In einer stürmischen Winternacht

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Nicht etwa der Weihnachtsmann auf seinem Schlitten, sondern eine bezaubernde junge Frau rammt im tosenden Schneesturm mit ihrem Auto ein Cottage ... Eine Weiterfahrt ist völlig unmöglich, und Meg hat keine Wahl: Sie muss die Nacht im Haus ihres attraktiven Gastgebers Jed verbringen …


  • Erscheinungstag 27.11.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728564
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Schau, Mummy, wie’s schneit!“, rief Scott aufgeregt vom Rücksitz des Autos.

Meg seufzte. Es schneite nicht, es stürmte – und wie! So wie es der Wetterbericht, dem sie seit geraumer Zeit mit wachsender Unruhe lauschte, mittlerweile für den Abend vorhersagte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!

Als sie vor drei Stunden in London losgefahren waren, hatte es sich noch um zarte Flöckchen gehandelt, die auf den Straßen sofort schmolzen, Hausdächer und Vorgärten mit einer hübschen weißen Decke überzogen und der geschäftigen Großstadt ein vorweihnachtliches Aussehen verliehen. Doch je weiter Meg sich von London entfernte, umso schlimmer wurde es. Inzwischen lag der Schnee so hoch, dass sie die Straße kaum vom offenen Land unterscheiden konnte. Nur mühsam hielten die Scheibenwischer die Windschutzscheibe frei, und Meg konnte den Wagen auf der glatten Fahrbahn kaum mehr halten. Mit zunehmender Dunkelheit verringerte sich auch noch die Sicht, sodass sie im schwachen Licht der Scheinwerfer nur eine endlose weiße Wüste vor sich sah.

Für den dreieinhalb Jahre alten Scott war die Fahrt natürlich ein Abenteuer. Nachdem er die letzte Stunde fest geschlafen hatte, betrachtete er jetzt mit großen Augen die Winterlandschaft um sich herum, die ihm keineswegs gefährlich erschien.

Umso besser, dachte Meg. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel auf das kleine Gesicht und die vom Schlaf zerzausten dunklen Locken. Es genügte, wenn sie sich Sorgen machte.

„Sieht es nicht wunderschön aus?“, stimmte sie mit einem liebevollen Lächeln zu, bevor sie sich schnell wieder auf die Fahrbahn konzentrierte.

Sie hätten nicht mit dem Auto, sondern mit dem Zug anreisen sollen; es wäre weniger anstrengend gewesen und auch sicherer. Seit mindestens einer halben Stunde war ihnen auf der einsamen Straße kein Auto mehr begegnet – vermutlich, weil der Wetterbericht ständig wiederholte, nur im Notfall den eigenen Wagen zu nehmen. Für Meg kam diese Warnung leider erst, als sie und Scott bereits zwei Drittel der Strecke zurückgelegt hatten.

„Wenn wir bei Grandma und Grandpa sind, darf ich dann einen Schneemann bauen, Mummy?“, wollte ihr Sohn jetzt von ihr wissen.

„Natürlich darfst du das, Schätzchen“, erwiderte sie ein wenig zerstreut.

Die Frage war, ob und wann sie ihr Ziel erreichten – heute Abend, so wie geplant, bestimmt nicht. Meg hatte keine Ahnung, wo sie waren, und in dieser Schneewüste war niemand, den sie fragen konnte.

„Mummy … ich muss mal.“

Sie seufzte. Wie alle Mütter kleiner Kinder wusste sie, was das bedeutete: nicht später, in einer Viertelstunde oder fünf Minuten, sondern sofort. Wo immer man gerade war, ob in einem Supermarkt, im Bus oder auf einer verschneiten Straße, spielte dabei keine Rolle. Scott zu fragen, ob er nicht noch warten könne, war vermutlich zwecklos, trotzdem versuchte sie es.

„Kannst du es noch ein Weilchen aushalten? Wir sind bestimmt bald da“, versicherte sie, obwohl sie eigentlich nicht daran glaubte.

Wie erwartet, erhielt sie eine abschlägige Antwort. „Nein, ich muss jetzt.“

Langsam verlor Meg die Nerven. Sich aufs Fahren zu konzentrieren war schlimm genug, zusätzlichen Stress brauchte sie nicht. Scott traf natürlich keine Schuld: Er hatte über eine Stunde geschlafen, und jetzt musste er zur Toilette. Aber wo? Sie konnte doch nicht einfach am Straßenrand anhalten. Heute war der 23. Dezember, und die Temperatur lag unter null. Er würde sich den Tod holen.

Wenn doch nur irgendwo ein Gebäude zu sehen wäre! Wenigstens eine Scheune, wo sie anhalten und das Ende des Schneetreibens abwarten könnten.

Und noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, spürte sie, wie der Wagen ins Schleudern geriet. Sie umklammerte das Lenkrad, um ihn zu halten, aber sie schaffte es nicht. Im nächsten Moment ragte ein riesiger dunkler Schatten vor ihr auf. Sie rief: „Scott! Halt dich fest!“, dann krachten sie mit einem Knirschen, das ihr durch Mark und Bein ging, gegen etwas Hartes und blieben stehen.

„Mummy!“, schrie Scott und noch einmal „Mummy!“, als sie nicht antwortete.

„Es ist alles okay, Schatz“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Vorsichtig befühlte sie ihren Kopf, der beim Aufprall an die Fensterscheibe geschlagen war.

Die Scheinwerfer brannten noch, obwohl der Motor sofort ausgegangen war. Meg drehte sich zu Scott um: Er saß noch immer festgeschnallt in seinem Kindersitz und streckte ihr schreckensbleich die Arme entgegen. Tränen liefen ihm über die Wangen.

„Nicht weinen, Liebling, es ist uns ja nichts passiert.“ Mit zitternden Fingern öffnete sie den Sitzgurt, um auszusteigen und zu ihm zu gehen, doch dazu kam sie nicht. Die Tür neben ihr wurde aufgerissen; eisige Luft schlug ihr ins Gesicht, und ein Riese steckte bedrohlich den Kopf durch die Öffnung. Entsetzt schrie sie auf.

„Mummy, Mummy! Ein Bär!“

Ein riesiger, haariger Grizzlybär.

Ein Bär mit blauen Augen und dichtem dunkelbraunen Haar, konstatierte Meg im nächsten Moment, als der Mann die Kapuze seines Wintermantels zurückschob.

„Sind Sie verletzt?“, fragte er brüsk, bevor er sich nach dem weinenden Kind umdrehte.

„Lassen Sie mich raus, ich muss zu ihm!“

Der Mann trat zurück, und Meg sprang aus dem Auto. Sie riss Scotts Tür auf, hob ihn aus dem Sitz und drückte ihn an sich. „Alles ist in Ordnung, Liebling. Das ist kein Bär, sondern ein freundlicher Herr, der uns nur helfen will.“

Wenigstens hoffte sie das. Bei ihrem Pech würde es sie nicht wundern, wenn sie das Haus – denn als solches erwies sich der riesige Schatten – eines menschenfeindlichen Einsiedlers gerammt hatte, der Frauen und kleine Kinder nicht mochte und nicht daran dachte, ihnen zu helfen.

Im Moment war ihr das auch egal, der Schreck steckte ihr noch zu sehr in den Gliedern. Benommen fragte sie: „Ist in dem Hotel noch etwas frei?“

Er zog die Augenbrauen hoch, dann erwiderte er spöttisch: „Sie haben Glück, es ist tatsächlich etwas frei. Kommen Sie.“

Natürlich war es kein Hotel, sondern ein Cottage, wie Meg gleich darauf zu ihrem Beschämen feststellte – der Mann musste sie für eine Idiotin halten. Nach einem kurzen Abstecher zur Toilette saß sie jetzt mit Scott auf den Knien in einem niedrigen Wohnzimmer mit Holzbalken an der Decke. Im Kamin prasselte ein Feuer, und ihr unfreiwilliger Gastgeber hatte sie mit heißer Schokolade bewirtet, bevor er wieder verschwand.

„Mummy, wo ist der Mann hingegangen?“, wollte Scott wissen, während er sich schüchtern umsah.

„Das weiß ich nicht. Nach draußen, nehme ich an.“

Die Tür ging auf, und der Hausherr kam in den Flur zurück. Er war von oben bis unten mit Schnee bedeckt und sah jetzt eher wie ein Eisbär aus.

„Mein Name ist Jed“, brummte er, während er Mantel und Stiefel auszog und zu ihnen ins Wohnzimmer trat. „Das gehört Ihnen, nehme ich an.“ Er reichte Meg ihre Handtasche, die sie im Auto vergessen hatte, und hielt Scott den kleinen Rucksack mit seinen Spielsachen hin. „Und das ist wohl deiner“, sagte er etwas freundlicher. „Hier sind die Autoschlüssel.“ Er ließ sie in ihre ausgestreckte Hand fallen. „Allerdings besteht kaum Gefahr, dass man den Wagen stiehlt“, fügte er trocken hinzu. „Er ist vorne ganz schön verbeult.“

Zwei Dinge gingen Meg durch den Kopf: Der Mann sprach mit einem amerikanischen Akzent und war auch ohne den dicken Wintermantel eher überwältigend.

Knapp zwei Meter groß, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, stand er vor ihr. In dem schwarzen Pullover und den verwaschenen Jeans kam seine athletische Gestalt bestens zur Geltung. Das dunkle Haar war dicht und etwas zu lang, das Gesicht mit dem eckigen Kinn tief gebräunt. Alles in allem machte er den Eindruck eines durch und durch selbstsicheren Menschen.

Jetzt musterte er Scott und sie mit kühlem Interesse. Unbewusst zog Meg ihren Sohn enger an sich. Was mochte er von ihnen denken?

Sie selbst war zierlich gebaut, maß kaum einen Meter sechzig, und die pechschwarze glatte Mähne reichte ihr fast bis zur Taille. Sie hatte ein schmales herzförmiges Gesicht mit tiefgrünen Augen und ein paar kecken Sommersprossen auf der Nase, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem ihres Sohns aufwies.

Niemand sprach, und langsam wurde das Schweigen ungemütlich. Meg räusperte sich. „Es tut mir wirklich leid, Mr … äh … Jed, dass wir Sie und Ihre Familie auf diese Art belästigen müssen, aber …“

„Eine Familie gibt es nicht, ich wohne allein.“ Er bückte sich, um einen Holzscheit ins Feuer zu legen, bevor er sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete. Unwillkürlich zog Meg sich noch tiefer in den Sessel zurück.

„Haben Sie Angst vor mir?“ Er bedachte sie mit einem kurzen Lächeln, welches sie durchaus nicht beruhigend fand. „Ich weiß, ich sollte wieder mal zum Friseur gehen – sehe ich wirklich wie ein Bär aus?“

Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Sie benahm sich wie ein kleines Kind – der Mann war schließlich ihr Retter, nicht ihr Feind.

Sie stand auf und setzte Scott auf den Sessel. „Ich kann Ihnen nicht genug danken, Mr … Jed. Wenn Sie uns nicht geholfen hätten, dann …“ Ein Schauder lief ihr über den Rücken.

„Es war mir ein Vergnügen“, versicherte er trocken.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die Telefonnummer der nächsten Werkstatt zu geben? Ich möchte das Auto abschleppen lassen und … Warum schütteln Sie den Kopf?“

„Machen Sie sich keine Hoffnung. Jetzt ist es nach halb sechs, die Werkstatt im Ort ist geschlossen. Und bei dem Wetter würde sowieso niemand kommen.“

Meg sah aus dem Fenster und biss sich auf die Lippen. Der Sturm wütete mit unverminderter Gewalt. Sie warf einen Blick auf Scott, der jetzt auf dem Teppich lag und spielte. Die Unterhaltung zwischen seiner Mutter und dem fremden Mann langweilte ihn ganz offensichtlich.

Was sollte sie tun? Das Auto war kaputt und die Straße völlig zugeschneit. Zu Fuß würden sie nirgends hinkommen.

Außerdem – sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie überhaupt waren. Scott und sie saßen fest. Und das einen Tag vor Weihnachten!

Jed konnte sich gut vorstellen, was in ihr vorging. Wie jung und hilflos sie aussah! Überhaupt nicht wie eine erwachsene Frau, geschweige denn wie die Mutter eines kleinen Jungen. Sie selbst war ja noch ein halbes Kind. In dem weißen Gesicht bildeten die Sommersprossen und die riesigen Augen mit den unglaublich langen schwarzen Wimpern – die längsten, die er jemals gesehen hatte – im Moment die einzigen Farbtupfer.

Man sah ihr an, wie unglücklich sie war.

Nicht, dass er, Jed, mit den Geschehnissen besonders glücklich wäre! Er war nicht in dieses abgeschiedene englische Dorf gekommen, um seine Ruhe von einem grünäugigen weiblichen Kobold und einem kleinen Jungen stören zu lassen.

Doch was immer ihr auch durch den Kopf gehen mochte, sie wahrte die Fassung, als sie ihm ihre schmale Hand entgegenhielt. „Mein Name ist Meg Hamilton, und das ist Scott, mein Sohn.“

Typisch britisch, schoss es Jed durch den Kopf. Nichts, nicht einmal ein Schneesturm, brachte diese Nation dazu, ihre guten Manieren zu vergessen.

„Jed Cole“, erwiderte er brüsk und schüttelte die dargebotene Hand. Dabei ließ er Meg nicht aus den Augen. Sagte ihr sein Name etwas?

Es sah nicht so aus. Sie entzog ihm die Hand, offenbar zufrieden, dass das Vorstellen nun vorbei war.

Sie wusste also nicht, wer er war. Es sei denn, dachte er zynisch, sie ist eine hervorragende Schauspielerin.

Seit neun Monaten – seitdem sein Privatleben anscheinend öffentliches Besitztum war – verfolgte ihn vor allem das weibliche Geschlecht unter den fadenscheinigsten Vorwänden. Eine seiner Bewunderinnen war sogar bis in den Umkleideraum seines Sportclubs vorgedrungen, zur allgemeinen Erheiterung der übrigen Männer. Dennoch hielt er es für unwahrscheinlich, dass ihm jemand mitten in einem Schneesturm, mit einem dreijährigen Kind im Schlepptau, nachfuhr, nur um seine Bekanntschaft zu machen. Das ginge denn doch etwas zu weit. Abgesehen davon gehörte Meg Hamilton, da sie ihn nicht erkannt hatte, auch nicht zu seinen Bewunderinnen.

„Gibt es in der Nähe kein Hotel, wo Scott und ich übernachten können?“, fragte sie.

„Leider nicht.“ Es tat ihm wirklich leid, denn nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die beiden zu beherbergen; bei dem Wetter konnte er sie schlecht vor die Tür setzen.

Warum hatte sie sich ausgerechnet sein Haus für ihren Unfall ausgesucht? Er war von Natur aus nicht sehr gesellig, und die Abgeschiedenheit der letzten zwei Monate hatte ihn nicht umgänglicher werden lassen. Außerdem irritierten ihn Unbesonnenheit und Leichtsinn – und mit einem so jungen Kind bei dem Wetter Auto zu fahren erschien ihm als der Gipfel der Unvernunft.

„Hier gibt es kein Hotel, nicht einmal einen Nachbarn“, informierte er sie. „Ich bin der Einzige weit und breit.“

Meg runzelte die Stirn. „Wir können nicht allzu weit von Winston entfernt sein. Ist es nicht möglich …“ Sie verstummte und rieb nervös die Handflächen an den Nähten der Jeans.

„Winston liegt etwa fünfzehn Kilometer von hier“, entgegnete er ungeduldig. „Aber selbst wenn es nur hundert Meter wären – wir sind von der Hauptstraße abgeschnitten. Das hier ist ein Privatweg, der nicht geräumt wird. Und in dem jetzigen Zustand ist er unbefahrbar.“

Tränen der Hilflosigkeit erschienen in ihren Augen, und Jed verwünschte im Stillen seinen barschen Ton. Musste er ihr die ausweglose Lage so brutal ins Gesicht sagen? Etwas milder fuhr er fort: „Ich vermute, Sie haben ungefähr einen Kilometer von hier die falsche Abzweigung genommen. Wo kommen Sie eigentlich her?“

„Aus London, da hat es kaum geschneit, als wir losfuhren.“

Nun, das erklärte, warum sie bei dem Wetter unterwegs war. „Ich verstehe nicht, warum Sie nicht irgendwo angehalten haben, als der Sturm stärker wurde.“ Trotz guter Vorsätze konnte er seinen Missmut nicht verbergen. Was sollte er jetzt mit den beiden anfangen?

Meg stieg das Blut in die Wangen. „Daran habe ich nicht gedacht.“ Herausfordernd hob sie das Kinn. „Jeder kann Fehler machen, oder?“

„Und jetzt sitzen Sie und er hier bei mir fest.“

Er hat einen Namen. Scott, falls Sie es vergessen haben.“ Langsam ging Jed Cole ihr auf die Nerven mit seiner Überheblichkeit. „Mir tut der Unfall ebenso leid wie Ihnen, das können Sie mir glauben. Ich bin sicher, es gibt einen Weg, um Sie von unserer unwillkommenen Gegenwart zu befreien.“

Das hoffte er auch. Dennoch spürte er so etwas wie Achtung für dieses zierliche Persönchen: Nach einer langen und mühsamen Fahrt hatte sie bei dem Unfall die Nerven behalten, und trotz ihrer misslichen Lage ließ sie sich durch ihn und seine düsteren Voraussagen nicht entmutigen.

Nichtsdestoweniger gefiel ihm die Idee, sie und den Jungen beherbergen zu müssen, kein bisschen.

Jed Cole, Retter in der Not.

Eine Rolle, die ihm nicht gerade auf den Leib geschrieben war. Seine Meinung von der Menschheit im Allgemeinen war nicht die beste – und das galt auch für grünäugige Damen mit schwarzen Haaren.

„So?“ Er ließ sich in einen Sessel fallen und legte ein Bein über die Lehne. „Was schlagen Sie vor?“

„Vielleicht könnten wir zu Fuß bis zur nächsten …“

„In einem Schneesturm und noch dazu bei Nacht?“ Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des Jungen. „Was ist, wenn er – ich meine, Scott – in einer Schneewehe verloren geht? Die sind jetzt schon über einen Meter hoch.“

Zornig fuhr sie ihn an. „Das würde er nicht – und wenn, würde ich ihn finden.“

Nachlässig hob er die Schultern. „Mit dem Auto haben Sie sich verfahren. Glauben Sie, dass Ihr Orientierungssinn zu Fuß ausgeprägter ist?“

Eine Weile antwortete sie nicht, dann fragte sie leise: „Tun Sie das mit Absicht? Ich meine – wollen Sie mir bewusst Angst machen?“

„Ist es mir gelungen?“, fragte er zurück.

Meg erblasste. „Ich finde, Sie sind grausam und gefühllos.“

So, wie sie vor ihm stand, erinnerte sie ihn an eine Löwin, die ihr Junges verteidigte – koste es, was es wolle.

„Ich verstehe sehr gut, dass unser plötzliches Erscheinen bei Ihnen …“

„Erscheinen? Sie haben die verdammte Hauswand fast zum Einsturz gebracht. Ich dachte, das Dach bricht über mir zusammen.“

„Das ist mir klar, aber … aber das geschah nicht absichtlich. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht … Würden Sie bitte in Scotts Anwesenheit nicht fluchen? Ich möchte nicht, dass er solche Wörter lernt.“

Ungläubig starrte er ihr ins Gesicht. Jetzt schrieb sie ihm auch noch vor, was er in seinem eigenen Haus sagen durfte und was nicht.

„Gibt es nicht einen Mr Hamilton, der ungeduldig auf Sie und den Kleinen wartet?“, fragte er verdrossen. Warum musste er, Jed, sich um sie kümmern, wozu gab es schließlich Ehemänner?

Sie erschrak, als habe er sie an etwas erinnert, das sie vergessen hatte. Plötzlich sah sie wieder verloren und hilflos aus.

„Doch“, erwiderte sie nach einer Weile, „den gibt es.“

„Vielleicht zufällig in erreichbarer Nähe?“, fragte er unmutig. Der Beschützerinstinkt, den diese Frau gegen seinen Willen in ihm weckte, war ihm gar nicht recht.

„Und auch eine Mrs Hamilton. Meine Eltern“, fügte sie hinzu, als er sie erstaunt ansah. „Wir sind auf dem Weg zu ihnen, und wahrscheinlich werden sie langsam ungeduldig. Mein Vater war krank und darf sich nicht aufregen. Könnte ich bitte Ihr Telefon benutzen, um sie kurz anzurufen?“

Jed runzelte die Stirn. Sie sagte nicht, dass sich ihre Eltern sorgen könnten, nur, dass sie „ungeduldig werden“. Seltsam. Aber das ging ihn schließlich nichts an.

„Gern.“ Er zeigte auf einen kleinen Tisch neben der Tür. „Dort steht es.“

Das Telefon war einer dieser altmodischen Apparate mit einer Wählscheibe. Wie der Rest der Einrichtung hatte es bessere Zeiten gesehen. Das ganze Haus war eher altmodisch und die Zimmer viel zu niedrig. Jed zog eine Grimasse, als er daran dachte, wie oft er in den ersten Wochen mit dem Kopf an die Deckenbalken gestoßen war.

Meg Hamilton brauchte sich deswegen allerdings keine Sorgen zu machen: Gut dreißig Zentimeter lagen zwischen ihr und der Zimmerdecke. Ihre Nervosität musste andere Gründe haben.

„Soll ich mit Scott in die Küche gehen, während Sie telefonieren?“, fragte er und stand auf.

„Danke, das ist nicht nötig.“ Sie lächelte gezwungen. „Ich will nur Bescheid geben, dass sie nicht mit dem Abendessen auf uns warten sollen.“ Sie hob den Hörer ab und wählte.

Jed setzte sich wieder in den Sessel. Diese letzte Bemerkung war höchst aufschlussreich. Er dachte daran, wie seine Mutter reagieren würde, hätte er sich bei einem Schneesturm verspätet. Nicht nur würde sie seinen Vater und seine Brüder losschicken, um nach ihm zu suchen, sie würde die gesamte örtliche Polizei mobilisieren und vermutlich auch noch das FBI. Ob das Abendessen kalt wurde oder nicht, wäre mit Sicherheit ihre geringste Sorge.

„Mutter?“, fragte Meg nervös, als jemand am anderen Ende antwortete. „Ich bin’s. Es tut mir leid, aber …“ Sie schwieg und lauschte auf die Stimme aus dem Hörer. „Ich verstehe. Wie gesagt, es tut mir sehr leid … Morgen … Nein, um wie viel Uhr weiß ich noch nicht … Ja, natürlich rufe ich an, sollten wir zum Mittagessen da sein.“ Es folgte eine längere Pause, bevor sie erwiderte: „Wirklich …?“ Ihre Stimme klang seltsam spröde. „Du hast recht, ich hätte den Zug nehmen sollen, aber … Doch, ganz bestimmt, ich rufe vorher noch einmal an … In Ordnung. Bis morgen.“ Ihre Hand zitterte, als sie den Hörer auflegte.

Nachdenklich betrachtete Jed die schmale Gestalt. Es sah so aus, als sorge sich Mrs Hamilton mehr um die Essenszeiten als um das Wohlbefinden von Tochter und Enkel.

Er warf einen Blick auf den kleinen Jungen. Aus dem zu schließen, was er von dem Telefonat mitbekommen hatte, war es seiner Großmutter nicht eingefallen, nach ihm zu fragen.

Abrupt setzte er sich auf, als er erkannte, welche Richtung seine Gedanken einschlugen. Das kam nicht infrage! Für diese junge Frau und ihren Sohn war in seinem Leben kein Platz. Er würde sie morgen früh, wenn es nicht anders ging, selbst zu ihren Eltern fahren. Und damit hatte die Sache ein Ende.

Unter gar keinen Umständen würde er sich auf etwas anderes einlassen.

2. KAPITEL

Den Rücken zum Raum, verharrte Meg mehrere Sekunden lang regungslos vor dem Telefon. Bevor sie sich wieder Jed Cole zuwenden konnte, musste sie sich erst sammeln. Ihre Hände waren feucht, doch innerlich war ihr eiskalt.

Keine ungewöhnliche Reaktion nach einem Gespräch mit ihrer Mutter – wie schaffte sie das bloß? Vermutlich lag es eher an ihrem Ton als an dem, was sie sagte, dass Meg sich spätestens nach fünf Minuten jedes Mal wie ein dummes kleines Mädchen vorkam und nicht wie eine erwachsene Frau.

Doch diesmal gab es noch einen Grund für ihre Beklommenheit: Sonia würde über Weihnachten ebenfalls zu Hause sein – war bereits zu Hause, da sie und ihr Mann Jeremy, wie ihre Mutter ihr eben mitgeteilt hatte, vernünftigerweise mit dem Zug angereist waren. Jeremy hatte sich beim Golfspielen den Knöchel verstaucht, und somit fiel in diesem Jahr der übliche Skiurlaub ins Wasser.

Ihre Schwester Sonia, die Modellkleider trug, Karriere gemacht und den richtigen Mann geheiratet hatte. Alles Dinge, auf die ihre Mutter so stolz war und die ihre jüngere Tochter nicht vorweisen konnte.

Meg kaufte ihre Kleider von der Stange – ihr Einkommen als Raumgestalterin reichte gerade für Miete und Haushalt. Und obendrein hatte sie statt eines Ehemanns einen dreieinhalb Jahre alten Sohn.

Einen Sohn, den sie über alles liebte und den sie gegen keinen Ehemann der Welt eingetauscht hätte. Und wenn ihrer Mutter das nicht behagte, dann konnte sie es auch nicht ändern.

Sie vernahm ein Räuspern und drehte sich um.

„Ich war im Begriff, Abendessen zu kochen, als Sie … äh … angekommen sind“, sagte Jed Cole.

Meg schob den Gedanken an Sonia und ihre Eltern beiseite – damit würde sie sich morgen befassen. Sie betrachtete ihren unfreiwilligen Gastgeber.

Der Ärmste! Man konnte ihm seinen mangelnden Enthusiasmus nicht übel nehmen. Nichts Böses ahnend, verbrachte er einen ruhigen Abend, als plötzlich jemand gegen sein Haus krachte und ihn zu Tode erschreckte. Das Gesicht, das er gemacht haben musste …

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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