In den starken Armen des Ranchers

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Unter falschem Namen nimmt Rose einen Job auf der Ranch von Nick Hartmann an. Obwohl sie gute Gründe für ihr Versteckspiel hat, meldet sich schon bald ihr schlechtes Gewissen. Besonders, da sie dem attraktiven Rancher Nick viel näher kommt als geplant. Als Nick sie leidenschaftlich in seine starken Arme zieht, erwacht in ihr ein nie gekanntes Verlangen. Doch dann kommt es zum Schlimmsten: Jemand entdeckt ihr Geheimnis! Kann Rose den Mann ihrer Träume jetzt noch für sich gewinnen – oder ist alles verloren?


  • Erscheinungstag 19.07.2022
  • Bandnummer 2246
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509114
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Hör zu, ich sage ja nur, dass es vielleicht Zeit wäre, nach Hause zu kommen.“

Nick Hartmann sprach lauter und tippte auf den Lautstärkeregler an der Bluetoothstation am Lenkrad seines Nissan Titan Platinum Pick-ups. Ein Blick auf die Digitaluhr am Armaturenbrett zeigte ihm, dass er spät dran war, daher gab er Gas.

„Ich komme nicht nach Hause, Nick“, widersprach Jackson. Seine Stimme dröhnte durch den Wagen. „Die Saison läuft, und ich breche meine Tournee nicht ab. Es reicht doch, dass ich dir eine Vollmacht gegeben habe. Entscheide einfach und schick mir weiter meine Schecks.“

Nick hörte im Hintergrund die Geräusche einer lebhaften Party. Er packte das Lenkrad fester, sodass sich seine Fingernägel ins Leder bohrten.

Er war es leid, der einzige Hartmann zu sein, der das Pseudonym seines Bruders kannte, das der anscheinend fürs Rodeoreiten brauchte, andererseits war das ein geringer Preis für die zusätzliche Stimme im Vorstand. Natürlich war er auch mit Jacksons Stimme noch in der Minderheit gegenüber seinen drei anderen Geschwistern. Bis jetzt. Nun standen zwei Geschwister gegen zwei Geschwister, mit einer entscheidenden Stimme, die niemand hatte kommen sehen.

Das machte Hoffnung.

„Austin, Katherine … Alix?“, sagte Nick rau. „Ändert das für dich denn gar nichts?“

„Nein. Die Broncos reiten sich nicht von selbst. Außerdem wüsste ich nicht, was meine Heimkehr zum jetzigen Zeitpunkt bewirken könnte.“

Eins von Jacksons typischen Argumenten.

„Es wäre schön, dich hier zu haben, Jacks“, versuchte Nick es erneut. Wenn er seinen Bruder überzeugen wollte, kam er mit Aufrichtigkeit am weitesten. Seit dem Tod ihres Vaters vor vier Jahren hatte Jackson sich nicht mehr auf der Ranch blicken lassen. Das mochte am Streit liegen, der zwischen Jackson und ihrem Vater entbrannt war, als der bereits im Sterben lag. Am Tag nachdem ihr Dad gestorben war, hatte sein Bruder die Ranch verlassen. Nick konnte ihn verstehen, denn sein Vater hatte Jacks deutlich gezeigt, dass er für ihn eine Enttäuschung war.

Jackson war allerdings nicht der erste Hartmann, der sich aus dem Staub gemacht hatte. Vor sechzehn Jahren war Austin auf und davon gegangen und hatte Katherine mitgenommen. Sie war Nicks Freundin auf der Highschool gewesen. Er verzog das Gesicht, als er an seine Jugendliebe dachte. Selbst jetzt, nach so langer Zeit, hätte er nicht sagen können, was mehr wehgetan hatte, dass Austin abgehauen war oder dass er ihm Katherine ausgespannt hatte.

Tja, zuerst Austin, dann Jackson. Evie lebte mittlerweile in Kalifornien, und so war nur noch Amelia, deren hartgesottene Zwillingsschwester, übrig, um mit ihm zu streiten. Von allen Hartmanns war er inzwischen der Einzige, dem etwas an der Ranch lag und der sie unbedingt so, wie sie war, erhalten wollte.

Wenn er seine Karten jedoch richtig ausspielte, hatte er wegen der neuen Entwicklungen eine Chance.

„Du wolltest die Verantwortung, und jetzt hast du sie, großer Bruder.“ Damit legte Jackson auf.

Nick starrte geradeaus, doch er nahm die Autos vor ihm kaum wahr. Habe ich das wirklich gewollt, fragte er sich.

Erst hier, allein im Wagen, war er bereit, zuzugeben, was er empfunden hatte, als der Name seines älteren Bruders Austin letzte Woche um vier Uhr morgens auf dem Display seines Smartphones aufgetaucht war. Er war genervt gewesen.

Als er das Gespräch annahm und am anderen Ende der Leitung ein Krankenhausmitarbeiter war, kam der Schock. Austin und dessen Frau Katherine waren bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Soweit man es im Krankenhaus beurteilen konnte, war ihr Tod rasch und ohne langes Leiden eingetreten.

Seitdem fühlte er sich schuldig, weil er sekundenlang sauer gewesen war, als Austins Anruf ihn weckte.

Sein Schuldgefühl nahm am nächsten Tag noch zu, als Saul Kellerman, der Anwalt der Familie, anrief und ihm mitteilte, dass ihm die Vormundschaft für seine sechzehn Jahre alte Nichte Alix übertragen worden sei. Nick kannte seine Nichte überhaupt nicht. Doch dann dämmerte ihm, dass sich das Schicksal auf seine Seite geschlagen hatte. Als ihr Vormund konnte er bis zu ihrer Volljährigkeit in zwei Jahren ihr Stimmrecht im Familienunternehmen ausüben. Das hieß, zusammen mit Jacksons und Alix’ Anteil besaß er nun die Stimmenmehrheit. Was ihm Zeit verschaffte, um die Ranch zu retten.

Das Einzige, was schmerzte, war, dass Alix die Tochter von Austin und Katherine war. Salz in seiner Wunde sozusagen. Trotzdem war es eine Riesenchance.

In zwei Jahren konnte sie ihr Stimmrecht selbst ausüben. Und was passierte dann, wenn sie die Ranch nicht mochte? Wenn sie ihn, Nick, hasste? Wenn es ihm bis dahin nicht gelang, sie für die Ranch zu begeistern, würde er alles verlieren.

Alix sah Katherine sehr ähnlich. Aber er konnte sie schließlich nicht für das verantwortlich machen, was Katherine ihm angetan hatte. Sie war noch so jung. Also würde er alles tun, um ihr ein neues Zuhause zu geben. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, plötzlich allein in der Welt zu stehen. So etwas würde er einem jungen Menschen niemals antun, egal, was er Alix’ Eltern vorwerfen konnte. Was auch immer Austin damit bezweckt hatte, ihm das Sorgerecht für Alix zu übertragen – er würde das Mädchen nicht im Stich lassen.

Und dazu gehörte, ihr die bestmöglichen Bildungschancen zu geben. Eine erstklassige Privatlehrerin musste also her. Denn wenn Alix so viel Zeit wie möglich auf der Ranch verbrachte, bekam sie Gelegenheit, sich in das Land ihrer Vorfahren zu verlieben. Die Alternative wäre eine Schule in der Stadt, aber er ging davon aus, dass es dem Mädchen keinen Spaß machte, jeden Tag zweimal vierzig Minuten mit dem Bus zu fahren. Es noch mal mit einem Internat zu versuchen, ergab ebenfalls wenig Sinn. Also war die Privatlehrerin die erste Wahl.

Nick überflog die Straßenschilder am Flughafen. Die Lehrerin war in Denver umgestiegen, daher würde sie am Inlandsterminal ankommen. Wenn er Glück hatte, käme er noch halbwegs pünktlich.

Langsam fuhr er den Ankunftsbereich entlang und hielt Ausschau nach ihr. An Säule zehn stand nur eine einzige Frau, und das konnte unmöglich die Lehrerin sein. Er hatte eine hochqualifizierte, mehrere Fächer unterrichtende, in Oxford ausgebildete Privatlehrerin engagiert, mit erstklassigen Referenzen. Die Agentur hatte in den höchsten Tönen von ihr geschwärmt.

Für Alix war nur das Beste gut genug. Diese Frau dort drüben wirkte jedoch zu jung, um überhaupt schon ein abgeschlossenes Studium vorweisen zu können. Sie konnte nicht die Lehrerin sein, und doch wartete sie am verabredeten Punkt. Niemand sonst war zu sehen. Neben ihr standen ein Rucksack sowie ein ziemlich abgenutzter Hartschalenkoffer. Nick fuhr näher ran, ließ das Seitenfenster runter und fragte zögernd: „Mary Kelly?“

Sie blickte auf und lächelte. Ihre Augen waren kobaltblau, und sie hatte wilde blonde Locken. Nick schluckte, weil sein Mund plötzlich trocken war. Klar, sie trug eine biedere Strickjacke, doch die konnte ihre aufregende Figur nicht verbergen. Sein Blick fiel auf ihre einladend vollen Lippen. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet, als er eine Agentur beauftragt hatte, ihm eine exzellente Privatlehrerin für Alix zu schicken. Das Ziel war, seiner Nichte Gelegenheit zu geben, sich in die Ranch und die Reize von Montana zu verlieben, und nicht, dass er den Reizen der Lehrerin erlag.

„Ja?“ Ihre blonden Locken wippten, als sie zum Auto kam.

Nick sprang aus dem Truck und ging auf die Beifahrerseite, um ihr zu helfen.

Diese Lehrerin war hübsch, und wenn sie ihn anlächelte, war sie so hinreißend, dass es ihn fast umhaute. Seit Langem hatte ihn keine Frau mehr so in ihren Bann geschlagen. Aber genau darin lag das Problem. Das Letzte, was er brauchte, war eine weitere verführerische Angestellte, denn in dieser Hinsicht hatte er schon einen Fehler gemacht. Wenn er erreichen wollte, dass Alix sich auf der Ranch wohlfühlte und mit ihrer Stimme dafür sorgte, dass das Anwesen nicht verkauft wurde, musste er sich als würdiger Vormund erweisen. Als jemand, der keine supersexy Lehrerinnen einstellte, sondern echte Fachkräfte.

Wie es am Flughafen üblich war, fuhren Parkplatzwächter Streife. Einer davon kam mit Blaulicht vorbei, doch der Mann am Steuer lächelte breit und rief durch das offene Wagenfenster: „Hallo, Mr. Hartmann, schön, Sie zu sehen.“

Mary wurde blass. „Sie sind Mr. Hartmann?“

Nicks Lächeln wurde noch breiter. „Ja.“ Er lüftete seinen Stetson und setzte ihn wieder auf. „Und Sie sind Mary Kelly?“ Er runzelte die Stirn und räusperte sich. „Ich bin überrascht. Sie sind Lehrerin? In Oxford ausgebildet?“

Vielleicht war es unhöflich, so direkt zu sein, aber das war ihm egal. Mary Kelly wirkte wie eine Influencerin auf Instagram, nicht wie eine Lehrerin. Er wollte auf Nummer sicher gehen.

Empört antwortete sie: „Hören Sie, es war ein langer Tag für mich. Ich habe im Flugzeug kaum geschlafen, und der Flug von Denver war die Hölle. Was wollen Sie mir sagen? Dass ich nicht wie eine Lehrerin aussehe?“

Ihre Aussprache war sehr britisch und wirkte hier im tiefsten Montana arrogant. Herausfordernd schaute sie ihn an.

Es war lange her, seit sich jemand mit ihm angelegt hatte. Schade eigentlich, dachte er, denn die kleine Auseinandersetzung mit dieser Mary Kelly war erfrischender als ein gutes Glas Scotch. Vor lauter Überraschung schwieg er.

„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Sir, dass Sie vielleicht auch nicht gerade aussehen wie ein Rancher?“, legte sie nach.

Ihm war klar, dass diese Bemerkung kein Kompliment war. Nick ging auf sie zu, packte den Samsonite und knurrte: „Nicht wie ein Rancher? Wie sieht ein Rancher denn normalerweise aus?“

Ehrlich gesagt fand er, dass er genau so aussah, wie man sich einen Rancher vorstellen würde. Sonnengebräunt, langes Haar, dazu Jeans und kariertes Flanellhemd, vollendet durch einen speckigen Stetson. Also wie all seine Mitarbeiter auf der Ranch.

„Ich würde mir nicht anmaßen, das zu beurteilen“, gab sie zurück. „Und Sie sollten so etwas auch nicht tun. Das wäre, als würde man die Qualität eines Buches nach dem Cover festlegen.“

„Verzeihen Sie mir bitte meine Dreistigkeit“, sagte er so freundlich wie möglich.

„Gut. Dann hätten wir das also geklärt. Ich bin übrigens die Lehrerin.“ Sie errötete leicht, als sie hinzufügte: „Die in Oxford ausgebildete Lehrerin, wenn Sie so viel Wert darauf legen.“

„Ja. Darauf lege ich Wert.“

Erneut presste sie die Lippen zusammen. „Sie dürfen hier eigentlich nicht parken. Vorhin habe ich gesehen, wie die Security Leute angebrüllt hat, obwohl die nur kurz gehalten haben. Wir sollten also nicht trödeln.“ Mary ging zu ihrem Rucksack. „Ich hole mein Zeug.“

Nick winkte dem nächsten Parkplatzwächter, der gerade auf seiner Runde vorbeikam. „Schön, dich zu sehen, Gus.“

Marys Lächeln gefror, als Gus zurückwinkte und lächelte.

Besser sie gewöhnte sich gleich daran, dass für Hartmanns andere Regeln galten.

Rose fühlte sich überwältigt. Was hatte die Direktorin der Agentur gesagt? Diese Familie war in Montana so etwas wie der lokale Adel. Na ja, der funkelnagelneue Truck passte dazu, aber in Amerika hatte vermutlich alles eine größere Dimension. Auch der scharfe Cowboy. Ein Blick auf Nick Hartmann genügte, um sie atemlos zu machen. Sie war definitiv überwältigt. Und das Letzte, woran sie gerade dachte, war, dass sie von ihm als Privatlehrerin engagiert worden war.

Er war groß und breitschultrig, der Inbegriff eines Cowboys, wie er in den romantischen Liebesgeschichten beschrieben wurde, die sie so gern verschlang.

Sein langes dunkles Haar trug er in einem Pferdeschwanz, dazu ein rustikales kariertes Hemd, das ihm seltsamerweise auf den Leib geschneidert schien, denn es betonte seine muskulöse Brust. Das Hemd steckte in einer schwarzblauen Jeans mit breitem Ledergürtel. Als sie Nick in die braunen Augen blickte, bedauerte sie, dass sie die Klamotten ihrer Schwester trug statt ihrer eigenen.

Nick Hartmann war atemberaubend attraktiv, der bestaussehendste Mann, der ihr je begegnet war. Und dazu ihr neuer Arbeitgeber. Perfekt.

Gerade öffnete er mit der Fernbedienung die Ladeklappe und hievte ihr Gepäck so mühelos hinauf, als wäre es federleicht und nicht jeweils zwanzig Kilo schwer. Als er sich umdrehte, prallte er gegen sie.

„Ups“, sagte sie und errötete, als sie seinen Körper spürte. „Ich … ich habe meine Bücher in den Rucksack gepackt und ihn als Handgepäck mitgenommen, damit sie mir keine Gebühren für Übergewicht aufbrummen“, erklärte sie.

Er lächelte. „Ich habe keine Ahnung, was man für Übergepäck bezahlen müsste.“

Er blieb dicht vor ihr stehen und schaute ihr forschend in die Augen. Ihr schien, er war noch nicht sicher, was er von ihr halten solle.

Die Nähe zu ihm war aufregend, aber ihr war klar, dass das keine Option war. Also trat sie einen Schritt zurück und sah zu ihm auf. Nervös schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr, drehte sich um, ging zum Wagen, riss die Beifahrertür auf und stieg in den Truck.

Sie war bereits angeschnallt, als Nick sich auf den Fahrersitz schwang. Mit ihren Fingern hämmerte sie ein Stakkato auf ihre Oberschenkel und starrte blicklos geradeaus. Es wäre einfacher, wenn dieser Typ nicht so attraktiv wäre. All ihre Cowboyfantasien schienen Wirklichkeit geworden zu sein. Aber Männer wie Nick waren gefährlich, und sie durfte niemanden an sich heranlassen. Ganz abgesehen davon, dass sie auf keinen Fall versagen durfte.

Anscheinend fuhr Nick die vierzig Meilen zurück zur Ranch auf Autopilot, denn er lenkte entspannt mit den Knien, statt mit den Händen.

Nun wandte er sich an sie: „Wie war Ihr Flug?“

„Welcher?“, fragte sie lächelnd und ergänzte: „Die Reise war schön. Lang und ermüdend, aber schön.“ Insgeheim hoffte sie, dass sich die Konversation auf solche Allgemeinplätze beschränken würde.

„Transatlantikflüge sind immer ermüdend.“

„Das habe ich jetzt auch begriffen.“ Als er sich auf die Straße konzentrierte, hatte sie Gelegenheit, sein Profil zu studieren. Ein dunkler Bartschatten lag auf seinem markanten Kinn und den Wangen. Sie fröstelte plötzlich und fragte sich zum ersten Mal, ob das, was sie tat, klug war. Nick Hartmann wirkte Furcht einflößend. Und vielleicht hatte ihre Cousine recht. Vielleicht war ihr Plan wirklich bescheuert. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte.

„Alix ist seit ein paar Tagen hier. Es fällt ihr schwer, sich einzugewöhnen.“

„Kann ich mir denken. Es kam ja alles so plötzlich“, antwortete sie.

„Sehr plötzlich“, erwiderte er knapp.

Sie schaute aus dem Wagenfenster. Schier endlos erstreckten sich Felder und Weiden. Weit hinten erspähte sie eine Viehherde. Kühe, Pferde und eine Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten. Für sie und für Alix. Sie musste sich auf das Mädchen und ihre neue Rolle als Mary „Poppins“ Kelly konzentrieren. Alix war der Grund, weswegen sie hergekommen war. Alix und der Brief in ihrer Tasche. Das Versprechen, das sie ihrer Schwester zwar nicht gegeben hatte, das sie aber nichtsdestotrotz einhalten würde. Dieser Vertrag gab ihr die Chance, Unrecht wiedergutzumachen und ihrem Karma auf die Sprünge zu helfen. Nicht, dass sie an so etwas wie Karma glaubte. Es wäre dumm, an etwas zu glauben, das ihr eine ziemlich hohe Rechnung präsentieren konnte.

„Es war eine harte Woche“, brach Nick das Schweigen.

Sie schaute auf ihre schmale Armbanduhr, die ihrer Schwester gehört hatte. In einer Viertelstunde würden sie die Ranch erreicht haben, falls ihre Recherchen stimmten. Im Recherchieren war sie allerdings noch nie gut gewesen.

Was war schon dabei, sich als ihre Schwester auszugeben und an ihrer Stelle Privatlehrerin zu werden? Wenn man etwas Schlechtes für einen guten Zweck tat, war das doch okay, oder?

Trotzdem krampfte sich ihr Magen zusammen, je näher sie der Ranch kamen. Sie fuhren jetzt auf die Beartooth Mountains zu. An ihrem Fuß floss der Yellowstone River.

Alles wird gut, redete sie sich ein, oder zumindest besser.

Rose unterdrückte die Tränen, die ihr jedes Mal in die Augen schossen, sobald sie an ihre tote Schwester dachte. Es war nicht fair. Mary war die Gute gewesen, und sie, Rose, die wilde Hummel.

Jetzt hatte sie jedoch Gelegenheit zu beweisen, dass auch sie etwas taugte. Dass sie den Traum ihrer Schwester erfüllen und damit jenem Menschen ein Denkmal setzen konnte, der sie erzogen hatte. Zwar war es nicht gerade ihr Plan gewesen, das nächste halbe Jahr als Privatlehrerin zu verbringen, damit sie Kindern in Indien, die von Erblindung bedroht waren, helfen konnte. Aber Mary hatte dieses Projekt alles bedeutet. Nun war sie tot, und Rose war entschlossen, jedem Kind, dem Mary eine Operation versprochen hatte, den Eingriff zu ermöglichen.

Was Alix betraf – nun, Rose hatte vielleicht nicht in Oxford studiert, doch sie wusste genau, was es brauchte, um eine Vollwaise wieder mit dem Leben zu versöhnen. Niemand kannte das Gefühl, mit sechzehn einsam und verlassen zu sein, besser als sie. Und dazu kam noch die frische Trauer um ihre Schwester.

Wenn es eine Möglichkeit gab, Marys Lebenstraum zu verwirklichen, würde sie alles, aber auch wirklich alles dafür tun. Selbst die Unterschrift auf einem Vertrag fälschen und über den Atlantik fliegen, um eine reiche Erbin zu unterrichten. Wenn das Karma mit ihr eine Rechnung offen hatte, dann würde es sie in Montana finden.

2. KAPITEL

Ben, sein bester Freund, wartete wie besprochen um fünf vor zwölf auf ihn. Er saß auf Pax, dem neuen braunen Wallach, den Nick zu Beginn der Saison gekauft hatte. Neben Pax stampfte Rowen, sein gesattelter Hengst, ungeduldig mit den Hufen.

Als Nick kam, reichte Ben ihm vom Pferd herunter eine Flasche gekühltes Bier. „Du bist zu spät“, beschwerte er sich.

Ben hatte sein dunkles Haar hinter die Ohren geklemmt und war seit Tagen unrasiert. Sein Junggesellenstatus? Unverändert. Er sah gut genug aus, um jederzeit Erfolg bei den Frauen zu haben. Je weniger er sich bemühte, desto leichter fiel es ihm, ein Date zu bekommen. Beneidenswert.

„Ich habe Gary gebeten, ihn zu satteln“, bemerkte Ben und wies mit dem Kopf auf Rowen.

„Wie vorausschauend von dir. Entschuldige meine Verspätung. Ich hatte einen heftigen Tag.“ Nick lächelte und senkte den Kopf, sodass die Hutkrempe sein Gesicht beschattete. Sie waren lange genug befreundet, um den anderen zu durchschauen, und Ben erkannte offenbar nur zu gut, wie gestresst er war.

„Es ist noch nicht mal Mittag“, bemerkte Nick bezogen auf das angebotene Bier, während er den Fuß in den Steigbügel setzte.

„Irgendwo ist es bestimmt schon Mittag.“ Ben grinste, und Nick nahm ebenfalls grinsend das Bier an, sobald er im Sattel saß. „Deine Mutter hat angerufen“, fügte Ben hinzu.

Das hätte er sich denken können. Josephine Hartmann war eine Naturgewalt und nun mit der Verwaltung von Austins Besitz betraut worden. Der Familienanwalt hatte ihn darüber informiert. Eigentlich war Nick erstaunt gewesen, dass ihr nicht auch das Sorgerecht für Alix übertragen worden war. Allerdings konnte es gut sein, dass sie dies nachträglich verlangen würde. „Ja, war doch klar.“

Auf seinem Smartphone blinkten sechs entgangene Anrufe von Josephine, aber zurzeit brachte er es nicht über sich, zurückzurufen. Er atmete tief durch und nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche. Es brauchte mehr als ein Pils, um sich mit seiner Mutter auseinanderzusetzen. Daher spielte er auf Zeit.

In leichtem Galopp ritten sie über offenes Feld. Sie mussten nicht reden. Vorteil einer dreißigjährigen Freundschaft.

Irgendwann sagte Ben: „Josephine hat mir von Alix erzählt. Schon seltsam, dass du jetzt ein Kind hast, nachdem du bisher alles getan hast, um einer Vaterschaft aus dem Weg zu gehen.“

Nick warf seinem Freund einen Blick zu. „Seltsam, ja.“

„Jo hat gesagt, sie sei auf einem Internat.“

„Sie war auf einem Internat“, korrigierte Nick. „Man hat sie rausgeworfen. Jetzt ist sie hier.“

Ben pfiff leise durch die Zähne. „Scheint, als ob diese Alix ganz deine Nichte ist. Wahrscheinlich wird sie dir nichts als Probleme machen.“

„Perfekt. Dann habe ich bestimmt noch mehr Zeit, mich um die Ranch zu kümmern“, meinte Nick sarkastisch.

„Ich wusste gar nicht, dass du dich mit Austin versöhnt hast.“

Nick starrte zum Horizont und schnalzte mit der Zunge, um Rowen anzutreiben. „Habe ich nicht.“

„Und trotzdem bist du der Vormund seiner Tochter? Das verstehe ich nicht.“

„Na ja, so tickt Austin halt. Er hält sich für klüger als wir.“ Sofort bereute Nick seine scharfe Antwort, denn Austin war tot.

„Dann bist du immer noch wütend auf ihn?“

„Wieso sollte ich? Er und Katherine passen – passten – prima zusammen. Ich hätte ihm dankbar dafür sein sollen, dass er mich vor dieser Honigfalle gerettet hat.“

„So redest du über deine Ex-Freundin?“

„Nach fünfzehn Jahren brauche ich mich da nicht mehr zurückzuhalten.“

„Scheint nicht so, als wärst du jemand, der verzeihen kann.“

„Kann ich auch nicht. Dies … dies ist …“ Nick wandte sich im Sattel um und schaute seinem Freund in die Augen. „Dies hier ist so typisch für Austin. Mir die Verantwortung für seine Tochter aufzubürden, nachdem ich geschworen habe, ich würde niemals Kinder haben. Selbst aus dem Grab schafft er es noch, mir Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Aber egal. Ich wette, er hat nicht daran gedacht, dass ich seine Tochter dazu benutzen könnte, die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Ranch zu verschieben.“

Darauf erwiderte Ben nichts. Als Rancher wusste er nur zu gut, welche Verantwortung auf Nicks Schultern lag. Seine eigene Kingsman-Ranch war in Montana die zweitgrößte nach der Hartmann-Ranch und seit Generationen in Familienbesitz. Kingsman konzentrierte sich im Gegensatz zu Hartmann auf Pferdezucht. Die Freundschaft zwischen ihnen beiden bestand schon seit Jahrzehnten. Ein paar Minuten ritten sie schweigend bis zum Fluss, wo Nick absaß, um Rowen zu tränken.

„Was also bedeutet deine Vormundschaft denn nun für den Verkauf?“, wollte Ben wissen, der ebenfalls aus dem Sattel stieg, um seinen Wallach trinken zu lassen.

Seinem Freund war klar, dass er sich mit seiner Frage auf unsicherem Boden bewegte, denn die Auseinandersetzung der Geschwister Hartmann um den Verkauf der Ranch dauerte nun schon Jahre. Um genau zu sein, seit dem Zeitpunkt, an dem seine Mutter ihm das Erbe überschrieben hatte.

Nick antwortete nicht und kratzte am Etikett seiner leeren Bierflasche. Das Kondenswasser hatte das Papier abgelöst, und es ließ sich mühelos Stück für Stück entfernen. Ja, was bedeutete seine Vormundschaft? Zunächst einmal, dass er Alix’ Erbe verwalten musste. Und zu diesem Erbe gehörte der Anteil, den Austin an der Ranch besessen hatte.

Er kratzte noch ein Stück Etikett von der Flasche. Selbst gegenüber seinem besten Freund konnte er nicht zugeben, dass er sofort, nachdem er von Austins Tod erfuhr, den Makler angerufen hatte, um die Ranch vom Markt zu nehmen.

„Alix ist erst in zwei Jahren volljährig. Während dieser Zeit werde ich keinesfalls verkaufen. Evie und Amelia können warten.“

Ben nickte. Er war ganz auf seiner Seite, obwohl ihm die Zwillinge viel bedeuteten, eine davon sogar besonders viel.

„Zwei Jahre sind schnell vergangen, Nick“, warnte er.

Ein Muskel zuckte in Nicks Wange. Ihm war nur zu bewusst, wie die Zeit raste. Das hieß, er musste dafür sorgen, dass Alix sich so schnell wie möglich in das Land, die Ranch, ihr Erbe verliebte. Dann würde sie niemals verkaufen. Es frustrierte ihn immer noch, wie leicht sich die Zwillinge und Austin von der Ranch getrennt hätten. Doch daran war ihr Vater schuld, nicht das Land.

„Sie wird hier eine Heimat finden“, sagte er und wiederholte damit, was er sich als eine Art Mantra seit einer Woche im Stillen vorbetete.

„Das hoffe ich auch, Junge, aber sicher sein kannst du nicht.“ Ben zwinkerte ihm zu.

„Wenn ich bloß wüsste, wie Teenager ticken.“ Nick rollte die Reste des Etiketts zwischen den Fingern zu einer kleinen Kugel.

„Damals auf der Highschool kanntest du dich mit Teenagern doch ziemlich gut aus“, bemerkte Ben grinsend.

Nick warf das Papierkügelchen in seine Richtung und traf ihn am Hals. „Ich glaube nicht, dass sich das vergleichen lässt.“

„Irgendein Instinkt sagt mir, dass du prima mit ihr klarkommen wirst. Jetzt komm.“

Ben schwang sich wieder in den Sattel, und Nick tat das Gleiche. Sie ritten eine Weile schweigend, bis Ben etwas einfiel.

„Hast du denn überhaupt schon einen Plan, wie du das Mädchen dazu bringen willst, die Ranch zu lieben? Begeistert wird sie nicht sein, wenn sie jeden Tag zweimal vierzig Minuten mit dem Bus zur Schule fahren muss.“

„Muss sie ja gar nicht.“

„Aber sie muss doch zur Schule gehen“, wandte Ben ein.

„Klar, wird sie ja auch. Ich habe Mary Poppins engagiert. Das heißt, ich habe den Anwalt beauftragt, Mary Poppins zu engagieren. Sie heißt Mary Kelly.“

„Eine Gouvernante für eine Sechzehnjährige? Darf ich dabei sein, wenn du das deiner Mutter beichtest?“

Nick runzelte die Stirn. Ganz unrecht hatte Ben nicht. Garantiert war seine Mutter alles andere als angetan, wenn sie von der Privatlehrerin erfuhr. Aber wann hatte seine Mutter jemals etwas für gut befunden, das er getan hatte? Ohnehin war es jetzt zu spät. „Sie ist keine Gouvernante, sondern eine Privatlehrerin. Mit Prädikatsexamen, erworben in Oxford.“

„Oxford in England? Wow.“

Autor

Katie Frey
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