund anging: Solch einen sündhaft sinnlichen Mund durfte ein Mann einfach nicht haben. Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie er mit diesen Lippen ihren Körper liebkoste, wie er mit seinen großen, geschmeidigen Händen über ihre Haut streichelte.

„Es wird langsam Zeit, Julianna. Ich warte immer noch auf eine Antwort. Wirst du morgen wiederkommen, um mit dem Unterricht zu beginnen. Ja oder nein?“, drängte er.

Ja oder nein …

4. KAPITEL

Ah, es freut mich, dass du meinen Anweisungen von gestern gefolgt bist und zu unserem heutigen Treffen keine Trauerkleidung mehr trägst“, murmelte Marcus zufrieden am nächsten Morgen um sechs Uhr. Sein Butler hatte Julianna zu ihm gebracht, sich zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen.

Julianna war sich nicht sicher gewesen, ob sie heute zum Haus von Worthing gehen sollte. Am Ende hatte sie sich nur deshalb dazu durchgerungen, weil sie wusste, dass er ihr sonst bei der nächsten Begegnung mit großem Spott begegnen würde.

Jetzt war sie über die Maßen nervös, da sie sich alleine mit Marcus in einem Raum befand, bei dem es sich allem Anschein nach um sein privates Arbeitszimmer handelte. Hinzu kam, dass Marcus’ Haar noch feucht war – wahrscheinlich hatte er kurz zuvor gebadet – und dass er zu seiner Weste weder einen Gehrock noch eine Krawatte trug. Außerdem war sein weißes Hemd am Hals aufgeknöpft, wie Julianna bemerkte, als er sich hinter den schweren Schreibtisch mit Lederauflage setzte.

Nach Marcus’ gestrigen Angaben war Sehen für gewöhnlich der erste Sinn, den ein Liebhaber anregte. Julianna zweifelte nicht daran, denn es fiel ihr schwer, zu atmen, geschweige denn von jenem verführerischen V-Ausschnitt wegzuschauen, unter dem dunkles, gekräuseltes Haar zum Vorschein kam. Wahrscheinlich bedeckte es Marcus’ ganze Brust und auch seinen Körper weiter unten.

„Gefällt dir, was du siehst?“

Julianna musste all ihre Willenskraft zusammennehmen, um den Blick langsam abzuwenden und Marcus in die Augen zu schauen. Mit der Zunge fuhr sie sich über die trockenen Lippen, bevor sie ihm antwortete: „Dein Butler hätte es mir sagen können, wenn es dir im Moment nicht passt, Besuch zu empfangen.“

Er hob die dunklen Brauen. „Es passt mir ausgezeichnet.“

„Ich … Aber … Du bist noch nicht komplett angezogen.“ Vor Nervosität sprach Julianna das Offensichtliche aus.

„Das habe ich absichtlich nicht getan, damit du dich daran erfreuen kannst“, versicherte er ihr mit tiefer Stimme. „Hast du gestern nicht gesagt, dass deine Sinne genauso angeregt werden sollen wie die des Mannes? Erregt es dich, dass ich so formlos gekleidet bin, Julianna? Antworte mir, Kleines“, wies er sie an, als sie still blieb.

„Ich … Ja!“ In den drei langen Ehejahren mit John hatte sie ihren Gatten tagsüber kein einziges Mal ohne Gehrock gesehen. Nachts war er immer in seinem bis zum Hals zugeknöpften Herrennachthemd in ihrem Schlafgemach erschienen.

Wie sie jetzt dastand und den Blick nicht von Marcus muskulösen Schultern und seiner männlichen Brust nehmen konnte! Das dünne Hemd und die seidene Weste gaben viel von seiner olivfarbenen Haut am Hals frei.

Julianna trat einen Schritt zurück, als Marcus sich hinter dem Schreitisch zu seiner ganzen, plötzlich gefährlich wirkenden Größe aufstellte. Er ging um den Tisch herum und kam direkt vor ihr zum Stehen, sodass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um in sein schönes Gesicht, das nun ganz nahe an ihrem war, zu sehen.

Es war nicht unbemerkt an Marcus vorbeigegangen, wie Julianna beim Eintreten in das Arbeitszimmer am ganzen Körper gezittert und die Hände fest ineinander verschränkt hatte. Sie trug ein rostbraunes Kleid, das hervorragend zu ihren dichten rotgoldenen Locken passte. Auf eine Haube hatte sie verzichtet, ihr Haar war locker nach oben gesteckt. Das Zittern zeugte davon, dass sie nervös war, auch wenn sie ihn aus jenen dunkelgrauen Augen herausfordernd ansah. Offensichtlich war sie fest entschlossen, nicht auf der Stelle kehrtzumachen und die Flucht zu ergreifen.

Er freute sich sehr über ihre eigensinnige Entschlossenheit, denn er wusste, dass sie höchstwahrscheinlich nur deshalb zu ihm gekommen war. Gestern Morgen hatte sie alles andere als überzeugt davon gewirkt, noch einmal zurückzukommen, nachdem er sie mit Verhaltensregeln für ihr heutiges Treffen überschüttet hatte. Zieh in meiner Gegenwart nie wieder diese Trauerkleidung an, lege keines dieser unnötigen und verdammt lästigen Korsette unter deinem Kleid an, trag dein Haar nicht so streng … und so weiter und so fort, bis Marcus das Gefühl beschlich, Julianna würde ihn samt seinen Anweisungen in die Wüste schicken.

Stattdessen hatte sie nichts erwidert und nur die Lippen zusammengepresst, bevor sie genauso anonym wie bei ihrer Anreise wieder abgefahren war. Der schwarze Umhang hatte sie von Kopf bis Fuß verhüllt, als sie in die Kutsche gestiegen war.

Doch nun war sie gekommen. Marcus spürte, wie erregt er wurde, als er jenes locker hochgesteckte rotgoldene Haar betrachtete. Wenn er sich nicht irrte – und er war sich sicher, dass er es nicht tat –, dann trug sie kein Korsett unter dem vorteilhaften rostroten Kleid, das den Blick auf die oberen Rundungen ihrer elfenbeinfarbenen Brüste freigab. Da sie sich so nahe waren, konnte Marcus den leichten und betörenden Duft nach Rosen auf ihrer schimmernden Haut wahrnehmen.

„Ich … Ist dein Arbeitszimmer nicht ein seltsamer Ort, für … für unser zweites Treffen?“, fragte Julianna angespannt.

Marcus lächelte leicht. „Der Ort des Liebesspiels und auch die Gefahr, entdeckt zu werden, haben oft eine aphrodisierende Wirkung auf den Akt selbst. Findest du es nicht aufregend, hier in meinem Arbeitszimmer zu sein – einem Herrenzimmer, das du normalerweise nicht betreten würdest?“

Das stimmt, gestand sich Julianna verwundert ein. Es hatte etwas Verbotenes, sich mit Marcus in seinem Arbeitszimmer aufzuhalten. Es war lediglich mit jenem großen Mahagonischreibtisch, dem Stuhl dahinter und einem verzierten japanischen Wandschirm neben dem Erkerfenster eingerichtet. Wie reizvoll die Vorstellung war, auf dem Stuhl auf Marcus’ Schoß zu sitzen oder wie er sie auf den breiten Schreibtisch legen würde …

„Also, ja.“ Marcus nickte zufrieden, da die Farbe auf Juliannas Wangen und das Glitzern in ihren Augen für sich sprachen.

„Ja“, flüsterte sie atemlos und zwang sich dazu, still zu stehen, während Marcus seine lange, geschmeidige Hand hob, um ihr eine Nadel nach der anderen aus dem Haar zu ziehen. Mit geweiteten Augen schaute sie auf seinen entblößten Hals. Sie konnte sehen, wie sein Puls anfing zu rasen, als er die letzte Nadel herauszog und ihr das Haar lose um die Schultern und auf den Rücken fiel.

Marcus war offenkundig sehr davon angetan, eine Frau mit offenem Haar vor sich zu sehen. Anerkennend ließ er den Blick über ihre langen, seidigen Locken schweifen. „Ich hatte soeben eine Vorahnung, die mir die süßesten Schmerzen bereitet: wie dein feuerrotes Haar an einem nicht allzu entfernten Tag über meine nackten Schenkel fällt.“

Julianna nahm es den Atem, als sie versuchte sich vorzustellen, unter welchen Umständen ihr Haar in Berührung mit Marcus’ nackten Schenkeln kommen sollte. Wollte Marcus damit etwa sagen …? Es gab mit Sicherheit keinen Grund, warum ihr Haar jemals in die Nähe seiner … Männlichkeit kommen sollte.

„Habe ich dich etwa schockiert, Julianna?“, fragte er, als er hörte, wie sie leise die Luft einsog.

Sie schaute ihm in die Augen. „Ich habe mir nur überlegt … mir versucht vorzustellen …“ Verlegen brach sie ab.

„Wenn man das Liebesspiel voll und ganz auskosten möchte, sollte man den anderen an jeder Stelle seines Körpers berühren und liebkosen“, erklärte Marcus mit rauer Stimme. „An jeder einzelnen Stelle, Julianna.“

Sie war aufgewühlt bei der Vorstellung, die intimsten Stellen von Marcus’ Körper zu streicheln und zu küssen. Sie dachte daran, wo genau ihr Mund liegen müsste, damit ihr Haar seine Schenkel bedecken könnte.

„Du hast gesagt, dass deine Vorahnung mit einem süßen Schmerz verbunden sei“, sagte sie abrupt. „Warum solltest du bei solchen Gedanken Schmerzen empfinden?“

„Das war auf einen bestimmten Körperteil bezogen“, korrigierte er sie sanft. „Einen Körperteil, der sich aufgerichtet hat, seitdem du heute in meinem Arbeitszimmer erschienen bist“, fügte er hinzu, als sie ihn weiterhin verblüfft ansah.

Julianna wandte den Blick unvermittelt auf seine Pantalons. Ihre Wangen glühten vor Hitze, als sie seine große Erektion unter dem Stoff der Hose entdeckte. Marcus umfasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, sodass ihr keine andere Wahl blieb, als in jene hellgrünen Augen zu schauen, aus denen er sie voller Unmut ansah. Sein Kiefer war angespannt, sein Mund zu einer dünnen Linie verzogen. „Was auch immer du mit diesem Mann, der niemals eine Frau hätte heiraten dürfen, erlebt hast – zwischen uns beiden wird es keine Rolle spielen. Hast du mich verstanden, Julianna?“, sagte er in schroffem, drängendem Ton.

Das tat sie! Als sie in diesem Moment in jene schönen Augen sah, verstand Julianna ganz genau, was Marcus ihr bieten – ihr geben – wollte. Er wollte ihr Anerkennung schenken – für ihre Weiblichkeit, ihre Schönheit. Vielleicht sogar Zärtlichkeit für ihre Unerfahrenheit. Solch ein Geschenk hatte John ihr nie zuteilwerden lassen.

Julianna straffte die Schultern und richtete sich auf, während sie Marcus unverwandt in die Augen sah. „Ich verstehe es, Marcus.“

Er sah sie für ein paar Sekunden prüfend an, bevor er zufrieden nickte. „Gut.“

„Ich … Hast du vor, mich zu küssen?“, platzte es aus ihr heraus, da er keine Anstalten machte, sie loszulassen.

Marcus sog scharf die Luft ein und spürte einen Nerv in seinem angespannten Kiefer pulsieren. „Das Berühren werden wir erst in ein paar Tagen im Unterricht behandeln.“

„Aber hast du nicht gesagt, dass sich das Liebesspiel immer spontan ereignen soll?“

Er unterdrückte ein Grinsen, da sie nicht nur in herausforderndem, sondern auch neckendem Ton gesprochen hatte. „Man sagt auch, die Vorfreude sei die schönste Freude“, erwiderte er spöttisch.

„Aber mit Schmerzen verbunden“, erinnerte ihn Julianna, aus deren dunklen Augen jetzt der Schalk blitzte.

Marcus war sehr erfreut über ihren Scherz und den neckenden Ton, denn so gelöst hatte er sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr erlebt. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie sehr er Julianna, den kleinen Wildfang, vermisst hatte!

Er wünschte sich nichts sehnlicher, als ihre Herausforderung anzunehmen und sie zu küssen. Das würde jedoch einer Kapitulation gleichkommen, die ihr zeigen würde, dass in Wahrheit die Schülerin alle Macht über den Lehrer besaß.

Diesen Umstand konnte er ihr noch nicht offenbaren.

Abrupt ließ Marcus sie los, bevor er zurücktrat und wieder hinter dem Mahagonischreibtisch Platz nahm. „Ich denke, der Unterricht ist für heute beendet.“ Einen Moment länger und er würde ernsthaft Gefahr laufen, ihr zu enthüllen, wie sehr er von seiner Liebe für sie beherrscht wurde.

„Aber ich bin erst seit ein paar Minuten hier …“

„Ich habe gesagt, der Unterricht ist für heute vorbei.“

Gerade in dem Moment, als Julianna das Gefühl bekam, kurz vor einer Entdeckung zu stehen, schickte er sie fort. Wie genau diese Entdeckung ausgesehen hätte, wusste sie nicht, aber Marcus’ Griff um ihr Kinn war sehr sanft geworden. Auch in seinen Augen hatte sie etwas gesehen: eine flüchtige, nicht deutbare Gefühlsregung, bevor sein Blick nichtssagend geworden war und Marcus sich unvermittelt von ihr zurückgezogen hatte.

Jene flüchtige Gefühlsregung noch einmal sehen und spüren zu können – danach sehnte sich Julianna, die sich mit jeder Faser ihres Körpers der Anwesenheit dieses Mannes bewusst war.

5. KAPITEL

Sie zögerte. „Soll ich morgen zur gleichen Zeit wiederkommen?“

Erhobenen Hauptes sah Marcus sie an. „So lautet unsere Vereinbarung, nicht wahr?“

„Ist morgen der Geruchssinn an der Reihe?“ Bei dem Gedanken, wie genau der Unterricht aussehen könnte, zog Julianna leicht die Nase kraus.

Marcus gab seine angespannte Haltung auf und grinste, während er sich auf dem Stuhl zurücklehnte und Julianna dabei beobachtete, wie sie sich das Haar hochsteckte. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir nicht von derselben Sache reden.“

„Was gibt es beim Thema ‚Geruch‘ schon zu deuteln?“, erwiderte sie verwundert und stellte sich aufrecht hin.

„Das könnte man meinen.“ Marcus nickte langsam und beobachtete sie unter halb geschlossenen Lidern. „Hast du schon einmal deinen eigenen Duft gerochen, Julianna?“

Vor Empörung weiteten sich ihre Augen. „Wie bitte? Ich bade mindestens einmal, manchmal auch zweimal pro Tag.“

„Das freut mich zu hören“, antwortete er gedehnt. Schließich wusste er genau, wie viele Leute des ton versuchten, ihre mangelhafte Körperpflege mit starken Parfüms wettzumachen – mit Betonung auf versuchten, denn gänzlich gelingen wollte es ihnen nie. „Von dieser Art von Geruch habe ich nicht gesprochen, Julianna. Jeder verfügt über einen eigenen natürlichen Duft, von dem Liebhaber wie magisch angezogen werden.“

So wie Marcus nach Zitrone und Sandelholz mit einem Hauch Moschus roch. Das hatte sie in seinen Bann gezogen, als sie vor wenigen Minuten so nahe vor ihm stand.

„Dein Duft ist der von Rosen und der einer begehrenswerten Frau …“ Er unterbrach sich, als Julianna rot anlief. „Du hast doch sicherlich von der Flüssigkeit, die ein Mann beim Liebesspiel ausstößt, gehört? Natürlich hast du das“, beantwortete sich Marcus die Frage in mürrischem Ton selbst. „Aber hast du noch nie den Geruch deiner eigenen, einzigartigen Erregtheit wahrgenommen? Dich nie selbst berührt und den Geruch deiner Feuchtigkeit eingeatmet?“

Julianna war jetzt zu schockiert, um überhaupt Luft holen zu können. „Ganz bestimmt nicht!“ Doch ich habe es getan, gestand sich Julianna verwundert ein. Nachdem sie gestern nach ihrem Treffen mit Marcus nach Hause gekommen war, hatte sie jene Feuchtigkeit bemerkt. In Johns Gegenwart nie – weder im Bett noch sonst irgendwann.

Lag es daran, dass sie erregt war? Dass allein Marcus’ Anblick, sein Geruch nach Zitrone und Sandelholz und ihre intimen Gespräche ein Verlangen in ihr schürten, wie sie es noch nie gespürt hatte? Wenn das der Fall war, was würde dann erst passieren, wenn er sie derart intim berühren würde?

„Hören“, murmelte Marcus genussvoll.

Oh Gott! Hatte sie bei dem Gedanken an Marcus’ Berührung soeben tatsächlich laut aufgestöhnt? Das habe ich, erkannte Julianna voller Unruhe. Ein tiefes, heiseres und sehnsuchtsvolles Stöhnen war ihr entwichen.

Aufgewühlt schüttelte sie den Kopf. „Du hast recht. Es ist schon spät geworden, und ich sollte gehen.“

Auch wenn Marcus es sich anders wünschte, wusste er doch, dass er sie zumindest jetzt gehen lassen müsste.

Doch seine Stimmung wurde düster, als er sich in Erinnerung rief, wie angewidert Julianna bei seiner Bemerkung über das Resultat männlicher Erregung ausgesehen hatte. Noch schlimmer waren ihr gequälter Ausdruck und ihre Überraschung bei seinen Ausführungen über die körperliche Reaktion einer Frau beim Liebesakt gewesen. Offenbar hatte sie bei John Armitage nie solch einen Zustand erlebt.

Verdammt, hatte der Schurke denn überhaupt keine Rücksicht auf Julianna genommen? War es möglich, dass er ihr in der Hochzeitsnacht die Unschuld raubte, ohne sie zu streicheln oder ihr das Gefühl zu geben, sicher bei ihm zu sein? Hatte er sie geliebt, ohne sie auf irgendeine Art und Weise darauf vorzubereiten? Hatte Armitage – zur Hölle mit ihm! – sich einfach auf sie gelegt und nur an das eigene Vergnügen gedacht, um sie anschließend ausgelaugt und ernüchtert zurückzulassen? War es möglich, dass er jedes Mal so rücksichtslos und brutal vorgegangen war?

Dass diese Überlegungen durchaus im Bereich des Möglichen lagen, erfüllte Marcus mit einer ungezügelten Wut. In seinen Augen blitzte es vor dunklen Rachegelüsten, obwohl dieser Mann schon gar nicht mehr lebte.

„Ja, du solltest jetzt gehen, Julianna“, sagte Marcus und läutete nach dem Butler. Sie muss schnellstens das Zimmer verlassen, denn sie soll nicht miterleben, wie ich auf die Wand meines Arbeitszimmers einschlage, dachte er.

Auf keinen Fall wollte er Julianna durch den Aufruhr an Gefühlen in seinem Inneren Angst einjagen. Um Kontrolle über diese Gefühle zu erlangen, würde er Zeit und Abstand brauchen. Ein oder zwei Stunden im Boxring wären mindestens nötig, um seine blanke Wut gegen den verstorbenen Armitage zu zügeln. Christian würde bestimmt gerne mit ihm in den Ring treten. Dann hätte Marcus auch Gelegenheit, seinen Freund zu fragen, inwieweit er über die Ehe seiner Schwester im Bilde gewesen war und warum er nichts unternommen hatte, um ihr Leiden zu lindern.

Julianna zögerte. „Also ist morgen der Geruchssinn und übermorgen der Tastsinn an der Reihe?“

„Du scheinst es etwas eilig zu haben, unseren Unterricht zu Ende zu führen“, sagte er spöttisch.

„Ich bin einfach nur … neugierig.“

„In dem Fall, ja. Übermorgen werden wir auf dem Sehen und Riechen, die wir morgen genauer betrachten werden, aufbauen. Geschmack, aber auch Hören … Ich glaube nicht, dass wir die beiden getrennt voneinander behandeln können, Julianna“, fuhr Marcus fort. „Ich bezweifle stark, dass ich mit der Zunge über deine Haut fahren kann, ohne dabei Geräusche der Anerkennung von mir zu geben.“

Julianna weitete die Augen. Bei dem Gedanken daran, wie Marcus mit der Zunge über ihre Haut fahren würde, pochte der Puls ihr in den Ohren und ihre Hände wurden feucht. Ob sie dasselbe bei ihm tun würde?

Unvermittelt wurde ihr Blick wieder von der entblößten Haut an seinem Hals und dem verführerischen schwarzen Haaransatz angezogen. Wie würde es sich anfühlen, seine harte, nackte Brust anzufassen, mit den Fingerspitzen die dunklen Konturen seines Körpers nachzuzeichnen – und zwar nicht nur die seiner herrlichen Brust, sondern auch weiter unten?

„Genau“, murmelte Marcus zufrieden, als Julianna erneut atemlos aufstöhnte, worauf seine Männlichkeit unmittelbar reagierte. Solch einen Kontrollverlust hatte er bisher noch nicht erlebt. „Stell dich darauf ein, dass wir mit jedem neuen Sinn immer intimer miteinander sein werden, Julianna“, warnte er mit tiefer Stimme – immer noch vollkommen im Unklaren darüber, ob er die Kontrolle bewahren könnte, wenn er sie erst mit der Zunge und den Lippen erkunden würde.

Würde er es aushalten, wenn sie dasselbe bei ihm täte? Wäre es nicht unerträglich, sich zurückhalten zu müssen und sie in jenem Moment nicht voll und ganz besitzen zu können? Marcus hatte sich jedoch geschworen, genau das nicht zu tun. Es ging einfach nicht, solange Julianna es nicht offenkundig selbst wollte.

Sie hatte zwar gefragt – verlangt, dass er sie in den Sinnesfreuden unterrichte, jedoch nicht näher beschrieben, ob sie jenes Liebesspiel tatsächlich zu Ende führen wollte.

„Gibt es Regeln für morgen, Marcus?“

Seine Augen glänzten vor Verlangen, als er wieder in Juliannas Gesicht schaute. Sie stand am anderen Ende des Raumes und sah so verletzlich und zugleich so stolz und mutig aus. In diesem Moment wäre er am liebsten zu ihr gegangen und hätte sie gebeten, zu bleiben.

Doch er wusste, dass er sich in Geduld üben musste: Er würde Julianna jeden Tag etwas mehr umschmeicheln, damit sie ihn vielleicht eines Tages lieben könnte. Daher blieb er hinter dem Schreibtisch sitzen und sah sie absichtlich mit ausdrucksloser Miene an. „Zieh morgen keine Pantalettes an, Julianna“, wies er sie kühl an. „Es wird mir Vergnügen bereiten, wenn deine Oberschenkel entblößt sind“, fügte er hinzu, als sie leicht blass wurde, wodurch jene dunkelgrauen Augen noch größer als sonst erschienen.

Sie schluckte merklich, bevor sie antwortete: „Ich … Ich dachte, Berühren käme erst übermorgen dran.“

„Ich habe die Absicht, dass du dich selbst berührst“, erwiderte er mit monotoner Stimme. „Wie sollst du sonst den einmaligen Duft deiner Erregtheit wahrnehmen, wenn du nicht deine Finger darin eintauchst?“

„Ist … ist das wirklich nötig?“

„Es sei denn, du möchtest, dass ich dich berühre“, erwiderte Marcus in verwegenem Ton.

Der Vorschlag allein versetzte Julianna in höchste Alarmbereitschaft. Einmal mehr musste sie sich eingestehen, dass sie in ein Wespennest gestochen hatte, als sie Marcus dazu gezwungen hatte, sie zu unterrichten. Seitdem waren alle möglichen Emotionen und beschämenden Gefühle in ihr emporgestiegen.

Wollte er sie vielleicht absichtlich dafür bestrafen, dass sie ihn erpresst hatte?

„Wirst du ebenfalls auf Unterwäsche verzichten und dich selbst berühren, Marcus?“, fragte sie herausfordernd.

Ein Nerv pulsierte in seinem angespannten Kiefer. „Ja.“

So viel zu ihrem kindischen Versuch, diesen Mann mit den eigenen Mitteln zu schlagen! Sie hätte es besser wissen müssen. „Also gut.“ Sie nickte und machte einen Knicks, als Marcus’ Butler die Tür neben ihr öffnete. „Bis morgen, Euer Gnaden“, sagte sie gedehnt, bevor sie dem Butler in den großen Flur des Worthing House folgte.

Marcus wartete gerade so lange, bis Wilkins die Tür hinter sich und Julianna geschlossen hatte, bevor er aufstand und mit der Faust durch den japanischen Wandschirm neben dem Fenster schlug.

6. KAPITEL

Was ist mit deiner Hand passiert, Marcus?“

Genau das hatte Christian ihn bei ihrem gestrigen Treffen in Jackson’s Boxing Salon auch gefragt. Den Ratschlag seines Freundes, mit der verbundenen Hand lieber keinen Sport zu treiben, schlug Marcus in den Wind. In seinem Inneren tobte immer noch ein Sturm der Entrüstung. Daher bereitete ihm die verletzte Hand überhaupt keine Schmerzen, während er in den vereinbarten drei Runden gegen Christian kämpfte und siegte.

Den Verband hatte Marcus vor dem morgendlichen Treffen mit Julianna abgenommen, aber an seinen Knöcheln waren immer noch blaue Flecken zu sehen. „Ich versichere dir, dass mein Gegner weitaus übler aussieht als ich“, entgegnete er unbekümmert. Den kaputten Wandschirm hatte er durch ein prachtvolles rotes Samtsofa aus seinem privaten Salon ersetzen lassen.

„Ich habe gestern mit meinem Bruder zu Abend gegessen“, antwortete Julianna vorwurfsvoll. „Da war das Veilchen an seinem Auge schon dunkellila.“

„Ach ja?“ Auf Marcus’ diskrete Nachfragen hinsichtlich Juliannas Ehe war Christian nicht eingegangen, aber vielleicht hatte er nur aus Rücksicht auf Marcus geschwiegen? Ob Christian anschließend zu seiner Schwester geeilt war, um ihr dieselben Fragen zu stellen?

„Wir essen jeden Dienstag zusammen zu Abend“, beantwortete Julianna die unausgesprochene Frage, während sie durch das Arbeitszimmer lief. Ihr Kleid war heute von einem Smaragdgrün, das ihre cremefarbene Haut und ihre rotgoldenen Locken betonte.

„Hast du meine Anweisungen befolgt und deine Pantalettes zu Hause gelassen?“, fragte er barsch.

Wieder spürte Marcus jenen süßen Schmerz seiner harten Erregtheit, die ihn in den letzten beiden Tagen und Nächten fast ohne Unterlass zu begleiten schien. Jetzt stand sie groß und offenkundig unter seinen Pantalons hervor – umso mehr, da er nichts darunter trug. Wie aufreizend allein die Vorstellung war, Julianna könnte unter ihrem Kleid fast nackt sein.

„Ja. Und du?“

„Ebenso.“

Bei dem Gedanken daran, was sich unter dem edlen Stoff seiner Beinkleider verbarg, wurde Juliannas Körper von jener mittlerweile vertrauten Hitze erfasst. Marcus sah sie so eindringlich an, als wolle er durch ihr Gewand hindurch ihren nackten Körper betrachten.

Ihrer Nacktheit war sich Julianna bewusst, seitdem sie sich zuvor angekleidet hatte. Da sie keine Unterwäsche trug, fühlte sich die Stelle zwischen ihren Beinen überaus empfindlich an. Auch spürte sie unaufhörlich, wie ihr seidenes Unterkleid über die nackte Haut strich.

Diese Empfindungen waren noch stärker geworden, als sie in das Arbeitszimmer eingetreten war und Marcus erblickt hatte. Heute trug er auch keine Weste mehr, sodass sie seine breiten, muskulösen Schultern in dem locker sitzenden, weißen Hemd betrachten konnte. Am Hals war das Hemd weit aufgeknöpft, sodass noch mehr seiner olivfarbenen Haut als gestern zu sehen war.

Würde er morgen, wenn sie sich dem Geschmack und dem Hören widmen wollten, vielleicht ganz aufs Hemd verzichten? Sicherlich würden sie dieses Vorhaben nicht umsetzen können, wenn sie beide komplett angezogen blieben.

Aber wieder einmal war sie zu voreilig. Schließlich standen ihr noch die Unannehmlichkeiten der heutigen Stunde bevor, denn unangenehm würde es sicherlich werden, wenn Marcus es ernst gemeint hatte, dass sie sich berühren sollte. Dabei hatte sie das schon gestern Abend nach dem Baden getan.

Vor der Ehe mit John Armitage hatte Julianna sich häufig im Spiegel angesehen und sich – jung, wie sie war – über ihr Spiegelbild gefreut. Sie war von der Hoffnung erfüllt gewesen, dass sich ihr Zukünftiger ebenfalls daran erfreuen würde. Im Laufe der Jahre hatte sie sich jedoch immer weniger nackt im Spiegel betrachtet.

Bis gestern Abend.

Da ihr Körper und ihr Aussehen solch eine erregende Wirkung auf Marcus ausübten, war Julianna neugierig geworden. Sie wollte selbst sehen, was er an ihr fand.

Ihr Spiegelbild offenbarte, dass sie viel schlanker war als mit achtzehn Jahren. Allerdings brachte ihre schlanke Figur ihre vollen Brüste mit den rosigen Knospen zur Geltung. Ihre Taille war schmal und zwischen den kurvenreichen Schenkeln waren rotgoldene Locken zu sehen.

Julianna fuhr mit den Händen über jene Locken und ihre Taille, bevor sie ihre empfindlichen Brüste umfasste. Mit geweiteten Augen bemerkte sie, wie empfindsam die rosafarbenen Knospen waren. Beinahe gaben ihre Beine unter ihr nach, als sie neugierig darüberstrich. Ein Kribbeln erfasste ihren ganzen Körper und verdichtete sich schließlich zwischen ihren Beinen. Verwundert hatte Julianna sich dort mit den Fingerspitzen berührt, war angesichts ihrer Empfindsamkeit erzittert und hatte den eigenen moschusartigen Duft eingeatmet.

Bei dem Gedanken, das heute vor Marcus tun zu müssen, fühlten sich ihre Beine wieder ganz schwach an.

„Fangen wir an?“, fragte sie unverzüglich. „Ich habe heute Vormittag einen Termin beim Schneider. Es ist die letzte Anprobe für die neuen Kleider, die ich nächsten Monat nach meiner Rückkehr in die Gesellschaft tragen möchte.“

Marcus runzelte die Stirn, als er sich vorstellte, wie schon bald andere Herren Juliannas atemberaubende Schönheit bewundern würden. Zweifellos würde sie eine herrliche Auswahl an farbenfrohen Kleidern zur Schau tragen. Jene Männer würden alles daransetzen, Julianna für sich zu gewinnen.

Abrupt stand er auf. „Mach dein Haar auf und nimm auf dem Sofa Platz.“

Überrascht drehte sich Julianna um und erblickte das rote Samtsofa unter dem Fenster. „Stand dort gestern nicht ein schöner japanischer Wandschirm?“, fragte sie unsicher, während sie sich die Nadeln aus dem Haar zog. Es fiel ihr in seidigen Wellen über die Schultern.

„Der ist kaputt“, erwiderte Marcus in nachlässigem Ton.

„Wie schade.“

„Ja“, bestätigte er und nahm ihre Hand in seine verletzte, um Julianna zum Sofa zu führen. Nachdem sie sich – den Rücken kerzengerade – in eine Ecke gesetzt hatte, nahm er neben ihr Platz – so nahe, dass sich beinahe ihre Oberschenkel berührt hätten.

Beinahe.

Denn so unangenehm es für Marcus auch war, sich ständig in jenem Zustand der Erregung zu befinden, genoss er diese privaten Sitzungen mit Julianna zu sehr, als dass er ein schnelles Ende herbeigesehnt hätte. Er wollte die kurze Zeit, die sie ihm eingeräumt hatte, zu seinem Vorteil nutzen: Einerseits würde er sie in den Sinnesfreuden unterrichten, andererseits würde er versuchen, Julianna für sich zu gewinnen.

Er senkte den Kopf zu ihrem Hals und atmete tief ein. „Du riechst heute wieder nach Rosen“, murmelte er heiser. „Und nach etwas anderem“, fügte er neugierig hinzu.

Julianna zitterte leicht und spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen. Wahrscheinlich war es ihre Erregung, die er wahrnahm. Sie fand nicht nur Marcus’ Nähe anregend, sondern auch die Vorstellung, sich vor seinen Augen zu berühren.

„Julianna?“, fragte Marcus mit tiefer Stimme, als er ein flüchtiges Leuchten in ihren dunklen blaugrauen Augen sah.

Sie vermied es, ihn anzusehen. „Ich … Könnten wir uns bitte beeilen? Wie ich bereits sagte, habe ich noch einen anderen Termin. Marcus?“, sagte sie in schneidendem Ton, bevor er ihr eine Hand unter das Kinn legte und ihr erhitztes Gesicht zu seinem drehte.

„Etwas ist passiert.“ Marcus schaute sie musternd an, bemerkte ein Glänzen in ihren Augen, die Farbe auf ihren Wangen, die Röte ihrer vollen Lippen. „Sag es mir, Julianna.“ Sanft umfasste er ihre Oberarme, als sie sich von ihm abwenden wollte. „Sag es mir, verdammt noch mal!“ Er schüttelte sie leicht.

„Ich … Ich kann nicht!“, erwiderte sie seufzend, den Kopf geneigt. „Ich … Es ist mir zu unangenehm. Zu beschämend! Das hätte ich nicht … Ich kann es nicht sagen!“, sagte sie atemlos.

Was zur Hölle?

Marcus hielt inne und betrachtete mehrere Sekunden jene glänzenden Augen, ihre rosigen Wangen und die geschwollenen Lippen. Über dem Ausschnitt hoben und senkten sich ihre Brüste, so als wollten sie der Enge des Kleides entfliehen. „Ah“, murmelte er schließlich zufrieden. „Hat sich etwa ein Teil unserer heutigen Stunde bereits erübrigt?“

Verwirrt hob sie den Kopf. „Was?“

Marcus grinste leicht. „Sag mir, Julianna. Hast du dich gestern Abend zwischen den Beinen berührt und deinen Duft eingeatmet, so wie du es heute vor mir tun solltest?“

„Nein!“ Sie wurde blass und stemmte sich gegen seine Brust, um sich seinem Griff zu entziehen. Ihr Atem ging schwer, als ihr der Versuch, sich von ihm zu lösen, misslang. „Ich … ja! Ja, ich … ich habe mich berührt!“, gab sie zu, als sie ihn mit loderndem, herausforderndem Blick ansah. „Du bist daran schuld!“, fuhr sie fort. „Dein ganzes Gerede über Erregtheit und … Gestern Abend habe ich mich – meinen nackten Körper – nach dem Baden im Spiegel angesehen und dann … habe ich meine Brüste berührt und bin zwischen den Beinen feucht geworden, so wie du es gesagt hast … Und … Und …“

„Und?“, sagte Marcus aufmunternd.

„Und es beschämt mich so sehr!“ Sie sackte in sich zusammen und schmiss sich an seine Brust, bevor sie anfing, bitterlich zu weinen.

Marcus nahm sie in die Arme, wo sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Während er ihr über den Rücken strich, genoss er das Gefühl, wie Julianna sich an ihn klammerte. Zudem freute er sich ungemein darüber, der Grund für ihre Erregung gewesen zu sein. „Hat es dir gefallen, Liebes?“

„Zu sehr!“ Sie erzitterte bei dem Eingeständnis.

„Körperliches Vergnügen kann man gar nicht zu sehr mögen, Julianna.“ In heiserem Ton lachte Marcus in sich hinein.

„Nicht?“ Sie klang unsicher.

„Nein“, versicherte er ihr sanft. „Hast du deinen Duft eingeatmet?“

„Ja!“

„Hat dich das noch mehr erregt? So sehr, dass du dich dort gerieben hast?“

„Ge…gerieben?“ Ihr Mund war an seine Brust gepresst, als sie sprach, doch er konnte ihre Entrüstung dennoch hören.

„Ist deine Lust noch größer geworden, als du dich berührt hast? Bist du zum Höhepunkt gekommen?“

„Ja. Ja. Ich weiß nicht …“ Sie drückte das glühende Gesicht noch mehr an seine Brust. „Nein, ich glaube nicht.“

Marcus lachte wieder in sich hinein. „Du würdest dich daran erinnern, wenn es passiert wäre. Bist du jetzt feucht, Julianna? Sei ehrlich“, warnte er sie, als er ihr Zögern bemerkte.

Julianna stöhnte leise auf, als ihr Verlangen immer größer wurde, während Marcus so mit ihr redete. Ihm so nahe zu sein, seine Wärme und seinen einzigartigen Geruch nach Zitrone und Sandelholz wahrzunehmen …

„Bist du gar nicht schockiert?“ Stirnrunzelnd sah sie zu ihm auf und stellte fest, dass er sie gar nicht verächtlich, sondern eher neugierig ansah. „Oder zumindest abgestoßen davon, dass ich mich so … so schamlos verhalten habe?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich bin vor allem stolz darauf, dass du in so kurzer Zeit deine früheren Hemmungen fallen gelassen hast. Von deinem Verhalten bin ich weder schockiert noch abgestoßen, Julianna“, versicherte er ihr. „Stattdessen wäre ich gerne dabei gewesen, um dir zuzuschauen.“

Sie blinzelte. „Tatsächlich?“

Er nickte. „Das hätte mich erregt.“

„Zuzusehen …“, erwiderte sie atemlos – verwundert.

„Ja. Dass du deinen Körper nach und nach besser kennenlernst, ist ganz natürlich, Liebes“, erklärte er, als sie ihn immer noch stirnrunzelnd und verunsichert ansah. „Es ist auch notwendig, damit du deinem Geliebten zeigen kannst, was dir gefällt.“

Es war alles zu viel für Julianna – nach allem, was sie Marcus heute offenbart hatte.

„Du meintest, dass ein Teil unserer heutigen Stunde sich erübrigt hätte“, erinnerte sie ihn.

Er nickte. „Aber du kannst immer noch etwas lernen … über den Geruch männlicher Lust.“

Julianna senkte unvermittelt den Blick. Marcus’ Erregung war offensichtlich zu sehen. „Jetzt?“, fragte sie atemlos, neugierig – gewillt.

Marcus ließ sie los, um sich auf dem Sofa zurückzulehnen, sodass sie besser an die seitlichen Knöpfe seiner Pantalons herankommen konnte. „Jetzt sofort“, erwiderte er mit rauer Stimme.

7. KAPITEL

Marcus’ Männlichkeit wurde noch härter, und sein Herz begann, wie wild in seiner Brust zu hämmern, als Julianna zuerst zögerlich, dann immer entschlossener die Knöpfe seiner Beinkleider öffnete.

Wieder machte er sich Sorgen, dass er die Kontrolle über sich verlieren würde, nachdem er Julianna so lange gewollt und sich nach ihr gesehnt hatte. Der verzweifelte Wunsch, sie voll und ganz zu lieben, ergriff immer mehr von ihm Besitz.

Doch das Letzte, was Marcus tun wollte, war Julianna mit seiner ungestümen Leidenschaft Angst einzujagen oder sie zu verletzen – so wie es jener Schurke Armitage offensichtlich getan hatte.

„Marcus?“

Verdammt – an dem Ausdruck in Juliannas Gesicht erkannte er, dass sie sich nicht sicher war, ob sie die Lasche seiner Pantalons herunterziehen und ihn damit vollkommen entblößen sollte. Wahrscheinlich zweifelte sie bereits daran, ob sie klug gehandelt hatte. Wenn er nicht schnell etwas tat oder sagte, um ihr die Unsicherheit zu nehmen, würde sie vielleicht davonrennen. Nur dieses Mal wahrscheinlich für immer.

Ihre folgenden Worte bestätigten seine Vermutung. „Wenn du jetzt doch von unserer Vereinbarung zurücktreten möchtest … Ich glaube, ich habe genug gelernt, um …“

„Ich verfolge nicht die Absicht, von unserer Vereinbarung zurückzutreten“, erwiderte er schroff. Als er sah, wie sie zusammenzuckte, bereute er sofort seinen barschen Ton. „Wir haben ein Arrangement getroffen, Julianna“, erinnerte er sie. „Ich werde mich daran halten. Ich zögere nur, weil … Ich weiß, dass du verheiratet warst, Julianna, aber das, was du mir von deiner Ehe erzählt hast … Hast du überhaupt schon einmal einen Mann nackt gesehen?“

„John bestimmt nicht.“ Bestimmt hob sie das Kinn und war sich des ganzen Ausmaßes ihres Eingeständnisses bewusst: Über ihre lieblose Ehe war Marcus nun voll und ganz im Bilde. „Aber ich habe Christian oft in Unterhose gesehen, als wir als Kinder schwimmen waren …“

„Ich habe von einem Mann gesprochen, Julianna. Dabei habe ich mich auch nicht auf den Oberkörper bezogen“, fügte Marcus trocken hinzu.

Ihre Wangen liefen rot an. „Ich … Dann nicht. Nein, ich hab noch nie einen Mann nackt gesehen.“

Marcus holte tief Luft. „Auch nicht erregt?“

„Nein.“ Aus ihren großen grauen Augen sprach nichts als Erwartung.

„Aber würdest du gerne?“

„Ich …“ Sie benetzte die Lippen mit ihrer rosaroten Zungenspitze.

Wie gerne hätte Marcus jene Zunge auf seiner Haut gespürt. Allein bei der Vorstellung fing seine Männlichkeit an, heftig zu pulsieren.

„Ja“, sagte sie sanft. „Ich glaube, dich würde ich gerne erregt sehen, Marcus …“

Erleichtert atmete er aus. „Dann tu es, Julianna“, ermunterte er sie. „Zieh die Lasche an meinen Pantalons herunter und schau es dir an“, forderte er sie in schroffem Ton auf.

Julianna fiel es schwer, zu atmen, als sie seine Anweisung langsam ausführte. Sie weitete die Augen, als sie seine große Männlichkeit sah, die aus dunklen Locken emporragte.

Julianna war es unmöglich, den Blick von der Schönheit und Kraft von Marcus’ Erregung zu wenden. „Ich …“ Langsam strich sie ihm mit der Hand über den Oberschenkel. „Soll ich …?“, hauchte sie sehnsuchtsvoll.

„Tu das“, ermutigte er sie mit tiefer Stimme, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt.

Auch wenn sie sich gestern auf etwas anderes geeinigt hatten, war Julianna nur allzu gewillt, seine pulsierende Erregung zu berühren. Es überraschte sie, wie samten sich die Haut anfühlte. Nur nebenbei bemerkte sie, wie Marcus scharf die Luft einsog, als sie seine steife Männlichkeit mit beiden Händen umschloss. Bei der Berührung kam es ihr vor, als würde seine Erregung mit jeder Sekunde größer.

Julianna war zu aufgeregt, als dass ihr dieser überaus intime Moment unangenehm gewesen wäre. Fasziniert hielt sie sich die feuchte Hand unter die Nase und atmete tief ein – der Duft eine angenehme und erregende Mischung aus etwas Erdigem und einer leichten Süße. Hatte Marcus das gemeint, als er vom ‚Geruch männlicher Lust‘ gesprochen hatte?

„Das erleichtert das Eindringen – wie deine eigene Feuchtigkeit auch“, erklärte Marcus.

Dann muss es nicht immer so schmerzhaft sein wie mit John, erkannte Julianna unvermittelt. Denn ihr Gatte hatte sich nie die Zeit genommen, sie vorzubereiten. Eine kühle und schmerzhafte Einführung in das Eheleben.

Abgesehen davon war Marcus viel besser ausgestattet als John, weshalb sie wohl beide den höchsten Grad der Erregung erreichen müssten, damit Marcus ihr nicht dieselben Schmerzen bereiten würde.

Aber er hatte gar nicht den Wunsch geäußert, in sie einzudringen. Indem er ihr diese Dinge zeigte –, sie unterrichtete – erfüllte er lediglich seinen Teil der Abmachung, zu der sie ihn durch Erpressung gezwungen hatte – nicht mehr und nicht weniger. Würde nicht jeder Mann so reagieren, wenn eine junge Frau ihn auf solch intime Art und Weise berührte?

Abrupt ließ Julianna von ihm ab.

„Er will mehr“, sagte Marcus reumütig, während er widerwillig seine Beinkleider zuknöpfte. Offensichtlich war für Julianna diese spezielle ‚Unterrichtsstunde‘ vorbei. Er würde sich später, sobald Julianna fort wäre, selbst mit dem Ergebnis dieses Zusammentreffens befassen müssen.

„Er?“, fragte Julianna neugierig.

Marcus nickte. „Die meisten Männer sprechen von ihrem Geschlechtsteil wie von einem selbstständigen Wesen – wahrscheinlich weil es einen eigenen Willen hat und unabhängig vom Verstand agiert.“

Also war es nicht Marcus selbst, sondern nur seine Männlichkeit, die auf meine Berührung reagiert hat, wurde Julianna schweren Herzens bewusst. Wahrscheinlich würde seine Erregtheit ihn dazu verleiten, in sie einzudringen und sich Befriedigung zu verschaffen, aber mit Sicherheit würde er es anschließend bereuen. All das tat Marcus nur, weil sie ihn dazu gezwungen hatte. Sie war ihm gleichgültig, und er war nicht ernsthaft daran interessiert, mit ihr das Bett zu teilen. Wahrscheinlich hätte er sich am liebsten nicht weiter um sie und ihre lächerliche Aufforderung, sie in der Kunst des Liebens zu unterrichten, gekümmert.

Julianna hingegen hatte in den letzten Tagen erkannt, wie sehr sie Marcus begehrte.

Doch sie begehrte ihn nicht nur, sie liebte ihn auch.

Wahrscheinlich schon seit dem Abend ihres achtzehnten Geburtstags, als er bei Almack’s mit ihr Walzer getanzt und mit ihr kokettiert hatte. Julianna war der törichten Hoffnung verfallen, dass jener Abend auch Marcus etwas bedeutet haben könnte – dass er sich vielleicht in sie verliebt hatte.

Ihre Hoffnungen führten jedoch lediglich zu einem gebrochenen Herzen und verletztem Stolz, als sie erfuhr, dass Marcus in die Schlacht gegen Napoleon zurückgekehrt war, ohne vorher noch einmal mit ihr zu sprechen. Nur aus verletztem Stolz nahm sie damals den Heiratsantrag von Lord John Armitage an. Zumindest ist das ein Mann, der mich will, hatte sie gedacht. Da ihr Bruder aufgrund einer Verletzung für kurze Zeit Heimaturlaub bekommen hatte, war es ihr wie der ideale Zeitpunkt für eine Hochzeit erschienen.

Erst in den letzten Tagen mit Marcus hatte Julianna erkannt, dass sie nur deshalb so schnell geheiratet hatte, damit Marcus nach seiner Rückkehr nicht glaubte, dass sie die ganze Zeit über unter seiner unerwiderten Liebe gelitten hätte.

Damals hoffte sie, durch eine Heirat mit John über ihre Gefühle für Marcus hinwegzukommen. Stattdessen vergrub sie jene Liebe nur tief in ihrem Herzen. Für John konnte sie sich nicht erwärmen. Wie auch, wenn es Marcus war, dem ihr Herz gehörte?

Ja! Sie liebte ihn noch immer.

Wie närrisch sie gewesen war, dass sie es nicht schon früher erkannt hatte!

Denn Marcus konnte sie jetzt doch nur noch verachten, nachdem sie ihn dazu gezwungen hatte, auf so anstößige Art und Weise mit ihr intim zu werden, um sich auf eine Zukunft mit anderen Männern vorzubereiten.

8. KAPITEL

Julianna?“ Angesichts ihres Schweigens und dem abwesenden Ausdruck in ihren grauen Augen fühlte sich Marcus zunehmend unwohl.

Es wurde auch nicht besser, als sie plötzlich aufstand und den Raum durchquerte, um sich neben den Kamin zu stellen. Ihr seidiges Haar fiel wie ein Schleier vor ihr Gesicht, als sie sich von ihm abwendete. „Ich hätte niemals … Das ist falsch. Ich hätte dich nicht dazu zwingen dürfen“, fügte sie entschlossen hinzu, die Schultern angespannt. „Ich entschuldige mich dafür, dass … dass … Du musst wissen, dass ich nie zu Lord Standish gegangen wäre, um ihm von deinem … deinem Abenteuer mit seiner Frau zu erzählen.“

„Das freut mich zu hören“, murmelte er sanft.

Tränen schimmerten in ihren schönen Augen, als sie sich erhobenen Hauptes zu ihm umdrehte. Ihre Wangen waren blass. „Es tut mir aufrichtig leid, Marcus. Ich bitte dich um Verzeihung, dass ich dich dazu gezwungen habe …“ Sie schüttelte den Kopf. Wie feuerrote Flammen fiel ihr das Haar über die Schultern und die Rundungen ihrer Brüste. „Ich kann nur hoffen, dass mein skandalöses Verhalten in den letzten drei Tagen deine Freundschaft zu meinem Bruder nicht beeinträchtigen wird.“

„Nicht im Geringsten“, versicherte ihr Marcus schroff. Er wusste genau, was sie als Nächstes sagen würde.

„Aber deine Hand …“

„Meine Hand wurde verletzt, noch bevor ich gestern mit Christian in den Boxring gegangen bin.“

Überrascht sah sie ihn an. „Tatsächlich?“

„Ja.“ Marcus stand auf, da er erkannt hatte, dass Julianna kurz davor war, ihre Vereinbarung aufzulösen, und dass es an der Zeit war, die Wahrheit zu sagen. „Ich habe den japanischen Wandschirm mit der Faust durchschlagen, nachdem du gestern gegangen warst. Das ist der Grund, warum er jetzt kaputt ist.“

Sie riss die Augen weit auf. „Aus Versehen?“

„Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Nach unserer Unterhaltung gestern konnte ich den Gedanken nicht ertragen …“ Er unterbrach sich, um seine folgenden Worte mit Bedacht zu wählen. „Ich war verärgert – geradezu blind vor Wut – bei der Vorstellung, wie du all diese Jahre unter Armitage gelitten haben musst.“

„Es war nicht allein Johns Schuld …“

„Doch, das war es, verdammt!“, sagte er aufgebracht.

„Nein“, sagte sie in ruhigem, überzeugtem Ton. „Ich habe ihn genauso wenig geliebt wie er mich. Ich … Wenn ich vielleicht …“

„John Armitage hat die Gesellschaft von Dirnen der seiner Ehefrau vorgezogen – und je lasterhafter ihre Ansichten, desto besser!“, platzte es aus Marcus heraus. Er würde nicht zulassen, dass Julianna die Schuld für ihre unglückliche Ehe auf sich nahm. „Seine Vorlieben waren … ungewöhnlich.“

Sie zog die Brauen hoch. „Inwiefern?“

„Ich möchte lieber nicht …“

„Inwiefern, Marcus?“, fragte Julianna entschlossen.

„Insofern, als dass er … sein Bett gerne mit mehr als einer Person geteilt hat.“ Missmutig runzelte er die Stirn.

Sie wurde noch blasser im Gesicht. „Ich verstehe nicht.“

Marcus nahm einen tiefen, kontrollierten Atemzug. „Mann oder Frau – Armitage war alles recht, solange es nur seinem Vergnügen gedient hat.“ Prüfend sah er sie an. „Er hat dich nie gebeten zu …“

„Nein“, versicherte Julianna hastig. Ihr wurde ganz elend bei der Vorstellung, wie John geradewegs von seinen Liebhabern zu ihr gekommen war. Vielleicht hatte er das sogar gebraucht, um ihr Bett zu jenen seltenen Anlässen überhaupt aufsuchen zu können.

Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht. „Und ich habe geglaubt, dass sein mangelndes Interesse an mir daran läge, dass ich nicht … begehrenswert sei.“

Beinahe hätte Marcus bei dieser irrwitzigen Bemerkung gelacht. Aber nur beinahe, denn an Juliannas gequältem Ausdruck erkannte er, wie sehr sie unter Armitages Gleichgültigkeit gelitten hatte. „Du warst und bleibst eine Dame, Julianna – und zwar eine sehr begehrenswerte. Armitages sexuelle Vorlieben hingegen sind in der Gosse entstanden.“

Sie blinzelte. „W…Woher weißt du das alles?“

„Ich habe vor fast vier Jahren, kurz nach eurer Hochzeit, im Spielklub ein Gespräch von ihm belauscht“, gestand Marcus widerwillig ein. „Er hat sich mit seinen Vorlieben gebrüstet. Ich habe so großen Abscheu davor empfunden, dass ich …“ Unvermittelt brach er den Satz ab und ballte bei der Erinnerung die Hände an seinen Seiten zu Fäusten. Es beschämte ihn, was in jener Nacht noch beinahe vorgefallen wäre.

„Ich … Das ist fast vier Jahre her, sagst du?“ Langsam sickerte die Erkenntnis zu Julianna durch. „Ist es möglich, dass du dieses Gespräch in der Nacht vor der Hochzeit von Emily Proctor und Lord Standish mit angehört hast?“

Marcus blieb reglos. „Möglicherweise …“

„War es dieselbe Nacht?“, fragte Julianna beharrlich.

„Ja!“ Ein Nerv pulsierte in seinem angespannten Kiefer.

Musternd sah sie zu ihm auf. „Marcus?“

Er wandte sich ab, lief durch den Raum und starrte durch das Fenster des Arbeitszimmers ins Nichts. Keinen Moment länger hätte er diesem prüfenden Blick standhalten können. „Du sollst wissen, dass ich … unserem Arrangement in den letzten Tagen nicht deshalb zugestimmt habe, weil du mich erpressen wolltest, Julianna.“

Sie starrte auf Marcus’ verkrampfte, muskulöse Schultern, die sich unter den weichen Falten seines weißen Hemdes abzeichneten. Hatte sie sich gerade verhört? War es pures Wunschdenken, zu glauben, dass sie ihm nicht gleichgültig war?

Wie auch immer dieses Gespräch enden würde – Julianna wusste, dass es Dinge zwischen ihnen gab, die ausgesprochen werden mussten. Wenn nicht jetzt, dann würde sich vielleicht nie mehr die Gelegenheit ergeben.

Ihr Stolz verlangte, dass sie sich nicht öffnete, um nicht dieselbe Ablehnung wie in ihrer Ehe zu erfahren. Zugleich erschien diese Zurückhaltung wie blanker Hohn, wenn sie bedachte, mit wie vielen Schwierigkeiten sie konfrontiert gewesen war, als sie sich das letzte Mal von ihrem Stolz hatte lenken lassen. Die Wahrheit musste jetzt zwischen ihnen ausgesprochen werden, selbst wenn Julianna sich danach gedemütigt fühlen würde. So viel war sie Marcus nach den letzten drei Tagen schuldig!

Sie atmete tief ein, bevor sie leise sagte: „Und ich habe nun erkannt, dass ich dich – ausgerechnet dich – nicht deshalb erpresst habe, weil ich in der Kunst des Liebens unterrichtet werden wollte.“

Langsam drehte sich Marcus um und betrachtete musternd Juliannas ruhigen Gesichtsausdruck. „Warum hast du es dann getan?“

Sie lächelte reumütig. „Es tut mir leid, aber meine wahren Gründe sind mir selbst erst vor wenigen Minuten bewusst geworden.“ Für einen Moment schloss sie die Augen, während sie den Kopf schüttelte. „Erinnerst du dich überhaupt noch an jenen Abend vor all den Jahren, als du mit mir bei Almack’s Walzer getanzt hast?“

Er nickte. „Es war dein achtzehnter Geburtstag. Du sahst … Du sahst wunderschön aus, Julianna. Bei deinem Anblick hat es mir den Atem verschlagen.“

„Ich habe mich an jenem Abend verliebt“, gab sie sanft zu.

Er runzelte die Stirn. „In Armitage? Ich erinnere mich nicht daran, euch dort zusammen gesehen zu haben …“

Du warst derjenige, in den ich mich damals verliebte, Marcus“, korrigierte Julianna ihn leise. Nach allem, was sie heute erfahren hatte, hegte sie nicht die Absicht, den Namen ihres verstorbenen Gatten je wieder auszusprechen. Er gehörte der Vergangenheit an, und sie wollte sich jetzt voll und ganz ihrer Zukunft widmen. Mit oder ohne Marcus.

Sie wusste jetzt, dass sie nie einen anderen so lieben könnte wie Marcus – so wie sie ihn immer geliebt hatte, aber wenn er sie nicht wollte, dann bliebe ihr wenigstens die Gewissheit, dass sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte.

Entschlossen streckte sie die Schultern durch und sah ihn an. „Ich liebte dich damals, ich habe dich seitdem jeden einzigen Tag geliebt und ich liebe dich immer noch. Ich sage das nicht, weil ich erwarten würde, dass du mir dasselbe erwidern würdest“, fügte sie schnell hinzu, als Marcus überrascht aussah. „Sondern weil ich dich in den letzten drei Tagen ungerecht behandelt habe, weil ich Forderungen an dich gestellt habe, die dich sicherlich schockiert und entrüstet haben …“

„Hast du auch nur ein Wort von dem, was ich vorhin gesagt habe, gehört, Julianna?“, fragte Marcus ungeduldig, während er schnell durch den Raum auf sie zuging. Er kam kurz vor ihr zum Stehen und sah auf sie herab. „Ich bin weder schockiert noch entrüstet. Ich habe dich lediglich in dem Glauben gelassen, dass du mich erpresst hättest. In Wahrheit habe ich Emily Proctor überhaupt nicht angerührt.“

Julianna zuckte zusammen. „Sie hat gelogen?“

„Ja.“ Er nickte, als er Juliannas Hände in seine nahm. „Ich konnte nicht … Ich wollte sie nicht. Selbst dann nicht, als mir die Frau verwehrt blieb, die ich wirklich wollte und begehrte, nach der ich mich sehnte und in die ich verliebt war. Du warst es, die mir verwehrt blieb, Julianna“, eröffnete er.

Sie schnappte nach Luft. „Ich?“

„Du“, wiederholte er standhaft. „Ich habe mich an deinem achtzehnten Geburtstag in dich verliebt – wahrscheinlich schon vorher, aber an jenem Abend wurde ich mir über meine wahren Gefühle bewusst. Doch vor lauter Arroganz dachte ich, dass es das Beste sei, bis zum Ende des Kriegs gegen Napoleon zu warten, bevor ich dir meine Liebe gestehen würde. Ich dachte, dass es dir gegenüber ungerecht wäre, anders zu handeln, denn ich hätte dich ebenso gut zur Witwe machen können. In meiner Abwesenheit hast du Armitage geheiratet.“ Beim Gedanken an die tragischen Irrwege des Schicksals lächelte er freudlos.

Julianna fiel es schwer zu atmen, während sie Marcus zuhörte. Er hatte sich am gleichen Abend in sie verliebt, an dem sie sich ihre tiefe Liebe für ihn eingestanden hatte. „Ich dachte, dass du mich nicht wolltest, als du zurück in den Krieg gezogen bist, ohne dich von mir zu verabschieden. Ich glaubte, ich würde nie heiraten, wenn ich Johns Angebot nicht annehmen würde. Aber in der ganzen Zeit, in all den Jahren, warst du es, den ich liebte, Marcus. Du warst es, mit dem ich zusammen sein wollte. Genauso, wie ich jetzt – voll und ganz – bei dir sein will“, fügte sie atemlos hinzu. „Als deine Geliebte …“

„Als meine Frau“, beharrte er.

Julianna sah ihn schockiert an. „Du willst mich heiraten?“

„Mehr als alles auf der Welt! Ich weiß, dass deine erste Ehe unglücklich verlaufen ist und dass du kein zweites Mal heiraten möchtest, aber ich versichere dir, dass es mit mir anders werden wird – vollkommen anders. Ich liebe dich, Julianna.“ Marcus nahm sie in die Arme. „Ich werde dich immer lieben.“

„Ich liebe dich auch“, versicherte sie ihm leidenschaftlich, während sie die Arme um ihn schlang. „Schlaf mit mir, Marcus, bitte. Hier oder in deinem Schlafgemach – wo ist mir egal, solange ich dir nur so nahe sein kann, wie ich es mir seit Langem wünsche. So wie du es mich so genussvoll gelehrt hast“, fügte sie heiser hinzu.

Marcus lehnte sich leicht zurück, um sie mehrere Sekunden lang wortlos anzuschauen. Er lachte glücklich, als er das zärtliche Flackern in ihren grauen Augen sah. „Dann wähle ich die Zurückgezogenheit meines Schlafgemachs.“ Er hob sie in seine Arme und stürmte los, hielt nur kurz vor der Tür an, damit Julianna sie öffnen konnte. „Vergiss nicht, dass ich dich immer lieben werde, Julianna“, sagte er mit rauer Stimme.

„Dann wollen wir es nun einander beweisen.“ Julianna sah Marcus freudestrahlend an, während er sie die Treppe hochtrug. Sie hatte das Gefühl, in den Himmel emporzusteigen.

9. KAPITEL

Sehen“, murmelte Julianna nur wenige Minuten später sehnsuchtsvoll, während sie die muskulösen Konturen von Marcus’ nackter Brust betrachtete.

„Sehen“, wiederholte er mit rauer Stimme. Beide waren nackt und standen sich nahe gegenüber, jedoch ohne sich zu berühren. Hastig hatten sie einander ausgezogen und die Kleidungsstücke rings um sich auf den Boden geworfen.

„Riechen.“ Julianna legte ihre Wange an jene vollkommene Brust und sog Marcus’ einzigartigen Duft nach Zitrone und Sandelholz ein.

„Riechen.“ Marcus legte das Gesicht an ihre Halsbeuge, atmete ihren Duft ein, bevor er langsam – ganz langsam – vor ihr auf die Knie ging. „Riechen“, wiederholte er heiser, als er das Gesicht sanft an die rotgoldenen Locken zwischen ihren Beinen legte.

Julianna stockte der Atem, während sie auf ihn hinunterschaute. „Schmecken?“, murmelte sie neugierig.

Marcus sah zu ihr auf. Immer noch war er darauf bedacht, sie mit seinem inbrünstigen Begehren nicht zu schockieren, ihr keine Angst einzujagen. Doch in dem Moment, als er die Sehnsucht in Juliannas Augen und ihre erröteten Wangen sah, wusste er, dass sie es auch wollte. „Schmecken“, sagte er begierig und schob ihre Schenkel sanft auseinander, während er sie an der Hüfte festhielt, um sie näher an sich heranzuziehen.

Julianna rang nach Luft und umfasste Marcus’ Schultern, als sie die erste Berührung seiner feuchten Zunge an ihrer empfindsamsten Stelle spürte.

Wie er immer wieder mit der Zunge über sie fuhr, mit überraschend weichen Lippen an ihr saugte und sanft mit den Zähnen an ihr nagte – all das bereitete Julianna solches Vergnügen, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte. Er ließ jene sagenhafte Zunge noch tiefer gleiten und schob sie schließlich in Juliannas heiße Feuchtigkeit, während er sie weiter oben sanft mit dem Daumen streichelte.

„Und Hören“, murmelte Marcus zufrieden, als Julianna bei jedem Schlag seiner Zunge aufstöhnte.

„Es ist zu viel, Marcus“, sagte sie keuchend einige Minuten später. Seine Schultern hielt sie fest umklammert, und er spürte, wie ihre empfindlichste Stelle an seinem Daumen pulsierte. Schon bald würde sie den Höhepunkt erreichen.

„Zwischen uns beiden gibt es kein ‚zu viel‘, Julianna. Niemals!“, brachte er zwischen zwei 55Atemzügen hervor, ganz von dem Geschmack, dem Duft ihrer Erregung erfüllt – außerstande, von ihrer empfindlichsten Stelle zu lassen. Er saugte wieder und immer wieder, während sie leise – verzweifelt – stöhnte. Er wusste, dass sie sich ihm ganz öffnen wollte. Ein sengendes Verlangen ergriff von ihm Besitz, als er mit einem Finger in sie eindrang und spürte, wie feucht und heiß sie für ihn war. Er bewegte den Finger im gleichen Rhythmus, in dem er an ihr saugte – sie immer tiefer und härter in seinen heißen Mund einsog.

Julianna hätte sich nie träumen lassen, dass es solche Sinnesfreuden gab. Sie wünschte sich, dass es immer so weitergehen möge, auch wenn sie wusste, dass sie die Kontrolle verloren hatte. Lust durchströmte ihren Körper, während sie ihre Hüften instinktiv bewegte und sich Marcus vollkommen hingab. Bis sich jene Lust in ihr aufbäumte und in immer größer werdenden Wogen durch ihren Körper jagte, sodass sie die Welt um sich herum vergaß. Hinter ihren geschlossenen Lidern sah Julianna eine bunte Mischung aus Farben zerbersten, während sie sich an Marcus’ Schultern – den einzigen Bezugspunkt zur wirklichen Welt – klammerte.

Marcus schlang die Arme um Julianna, als sie in sich zusammensackte und sich vor ihm auf die Knie fallen ließ. Ihr Atem ging stoßweise und sie lehnte sich schwach an Marcus’ Brust. Marcus empfand Genugtuung darüber, dass er derjenige gewesen war, mit dem sie zum ersten Mal die Freuden der sinnlichen Lust erlebt hatte – und dass es noch so viel mehr zu entdecken gab.

Gemeinsam.

Es erschien ihm immer noch wie ein unverhoffter, aber wunderschöner Traum, dass Julianna ihn genauso liebte wie er sie. In diesem Moment schwor er sich, dass er es ihr bis zum Ende ihres Lebens jeden Tag sagen würde.

Sie hob den Kopf, um ihn mit genussvollen dunklen Augen anzusehen. „Jetzt bin ich an der Reihe“, murmelte sie sehnsuchtsvoll, als sie sich aus der Umarmung löste und sich vor ihn kniete. „Ah“, murmelte sie wissend, als ihr feuerrotes Haar über seine nackten Schenkel fiel.

Marcus stockte der Atem, da sie seine Männlichkeit fest mit den Fingern umschloss, bevor sie den Kopf senkte und mit der Zunge über die feuchte Spitze fuhr. „Mein Gott!“, sagte er stöhnend, während die Lust immer mehr von seinem Körper Besitz ergriff. Dies war der Beweis, dass die Schülerin keinen Lehrer mehr brauchte – genauso wie er es vermutet hatte.

Julianna hatte noch nie so etwas Berauschendes wie Marcus gekostet. Sie ließ die Zunge über ihn gleiten, bevor sie sich traute, die Lippen zu öffnen und die Spitze ganz in den Mund zu nehmen. Sie saugte daran – genauso wie er es nur wenige Minuten zuvor bei ihr getan hatte. Er keuchte und verriet ihr damit, wie sehr es ihm gefiel.

„Warte, Julianna!“, sagte Marcus schließlich atemlos und schob sie sanft beiseite. Er hätte sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass sie ihn weiterhin mit ihrem kleinen, heißen Mund liebkoste, doch er wusste auch, was dann passieren würde. Er wollte in Julianna sein, wenn er kam. Tief in ihr drin.

In ihren dunklen Augen stand Erregung, als sie zu ihm aufsah und sich über die Lippen leckte. „Du schmeckst großartig.“

„Du auch“, erwiderte er, als er aufstand und sie in seine Arme hob, um sie zum Bett zu tragen. Er legte sie auf die Matratze, bevor er sich zwischen ihre gespreizten Beine schob und sich auf den Ellbogen abstützte. „Willst du mich jetzt in dir spüren, meine liebste Julianna?“

„Ich sehne mich danach!“, erwiderte sie atemlos, während sie ihm über den Rücken streichelte.

„Ich würde dir nie wehtun wollen …“

„Das könntest du nicht“, sagte sie überzeugt. „Ich bin mir ganz sicher, dass du das niemals könntest.“

Wie Marcus gehofft hatte, war Julianna nach den Liebkosungen mehr als bereit für ihn. Dennoch drang er ganz langsam und vorsichtig in sie ein. Reglos verharrte er über ihr, um ihr Zeit zu geben, sich an ihn zu gewöhnen. Mit den Händen umfasste er ihr errötetes Gesicht und betrachtete ihr wunderschönes Lächeln. „Ich liebe dich so sehr, Julianna. Würdest du mich bitte zum glücklichsten Menschen der Welt machen und meine Frau werden?“

„Oh ja, Marcus.“ Ihre Augen strahlten, als sie ihn fröhlich und vertrauensvoll anlächelte. „Ja, ja und immer wieder ja!“

„Gott sei Dank“, murmelte er dankbar, bevor er seinen Mund auf ihren legte und die beiden sich in ihrer Lust und Liebe verloren – und zugleich fanden.

– ENDE –

IMPRESSUM

Der Duke, der mich betörte erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2014 by Carole Mortimer
Originaltitel: „Zachary Black: Duke Of Debauchery“
erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL MYLADY
Band 565 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Svenja Tengs

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733734718

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ende Februar 1815, vor dem White’s Club in London

Was zum …?“ Zachary Black, der Duke of Hawksmere, stand vor dem offenen Schlag seiner Kutsche und sah eine Person in der schattigen Ecke des Wagens. Die Laterne im Inneren schien so schwach, dass er nicht erkennen konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. „Lamb?“ Er drehte sich um und bedachte seinen Kutscher mit einem vorwurfsvollen Blick. Im flackernden Licht der Lampe funkelten seine grauen Augen.

Der Mann mittleren Alters richtete sich auf. „Sie hat mir gesagt, dass Sie sie erwarten würden, Euer Gnaden“, antwortete er unsicher.

Also ist eine Frau in meine Kutsche eingedrungen, dachte Zachary missmutig. Aber mit Sicherheit keine Frau, die ich erwartet hätte.

Es sei denn …

Er hatte soeben den Abend und die halbe Nacht mit seinen vier besten Freunden in seinem Klub verbracht, um die anstehende Hochzeit von Marcus Wilding zu feiern. Die Hochzeit zwischen dem Duke of Worthing und seiner Herzensdame Lady Julianna Armitage würde später am Tag stattfinden.

Letztes Jahr hatte Zachary für kurze Zeit selbst mit dem Gedanken gespielt, zu heiraten. Das Testament seines Vaters hatte ihn gezwungen, sich mit dem Thema Ehe auseinanderzusetzen. Aber sein Versuch, eine Frau zu finden, war auf so drastische Art und Weise gescheitert, dass es ihm widerstrebte, diese Erfahrung zu wiederholen. Trotz seiner eigenen eher zynischen Haltung wünschte er Worthing jedoch nur das Beste für die Zukunft. Im Grunde hatte er genau das die ganze Nacht lang getan. Der Morgen würde nun bald heraufdämmern.

Daher überlegte Zachary jetzt, ob die Frau in seiner Kutsche vielleicht Teil der Hochzeitsfeierlichkeiten war. Womöglich ein Geschenk von Worthing? Vielleicht erlebten Zacharys andere drei Freunde gerade eine ähnliche Überraschung in ihren Kutschen?

Das konnte sein, aber Zachary wollte lieber Vorsicht walten lassen, bis er vom Gegenteil überzeugt wäre. Auch wenn der Krieg gegen Napoleon beendet war und der Korse derzeit auf Elba festsaß, lebten sie immer noch in gefährlichen Zeiten. Dass eine Unbekannte in seiner Kutsche saß, war Grund genug, um auf der Hut zu sein.

„Nach Hawksmere House, Lamb“, wies er seinen Fahrer an und stieg in die Kutsche ein, bevor der Schlag hinter ihm geschlossen wurde. Er setzte sich auf den Platz gegenüber der geheimnisvollen Frau und legte seinen Hut auf den Platz neben sich, während die Kutsche losfuhr.

Zachary hatte sich mittlerweile genug an die Dunkelheit gewöhnt, um ausmachen zu können, dass die Fremde von Kopf bis Fuß mit einem schwarzen Umhang bekleidet war. Außerdem trug sie einen Schleier. Er konnte nicht sagen, ob sie alt oder jung, dünn oder dick war.

Ob eine Absicht dahintersteckte, dass die Frau sich derart verhüllt hatte?

Mit Sicherheit.

Zachary blieb still. Da diese Frau ihn aufgesucht hatte, war es an ihr, das Gespräch zu eröffnen.

Ihm zu erklären, ob sie Freund oder Feind war.

Georgiannas Herz schlug wie wild in ihrer Brust, als sie den stummen, aufmerksamen Zachary Black, den Duke of Hawksmere, betrachtete. Wenn dieser Mann ihre Identität aufdecken würde, hätte er allen Grund, sie zutiefst zu verachten. Es hieß, dass der unnahbare, zynische Zachary Black überaus gefährlich sei, wenn er jemanden nicht leiden konnte.

Ein Schaudern unterdrückend, richtete sich Georgianna kerzengerade auf und begrüßte ihn mit heiserer Stimme: „Euer Gnaden.“

„Madam.“ Er nickte ihr kurz zu. Sein modisch geschnittenes, längeres Haar sah in dem schwachen Licht rabenschwarz aus. Die grauen Augen hatte er zu schmalen Schlitzen in seinem adlerähnlichen Gesicht verengt. Er hatte dunkle Brauen über den hellen, glänzenden Augen. Seine markanten Wangenknochen betonten die fein geschwungenen Lippen, die er jetzt zu einer schmalen Linie verzog.

Unwillkürlich blickte Georgianna auf die Stelle unterhalb seines überheblichen Gesichtsausdrucks, wo eine Narbe über dem Hemdkragen zu sehen war. Sie war so lang und geradlinig, dass es den Anschein machte, als hätte ihm jemand die Kehle durchschneiden wollen. Gewiss war das auch die Absicht des Franzosen gewesen, der ihn – Gerüchten zufolge – mit einem Säbel verletzt hatte.

Einen weiteren Schauder unterdrückend, beeilte sich Georgianna wieder in das schattige, finstere Gesicht zu schauen. „Ich weiß, dass mein Erscheinen in Ihrer Kutsche eine … eine eher unkonventionelle Art und Weise ist, mit Ihnen in Kontakt zu treten.“

„Ich würde sagen, das hängt von Ihren Beweggründen ab“, erwiderte er sanft.

Georgianna verschränkte ihre behandschuhten Hände unter dem schwarzen Umhang fest ineinander. „Es gibt … Ich habe wichtige Informationen, die ich einem … einem Bekannten von Ihnen mitteilen muss.“

Der Mann, der vor ihr in der Kutsche saß, verharrte reglos. Seine Miene blieb genauso arrogant wie zuvor, aber hinter jener gleichgültigen Fassade spürte Georgianna plötzlich eine wachsame Anspannung.

„Tatsächlich?“, murmelte er herablassend.

„Ja.“

Er hob die dunklen Brauen. „Dann vermute ich, dass Sie nicht in meine Kutsche eingedrungen sind, um für den Rest der Nacht das Bett mit mir zu teilen?“

„Natürlich nicht!“ Empört lehnte sich Georgianna in dem weich gepolsterten Sitz zurück.

Ein paar Sekunden lang musterte er sie mit erbarmungslosem Blick aus zusammengekniffenen grauen Augen. „Schade“, sagte er schließlich achselzuckend. „So hätte ich diese überaus erfreuliche Nacht gebührend ausklingen lassen können. Nun, sagen Sie, was das für wichtige Informationen sind, die Sie jenem Bekannten von mir so dringend mitzuteilen haben. Sind die Informationen denn so bedeutsam, dass Sie sich solch einer List bedienen müssen, anstatt mich tagsüber bei mir zu Hause aufzusuchen?“, fragte er spöttisch.

Jetzt, da sie Zachary Black von Angesicht zu Angesicht gegenübersaß, stellte sich Georgianna dieselbe Frage.

Nur wenige Menschen würden wohl überhaupt jemals freiwillig an den hochmütigen und scharfzüngigen Duke of Hawksmere von zweiunddreißig Jahren herantreten.

Zwar war sein Können auf dem Schlachtfeld mit dem Schwert und der Pistole legendär – ebenso wie seine Fähigkeiten im Schlafgemach. Aber es hieß, dass dieser Mann in beiden Bereichen dieselbe Kühle und Unbarmherzigkeit walten ließ.

Eine Kühle und Unbarmherzigkeit, die er gerade mit aller Entschiedenheit zum Ausdruck brachte – wie man ihm nachsagte.

Daher hätte er sicherlich auch nicht gezögert, die Kutsche anzuhalten und Georgianna kurzerhand hinauszuwerfen, falls sie ihm lästig fiele.

Das könnte natürlich immer noch passieren.

Sie holte tief Luft. „Ich habe gehört – oder besser gesagt –, ich habe guten Grund zu der Annahme, dass Sie über gewisse … Verbindungen zur Regierung verfügen.“

Zachary blieb träge auf dem weich gepolsterten Sitz seiner herrschaftlichen Kutsche sitzen. In seinem Gesicht trug er weiterhin Spott und Langeweile zur Schau. Doch innerlich war er in Aufruhr geraten, denn es gefiel ihm ganz und gar nicht, wie sich diese Frau so zögerlich nach seinen Kontakten erkundigte.

Er konnte nur hoffen, dass sie lediglich vermutete, dass er als Agent für die britische Krone arbeitete. Außer seinen Auftraggebern wusste nämlich niemand etwas von seiner Tätigkeit. Geheimhaltung galt bei seinen Aktivitäten als oberste Priorität.

Er machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. „Ich habe viele Bekannte im Parlament, falls Sie darauf anspielen.“

„Wir wissen beide, dass ich das nicht meinte.“

„Ach, tatsächlich?“ Verdammt, wer war diese Frau?

Der hellen und atemlosen Stimme nach zu urteilen, handelte es sich um eine jüngere Frau. Womöglich war sie nicht verheiratet, wenn ihre Reaktion auf seinen Vorschlag, das Bett mit ihm zu teilen, als Hinweis darauf zu werten war. Aufgrund ihres Akzents und ihrer Art zu reden war sie sicherlich gebildet, doch wegen des Schleiers konnte er nicht sagen, ob sie helles oder dunkles Haar hatte, geschweige denn, ob sie dick oder dünn war.

„Ja“, bestätigte sie resolut.

„Ich befürchte, dass ich Ihnen gegenüber im Nachteil bin, Madam. Sie behaupten, so viel über mich zu wissen, wohingegen ich nicht einmal Ihren Namen kenne“, sagte Zachary abweisend.

Georgianna konnte sich nicht vorstellen, dass der selbstgerechte Zachary Black in seinem privilegierten Leben jemals im Nachteil gewesen wäre – genauso wenig wie er es jetzt war. Schließlich fuhren sie in seiner Kutsche, und letztlich hatte er alle Macht darüber, wie ihr Gespräch verlaufen würde – so wie er über alles und jeden, der in seiner exklusiven Welt verkehren durfte – oder es sich traute –, Macht ausübte.

Seine Stärke, seine Nähe drohten sie schlichtweg zu überwältigen.

Die direkte Art und die einnehmende Persönlichkeit des Dukes hatte sie vergessen – vielleicht auch vergessen wollen. Er roch nach guten Zigarren und Brandy – zweifellos von der Nacht mit seinen Freunden im Klub. Zudem nahm Georgianna eine leichte Note nach Zitronen und einen erdigen Duft wahr, der vermutlich von ihm selbst stammte.

Sich jetzt nach allem, was sie durchgemacht hatte, von der eigenen Aufregung und der Abneigung gegen diesen Mann aus dem Konzept bringen zu lassen, wäre ihrem Vorhaben alles andere als dienlich.

„Sie müssen nicht wissen, wer ich bin, um ein Treffen mit einem jener Herren für mich zu arrangieren“, erklärte sie, nachdem sie sich gesammelt hatte.

„Diese Entscheidung liegt bei mir, meinen Sie nicht?“ Gemächlich schnippte der Duke einen Fussel vom Ärmel seines schwarzen Frackrocks, bevor er aufsah und sie mit einem Blick aus seinen kühl glänzenden Augen zu durchbohren schien. „Warum wenden Sie sich in dieser Angelegenheit überhaupt an mich? Warum haben Sie nicht einfach einen Termin vereinbart und Ihr Wissen mit dem betreffenden Herrn direkt geteilt?“

Georgianna senkte den Blick. „Weil ich es stark bezweifle, dass dieser Mann sich ohne Weiteres mit einer Frau treffen würde. Dazu benötige ich die Empfehlung von jemandem wie Ihnen.“

„Sie unterschätzen den Einfluss Ihres Geschlechts, Madam“, erwiderte Hawksmere lapidar.

„Glauben Sie?“ Georgianna hatte ihre Zweifel.

Vor zehn Monaten war sie gerade einmal Ende neunzehn Jahre alt gewesen, als ihr Vater in ihrem Namen den Heiratsantrag eines einflussreichen Adligen angenommen hatte, ohne auch nur darüber nachgedacht zu haben, ob Georgianna in solch einer Ehe glücklich werden könnte.

Mein verstorbener Vater, erinnerte sie sich und spürte ein dumpfes Gefühl im Magen. Erst gestern hatte sie bei ihrer Rückkehr nach England erfahren, dass ihr Vater vor neun Monaten gestorben war. Der Groll, den sie wegen jenes Verrats gegen ihn gehegt hatte, war wie verflogen.

„Ja, das glaube ich“, antwortete Hawksmere schroff. „Wie dem auch sei – ich verspüre keinerlei Neigung, meine Zeit mit einer Frau zu verschwenden, die mir noch nicht einmal ihren Namen verrät – die gelogen hat, um sich mir zu nähern. Aber wahrscheinlich ist solch ein ungebührliches Benehmen für Sie ganz normal.“

Georgianna hatte mit seinem Misstrauen und Zynismus gerechnet, denn sie wusste, dass der Duke nur sehr wenige Leute in den Kreis seiner engsten Vertrauten ließ – abgesehen von den vier Freunden aus seiner Schulzeit, die ebenfalls Dukes waren. Sie wusste auch, dass er mit jenen vier Freunden die halbe Nacht gefeiert hatte.

„Wer ich bin, ist vollkommen nebensächlich. Entscheidend ist, dass meine Informationen äußerst wertvoll sind – und wahr“, erwiderte sie standhaft.

„Das ist Ihre Meinung.“

„Das wäre die Meinung eines jeden Patrioten.“

Angesichts ihrer Heftigkeit zog Zachary Black süffisant eine Augenbraue hoch. „Ein Patriot von welchem Land, Madam?“

„Selbstverständlich von England.“ Georgianna sah ihn mit stechendem Blick unter dem Schleier an.

„Ach so, von England“, entgegnete er trocken. „Bitte verzeihen Sie meine Unwissenheit, aber ich dachte, England befinde sich derzeit gar nicht im Krieg. Haben wir nicht erst letzten Sommer den Friedensabschluss gefeiert?“

„Genau aus diesem Grund …“ Georgianna nahm einen tiefen, beruhigenden Atemzug. Es wäre unklug gewesen, in der Gegenwart dieses Mannes die Beherrschung zu verlieren, denn er würde eine solche Schwäche mit großer Wahrscheinlichkeit ausnutzen. „Kann ich auf Ihre Verschwiegenheit vertrauen?“

Wieder zog er die Brauen hoch. „Hätten Sie das nicht herausfinden sollen, bevor Sie planten, in die Privatsphäre meiner Kutsche einzudringen?“

Aber das hatte sie doch! Georgianna hatte alles gewissenhaft durchdacht. Nie hätte sie sich an den Duke of Hawksmere gewandt, wenn sie nicht überzeugt davon gewesen wäre, dass er genau die Sorte Mann war, mit der sie reden musste.

Aber jetzt, da sie allein mit ihm in seiner Privatkutsche saß und sich ihr die perfekte Gelegenheit bot, ihm ihr Anliegen vorzutragen, kamen ihr Zweifel.

Das ganze Land sah im Duke of Hawksmere einen wahren Kriegshelden. Er hatte lange und tapfer in Wellingtons Armee gekämpft und war schwer verletzt worden. Dass er auch als Agent für die Krone arbeitete, war zwar weithin ein Geheimnis, aber nicht weniger heldenhaft. Es war Georgiannas persönliche Abneigung gegen ihn, die sie jetzt zögern ließ.

So allein mit Hawksmere in seiner Kutsche und so unglaublich überwältigt von seiner Gegenwart konnte Georgianna nur daran denken, dass diesem Mann der Ruf vorauseilte, rücksichtslos zu sein.

Sie straffte die Schultern, als würde sie in einen Kampf ziehen. „Sie können mir so viel vorspielen, wie Sie wollen, Euer Gnaden, aber ich bin mir sicher, dass Sie mein Anliegen weiterleiten werden, wenn wir uns erst etwas länger unterhalten haben.“

Zachary musste zugeben, dass er neugierig geworden war – und zwar nicht nur auf die Informationen, die diese junge Frau so dringend überbracht wissen wollte. Auch die Person dahinter interessierte ihn. Sie erschien zwar jung und gebildet, war ihm aber auch ein bisschen naiv vorgekommen, als sie ihre unbedingte Loyalität zu England verkündet hatte. Ob sie nur ein wenig blauäugig tat, um ihn zu täuschen?

Zudem fragte sich Zachary immer noch, wie sie wohl unter dem Umhang aussah, der sie verhüllte.

War sie blond oder dunkelhaarig? Schön oder unansehnlich? Schlank oder fülliger?

Zachary war jetzt sehr gespannt darauf, die Antwort auf all diese Fragen zu bekommen. Er wollte diese junge Frau ansehen – und sei es nur, um ihr ins Gesicht schauen und selbst abschätzen zu können, ob sie die Wahrheit sprach oder nicht. Wenn er in den letzten vier Jahren bei seiner Arbeit für die Krone eines gelernt hatte, dann dass er niemandem außer seinen besten Freunden trauen durfte. Das hier könnte eine ausgeklügelte Falle sein, um sein Interesse zu erregen und dieser mysteriösen Frau zu ermöglichen, falsche Informationen an die englische Regierung weiterzugeben.

Und sein Interesse war definitiv geweckt.

So sehr, dass er den Wein und den Brandy, den er zuvor mit seinen Freunden genossen hatte, gar nicht mehr spürte.

Er würde diese junge Frau nicht aus seiner Kutsche lassen, bevor er nicht herausgefunden hätte, wer sie war und woher sie Dinge über ihn wusste, die sie nicht hätte wissen dürfen.

Flüchtig schaute er aus dem Fenster und stellte fest, dass die Morgendämmerung gerade über den Dächern Londons eingesetzt hatte.

„Dürfte ich in diesem Fall vorschlagen …“, er wandte sich wieder der jungen Frau zu und konnte jetzt ansatzweise ein blasses, ovales Gesicht unter dem Schleier erkennen, „… dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, um mir zumindest einen Teil dieser Informationen anzuvertrauen? In wenigen Minuten werden wir vor meinem Haus vorfahren.“

Unter dem Umhang knetete sie aufgeregt die Hände. „Ich … Es betrifft das Vorhaben einer … einer gewichtigen Person, die sich derzeit auf einer Insel im Mittelmeer aufhält.“

Zachary musste all seine Willenskraft zusammennehmen, um keine Reaktion auf diese Aussage zu zeigen. Wenn er jetzt auch nur mit der Wimper zuckte, würde er ihr verraten, dass es ihn äußerst reizte, mehr zu erfahren.

Wer zum Henker war diese Frau?

Was wusste sie genau?

Wieder schaute er aus dem Fenster, so als würde ihn das Gespräch langweilen. „Soweit ich weiß, hält sich derzeit keiner meiner Bekannten auf einer Mittelmeerinsel auf.“

„Ich habe nicht gesagt, dass er ein persönlicher Bekannter von Ihnen sei …“

„Dann verstehe ich nicht, warum das Ganze für mich von Belang sein sollte“, unterbrach Zachary sie. Allein zu erwähnen, dass es sich bei der vermeintlichen Person um einen Mann handelte, könnte brisant sein.

Zachary hatte seinen Kutscher zwar selbst ausgesucht und vertraute ihm bedingungslos. Doch er wollte dieses Vertrauen nicht auf die Probe stellen, indem Lamb sein Gespräch mit dieser Frau beziehungsweise ihre Anspielung, dass er als Geheimagent für die Krone arbeitete, mithörte.

Die Fremde, die ihm am anderen Ende der großen Kutsche gegenübersaß, sah ihn jetzt unter ihrem Schleier aus glänzenden dunklen Augen an. Vielleicht waren sie braun oder dunkelblau – er konnte es nicht ausmachen.

„Ich versichere Ihnen, dass das, was ich mitzuteilen habe, durchaus für Sie von Belang ist …“

„Ich befürchte, es bleibt keine Zeit mehr.“ Kühl erwiderte Zachary ihren Blick, während die Kutsche vor Hawksmere House anhielt. „Möchten Sie vielleicht mit hineinkommen, um unser Gespräch drinnen weiterzuführen?“

Sagte der Fuchs zum Hasen, fügte Georgianna im Stillen hinzu, während ihr vor banger Vorahnung schauderte. Mit diesem Mann allein in seiner Kutsche zu sein, war schon eine große Herausforderung gewesen. Zachary Blacks Haus zu betreten, war eine Grenze, die sie nicht überschreiten würde.

Das traue ich mich nicht, auch wenn viele etwas anderes von mir denken würden, dachte sie schwermütig, denn sie wusste, dass ihr gesellschaftlicher Ruf ruiniert war. Aber unter Hawksmeres eisigem, verurteilendem Blick würde sie es bestimmt nicht wagen, ihm in sein Privathaus zu folgen.

Was würde er sagen oder tun, wenn er herausfände, wer sie war? Würde er sie genauso meiden wie der Rest der Gesellschaft? Oder würde er sich an ihr rächen, womit sie im Grunde schon lange gerechnet hatte? Seit Monaten lebte sie mit dem Gefühl, das Damoklesschwert würde über ihr schweben.

Niemand, der noch ganz bei Trost war, wollte sich Zachary Black zum Feind machen.

Aber genau das hatte Georgianna getan.

Hinzu kam, dass sie es damals auch noch aus freien Stücken getan hatte – in dem Glauben, dass ihr keine andere Wahl bleibe. Erst in den darauffolgenden Monaten hatte sie Zeit gehabt, um nachzudenken und ihre Taten bitter zu bereuen. Zu spät hatte sie erkannt, welche Sorte Mann sie sich zum Gegner gemacht hatte.

Nach nur wenigen Minuten in seiner Gegenwart war sie sich bewusst geworden, dass trotz der vordergründigen, weltgewandten Höflichkeit etwas Gefährliches von ihm ausging. Mit Sicherheit war er niemand, der eine Kränkung oder Beleidigung jemals vergessen würde.

Und Georgianna hatte ihn auf die schlimmste Art und Weise beleidigt.

„Nein, danke“, antwortete sie reserviert.

„Ich hoffte, dass Sie etwas anderes erwidern würden.“

Keine Sekunde glaubte Georgianna, Hawksmeres Bedauern sei immer noch auf das Missverständnis zurückzuführen, dass sie ein leichtes Mädchen wäre und er gerne das Bett mit ihr geteilt hätte. Dazu war sein Ton zu emotionslos und ruhig gewesen.

Sie lehnte sich in die schattige Ecke der Kutsche zurück, als der Kutscher den Schlag öffnete. Der Duke stand auf, kletterte aus der Kutsche und setzte sich den Hut auf, bevor er Georgianna den Arm entgegenstreckte, um ihr behilflich zu sein.

„Unser Gespräch ist noch lange nicht beendet“, murmelte er eindringlich, als sie keine Anstalten unternahm, seine Hand zu ergreifen.

„Bitte sprechen Sie einfach mit …“ Sie unterbrach sich, als er sie streng ansah. „Bitte sprechen Sie über mein Anliegen. Dann werde ich morgen wiederkommen, um Ihre Antwort zu erfahren. Jetzt möchte ich erst einmal ein paar Minuten in der Kutsche warten, bevor ich den Rückweg antrete. Es ist wohl besser, wenn wir nicht dabei gesehen werden, wie wir gemeinsam aus Ihrer Kutsche steigen.“

Höhnisch zog er eine dunkle Braue hoch, während er sich zum Kutscher umdrehte und ihn fortschickte. „Gehen Sie etwa davon aus, dass Ihre Wünsche aus irgendeinem Grund für mich von Bedeutung sein könnten?“

„Im Gegenteil – ich bin mir sicher, dass dem nicht so ist.“ Georgianna zog sich tiefer in die schattige Ecke der Kutsche zurück. „Ich dachte dabei mehr an Ihren als an meinen Ruf.“

Freudlos lächelte Hawksmere sie an. „Meine engsten Freunde haben mich darüber unterrichtet, dass mein Ruf der eines Spielers und unverbesserlichen Lebemannes ist.“

Mittlerweile glaubte Georgianna, dass er sich diesen Ruf absichtlich zugelegt hatte, um von dem Umstand abzulenken, dass er als Agent für die Regierung arbeitete.

Oh, er war zweifellos auch ein Spieler und ein Frauenheld. Es fehlte ihm weder an Mitteln, um dem Glücksspiel zu frönen, noch an Arroganz und gefährlicher Anziehungskraft, um Frauen zu verführen. Gewiss konnte er jede Frau haben, die in das Visier seiner stechenden grauen Augen geriet.

Nun, fast jede Frau – erinnerte sich Georgianna. Schließlich hatte es zumindest eine gegeben, die sowohl diesen grauen Augen als auch dem Mann selbst widerstanden hatte.

„Ich bin davon überzeugt, dass Sie diesem Ruf alle Ehre machen“, entgegnete sie. „Dennoch möchte ich lieber in der Kutsche bleiben, bis Sie das Haus betreten haben.“

Weder war Zachary für seine Geduld noch für seine Nachsichtigkeit bekannt. Er verfügte auch nicht über jene Eigenschaften, die bestimmte Herren des ton so reizvoll für junge Debütantinnen und deren Mütter machten. Im Gegenteil – in den vergangenen zehn Jahren hatten er und seine vier besten Freunde sich im ton den Spitznamen „Die Durchtriebenen Dukes“ erworben, und das hing sicherlich auch damit zusammen, dass sie weder freundlich noch zuvorkommend waren. Außerdem war ihnen in keiner Weise daran gelegen, eine dieser überspannten jungen Frauen zu heiraten, die unentwegt plapperten und in der Saison ganz London zu bevölkern schienen.

Gezwungenermaßen hatte er selbst kurz mit dem Gedanken gespielt, zu heiraten, denn laut Testament seines Vaters musste Zachary im Alter von fünfunddreißig Jahren verheiratet sein und einen Erben gezeugt haben. Andernfalls würde er den Großteil des Hawksmere-Vermögens verlieren. Aufgrund des skandalösen Verrats der jungen Dame im vergangenen Jahr hatte sich Zachary jedoch noch nicht wieder dazu durchringen können, sich erneut auf die Suche zu begeben. Allerdings war er mittlerweile zweiunddreißig und es blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Schon bald wäre er gezwungen, unter den Schönheiten dieser Saison seine Zukünftige auszuwählen.

Zwar würde Worthing im Laufe des Tages heiraten, doch das war etwas anderes, da er mit der kleinen Schwester von einem der Durchtriebenen Dukes vor den Traualtar trat. Weder redete die schöne Julianna Armitage unentwegt, noch war sie sonst irgendwie lästig.

Bisher konnte Zachary allerdings auch keine dieser Charakterzüge an der ernsten jungen Dame unter dem schwarzen Umhang feststellen.

„Glauben Sie denn, dass mir Gefahr droht?“, fragte er sanft. „Geht von Ihnen etwa eine Gefahr für mich aus?“

„Ganz bestimmt nicht“, sagte sie und holte tief Luft. „Ich versichere Ihnen, ich bin nicht gekommen, um Ihnen weiteren Schaden zuzufügen …“ Sie verstummte abrupt.

„Weiteren Schaden?“ Zachary kniff die Augen zusammen und beugte sich in die Kutsche hinein. Prüfend musterte er die verschleierte Frau. „Wer sind Sie?“, fragte er auffordernd.

„Ich bin niemand, Euer Gnaden.“

„Im Gegenteil – Sie sind definitiv jemand.“

Er beugte sich weiter in das Innere der immer heller werdenden Kutsche vor und ergriff Georgianna am Arm, um sie von ihrem Sitz zu ziehen. Ihr Arm war dünn, womit zumindest eine seiner vorherigen Fragen beantwortet war: Die junge Frau unter dem Schleier war schlank – sehr schlank sogar.

„Lassen Sie mich los.“ Sie wand sich unter seinem Griff und versuchte mit einer behandschuhten Hand seine Finger von ihrem Arm zu lösen. „Sie müssen mich loslassen, Euer Gnaden.“ In ihrer Stimme lag jetzt ein aufgebrachtes Zittern, da sie es nicht schaffte, sich freizumachen.

„Das werde ich nicht tun“, erwiderte Zachary langsam.

Zu keiner Zeit hatte er die Absicht gehegt, die Frau einfach gehen zu lassen. Zumindest seitdem sie zwar nicht ausdrücklich, aber indirekt erwähnt hatte, über Informationen über Bonaparte zu verfügen.

Durch ihre Bemerkung, ihm keinen weiteren Schaden zufügen zu wollen, war seine Neugierde noch größer geworden.

Damit hatte sie doch sicherlich sagen wollen, dass sie ihm in der Vergangenheit bereits einmal geschadet hatte.

Wenn das der Fall sein sollte, dann wollte Zachary ganz genau wissen, mit wem er es zu tun hatte.

Daher zog er sie zu sich und warf sie sich trotz ihrer Abwehrversuche mühelos über die Schulter.

„Was tun Sie da?“

„Ich dachte, das sei offensichtlich.“ Zachary wich aus der Kutsche zurück, bevor er sich aufrichtete, um sich die federleichte Last bequemer über die Schulter zu legen. Die Arme hatte er fest um die Oberschenkel der Frau geschlossen. Zufrieden grinste er Lamb an, der die Pferde an den Leinen festhielt und das Geschehen neugierig beobachtete. „Die Dame möchte gerne so tun, als würde ein ungehobelter Pirat sie entführen und in seine Kajüte schleppen.“

Georgianna schrie angesichts dieser erfundenen, hanebüchenen Geschichte empört auf, bevor sie sich bittend an den Pferdeknecht wandte. „Glauben Sie ihm kein Wort“, bat sie ihn verzweifelt. Das Blut schoss ihr in den Kopf, weshalb ihr leicht schwindelig wurde. „Ich werde gerade tatsächlich entführt, aber nicht von einem ungehobelten Piraten.“

„Ganz ruhig, Mädchen.“ Der Duke of Hawksmere gab ihr einen festen Klaps auf den Allerwertesten. „Wünschen Sie mir Glück mit meiner Beute, Lamb“, fügte er trocken hinzu. „Ich werde es sicherlich gebrauchen können.“

„Sie doch nicht, Euer Gnaden“, entgegnete der Kutscher nun ebenfalls grinsend und erfreute sich offensichtlich an der Darbietung. „Frauen sind wie temperamentvolle Stuten, und bisher konnten Sie noch jede von ihnen zähmen.“

Georgiannas Wangen glühten, und aufgrund des Schwindelgefühls kam ihr die Situation wie ein Traum vor. Sie fühlte sich wie die Zuschauerin eines Possenspiels.

Welche Erklärung hätte es sonst dafür geben können, dass sie über der breiten und muskulösen Schulter von Zachary Black, dem durchtriebenen Duke of Hawksmere, hing?

Dass sie jetzt durchgeschüttelt wurde, während er die Treppe zu seinem Stadthaus erklomm und durch die geöffnete Tür schritt, bevor er sich von dem überrascht und hochmütig wirkenden Butler den Leuchter mit drei brennenden Kerzen reichen ließ?

Der Duke lief in die Eingangshalle, bevor er Georgianna zwei Stufen auf einmal nehmend die breite Treppe zum Schlafgemach hochtrug.

2. KAPITEL

Nehmen Sie den Schleier ab.“ Finster schaute Zachary auf die junge Frau herab, die er vor wenigen Sekunden nicht gerade sachte auf sein Himmelbett gelegt hatte. Im Schein des Kerzenleuchters, den er auf den Nachttisch gestellt hatte, konnte er ihre entblößten, schlanken Knöchel sehen. Ihr Unterrock und der Rock ihres schwarzen Kleides waren hochgerutscht. Als sie merkte, wohin er starrte, schob sie die Röcke hastig nach unten. Ihr Schleier war leider überhaupt nicht verrutscht. „Auf der Stelle“, wies er sie in kompromisslosem Ton an.

Misstrauisch beäugte Georgianna ihren Gegner durch ihre langen Wimpern hindurch, während sie zum Kopfende des Bettes robbte – so weit weg wie möglich vom unheilvollen, bedrohlichen Duke of Hawksmere. „Ich habe nicht vor, den Schleier abzulegen.“

„Sind Sie in Trauer?“

War sie das? Zwar war ihr Vater im vergangenen Jahr verstorben, doch das war nicht der Grund, weshalb sie den Schleier trug.

„Wenn Sie erst darüber nachdenken müssen, sind Sie es offenkundig nicht“, sagte der Duke abschätzig. „Nehmen Sie den Schleier ab. Jetzt. Bevor ich die Geduld verliere“, meinte er warnend.

Beim Klang von Hawksmeres gefährlich sanfter Stimme richtete sich Georgianna auf den weichen schneeweißen Kissen am Kopfende des Bettes kerzengerade auf. „So dürfen Sie nicht mit mir umspringen.“

„Nein?“ Sein Tonfall war tief und grollend. „Ich sehe niemanden, der zu Ihrer Rettung herbeieilen würde.“

Vor Hitze glühten ihre Wangen, während sie ihn weiterhin durch gesenkte Wimpern hindurch anschaute. „Weil Sie Ihrem Pferdeknecht erzählt haben … Weil Ihre Diener jetzt glauben …“

„Dass ich Ihnen Ihre erotischen Fantasien erfüllen und in diesem Moment über Sie herfallen würde?“, vervollständigte Hawksmere den Satz gelassen.

„Ja.“

Der Duke grinste sie höhnisch an. „Können Sie mir denn ehrlich versichern, dass Sie noch nie solch eine Fantasie gehabt haben? Dass Sie nie davon geträumt haben“, fügte er mit sinnlicher, weicher Stimme hinzu, „wie ein verwegener Pirat Sie auf sein Schiff verschleppt und sich dort mit Ihnen auf verruchte Art und Weise amüsiert?“

Natürlich hatte Georgianna früher einmal solche Fantasien gehabt. Welches Mädchen mit einem Sinn für Romantik träumte nicht davon, von einem abenteuerlichen Piraten oder einem stürmischen Ritter entführt und seiner Unschuld beraubt zu werden? In ihren Träumen hatte sich der Held natürlich immer augenblicklich in sie verliebt und sie nie mehr verlassen.

Aber jetzt war sie zwanzig Jahre alt und im Herzen fühlte sie sich viel älter. Außerdem glaubte sie nicht mehr an Romantik und Liebe. Sie wusste nur zu gut, dass die Wirklichkeit nicht mit solchen Träumereien übereinstimmte und dass der verwegene Pirat und der ungestüme Ritter alles andere als eine weiße Weste hatten.

„Das sind die Tagträumereien von dummen jungen Mädchen, die es nicht besser wissen“, erklärte sie ausdruckslos.

„Wissen Sie es denn besser?“

„Oh, ja“, versicherte sie ihm mit Nachdruck.

Hawksmere sah sie spöttisch an. „Dürfte ich Sie in diesem Fall bitten, sich nicht weiterhin wie die lächerliche Heldin eines Schauermärchens aufzuführen und Ihren Schleier abzulegen?“

Georgianna wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, da der Duke viel stärker war als sie und sie offenkundig dazu zwingen könnte, wenn ihm danach war. Wenn sie daran dachte, mit welchen haarsträubenden Erklärungen sich seine Diener zufriedengegeben hatten, war von dieser Seite auch mit keinerlei Hilfe zu rechnen.

Ich habe mich ihm vollkommen ausgeliefert, dachte Georgianna entsetzt.

Seine kühlen grauen Augen und das vorgereckte Kinn bestätigten ihr, dass der Duke keine Gnade – weder bei Männern noch bei Frauen – walten ließ.

Langsam hob sie die zitternden Hände zu den Nadeln an ihrem Schleier. „Der Anblick wird Ihnen nicht gefallen“, warnte sie ihn, während sie die Nadeln nach und nach löste.

Hawksmere zog die dunklen Brauen hoch. „Sind Sie etwa entstellt? Vielleicht durch die Pocken?“

„Nein.“ Sie seufzte, während sie die Nadeln auf den Nachttisch neben die flackernden Kerzen des Leuchters fallen ließ.

„Dann also hässlich?“, fragte er ungerührt. „Das wäre eine Premiere in meinem Schlafgemach.“

Sein Schlafgemach war ungemein prachtvoll verziert, wie es einem so wohlhabenden und mächtigen Mann wie Hawksmere wohl gebührte. Die Vorhänge an den Fenstern und der Überzug seines Himmelbettes waren aus dunkelblauem Samt, und die dunklen massiven Möbel waren gerade in Mode gekommen. Ein dicker, vornehmlich blauer Aubusson-Teppich bedeckte fast den gesamten Boden, und ein warmes Feuer züngelte in dem großen, verzierten Kamin.

Das Gemach war beinahe genauso prachtvoll wie der Duke selbst in seiner maßgeschneiderten Abendgarderobe. Er trug einen schwarzen Frackrock, schwarze Pantalons und eine Weste aus edlem Silberbrokat über dem schneeweißen Hemd. An seinem Halstuch glitzerte ein Diamantenanstecker.

Es hieß, dass die Geliebten dieses glorreichen Dukes zu den schönsten Frauen des Landes zählten.

„Ich bin weder hässlich noch schön. Ich bin einfach eine Frau.“ Georgiannas Hände zitterten heftig, während sie den schwarzen Schleier abnahm.

„Dann ist mir nicht ersichtlich, warum Sie glauben, dass ich den Anblick nicht mö…“ Zachary hörte auf zu sprechen, als sie den Schleier komplett entfernte und er zum ersten Mal in das Gesicht dieser Frau blicken konnte.

Sie hatte ihn angelogen, denn hübsch war sie ohne jeden Zweifel – sogar sehr hübsch. Ihr Haar war rabenschwarz – genauso wie die Haube, die sie tief in die Stirn gezogen hatte. Ihre Augen waren verdeckt von ihren Wimpern, die so lang und dunkel waren, wie er es noch nie gesehen hatte. Ihre Nase war kurz und gerade. Am schönsten war ihr herrlicher Mund: die Lippen voll und sinnlich, sodass sich ihm die Vorstellung, sie zu küssen, förmlich aufdrängte. Ihm kamen da noch ganz andere sinnliche Vergnügungen in den Kopf.

Das war sein erster Gedanke. Sein zweiter war ein vollkommen anderer, als er das blasse Gesicht, diesen unglaublichen Mund stirnrunzelnd musterte. „Kenne ich Sie?“

Beinahe hätte Georgianna laut aufgelacht, als Zachary – ausgerechnet Zachary – ihr diese Frage stellte.

War das sein Ernst?

Es war nicht nur höchst beleidigend, dass er sie anscheinend gar nicht wiedererkannte, sondern auch demütigend, denn die Mühe mit dem Schleier hätte sie sich unter diesen Umständen durchaus sparen können. Sie war sich sicher gewesen, dass dieser Mann sie nur einmal kurz ansehen musste, um sich zu erinnern, dass – und woher – er sie kannte.

„Wenn Sie sich den vergangenen April ins Gedächtnis rufen würden, Euer Gnaden, würde das Ihrer Erinnerung vielleicht auf die Sprünge helfen“, entgegnete sie sarkastisch und straffte die Schultern.

„Vergangenen April?“ Zachary kniff die Augen zusammen, während er sie näher betrachtete. „Nehmen Sie Ihre Haube ab“, wies er sie schroff an.

Sie ließ die Schultern wieder sinken, während sie zum ersten Mal ohne den verhüllenden Schleier zu ihm aufsah und die Farbe ihrer Augen offenbarte: so dunkelblau wie blühende Veilchen im Frühjahr.

Unvergesslich schöne Augen, auch wenn das restliche Erscheinungsbild dieser Frau sich – abgesehen von dem verführerischen Mund – so sehr verändert hatte, dass sie nicht wiederzuerkennen war.

Wenn die junge Frau tatsächlich die Person war, für die Zachary sie hielt, war sie bei ihrem letzten Zusammentreffen eine gut beleibte Dame von gut ein Meter fünfzig gewesen. Damals hatte sie rosige, runde Wangen und üppige Brüste gehabt. Bei ihrem Anblick hatte er sich unvermittelt vorgestellt, wie es wäre, ihre kurvenreichen Hüften zu umfassen, während er ihre weichen Oberschenkel auseinanderdrückte und tief in sie eindrang.

Jetzt wirkte sie so zart, dass ein Windhauch sie hätte umwehen können. Da Zachary sie die Treppe hochgetragen hatte, wusste er, dass sie tatsächlich nicht schwerer war als ein zehnjähriges Kind. Ihre Haut sah über dem schwarzen Kleid, das bis zum Hals zugeknöpft war, ungemein blass aus. Ihre Brüste waren klein, Taille und Hüfte schlank – genauso wie die wohlgeformten Waden und Knöchel, auf die er zuvor einen flüchtigen Blick geworfen hatte.

Sie seufzte. „Langsam werde ich Ihrer Anweisungen etwas überdrüssig, Hawksmere.“

„Langsam, aber sicher werde ich Ihres Zögerns überdrüssig“, gab er verärgert zurück.

„Wenn Sie vielleicht ab und zu einmal das Wort ‚bitte‘ benutzen würden – insbesondere im Umgang mit einer Frau –, würden Sie vielleicht mehr Erfolg mit Ihren Aufforderungen haben.“ Sie begann, die Bänder unter ihrem hervorgereckten Kinn zu lösen.

Zachary hielt die Hände mittlerweile so verkrampft zu Fäusten geballt, dass sich die kurzen Fingernägel in seine Haut zu bohren drohten. „So höflich bin ich nur zu Frauen, die sich nicht mithilfe von falschen Angaben und Lügen Zugang zu meiner Kutsche verschaffen. Jetzt legen Sie endlich die verdammte Haube ab.“

An der unbeherrschten Art, wie er sprach, erkannte Georgianna, dass er nun am Ende seiner Geduld angekommen war. Sie hatte ihn an seine Grenze oder vielleicht auch darüber hinaus getrieben, denn in den grauen Augen in seinem rauen, ansehnlichen Gesicht funkelte es gefährlich. Die Hände an seinen Seiten ballte er immer wieder zu Fäusten, als müsste er dem Drang widerstehen, ihr an die Gurgel zu springen.

Wenn er sie mittlerweile erkannt haben sollte, würde er zweifellos nicht wenig Lust dazu verspüren.

Herausfordernd sah Georgianna ihn an, als sie sich schließlich die Haube vom Kopf zog. Das dichte lockige Haar, das so schwarz wie Ebenholz war, trug sie hochgesteckt. Ein paar kürzere Lockensträhnen zierten ihre Schläfen und ihren eleganten Hals.

„Da sieh mal einer an.“ Hawksmere bedachte sie mit einem raubtierhaften Lächeln und hielt den Blick fest auf Georgiannas Gesicht gerichtet, während er langsam am Fußende des Bettes auf und ab schritt. Den sehnigen, muskulösen Körper bewegte er dabei so würdevoll wie ein gefährliches, sich an seine Beute heranschleichendes Raubtier. „Wenn das nicht Lady Georgianna Lancaster höchstpersönlich ist. Oder vielleicht sollte ich nun besser Madame Rousseau sagen?“, fügte er verächtlich hinzu.

Dieser Mann, Zachary Black, der arrogante Duke of Hawksmere, wusste spätestens jetzt ganz genau, wer sie war.

Sie spürte, wie ihr alles Blut aus den Wangen wich und ihr Herz wieder wie wild in ihrer Brust schlug, während in den grauen Augen des Dukes ein kalter, unbarmherziger und unversöhnlicher Groll stand.

Seine wütende Miene wich jedoch einer beißenden Genugtuung, als er ihren bekümmerten Gesichtsausdruck als Antwort auf seine Frage deutete. „Also hat Ihr galanter Franzose Sie am Ende doch nicht geheiratet, sondern Sie lediglich als Bettvorwärmer benutzt“, rief er aus, hielt inne und ließ sich unvermittelt auf den Stuhl neben dem Kamin fallen. Keinen Moment hörte er auf, Georgiannas totenbleiches Gesicht mit seinen teuflischen Augen zu fixieren.

Eine eisige Kälte breitete sich in Georgiannas Brust aus. Ihre Glieder fühlten sich schwer an – ihre Lippen waren wie betäubt. Sie wusste nicht, ob sie jemals wieder sprechen könnte, selbst wenn sie es versuchen würde.

Doch sie wollte es gar nicht versuchen, denn sie verdiente die Verachtung, mit der Hawksmere sie jetzt strafte.

Dass er sie jedoch ohne Weiteres in sein Schlafgemach getragen und sie dazu gezwungen hatte, ihre Identität preiszugeben, hätte nicht passieren dürfen.

Sie hatte geplant, Hawksmere unter dem Deckmantel der Anonymität in seiner Kutsche zu treffen, ihr Gesuch vorzutragen und wieder in die dunkle Nacht zu entschwinden. Anschließend hätte sie auf seine Antwort gewartet. Mehr hätte sie von Hawksmere nicht erwarten können – nach allem, was vor zehn Monaten geschehen war. Dessen war sie sich vollkommen bewusst.

„Ist denn Ihr französischer Verehrer nicht mit Ihnen nach England gekommen?“, fragte Hawksmere scheinbar gelassen.

Georgianna atmete tief ein. „Sie wissen doch ganz genau, dass er das nicht getan hat.“

Er zog seine dunklen Brauen hoch. „Woher sollte ich das bitte schön wissen?“

„Spielen Sie nicht Katz und Maus mit mir, Euer Gnaden. Schließlich bin ich hier und jetzt nicht in der Lage, Ihren Grausamkeiten etwas entgegenzusetzen.“

Zachary spürte, wie der Zorn in ihm hochkochte. Trotz der äußeren Ruhe hatte er insgeheim große Lust, auf etwas oder jemanden einzuschlagen. Am liebsten hätte er seine Wut und seinen Frust über diese Situation an einem lebenden Wesen ausgelassen.

Natürlich nicht an Georgianna Lancaster. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie eine Frau geschlagen, und jetzt würde er nicht damit anfangen. Niemals würde er Hand an diese zarte Alabasterhaut legen, auch wenn seine Wut mehr als gerechtfertigt war.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber sie ist es tatsächlich, stellte Zachary ungläubig fest, während er sie weiterhin aus zusammengekniffenen Augen betrachtete. Kein Wunder, dass er sie nicht sofort erkannt hatte, war sie doch viel blasser und dünner als im vergangenen Jahr. Auch ihre schönen Augen glänzten nicht mehr vor überschäumender Lebenslust.

Wegen der Enttäuschung über ihren einstigen Liebhaber aus Frankreich?

Wenn das stimmt, hat sie genau das bekommen, was sie verdient hat, dachte Zachary kalt. Ernüchterung. Verrat.

Es sei denn …

„Wann sind Sie dahintergekommen, dass Ihr Liebhaber nicht der französische Zuwanderer war, der er bei seiner Ankunft in England vorgab zu sein? Wann entdeckten Sie, dass er in Wahrheit ein Spion im Dienste Napoleons war?“ Zachary machte seinem Ärger lieber mit stichelnden Fragen Luft, statt mit körperlicher Gewalt. „Dass sein Name gar nicht Duval war, sondern Rousseau?“

„Nicht früh genug.“ Tränen strömten ihr nun über ihre blassen, eingefallenen Wangen.

Nicht früh genug.

Zachary wusste genau, worauf sie sich bezog. „Glauben Sie, dass er jemals die Absicht verfolgte, Sie zu heiraten?“, fragte er abfällig. „Oder hat er Sie von Anfang an nur benutzt, um seine wahre Identität zu verbergen?“

„Was sind Sie doch für ein gehässiger Mensch.“ Georgianna barg das Gesicht in ihren Händen, als erneut eine Flut von Tränen aus ihr herausbrach. Sie schluchzte schwer und wusste zugleich, dass Hawksmeres Ärger, seine Verachtung und sein Abscheu vollkommen berechtigt waren.

Denn sie hatte tatsächlich Schande über sich gebracht. Sie war nicht mehr als eine verliebte Närrin gewesen – genauso wie Hawksmere sie zuvor beschrieben hatte.

Eine junge, romantische Närrin, die geglaubt hatte, dass André sie lieben und mit ihr durchbrennen würde, um sie zu heiraten. Dass er ihr Retter sei, der sie vor der Aussicht einer lieblosen Ehe bewahrt habe. Nach ihrer Ankunft im unüberschaubaren Paris, das nach Napoleons Kapitulation im Chaos versunken war, musste sie jedoch feststellen, dass ihr Geliebter nie vorgehabt hatte, sie zur Frau zu nehmen.

Darüber unterrichtete André sie auch sofort, nachdem er sicher in seinem Heimatland angekommen war. Ohne Zeit zu vergeuden, hatte er ihr mitgeteilt, dass das gemeinsame Weglaufen nur eine Farce gewesen sei, um seine wahren Beweggründe für die überstürzte Flucht aus England zu vertuschen.

Mit Sicherheit war Hawksmere als Agent für die englische Krone darüber genauestens im Bilde. Nicht weil es für ihn noch von Bedeutung gewesen wäre, was aus ihr geworden war, sondern weil André und seine Verbündeten Bonapartisten waren, die England im Augen behalten musste.

„Wie Sie persönlich über mich denken, hat im Hinblick auf die wichtigen Informationen, die ich in Frankreich gesammelt habe, keine Bedeutung“, versicherte sie dem Duke matt.

„Frankreich?“

„Ja.“

Er zuckte mit den breiten Schultern – die Ellbogen auf die Armlehnen seines Stuhls gestützt und die Fingerspitzen vor seinem teuflisch schönen Gesicht aneinandergehalten.

„Diese Informationen sind wertlos, denn Ihrem Wort ist nicht zu trauen. Sie könnten jetzt selbst eine Spionin sein, die der englischen Regierung im Auftrag ihres Geliebten falsche Informationen zuspielen möchte.“

Georgianna weitete bei der Unterstellung die Augen. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich eine treue Untergebene Englands bin.“

„Eine, die in den letzten zehn Monaten freiwillig mit ihrem Liebhaber in Frankreich gelebt hat.“

„Ich habe André Rousseau seit vielen Monaten weder gesehen noch gesprochen“, entgegnete Georgianna hitzig.

Zuerst war sie zu krank gewesen, um Frankreich verlassen zu können. Selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre eine Abreise unmöglich gewesen, da ihr das Geld dazu gefehlt hatte. In Wahrheit wollte sie gar nicht abreisen, da in England niemand auf sie wartete. In den Augen der Gesellschaft hatte sie Schande über ihre ganze Familie und sich selbst gebracht.

Sie war sich sicher, dass ihre Familie nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, nachdem sie mit André durchgebrannt war.

Daher war sie in Frankreich geblieben und hatte die ganze Zeit über Augen und Ohren offen gehalten, um zu erfahren, welche Verschwörungen auf den Straßen und in den Geschäften und Tavernen der Stadt geplant wurden. Sie handelten von der Befreiung Napoleons von der Mittelmeerinsel Elba, wo er über lediglich zwölftausend Seelen herrschte.

Nur deshalb habe ich den Duke of Hawksmere überhaupt aus freien Stücken aufgesucht, rief sie sich ins Gedächtnis.

„Nein?“ Der Duke musterte sie höhnisch.

„Ich geben Ihnen mein Wort.“

„Gerade ich habe guten Grund, an Ihrem Wort zu zweifeln, Georgianna.“

Sie seufzte. „Ihr Misstrauen mir gegenüber ist verständlich.“

„Zu freundlich, dass Sie das so sehen“, sagte Hawksmere sarkastisch.

Das Blut schoss ihr bei der verdienten Zurechtweisung in die Wangen. „Ich bin mir durchaus darüber bewusst, dass ich Ihnen unrecht getan habe.“

„Nicht mir haben Sie unrecht getan, Madam, sondern sich selbst. Sie haben sich ganz allein in Ungnade gebracht.“ Abrupt stand Zachary auf und trat zum Fenster, um auf den Park weiter unten zu schauen. Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals in solch einer merkwürdigen und lächerlichen Lage befunden zu haben.

Hier stand er, der mächtige Duke of Hawksmere, der von der Elite des ton und der Gesellschaft im Allgemeinen gefeiert und hofiert wurde, allein mit Lady Georgianna Lancaster in seinem Schlafgemach. Damals hatte sich diese Frau so schandhaft verhalten, dass ihr wohl jede Tür in der Gesellschaft verschlossen bleiben würde, wenn die Öffentlichkeit davon erführe.

Zachary war davon überzeugt, dass die junge Frau unter keinen Umständen je aus freien Stücken sein Schlafgemach betreten hätte.

Auch jetzt ist sie nicht freiwillig hier, sondern ich habe sie hierher geschleppt, dachte er. Wie einen Sack Kohle hatte er sie sich über die Schulter geworfen und ihren entrüsteten Protest dabei vollkommen ignoriert.

Denn Zachary hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, wer sie war. Woher hätte er wissen sollen, dass sich unter dem Schleier und der Haube Georgianna Lancaster verbarg?

Und wenn er es gewusst hätte?

Hätte er sich anders verhalten?

Aufgrund ihrer Identität, ihrer Geschichte und ihrer Verbindung mit André Rousseau war es für Zachary unmöglich, sie einfach zu ignorieren. Dasselbe galt für die Informationen, die sie ihm zukommen lassen wollte.

„Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich Ihnen in der Vergangenheit unrecht getan habe.“

„Ihre Entschuldigung interessiert mich kein bisschen, Georgianna – weder in Bezug auf die Vergangenheit noch auf die Gegenwart“, versicherte Zachary ihr in vernichtendem Ton, während er sich zu ihr umdrehte. Sein kühler Gesichtsausdruck ließ nichts von der Betroffenheit erahnen, die er darüber empfand, wie sehr sie sich in den letzten zehn Monaten verändert hatte.

Georgianna Lancasters Gesicht war nicht mehr so rosig wie einst, sondern leichenblass. Ihre veilchenblauen Augen erschienen jetzt dunkel und ruhelos, ihre Alabasterhaut über den zarten Wangenknochen wirkte fahl. Die Frau schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen.

Weil ihr französischer Liebhaber sie fallen gelassen hatte, wie sie behauptete?

Oder weil sie tage- oder wochenlang unter großer Anspannung gestanden hatte, weil sie im Auftrag ihres Geliebten einen ungeheuerlichen Betrug durchführen sollte?

Zachary war sich im Klaren darüber, dass das vermeintliche Zerwürfnis zwischen Georgianna Lancaster und André Rousseau vorgetäuscht sein könnte. Es war möglich, dass sie nur nach England zurückgekehrt war, um die Anweisungen ihres Liebhabers zu befolgen und falsche Informationen an die englische Regierung weiterzugeben.

Georgianna reckte das Kinn. Sie war fest entschlossen, Zachary Black dazu zu bringen, ihr zuzuhören – egal, ob er es wollte oder nicht. Dem blanken Hohn und der Verachtung in seinen kalten grauen Augen nach zu urteilen, war er alles andere als dazu gewillt.

Sie senkte den Blick, um jener Geringschätzung nicht länger standhalten zu müssen. „Wie gesagt: Ich habe wichtige Informationen.“

„Welche?“, stieß er ungeduldig hervor, nachdem sie verstummt war.

„Bonaparte plant, Elba in Kürze zu verlassen und als Kaiser nach Frankreich zurückzukehren.“

Er zuckte mit den breiten Schultern. „Schon seit er auf Elba im Exil sitzt, kursieren Gerüchte darüber, dass er zu fliehen plant oder bereits geflohen ist.“

„Oh“, murmelte Georgianna matt, bevor sie sich wieder sammelte. „Aber diesmal entspricht es der Wahrheit.“

„Das behaupten Sie.“

Angesichts seines gelangweilten Tons erhob sie ein wenig die Stimme. „Sie müssen mir glauben.“

„Meine liebe Lady Georgianna, wenn es um Sie geht, muss ich gar nichts“, versicherte ihr der Duke leise, während er langsam durch das Schlafgemach ging, bis er wieder neben dem Bett stand. „Ich frage mich, was Ihr Liebhaber Ihnen als Nächstes aufgetragen hat“, meinte er im Plauderton und setzte sich neben sie auf das Bett. „Sollen Sie mich verführen, falls Sie bei mir auf Widerstand stoßen, um mein Vertrauen zu gewinnen?“

Georgianna konnte ihn nur mit großen Augen anstarren, während eine bange Vorahnung von ihr Besitz ergriff. Er saß jetzt gefährlich nahe neben ihr, seine muskulösen Oberschenkel trennten nur wenige Zentimeter von ihren. So dicht saß er bei ihr, dass sie seine Wärme spüren, seinen Duft nach Zitronen, Sandelholz, Brandy und Zigarren wahrnehmen konnte.

So nahe, dass sie jetzt die schwarzen Kreise in seinen grauen Augen erkennen konnte. Immer noch blickte er sie verächtlich an. Sie bemerkte, dass er um die Mundwinkel herum leicht angespannt wirkte. Die obere seiner schön geschwungenen Lippen hatte er leicht gekräuselt, wahrscheinlich weil Georgianna ihn so offenkundig abstieß. Jene bleiche Narbe an seinem Hals war wie eine Warnung, die sie daran erinnerte, wie gefährlich dieser Mann war.

Als wollte er jene Gefahr, die von ihm ausging, unterstreichen, verzog er den Mund zu einem leichten, schamloses Grinsen.

„Fangen Sie an, wann immer es Ihnen beliebt, Georgianna.“

Ihr wurde immer banger zumute, während sie nur Geringschätzigkeit in seinen kalten grauen Augen ausmachen konnte. „Ich habe nicht vor, Sie zu verführen.“

„Nein?“, fragte er gedehnt. „Schade. Zumindest wäre es unterhaltsam gewesen, zu sehen, was Ihr Franzose Ihnen im vergangenen Jahr alles beigebracht hat.“

„Ich sagte Ihnen bereits, dass ich seit Monaten nicht mehr mit André gesprochen habe.“

„Und das soll ich Ihnen glauben?“, entgegnete der Duke überheblich. „Ihrem Wort trauen?“ Er lachte höhnisch. „Ich soll einer Frau trauen, von der ich weiß, dass die Begriffe Ehre und Vertrauen keinerlei Bedeutung für sie haben?“

Er wirkte so eiskalt, dass Georgianna zusammenfuhr. „Ich war jung und dumm, als Sie mich das letzte Mal gesehen haben.“

„Es ist gerade einmal zehn Monate her“, unterbrach er sie hart. „Wieso sollte ich annehmen, dass Sie sich in so kurzer Zeit so sehr verändert hätten? Dass Ihrem Wort jetzt zu trauen wäre? Noch vor wenigen Monaten haben Sie, ohne zu zögern, Schande über Ihre Familie und sich selbst gebracht, um mit Ihrem französischen Liebhaber durchzubrennen.“

Jedes seiner verletzenden, zu Recht gesprochenen Worte fühlte sich wie ein Peitschenhieb auf Georgiannas Haut an. Aus ihren Augen strömten wieder heiße Tränen, sie erzitterte bei jedem einzelnen, präzise ausgeführten Schlag auf ihren empfindsamen Körper.

Erschöpft schüttelte sie den Kopf, ohne die Tränen zu beachten, die ihr immer noch über die Wangen liefen. „Ich bitte Sie, glauben Sie mir: Diese Informationen haben nichts mit meinem früheren Verhalten zu tun. Sie sind von größter Wichtigkeit und Dringlichkeit, denn Bonaparte will Elba schon bald verlassen und wieder zu den Waffen greifen.“

„Wann genau?“

Sie senkte den Blick. „Wenn Sie es in die Wege leiten könnten, dass ich mit jemandem sprechen könnte …“

„Mir wollen Sie diese Informationen nicht anvertrauen?“ Ungläubig zog er die Brauen hoch.

„Verzeihen Sie, aber ich habe in den letzten zehn Monaten gelernt, dass man niemandem vollkommen vertrauen kann“, antwortete sie leise.

Zachary musterte sie aus zusammengekniffenen Augen, während er bei dem Anblick der Tränen, die immer noch über ihre blassen, eingefallenen Wagen liefen, sein Herz verschloss. Er rief sich ins Gedächtnis, dass diese Frau ohne Weiteres ihren Vater und ihren zukünftigen Gatten verraten hatte, um mit dem französischen Hauslehrer ihres jüngeren Bruders davonzulaufen.

Vielleicht stimmte es, dass sie André Rousseau seit Monaten nicht gesehen hatte. Wenn sie tatsächlich immer noch unverheiratet war, bereute sie ihre Taten mittlerweile bestimmt bitterlich.

Andererseits war es ebenso möglich, dass alles nur eine List des Franzosen war.

Wenn Ersteres stimmte, dann wäre Zachary nicht persönlich davon betroffen. Georgianna hatte ihre Wahl getroffen und musste jetzt damit leben. Von viel größerem Interesse waren hingegen die wenigen Informationen, die Georgianna Lancaster bereits bezüglich Napoleons Flucht von Elba preisgegeben hatte.

Auch wenn er ihr etwas anderes gesagt hatte – Gerüchte über Napoleons Fluchtpläne wurden immer geprüft.

Er atmete tief durch die Nase ein.

„Ich habe nicht vor, irgendjemanden über Ihre Rückkehr nach England zu unterrichten, solange Sie mir nicht alles erzählt haben, was Sie wissen.“

„Bitte.“

„Die arme, verlorene Georgianna“, spottete Zachary über den schmerzerfüllten Ausdruck auf ihrem schönen Gesicht, während er langsam die Hand hob und mit der Fingerspitze eine ihrer Tränen aufnahm. Neugierig betrachtete er jene Träne, bevor er sie auf den Teppich zu seinen Füßen fallen ließ und sich wieder Georgianna zuwandte. „Haben Sie ernsthaft geglaubt, dass es so einfach wäre, mich von Ihrer Aufrichtigkeit zu überzeugen? Dass ich mir Ihre Informationen nur anzuhören bräuchte, um loszustürmen und ein Treffen mit einem Regierungsvertreter für Sie zu vereinbaren?“

Sie schluckte. „Das müssen Sie tun.“

„Ich muss gar nichts! Das habe ich Ihnen doch schon gesagt, Georgianna“, erwiderte Zachary aufgebracht, um Fassung ringend. Dass er die Selbstbeherrschung verlor, passierte ihm fast nie. Der innere Aufruhr, der jetzt in ihm tobte, war ein Beweis dafür, dass er immer noch großen Groll gegen diese Frau hegte. „Was haben Sie in den letzten zehn Monaten wirklich getan?“, fragte er missmutig.

Sie blinzelte. „Ich erzählte es Ihnen bereits. Nachdem André … Als ich erfuhr, dass er mich lediglich benutzt hat, blieb mir keine andere Wahl, als ihn zu verlassen.“

Es ging nicht unbemerkt an Zachary vorbei, dass sie es vermied, ihn aus ihren veilchenblauen Augen anzusehen. Ein Zeichen dafür, dass sie log? „Was haben Sie danach gemacht? Wie haben Sie sich ohne Geld und – wie Sie behaupten – ohne das wärmende Bett Ihres Liebhabers in Frankreich durchgeschlagen, Georgianna?“

„Das behaupte ich nicht bloß.“

„Ich fürchte schon.“

Nachdenklich sah Georgianna den Duke an. Keinen Moment ließ sie sich von seinem ruhigen, ausgeglichenen Ton hinters Licht führen. „Was wollen Sie damit sagen?“

Eisig schaute er sie an. „Ich meine, dass Ihre Geschichte nicht stimmig ist: Rousseau hätte Ihnen nie erlaubt, ihn zu verlassen.“

Georgianna fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, die sich plötzlich trocken anfühlten, bevor sie heiser antwortete: „Wie kommen Sie darauf?“

Er lachte hämisch. „Meine liebe Georgianna, wenn Sie tatsächlich nur die närrische Verliebte waren, wie Sie behaupten, dann hätte Rousseau Sie umbringen müssen, als Sie für ihn nicht mehr von Nutzen waren. Sie wussten zu viel über ihn, als dass er Sie hätte gehen lassen können.“

Scharf sog sie die Luft ein. Alle Farbe wich ihr aus den Wangen, und sie spürte ein Brennen in der Brust und an der Schläfe – eine Erinnerung daran, was André ihr angetan hatte.

Unter dem lähmenden Gefühl der Enttäuschung zuckte sie immer noch zusammen. Auf überaus brutale und beängstigende Art und Weise hatte sie feststellen müssen, dass sie für André nie wichtig gewesen war, sondern dass er sie benutzt hatte. Wie entsetzt und zutiefst verzweifelt sie gewesen war, als sie herausgefunden hatte, dass André sich ihrer entledigen wollte. Er war mit ihr aus der Stadt herausgefahren, um sie zu töten.

Dass er es nicht geschafft hatte, war reiner Zufall gewesen.

Die Narben, die Georgianna – sowohl körperlich als auch seelisch – davongetragen hatte, zeugten von dem, was ihr widerfahren war.

Von dem getriebenen Ausdruck auf Georgiannas totenbleichem Gesicht blieb Zachary unberührt. Ihr Durchbrennen mit André Rousseau und das Geheimnis um ihren Aufenthaltsort und ihre Taten in den vergangenen zehn Monaten machten es ihm unmöglich, ihr Glauben zu schenken.

Ja, ihr Mund ist immer noch hübsch und sinnlich, dachte er mit Bedauern. Einst hatte er sich vorgestellt, wie dieser Mund wilde und wunderbare Dinge mit seinem Körper anstellen würde …

Ruckartig stand Zachary auf. „Glücklicherweise obliegt nicht mir die Entscheidung, ob Ihre Informationen der Wahrheit entsprechen oder nicht.“

„Wem obliegt sie dann?“

Grimmig blickte Zachary sie an. „Anderen Herren, die nicht so sanftmütig sind wie ich.“

„Ich verstehe nicht.“

„Das werden Sie schon noch, Georgianna.“ Zachary spürte, wie der Zorn wieder in ihm hochkochte, als sie ihn immer ungläubiger aus ihren veilchenfarbenen Augen ansah. „Glauben Sie mir, Sie werden es schon noch verstehen.“

Angsterfüllt schaute sie ihn an. „Sie können doch nicht … Wollen Sie damit sagen, dass man mich foltern wird, um herauszufinden, ob ich die Wahrheit sage?“

„Die englische Regierung bedient sich nicht der Folter, Georgianna.“ Zachary verzog den Mund zu einem breiten, unnachgiebigen Grinsen. „Zumindest nicht offiziell“, fügte er leise hinzu.

„Sie wollen mir nur Angst einjagen“, warf sie ihm entrüstet vor.

„Und, habe ich Erfolg?“, fragte er spöttisch.

„Das wissen Sie ganz genau.“ Mit ihren dünnen Fingern umklammerte sie eines der Kissen.

„Sie Ärmste“, sagte Zachary ironisch. „Wissen Sie überhaupt schon von dem Tod Ihres Vaters?“, fragte er unbarmherzig.

„Ja. Ich habe es gestern nach meiner Rückkehr nach England erfahren.“ Sie schluckte. „Ich … Wissen Sie, wie es Jeffrey geht?“

„Es geht ihm gut, glaube ich. Da er den Titel geerbt hat, ist er natürlich nicht mehr nach Cambridge gegangen, doch seine Pflichten als Earl of Malvern erfüllt er mithilfe seines Vormundes auf äußerst zufriedenstellende Weise.“

„Wer um alles in der Welt ist …“

„Ihre Sorge um Ihren Bruder in allen Ehren, Georgianna, aber es wird weder mich noch andere von dem Verdacht ablenken, dass Sie jetzt eine Spionin von Napoleon sind.“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn ich daran denke, dass die Situation vor nur zehn Monaten vollkommen umgekehrt war. Wenn Sie nicht davongerannt wären, könnte all das jetzt Ihnen gehören.“

Mit all dem spielte er – wie Georgianna wusste – auf die Häuser und Grundstücke von Hawksmere, den Titel der Duchess und sich selbst als Ehemann an.

All das hätte sicherlich ihres sein können, wenn sie die Verlobung, in die ihr Vater in ihrem Namen eingewilligt hatte, aufrechterhalten und Zachary Black, den unnahbaren und rätselhaften Duke of Hawksmere, geheiratet hätte.

Natürlich träumte jedes Mädchen davon, einen Heiratsantrag von einem Duke zu bekommen, die Duchess an seiner Seite und von der Gesellschaft hofiert und bewundert zu werden.

Vielleicht wäre es auch Georgiannas Traum gewesen, wenn ihr Vater sie in die Entscheidung einbezogen hätte. Stattdessen hatte er Hawksmeres Antrag einfach angenommen, ohne es mit ihr zu besprechen, und sie damit förmlich herausgefordert, sich stur zu stellen.

Vielleicht hätte sie diesen Traum verwirklicht, wenn sie daran geglaubt hätte, es aushalten zu können, mit so einem kalten und überheblichen Mann wie Hawksmere verheiratet zu sein – einem Mann, der sie zweifellos nicht liebte.

Wenn sie nicht wie eine hoffnungslose Romantikerin der Meinung gewesen wäre, sich bereits Hals über Kopf in einen anderen verliebt zu haben – einen mittellosen Hauslehrer, dessen Lebensumstände Eindruck auf ihr junges und allzu unschuldiges Herz gemacht hatten. Von dem sie geglaubt hatte, dass er verliebt in sie sei.

Im Gegensatz zu diesem Mann, Zachary Black, dem eiskalten, unerschütterlichen Duke of Hawksmere, der sie nie geliebt, sondern nur um ihre Hand angehalten hatte, weil sie die bestens geeignete und gefügige neunzehnjährige Tochter des Earl of Malvern war.

3. KAPITEL

Georgianna war geschmeichelt, jedoch auch erschrocken gewesen, als ihr Vater ihr voller Stolz berichtet hatte, dass sie einen Heiratsantrag vom vermögenden und mächtigen Duke of Hawksmere bekommen und er ihn bereits für sie angenommen hatte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Georgianna noch nie mit Hawksmere gesprochen und ihn in den vergangenen Saisons nur selten auf Veranstaltungen des ton aus der Ferne gesehen. Der hochtrabende Gentleman zog die Klubs und die Gesellschaft seiner engsten Freunde den gesellschaftlichen Festlichkeiten vor, auf denen es weitaus förmlicher und weniger schwungvoll zuging.

Doch selbst aus der Ferne hatte Hawksmere einen einschüchternden Eindruck auf sie gemacht. Er war einunddreißig Jahre alt, wohingegen sie gerade erst ihren neunzehnten Geburtstag gefeiert hatte. Allerdings war ihre Unterschiedlichkeit nicht nur in Bezug auf ihr Alter, sondern auch auf ihre Lebenserfahrung offensichtlich.

Eine kühle Verachtung ging von ihm aus, weshalb sich die Gäste auf solchen Veranstaltungen unwohl in seiner Gegenwart fühlten. Die schreckliche Wunde an seinem Hals ließ Georgianna jedes Mal, wenn sie auch nur einen flüchtigen Blick auf den Duke warf, erschaudern, und sie dachte unwillkürlich an die rohe Gewalt, für die solch eine Verletzung stehen musste.

Die bloße Vorstellung, mit diesem herablassenden, unnahbaren und angsteinflößenden Mann verheiratet zu sein, erfüllte ihr junges, romantisches Herz mit Furcht – insbesondere da sie noch nicht einmal miteinander gesprochen hatten. Auch fiel Georgianna nur ein einziger Grund für den Heiratsantrag ein: Da sie die einzige Tochter des Earl of Malvern war, hielt Hawksmere sie sicherlich für eine passende Ehefrau, die ihm seine zukünftigen Erben schenken sollte.

Bei der Vorstellung, intim mit solch einem furchterregenden Mann wie Hawksmere werden zu müssen, begann Georgiannas Herz vor Angst wie wild zu schlagen.

Abgesehen davon war sie bereits seit mehreren Monaten verliebt – und zwar in André Duval, den gut aussehenden, charmanten, blonden und blauäugigen Zuwanderer aus Frankreich. Aus Mitleid hatte ihr Vater ihn bei sich aufgenommen, damit er ihrem jüngeren Bruder Jeffrey dabei half, sich auf seinen Studienbeginn in Cambridge vorzubereiten.

Nur wenige Wochen später hatte dieser charmante, blonde und blauäugige Franzose sie ungerührt in einen Wald bei Paris gefahren – mit der Absicht, sie zu töten.

Tränen der Demütigung sammelten sich erneut in Georgiannas Augen, als sie zu Hawksmere aufsah. „Wie ich schon sagte, ich war sehr jung und dumm.“ Ihre Stimme klang matt.

„Und jetzt sind Sie so viel älter und klüger“, spottete Hawksmere.

„Ja.“ Dieser Mann hatte keine Ahnung, wie viel älter und klüger sie jetzt war. Sogar eine lieblose Ehe mit ihm wäre dem, was sie erlebt hatte, vorzuziehen gewesen.

Mitleidig schaute er sie an. „Sie werden es mir hoffentlich verzeihen, wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen nicht glaube.“

„Sie haben es doch gar nicht nötig, um Verzeihung zu bitten – mich am allerwenigsten. Sie können tun und lassen, was Sie wollen.“ Seufzend bewegte sie sich zur Bettkante, um aufzustehen. „Also gut, Hawksmere. Leiten Sie alles in die Wege, um mich zu Ihren Folterknechten zu bringen. Beenden wir dieses Schauspiel.“

Während Zachary sie aus zusammengekniffenen Augen ansah, konnte er nicht umhin, eine gewisse Bewunderung für ihre gefasste, würdevolle Haltung zu empfinden. Ihre Ruhe und Würde hatten nichts mit der leichtfertigen, kurvenreichen und jungen Georgianna Lancaster von vor zehn Monaten gemein.

Auf dem Ball der Duchess of St Albans hatte Zachary gar nicht bewusst nach einer zukünftigen Braut Ausschau gehalten. Er wollte sich lediglich kurz blicken lassen, da die Duchess eine Freundin seiner verstorbenen Mutter war. Aus Höflichkeit gegenüber dieser Dame wollte er eine Stunde auf dem Ball bleiben, bevor er zu einem anderen Ort aufbrechen würde, wo ihm aufregendere Vergnügungen geboten wurden.

Tatsächlich war er gerade im Begriff, zu gehen, als Georgianna Lancaster in den Armen eines jungen Gentlemans an ihm vorbeitanzte. Selbst damals waren ihm zuallererst ihre Augen aufgefallen.

Solch eine Augenfarbe hatte Zachary nie zuvor gesehen. Lange Wimpern umrahmten veilchenblaue, beinahe violette Augen, mit denen sie den jungen Herrn, der sie durch den Ballsaal wirbelte, anstrahlte.

Erst nach mehreren Minuten konnte Zachary den Blick von diesen Augen nehmen und sich ihre wunderbar vollen, sinnlichen Lippen, die Rundungen ihrer üppigen, cremefarbenen Brüste unter dem Kleid und ihre kurvenreichen Hüften anschauen. Überrascht stellte Zachary fest, wie stark sein Körper auf diesen Anblick reagierte, wie sehr er ihn erregte.

Für gewöhnlich warf er – wenn überhaupt – nur einen flüchtigen Blick auf die jungen Debütantinnen, die jedes Jahr in die Gesellschaft eingeführt wurden. Vor langer Zeit hatte er entschieden, dass sie alle nichts als sinnloses Geschwätz von sich gaben und lediglich auf der Suche nach einem adeligen, vermögenden Gatten waren. Er war davon überzeugt, dass keine von ihnen in ihrem Leben je einen vernünftigen Gedanken gefasst hatte.

Zwar sah Georgianna Lancaster genauso oberflächlich wie ihre Altersgenossinnen aus, doch wenigstens sprach sie seine Männlichkeit an – keine unerhebliche Eigenschaft, wenn sie ihm einen Erben schenken sollte. In diesem Moment beschloss er, dass sich die Tochter des Earl of Malvern genauso gut wie jede andere als Mutter seiner Erben eignen würde.

Er redete sich sogar ein, dass ihre Jugend einer älteren, anspruchsvolleren Frau vorzuziehen sei. Georgianna würde er nach seinen Vorstellungen formen können. Er würde sie heiraten, ihr Bett aufsuchen und sich an ihrem herrlichen Körper erfreuen. Sobald sie guter Hoffnung wäre, könnte sie sich ihrer Rolle als Duchess of Hawksmere widmen und er würde zu seinen früheren, ausschweifenden Vergnügungen zurückkehren.

So dachte Zachary zumindest, als er Georgianna Lancaster vor zehn Monaten zum ersten Mal sah.

Nach der Bekanntmachung ihrer Verlobung in den Zeitungen verschwendete er keinen Gedanken daran, dass Georgianna Lancaster nicht persönlich seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Dass sie – jung, wie sie war – ihren eigenen Kopf haben könnte. Dass sie nicht die Absicht verfolgte, einen Mann zu heiraten, den sie weder kannte noch liebte – selbst wenn es sich dabei um einen Duke handelte.

Das erklärte sie in dem Brief, den sie ihrem Vater nach ihrer Abreise mit dem französischen Geliebten hinterließ. Nur widerwillig zeigte Malvern ihm den Brief, nachdem Zachary den älteren Herrn dazu aufgefordert hatte.

Zachary verzog den Mund zu einer schmalen Linie, als er sich an die Tage erinnerte, die auf Georgiannas Durchbrennen gefolgt waren.

Die offizielle Aufhebung der Verlobung in den Zeitungen nach so kurzer Zeit ihrer Bekanntgabe.

Die Briefe der Anteilnahme, die er daraufhin von seinen Onkeln und Tanten erhielt.

Am schlimmsten waren jedoch die wissenden Blicke des ton. Wussten sie doch alle, dass der stolze Duke of Hawksmere, der endlich eine Frau für sich ausgewählt hatte, die Bekanntmachung nach nur zehn Tagen widerrufen musste, da seine Zukünftige die Verlobung aufgelöst hatte.

So jedenfalls lautete die Version, die man der Gesellschaft erzählte. Nur Wenige wurden in die wahre Geschichte eingeweiht.

Niemand hatte von der späteren Entdeckung gewusst, dass der Franzose in Wahrheit kein Hauslehrer, sondern ein Spion war.

Ob Georgianna Lancaster jetzt ebenfalls als Spionin agierte?

Auf jeden Fall wusste sie zu viel über Zacharys persönliche Angelegenheiten und seine Verbindungen, um so unschuldig zu sein, wie sie behauptete.

„Euer Gnaden?“

Zachary räusperte sich. „Als wenn das so einfach wäre, Georgianna“, sagte er in vernichtendem Ton. „Leider gibt es da ein paar Unstimmigkeiten in Ihrer Geschichte, die wir beide im Voraus klären müssen.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, warum Sie ausgerechnet mir diese hanebüchene Lügengeschichte erzählen.“

„Was ich Ihnen erzählt habe, ist weder hanebüchen noch gelogen.“

„Warum mir, Georgianna?“, fragte er beharrlich.

Sie schaute zu Boden. „Ich … Ich denke, ich kann Ihnen bedenkenlos mitteilen, dass André mich über Ihre langjährige Arbeit als Agent für die Krone informiert hat.“

Zachary lächelte sie freudlos an, um den Aufruhr, den ihre Worte in seinem Inneren verursachten, zu verbergen. Wenn Rousseau über seine geheime Arbeit für England im Bilde war, wussten andere doch sicherlich auch Bescheid. „Hätten Sie sich kein anregenderes Bettgeflüster ausdenken können?“, fragte er verächtlich.

Bei der Beleidigung liefen Georgiannas Wangen rot an, doch entschlossen straffte sie die schmalen Schultern. „Er erzählte es mir voller Spott, als er … als er …“

„Ja?“

Sie seufzte. „Als er zugab, dass er nie in mich verliebt gewesen war.“ Ihre Stimme klang heiser. „Als er mir sagte, dass er mich vorsätzlich verführt habe und nur mit mir durchgebrannt sei, um aus England herauszukommen. Dass es Leute gebe, die von seinen wahren Beweggründen für seinen Aufenthalt in England wussten.“

Zachary nickte. „Kurz bevor Sie mit ihm das Land verließen, wurde eine intensive Ermittlung gegen ihn eingeleitet.“ Wenn Rousseau von meiner Arbeit für die Regierung weiß, dachte Zachary, habe ich ausgedient.

„Wie enttäuschend für Sie“, meinte er gedehnt, um die eigene innere Unruhe zu überspielen.

Ein kämpferischer Ausdruck trat in Georgiannas nun glänzende Augen. „Wagen Sie es nicht, mich zu verhöhnen, Euer Gnaden.“

Doch Zachary war selbst alles andere als zum Lachen zumute. Missmutig erwiderte er ihren Blick. „Bedenkt man Ihr Verhalten in den letzten zehn Monaten, kann ich Sie so behandeln, wie immer es mir beliebt, Madam.“

Die Kampfeslust verließ Georgianna so schnell, wie sie gekommen war. Sie senkte den Kopf – vollkommen beschämt über den Wahrheitsgehalt seiner Aussage. Vor zehn Monaten hatte sie sich wie ein Dummkopf verhalten. Wie ein naives kleines Ding, das auf Andrés Charme hereingefallen war.

Von diesem Charme war jedoch nichts mehr geblieben, als er sie in jener Nacht dafür verspottet und verhöhnt hatte, dass sie mit ihm – einem Spion Napoleons – weggelaufen sei. Dabei gebührte alle Ehre dem Mann, mit dem sie verlobt gewesen und vor dem sie davongerannt war. Er war ein größerer Held für England, als die meisten es ahnten.

„Das erklärt immer noch nicht, woher Sie wussten, wo ich mich gestern Nacht aufgehalten habe.“

Erschöpft hob Georgianna den Kopf – zu müde, um etwas anderes zu tun, als auf Zachary Blacks Fragen zu antworten. „Ich kam gestern mit dem Schiff nach England.“

„Weiß Ihr Bruder, dass Sie heimgekehrt sind?“, fragte er barsch.

„Niemand außer Ihnen weiß davon.“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Es wäre ungerecht gewesen, Jeffrey mit diesem Wissen zu belasten.“ Nichts wünschte sie sich mehr, als ihren Bruder wiederzusehen und zu erfahren, ob er ihr ihr leichtsinniges Verhalten verzeihen konnte. Doch sie wollte ihm nicht noch mehr Kummer bereiten, indem sie ihn wissen ließ, dass seine in Ungnade gefallene Schwester nach England zurückgekehrt war. Schließlich war er erst neunzehn Jahre alt und hatte mit seinen neuen Pflichten als Earl of Malvern genug zu tun.

„Offenbar wollten Sie sich mir gegenüber nicht so nachsichtig verhalten“, erwiderte Hawksmere rau.

Sie zuckte zusammen. „Ich habe bereits erklärt, warum die Dinge bei Ihnen anders liegen. Warum mir keine andere Wahl blieb, als Sie aufzusuchen und mit Ihnen zu reden.“

„Aber nicht, woher Sie wussten, wo ich mich gestern Nacht aufhielt.“

„Nachdem ich gestern in London ankam, habe ich mich an Ihre Fersen geheftet, um allein mit Ihnen sprechen zu können. Als sie abends in Ihrem Klub mit Ihren Freunden feierten, sah ich meine Chance gekommen.“

Hawksmere schüttelte abfällig den Kopf. „Es wäre mir aufgefallen, wenn Sie mir gefolgt wären.“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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