Irische Herzen

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Daran hat Miranda überhaupt nicht gedacht! Der kleine Ort Boyle steht Kopf! Zwei Singles allein in einem Haus! Dafür kann es nur eine Erklärung geben: Miranda und der attraktive Ryan müssen ein Paar sein! Dass sie eigentlich nur zu ihrem Freund aus Kindertagen gezogen ist, weil sie noch keine passende Wohnung gefunden hat, glaubt ihr keiner. Was nun? Einfach mitmachen scheint das Beste zu sein. Ein Spiel mit dem Feuer! Irgendwie ist es wunderschön, wenn Ryan sie zärtlich in die Arme nimmt und leidenschaftlich küsst. Seine Küsse erwidert sie so stürmisch, dass es absolut echt aussieht. Und plötzlich könnte sie sich durchaus vorstellen, für immer bei Ryan in Irland zu bleiben ...


  • Erscheinungstag 07.09.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727529
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Job als Landschaftsschutzbeauftragter des hiesigen Naturparks ist für Ryan wie geschaffen, dachte Miranda und lächelte ihm über die Köpfe der anderen Gäste des Dorffestes von Boyle hinweg zu. Er war ein Naturbursche und im Freien am glücklichsten. Sie trank einen Schluck Wein, sah lächelnd zum immer dunkler werdenden Abendhimmel empor und atmete tief durch. Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Nur hier in Irland fühlte sie sich wirklich geborgen.

Schließlich wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Menschenmenge zu. Leute zu beobachten war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen.

Während ihrer Abwesenheit hatte sich die Dorfgemeinschaft beträchtlich erweitert, sodass ihr viele Gesichter fremd waren. Seit einiger Zeit ermöglichte es der neue Autobahnzubringer den Bewohnern des Dörfchens Boyle, zur Arbeit in größere Städte zu fahren. Das hatten sich auch einige Städter zu Nutze gemacht und waren aufs Land gezogen. Aber die Umgebung sah noch genauso aus wie in all den Sommern, während derer Miranda hier die Ferien verbracht hatte und dabei durch den Wald getollt war oder in der Bucht gebadet hatte.

Als sie sich jetzt umwandte und über die dunkle Wasseroberfläche blickte, hörte sie ganz dicht neben sich jemand sagen: „Hallo, ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“

Bisher hatte Miranda den zahlreichen Liebesromanautorinnen nie geglaubt, die behaupteten, die Stimme eines Fremden könne eine Frau verzaubern. Doch plötzlich war sie anderer Meinung. Diese Stimme war unwahrscheinlich sexy, ja geradezu betörend. Als Miranda sich umwandte, stand vor ihr ein Unbekannter mit blondem Haar, sonnengebräuntem Gesicht und unglaublich blauen Augen. Sie lächelte und strich sich unwillkürlich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haares hinters Ohr. „Ich denke auch, dass wir uns nicht kennen“, sagte sie dann, „sonst würde ich mich bestimmt an Sie erinnern.“

Der Fremde nickte. „Ich bin mir auch ganz sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind.“ Er reichte ihr die Hand. „Ich heiße Nick … Nick Scallon und bin vor kurzem in das Haus bei den ‚Doon Cottages‘ gezogen.“

„Aha, dann sind Sie also der Großgrundbesitzer, über den seit Monaten im Dorf spekuliert wird. Wenn Sie jetzt hier wohnen, heißt das dann, dass Sie die Ferienanlage selbst leiten?“, fragte Miranda. Dabei stellte sie ein wenig peinlich berührt fest, dass dieser Nick Scallon ihre Hand länger als notwendig hielt. „Sie sind übrigens das Hauptgesprächsthema in Boyle.“

„Das wundert mich nicht.“ Er sah auf ihre Hand, als hätte er sich gerade daran erinnert, dass er sie nun loslassen müsste. „Und Sie sind?“

„Schwer beeindruckt“, hätte Miranda beinah gesagt. „Miranda O’Brien“, sagte sie dann. „Ich … Ich wohne bei Ryan Callaghan.“

„Oh!“

„Wir sind nur Freunde“, beeilte sich Miranda den falschen Eindruck zu berichtigen. „Ich meine, Ryan kenne ich schon ewig. Er ist für mich wie ein Bruder.“ Nick lächelte, als sie errötete. „Was ich damit sagen will, wir sind nicht wirklich zusammen.“

„Dann dreht er mir also nicht den Hals um, wenn ich Sie um den nächsten Tanz bitte?“

Erst jetzt begriff Miranda, wie überzogen ihre Reaktion gewesen war, und sie hätte sich dafür am liebsten geohrfeigt. „Nein, nein, das macht ihm gar nichts aus.“

Ryan sah die beiden zusammen tanzen, als er auf dem Weg zum Getränkestand war. Miranda hatte überhaupt nicht erwähnt, dass sie Nick Scallon kannte, geschweige denn angedeutet, dass sie etwas für ihn übrig hatte. Ryan nahm sich ein Bier, umrundete die provisorische Tanzfläche und lehnte sich an einen Baum.

Noch enger konnte dieser Kerl Miranda wohl nicht an sich drücken? War sie überhaupt noch in der Lage zu atmen? Er hatte sie auch schon früher mit anderen Männern gesehen … na ja, vielleicht waren das keine „Männer“ gewesen. Bevor Miranda in die Staaten gegangen war, war sie um einiges jünger gewesen und ihre männlichen Begleiter wohl auch. Aber Ryan erinnerte sich nicht, deshalb jemals verärgert gewesen zu sein – so wie jetzt.

Aber wieso ärgerte es ihn, dass sie mit einem anderen Mann tanzte? Das war doch nur Miranda. Miranda, die er gern neckte, obwohl er inzwischen viel zu alt dafür war. Es ging ihn überhaupt nichts an, mit wem sie tanzte. Doch …

Ryan trank einen großen Schluck Bier und kam zu dem Schluss, dass er sich wohl einfach daran gewöhnt hatte, Miranda für sich allein zu haben, seitdem sie bei ihm wohnte. Ja, das war es. Wenn sie sich jetzt öfter mit diesem aalglatten Nick Scallon traf, könnte er nicht mehr so oft mit ihr zusammen sein. Andererseits wäre das auch der Fall, wenn ihr Haus fertig war und sie bei ihm auszog. Also kein Grund zur Aufregung, oder doch? Vielleicht war er auch nur plötzlich der Meinung, er könne Mr. Aalglatt nicht leiden, weil er seit jeher das Gefühl hatte, er müsste Miranda beschützen.

Jetzt sagte dieser Scallon etwas, das Miranda zum Lachen brachte, und Ryan ärgerte sich noch mehr. Wieder trank er einen großen Schluck Bier.

„Nein, so etwas! Ryan, was machst du denn hier unterm Baum? Dich verstecken?“

Maura Connell hatte ihm gerade noch gefehlt. Ryan trank noch einen Schluck. Ja, ich verstecke mich vor aufdringlichen Kletten, dachte er dabei. Obwohl sie sich sehr gut ausdrücken konnte, hatte ihre Stimme auf ihn den gleichen Effekt, als kratzten Fingernägel über eine Schiefertafel. Trotzdem rang er sich ein Lächeln ab. „Maura, wie geht’s? Du siehst, wenn ich das sagen darf …“ Er ließ den Blick über ihren sündhaft teuren Designeranzug gleiten. „… wieder einmal furchtbar elegant aus, obwohl wir doch nur ein einfaches Grillfest feiern.“

Offensichtlich hatte Maura den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, doch sie erholte sich schnell von dem Tiefschlag. „Vielen Dank für das Kompliment. Ihr Männer könnt mit Worten ja furchtbar gut umgehen, besonders wenn ihr den Großteil eurer Zeit im Freien verbringt. Aber wir Frauen haben uns inzwischen daran gewöhnt.“

Verdammt! „Sehr verständnisvoll von euch.“ Er sah zur Tanzfläche. Tanzten die beiden jetzt etwa noch enger?

Als Ryan die Stirn runzelte, folgte Maura seinem Blick. „Nun, wie ich sehe, hat Miranda ein Näschen für schwerreiche Typen. Ich wusste gar nicht, dass sie Nick kennt.“

So wie Maura „Nick“, gesagt hat, kennt sie ihn wohl näher, dachte Ryan. „Kein Grund zur Eifersucht. Die beiden tanzen doch nur.“

„Ich bin ja nicht eifersüchtig, Ryan.“ Sie hakte sich bei ihm unter. „Ich glaube, wir wissen beide, wem mein Interesse gilt. Und da Miranda jetzt mit Nick tanzt, kommt die Gerüchteküche über euch beide vielleicht mal ein bisschen zur Ruhe, und ich kann mich auch in der Öffentlichkeit mehr um dich kümmern. Es ist an der Zeit, dass wir beide uns besser kennenlernen.“

Ryan hustete, um den starken Geruch ihres Parfüms loszuwerden, der ihm in den Hals geraten war. „Was erzählt man sich denn so über mich und Miranda?“, fragte er dann und entzog Maura vorsichtig den Arm, die natürlich gemerkt hatte, dass er über ihren Vorschlag hinweggegangen war.

„Ich bitte dich, jeder zweite Bewohner von Boyle ist der Meinung, dass Miranda und du zusammen schlaft.“

„Wie bitte?“

„Wusstest du das denn nicht?“

Er schüttelte den Kopf.

„Also wirklich, Ryan, Boyle ist ein Dorf und ein altmodisches dazu. Immerhin wohnt ihr beide zusammen!“ Sie lächelte. „Aber wir beide könnten das Gerücht ganz leicht entkräften, wenn …“

„Wenn es ein Gerücht wäre“, fiel Ryan ihr ins Wort.

Mit der manikürten Hand strich sich Maura über das glatte blonde Haar und beobachtete Miranda und Nick beim Tanzen. „Nun, wenn es kein Gerücht ist, wird Nicks Interesse an Miranda nur noch größer werden. Soviel ich gehört habe, war er in Dublin ein echter Frauenheld, wobei ihm egal gewesen sein soll, ob die Frauen schon vergeben waren oder nicht. Aber ich verstehe natürlich, wenn du so tun willst, als wärst du mit Miranda zusammen, damit Nicks Interesse an ihr größer wird. Er wäre eine ziemlich gute Partie“, sagte Maura mit einem letzten Blick zur Tanzfläche, ehe sie sich Ryan wieder zuwandte. „Und wenn sie erst einmal unter der Haube ist, wirst du endlich feststellen, dass ich für dich die bessere Wahl bin, Ryan. Keine andere Frau kann dich hier karrieremäßig weiterbringen als ich, und das weißt du auch. Wir wären das ideale Paar.“ Sie seufzte theatralisch. „Aber ich warte nicht ewig.“

Hoffentlich nicht, dachte Ryan, während er ihr nachsah.

„Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich Ihnen Miranda entführe, Nick?“ Ryan bemühte sich, nicht selbstgefällig zu grinsen.

„Natürlich nicht“, log Nick.

„Danke.“ Ryan lächelte schalkhaft.

Kühl sah Nick zu ihm hoch. Doch als er seine Aufmerksamkeit wieder Miranda zuwandte, wurde sein Blick sichtlich freundlicher. „Bis später dann, und vielleicht gehen wir ja tatsächlich mal um Mitternacht zusammen schwimmen.“

„Das will ich doch schwer hoffen.“ Sie kicherte wie ein Schulmädchen, und Ryan konnte gar nicht glauben, was mit „seiner“ Miranda geschehen war. Gemeinsam beobachteten sie, wie Nick die Tanzfläche verließ und sofort von Maura mit Beschlag belegt wurde.

„,Das will ich doch schwer hoffen‘“, wiederholte Ryan Mirandas letzten Satz und umfasste lächelnd ihre Taille. „Was sollte das denn bedeuten?“, fragte er dann, während sie zu tanzen begannen.

„Sieh bloß zu, dass du Land gewinnst!“, antwortete Miranda scherzhaft.

„Was, ich?“ Scheinbar ungläubig zeigte Ryan auf seine Brust. „Das verletzt mich aber zutiefst, alte Freundin. Du willst mir damit doch nicht sagen, dass du den Kerl magst?“

Mit ihren grünen Augen blitzte sie ihn an. „Er sieht gut aus, ist charmant, gebildet und … außerdem noch reich. Warum sollte ich ihn nicht mögen?“

Ryan neigte sich zu ihr hinunter. „Weil du im Grund deines Herzens nur mich liebst.“

Miranda schüttelte den Kopf. „Na, wenn du das denkst, träum ruhig weiter“, erwiderte sie, lächelte aber wenigstens wieder.

Als die Musik langsamer wurde, sah Ryan seufzend zum Sternenhimmel empor. „Maura Connell hat gesagt, der Mann sei ein Frauenheld.“

„Na, wenn das jemand beurteilen kann, dann Maura!“

Lächelnd wandte sich Ryan wieder Miranda zu. „Und, interessiert dich, ob es Nick Scallon ehrlich mit dir meinen würde?“

Mit hochgezogener Augenbraue erwiderte Miranda Ryans Blick. „Du mit deinem übertriebenen Beschützerinstinkt! Vielleicht hat sich Nick geändert und ist aufs Land gezogen, um seinen schlechten Ruf loszuwerden und eine Frau fürs Leben zu finden. Hast du dir das schon einmal überlegt?“

Das Einzige, worüber Ryan im Augenblick nachdachte, war die Möglichkeit, dass sich Miranda tatsächlich für Mr. Aalglatt interessieren könnte und dass ihm, Ryan, das überhaupt nicht gefallen würde. Aber das lag wahrscheinlich wirklich nur an seinem ausgeprägten Beschützerinstinkt, wie Miranda ganz richtig bemerkt hatte. „Ich weiß, wie du feststellen könntest, ob Nick seine Vergangenheit hinter sich gelassen hat.“

Miranda kniff die Augen zusammen. „Ach ja, und wie?“

„Maura meint, sein Interesse an einer Frau würde noch stärker werden, wenn sie vergeben ist. Und anscheinend ist die Hälfte der Bewohner von Boyle der Meinung, du hättest bereits jemanden“, fügte Ryan hinzu, konnte Miranda dabei aber nicht in die Augen sehen. „Womöglich hat Nick dich überhaupt nur deshalb angesprochen.“

Miranda gefiel nicht, worauf Ryan hinauswollte. „Und wer sollte derjenige sein?“

Ryan räusperte sich und konnte den Blick aus irgendeinem Grund nicht mehr von Mirandas Lippen wenden. „Ich.“

Sie lachte. „Machst du Witze? Du und ich ein Paar? Das ist doch lächerlich.“

„Na, das kommt eben dabei heraus, wenn man mit dem begehrtesten Junggesellen des Ortes unter einem Dach lebt.“ Er hob verstimmt das Kinn. „Nicht alle Frauen sehen den älteren Bruder in mir, auf den sie sich in jeder Situation verlassen können.“

„Verlässlich, hm?“, fragte Miranda und lachte immer noch, was Ryan nur ärgerlicher machte.

„Na, wenn du dir nur einmal die Zeit nehmen würdest, dich ein wenig näher mit mir zu befassen, wüsstest du, dass ich eigentlich kein schlechter Kerl bin!“

Erstaunt über seinen ernsten Ton sah Miranda ihn an. War Ryan etwa sauer, dass sie die Vorstellung lächerlich fand, sich zu ihm hingezogen zu fühlen? Das konnte doch nicht sein. Unmöglich, ihr verlässlicher Kumpel Ryan doch nicht! Sie blinzelte, aber Ryan wirkte immer noch verstimmt.

„Mein armer Liebling“, versuchte Miranda der Situation die Schärfe zu nehmen, und Ryans Laune besserte sich umgehend, wenn auch nur für jemanden ersichtlich, der ihn so gut kannte wie sie. Vor Erleichterung hätte sie beinah laut geseufzt. „Was hast du denn gegen Nick Scallon?“

„Viel, wenn er bei dir nur auf eine kurze Affäre aus ist.“

Miranda runzelte die Stirn. „Das weißt du doch gar nicht!“

„Und woher willst du wissen, dass es anders ist?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mit dieser Sache hast du dich wirklich in etwas verrannt.“

Ryan lächelte spöttisch. „Wollen wir wetten?“

„Hör auf damit!“

„Nein, Miranda!“ Er zog sie noch enger an sich. „Wenn du so sicher bist, dass er ein netter Kerl ist, solltest du deine Überzeugung auch vertreten.“

Miranda ließ zu, dass Ryan sich an sie presste. „Und wie soll ich das anstellen?“

Ryan lächelte herausfordernd. „Indem du mir das Gegenteil beweist. Geh mit mir aus, tu so, als wären wir schon seit Wochen ein Paar, und dann sehen wir ja, wie der nette Mr. Scallon reagiert. Wenn er es auch weiterhin bei dir versucht, wissen wir, wes Geistes Kind er ist.“

„Du tickst ja wohl nicht richtig!“, stieß Miranda hervor und sah Ryan entrüstet an, dem sofort klar war, dass er den Bogen überspannt hatte. Rasch zog er sie von der Tanzfläche zum kleinen Weg um die Bucht, damit sie so weit wie möglich von den anderen weg waren, wenn Miranda endgültig in die Luft ging. „Du kannst mir nichts vormachen, Miranda!“

„Was denn vormachen?“

Er blieb stehen und sah sie an. „Wenn du nicht damit klarkommst, dass ich wie immer recht habe, brauchst du es nur zu sagen.“

Sie machte sich von ihm los und folgte dem Rundweg, bis sie kaum noch etwas sehen konnte. Dann drehte sie sich so rasch zu Ryan um, dass er beinah mit ihr zusammengestoßen wäre. „Du hast ja immer schon merkwürdige Einfälle gehabt, aber der hier ist die Krönung.“

Ryan verschränkte die Arme vor der breiten Brust und wartete.

„Ich meine, dass man uns – dich und mich – für ein Liebespaar halten soll, ist doch völlig lächerlich.“

Er seufzte. „Miranda …“

„Überhaupt der Meinung zu sein, dass es uns in diesem Punkt gelingen könnte, irgendjemanden an der Nase herumzuführen … Ich meine, es gibt Tage, an denen es uns schwer fällt, überhaupt als gute Freunde zurechtzukommen!“ Sie begann, vor ihm auf und ab zu gehen, und Ryan seufzte wieder.

„Wenn du nur einmal …“

„Wir müssten uns immerhin alle paar Minuten scheinbar verliebt in die Augen sehen, ohne dabei in schallendes Gelächter auszubrechen. Und wenn ich nur an die Knutscherei denke …“ Gespielt drohend hob sie den Finger. „Dir ist doch klar, dass wir uns küssen und irgendwie anfassen müssen, wenn wir so tun sollen, als wären wir zusammen?“

Während sie einander betroffen ansahen, herrschte beredtes Schweigen. Dann räusperte sich Ryan. „Das weiß ich.“

Miranda begann wieder, auf und ab zu gehen. „Das ist wirklich der lächerlichste Vorschlag, den du mir jemals gemacht hast, Callaghan.“

„O’Brien …“

Sie blieb erneut stehen und sah Ryan in die Augen. „Mal ehrlich, wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass es uns gelingen könnte, irgendjemanden auch nur für den Bruchteil einer Sekunde hinters Licht zu führen?“

Ryan runzelte die Stirn. „Ich bin vor allem der Meinung, dass du dich viel zu sehr darüber aufregst.“

„Und was soll das nun wieder heißen?“

„Vielleicht hast du einfach nur zu viel Angst, mich zu küssen.“

Ihre Augen schienen Funken zu sprühen. „Ich und Angst? Vor dir? Wovor sollte ich denn bei dir wohl Angst haben?“

Ryan kam näher, bis er Miranda beinah berührte, dann beugte er sich zu ihr hinunter. „Womöglich gefällt es dir, mich zu küssen.“

„Wollen wir wetten, dass nicht?“

„Ja, wenn du mich so fragst, würde ich dir gern das Gegenteil beweisen.“ Unbeirrt erwiderte er ihren Blick.

„Das glaube ich einfach nicht. Du bist der Letzte, den ich küssen will. Und da denkst du auch noch, es könnte mir gefallen, und ich würde deinen Kuss womöglich erwidern?“

Ryan fiel nur eine Möglichkeit ein, Miranda zum Schweigen zu bringen: Er zog sie an sich und küsste sie.

Zuerst konnte sie es gar nicht glauben. Das war doch nicht Ryan Callaghan, den sie nun schon ewig kannte. Ryan, der sie während ihrer Jugend einerseits genervt hatte, andererseits ihr bester Freund und ihr Beschützer gewesen war. Sie hatte gedacht, sie würde Ryan besser kennen als jeden anderen Menschen auf der Welt. Deshalb sollte sie jetzt auch den Eindruck haben, als würde sie ihren Bruder küssen. Aber so war es nicht. Zumindest war es nicht so furchtbar, wie sie zunächst gedacht hatte. Es war nicht einmal wirklich unangenehm. Ganz im Gegenteil. Vielmehr hatte sie den Eindruck …

Aber das war doch nicht möglich!

Ryan seinerseits konnte nicht glauben, was er tat: Miranda küssen! Hallo, Erde an Ryan. Was machst du denn da? Doch dann, als Mirandas Lippen nachgaben, dachte er einen Moment nicht weiter darüber nach. Er küsste Miranda! Aber egal, denn das war ein verdammt gutes Gefühl. Zu gut. Und wie herrlich sie roch, und wie warm und weich sie sich anfühlte, und …

„O Entschuldigung!“ Es folgte Gekicher von Kindern. „Wir haben Sie vorher gar nicht gesehen.“

Miranda und Ryan lösten sich voneinander und sahen entgeistert zu den Geschwistern Collins, die plötzlich neben ihnen aufgetaucht waren. Ryan fand als Erster die Sprache wieder. Zumindest ging er davon aus, dass es seine Stimme war. „Schon in Ordnung, Kinder, macht euch keine Sorgen.“ Die Laute schienen jedenfalls aus seiner Kehle zu kommen.

Die Kinder sahen von einem Erwachsen zum anderen und begannen wieder zu kichern. Das blonde Mädchen winkte Miranda noch einmal zu, bevor es sich abwandte und mit seinem Bruder in der Dunkelheit verschwand. Trotzdem war gut zu hören, was es sagte: „Siehst du, Mummy hat doch gesagt, sie könne sich vorstellen, dass die beiden zusammen gehen. Jetzt haben wir den Beweis und können es ihr gleich erzählen.“

„Aber ich sag’s ihr!“, rief der Junge.

„Nein, das tust du nicht!“, antwortete das Mädchen. Dabei sah Ryan in die Dunkelheit, als könnte er die beiden immer noch sehen, während Miranda wie gebannt seinen breiten Rücken betrachtete. Dann hörten sie über die Stille der Bucht hinweg die sich rasch entfernenden Schritte der Kinder.

„Callaghan …“

„Nun, ich denke, wir brauchen uns keine Gedanken mehr darüber zu machen, ob man uns die Knutscherei auch abnehmen würde. Die beiden schienen überzeugt davon, dass wir ein Liebespaar sind.“ Er drehte sich zu ihr um. „Meinst du nicht auch?“

„Ach, du würdest doch alles tun, um deinen Standpunkt zu beweisen!“ Sie lachte, aber selbst in ihren Ohren klang das Lachen künstlich. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich in Ryans Gegenwart befangen und war unfähig, ihm in die Augen zu sehen. „Aber du begreifst jetzt doch bestimmt, was das für ein schwachsinniger Einfall ist?“

Nach kurzem Zögern umfasste Ryan Mirandas Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Ich habe deine Haltung zu der Sache verstanden. Aber, he, O’Brien …“ Er lächelte verführerisch. „Das würde doch Spaß machen. Und wir haben die Gerüchteküche bereits in Gang gesetzt. Wann hast du jemals vor einer Wette mit mir zurückgeschreckt?“ Er zog eine seiner dunklen Augenbrauen hoch. „Es sei denn, du bist längst der Meinung, dass ich, was Scallon betrifft, recht habe.“

Eine Weile sahen sie sich nur an. Doch dann wich Miranda zurück und blickte zu Boden, weil sie befürchtete, Ryan könnte womöglich noch einmal versuchen, sie zu küssen, um ihr seinen Standpunkt klarzumachen. Aber sie hatte ihm tatsächlich noch nie eine Wette abgeschlagen und würde heute bestimmt nicht damit anfangen. Ihr gefiel Nick Scallon. Er war der attraktivste Mann, dem sie seit langem begegnet war. Und sie konnte sich nichts Besseres vorstellen, als Ryan zu beweisen, dass er sich in ihm irrte. Wenn sie dazu einige Wochen Theater spielen musste, würde sie das tun. Ein Kinderspiel! Und Ryan würde schon sehen, was er davon hatte.

Lächelnd hob sie schließlich den Kopf. „Okay, Callaghan, ich schlage ein. Wollen wir nur hoffen …“ Sie kam näher, um einen imaginären Fussel von seinem Hemd zu schnippen. „… dass du mir gewachsen bist.“

Plötzlich bekam er einen ganz trockenen Mund. Was hatte er da nur angezettelt? Aus Erfahrung wusste er, dass das Ganze nur in einer Katastrophe enden konnte. Dafür würde Miranda schon sorgen.

Nur zu, dachte er dann und lächelte.

2. KAPITEL

Spätsommer – vor fünfzehn Jahren

„Freunde küssen sich nicht.“

„Nie?“, fragte Ryan, und Miranda überlegte einen Moment. Sie saß auf dem Sofa und hatte die langen Beine unter sich gezogen. Es war der letzte Abend ihres Sommerurlaubs, und am nächsten Morgen würden sich ihre Familien bis zum nächsten Jahr voneinander verabschieden. Um den letzten gemeinsamen Abend zu feiern, hatten sie am Seeufer gegrillt und waren dann ins Ferienhaus von Ryans Eltern zurückgekehrt. Die Erwachsenen saßen mit einem Glas Wein auf der Veranda und unterhielten sich, während sich die Kinder ins Wohnzimmer zum Videogucken zurückgezogen hatten.

„Freunde küssen sich niemals“, sagte Miranda jetzt, und Ryan musterte ihr Profil.

„Und wenn sie sich voneinander verabschieden oder alles Gute zum Geburtstag wünschen?“

„Das ist was anderes. Das sind dann freundschaftliche Küsse.“

„Und was genau ist der Unterschied?“ Mirandas bestimmende Art hatte Ryans Interesse geweckt, und jetzt wollte er wissen, wie viel Erfahrung sie in „diesen Dingen“ in ihrem Alter schon hatte.

Miranda vermied es, ihn direkt anzusehen. Stattdessen richtete sie den Blick auf den Bildschirm, wo gerade der Videofilm „Harry & Sally“ lief, der sie zu ihrem Gespräch angeregt hatte. Während der Szene im Restaurant, bei der Meg Ryan einen Höhepunkt vorspielte, hatte Ryan Miranda aus den Augenwinkeln beobachtet. Er war erstaunt gewesen, dass er über ihre Reaktion nicht hatte lachen müssen. Schließlich war er auch nicht viel erfahrener als Miranda. Die wenigen Male, die er mit einem Mädchen im Kino oder auf dem Rücksitz eines Wagens gefummelt hatte, stellten wohl kaum ein Sexleben dar, mit dem man sich brüsten konnte.

„Du weißt doch, was der Unterschied ist“, stellte Miranda jetzt fest und errötete wieder.

„Ja, das tue ich.“ Ryan lächelte jungenhaft. „Ich bin nur neugierig, ob du es auch weißt.“

Eine derartige Unterhaltung hätte sie niemals zulassen dürfen. Normalerweise sprachen Ryan und sie nie über solche Themen, und die Sache war Miranda so peinlich, dass sie am liebsten im Erdboden versunken wäre. „Nun, sagen wir einfach, ich kenne den Unterschied.“

„Geht das vielleicht ein bisschen genauer?“

„Wie du willst.“ Als Miranda sich Ryan zuwandte, sah er, dass er sie verärgert hatte. Und wie! „Du willst mir mit aller Gewalt unseren letzten Abend verleiden, indem du dich blöd stellst und mich neckst. Okay! Ich kenne den Unterschied nicht wirklich, weil ich noch nie von einem Jungen geküsst worden bin. Jedenfalls nicht so. Aber ich weiß, dass es da einen Unterschied geben sollte. Bist du jetzt zufrieden?“

Ryan beugte sich zu ihr und berührte ihren Arm. „Ich wollte nicht gemein sein. Mich hat nur interessiert, was du sagen würdest.“

„Na, jetzt weißt du’s!“ Sie entzog sich ihm und lehnte sich schmollend zurück. „Wie soll ich das auch herausfinden, wenn ich so aussehe, wie ich aussehe. Jungs küssen nur hübsche Mädchen.“

„Ich dachte, du würdest Jungs blöd finden.“

Miranda runzelte die Stirn. „Jungs sind auch blöd. Aber ich fände es nett, wenn wenigstens einer ein bisschen daran interessiert wäre, mich zu küssen.“

Ryan lächelte. „O’Brien, ich mache dir einen Vorschlag.“

Mit hochgezogener Augenbraue wandte sie sich ihm zu. „Was denn für einen?“

„Nun …“ Er beugte sich wieder zu ihr. „Wenn du mit achtzehn immer noch nicht von einem Jungen geküsst worden bist“, flüsterte er dann, „küsse ich dich.“

Sie machte große Augen. „Du?“

„Ja, ich.“

Autor

Trish Wylie
<p>Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, davon ist Trish Wylie überzeugt. So war ein Reitunfall innerhalb ihrer beruflichen Karriere als Pferdedresseurin der Auslöser dafür, dass sie wieder zu schreiben begann, obwohl sie diese Leidenschaft im Laufe der Jahre erfolgreich in den Hintergrund gedrängt hatte. Dabei sammelte Trish schon in der...
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