Irische Fantasie

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Vor Jahren verließ Tanya ihr geliebtes Irland, um in London als Malerin Erfolge zu feiern - und um ihre große Liebe Ross Falcon zu vergessen. Doch die Sehnsucht nach Ross ist stärker, und als sie ihm bei ihrer Rückkehr begegnet, ihm in die Augen sieht, ist sie verloren …


  • Erscheinungstag 01.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775773
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tanya Sheridan schlenderte langsam durch die Galerie. Ab und zu blieb sie stehen, um mit kritischem Blick ein Bild zu betrachten. Nun, da die letzten Besucher gegangen waren und nur noch wenige Lichter brannten, machten die Räume einen verlassenen, fast melancholischen Eindruck.

Eine ganz neue Gefühlsdimension, eine noch unbekannte Erfahrung, dachte Tanya, ein wenig über sich selbst belustigt. Obwohl viele der Bilder einen Aufkleber mit dem Vermerk „verkauft“, trugen, empfand sie eine gewisse Wehmut. Das stolze, aufregende Erlebnis einer ersten Ausstellung war vorbei.

Sie machte kehrt und ging wieder zurück. In dem kleinen, verglasten Büro unterhielt sich Ben mit Joseph Bernstein, beide Männer rauchten Zigarren, offenbar höchst befriedigt über den gemeinsamen Erfolg. Tanya blickte lächelnd zu ihnen hinüber. Natürlich war es schön, plötzlich einen bekannten Namen zu haben. Dennoch war auch eine Spur von Enttäuschung dabei. Ein Gefühl von Leere nach der vorausgegangenen übergroßen Spannung. Tanya seufzte. Es war gut, dass am Abend noch eine Party stattfinden sollte, sonst würde sie wahrscheinlich nur Trübsal blasen.

Am Ende der Galerie blieb sie vor dem einzigen Gemälde der Ausstellung stehen, das den Vermerk „unverkäuflich“ trug. Es gehörte nicht zu ihren besten Arbeiten, das wusste Tanya. Der Pinselstrich war zu grob, die Farben besaßen keine Leuchtkraft. Trotzdem würde sie sich niemals davon trennen. Das Sujet war der Grund dafür. Die blassen Farbtöne vermittelten den Eindruck von Nebel und Regen, eine Impression, die von Tanyas Erinnerung noch verstärkt wurde. Sie lächelte amüsiert. Wer konnte sich vorstellen, dass dieser amateurhafte Versuch, die imponierende Großartigkeit von Falcons Head auf die Leinwand zu bannen, etwas mit der traurigen Leere ihres Lebens zu tun hatte?

Sie wandte sich abrupt ab. Es war ihr unmöglich, das Bild länger zu betrachten, ohne mit aller Eindringlichkeit an ihre schwere Jugend erinnert zu werden. Waren wirklich erst sechs Jahre vergangen, dass sie Falcon’s Wherry, dieses kleine irische Dorf, verlassen hatte? Lag es tatsächlich nur sieben Jahre zurück, dass sie jene leicht zu beeindruckende Achtzehnjährige gewesen war – mit einer zu lebhaften Fantasie und einem besonderen Talent, in Schwierigkeiten zu geraten? So vieles war seither geschehen. So zahlreiche Erfahrungen hatten den Kummer überlagert, all das, was sie damals erlitten hatte.

Jetzt war sie nicht mehr leicht zu beeindrucken, war nicht mehr das junge, dumme Ding von einst, sondern eine erwachsene Frau, die zielbewusst ihre Karriere verfolgte.

Aber warum behielt sie dann dieses Bild? Warum quälte sie sich damit? Wenn sie wirklich so erwachsen war und gereift, warum warf sie es nicht einfach beiseite? Sie wusste nur eines: Solange sie dieses Bild besaß, würde sie nicht vergessen, dass sie einmal einen schrecklichen Fehler gemacht hatte und nur ihr Talent, ihre Malerei, sie vor einer tiefen Demütigung bewahrt hatte!

„So tief in Gedanken?“

Tanya fuhr zusammen, weil sie Bens Näherkommen nicht bemerkt hatte. „Oh, Ben! Du hast mich erschreckt!“

„Entschuldige.“ Er lächelte sie liebevoll an. Dann erst sah er das Gemälde. „Bedrückt, Tanya? Ist das Bild daran schuld?“

Tanya wandte dem Gemälde den Rücken. „Aber nein, Ben“, behauptete sie. „Ich habe nur meine jetzigen Arbeiten mit diesem frühen Versuch verglichen. Scheußlich, nicht wahr?“ Es gelang ihr, Gelassenheit in ihre Stimme zu legen.

Aber Ben war nicht so schnell zu überzeugen. „Warum behältst du es dann?“, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. „Vielleicht, um mir meine bescheidenen Anfänge immer wieder in Erinnerung zu rufen“, erwiderte sie beiläufig. „Worüber hast du dich mit Mr Bernstein unterhalten?“

Sie gingen gemeinsam zu dem kleinen Büro. „Er ist sehr zufrieden mit deinem Erfolg“, antwortete Ben grinsend, „der natürlich auch seiner ist.“

„Natürlich“, bestätigte Tanya trocken. Sie hob interessiert den Blick.

„Er will im Herbst eine weitere Ausstellung mit Arbeiten von dir machen“, fuhr Ben fort. „Meinst du, das könntest du schaffen?“

Tanya zögerte. Das war ja ein geradezu beängstigendes Tempo. „Ich weiß nicht, Ben“, begann sie. „Eigentlich … brauche ich erst einmal etwas Ruhe“.

„Was? In deinem Alter?“ Ben lachte.

„Doch, ernsthaft. Ich hatte daran gedacht, Ferien zu machen.“

„Gut … gut, ich werde mitkommen. Wir packen dein Malzeug ein, und dann kannst du den ganzen Sommer lang so viel arbeiten wie du willst.“

„Nein!“ Tanyas Protest klang ein wenig scharf. Dann drückte sie Bens Arm. „Bitte, Ben, dränge mich nicht. Ich brauche wirklich eine Pause. Während der vergangenen drei Wochen habe ich kaum eine Minute für mich selber gehabt.“

Ben schüttelte den Kopf. „In dieser Branche muss man im Gespräch bleiben. Gerade jetzt interessiert sich das Publikum für die Arbeit von Tanya Sheridan. Willst du, dass dir irgendein anderer Künstler die Schau stiehlt?“

Tanya hob die Schultern. „Ist das denn möglich?“

„Liebling, im Kunstbetrieb ist alles möglich!“, erklärte Ben unheilverkündend. „Liefere dem guten alten Joseph keinen Grund für einen Herzinfarkt. Sag ihm, du wirst über seinen Vorschlag nachdenken – tue es mir zuliebe.“

Tanya sah ihn an. „Also gut, Ben“, sagte sie resigniert. Sie ging Ben voran in das verqualmte kleine Büro.

Joseph Bernstein war Ende Fünfzig und bekannt für seine Förderung junger Talente. Nicht, dass seine Motive rein altruistisch gewesen wären. Aber Tanya mochte ihn und traute seinem Urteil. Ben und er waren befreundet. Deshalb verdankte sie im Grunde genommen Ben die Verbindung zu ihm.

„Nun, Tanya“, sagte Bernstein lächelnd. „Hat Ben Ihnen unseren Vorschlag unterbreitet?“

„Ja, Mr Bernstein.“ Tanya nickte.

„Vorzüglich. Ihr Name darf keinesfalls in Vergessenheit geraten, verstehen Sie? Sie haben eine sehr erfolgreiche Ausstellung gehabt, Tanya. So etwas ist bei einem ersten Versuch durchaus nicht üblich. Aber ich glaube, das Publikum reagiert wieder mehr auf Naturalismus. Und ihre Bilder haben einen gewissen – wie soll ich es ausdrücken –, einen gewissen Charme, eine Schlichtheit des Ausdrucks, die ungemein anspricht. Für ein Mädchen Ihres Alters sind Sie bemerkenswert begabt. Aus Ihren Arbeiten spricht eine Reife, eine Erfahrung – als hätten Sie viel gelitten.“

Tanya spürte, dass ihr Röte in die Wangen stieg. Mr Bernstein war ein guter Beobachter. Man konnte seinem Urteil vertrauen.

„Ich bin Ihnen natürlich für Ihre Hilfe sehr dankbar“, begann sie. Bens bittender Blick ließ sie nicht los. „Ich … ich möchte Ihren Wunsch gern erfüllen, aber ich bezweifle …“

Gott sei Dank brauchte sie nicht weiterzusprechen. Bernstein fiel ihr ins Wort: „Selbstverständlich … selbstverständlich, Tanya. Sie fühlen sich überrumpelt. Künstler hassen es, gedrängt zu werden. Ich sehe das ein. Sie sind müde. Das ist nur zu verständlich. Sie brauchen Zeit, um sich mit Ihrer Situation vertraut zu machen, zu wissen, wie es weitergehen soll. Es ist Ben, der mich zu dieser Gedankenlosigkeit veranlasst hat. Verzeihen Sie mir.“

Tanya warf Ben einen hilflosen Blick zu. „Okay, okay“, sagte er mit einem halben Lächeln. „Ich weiß, ich bin weder Künstler noch Mäzen. Komm, Tanya, wir suchen uns eine Bar und trinken einen Schluck. Hast du auch Lust, Joe?“

Bernstein schüttelte den Kopf. „Nein, danke, Ben. Deine Entdeckung hat genug von dem Gerede. Unterhalte sie mit angenehmeren Dingen. Anregungen dazu brauche ich dir hoffentlich nicht zu geben.“

Draußen fiel leichter Nieselregen. Ben sprang mit langen Sätzen zu seinem Wagen, um Tanya einsteigen zu lassen. Als sie in dem großen Jaguar saßen, legte er mit besitzergreifender Geste den Arm um ihre Schultern.

„Oh, Tanya“, sagte er leise. „Ich liebe dich.“ Seine Lippen suchten ihren Mund. Dann ließ er schnell den Motor an. Ben erwartete keine Antwort, und er bekam auch keine.

Tanya überlief ein leichtes Frösteln. Bens Gefühle beunruhigten sie. Warum konnte sie seine Liebe nicht erwidern? War sie unnatürlich frigide, oder hatte jenes frühere Erlebnis ihre Gefühle abgetötet? Manchmal quälten sie solche Gedanken. An diesem Abend war sie besonders empfindlich.

Sie fuhren zu ihrer Lieblingsbar, einem Kellerlokal in der Nähe von Picadilly. Erst in der gepflegten Atmosphäre des dezent beleuchteten Raumes fragte Ben: „Was ist heute los mit dir, Tanya? Du bist so in dich gekehrt.“

Tanya starrte auf die bernsteingelbe Flüssigkeit in ihrem Glas. „Ich wieß selbst nicht, Ben. Vielleicht hängt es mit der Ausstellung zusammen. Plötzlich scheint mir alles so leer zu sein.“

„Leer?“ Ben hob erschrocken den Blick. „Wieso hat das mit uns zu tun? Mit mir?“

„O nein!“ Tanya schüttelte abwehrend den Kopf. Dann fuhr sie mit der Hand über den weichen Tweed seiner Jacke. „Wie kommst du nur darauf, Ben? Ohne dich wäre ich ein Nichts.“

„Das bezweifle ich. Das bezweifle ich sogar sehr“, versetzte Ben entschieden. „Früher oder später hättest du auf jeden Fall Erfolg gehabt. Ich habe den Prozess nur ein wenig beschleunigt. Mehr nicht.“

Tanya strich sich mit der Hand über die Stirn. „Danke, Ben, du bist sehr lieb.“

Er steckte sich eine frische Zigarre an. „Ich will nicht ‚sehr lieb‘ sein“, protestierte er ungeduldig. „Weißt du, was ich will? Dich heiraten!“

Tanya senkte den Kopf. „Ach, Ben, wenn ich nur glauben könnte, dass so eine Ehe gut geht.“ Sie musterte ihn. „Aber warum gerade ich? Du bist Benjamin Hastings. Dein Vater ist Allen Hastings, Vorsitzender des Hastings-Konzerns. Ganz bestimmt hätte er eine Menge einzuwenden, wenn er von deinen Absichten wüsste.“ Sie lächelte ironisch. „Ich, Tanya Sheridan, ein kleiner Niemand ohne alle Verbindungen.“

„Das ist nicht fair!“, rief Ben vorwurfsvoll. „Du weißt, dass mein Vater dich bewundert.“

„Er bewundert meine Arbeiten“, korrigierte Tanya. „Ich weiß nicht, ob er mich als Schwiegertochter willkommen heißen würde.“

„Natürlich würde er das. Außerdem …“, in Bens Stimme schwang ein wenig Arroganz mit – „beabsichtige ich, mir meine Frau selbst auszusuchen. Und du bist diese Frau.“

„Wenn ich dich doch nur lieben könnte, Ben. Das würde alles so einfach machen.“

Ben stieß einen gereizten Seufzer aus. „Liebling, es ist doch alles so einfach! Ich liebe dich, das weißt du, und ich will dich heiraten und dir allmählich beibringen, mich auch zu lieben.“

Tanya runzelte die Stirn. „Kann man einem Menschen Liebe beibringen?“

„Ach, Tanya“, meinte Ben hilflos. „Musst du denn wirklich unser Verhältnis bis ins letzte analysieren? Wir kommen wunderbar miteinander aus, das hat sich erwiesen. Unser Geschmack und unsere Interessen sind gleich. Warum sollte eine Ehe zwischen uns nicht gut gehen?“

Tanya biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht, Ben. Ich habe immer gedacht …, ach, was hat das für einen Sinn? Kann ich bitte eine Zigarette haben?“

Ben hielt ihr sein Etui hin und gab ihr Feuer. Nachdem Tanya den ersten Zug gemacht hatte, schob sie ihre Hand unter Bens Arm. „Lass uns nicht so ernst sein heute Abend, Ben. Schließlich haben wir noch die Party vor uns. Es war schrecklich nett von dir, die ganzen Leute einzuladen. Ich möchte nicht, dass zwischen uns Verstimmung herrscht.“

„Verstimmung!“ Ben warf ihr einen entrüsteten Blick zu. „Ich wollte heute Abend unsere Verlobung bekannt geben!“

„Oh, Ben!“

„Ja, wirklich. Tanya, kannst du dich nicht mit dem zufriedengeben, was wir haben?“

Sie presste beide Hände gegen die Wangen. „Du musst mir Zeit geben, Ben.“

„Wie viel Zeit wirst du denn brauchen?“

Tanya bemerkte den gequälten Zug in seinem Gesicht und fühlte sich unwillkürlich schuldbewusst. „Also gut, Ben“, sagte sie langsam. „Lass mir Zeit bis heute Abend – bis zu der Party. Du kannst mich jetzt nach Hause bringen, weil ich mich noch umziehen muss. Ich gebe dir meine Antwort, wenn du mich wieder abholen kommst. Einverstanden?“

Ben starrte sie an. „Ist das dein Ernst?“

„Bestimmt.“

Er nickte und leerte eilig sein Glas. Als sie hinausgingen, sagte er leise: „Übrigens sollst du eines wissen – auch wenn deine Antwort ‚Nein‘ heißen sollte, bleiben wir Freunde.“

Tanya starrte ihn wortlos an.

„Ich meine“, fuhr er verlegen fort, „deshalb brauchen wir doch nicht miteinander zu brechen, nicht wahr?“

„Gut, Ben.“ Tanya spürte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Warum gerade ich?“, wiederholte sie.

Ben blickte sie an. „Ich kann es nicht ändern.“

Tanyas Wohnung befand sich in einem Neubaublock am Regent’s Park. Sie verabschiedete sich vor der Haustür von Ben. „In einer Stunde bin ich fertig.“

Ihr kleines Reich im vierten Stock teilte sie mit Emma Latimer, einem alten Faktotum, das zugleich als Haushälterin, Köchin und Vertraute fungierte. Emma hatte sich auf eine Anzeige gemeldet, die Tanya vor zwei Jahren in der „Times“, aufgegeben hatte. Damals waren ihre Einkünfte eben ausreichend gewesen, sich diese Wohnung zu mieten und Emma zu engagieren. Tanya hatte ihr Glück kaum zu glauben gewagt, für ein recht bescheidenes Entgelt eine Perle wie Emma zu bekommen. Später erst, nachdem sie sich beide angefreundet hatten, war herausgekommen, dass Emma ein Leben lang ihre kränkelnden Eltern gepflegt hatte. Durch den Tod der alten Leute von dieser Bürde befreit, aber ohne jede Berufsausbildung, war ihr Tanyas Zeitungs-Annonce wie eine Fügung des Himmels erschienen. Eine Fügung übrigens, die sich für sie beide zum Segen ausgewirkt hatte.

Inzwischen war Emmas Lohn mehr als angemessen und die Wohnung so eingerichtet, wie es sich Tanya immer erträumt hatte.

„Emma! Ich bin da!“, rief Tanya, als sie die winzige Diele betrat. Sie legte ihren Mantel ab, bevor sie in das große Wohnzimmer ging.

Emma Latimer kam aus der Küche. Sie trug die mausgrauen Haare zu einem Dutt zusammengedreht und war immer schrecklich unmodisch gekleidet. „Na“, fragte sie, „alles gut überstanden?“

Tanya nickte. Sie ließ sich auf die Couch fallen, streckte die langen, schlanken Beine aus und streifte die Schuhe von den Füßen.

„Ich habe gerade frischen Tee aufgebrüht“, sagte Emma. „Möchten Sie eine Tasse?“

„Ja, bitte“, erwiderte Tanya mit einem Lächeln. „Dann muss ich gleich in die Badewanne. Ben holt mich in einer knappen Stunde ab.“

Der Tee war heiß und stark, so wie Emma ihn immer machte. Tanya trank ihn mit genussvollen Schlucken. Es war himmlisch, ein paar Minuten ganz zu entspannen und überhaupt nichts denken zu müssen.

„Setzen Sie sich einen Augenblick zu mir“, forderte Tanya ihre Vertraute auf. „Ich möchte mit Ihnen reden.“

Emma zögerte kurz, dann ließ sie sich auf einer Stuhlkante nieder. „Ja? Was gibt es denn?“

Tanya lehnte sich träge zurück. „Ben hat mir einen Heiratsantrag gemacht.“

„Das überrascht mich nicht.“

Tanya lächelte. Emma war immer so geradeheraus. „Nein, das glaube ich auch nicht“, versetzte sie. „Das Problem ist nur – soll ich ja sagen?“

Emma zuckte die Achseln. „Das können nur Sie ganz allein entscheiden.“

Tanya warf ungeduldig den Kopf zurück. „Das weiß ich. Aber – was halten Sie davon?“

Emma studierte eingehend ihre sauberen Fingernägel. „Sie wollen wirklich meinen Rat?“

„Ja.“

„Dann sage ich, dass Sie ablehnen sollten.“

Tanya runzelte die Stirn. „Wie soll ich das auffassen?“

„Nun, das ist doch ziemlich einleuchtend. Ich meine – wenn Sie ihn wirklich heiraten möchten, hätten Sie mich nicht gefragt. Sie hätten mir einfach Ihre Verlobung mitgeteilt!“

„Oh, Emma!“ Tanya stellte die Tasse ab und stand auf. „Aus Ihrem Mund klingt alles so einfach.“

„Das ist es doch auch. Es wäre sinnlos, den jungen Mann zu heiraten, wenn Sie irgendwelche Zweifel haben. Unglückliche Ehen gibt es wahrhaftig schon genug.“

„Die Leute hätten vorher Sie fragen sollen“, meinte Tanya mit ironischem Unterton.

Emma kicherte unterdrückt. „Tut mir leid, wenn das nicht die Antwort ist, die Sie hören wollten, Miss Tanya. Aber Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt.“

„Ja, ich weiß“, räumte Tanya unglücklich ein. „Sie sind die Einzige, an die ich mich um Rat wenden kann.“

Emma schüttelte den Kopf. „Trotzdem kann Ihnen die Entscheidung niemand abnehmen, Miss Tanya. Sicher gibt es auch genug Gründe, die für eine Heirat mit Mr Hastings sprechen. Er ist ein netter, junger Mann, gut aussehend und liebenswürdig, bei dem Sie es bestimmt gut hätten. Auch in finanzieller Hinsicht. Es hängt ganz davon ab, was Sie von einer Ehe erwarten. Ich persönlich habe niemals blonde Männer gemocht. Bei mir musste ein Mann dunkel sein, mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen!“

Tanya spürte, wie sich ihr Inneres bei Emmas Kommentar zusammenkrampfte. Plötzlich musste sie wieder an Falcon’s Head denken, und es schien ihr bezeichnend zu sein, dass sie gerade an diesem Tag zum zweiten Mal an die Vergangenheit erinnert wurde.

„Was für ein Mann war denn das, Emma?“, erkundigte sie sich betont heiter, um den Aufruhr ihrer Gefühle zu verbergen.

Emma verzog das Gesicht. „Bei mir gibt es nur einen. Und das liegt lange zurück. Er ist vor El Alamein geblieben.“

„Oh, Emma, das tut mir leid.“ Tanya versuchte sich einen Augenblick lang vorzustellen, was Emma empfunden haben musste, als der Mann, den sie liebte, nicht mehr aus dem Krieg gekommen war. Hatte sie sich deshalb so ausschließlich ihren alten Eltern gewidmet? Waren alle anderen Gefühle mit diesem Mann gestorben?

„Ich habe es inzwischen längst überwunden“, erklärte Emma. „Jetzt denke ich nur noch manchmal mit einer gewissen Wehmut an ihn zurück.“ Ihr durchdringender Blick blieb an Tanyas Gesicht haften. „Wir haben schließlich alle unsere kleinen Kümmernisse, nicht wahr?“

Tanya errötete. Wie immer war Emma allzu scharfsichtig. „Mein Gott!“ Sie blickte demonstrativ auf ihre Armbanduhr. „Schon so spät? Ich muss baden. Sollte Mr Hastings kommen, bevor ich fertig bin, bitten Sie ihn zu warten.“

Sie verschwand eilig im Badezimmer. Was war heute nur los mit ihr? Warum hatte sie auf einmal das Gefühl, einen Wendepunkt erreicht zu haben? Sie brauchte eben einfach ein bisschen Ruhe. Sie war müde, das hatte sie Ben ausdrücklich gesagt. Wenn er ihr das auch nicht abnehmen wollte. Am besten würde es sein, eine gewisse Zeit Urlaub zu machen!

Sie legte sich in das warme Wasser und schloss erschöpft die Augen. Obwohl Emma nichts von Tanyas Vergangenheit wusste, hatte sie mit instinktiver Sicherheit die Hand auf eine alte Wunde gelegt.

Tanya richtete sich unwillig auf und begann entschlossen, sich abzuseifen. Es war müßig, immer wieder über die Vergangenheit zu grübeln. Sie benahm sich wirklich wie ein sentimentaler Teenager. Es war viel vernünftiger, sich ernsthaft mit Bens Antrag auseinanderzusetzen, statt sich in Erinnerungen an den herben Reiz von Falcon’s Head und die kalte Arroganz seines Besitzers zu verlieren.

Und dennoch: Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass sie die Gegenwart nur dann voll würde akzeptieren können, wenn sie zuvor mit der Vergangenheit ins reine gekommen war.

Aber was für eine Lösung gab es? Wie konnte sie die alte Bitterkeit überwinden? Es sei denn – sie würde an den Platz zurückkehren, wo sie ihre Demütigung erlebt hatte.

Sie schüttelte heftig den Kopf. Nein, das war unmöglich! Gab es keinen anderen Weg, die Vergangenheit endgültig abzustreifen? Musste sie dazu wirklich zurückkehren nach Falcon’s Head, in das Dorf im Süden Irlands?

Sie war bei ihren Großeltern aufgewachsen, ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Ihr Vater, den Auskünften des Großvaters zufolge ein arbeitsscheuer, unzuverlässiger Engländer, hatte sich erst sehr viel später wieder blicken lassen. Dass er seiner Tochter wegen zurückgekehrt war, hatte im Dorf allerhand Aufsehen erregt. Aber damals waren ihre Großeltern bereits tot gewesen, und es hatte nichts in Falcon’s Head gegeben, was sie hätte zurückhalten können.

Während sie sich abtrocknete, überlegte sie weiter. Womit sollte sie eine Rückkehr bemänteln? In Falcon’s Wherry gab es nur wenige Sommergäste. Das Dorf war zwar idyllisch gelegen, hatte aber kaum etwas zu bieten. Von Falcon’s Head abgesehen natürlich.

Bei dem Gedanken an Falcon’s Head wusste sie plötzlich, was sie tun musste. Sie musste als die Künstlerin, die sie jetzt war, dorthin zurückkehren und Falcon’s Head noch einmal malen. Dann konnte sie das alte Gemälde vernichten und mit ihm all den Kummer und Schmerz, der damit zusammenhing. Das würde ihr Urlaubsziel sein – ein paar Monate in Irland.

Wie würde sich Ben dazu stellen? Und was sollte sie ihm sagen, wenn er ihre Antwort verlangte? Wie konnte sie von ihm erwarten, dass er ihren Wunsch begriff, nach Irland zurückzukehren? Zumal sie unbedingt allein fahren wollte, um die Geister der Vergangenheit endlich loszuwerden.

Als sie sich in ihrem Schlafzimmer das Gesicht eincremte, stellte sie sich sehr eindringlich die Frage, warum sie sich innerlich so gegen eine Ehe mit Ben sträubte. Ein Verlobungsring am Finger hätte ihr eine Rückkehr nach Falcon’s Head sehr viel leichter gemacht.

Aber das brachte sie denn doch nicht übers Herz. Sie konnte Ben nicht einfach für ihre Zwecke benutzen. Sie musste ihm eben noch einmal erklären, dass sie eine Ruhepause – diese Reise in die Vergangenheit – brauchte. Nach ihrer Rückkehr würde er dann seine Antwort bekommen.

Wie sie erwartet hatte, war Ben dagegen, dass sie England verließ.

„Wenn du schon darauf bestehst, alleine Urlaub zu machen, bleib wenigstens so weit in der Nähe, dass ich dich ab und zu besuchen kann“, bat er.

„Du verstehst mich nicht, Ben“, erwiderte sie gequält. „In diesem Dorf bin ich aufgewachsen.“

„Aber du hast mir doch erzählt, dass deine Eltern tot sind.“

„Das stimmt. Du weißt, dass mein Vater starb, als ich erst ein halbes Jahr hier in London war.“

Ben nickte. Durch Trevor Sheridan hatte er Tanya kennengelernt.

Tanya seufzte. „Ben, als ich Irland verließ, hätte ich nie gedacht, dass ich den Wunsch haben könnte, noch einmal dorthin zurückzukehren. Aber“, sie suchte nach den richtigen Worten, „ich werde die Erinnerung nicht los. Ich muss einfach nach Falcon’s Wherry, um mit mir ins reine zu kommen. Bitte versuche mich zu verstehen, Ben.“

Ben starrte vor sich hin. „Hat es dort einen Mann gegeben?“, fragte er gepresst.

Tanyas Gesicht überzog sich mit glühender Röte. Sie strich sich die blonden Haare zurück und erwiderte: „Nicht so, wie du denkst.“

„Welche andere Art gibt es denn?“

Tanya schluckte trocken. „Ich kann es dir nicht erzählen. Lass mich bitte erst fahren. Wenn ich zurückkomme, sollst du alles wissen.“

„Bleibt mir denn eine andere Wahl?“, murmelte Ben.

„Du könntest auf der Stelle Schluss machen mit mir. Niemand würde dir das verdenken.“

Er schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht, Tanya.“

„Also dann?“

„Nun gut, fahr nach Irland, in dieses schreckliche kleine Dorf. Aber denk daran: Wenn du in sechs Wochen nicht zurück bist, komme ich dich holen.“

Tanya nickte. „Ich kann dich anrufen, Ben. Es gibt dort sogar ein Telefon.“

Er lächelte amüsiert. „Du überraschst mich! Ruf mich an, wenn du weißt, wo du wohnen wirst. Gibt es Hotels in Falcon’s Wherry?“

Tanya schüttelte den Kopf. „Hotels nicht. Nur einen Gasthof. Er heißt Falcon’s Arms. Wahrscheinlich werde ich mir dort erst einmal ein Zimmer nehmen. Vielleicht kann ich später ein Häuschen mieten.“

Ben verzog das Gesicht „Der Name Falcon scheint in dem Kaff eine ziemliche Rolle zu spielen, wie?“, bemerkte er trocken.

Tanya senkte den Kopf. „Ja. Die Falcons haben dort den größten Grundbesitz.“

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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