In einer zärtlichen Winternacht - Ein Cowboy zum Verlieben

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Brad O'Ballivan ist auf seine Ranch zurückgekehrt! Die Nachricht trifft Meg wie ein Schlag. Vor Jahren war sie mit ihm verlobt. Doch dann zog es ihn nach Nashville - und er wurde als Countrysänger ein Star. Plötzlich steht Brad wieder vor ihr - er scheint fast unverändert. Genau wie ihre Gefühle für ihn. Aber ihr McKettrick-Stolz ist größer als die Sehnsucht. Noch ist sie nicht bereit, ihm zu verzeihen...


  • Erscheinungstag 10.04.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783955762865
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Ein Cowboy zum Verlieben

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Tess Martin

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

The McKettrick Way

Copyright © 2007 by Linda Lael Miller

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz;

John Hall Photography

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN eBook 978-3-95576-286-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

Für Jean Woofter

in Liebe und Dankbarkeit

1. KAPITEL

Stillwater Springs, Montana

20. Dezember 1910

Der Ladentresen von Willands Gemischtwarenladen, in dem es nach Sattelleder und Holzrauch duftete, schien zu schwanken, als Juliana Mitchell mit angehaltenem Atem davorstand.

Der Brief war endlich angekommen.

Der Brief, auf den Juliana gewartet, den sie sehnlichst erhofft und nach dem sie, ihren Stolz herunterschluckend, immer wieder gefragt hatte. Gleichzeitig hatte sie sich schrecklich vor ihm gefürchtet.

Ihr Herz machte einen schmerzhaften kleinen Satz, während sie den Umschlag aus Mr Willands ausgestreckter Hand nahm. Die Handschrift, ein geneigtes Gekrakel in schwarzer Tinte, gehörte definitiv ihrem Bruder Clay. Der Brief war in Denver abgestempelt worden.

In der Ferne kündigte der vom Schnee gedämpfte Pfiff die Ankunft des Zuges aus Missoula an, der nur einmal in der Woche unterwegs in Richtung Süden durch die Stadt fuhr.

Juliana spürte die Anwesenheit ihrer vier Schützlinge, die an der Ladentür warteten, weil sie wussten, dass sie hier nicht gern gesehen waren. Sie drehte sich vom Tresen und Mr Willands missbilligendem Blick weg, bevor sie das beeindruckende rote Wachssiegel aufbrach.

Bitte, Gott, betete sie stumm, bitte!

Nachdem sie einmal tief Luft geholt und sie langsam wieder ausgestoßen hatte, biss Juliana sich auf die Lippe und nahm das gefaltete Papier aus dem Kuvert.

Ihr wurde schwer ums Herz, ihr Blick verschwamm.

Das Geld, das sie so dringend brauchte und um das sie ihren Bruder gebeten hatte, war nicht in dem Umschlag. Geld, das von Rechts wegen ihr gehörte, ein Teil des Vermögens, das ihre Großmutter ihr hinterlassen hatte. Sie konnte also keine Zugtickets für sich und die vier Kinder kaufen. In das indianische Schulheim, in dem sie alle in den letzten zwei Jahren gelebt hatten, konnten sie auch nicht zurück, da es sich nicht mehr im Besitz des Staates befand. Das kleine, aber robuste Gebäude war an einen Bauern verkauft worden, der seine Kühe darin unterbringen wollte.

Die Hitze aus dem bollernden Ofen in der Mitte des Geschäfts, die sie nach der Kälte draußen noch als so angenehm empfunden hatte, raubte ihr jetzt die Luft zum Atmen.

Trotz allem spürte sie kurz eine verrückte Hoffnung in sich aufsteigen. Vielleicht war doch nicht alles verloren, vielleicht hatte Clay der Post nur nicht vertraut und das Geld telegrafisch angewiesen. Womöglich wartete es genau in diesem Augenblick im Telegrafenamt etwas weiter die Straße hinunter auf sie.

Als sie begriff, dass sie sich an einen Strohhalm klammerte, begannen ihre Augen zu brennen. Schnell blinzelte sie die Tränen weg und zwang sich zu lesen, was ihr älterer Bruder und Vormund geschrieben hatte.

Meine liebste Schwester,

ich hoffe, du bist wohlauf.

Nora, die Kinder und ich sind bei guter Gesundheit. Deine Nichte und dein Neffe fragen immerzu nach dir, so wie auch bestimmte andere Leute.

Ich bedauere, dass ich dir das Geld, um das du mich gebeten hast, nicht guten Gewissens zukommen lassen kann, aus Gründen, die dir wohlbekannt sein dürften …

Juliana zerdrückte das teure Pergamentpapier in der Hand. Ihr wurde übel vor Enttäuschung und dieser frustrierenden Hilflosigkeit, die sie immer verspürte, wenn sie mit ihrem Bruder zu tun hatte.

„Geht es Ihnen gut, Miss?“, hörte sie eine Männerstimme fragen, leise aber deutlich.

Erschrocken schaute Juliana auf. Direkt vor ihr stand ein großer Mann. Seine Haare und Augen waren dunkel, die runde Hutkrempe und die Schultern seines langen Mantels mit Schnee bestäubt.

Während er höflich auf ihre Antwort wartete, nahm er den Hut ab, hängte ihn an die Lehne eines Holzstuhls und lächelte.

„Mein Name ist Lincoln Creed“, sagte er ein wenig ruppig, aber trotzdem freundlich. Er streckte ihr die Hand entgegen, nachdem er seinen Lederhandschuh abgestreift hatte.

Juliana zögerte, ergriff dann doch seine Hand. Schließlich wusste sie, wer er war. Die Creeds besaßen die größte Rinderfarm in diesem Teil des Staates und den Stillwater Springs Courier. Sie kannte seinen Bruder Weston, dem die Tageszeitung gehörte. Außerdem hatte sie die Witwe Creed ein paarmal getroffen, die Matriarchin der Familie. Lincoln selbst aber war sie bisher nie begegnet.

„Juliana Mitchell“, erwiderte sie mit einer perfekten Mischung aus Bescheidenheit und Höflichkeit. Sie hatte immerhin eine gute Erziehung genossen. Schließlich war sie in einem der vornehmsten Häuser in Denver aufgewachsen, hatte importierte Seide und Samt sowie modische Hüte getragen und sich in Kutschen mit livrierten Fahrern und Lakaien fortbewegt.

Wenn sie nur daran dachte, errötete sie vor Scham.

So hatte sie gelebt, bevor sie in Ungnade gefallen war. Bevor Clay sie als Nachlasspflegerin des Vermögens ihrer Großmutter so gut wie enterbt hatte.

Lincolns Blick fiel auf den Brief. „Schlechte Nachrichten?“ Mit den hohen Wangenknochen und dem rabenschwarzen Haar sah er aus, als würde indianisches Blut durch seine Adern fließen.

Der Zug pfiff noch einmal triumphierend. Er war pünktlich in den wackligen kleinen Bahnhof am Stadtrand eingefahren. Die Passagiere würden aus- und einsteigen. Post und Fracht würde auf- und abgeladen werden. Anschließend würde die Lok wieder aus dem Bahnhof tuckern, eine Reihe ratternder Waggons im Schlepptau.

Es dauerte eine volle Woche, ehe der nächste Zug kam.

Bis dahin blieb Juliana und den Kindern nichts anderes übrig, als auf die Barmherzigkeit der Stadtbewohner zu hoffen. In einer größeren Stadt hätte sie sich vielleicht an die Kirche wenden können, aber Stillwater Springs hatte keine. Die Gläubigen trafen sich sporadisch in dem nur für Weiße zugelassenen Schulgebäude, wenn der Wanderprediger in der Stadt war.

Juliana schluckte. Am liebsten hätte sie geweint, doch sie war wild entschlossen, sich nicht gehen zu lassen. „Ich fürchte, es sind wirklich schlechte Nachrichten“, gestand sie zögerlich.

Mr Creed umfasste sanft ihren Ellbogen, schob sie zu einem der leeren Holzstühle vor dem großen Ofen und drückte sie darauf. „Ist jemand gestorben?“, fragte er.

Benommen schüttelte Juliana den Kopf.

Was sollte sie bloß tun? Ohne Geld konnte sie keine Zugfahrkarten für sich und die Kinder kaufen, geschweige denn eine Unterkunft bezahlen.

Mr Creed blickte zu den Kindern, die mit dem Rücken zu ihr aufgereiht vor dem Schaufenster mit dem dürren, trotzdem prächtig geschmückten Christbaum warteten. Sehnsüchtig betrachteten sie das hübsche Spielzeug, das an den Zweigen hing und unter dem Baum lag.

„Ich schätze, Sie sind die Lehrerin der indianischen Schule“, mutmaßte er.

Mr Willand, der Besitzer des Gemischtwarenladens, räusperte sich laut.

Julianas Herz zog sich zusammen, während sie die Kinder betrachtete. Mr Willand ließ sie ebenfalls nicht aus den Augen. Wie so viele Menschen ging er davon aus, dass sie bei der erstbesten Gelegenheit etwas klauen würden – einfach weil sie Indianer waren. Inzwischen gelang es ihr, dieses diskriminierende Verhalten einigermaßen zu ignorieren.

„Ja“, antwortete sie. „Oder zumindest war ich das. Doch die Schule ist jetzt geschlossen.“

Lincoln Creed fixierte Mr Willand eindringlich, dann nickte er langsam. „Ich fand es schade, das zu hören.“

„Seit du letzte Woche hier warst, Lincoln, ist kein Brief gekommen“, meldete sich Willand geradezu hämisch zu Wort. Die Luft in dem überhitzten kleinen Laden schien vor gegenseitiger Abneigung zu knistern. „Schätze, du könntest noch hier warten, ob der Zug etwas gebracht hat, aber du hast mit den ganzen Zeitungsannoncen wohl einfach nur dein Geld zum Fenster rausgeworfen.“

„Jedem tut es leid, Mr Creed“, sagte Juliana leise, „dennoch ist offenbar niemand bereit zu helfen.“

Abgelenkt von Mr Willands Kommentar, antwortete Lincoln nicht sofort.

Juliana stand auf. Doch als sie daran dachte, wie aussichtslos ihre Situation war, sank sie schwerfällig wieder auf den Stuhl. Alle Kraft war aus ihren Beinen gewichen. Vielleicht weil sie die zwei Meilen von der Schule in die Stadt mit all ihrer Habe in einer abgewetzten Tasche zu Fuß gegangen war. Die Kinder hatten ihre geschnürten Bündel unter den Arm geklemmt. Jetzt lagen sie zusammen mit ihrer Tasche auf dem Gehsteig vor dem Gemischtwarenladen.

„Es wird einen Sturm geben, Miss … Mitchell“, meinte Lincoln Creed. „Und es ist kalt und wird immer kälter, außerdem wird es bald dunkel. Da ich draußen kein Fahrzeug gesehen habe, gehe ich davon aus, dass Sie zu Fuß in die Stadt gekommen sind. Meine Kutsche steht vor der Tür. Es wäre mir eine Freude, wenn ich Sie und die Kinder irgendwohin bringen könnte.“

Irgendwohin bringen? Wir können nirgendwohin.

In Stillwater Springs gab es ein Hotel und mehrere Pensionen, doch selbst wenn Juliana Geld gehabt hätte, um eine Unterkunft zu bezahlen, hätte niemand die Kinder aufgenommen.

Sie hatten sich sehr beeilt, um Stillwater Springs noch vor der Abfahrt des Zugs zu erreichen. Und die ganze Zeit über hatte Juliana verzweifelt und wider besseres Wissen an das Geld von Clay geglaubt. Auf dem Weg in die Stadt waren sie immer wieder aufgehalten worden: Little Daisy war gestürzt und hatte sich dabei ein Knie aufgeschlagen. Eine riesige Schafherde hatte die Straße überquert und ihnen den Weg versperrt. Außerdem hinkte Theresa wegen ihres kaputten Fußes.

„Miss Mitchell?“, unterbrach Lincoln ihre Gedanken.

Mr Willand knallte irgendetwas so laut auf den Tresen, dass Juliana zusammenfuhr. „Rühr bloß nichts an!“, schrie er dabei.

Joseph, mit vierzehn der älteste von Julianas Schülern, zog sofort die Hand zurück, die er sehnsüchtig ausgestreckt hatte.

„Verdammtes diebisches Indianerpack …“, fluchte Mr Willand.

Der arme Joseph war ganz bleich geworden. Seine Schwester Theresa begann zu zittern, während die beiden kleinsten Kinder, der vierjährige Billy-Moses und die ein Jahr jüngere Daisy, zu Juliana stürzten und sich furchtsam an ihren Rock klammerten.

„Der Junge hat überhaupt nichts getan, Fred“, sagte Lincoln ruhig. „Kein Grund, die Stimme zu erheben oder ihn gar zu beschuldigen.“

Mr Willand wurde puterrot. „Hast du eine Lebensmittelbestellung aufzugeben?“, fragte er finster.

Lincoln schüttelte den Kopf. „Ich bin nur vorbeigekommen, um zu sehen, ob Post für mich da ist. Hab’s nicht früher geschafft bei dem Wetter.“ Er hielt inne, dann wandte er sich an Juliana. „Am besten bringe ich Sie jetzt da hin, wo Sie hinwollen.“

„Wir können nirgendwohin, Mister“, erklärte Joseph, der noch immer in der Nähe des Schaufensters stand, nun jedoch darauf bedacht war, die Hände sichtbar an den Seiten zu halten. Da er selten sprach, vor allem zu Fremden, erschrak Juliana beinahe über die unvermutete Äußerung des Jungen.

Verwirrt runzelte Lincoln die Stirn. „Wie bitte?“

„Vielleicht kommen wir im Diamond Buckle Saloon unter“, schlug Theresa vor, wobei sie entschlossen ihr Kinn vorreckte. „Wenn wir für unseren Unterhalt arbeiten.“

„Diamond Buckle?“, wiederholte Lincoln fassungslos.

Juliana befürchtete, in Tränen auszubrechen, wenn sie etwas sagte, und das konnte sie sich nicht leisten. Wenn sie nicht stark blieb, würden die Kinder auch noch den letzten Rest Hoffnung verlieren.

„Mr Weston Creed hat doch gesagt, er würde mir zeigen, wie man Lettern setzt“, wandte sich Joseph an Juliana. „Bestimmt könnte ich in einem Hinterzimmer der Redaktion schlafen, und zu essen brauche ich nicht viel. Dann müssten Sie sich um mich keine Sorgen mehr machen, Miss Mitchell.“ Dabei warf er einen besorgten Blick auf seine Schwester und schluckte schwer. Im Gegensatz zu Theresa war er alt genug, um zu wissen, welche Gefahren in einem Etablissement wie dem Diamond Buckle auf ein junges Mädchen lauerten.

Mit erhobenen Händen bat Lincoln um Ruhe.

Nun starrte jeder ihn an, auch Juliana, die inzwischen die kleine Daisy auf ihren Schoß gezogen hatte.

„Ihr alle“, rief er den Kindern zu, „sammelt jetzt ein, was euch gehört, und bringt es in meine Kutsche. Dort findet ihr auch Decken. Wickelt euch warm ein, denn es sind drei Meilen bis zur Ranch, und aus Nordwesten bläst ein eisiger Wind.“

Juliana schob Daisy sanft vom Schoß, um aufzustehen, hielt das Mädchen aber dicht an ihrer Seite. „Mr Creed, wir können keinesfalls …“ Ihre Stimme brach.

„Wie mir scheint, haben Sie keine große Wahl. Ich biete Ihnen und den Kindern einen Platz zum Bleiben an, Miss Mitchell. Nur so lange, bis Sie wissen, was Sie als Nächstes tun sollen.“

„Willst du wirklich, dass diese Wilden unter demselben Dach wohnen wie deine kleine Gracie?“, stieß Mr Willand entsetzt aus. Er durchquerte den leeren Laden und schubste Joseph zur Seite, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass in der Schaufensterauslage nichts fehlte.

Wieder schien die Luft zu knistern.

Lincoln machte einen Schritt auf den Ladenbesitzer zu.

Instinktiv griff Juliana nach seinem Arm, um ihn aufzuhalten. Selbst durch den schweren Stoff seines Mantels spürte sie die stählerne Härte seiner Muskeln – offenbar versuchte er mit aller Macht, seine Wut in Schach zu halten.

„Die Kinder sind an solche Bemerkungen gewöhnt“, sagte sie sanft. „Sie wissen, dass sie keine Wilden sind.“

„Geht schon mal zur Kutsche“, erwiderte Lincoln. Er befreite sich nicht aus Julianas Griff, starrte allerdings weiter in Willands tiefrotes Gesicht. „Alle.“

Die vier Kinder warfen Juliana einen Blick zu, die dunklen glänzenden Augen voller Fragen.

Sie nickte.

Als sie zur Tür rannten und sie aufrissen, erklang das fröhliche Bimmeln der kleinen Glocke. Selbst Daisy, die ihre Finger eben noch in ihren Rock gekrallt hatte, sauste hinter den anderen her. Nachdem sie ihren Mantel fester zusammengezogen und die Kapuze aufgesetzt hatte, folgte Juliana ihnen nach draußen.

Lincoln sah ihr hinterher. Er hatte seinen Hut an einen der Holzstühle gehängt und griff jetzt nach ihm. „Es gibt genug Trauer und Kummer in der Welt“, meinte er zu dem Ladenbesitzer, „auch ohne Narren wie Sie, die alles nur noch schlimmer machen.“

Willand reagierte vollkommen ungerührt, blieb aber lieber hinter dem Tresen, für den Fall, dass er sich schnell durch die Hintertür verziehen musste. „Warten wir mal ab, was Mrs Creed dazu sagt, wenn Sie mit einer Horde Rothäute vor ihrer Tür auftauchen …“

Mit etwas mehr Schwung als nötig setzte Lincoln den Hut auf den Kopf. Seine Frau Beth war vor zwei Jahren an einem Fieber gestorben, also bezog Willand sich wohl auf seine Mutter. Cora Creed wäre in der Tat überrascht gewesen, plötzlich fünf Gäste an ihrem Tisch zu entdecken – wenn Lincoln sie nicht kurz zuvor am Bahnhof abgesetzt hätte, und zwar mit so viel Gepäck, dass ein einziger Waggon dafür vermutlich nicht ausreichte. Sie war auf dem Weg nach Phoenix, wo sie gern den Winter bei ihren Verwandten verbrachte.

„Wenn es geht, komme ich morgen zurück“, erklärte er, während er bereits auf die Tür zusteuerte. Bei dem Sturm, der aufzog, konnte er es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Außerdem musste er seine Rinderherden füttern. „Um zu sehen, ob heute mit dem Zug irgendwelche Post kam.“

„Mein Junge ist schon auf dem Weg zum Bahnhof, wie immer, und er wird jede Minute mit dem Postsack zurück sein“, entgegnete Willand widerwillig. „Da kannst du genauso gut noch warten.“

Lincoln ging zum Fenster. Miss Mitchell verfrachtete gerade ihre ungewöhnliche Kinderschar in die Kutsche. Ein warmes Gefühl stieg in ihm auf, ein winziges Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

Seit fast einem Jahr suchte er nun schon per Annonce eine Gouvernante für seine siebenjährige Tochter Gracie und eine Haushälterin für sie beide. Erfolglos. Darum hatte er beschlossen, wieder zu heiraten, und da er wusste, dass er keine Frau so lieben konnte wie Beth, war er nicht allzu wählerisch.

Juliana Mitchell mit ihrer weiblichen Figur, den indigoblauen Augen und dem kupferroten Haar, das unter ihrer Haube hervorlugte, nahm ihren Beruf unverkennbar sehr ernst. Immerhin war sie nach Schließung der indianischen Schule geblieben, um sich um die Kinder zu kümmern. Nicht viele Lehrerinnen wären so engagiert gewesen.

Das sprach für ihren Charakter, und was ihr Äußeres betraf, konnte sie es auf jeden Fall mit jeder Frau aufnehmen, die sich möglicherweise auf seine Annonce gemeldet hatte.

Während er das Spielzeug in der Auslage betrachtete, das Willand noch vor Weihnachten zu verkaufen hoffte, fiel sein Blick auf eine kleine Metallbox unter dem Baum, die halb von einer Flagge verdeckt war. Er streckte die Hand danach aus und stellte fest, dass es sich um Wasserfarben handelte, ähnlich wie die, die Gracie zu Hause hatte.

Hatte der Junge die Box so sehnsüchtig angestarrt, als Willand seinen Anfall bekam?

Aus irgendeinem Grund, den er nicht näher benennen konnte, war Lincoln davon überzeugt.

Er hob die flache Blechkiste so hoch, dass Willand sie sehen konnte, bevor er sie in die Innentasche seines Mantels steckte. „Setz das auf meine Rechnung.“ Dann schlug Lincoln den Kragen seines Mantels gegen die Kälte hoch und trat aus dem Gemischtwarenladen auf den hölzernen Gehsteig.

Die Kinder saßen schon hinten in der Kutsche, alle außer dem ältesten Jungen in raue Wolldecken eingemummelt, die Lincoln im Winter immer dabei hatte. Juliana Mitchell wartete auf ihrem Sitz, den Rücken gerade aufgerichtet, das Kinn erhoben, und versuchte, vor Kälte nicht mit den Zähnen zu klappern.

Nachdem Lincoln gerade seinen Mantel zugeknöpft hatte, knöpfte er ihn nun wieder auf, bevor er neben sie kletterte. Schneeflocken fielen langsam vom grauen Himmel. Er nahm die Zügel in die Hand und löste die Bremse. Die Straßen der Stadt waren verlassen – die Leute bereiteten sich auf den Schneesturm vor, den sie wahrscheinlich genauso wie Lincoln bereits in ihren Knochen spürten.

Da er wusste, dass sie zu stolz wäre, um seinen Mantel anzuziehen, schlüpfte er aus seinem rechten Ärmel, drückte Juliana fest an seine Seite und hüllte sie in den Stoff.

Sie versteifte sich, wehrte sich aber nicht.

Er ließ die Pferde lostraben, den Blick fest auf die verschneite Straße gerichtet. Bis sie die Ranch erreichten, würde es bereits dunkel sein, doch die Pferde kannten den Weg.

Juliana Mitchell fühlte sich warm und weich an seiner Seite an. Er hatte ganz vergessen, wie es war, eine Frau zu beschützen. Die Erinnerung daran tat weh, wie verfrorene Gliedmaßen, die langsam wieder auftauten.

Beth war nun schon eine Weile gegangen, und auch wenn er nicht gerade stolz darauf war, so hatte er sich im letzten halben Jahr ein oder zwei Mal drüben in Choteau oder in Missoula mit lockeren Frauenzimmern vergnügt.

Was er jetzt empfand, war natürlich etwas ganz anderes. Obwohl diese Frau ganz offensichtlich das Glück verlassen hatte, war sie eine echte Lady. Ihre Herkunft konnte sie selbst in ihren fadenscheinigen Kleidern nicht verleugnen – schon gar nicht vor einem Rancher, der feinste Rinder und Pferde züchtete.

Minuten später, als sie über die Straße rumpelten, entspannte Juliana sich allmählich an seiner Seite, bis ihm klar wurde, dass sie eingeschlafen war. Bestimmt war sie sehr erschöpft. So traurig, wie sie nach dem Lesen des Briefs aufgesehen hatte, musste etwas sehr Enttäuschendes darin gestanden haben.

Zumindest wusste er, dass niemand gestorben war, denn das hatte er sie sofort gefragt.

Lincoln versuchte sich vorzustellen, was sie so aus der Fassung gebracht hatte, auch wenn ihn das selbstverständlich überhaupt nichts anging.

Vielleicht war sie mit dem Verfasser des Briefes verlobt gewesen, und er hatte sich jetzt für eine andere entschieden.

Seine Schulter begann zu schmerzen, weil er seinen Arm in einem unnatürlichen Winkel um Juliana gelegt hatte, doch das interessierte ihn nicht. Wenn er nicht so ein praktisch veranlagter Mensch gewesen wäre, hätte er die Pferde sogar an der Ranch vorbeigelenkt, nur damit sie sich noch ein wenig länger an seiner Schulter ausruhen konnte.

Der Wind wurde schärfer, der Schnee fiel heftiger. Als er hinter sich zu den Kindern blickte, saßen sie stoisch auf ihren Plätzen, eingepackt in ihre Decken.

Fast eine Stunde war vergangen, da kamen endlich die Lichter der Ranch in Sicht. Dunkelgolden glühten sie in der Finsternis.

Lincolns Herz begann höher zu schlagen, so wie immer, wenn er die letzte Biegung der Straße nahm und sein Heim sah, das etwas weiter oben auf ihn wartete.

Sein Heim.

Er war in diesem großen, einstöckigen Blockhaus mit seinen Steinkaminen als dritter Sohn von Josiah und Cora Creed zur Welt gekommen. Micah, der Erstgeborene, hatte die Ranch schon lange verlassen und ein eigenes Haus unten in Colorado gebaut. Weston, der nächste in der Linie, lebte in der Stadt, in einer Wohnung über dem Diamond Buckle Saloon, wo er den Courier herausbrachte – sofern er nüchtern genug war, um die Druckerpressen zu bedienen.

Zwei Jahre jünger als Wes war Lincoln nur einmal von zu Hause weggegangen, um das College in Boston zu besuchen und danach bei einem Anwalt in die Lehre zu gehen – Beth’ Vater. Sobald er selbst hatte praktizieren können, hatte er Beth geheiratet, sie mit nach Hause auf die Stillwater Springs Ranch genommen und sie mit all der Leidenschaft geliebt, die ein Mann für eine Frau empfinden konnte.

Für ein Mädchen aus der Stadt hatte Beth sich erstaunlich schnell an das einsame Leben auf einer Ranch in Montana gewöhnt, und falls sie Boston jemals vermisst hatte, so hatte sie es nie gesagt. Sie hatte ihm Gracie geschenkt, und zusammen waren sie glücklich gewesen.

Jetzt ruhte sie auf dem kleinen Friedhof hinter den Obstbäumen, so wie Josiah und der vierte Creed-Bruder Dawson.

Dawson. Manchmal war es sogar noch schmerzhafter, an seinen Tod zu denken, als daran, wie Beth gestorben war.

Juliana richtete sich gähnend auf, und er ahnte, dass sie sich für ihr vertrauliches Anlehnen schämte.

„Wir sind fast da“, verkündete er gerade laut genug, dass sie ihn verstehen konnte.

Sie entgegnete nichts, richtete sich aber noch etwas mehr auf und wollte sich von ihm lösen, was allerdings sein Arm und der Mantel verhinderten.

Als sie das Gatter mit dem gebogenen Schild erreichten, wollte Lincoln absteigen, doch Joseph war schneller. Er schob den Riegel zurück, stieß das Tor weit auf, und Lincoln fuhr die Kutsche hindurch.

Sein Vater und Tom Dancingstar hatten das Holz für das Schild geschnitten und glatt gehobelt, die Buchstaben hineingemeißelt und dann mühselig mit glühenden Schürhaken vertieft.

Lincoln betrachtete die Worte immer voller Dankbarkeit und Stolz.

Stillwater Springs Ranch.

Er ließ die Pferde halten, während der Junge das Gatter wieder schloss und zurück in die Kutsche sprang. Die Tiere waren begierig darauf, in den Stall zurückzukehren, wo Heu, Wasser und Wärme sie erwarteten.

Tom stand schon bereit, um ihm beim Abspannen der Pferde zu helfen. Nach eigener Aussage zum Teil Lakota Sioux, zum Teil Cherokee und zu einem Teil Teufel, arbeitete er schon vom ersten Tag an auf der Ranch. Den Namen Tom hatte er sich selbst gegeben, weil seiner Ansicht nach keine weiße Zunge in der Lage war, seinen wirklichen Geburtsnamen auszusprechen.

Er lächelte, kaum dass er Juliana sah, und sie erwiderte sein Lächeln.

Zweifellos kannten sie einander.

War Lincoln am Ende der Einzige in der Gegend, der die Lehrerin der indianischen Schule nicht gekannt hatte?

„Bringen Sie die Kinder ins Haus“, sagte Lincoln zu Juliana. Fast fühlte es sich an, als ob sie beide seit Jahren verheiratet wären und diese Kinder ihre gemeinsamen wären. „Tom und ich kommen nach, sobald wir hier fertig sind.“

Er hob die zwei kleineren Kinder aus der Kutsche. Mit verschlafenem Blick und noch immer in ihre Decken gehüllt stolperten sie ein wenig, verdutzt, dass sie sich auf einmal in einem Stall befanden, umgeben von Pferden und einer Milchkuh.

„Ich kümmere mich um die Pferde“, meinte Tom. „Auf dem Feuer steht ein Eintopf, und Gracie sucht schon seit Sonnenuntergang die Straße nach dir ab.“

Als er an seine blonde, blauäugige Tochter dachte, musste Lincoln lächeln. Klüger als drei Richter und ein ganzer Haufen Geschworener zusammen tendierte Gracie ein wenig zur Ängstlichkeit. Da sie ihre Mutter mit nur fünf Jahren verloren hatte, sorgte sie sich um ihren Vater, wenn er nicht in ihrer Nähe war.

Eine so große Ranch wie Stillwater Springs bedeutete natürlich viel Arbeit. Lincoln war viel unterwegs und musste Gracie dann der Obhut seiner Mutter oder Rose-of-Sharon Gainer, der hochschwangeren Frau eines Hilfsarbeiters, überlassen.

Joseph hielt den Blick auf Tom gerichtet.

„Kann ich hierbleiben und helfen?“, fragte er.

„Darf ich“, korrigierte Juliana ihn und schenkte ihm ein Lächeln. „Ja, Joseph, du darfst.“

Sie beugte sich vor und hob, müde wie sie war, das kleine Mädchen auf den Arm. Lincoln nahm den kleinen Jungen.

„Das ist Daisy“, erklärte ihm Juliana. „Und der Junge, den Sie tragen, heißt Billy-Moses.“ Das Mädchen, das vorgeschlagen hatte, im Diamond Buckle für ihren Unterhalt zu arbeiten, zog schüchtern den Kopf ein und drückte sich etwas fester an die Hüfte ihrer Lehrerin. „Und die Dritte im Bunde ist Theresa.“

Sie ließen Tom und Joseph zurück. Am Eingang vom Stall streifte Lincoln seinen Mantel ab und legte ihn Juliana um die Schultern. Er schleifte am schneebedeckten Boden. Lächelnd raffte sie mit ihrer freien Hand den Stoff und hielt ihn hoch.

Autor

Linda Lael Miller
Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.
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