Jagt den Schwarzen Fuchs

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Als die bezaubernde junge Anne Lowell erfährt, dass ihr einflussreicher Onkel sie mit einem älteren Mann verheiraten will, flüchtet sie voller Panik von seinem Landsitz. Im Wald reitet sie direkt in die Arme von NatBraydon, dem berühmt-berüchtigten Schwarzen Fuchs! Es heißt, er nimmt das Gold der Reichen, um seinen König zu unterstützen - und jetzt raubt er Anne mit aller Leidenschaft einen Kuss, der ihr Herz sehnsüchtig erbeben lässt. Als sie seine Geliebte wird, weiß Anne: Sie steht nun zwischen den Fronten. Denn ihr Onkel will den Schwarzen Fuchs hängen sehen...


  • Erscheinungstag 28.08.2018
  • Bandnummer 39
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779962
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

England, September 1651

Anne Lowell spähte durch die dichtbelaubten Äste einer Erle und schaute prüfend auf das menschenleere Flussufer. Es kam ihr einfach zu ruhig vor. Die Wildenten waren aufgeflogen, und danach hatte sich Stille über den angrenzenden Wald gelegt. In dem kleinen Eichengehölz wieherte leise die wartende Stute. Anne wandte sich um. Sie hatte das ungewisse Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendjemand musste in der Nähe sein!

In diesem Augenblick begannen die Kirchenglocken, die Stunde des Mittagsgebetes einzuläuten. Großer Gott, ihr blieb wirklich keine Zeit mehr, sich wie ein Hasenfuß aufzuführen. Sie musste das Medaillon ihrer Mutter finden – Gott gebe ihrer Seele die ewige Ruhe – und sich dann in ihr Zimmer zurückschleichen, bevor der Onkel ihre Abwesenheit bemerkte.

Mit zitternden Fingern entledigte sich Anne der Schuhe und der langen wollenen Strümpfe und warf sie achtlos zur Seite. Dann löste sie die blauen Schnüre an ihrem Mieder, zog das Kleid aus und ließ es auf die anderen Sachen herabgleiten. Ein kleiner Windstoß drückte die dünne Unterwäsche an ihren jungen Körper. Anne schauerte leicht und fühlte sich sehr nackt.

Als sie zum Ufer ging, stach das harte Riedgras unangenehm in ihre zarten Füße. Mit zusammengerafftem Hemd stieg sie vorsichtig Schritt für Schritt in das kalte Flusswasser.

Der schlammige Grund quoll zwischen ihren Zehen empor. Wieder rieselte ein Schauer über ihren Rücken. Als Anne die Stelle erreicht hatte, an der Lyle, der Küchenjunge, das Medaillon hineingeworfen hatte, ging ihr das Wasser bereits bis zu den Knien. Dieser verwünschte dumme Junge! Sie würde ihm am liebsten die Ohren langziehen.

Noch ein kleines Stück wagte sich Anne in den schnellfließenden Wasserlauf, holte tief Atem und tauchte hinab. Nur mühsam gelang es ihr, die Augen offenzuhalten. Furchterregende Bilder von Flussungeheuern stiegen vor ihr auf, während sie mit den Händen im Wasser herumtastete. Ihre zitternden Finger strichen über Kiesel und lockeren Treibsand, während sie sich nach Kräften bemühte, die unbekannten bösen Geister aus ihren Gedanken zu verjagen.

Obwohl heller Sonnenschein auf dem Wasserspiegel lag, glitzerte nichts in der Tiefe. Schließlich musste Anne wieder emportauchen und einen kräftigen Zug von der frischen Septemberluft nehmen. Das lange rote Haar hing ihr in klatschnassen Strähnen über Stirn und Augen, und ihre Zähne klapperten bereits unüberhörbar. Als sie gerade dabei war, erneut unter der Wasseroberfläche zu verschwinden, knackte ein Ast, und ein Pferd wieherte – ein fremdes!

Mit wildklopfendem Herzen fuhr Anne herum. Zwischen den Zweigen einer Eiche blickte ein Soldat der Rundköpfe, wie die puritanischen Königsgegner wegen ihrer kurzgestutzten Haare genannt wurden, von dem Rücken des riesigsten Rosses, das Anne je gesehen hatte, voller Neugier in ihre Richtung. Die weißen Vorderbeine des Pferdes und seine Blesse auf der Stirn standen in auffallendem Gegensatz zu dem schwarzen Umhang und der dunklen Uniform des Soldaten, der jetzt langsam aus dem Schatten hervorkam und mitten in einem Fleckchen Sonnenlicht am Ufer stehenblieb.

Sekundenlang erstarrte Anne vor Schreck, dann duckte sie sich bis zum Hals in das kalte Wasser.

„Nun, wen haben wir denn hier, Shadow?“, wandte sich der Fremde fragend an seinen Rappen, während er aus dem Sattel stieg. „Ich glaube, es ist eine Nixe, und eine hübsche noch dazu.“

Die Mahnung ihres Onkels, sich in gebührender Entfernung von den Soldaten zu halten, die auf Wycliffe Manor kampierten, kam Anne wieder in den Sinn, obwohl sie eigentlich niemand daran erinnern musste, was für rabenschwarze Teufel die Rundköpfe allesamt waren.

Die dunklen Augen blitzten und betrachteten sie voller unverschämter Neugier. „Wer bist du, Seejungfrau, und was tust du hier im Fluss?“ Die tiefe männliche Stimme erschreckte Anne mehr als die Frage selbst.

Am liebsten hätte sie sich aus dem Staube gemacht. Doch wenn nun noch mehr Soldaten in der Nähe waren? Ihre Stute wäre von dem riesigen Ross leicht einzuholen. So entschloss sich Anne, zunächst nur mit einem trotzigen Heben des Kinns zu antworten und die Lippen fest aufeinanderzupressen. Die eckigen Kiefer des Fremden traten schärfer hervor, während er dem Pferd die Zügel freigab, damit es im Fluss seinen Durst stillen konnte.

Anne zog sich noch einen Schritt zurück, sodass das Wasser jetzt unmittelbar unter ihren Ohren rauschte. „Schert Euch fort!“ Ihre Stimme zitterte ein bisschen, denn über ihr Kinn liefen immer wieder kleine Wellen. „Ihr habt kein Recht, hier zu sein.“

„Kein Recht, hier zu sein?“ Der Fremde heuchelte Überraschung, doch seine Augen glitzerten spöttisch. „Ein Offizier des Commonwealth ist auf Wycliffe Manor nicht willkommen? Nun, das wird heute Abend ein tolles Gelächter auslösen, wenn ich mit George Lowell und seinen Gästen speise.“

Verflixt, der Mann würde bei der Abendgesellschaft ihres Onkels anwesend sein! „Das dürft Ihr nicht!“ Anne hielt sich erschrocken den Mund zu, denn jetzt lag in der Miene des Fremden echte Verwunderung. „Ich … ich meine … natürlich dürft Ihr, aber …“ Der nachdenkliche Blick verwirrte sie noch mehr. „Aber hier bei mir seid Ihr nicht willkommen … das ist alles.“

Zweifelnd blickte der Fremde sie an und schloss dann seine Einschätzung mit einem etwas unbeholfenen Lächeln ab. „Ich tue dir nichts, Mädchen. Doch hier ist es nicht sicher. Du könntest auf einen verirrten Royalisten treffen, der wie ein getretener Hund von der letzten Schlacht nach Hause hinkt.“

Anne wurde plötzlich munter. Mit Freuden hätte sie diesem frechen Kerl ins Gesicht gesagt, dass sie für ihr Leben gern einen der Soldaten des Königs treffen würde. Vielleicht hätte die arme Seele Nachricht von ihrem Vater. Doch stattdessen presste Anne die Lippen fest aufeinander, um nicht Gefahr zu laufen, diesen Gedanken auszusprechen. Der Fremde begegnete ihrem Schweigen mit unverhohlenem Interesse.

„Wäre es möglich, dass das liebliche Mädchen nichts von unserem Sieg über Charlie Stuart gehört hat?“

Nichts davon gehört – lachhaft! Der Onkel hatte von nichts anderem mehr geprahlt, seitdem er erfahren hatte, dass König Charles nur mit Mühe Cromwells Armee entkommen war und jetzt um sein Leben lief. Wenn sie den Soldaten doch fragen könnte, ob er etwas von ihrem Vater gehört hatte. Vielleicht wüsste er als Offizier in Cromwells Armee, ob einer der neben dem König am meisten gesuchten Royalisten in Gefangenschaft geraten war.

Doch sie durfte um keinen Preis durch eine solche Frage ihre Identität preisgeben. Wenn der Offizier heute Abend berichten würde, dass er ein rothaariges Mädchen im Fluss angetroffen hatte, würde selbst des Onkels äußerst schwache Vorstellungskraft darauf kommen, dass sie das einzige Wesen weit und breit war, das sich so etwas herausnehmen würde.

Immer noch betrachtete der Fremde sie schweigend, fast wie ein Fuchs auf der Lauer. „Wer bist du eigentlich, Mädchen?“

Von den Wiesen auf der anderen Seite des Flusses ertönte das leise Geläut der Glöckchen an den Hälsen der weidenden Schafe und gab Anne die passende Idee ein. „Ich bin Schafhirtin auf Wycliffe Manor“, erwiderte sie voller Hoffnung, damit jede Vermutung in die richtige Richtung zu unterbinden.

Der Soldat strich sich nachlässig eine Locke aus der Stirn, während er Anne misstrauisch musterte. „Und den anderen macht es nichts aus, auf deine Schafe aufzupassen, während du hier den Tag müßig vertust?“

„Was die anderen Mädchen machen, ist nicht Eure Angelegenheit, Soldat“, versetzte Anne schroff.

Der Fremde verzog nur die Mundwinkel. „Leutnant“, verbesserte er geduldig. „Aber sage doch lieber Nat zu mir“, fügte er gutgelaunt hinzu.

Die freche Vertraulichkeit dieses Vorschlages verschlug Anne den Atem. „Ihr müsst wissen“, brachte sie schließlich mühsam hervor, „der Küchenjunge hat ein Stück von meinem Sonntagsputz in den Fluss geworfen, und ich … ich gehe nicht eher fort, als bis ich es wiedergefunden habe“, schloss sie mit klappernden Zähnen.

„Warum begeht man nur eine solche Gemeinheit bei einem so reizenden Mädchen wie dir?“ Die dunklen Augen des Fremden schienen bei diesen Worten förmlich zu brennen.

„W…weil ich nicht wollte, da…dass er mich küsst – deshalb!“ Trotz des kalten Wassers stieg Anne bei der Erinnerung an Lyles Frechheit die Röte in die Wangen.

Wieder hob der Fremde kaum merklich die Mundwinkel. „Und du hast ihn nicht küssen wollen, weil dein Herz schon einem anderen gehört?“

„N…natürlich n…nicht.“ Anne rieb sich heftig die Arme. „Ich wollte nicht, dass er mich küsst, weil er ein Dummkopf ist und ich ihn nicht mag.“

Der Fremde verzog die Lippen zu einem breiten Lächeln, und Annes Blick wurde unwillkürlich von dem vollen, schön gezeichneten Mund angezogen und den weißen, gleichmäßigen Zähnen, die in dem sonnengebräunten Gesicht förmlich zu leuchten schienen. Wenn er so lächelt, sieht er nicht älter aus als zwanzig, dachte Anne.

Langsam näherte sich der Soldat dem Rand des grasbewachsenen Flussufers und blieb einen Augenblick stehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Großer Gott, er wird doch nicht ins Wasser kommen wollen! Anne stöhnte unhörbar. Doch nein, er nahm den Helm ab, und nun erschien sein Gesicht noch jünger, viel jünger als bei den meisten der Offiziere, die ihren Besuch bei dem Onkel abstatteten. Jünger und überraschend hübsch für einen Rundkopf. Im Gegensatz zu der Haartracht der anderen Offiziere, deren Köpfe wie Kegelkugeln wirkten, fielen ihm dunkelbraune Locken bis auf den Kragen herab. Seine dichten Brauen und sein eckiges Kinn verrieten Eigensinn, während seine geschwungenen Lippen auf Empfindsamkeit schließen ließen. Hmm, die Mädchen auf Wycliffe Manor würden Augen machen!

Der Fremde schaute prüfend über den Fluss. „Die Strömung sieht ziemlich gefährlich aus“, sagte er mit ernster Miene. „Die Strudel dort drüben machen einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck.“ Er wies auf die Mitte des Wasserlaufes. „Ich vermute, dort gibt es einen kräftigen Sog.“

„Unsinn!“ Anne warf ärgerlich über ihre kindischen Gedanken den Kopf zurück. „I…ich habe jetzt k…keine Zeit mehr, mit Euch zu reden. Wenn die S…Sonne tiefer steht, werde ich meine Kette n…nie mehr finden. I…ich kenne den Fluss seit meiner Kinderzeit, d…da gibt’s keinen Sog.“

Aus der Art, wie der Soldat die vermeintlichen Strudel beobachtete, war jedoch zu entnehmen, dass er wohl kaum die Absicht hatte, sich auf dem schnellsten Wege zu entfernen. „I…ch wünschte, Ihre w…würdet Euch endlich um Eure eigenen Angelegenheiten sch…scheren und mich in Frieden lassen.“ Bei diesen Worten blickte Anne wieder angestrengt auf den Flussgrund, wo die Sonnenstrahlen kleine tanzende Lichtflecke hinterließen.

„Du solltest lieber sofort herauskommen.“ Der Fremde stand wie angewurzelt am Rande des Wassers.

Anne beschloss, ihn einfach nicht mehr zu beachten, holte tief Luft und tauchte aufs Neue hinab. Diesmal bewegte sie sich weiter vom Ufer weg. Während sie bemüht war, die Orientierung nicht zu verlieren, durchsuchte sie den schlammigen Grund. Mit zitternden Fingern tastete sie immer wieder über den weichen Treibsand. Da, ein Schimmer in dem trüben Schlick. Das Medaillon! Es musste das Medaillon sein!

Als Anne gerade danach greifen wollte, wurde sie von einer plötzlichen Bewegung mitgerissen, und ein Druck legte sich auf ihre Brust, als würde sie von einem der Seeungeheuer umklammert. So hatten sie die bösen Geister des Flusses, vor denen der Onkel immer wieder gewarnt hatte, doch ergriffen. Großer Gott, es ging tiefer und tiefer, hinab zu den Schlangen Neptuns!

Nein, es ging ja aufwärts! Atemlos kam Anne an der Wasseroberfläche zum Vorschein und entdeckte zu ihrer Überraschung, dass kein Seeungeheuer sie umklammert hatte, sondern der fremde Leutnant. Sein kräftiger Arm lag unter ihren Achselhöhlen, während er sie vom Sattel seines riesigen Streitrosses aus langsam aus dem Wasser und vor sich auf das Pferd zog.

Anne hustete und spuckte, holte tief Luft und hustete noch einmal. „W…was war …?“, keuchte sie und versuchte dabei, sich aus dem derben Griff zu lösen, mit dem sie fest an die Brust des Fremden gedrückt wurde. „W…was macht Ihr?“

„Dein reizendes Köpfchen retten, Kleine.“ Seine muskulösen Arme ließen Anne keine Bewegungsmöglichkeit. Gewandt dirigierte er den Rappen zum Ufer zurück. Mit einem kühnen Satz erklomm das Pferd den Flussrand.

Annes Herz hämmerte wild, während sie sich das feuchte Haar aus der Stirn strich. „Ihr … Ihr habt kein Recht …!“ Ihr Atemzug klang wie ein Schluchzen. „Es war kein Sog. Wenn Ihr nicht …“ Die Worte erstickten ihr in der Kehle, als sie in seine braunen Augen blickte – Augen in der Farbe der dunklen, geheimnisvollen Tiefen des Waldes. Der Wind hatte eine Strähne des widerspenstigen kastanienbraunen Haares ergriffen und ließ sie um die sonnengebräunte Stirn tanzen. Die hohen Wangenknochen gaben dem Gesicht einen Ausdruck von fast gewalttätiger Kraft, der von dem sinnlichen Mund gemildert wurde. Die körperliche Nähe des Fremden verursachte in Annes Körper eine ganz und gar unerwünschte Erregung. Sie zitterte wie ein neugeborenes Lamm.

Der Blick des Offiziers ruhte herausfordernd auf Annes Brüsten. Ärgerliche Röte färbte ihre Wangen. In einem vergeblichen Versuch, sich zu bedecken, hob Anne die Hände empor.

Mit einem unbefangenen Lächeln griff der Fremde hinter sich und warf eine Satteldecke über Anne. Bei dieser Bewegung spürte sie erneut seine kräftigen Muskeln, und die Hitze auf ihren Wangen verstärkte sich.

Erleichtert hüllte sich Anne in die kratzige Decke. Sie bebte vor Eiseskälte und brachte kein Wort heraus. Trotzdem wäre sie am liebsten aus den Armen, die sie immer noch umfangen hielten, zurück in den Fluss gesprungen.

„Lass es genug sein mit deinem Aufbegehren, Nixlein.“ Der Druck, mit dem Anne an die breite Brust gepresst wurde, schien noch zuzunehmen. „Ich habe nichts Böses im Sinn, wenn ich das auch nicht für all die anderen Soldaten versichern kann, die in dieser Gegend ihr Lager aufgeschlagen haben.“

Plötzlich fühlte sich Anne wie von einem Schwindel ergriffen durch die seltsamen Gefühle, die seine Nähe in ihr wachrief.

Als sie die kleine Lichtung erreicht hatten, sprang der Fremde mit Anne aus dem Sattel. Annes Stute wieherte leise zur Begrüßung.

„Ist es das, wonach du gesucht hast?“, fragte der Offizier mit rauer Stimme.

„W…was?“ Anne hatte immer noch in seine Augen geschaut.

„Das hier.“ Der Fremde wies auf ihre Faust, in der das goldene Medaillon an der Kette zum Vorschein kam.

„Mein Medaillon.“ Mit einem Aufschrei drückte Anne das Schmuckstück an ihre Brust. „Also habe ich es doch erwischt, bevor Ihr mich zu fassen bekamt.“ Sie hielt mit einer Hand die Decke fest und streifte sich mit der anderen die Kette über den Kopf.

„Da du ja nun deinen Firlefanz gefunden hast, solltest du dich am besten anziehen und zu deinen Schafen zurückkehren.“ Nat blickte in die großen blaugrünen Augen, umrahmt von langen feuchten Wimpern … Die Kleine sah tatsächlich wie eine zum Leben erwachte Nixe aus.

„Dreht Euch um, während ich meine Sachen hole“, befahl Anne.

Der Offizier hob die Brauen. „Deine plötzliche Sittsamkeit kommt ein bisschen spät, möchte ich sagen.“ Er beobachtete, wie erneut Röte in ihre Wangen stieg – mehr aus Ärger denn aus Schamgefühl, darauf würde er jede Wette eingehen. Nichtsdestoweniger kehrte er ihr folgsam den Rücken zu, während Anne zu der kleinen Lichtung lief, wo ihre zerdrückten Kleider lagen.

Obwohl bei jedem Schritt das Wasser in seinen Stiefeln quietschte, ging Nat langsam zu einem der kantigen Granitsteine und setzte sich darauf nieder. Nicht nur seine Stiefel waren durchweicht, sondern auch der größte Teil seiner Kleidung.

Mit ihren hastig zusammengerafften Sachen über dem Arm kehrte Anne zu ihm zurück. „Ihr seid selbst schuld, wenn Ihr Euch derart nass gemacht habt.“ Ihre Augen blitzten selbstzufrieden. „Da war kein Strudel, sage ich Euch.“

„Wenn ich nicht zur rechten Zeit zur Stelle gewesen wäre, würden dich jetzt die Elritzen zum Abendbrot verzehren.“

„Unfug!“ Anne ging an dem Fremden vorüber zu einem etwas abseits liegenden Weidengebüsch.

Nat zog den Stiefel aus, goss das darin angesammelte Wasser auf den Boden und blickte mit lässig gekreuzten Beinen der verführerischen Wasserfee nach, der er seine nassen Füße zu verdanken hatte – der verführerischen kleinen Lügnerin wäre wohl passender. Zum Kuckuck, die Kleine war ebenso wenig eine Schafhirtin wie er selbst Leutnant in der verdammten Rundkopfarmee!

Nachdenklich rieb sich Nat über seine Bartstoppeln, während er sich Babsons letzten Bericht ins Gedächtnis rief, in dem auch von dem Mündel George Lowells mit Namen Anne die Rede gewesen war. Dadurch war er zwar auf eine Begegnung mit ihr vorbereitet gewesen, jedoch nicht auf das verwirrende Bild, das sie mitten im Fluss abgegeben hatte. Und dieser Mund! Die herzförmigen Lippen sahen aus wie … wie eine sonnenreife Kirsche. Und erst diese Augen! Blaugrau, in ständig wechselnder Färbung, wie das Meer bei Sturm.

Langsam zog Nat den anderen Stiefel aus und tat einen tiefen Atemzug. Wie lange schon war er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen? Wenn er im Kopf neben seinem Geheimauftrag, den König zu finden, noch Platz gehabt hätte, wären diese hellen Augen und der süße Mund wohl eine Verführung gewesen, der er nicht hätte standhalten können.

Als ihm das goldene Medaillon in den Sinn kam, biss er sich auf die Lippen. Hatte das Mädchen etwa das Leben aufs Spiel gesetzt, um ein Geschenk von Colonel Twining wiederzufinden? Wenn dem so wäre, dann würde wohl erwartet, dass sie es am heutigen Abend trüge, da ihre Verlobung mit dem Oberst verkündet werden sollte. Kein Wunder, dass die Kleine so erpicht darauf gewesen war, die Kette zurückzubekommen.

Welches Glück, einen so verlässlichen Informanten wie Babson zu haben, dem es in diesen verworrenen Zeiten gelungen war, eine Anstellung als Diener bei Colonel Twining zu erhalten. Obwohl es Nat im Allgemeinen sehr zupasskam, selbst die unbedeutendsten Informationen über diesen mächtigen Parteigänger Cromwells zu erhalten, verursachte ihm jetzt jedoch die Mitteilung, dass Anne bald dessen Braut sein würde, ein merkwürdig störendes Gefühl. Wie gerne würde er Twining damit in Rage bringen, dass er ihm von seiner Begegnung mit Anne erzählte … Was würde er sagen, wenn er erführe, dass er, Nat, seine Braut nahezu nackt in den Armen gehalten hatte? Und es war ein sehr verführerischer Körper gewesen.

Nat verzog verächtlich den Mund. Viel zu schön war die Kleine für Twining und seinesgleichen! Ein anderer Hinweis aus Babsons Bericht kam ihm in den Sinn. Anne war die Tochter von Jonathan Lowell, einem der treuesten Anhänger des Königs. Aber da das Mädchen im Begriffe war, einen von Cromwells Marionetten zu heiraten, stand sie zweifellos auf der Seite ihres Onkels.

Wieder raschelten Zweige. Nat wandte den Kopf und sah, wie Anne die Pferdedecke über die Schulter warf und mit schnellen Schritten auf ihn zukam. Das lange rote Haar hatte sie in einem Knoten auf dem Kopf befestigt. Sie trug ein zerknittertes Kleid, das ihr viel zu groß war, und an den feuchten Stellen darauf konnte man erkennen, dass sie nicht einmal die nasse Unterwäsche ausgezogen hatte.

Das Mädchen warf Nat einen kurzen Blick zu. „Ihr seid ja immer noch hier.“

Nat schützte mit der Hand die Augen vor der Sonne. „Ich warte auf dein Dankeschön, Nixe, für die Errettung vor dem nassen Tod.“ Als Anne die Schultern zurückdrückte und die kleinen Hände zu Fäusten ballte, lachte er leise, streckte seine nassen Füße weit von sich und lehnte sich bequem an den kantigen Stein.

„Ich bringe dich zu deiner Herde, wenn du wartest, bis ich mir meine Stiefel wieder angezogen habe“, sagte er scherzend. Er war sicher, dass sich das Mädchen alles andere wünschte, als von ihm begleitet zu werden.

In ihren blaugrauen Augen spiegelte sich denn auch Zweifel und Unsicherheit wider, so wie Nat gehofft hatte. Doch als Anne unmittelbar vor ihm angelangt war, warf sie ihm ohne innezuhalten die Decke über den Kopf und lief eilends zu ihrer friedlich grasenden Stute.

„Ich brauche keine Begleitung, um meinen Heimweg zu finden!“

„Wenn man bedenkt, dass du mir dein Leben verdankst, so muss man leider feststellen, dass du nicht besonders freundlich zu mir bist“, rief Nat dem Mädchen nach, während er sich von der Decke befreite. „Ich habe schon genug Ärger wegen meiner verdorbenen Uniform und meiner nassen Stiefel – und das alles nur, um ein undankbares Ding aus dem Wasser zu ziehen.“ Nat unterdrückte ein Lachen. „Wenn du wieder einmal als Nixe auftreten willst, denke daran, dass der nächste Mann, der dich dabei überrascht, vielleicht kein Gentleman ist.“

Annes Augen blitzten. „Ihr seid kein Gentleman“, erwiderte sie mit brennenden Wangen. „Ein Gentleman wäre sofort verschwunden, wenn er bemerkt hätte, dass ein Mädchen im Wasser ist.“ Sie ergriff die Zügel ihres Pferdes und kam langsam wieder auf Nat zu.

„Du kannst schon einen Haufen Ärger machen, Mädchen.“ Nat blickte zu ihr empor.

In diesem Augenblick ergriff Anne einen der Stiefel und schwang sich mit ihm in den Sattel. Nat wollte ihr in den Arm fallen, doch es war bereits zu spät. Als er aufsprang, hörte er nur noch ihr selbstgefälliges Lachen. Ohne einen Blick zurückzuwenden, lenkte das Mädchen die Stute zum Flussufer.

„Himmeldonnerwetter!“, schrie Nat, während er mit den nackten Füßen über die scharfen Steine humpelte. „Wage nicht …!“

Unberührt von seinen Worten warf Anne mit aller Kraft den Stiefel in den Fluss. Dann riss sie das Pferd herum und lachte triumphierend. „Seht Euch vor, Leutnant! Im Fluss ist ein Sog.“ Dann winkte sie dem verdatterten Nat einen Abschiedsgruß zu und galoppierte die Umgrenzungshecke entlang in Richtung auf Wycliffe Manor. Ihr silberhelles Lachen verklang in der Ferne.

Als Anne über den Hühnerhof rannte, kreischte das Federvieh und flatterte in die Höhe. An der Gartenpforte hielt sie inne und fingerte nervös an ihrem Medaillon, während sie vorsichtig über das Gebüsch lugte, ehe sie schurgerade auf den Gesindeeingang an der Hinterfront des Küchenflügels zulief.

Es hatte sie weniger als eine halbe Stunde gekostet, ihre schicklichen Kleider wieder anzulegen, die sie vorsorglich hinter den Brettern in der Box ihrer Stute verstaut hatte.

Bevor Anne jedoch eintrat, warf sie noch einen Blick über die wogenden Felder, und ihr Herz schlug ein wenig schneller, als sie dabei an den hübschen jungen Leutnant dachte.

„Nenne mich doch Nat“, hatte er gesagt.

Anne griff nach dem Medaillon und biss sich auf die Lippe. Der Fremde war ihr natürlich nicht gefolgt. Er hatte ihre Geschichte geglaubt und dachte bestimmt, sie sei mittlerweile längst wieder bei ihren Schafen. Ein warmer Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an den Ausdruck seiner Augen dachte, während er ihren nassen Körper an seine Brust drückte.

Noch nie war ihr ein Rundkopf so nahe gekommen, und sie hatte auch keinen Wert darauf gelegt. Nun gut, Onkel George war natürlich auch eine Art Rundkopf – doch das war etwas ganz anderes. Der Leutnant war … Soldat. Soldaten töteten im Namen des Vaterlandes ihre Landsleute – Engländer wie ihr Vater, auf dessen Kopf eine Belohnung von hundert Goldstücken ausgesetzt war.

Ihr geliebter Vater! Ein Jahr war es her, dass er sein Leben riskiert hatte, um sich nachts nach Wycliffe Manor zu schleichen und ihr einen Besuch abzustatten. Niemals würde sie den Augenblick vergessen, als er ihr versprach, sie zu holen, sobald Charles Stuart – Gott beschütze ihn! – wieder auf seinem Thron saß und der widerwärtige Oliver Cromwell aus dem Land gejagt worden war.

„Wie sehr du deiner Mutter ähnelst“, hatte der Vater gesagt. „Du hast ihre Schönheit geerbt, Anne. Aber du musst nun auch nach ihrer Geduld und ihrem Verständnis streben.“

Sie hatte genickt, obwohl sie wusste, dass sie nie lernen würde, geduldig zu sein. Und sie wollte auch gar kein Verständnis haben für eine Gesellschaft, die einen Mann wie ihren Vater als Verräter brandmarkte. Doch sie hatte sich beherrscht und schweigend beobachtet, wie der Vater wieder in dem Geheimgang verschwand.

Trotz des warmen Spätsommertages kroch ihr plötzlich ein kühler Schauer über die Haut. Was war nur los mit ihr? Sie hatte mit einem von Vaters Feinden ein Gespräch geführt und etwas so Seltsames dabei gefühlt, dass es ihr fast den Atem verschlagen hätte.

Vor der Tür der Vorratskammer saß das Küchenmädchen Daisy, schälte Äpfel und zwinkerte den Soldaten zu, die sie von Ferne bewunderten. Offensichtlich war weder Onkel George noch irgendjemand Wichtiges in der Nähe, sonst hätten sich die Soldaten nie erlaubt, auf diese Weise hier herumzulungern.

Anne ordnete den sittsamen weißen Kragen an ihrem Gewand, strich Strohhalme und Häckselspreu von ihrer Schürze und schlenderte über den gepflasterten Weg zu der Vorratskammer. Leise vor sich hin summend tat sie so, als kümmere sie nichts auf der Welt. Aber Daisy war ohnehin zu sehr mit ihrem eigenen Zeitvertreib beschäftigt, um Anne auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu widmen.

Als diese die Tür zur Vorratskammer aufstieß, drang ihr der Geruch von gärendem Apfelwein und scharf gewürzten Salzgurken in die Nase. Vorsichtig schob sie sich an dem Tisch vorbei, auf dem die zugebundenen Steingutkrügen standen, und duckte sich angewidert vor den riesigen Fliegen, die herumschwirrten.

Aus dem Korridor ertönte der Klang von Schritten in schweren Stiefeln. Anne presste das Ohr gegen die Tür und wartete, bis das Geräusch in der Ferne verklungen war. Dann holte sie tief Luft, raffte ihre Röcke und hastete auf die Hintertreppe zu.

„Anne?“ Onkel Georges Stimme erklang von der geöffneten Tür seines Studierzimmers durch die ganze Halle. Sein ohnehin immer gerötetes Gesicht schien heute dunkler denn je zu sein. Annes eben noch so heitere Stimmung sank ins Bodenlose. Mit weit geöffneten Augen erstarrte sie förmlich zu Stein.

„Anne! Ihr habt Euch verspätet. Kommt sofort hierher!“

„Ja, Onkel George“, erwiderte Anne mit trockenen Lippen. Sie stopfte die feuchten Haarsträhnen fest unter ihre Haube, strich noch einmal über die Schürze und machte sich auf, ihrem Schicksal in die Augen zu sehen.

2. KAPITEL

Angst und Beunruhigung lagen wie ein Stein auf Annes Brust, als sie langsam auf den Onkel zuging, der mit zornig gerunzelter Stirn im Türrahmen stand. Sie zermarterte sich das Hirn nach einer Ausrede, während sie sich zur gleichen Zeit auf den wütenden Redeschwall gefasst machte, der sie gleich überschütten würde. „Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Onkel“, murmelte sie, als sie vor dem Studierzimmer angelangt war.

„Ich werde mir später mit großem Interesse Eure Entschuldigung anhören. Im Augenblick habe ich jedoch etwas Dringlicheres mit Euch zu besprechen.“ Obwohl die Worte liebenswürdig klingen sollten, verriet die missbilligende Miene des Onkels seine wahre Meinung.

Anne warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, während sie über die Schwelle schritt. Als sie das eichenholzgetäfelte Gemach betrat, wurde ihr sofort klar, warum der Onkel ihre Bestrafung aufgeschoben hatte. Vor dem knisternden Feuer des Kamins saß Mistress Jane Herrick, Onkel Georges Patentochter. Natürlich wollte er das unmögliche Verhalten seiner Nichte nicht vor einem Dritten zur Sprache bringen!

Annes Erleichterung über den Aufschub mischte sich mit Neugier. Im Allgemeinen wurde sie nicht hinzugezogen, wenn der Onkel Gäste hatte, denn er fürchtete, ihre Gegenwart würde seine Freunde daran erinnern, dass sein älterer Bruder ein eingeschworener Feind Cromwells war.

„Jane, Ihr kennt doch meine Nichte Anne Lowell?“

Jane lächelte betörend. „Gewiss, Master Lowell. Wer könnte wohl Eure reizende Nichte vergessen.“

Reizend? Anne tauschte einen kurzen Blick mit dem Onkel. Wahrscheinlich lebte Mistress Herrick zu zurückgezogen, um von dem Geschwätz unter den Dächern treuer Parlamentarier gehört zu haben, das sich auf Lowells rebellische Nichte bezog, deren Vater sie wie ein unerwünschtes Kätzchen ausgesetzt und ihm zur Betreuung überlassen hatte.

Anne machte einen Knicks und suchte sich einen Platz so weit wie nur möglich von ihrem Onkel entfernt. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er mit bewundernden Blicken Janes Geplauder verfolgte, das Anne ausgesprochen langweilig fand.

Wenn man dem Gerede des Onkels Glauben schenken konnte, so war Jane Herrick das Muster einer jungen puritanischen Frau. Vor ein paar Monaten erst hatte sie einen jungen Medicus geheiratet. Eine schlichte Haube bedeckte das silberblonde Haar. Ihre weiße Haut mit dem rosigen Hauch auf den Wangen kontrastierte auf anziehende Weise mit dem schwarzen Gewand der Puritanerin. Die hellgrauen Augen und das kleine runde Kinn sprachen für ihr gehorsames Naturell, das der Onkel nicht müde wurde, immer wieder lobend zu erwähnen. Anne konnte nicht umhin, ihm zuzustimmen. Mistress Herrick schien so vollkommen zu sein wie die heilige Jungfrau.

Bei dem Vergleich mit der jungen Frau kam sich Anne wie eine hässliche Kröte vor. Resigniert kaute sie auf der Unterlippe, während sie sich die eigenen Mängel vorhielt. Ihr Mund war zu voll, um hübsch zu sein. Die Haut mochte noch angehen, mit Ausnahme der Sommersprossen, die Wangenknochen und Stupsnase übersäten. Satans Fußspuren nannte sie der Onkel. Wer konnte ihm also vorhalten, wenn er sich ihrer schämte?

„Ich habe gerade Euerm Onkel berichtet“, gurrte in diesem Augenblick Jane, „wie herrlich heute Morgen das Herbstlaub anzusehen war, als wir durch den Wald ritten. Die Buchenblätter glänzten wie Gold, und die Eichen …“

George Lowell schlug sich mit der Faust auf das Knie. „Ich fühle mich außerstande zu begreifen, dass Euer Gemahl Euch ohne Eskorte reisen ließ“, polterte er los, ohne auf Janes erschrockenes Zusammenzucken zu achten.

„Master Lowell!“ Mistress Herrick richtete sich ruckartig auf. „Ich war völlig sicher. Schließlich hat mich mein Gemahl begleitet, und zwei unserer Diener folgten uns ebenfalls.“

„Nun, Euer Vertrauen ehrt Euch, liebe Jane. Aber dennoch hätte Euer Gemahl so viel Verstand haben und mein Angebot für militärischen Schutz annehmen sollen. Die Straßen wimmeln nur so von Banditen, gar nicht zu reden von diesem … diesem Wegelagerer, dem Schwarzen Fuchs.“

„Der Schwarze Fuchs!“ In Annes Stimme lag so viel Ehrfurcht, dass der Onkel ihr einen strengen Blick zuwarf. Sie hatte von Daisy gehört, dass jener Geächtete den Rundköpfen ihr Geld wegnahm, um es den Royalisten zu geben, die König Charles wieder auf den englischen Thron setzen wollten.

„Lasst Eure kindischen Träumereien, Anne!“, schalt George Lowell. „Er ist ein Wegelagerer, der die Unverschämtheit besessen hat, erst kürzlich Colonel Twining und seinen Diener Babson um ihre Börsen zu erleichtern.“

Anne erstickte ein Lachen unter der vorgehaltenen Hand. Wenn sie das nur hätte sehen können! Der Gedanke, dass ein gemeiner Bandit den arroganten Twining ausgeraubt hatte, war unsagbar erheiternd. Im Gegensatz zu den meisten weiblichen Wesen des Hauses verabscheute Anne den Colonel. Noch jetzt errötete sie heftig, wenn sie sich der dreisten Blicke erinnerte, die Twining ihr zugeworfen hatte, wann immer er sich von George Lowell unbeobachtet glaubte. Doch was sie daran noch mehr verdross, war die Tatsache, dass sich der Onkel geweigert hatte, ihre Beschwerde überhaupt ernst zu nehmen.

Jane lächelte Anne beruhigend zu. „Ihr müsst Euch keine Sorgen machen, meine Liebe. Der Schwarze Fuchs ist bestimmt nicht mehr in der Nähe von Wycliffe Manor, seitdem Colonel Twining mit seinen Soldaten eingetroffen ist.“

Anne blickte betroffen auf den Onkel. „Colonel Twining? Ihr habt mir gar nicht gesagt, dass er zum Abendessen eingeladen ist.“

Sekundenlang schauten sich Jane Herrick und George Lowell schweigend an. Dann räusperte sich der Onkel und sagte, ohne die Nichte anzusehen: „Ich habe Euch etwas zu sagen, Anne. Mistress Herrick war so freundlich, meiner Bitte nachzukommen, Euch etwas Nachhilfeunterricht im schicklichen Betragen für den heutigen Abend zu geben.“

Eine düstere Vorahnung jagte Anne Schauer über den Rücken. „Wenn Ihr mir wieder Colonel Twining als Tischherrn geben wollt, ziehe ich es vor, in meinem Zimmer zu bleiben und eine Woche lang nichts zum Abendbrot zu essen.“

George Lowells ohnehin gerötetes Gesicht färbte sich noch dunkler. „Ihr solltet mich nicht unnötig reizen.“ Er reckte den Kopf empor, fuhr sich mit den Fingern hinter die Halskrause und warf einen flehenden Blick auf Jane.

Jane nickte beruhigend und wandte sich dann mit einem strahlenden Lächeln zu Anne. „Euer Onkel wünscht, dass Ihr heute Abend den besten Eindruck auf seine Gäste macht. Ich denke, wir sollten ein paar höfliche Sätze einstudieren, von denen Ihr während der Tafel Gebrauch machen könnt, und wir müssten auch Euer Haar etwas bändigen …“

„Ach ja, kümmert Euch um ihr Haar!“ Der Onkel verdrehte anklagend die Augen. „Mit dieser wilden Mähne sieht sie immer aus wie die Ausgeburt Satans.“

Jane hob begütigend die Hand. „Ich versichere Euch, Sir, dass Eure Nichte ein Muster an sittsamer Weiblichkeit sein wird, wenn ich mit meinen Vorbereitungen fertig bin.“

Anne krampfte die Finger um die Armlehnen ihres Stuhles. „Onkel George, ich verlange, dass Ihr mir sagt, was hier vorgeht!“

„Ihr habt hier überhaupt nichts zu verlangen“, erwiderte George Lowell erbost. „Ihr werdet tun, was Mistress Herrick sagt. Dieses eine Mal habt Ihr Euch so zu benehmen, dass Ihr mich nicht in Verlegenheit bringt, wenn … wenn ich heute Abend Eure Verlobung bekannt gebe.“

Auf diesen Schreck war Anne nicht vorbereitet gewesen. Wie betäubt schüttelte sie den Kopf. „Meine Verlobung? Mit wem?“

„Colonel Twining hat um Eure Hand angehalten“, fuhr der Onkel ungerührt fort. „Und ich habe den Antrag in Euerm Namen angenommen.“

Anne rang nach Luft. Sie starrte George Lowell an und versuchte dabei, das eben Gehörte zu begreifen. Was der Onkel weiterhin sagte, nahm sie nicht mehr auf. Verlobung? Sie sollte Colonel Twining heiraten?

Entsetzt über diesen hinterhältigen Verrat, sprang sie mit zitternden Knien auf. „Onkel, George, Ihr könnt doch nicht ern… ernsthaft meinen, dass ich diesen … diesen …“

„Es ist an der Zeit, dass Ihr in den Ehestand tretet.“

Mit raschelnden Röcken kniete Anne neben seinem Sessel nieder. „Bitte, tut es nicht, bitte. Ich verspreche auch, nie wieder ungehorsam zu sein.“ Mechanisch strich sie eine Haarsträhne aus der Stirn. „Ich will alles tun …“

George Lowell erhob sich und zog seine Nichte mit empor. „Beherrscht Euch, Anne. Euer Benehmen ist unschicklich.“

Jane lehnte sich nach vorn. „Es gibt härtere Schicksale, als einen so gut aussehenden, vermögenden Mann wie Colonel Twining heiraten zu müssen, meine Liebe.“

Anne riss sich von dem Onkel los. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass alle von ihrer bevorstehenden Verlobung gewusst haben mussten – nur sie selbst nicht, und sie kam sich wie ein Einfaltspinsel vor.

„Twining ist ein Lüstling, und ich werde ihn niemals heiraten.“

George Lowell blickte sie drohend an. „Oh, doch, das werdet Ihr!“ Dann wandte er sich mit einem etwas gezwungenen Lächeln an Jane. „Verzeiht, meine Liebe, aber würdet Ihr uns wohl einen Augenblick allein lassen?“

„Aber gewiss, Sir.“ In Janes grauen Augen lag viel Mitgefühl für Anne. Mit einem verbindlichen Kopfnicken verließ sie das Zimmer.

Zornerfüllt wandte sich George Lowell an seine Nichte. „Eure Hochzeit wird in sechs Wochen, vom morgigen Tage an gerechnet, stattfinden. Das ist mein letztes Wort. Und nun folgt Mistress Herrick und tut alles, was sie Euch sagt. Heute Abend werdet Ihr Euch so aufführen, wie es Eure Stellung erfordert.“

Anne ballte die Hände. „Was würde mein Vater sagen, wenn er wüsste, dass Ihr mich einem … einem …“

„Haltet den Mund!“, herrschte der Onkel sie an. Sein Versuch, sich zu zügeln, war erfolglos gewesen. „Ich habe keinerlei Verpflichtungen gegenüber Euerm Vater, und Ihr selbst seid alt genug, um nunmehr Euren eigenen Verpflichtungen nachzukommen. Ihr solltet einen Mann wie Colonel Twining schätzen. Er ist kein Stutzer wie Euer Vater, dieser Laffe, der Schande über seine Familie gebracht hat, da er gegen Cromwell zu Felde zog.“

Anne erwiderte unerschrocken George Lowells wütenden Blick. „Wie könnt Ihr so etwas von Euerm eigenen Blute sagen!“

„Diese traurige Tatsache lasse ich gern der Vergessenheit anheimfallen. Und Ihr solltet Euch vor Augen halten, dass Euer Vater lieber romantischen Wunschträumen nachjagt, anstatt sich um Euch zu kümmern. Er wird Euch niemals abholen. Je eher Ihr das begreift, umso besser für Euch.“

„Wie könnt Ihr es wagen, so von ihm zu sprechen!“ Anne reckte entschlossen die Schultern. „Er hat Seite an Seite mit dem König bei Worcester gekämpft, und er kann heute vielleicht schon tot sein …“

„Darum flehe ich jeden Tag zu Gott!“

Bei diesen Worten stiegen Anne Tränen in die Augen. Doch sie unterdrückte sie tapfer. „Ich weiß, dass ich Euch nichts recht machen kann, nur weil ich die Tochter Eures Bruders bin. Ihr könnt mich wie eine Puritanerin kleiden, könnt mir drohen, mich Euerm Willen zu unterwerfen – ich werde dennoch immer die Tochter eines Royalisten bleiben. Aber im Gegensatz zu Euch bin ich stolz darauf, dass mein Vater den Mut hat, seinen Träumen zu folgen und mit König Charles den Kampf gegen die Tyrannei des Parlamentes zu führen.“

Sie raffte ihre Röcke und eilte zur Tür, wo sie zu ihrer Überraschung Colonel Twining vorfand. Seine grauen Augen, die wie Granit wirkten, schienen sie förmlich zu durchbohren, und Anne wusste sofort, dass er alles mit angehört hatte. Sie kam sich vor wie ein Küken, über dem der Habicht kreist.

Ach was, umso besser! Vielleicht würde Twinings Interesse an einer Verlobung mit ihr schwinden, nachdem er von ihrer Abneigung ihm gegenüber Kenntnis erlangt hatte.

„Was hat Euch denn so aufgebracht, meine Liebe?“, fragte der Colonel mit geheuchelter Anteilnahme.

„Das wisst Ihr ganz genau.“ Trotzig hob Anne das Kinn. „Ich werde Euch niemals heiraten!“ Sie versuchte, an ihm vorüberzugehen, doch Twining vertrat ihr den Weg.

„An Eurer Stelle würde ich nicht so vorschnell sein“, erwiderte er katzenfreundlich.

„Lasst mich los, Ihr … Ihr … rattengesichtiger Lüstling!“

Twining verzog amüsiert seine dünnen Lippen. „Ich bin bereit, Eure leidenschaftlichen Ausbrüche zu überhören, solange wir ansonsten miteinander auskommen, meine Liebe.“ Er zog Anne näher an sich. „Zu Weihnachten werdet Ihr mir angetraut“, fügte er mit eiskalter Stimme hinzu. „Ihr dürft Euch jetzt zurückziehen, meine Liebe. Doch in einer Stunde erwarte ich Euch hier erneut, damit ich Euch in den Speisesaal geleiten kann.“

„Und wenn ich mich weigere?“

„Nun, ich denke, Ihr werdet meinen Wünschen nachkommen. Im Übrigen habe ich ein ganz besonderes Verlobungsgeschenk für Euch.“ Twining musterte Anne mit kühlen Blicken. Er war ihr so nahe, dass sie den Geruch von Tabak spürte und von etwas, das Brandy zu sein schien. Wenn sie nicht augenblicklich davonlief, würde sie auf der Stelle krank werden.

„Ich will kein Geschenk von Euch“, stieß sie hervor.

Der Colonel hob die Brauen. „Nun gut, wenn das Euer ausdrücklicher Wunsch ist.“ Seine grauen Augen glitzerten boshaft. „Leider habe ich bereits eine Petition an Cromwell geschickt, in der ich ihn bitte, Euern Vater zu begnadigen.“

Bei diesen Worten erklang aus der Richtung, in der sich George Lowell befand, ein unterdrücktes Aufstöhnen.

Auf Twinings Gesicht erschien ein spöttisches Lächeln. „So ist es, meine liebe Anne. Wenn wir verheiratet sind, wird Euerm Vater voller Pardon gewährt – natürlich nur, wenn Ihr Euch den Wünschen Eures Onkels fügt.“

Schweigend versuchte Anne, Twinings Worte zu verarbeiten. Die Großzügigkeit seines Angebotes bewies, welche Macht er besaß. Doch würde er wirklich gegenüber seinem Erzfeind Gnade walten lassen? Und würde der Vater nicht zu stolz sein, um von seinem Gegner eine solche Gunst entgegenzunehmen – insbesondere wenn er den Preis dafür kannte?

Prüfend blickte sie Twining an. Seine Miene erinnerte sie an ein Wiesel, das im Gebüsch auf eine Maus lauerte.

„Und wenn ich mich dennoch weigere?“

Twinings Lächeln erstarb. „Nun, dann würde ich dafür sorgen, dass man Euch in die entfernteste Kolonie bringt. Und ich garantiere Euch, dass Ihr dann Euern Vater niemals wiedersehen werdet.“

Ein Stöhnen kam über Annes Lippen. Wie sollte sie weiterleben ohne die Hoffnung, eines Tages wieder mit ihrem Vater vereint zu sein?

Mit einem zufriedenen Lächeln löste Twining den Griff um ihr Handgelenk. Er wusste, dass er das Spiel gewonnen hatte. Trotzig warf Anne den Kopf zurück, raffte ihre Röcke und eilte aus dem Zimmer.

Besorgt näherte sich George Lowell dem Colonel. „Ich werde Mistress Herrick rufen lassen. Sie wird wissen, wie man mit Anne umgehen muss …“

„Das ist nicht nötig, alter Freund.“ Twining verzog triumphierend die Mundwinkel. „Ihr müsst wissen, Mistress Anne ist wie ein schönes, feuriges Füllen. Vielleicht ein bisschen leichtfertig, doch sie hat einen klugen Kopf auf ihren Schultern.“ Mit spitzen Fingern zupfte er ein unsichtbares Fädchen von seinem Ärmel.

Selbst diese unbedeutende Geste vollführte der Colonel betont elegant. Das derbe schwarze Haar im Schnitt der Rundköpfe verlieh ihm ein eindrucksvolles Aussehen. Möglicherweise war es seine Arroganz, die einige Frauen anziehend fanden. Obwohl er bereits fünfundvierzig Jahre alt war, konnte man seine Manneskraft als geradezu sprichwörtlich bezeichnen.

„Eure Nichte hat sehr genau begriffen, worum es geht“, fuhr Twining fort. „Das stolze Füllen wird aus eigenem Antrieb zurückkommen.“ Er zog die Brauen empor. „Wollt Ihr darauf eine Wette wagen, alter Freund?“

Der Gedanke an die fürchterlichen Folgen, die selbst die geringfügigste Ablehnung nach sich ziehen würde, schnürte George Lowell die Kehle zu. „Ich bin kein Wettanhänger“, murmelte er, während er mit schweißnassen Händen an seinem weißen Kragen herumfingerte. „Aber ich zweifle nicht daran, dass meine Nichte sich genauso verhalten wird, wie Ihr vorausgesagt habt.“

Twining hob selbstgefällig die Schulter, wandte sich wortlos um und verließ mit langen Schritten das Zimmer.

Erleichtert ließ sich George Lowell in einen Sessel sinken. Gott sei gelobt, Twining wollte Anne immer noch heiraten! Und er hatte sogar vor, Jonathan Lowell Pardon zu geben!

Solange George zurückdenken konnte, war der ältere Bruder die Plage seines Lebens gewesen. Eine Eskapade nach der anderen hätte unweigerlich Jonathans Ansehen ruiniert, wenn ihr Vater das Gerede nicht immer wieder im Keim erstickt hätte. Auch Twining war in irgendeiner Form darin verwickelt gewesen, aber George kannte keine Einzelheiten.

Doch eine andere Frage bewegte ihn weit mehr, seit der Colonel zum ersten Male um Annes Hand angehalten hatte. Warum um alles in der Welt wollte ein so mächtiger Mann wie Twining dieses höllisch freche Ding zur Frau?

Nat schlich um die Ecke des Herrenhauses und verweilte einen Augenblick im Schatten der dichten Efeuranken, die die Außenwand der Milchküche bedeckten. Die letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne ließen die sechseckigen Butzenscheiben der Giebelwand wie Gold erglänzen. Das unterste Fenster warf Nats Spiegelbild zurück. Nach einem prüfenden Blick begab er sich befriedigt auf den ausgetretenen Pfad zum Kücheneingang.

Das Klingeln von Sporen kündigte ihm das Nahen von zwei Rundköpfen an, noch ehe die beiden Soldaten um die Ecke gebogen waren. Herablassend erwiderte Nat ihren hastigen Gruß, als sie an ihm vorübergingen.

In der Luft lag der verführerische Duft von Fleischpasteten, die auf dem Fensterbrett zum Kühlen aufgereiht waren. Das Wasser zog sich in Nats Munde zusammen, denn er hatte seit Tagesanbruch noch nichts wieder zu sich genommen. Vorsichtig schob er die schweren Weinranken zur Seite und spähte in das Innere der Küche. Wenigstens zehn Bedienstete waren in dem riesigen Raum beschäftigt. In großen schwarzen Eisenkesseln blubberte es leise vor sich hin, und Fett, das von einem Hammelrücken am Spieß ins Feuer tropfte, zischte hörbar.

Nat schlich zum nächsten Fenster. In dem kleinen Vorratsraum entdeckte er endlich Babson, Twinings Diener, der gerade dabei war, Wachsstöcke in den Leuchtern zu befestigen. Leise klopfte Nat an die Scheibe.

Babson hob den mit schneeweißen Haaren bedeckten Kopf, und seine Augen glänzten, als er den Besucher erkannte. „Schnell“, flüsterte er und winkte Nat herein. „Überall Soldaten.“

„Mach dir keine Sorgen.“ Nat lächelte dem Alten zu, während er durchs Fenster stieg. „In dieser Leutnantsuniform passe ich wunderbar zu ihnen.“

Babson warf Nat einen bewundernden Blick ob seiner Kühnheit zu.

„Hast du die Karten?“ Nat wählte einen leuchtendroten Apfel aus einer der Lattenkisten neben dem Tische aus und biss herzhaft hinein.

„Natürlich“, raunte Babson, „und außerdem noch Neuigkeiten.“ Vorsorglich blickte er sich um, bevor er die gefalteten Papiere aus seinem grünen Wams zog. „Hier sind die Karten und die Briefe.“

Nat nahm sie entgegen und verbarg sie in seiner Uniformjacke.

„Heute Mittag“, fuhr Babson leise fort, „als ich Twining und seinem Adjutanten Brandy servierte, hörte ich ihn sagen, Cromwell sei überzeugt, der König wolle über Schottland zurück nach Frankreich.“ Der Alte strahlte vor Befriedigung.

„Gut, dass sie das denken.“ Mit einem lauten Knirschen biss Nat erneut in den saftigen Apfel. „Noch etwas?“

„Ja. Twining sagte, Cromwell werde ein Extrakontingent von Truppen aufbieten, um dem Schwarzen Fuchs eine Falle zu stellen.“ Babson blinzelte Nat vielsagend zu. „Später bin ich dann noch einmal in sein Zimmer gegangen und habe die vorgesehenen Straßensperren von seiner Karte abgezeichnet.“ Er lächelte stolz. „Twining denkt nämlich, ich kann weder lesen noch schreiben.“

„Gute Arbeit, mein Freund.“ Nat schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Es scheint, der Colonel hat jene Nacht nicht vergessen, in der man ihm im Namen von Charles Stuart die Börse abnahm.“

Babson kicherte. „Dieser aufgeblasene Esel spricht von nichts anderem mehr.“

„Es ist sehr mutig, was du da tust, aber auch sehr gefährlich.“

„Dem König mit meinen armseligen Kräften zu dienen, ist mir eine Ehre, Nat.“ Babson strahlte vor Stolz.

Nat nickte anerkennend. Eine fast brüderliche Vertrautheit verband ihn mit all jenen, die ihr Leben für den König wagten. „Ich muss jetzt gehen. Wenn du mich brauchst, weißt du, wie du mich erreichen kannst.“

„Gewiss, Nat. Und Gott sei mit dir.“

Kaum hatte sich Nat auf den Weg zu den Stallungen gemacht, als er rasche Schritte hinter sich wahrnahm. Schnell drückte er sich in den Schatten der Holundersträucher. Das Geräusch kam näher, und plötzlich eilte eine junge Frau an ihm vorüber zu der kleinen Rosenlaube am Ende des Pfades.

Anne Lowell! Sie lief mit wehenden Röcken über den mit bunten Herbstblättern bestreuten Rasen. Nat ermahnte sich, das Mädchen nicht zu beachten. Er hatte eine Aufgabe, die ihm keine privaten Gefühle erlaubte. Und dennoch trieb ihn irgendetwas Unerklärliches dazu, Anne zu folgen. Nicht etwa, weil sie mit ihrem kupferroten Haar und den blaugrünen Augen so bezaubernd aussah. Nun, ein paar Minuten durfte er sich wohl genehmigen, um das Mädchen ein letztes Mal zu sehen.

Der süße Duft der letzten Rosen dieses Sommers schlug Nat entgegen, als er sich der dichtbewachsenen Laube näherte. Aus ihrem Innern drang unterdrücktes Schluchzen und rührte sein Herz. Einen kurzen Augenblick lang beobachtete er die Weinende.

„Ziemlich weit weg bist du von deiner Herde, Mädchen“, begann er schließlich. „Ich fürchte, deine Schafe haben sich inzwischen über alle Hügel zerstreut.“

Anne hob erschrocken den mit einer weißen Haube bedeckten Kopf. „Ihr!“, rief sie halblaut und errötete bei dem Gedanken, dass der fremde Offizier an ihrer Kleidung unschwer erkennen musste, keine Schafhirtin vor sich zu haben.

„Die Schöne weint, als müsse ihr das Herz brechen.“ Nat ergriff ihre Hand und zog sie an die Lippen. „Puh! Wie ich den salzigen Geschmack von Tränen verabscheue!“ Er schnitt ein Gesicht.

Anne entriss ihm ihre Hand. „Wie unritterlich von Euch!“, schalt sie aufgebracht. Doch als sie sein Schmunzeln bemerkte, wusste sie, dass er sie nur von ihrem Kummer hatte ablenken wollen, und beschenkte ihn dafür mit ihrem liebreizendsten Lächeln.

„Ich bin froh, dass Ihr Eure Stiefel wiedergefunden habt“, sagte sie schließlich, und ihre Augen blitzten bei der Erinnerung an den gelungenen Streich.

„Seid Ihr das wirklich?“

„Ja“, erwiderte Anne und wischte sich mit der Hand über die Augen. „Und ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr niemandem etwas von unserer Begegnung heute Nachmittag erzählen würdet.“

Nat trat etwas näher. „Meint Ihr mit Niemand vielleicht Euern Onkel? Euern Onkel“, wiederholte er mit übertriebener Betonung, „Master George Lowell?“

Einen Augenblick lang beobachtete er schweigend, wie sich die Röte auf Annes Wangen vertiefte, dann fuhr er fort: „Macht Euch keine Sorgen, Mistress Anne. Ihr habt mein Versprechen, dass ich über unser … Abenteuer Schweigen wahren werde. Doch um unser Abkommen zu besiegeln, muss ein Preis gezahlt werden, kleine Nixe.“

Anne kniff die Augen zusammen. „Wenn Ihr glaubt, Ihr könntet Euch Freiheiten mir gegenüber herausnehmen, so seid Ihr auf dem Holzwege. Ich habe gehört, wie die Küchenmädchen über die Soldaten reden …“

Nat legte den Arm um ihre Taille und hob mit der anderen Hand ihr Kinn empor. „Ich bin keiner von jenen rüpelhaften Soldaten, und ich hatte es niemals nötig, eine Dame um ihre Gunst zu bitten.“

Unbeeindruckt von seiner Großsprecherei machte Anne ihr Kinn frei und blickte missbilligend auf die Hand an ihrer Taille. „Schon möglich. Aber lasst mich bitte los, ehe Ihr auf den Gedanken kommt, Eure Gewohnheiten doch noch zu ändern.“

Mit einem leisen Lachen zog Nat seine Hand zurück. „Du bist schon ein verdammt verführerisches Ding.“ Er schob ihre Röcke zur Seite, um sich neben Anne auf die Gartenbank zu setzen. „Ich wollte doch weiter nichts als Euch fragen, warum Ihr so herzzerreißend geweint habt.“

Anne schlug ihre schönen Augen auf. Ein paar Herzschläge lang war Nat wie verzaubert von den feucht schimmernden Edelsteinen, umrahmt von einem dichten Kranz dunkler Wimpern. Während er Anne schweigend betrachtete, verzog diese unsicher und wie schmollend den Mund. So verletzlich sah das Mädchen in diesem Augenblick aus, dass Nat der dringende Wunsch erfasste, ihr zu helfen, sie zu beschützen.

„Das ist eine sehr persönliche Angelegenheit“, sagte Anne schließlich und fügte, als habe sie es sich noch einmal überlegt, hinzu: „Es ist nur … manchmal … manchmal vermisse ich meinen Vater.“

Nat erinnerte sich daran, dass heute Abend ihre Verlobung mit Colonel Twining bekanntgegeben werden sollte. Wahrscheinlich war Anne hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, Twining zu heiraten, und der Furcht, ihrem Vater damit zu nahe zu treten. „Euer Vater ist Jonathan Lowell, nicht wahr?“, fragte Nat wissend.

„Ihr kennt ihn?“ Überraschung und zugleich Misstrauen lagen in ihrem Blick.

„Jeder Rundkopf kennt den furchtlosen Colonel Jonathan Lowell“, erwiderte Nat wahrheitsgemäß. „Wenn sein Name als Schlachtruf erklingt, jagt er den Feinden Angst und Schrecken in die Knochen. Da eine Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt ist, muss er weit weg von England sein.“

Anne schüttelte den Kopf. „Nein. Er würde niemals den Kampf aufgeben, bevor Charles Stuart wieder auf dem Thron sitzt.“ Erneut glitzerten Tränen in ihren Augen.

„Ich verstehe Euch“, erwiderte Nat freundlich. „Es ist ganz natürlich, dass Ihr ihn vermisst.“ Insgeheim jedoch sagte er sich, dass es wohl gnädiger wäre, wenn Jonathan Lowell auf dem Schlachtfeld gefallen wäre, anstatt eines Tages erfahren zu müssen, dass seine Tochter einen so grausamen Gegner wie Twining geheiratet hatte.

„Als ich noch klein war“, fuhr Anne mit sehnsuchtsvoller Stimme fort, „hat sich mein Vater immer meine kindlichen Sorgen angehört und mir dann seine klugen Ratschläge gegeben.“

Lächelnd nahm Nat ihre zarten Hände zwischen seine schwieligen Finger. „Nun, jetzt seid Ihr eine junge Frau, und ich bin sicher, Euer Vater würde Euch ermutigen, Eure eigenen Entscheidungen zu treffen.“

Anne blickte ihn mit großen Augen nachdenklich an. „Ja“, murmelte sie schließlich, „ich glaube, das würde er tun.“

Am liebsten hätte Nat den ganzen Abend ihrer silberhellen Stimme gelauscht, doch es wurde nun Zeit für ihn aufzubrechen. Es wäre wohl das Beste, Anne den einfachen Rat zu geben, ihren Vater zu vergessen und sich für eine gesicherte Zukunft an der Seite eines der mächtigsten Männer an Cromwells Seite zu entscheiden. Doch das brachte Nat einfach nicht übers Herz.

Autor

Jackie Summers
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