Julia Ärzte Spezial Band 20

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LIEBE IN DER INSELKLINIK von MARGARET BARKER

In der Klinik auf der griechischen Insel Lirakis begegnet Charlotte Manners dem Arzt Dr. Jannis Kimolakis. Sie fühlt sich sehr zu ihm hingezogen, und bald entwickelt sich eine zärtliche Romanze zwischen ihnen. Doch plötzlich taucht Jannisʼ Ex-Frau auf ...

VERLIEBT IN DEN INSELARZT von MEREDITH WEBBER

Zurück nach Wildfire Island! Die paradiesische Insel ist ihr Zuhause und der Ort, an dem Caroline die Liebe kennenlernte. Mit Keanu, bis er verschwand … Doch die Rückkehr hält für die junge Krankenschwester eine Überraschung bereit: Auch Keanu, inzwischen Arzt, ist wieder da!

HAWAII – INSEL DER LIEBE von JOANNA NEIL

Hand in Hand spaziert sie mit ihrem Kollegen Ethan über den Traumstrand Hawaiis – Amber ist dem Zauber der Insel genauso erlegen wie dem Mann an ihrer Seite. Atemlos wartet die Ärztin darauf, dass Ethan ihr seine Liebe gesteht – doch er wendet sich von ihr ab …


  • Erscheinungstag 08.06.2024
  • Bandnummer 20
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526319
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Margaret Barker, Meredith Webber, Joanna Neil

JULIA ÄRZTE SPEZIAL BAND 20

1. KAPITEL

„Machen Sie sich keine Gedanken um Ihr Gepäck!“ Schwungvoll beförderte der junge Grieche Charlottes Koffer auf die offene Ladefläche.

Er hatte Charlotte angeboten, sie in der winzigen Fahrerkabine seines klapprigen, uralten dreirädrigen Gefährts, das am Rand des geschäftigen Hafens stand, mitzunehmen. Aber sie hatte dankend abgelehnt. Nach dem langen Flug nach Athen und der anschließenden Überfahrt mit der Fähre brauchte sie unbedingt frische Luft und musste sich die Beine vertreten.

Der Mann hatte ihr einen seltsamen Blick zugeworfen. Wer geht schon freiwillig zu Fuß, wenn er fahren kann? schien er zu denken. Doch er beschrieb ihr ausführlich den Weg. Ungefähr zehn Minuten lang die einzige Straße den Berg hinauf. Offenbar war ihr Ziel nicht zu verpassen.

An ihr Gepäck verschwendete Charlotte keinen Gedanken, als sie sich vom Hafen aus Richtung Hügelkamm in Bewegung setzte. Für ihren sechsmonatigen Arbeitsaufenthalt auf der kleinen griechischen Insel hatte sie nur das Allernotwendigste mitgenommen. Kopfzerbrechen bereitete ihr allerdings das bevorstehende Treffen mit dem Leiter der Klinik. Beim Vorstellungsgespräch in London hatte sie den Eindruck gewonnen, dass es nicht leicht sein würde, mit ihrem neuen Chef zusammenzuarbeiten.

Man hatte sie eindringlich gefragt, ob sie wirklich sicher sei, mit dem Leben auf dem winzigen Eiland zurechtzukommen. Die Arbeit unterschied sich erheblich von der im Londoner Krankenhaus, wo Hightechmedizin und eine Menge Kollegen zur Unterstützung bereitstanden. Anscheinend hatte der Leiter der Klinik auf Lirakis die Jobvermittlungsagentur angewiesen, darauf zu achten, dass die Bewerber genügend Charakterstärke besaßen, um diese sechs Monate unter völlig veränderten Lebensbedingungen durchzuhalten.

Charlotte blieb stehen und warf einen Blick zurück auf den Weg hinter sich. Die dünne Asphaltschicht, die man über der alten kopfsteingepflasterten Fahrbahn aufgebracht hatte, wies an vielen Stellen bereits Risse auf. Bauarbeiter waren damit beschäftigt, die Schäden so gut wie möglich zu beheben, und entfernten gerade den alten Belag mit der Spitzhacke. Schweiß glänzte auf ihren nackten, braun gebrannten Unterarmen. Trotz der frühen Stunde war es heiß. Und das im Mai! Wie mochte es erst im Sommer sein?

Die Aussicht jedoch war fantastisch! Charlotte stieg auf einen kippeligen Felsbrocken am Straßenrand, verlagerte das Gewicht, bis sie sicher stand, und schaute hinunter. Unten verließ die betagte Fähre gerade den Hafen, auf dem Weg zur nächsten Insel. Winzige Fischerboote kehrten vom frühmorgendlichen Fang zurück. Die Sonne schien strahlend auf das klare, türkisblau schimmernde Wasser und die weiß gekalkten Häuser, die die Bucht säumten.

Auch die hübsche Kirche mit dem Glockenturm in Ufernähe konnte sie von hier oben sehen. Sie wirkte, als könne sie eine einzige riesige Welle in den Hafen spülen, aber offenbar hatte sie während der Jahre den Naturgewalten getrotzt. Die Einheimischen waren sicher stolz auf ihr Gotteshaus, denn es leuchtete frisch geweißt und war in einem gepflegtem Zustand.

Nur ungern wandte Charlotte den Blick von dem atemberaubenden Panorama ab und stieg weiter den Hügel empor. Als sie den Kamm erreicht hatte, bot sich ihr wieder ein herrlicher Anblick. An die lang gezogene Bucht auf der anderen Seite der Insel schmiegte sich ein Fischerdorf aus gekalkten, mit roten Dächern gekrönten Häusern, überragt von den schroffen Erhebungen zum Landesinneren hin. Bei der Gruppe weißer Gebäude, die inmitten eines Wäldchens am Rande des Ortes lag, musste es sich um das Krankenhaus handeln. Auch eine Taverne mit hölzernen Stühlen und Tischen unter blau gestreifter Markise konnte Charlotte ausmachen.

Am Ende der Bucht entdeckte sie ein paar Badende im Wasser, und als sie den Kopf hob, fiel ihr Blick auf die alte Kreuzritterburg hoch oben auf dem steil abfallenden Felsen. In dieser Lage musste sie unbezwingbar gewesen sein. Welche Geschichten mochten sich um diese trutzigen Mauern ranken? Charlotte wollte nicht nur die Sprache lernen, sondern unbedingt mehr über die Geschichte Lirakis’ und seiner Bewohner erfahren.

Sie atmete tief durch und folgte der abschüssigen Straße in den Ort hinunter. Sobald sie sich mit ihrem zukünftigen Chef unterhalten hatte, würde sie die Schönheit der Insel bestimmt noch mehr genießen können. Aber im Moment verspürte sie ein unangenehmes Kribbeln im Bauch. Außerdem war sie nach dem langen Nachtflug und den schier endlosen Wartestunden auf zwei Flughäfen hundemüde.

Ihre Londoner Wohnung erschien ihr auf einmal so weit fort und so verlockend bequem! Noch gestern war sie froh gewesen, der Großstadt den Rücken zu kehren, aber nun begann sie sich zu fragen, was sie hier eigentlich suchte. Warum hatte sie nicht einfach bleiben und bei jedem von James’ Anrufen auflegen können? Sie hatte das Wohnungstürschloss ausgetauscht und ihre Handynummer geändert, warum hatte sie nicht auch einen neuen Festnetzanschluss beantragt und auf einen Telefonbucheintrag verzichtet?

Hing sie trotz allem immer noch an der Vergangenheit?

Wieder blieb sie einen Moment stehen, um Atem zu schöpfen. Der aromatische Duft der Wildkräuter stieg ihr in die Nase. Die friedvolle Stille der Landschaft tat gut. Charlotte nahm ihren Weg wieder auf.

Doch, sie hatte richtig entschieden! Sechs Monate, in denen sie James vergessen und überlegen konnte, wie ihr Leben weitergehen sollte.

Sie war sowieso überrascht gewesen, dass ausgerechnet sie den Job bekommen hatte. Sicher, sie war eine gute Ärztin mit exzellenten Zeugnissen, aber sie sprach kein Wort Griechisch, als sie sich bewarb. Nachdem sie angenommen worden war, hatte sie sich allerdings ein Lehrbuch gekauft und fleißig gelernt.

Die Insel mag idyllisch sein, aber wie sind die Arbeitsbedingungen? fragte sie sich, als sie schließlich die Klinik erreicht hatte. Sie beschloss, sich erst einmal anzusehen, wo und wie sie untergebracht sein würde, denn man hatte ihr geschrieben, sie würde auf dem Krankenhausgelände wohnen.

Sie ging langsamer. Ein hoch gewachsener Mann trat aus dem Haupteingang. Er blieb stehen und wartete. War das Dr. Jannis Kimolakis? Aber er würde sicherlich nicht persönlich herauskommen und sie begrüßen, oder? Nein, es musste sich um einen seiner Mitarbeiter handeln. Ein sehr ansehnlicher Mitarbeiter allerdings! Dunkler Typ, groß, mit klassischen Gesichtszügen und der athletischen Figur eines Rugbyspielers.

Kannte man in Griechenland Rugby? Sie unterdrückte ein nervöses Kichern. Mit einem solchen Spieler hätten es die Gegner schwer. Modische Chinos, ein Sporthemd, in dessen offenem Kragenausschnitt dunkle Löckchen zu sehen waren. Eine lässige Erscheinung mit einem etwas strengen Gesichtsausdruck.

Besser, du gehst etwas schneller und machst einen professionellen Eindruck, sagte sie sich. Bloß nicht unsicher wirken. Bestimmt würde der Mann es dem Chef weitergeben, dass sie …

„Dr. Charlotte Manners?“

Der gut aussehende Grieche hielt ihr die Hand hin, lächelte jedoch nicht. In ihrer zerknitterten Denimjacke, der Jeans, mit staubigen Wildlederschuhen und ohne Make-up musste sie verboten aussehen! Sie fühlte deutlich den leichten Schweißfilm auf dem Gesicht. Irgendwo hatte sie gelesen, Pferde schwitzten, Männer transpirierten und Damen schimmerten rosig. Wenn dem so war, musste sie leuchten wie ein Schinken! Sie wünschte, sie hätte sich die Mühe gemacht, noch kurz in den Taschenspiegel zu schauen und ein wenig Lippenstift aufzulegen.

Charlottes schmale Hand wurde mit kräftigem Griff gepackt. Sie unterdrückte ein schmerzhaftes Aufstöhnen, während sie gleichzeitig ein seltsames Prickeln verspürte, das wie ein Stromstoß durch ihren Körper schoss. Ihr Gegenüber wirkte unnahbar und verschlossen, doch seine Augen waren faszinierend. Sie besaßen eine dunkle, seelenvolle Tiefe, in der man sich verlieren konnte, wenn man bereit war, alle Bedenken in den Wind zu schlagen …

„Ich bin Jannis Kimolakis. Sie müssen Dr. Manners sein.“ Seine Stimme war tief und rau, fast sexy, hätte er nicht diese Ausstrahlung von Macht um sich gehabt.

Charlotte zog die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sie blickte den Arzt an. Er war groß, sehr groß … Sie selber war nicht gerade klein, aber bei diesem Mann musste sie den Kopf in den Nacken legen, wenn sie ihm ins Gesicht sehen wollte.

„Sie sind nicht, was ich … Wie geht es Ihnen? Ich meine …“ Sie zögerte. Los, Mädchen, gab sie sich einen Ruck. Benutz dein Griechisch aus Lektion eins. „Ti kanis?“

Nicht der Anflug eines Lächelns belohnte ihren kläglichen Versuch.

„Ich denke, Sie meinen Ti kanete, Dr. Manners“, kam die kühle Antwort in perfektem Englisch, jedoch mit einem leichten, charmanten griechischen Akzent. „Wenn Sie gerade erst jemand kennen gelernt haben, sollten Sie ihn siezen, wenn Sie sich nach seinem Befinden erkundigen.“

Er machte eine kleine Kunstpause, wodurch seine Zurechtweisung noch stärker wirkte.

„Wenn Sie hereinkommen möchten, können wir uns kurz über Ihre Aufgaben unterhalten.“

Waren die Griechen nicht bekannt für ihre warmherzige, gastfreundliche Art? Besonders die Inselbewohner? Dr. Kimolakis schien die berühmte Ausnahme von der Regel zu sein. Andererseits entsprach er ihren Befürchtungen. Nur die Verpackung war ganz anders als erwartet. Sie hatte mit einem älteren, gesetzten Herrn gerechnet. Jannis Kimolakis aber besaß einen aufregend jugendlichen, verlockend attraktiven Körper. Ein Bild von einem Mann und genau der Typ, der lange vor James ihren Puls zum Rasen gebracht hätte.

Er ging voraus und öffnete eine Tür, auf der ein Schild mit seinem Namen angebracht war.

„Treten Sie bitte ein, Dr. Manners.“

„Danke, Dr. Kimolakis.“

Unsicher folgte Charlotte ihm. Diese strenge Stimme, die einschüchternde Miene – wie sollte sie mit einem solchen Vorgesetzten zusammenarbeiten? Vielleicht hielt er sich wegen seines blendenden Aussehens für ein Geschenk an die Frauen. Aber warum setzte er dann nicht seinen Charme ein? Brachte sie dazu, ihm aus der Hand zu fressen? Was sie natürlich nicht tun würde. Nie wieder würde sie sich einem Mann ergeben. Bis zu ihrem Lebensende nicht. Das hatte sie sich geschworen.

Nun ja, vielleicht war das übertrieben. Das Leben war lang, und sie wusste nicht, wie sie in zehn Jahren empfinden würde. Aber in nächster Zukunft wollte sie sich mit niemandem einlassen. Nicht, bis die Wunden verheilt waren, die James ihr geschlagen hatte. Charlotte setzte sich in den Ledersessel vor den Schreibtisch des mürrischen Doktors. Auf dem Weg hierher hatte sie ein gewinnendes Lächeln geübt, das sie nun ausprobieren wollte. Vielleicht konnte sie das Eis zum Schmelzen bringen, durchdringen …

Nein, er hatte es nicht einmal bemerkt. Er las in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Ihre Bewerbungsakte?

Jannis blickte auf die Papiere vor ihm und versuchte sich zu konzentrieren. Charlotte Manners war absolut nicht, was er erwartet hatte. Er hatte auf eine reifere Frau gehofft, eine unkomplizierte, patente Kollegin, die es ihm ermöglichte, weiterhin ein guter Arzt zu sein. Und nun saß vor ihm eine berückende feminine Schönheit, in deren Gegenwart er sich in erster Linie als Mann fühlte. Er hatte schon jetzt Mühe, reserviert und professionell aufzutreten.

Vor Wochen, er hatte sich gerade auf eine OP vorbereitet, war ein Anruf aus London gekommen. Jemand von der Personalvermittlung wollte mit ihm sprechen. Wegen der Bewerberin, die sie ausgewählt hatten. Ungeduldig hatte er Marina gebeten zu antworten, er würde sich auf ihre Auswahl verlassen. Die Agentur besaß schließlich einen hervorragenden Ruf.

Er hatte sich seinem Patienten gewidmet in dem beruhigenden Bewusstsein, für sechs Monate die ersehnte fachliche Unterstützung zu erhalten. Von Mai bis Oktober wurde Lirakis von Touristen förmlich überschwemmt, und nicht für alle verlief der Urlaub reibungslos. In der Klinik gab es dann viel zu tun, und Jannis konnte jede helfende Hand gebrauchen.

Er warf einen Blick auf die Bewerbungsmappe vor ihm. Alles schien in Ordnung. Medizinstudium, Krankenhauspraxis, hervorragende Zeugnisse. Er unterdrückte ein frustriertes Stöhnen. Den kühlen, distanzierten Chef zu spielen fiel ihm wirklich schwer. Doch er wollte dieses Image auf jeden Fall aufrechterhalten.

Er dachte daran, wie Fiona, als ihre Ehe gescheitert war, nach Athen zurückgegangen, und er zur Zielscheibe geballten weiblichen Interesses geworden war. Ob Jung oder Alt, jede Frau auf dieser Insel schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, ihn unter ihre Fittiche zu nehmen. Sie brachten Essen vorbei, offerierten ihm Gesellschaft und Zuspruch. Alle Türen standen ihm offen.

Bald stellte er fest, dass er gut aufpassen musste, wessen Angebot er annahm, um nicht in Teufels Küche zu geraten. Die verheirateten Frauen verhielten sich korrekt. Die ungebundenen hingegen ließen irgendwann durchblicken, dass sie nichts gegen eine Beziehung einzuwenden hätten. Vorzugsweise eine dauerhafte. Und die Singles unter den Urlauberinnen waren die Schlimmsten. Unter den fadenscheinigsten Vorwänden stellten sie ihm bis in die Klinik nach und führten ihm offenherzig ihre Reize vor.

Jannis wollte diese Art Aufmerksamkeit nicht. Vor engen Bindungen schreckte er zurück, seit seine Beziehung mit Fiona in einer Katastrophe geendet hatte. Vielleicht würde die bittere Erinnerung mit der Zeit verblassen, doch fürs Erste wollte er einfach nur seine Freiheit genießen und sich um die medizinische Versorgung der Inselbewohner kümmern.

Jannis räusperte sich, als er über den Tisch hinweg auf die Frau vor ihm blickte. Sein natürliches Mitgefühl gewann für einen Moment die Oberhand. Charlotte Manners wirkte müde, sicherlich lag es an der weiten Reise. Gern hätte er sie angelächelt und ein paar nette Worte gesagt, damit sie sich entspannte. Aber das durfte er nicht. Sonst kam sie vielleicht auf falsche Gedanken.

„Ihren Unterlagen nach ist Ihre berufliche Karriere bislang ausgesprochen erfolgreich verlaufen, Dr. Manners. Sind Sie sicher, dass Sie mit den veränderten Arbeitsbedingungen hier zurechtkommen werden?“

„Ich bin sehr flexibel“, erwiderte sie ruhig. „Und mit dreißig zähle ich auch nicht mehr zu den Teenagern. Während meines Bewerbungsgesprächs sagte man mir, man würde mit Ihnen abklären, ob ich geeignet wäre, und …“

„Ja, ja, das ist auch geschehen“, unterbrach Jannis brüsk.

Er machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. Na schön, Charlotte Manners war also erst dreißig und überwältigend attraktiv. Hoffentlich band sie ihr schimmerndes dunkelblondes Haar im Dienst zu einem Knoten im Nacken zusammen. Besser noch, sie hätte einen festen Freund, zu dem sie nach Ablauf des Vertrags voller Sehnsucht zurückkehren wollte.

Er schluckte trocken. Wie vergewisserte er sich dessen, ohne ihr direkte Fragen zu stellen?

„Sicher waren Ihre Familie und Freunde überrascht, dass Sie für ein halbes Jahr ins Ausland gehen?“

„Anfangs schon, doch sie freuen sich sehr für mich.“

Das verriet gar nichts.

Charlotte senkte den Blick. Zweifelsohne war ihr Chef neugierig, aber sie würde ihm nicht auf die Nase binden, warum sie ausgerechnet diesen Job angenommen hatte. Ihr Privatleben ging ihn nichts an. Die Beziehung zu James hatte sich so ganz anders entwickelt, als sie es sich ersehnt hatte. Sie hatte herausgefunden, dass sie für ihn die ganze Zeit zweite Wahl gewesen war. Er war bereits verheiratet. Nach dem ersten Schock fiel ihr die Entscheidung leicht. Der befristete Job in Griechenland war nun genau das Richtige für sie.

Nachdenklich schaute sie auf. Oder wäre es doch klüger, ihrem Chef einen kleinen Einblick zu gestatten? Schließlich arbeiteten sie zusammen.

„Offen gesagt, ich habe mich kürzlich von meinem Partner getrennt. Ich fand heraus, dass er mich getäuscht hatte. Diese Stelle bot die ideale Gelegenheit, einen klaren Schnitt zu machen und …“

Plötzlich stiegen ihr die Tränen in die Augen. Bisher hatte sie nicht ein einziges Mal deswegen geweint. Warum ausgerechnet jetzt? Hastig suchte sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase.

Unerwartet verspürte Jannis Mitgefühl. Charlotte Manners wirkte auf einmal merkwürdig verloren. Von ihrer anfänglichen Forschheit keine Spur mehr. Jannis drückte auf die Wechselsprechanlage und bat seine Sekretärin, ihnen Kaffee zu bringen.

Dabei betrachtete er die junge Frau vor ihm. Ihre Natürlichkeit und ihr Liebreiz waren ausgesprochen anziehend. Kein Make-up bedeckte die helle, ebenmäßige Haut. Welch ein erfrischender Anblick.

Vorsicht, Jannis! rief er sich zur Ordnung und verscheuchte die verlockenden Fantasien. Es kam ausschließlich eine rein berufliche Beziehung infrage. Auch wenn es ihm schwer fallen würde.

Seit der Trennung von Fiona vor einem Jahr hatte er zwei Mal mit anderen Frauen geschlafen. Weit weg von Lirakis. Und er hatte gleich von Anfang klargestellt, dass er an mehr als einer kurzen Affäre kein Interesse hatte.

Auf dieser Insel wäre so etwas unmöglich. Die jungen Frauen hier wollten heiraten und Kinder bekommen, sobald man ihnen auch nur einen Kuss auf die Wange gab!

Aber für ihn kam nur noch eine unkomplizierte, unverbindliche Beziehung zu Frauen in Betracht. Und auf keinen Fall zu einer seiner Mitarbeiterinnen.

„Dann sind Sie also völlig ungebunden, Dr. Manners?“

Jannis hätte sich ohrfeigen können. Jetzt musste sie denken, er wolle herausfinden, ob sie zu haben wäre. Zumindest hätte er die Frage ein wenig verpacken können.

Ärger blitzte in den grünen Augen auf.

Geschieht mir recht, dachte er.

„Ja“, antwortete sie schließlich knapp. „Ich kann mich voll und ganz auf meine Tätigkeit konzentrieren. Ich liebe meinen Beruf, und er wird auch das Einzige sein, was mich während meiner Zeit auf Lirakis interessiert, also …“

Sie unterbrach sich rasch. Fast wäre sie zu weit gegangen. Sie sah es seinem Gesicht an. Dr. Kimolakis schien beunruhigt.

Eine tüchtig wirkende Frau mittleren Alters kam herein, stellte ein Tablett mit Kaffee auf den Schreibtisch und unterhielt sich kurz auf Griechisch mit ihrem Chef. Trotz ihrer geringen Sprachkenntnisse begriff Charlotte, dass Dr. Kimolakis sich so schnell wie möglich einen Patienten ansehen sollte.

Er runzelte die Stirn und versprach, in einigen Minuten zur Verfügung zu stehen.

Charlotte saß still da und hatte Mühe, nicht im Sessel zusammenzusinken. Sie war so müde, dass sie im Stehen hätte schlafen können!

Ihr Chef schenkte Kaffee ein und schob ihr eine Tasse zu. Charlotte trank einen Schluck. Das Koffein würde sie hoffentlich wieder beleben!

„Es tut mir leid, ich hätte nicht …“, begann sie.

„Nein, nein, ich verstehe.“

Jannis nickte ernst, während er ihr in die großen grünen Augen blickte. Er war wirklich in Gefahr, und am beunruhigendsten war, dass es ihn nicht kümmerte. Zum ersten Mal seit einem Jahr fühlte er, wie er sich entspannte, seine Vorsicht vergaß.

Sein Blick fiel auf den Brief seines Anwalts. Seit heute Morgen hatte er es endlich schwarz auf weiß – die Scheidung war rechtskräftig. Er war frei, endlich frei! Vielleicht war das der Grund, warum er sich solchen Gedanken und Gefühlen hingab, bei dieser Frau, die er gerade erst kennen gelernt hatte.

Sein Verstand warnte ihn umgehend. Lass dich auf nichts ein, genieß deine Freiheit.

Jannis räusperte sich. „Ich denke, ich sollte erklären, warum es mich so interessiert, ob Sie gebunden sind … in welcher Weise auch immer.“

Charlotte wartete ab und nippte an ihrem Kaffee. Ihr fiel auf, dass Dr. Kimolakis’ Akzent jetzt stärker war. Er schien nervös zu sein. Warum? Er hatte alle Trümpfe in der Hand. Wenn er wollte, konnte er sie gleich wieder nach Hause schicken.

„Ich bin geschieden. Seit meiner Trennung hatte ich ein, zwei … unangenehme Erlebnisse. Manchmal kann eine Frau, die trösten will, auch … wie sagt man … ein wenig zu fordernd sein, verstehen Sie?“

Charlotte nickte. „Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen, aber es besteht absolut kein …“

„Bitte, lassen Sie mich ausreden, Dr. Manners. Es ist wirklich nicht einfach, wenn man beruflich mit einer Frau zu tun hat und …“ Er zögerte, als suche er nach den richtigen Worten.

„Und der Meinung ist, eine berufliche Beziehung sollte streng beruflich bleiben?“

„Genau!“ Spontan lächelte Jannis Charlotte an.

Wärme breitete sich in ihr aus. Charlotte spürte, wie ihr Interesse an diesem Mann wuchs. Welchen Unterschied ein Lächeln doch ausmachte. Er besaß ebenmäßige weiße Zähne, einen großzügigen, einladenden Mund, der zu verbotenen Gedanken verlockte. Sie versuchte, sie zu verscheuchen und konnte doch den Blick nicht lösen von dem markanten Gesicht mit den klassisch hohen Wangenknochen und dem dichten schwarzen Haar, das ihm bei jeder Kopfbewegung in die Stirn fiel.

„Ich stimme hundertprozentig mit Ihnen überein“, fuhr sie ernst fort. „Es ist nicht gut, Arbeit und Vergnügen zu vermengen.“

„Absolut nicht!“

„Ich bin nach Lirakis gekommen, um zu arbeiten, Dr. Kimolakis, und der Gedanke an …“

Das Telefon klingelte. „Entschuldigen Sie mich bitte.“ Dr. Kimolakis nahm ab, lauschte und ratterte dann auf Griechisch seine Antwort herunter. Charlotte verstand kein einziges Wort.

Schließlich legte er auf und sah sie an. „Es gibt ein medizinisches Problem, um das ich mich kümmern muss.“ Er zögerte. „Ich könnte Ihre Unterstützung gebrauchen …“

„Jetzt gleich?“

„Ich weiß, nach der langen Reise sind Sie sicher müde, und Ihr Dienst beginnt offiziell auch erst morgen, aber ich muss zu einem schwierigen Fall. Zudem ist eine Patientin eingetroffen, die ich seit vielen Jahren kenne. Auch sie braucht mich.“

Charlotte sah ihm an, dass er sich Sorgen machte. Sie atmete tief durch und beugte sich vor. In erster Linie war sie Ärztin. Sie würde ihre Hilfe nicht verweigern, egal, wie erschöpft sie war.

„Was muss ich wissen?“

„Sofia ist dreiundvierzig und erwartet ein Kind. Sie ist zu ihrer routinemäßigen Vorsorgeuntersuchung hier, hat aber Angst vor der Amniozentese, die wir allen älteren werdenden Müttern empfehlen.“

Dr. Kimolakis hatte sich inzwischen erhoben und war schon auf dem Weg zur Tür. „Es geht darum, sie zu beruhigen. Wenn Sie sie untersuchen und mit ihr reden, könnte ich mich mit dem anderen Patienten befassen.“

Charlotte folgte ihrem Chef hinaus in den Flur, an dessen weißen Wänden Bilder griechischer Landschaften hingen.

„Erzählen Sie mir von Sofia.“

„Ich kenne sie schon lange. Es ist ihre erste Schwangerschaft. Ich habe ihr zur Fruchtwasseruntersuchung geraten, aber sie hat Angst, das Kind könnte dadurch geschädigt werden.“

Mehr sagte er nicht, sie hatten inzwischen den Behandlungsraum erreicht. Auf der Untersuchungsliege lag eine Frau, ein weißes Laken über dem runden Leib. Eine Krankenschwester reichte Jannis die Unterlagen.

Er unterhielt sich kurz mit der Schwester. „Ich bin so schnell wie möglich zurück, Dr. Manners“, sagte er dann auf Englisch. „Kümmern Sie sich schon einmal um Sofia?“

Charlotte ging hinüber zur Liege. „Kalí méra, Sofia. Ímai …“

„Oh, Sie sind Engländerin“, unterbrach die Patientin sie freudig. „Wir können uns gern auf Englisch unterhalten.“

Charlotte lächelte. „Es freut mich, dass Sie meine Sprache sprechen. Ich bringe mir selbst Griechisch bei, aber es wird noch dauern, ehe ich es einigermaßen fließend beherrsche.“

„Ich liebe es, Englisch zu sprechen, aber meine Kenntnisse sind ein wenig … eingerostet. Als Kind nahmen mich meine Eltern mit nach Australien. Ich ging dort zur Schule. Als ich dann nach Lirakis zurückkehrte, fiel es mir schwer, mich wieder an das griechische Inselleben zu gewöhnen.“

„Warum sind Sie wiedergekommen?“

Die Patientin richtete sich mühsam halb auf. „Meine Eltern packte das Heimweh, und auch ich lebte mich nach und nach wieder hier ein. Als ich noch sehr jung war, heiratete ich meinen ersten Mann, aber leider starb er schon bald nach der Hochzeit.“

„Das war bestimmt sehr schwierig für Sie“, sagte Charlotte sanft.

„Ja. Eine lange Zeit blieb ich allein, bis ich Anthony kennen lernte, der dann mein zweiter Mann wurde.“

Jetzt lächelte Sofia.

Charlotte erwiderte ihr Lächeln. „Wie man sieht, sind Sie glücklich miteinander.“

„Oh ja! Ich hätte nie erwartet, das jemals wieder zu erleben.“

Charlotte warf Jannis einen Blick zu. „Dürfte ich mir Sofias Akte ansehen, Dr. Kimolakis?“

„Aber natürlich.“ Jannis reichte sie ihr. „Danke, Dr. Manners.“

„Bitte, nennen Sie mich Charlotte.“

Er zögerte kurz. „Dann müssen Sie mich Jannis nennen.“

„Natürlich muss sie das“, mischte sich Sofia ein. „Jeder hier nennt dich doch beim Vornamen. Warum plötzlich solche Förmlichkeiten?“

Charlotte hätte schwören können, dass Jannis leicht rot wurde, als er sich über die Patientin beugte.

„Nun bringst du mich aber in Schwierigkeiten, Sofia“, schimpfte er. „Weißt du, wie schwer es ist, im Umgang mit meinen Mitarbeitern ein professionelles Verhältnis aufrechtzuerhalten? Gar nicht zu reden von bestimmten Patientinnen wie dir, die eine Vorzugsbehandlung erwarten.“

Sofia lachte auf. „Entspann dich, Jannis. Ich verschrecke deine neue Ärztin schon nicht.“

Jannis lächelte. „Also, wenn du versprichst, dich zu benehmen, Sofia, überlasse ich dich Charlotte und kümmere mich um einen anderen Patienten.“

„Solch ein netter Mann“, sagte Sofia, als sich die Tür hinter ihm schloss. „Ich kannte ihn schon als Kind. Ich bin froh, dass Sie hier sind, Doktor. Es ist mir immer ein wenig peinlich, wenn Jannis mich untersucht. Vielleicht liegt es daran, wie ich aufgewachsen bin. Meine Eltern waren sehr streng und altmodisch, und … also, außer vor meinem Ehemann mag ich mich eigentlich nicht ausziehen.“

„Aber er ist Arzt, Sofia. Es ist sein Beruf, Menschen …“

„Ich weiß, doch das ändert nichts an meinen Gefühlen. Ich denke, so geht es vielen Frauen hier auf der Insel. Auch wenn wir Jannis alle verehren, mögen wir Verheirateten doch nicht, dass er uns unbekleidet sieht. Und auch, dass ich ihn mir als Kind vorstelle, hilft mir nicht. Ich bin sechs Jahre älter als er und kann mich noch gut erinnern, wie stolz ich war, als seine Mutter ihn zu uns mitbrachte und ich das neugeborene Baby halten durfte.“

Sofia fuhr mit ihren Erzählungen über das Leben auf der Insel fort, während Charlotte sie untersuchte. Ab und an stellte sie ihr Fragen.

„Dies ist also Ihre erste Schwangerschaft, Sofia?“

„Ja. Mit meinem verstorbenen Mann hatte ich leider kein Kind. Er war ein paar Jahre älter als ich und von schwacher Gesundheit. Schließlich starb er an Lungenkrebs. Er war starker Raucher gewesen. Als er diese furchtbare Angewohnheit endlich aufgab, war es bereits zu spät.“

„Sicher eine leidvolle Erfahrung für Sie.“

Sofia zuckte kaum merklich mit den Schultern.

„So ist das Leben, nicht wahr? Aber dann hatte ich ja das große Glück, meinen jetzigen Mann kennen zu lernen. Er ist ein australischer Künstler, der hier lebt und malt. Jannis hat ihm ein paar Bilder abgekauft. Sie hängen im Korridor.“

Charlotte nickte. „Sie sind mir aufgefallen. Ihr Mann scheint wirklich talentiert zu sein.“

Sofia lächelte. „Ja, das ist er. Und er ist zehn Jahre jünger als ich. Ich weiß auch nicht, was er in mir gesehen hat, obwohl er bei den Frauen hier Auswahl genug gehabt hätte.“

Charlotte lächelte. „Es hat sich doch alles zum Guten gewendet, nicht wahr?“

„Das stimmt.“

Charlotte führte die Untersuchung zu Ende, streifte die Handschuhe ab, wusch sich die Hände und setzte sich neben die Patientin, während diese ihr Kleid zuknöpfte.

„Alles entwickelt sich bestens, Sofia“, begann sie. „Der letzte Ultraschall zeigt keine Schädigungen, aber …“

„Ich weiß, was Sie sagen wollen, Charlotte, und die Antwort lautet immer noch Nein. Mir ist klar, in meinem Alter besteht immer die Gefahr von Down-Syndrom und anderen Behinderungen, aber ich habe mit Anthony darüber gesprochen. Ich bin entschlossen, das Baby so zu lieben, wie es ist.“

Charlotte beugte sich vor. „Sofia …“

Es klopfte kurz, und gleich darauf erkundigte Jannis sich, ob er hereinkommen dürfe.

„Natürlich.“ Erleichtert wandte Charlotte sich ihm zu. „Wir sprechen gerade über die Amniozentese. Sofia ist strikt dagegen.“

Jannis blickte seine Patientin an. „Sofia, es besteht die große Chance, dass du ein normal gesundes Kind bekommst“, meinte er behutsam, „aber warum willst du dir nicht für den Rest deiner Schwangerschaft Gewissheit verschaffen?“

Sein ruhiger Ton und die fürsorgliche Art beeindruckten Charlotte. Hinter seiner strengen Fassade steckte ein sehr feinfühliger Mann.

Sofia zog die Stirn in tiefe Falten. „Ich habe irgendwo gelesen, dass die Untersuchung dem Baby schaden kann.“

„Ja, sehr selten kam so etwas durchaus vor. Aber in den letzten Jahren …“

„Nein, Jannis.“ Sofia erhob sich.

Charlotte half ihr beim Aufstehen. „Sofia, neben der Amniozentese gibt es auch noch eine andere Möglichkeit, und zwar …“

„Was für eine?“

„Es wird Ihnen nur Blut abgenommen und …“

„Ich brauche diesen Test nicht und gehe jetzt nach Hause“, erklärte Sofia entschlossen.

„Sofia …“, begann Jannis, aber die Patientin war bereits an der Tür.

Dort drehte sie sich noch einmal um. „Ich möchte nicht undankbar erscheinen, aber ich werde mein Kind bekommen, so wie meine Mutter und meine Großmutter auch – in meinem Zuhause am Meer.“

Jannis holte tief Luft. „Darf ich bei dir vorbeischauen, Sofia? Vielleicht, wenn wir uns noch einmal unterhalten …“

„Du kannst gern zu Besuch kommen. Aber du wirst meine Meinung nicht ändern!“

Als die Tür hinter der Patientin zuschlug, blickten Charlotte und Jannis sich an.

„Ich mache mir wirklich Gedanken um sie“, sagte Jannis langsam. „Aber sie ist unglaublich stur.“

„Jannis, ich hoffe, ich habe sie nicht abgeschreckt. Ich war …“

„Nein, natürlich nicht. Mich interessiert Ihr Vorschlag mit dem Bluttest. Das meinten Sie doch, oder?“

Charlotte nickte. „Ich finde, es wäre eine gute Alternative, wenn wir Sofia dazu überreden könnten.“

„Einen Versuch ist es wert, aber wir dürfen dabei nicht vergessen …“ Er machte eine Pause. „Charlotte, Sie sind blass. Geht es Ihnen nicht gut?“

Sein plötzlich warmer, besorgter Ton überraschte sie angenehm.

„Ich bin wirklich ziemlich müde von der Reise. Ich denke …“

„Ich denke, Sie sollten ins Bett gehen.“

Bei dem Wort Bett stieg in ihr unwillkürlich das Bild auf, wie sie sich an einen umwerfenden Mann wie Jannis Kimolakis schmiegte.

Streng untersagte sie sich solche Fantasien. Es musste an ihrer Erschöpfung liegen, dass ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen.

„Wenn Sie mir sagen, wo ich wohne, mache ich mich sogleich auf den Weg“, erwiderte sie sittsam.

„Ganz einfach, gehen Sie zurück in mein Büro. Meine Sekretärin wird Ihnen alles erklären. Aber nun entschuldigen Sie mich bitte, ich muss wieder zu meinem Patienten. Ich musste ihn aufnehmen, sein Problem ist doch ernster, als ich dachte.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie stationäre Patienten haben.“

„Doch, wir haben ein paar Betten. Der Mann hat sich in unserer hauseigenen Wellness- und Fitnessabteilung einen Bänderriss im Knie zugezogen, als er vom Laufband fiel. Nun droht er uns mit einer Klage.“

Charlotte hatte von dieser Einrichtung bei der Bewerbung gelesen. Anscheinend war das Angebot der Klinik besonders bei Touristen beliebt, die hier auf der Insel einfach ausspannen oder fit werden wollten.

Aber im Augenblick hatte sie nur den Wunsch, unter die Bettdecke zu kriechen. Morgen früh würde sie sich dann der Zusammenarbeit mit Dr. Kimolakis stellen.

Eine Herausforderung der besonderen Art erwartete sie, davon war sie überzeugt!

2. KAPITEL

„Ich hoffe, Ihr Chef weiß, dass ich ihm die größten Schwierigkeiten machen werde.“

Dem Patienten war seine Wut deutlich anzusehen. Charlotte, an ihrem ersten Arbeitstag noch unsicher und nervös, hatte Mühe, für den aufsässigen Mann Geduld aufzubringen.

„Dr. Kimolakis weiß um Ihre Sorgen, Mr. Horton“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen, während sie den Verband abnahm, „und …“

„Er ist heute Morgen nicht einmal zur Visite gekommen. Was für ein Verein ist das hier eigentlich? Wenn ich gewusst hätte, dass ich hier im letzten Winkel der Welt festsitze … Ah, da sind Sie ja, Doktor!“

Jannis schloss die Tür hinter sich und trat aufrecht und gelassen ans Bett.

„Was werden Sie wegen meiner Verletzung unternehmen? Die letzte Nacht habe ich praktisch kein Auge zugetan. Die Klimaanlage kann man vergessen! Ich habe um ein größeres Zimmer gebeten mit …“

„Mr. Horton“, unterbrach Jannis ihn. „Es ist alles geregelt. Wir bringen Sie mit der Fähre nach Athen. Sie geht in einer Stunde. Eine unserer Krankenschwestern begleitet Sie. Im Hafen wartet dann ein Krankenwagen, der Sie in die Klinik fahren wird. Der Chirurg ist ein Freund von mir und wird sich um Ihre Verletzung kümmern.“

Jannis’ ruhige Autorität verfehlte ihre Wirkung nicht.

„Und was geschieht dann?“, fragte der Patient.

„Sehr wahrscheinlich wird man eine Meniskusoperation vornehmen. Ich habe gerade mit meinem Kollegen gesprochen, und er hat mir zugesichert, Ihr Fall hätte oberste Priorität für ihn. Sollte es bei Ihnen möglich sein, zieht er einen minimalinvasiven Eingriff in Betracht.“

Richard Horton runzelte die Stirn.

„Ist das wirklich eine gute Idee, Doktor?“

„Sogar eine hervorragende. Der Kollege ist Experte für derartige Operationen, die eine viel schnellere Heilung gewährleisten. Alternativ könnten wir Sie aber auch von Athen aus nach England fliegen lassen.“

Richard lehnte sich im Kissen zurück. „Nein, ich möchte wieder hierher zurückkommen.“ Er war ruhiger geworden, schaute dabei aus dem Fenster. „Ich wollte mich auf Lirakis von dem Stress erholen. Leider bin ich durch Ihr so genanntes Fitnessstudio vom Regen in die Traufe geraten.“ Er zögerte. „Dennoch, trotz allem, möchte ich Ihnen die Chance geben, Ihre Fähigkeiten zu beweisen, indem ich noch länger hier bleibe.“

„Ich bin erstaunt.“ Charlotte konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen. „Eben noch haben Sie mir versichert, Sie könnten gar nicht schnell genug von hier fortkommen, um sich mit Ihrem Anwalt in Verbindung zu setzen.“

„Nun, ich habe meine Meinung geändert, weil ich den Eindruck habe, dass Sie sich tatsächlich um mich bemühen. Aber wegen des Laufbands sollten Sie wirklich etwas unternehmen. Ich hätte nicht herunterfallen dürfen.“

„Ich bin ganz Ihrer Ansicht“, pflichtete Charlotte ihm nachdrücklich bei und reichte ihm eine Tasse Kaffee, die eine Schwester gerade hereingebracht hatte. „Was nehmen Sie in Ihren Kaffee, Mr. Horton? Milch, Zucker oder vielleicht …?“

Charlotte ließ die Hand vielsagend über der halb leeren Whiskyflasche im Nachttischschubfach schweben, das er vergeblich versucht hatte zuzuschieben, als sie hereinkam. Seine Fahne hatte ihr gleich verraten, dass er sich bereits einen genehmigt hatte. Wenn Richard Horton schon während des Tages trank, war es kein Wunder, dass er von dem Sportgerät gestürzt war.

Es war klar, was sie andeutete. Sie warf Jannis einen Blick zu und meinte einen billigenden Ausdruck in seinen Augen zu erkennen, war sich aber nicht ganz sicher.

Richard hüstelte nervös. „Normalerweise trinke ich tagsüber nicht, aber angesichts der besonderen Umstände dachte ich …“

Jannis nahm die Flasche heraus, bevor Richard danach greifen konnte.

„Das ist keine gute Idee, Richard. Sie bekommen starke Schmerzmittel, die sich nicht mit Alkohol vertragen. Wenn ich mich richtig erinnere, war einer der Gründe, warum Sie zu uns kamen, Ihr exzessiver Whiskykonsum. Finden Sie nicht, es wäre genau der richtige Zeitpunkt, jetzt damit aufzuhören?“

Richard schloss die Augen und stöhnte. „Verdammt, ich stecke ganz schön tief im Schlamassel, nicht wahr?“

Charlotte beugte sich über den Patienten und nahm seine Hand. „Sie werden das schaffen, Richard. Wenn Sie uns vertrauen, werden wir alles Menschenmögliche tun, damit es Ihnen besser geht.“

Richard blickte sie überrascht an. Einen so mitfühlenden, ermutigenden Ton schien er nicht zu kennen.

„Okay, Sie haben gewonnen“, sagte er langsam. „Wissen Sie, eins meiner Probleme ist, dass ich mir nichts von anderen sagen lassen mag. Ich habe eine eigene Firma gehabt, und für nichts mehr verantwortlich zu sein, ist nicht leicht für mich. Dennoch, auf eine charmante junge Ärztin wie Sie zu hören wird mir wohl nichts ausmachen.“

„Ich werde die Schwester bitten, Ihre Reisetasche zu packen“, sagte Jannis schnell. „Der Krankenwagen ist in einigen Minuten da.“

„Danke, Jannis. Danke, Charlotte … Ich darf Sie doch so nennen, oder?“

„Natürlich, wenn ich Sie Richard nennen darf.“

„Freundschaft?“ Er lächelte.

„Sicher.“

Als sie im Korridor standen, legte Jannis ihr die Hand auf den Arm. „Ich bin froh, dass Sie dabei waren, Charlotte.“

„Ein wenig weiblicher Touch kann nie schaden.“

Jannis verzog das Gesicht. „Vielleicht sollten Sie Ihren magischen Charme auch bei Sofia einsetzen? Sie ist in der sechzehnten Woche. Wir können die Fruchtwasseruntersuchung nicht mehr lange aufschieben.“

„Ist sie wieder hier im Krankenhaus?“

„Nein, wir müssen zu ihr nach Hause.“

„Weiß sie, dass wir kommen?“

„Natürlich nicht! Sie wird nicht allzu begeistert sein, uns zu sehen. Deswegen möchte ich, dass Sie mich begleiten.“

„Feigling!“, entgegnete sie lachend, während sie mit ihm Schritt hielt. „Wo wohnt sie denn?“

Jannis blieb an seiner Bürotür stehen. „Es ist nicht weit. Treffen wir uns hier in einer halben Stunde? Ich nehme mein Handy mit, so können wir im Notfall Anweisungen geben, bis wir zurück sind.“

„Es fällt mir richtig schwer, mich an die entspannte, friedliche Atmosphäre in diesem Krankenhaus zu gewöhnen.“ Charlotte schaute aus dem offenen Seitenfenster des Jeeps hinaus auf die abwechslungsreiche Landschaft.

„Entspannt? Meinen Sie das im Ernst?“ Jannis nahm einen Moment lang den Blick von der Straße, fuhr langsamer und sah sie nachdenklich an. „Nun gut, die Griechen gehen das Leben grundsätzlich ziemlich gelassen an. Hier auf Lirakis sind wir nicht so … hektisch, aber das heißt nicht, dass wir unseren Job nicht machen. Vielleicht erledigen wir eine Aufgabe, die heute fertig werden könnte, erst morgen, aber das ist okay. Und wenn es um einen Notfall geht, sind wir schneller als jeder andere.“

Charlotte hörte Stolz heraus. „Ich glaube, es wird mir Spaß machen, hier zu arbeiten.“

„Das hoffe ich sehr.“

Sie mochte das raue Timbre seiner Stimme. Erstaunt beobachtete sie, wie er nun die Hand vom Lenkrad nahm und auf ihre legte.

„Das meine ich ernst, Charlotte“, fuhr er fort, und seine Berührung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Weil ich wirklich jemand brauche, der mir hilft. In der letzten Zeit habe ich mich ziemlich überlastet gefühlt.“

Rasch zog er die Hand zurück. Wie komme ich dazu, ihr ein solches Geständnis zu machen? schoss es ihm durch den Kopf. Und sie anfasse … Das musste sie ja als offene Einladung betrachten!

Jannis bremste, um ein paar Ziegen über die Straße zu lassen. Gemächlich, begleitet vom Bimmeln der Glöckchen an ihrem Hals, stolzierten die Tiere an ihnen vorbei und sprangen über die niedrige Steinmauer auf der anderen Seite.

Doch der Ärger über sein Verhalten blieb.

„Ich gebe Ihnen einen kurzen Überblick über den Fall“, rettete er sich aus der Verlegenheit und schlug einen sachlichen Ton an. „Ich kenne Sofia mein Leben lang.“

„Ich weiß, das hat sie mir erzählt. Sie sagt, sie erinnert sich an die Zeit, als Sie noch ein Baby waren.“

Jannis schaltete, um eine enge Kurve zu nehmen, und lenkte den Jeep geschickt über die holprige Fahrbahn hinunter zu der Bucht, an der Sofia wohnte. Schließlich brachte Jannis ihn auf dem sandigen Weg vor ihrem Haus zum Stehen und öffnete die Tür, blieb aber sitzen. Nachdenklich schaute er die Frau an, die es ihm so schwer machte, eine rein berufliche Beziehung zu ihr aufrechtzuerhalten. Am liebsten hätte er ihr vorgeschlagen, sich auszuziehen und nackt ins Meer zu laufen, hinauszuschwimmen zu der kleinen Felseninsel, wo sie in der Sonne liegen und vielleicht …

Er räusperte sich. „Ja. Sofias und meine Mutter waren Freundinnen, und meine Mutter nahm mich immer mit zu ihr, wenn sie sie besuchte.“

„Sie sagten, sie waren Freundinnen. Sind sie es nicht mehr?“

„Meine Mutter starb, als ich noch sehr klein war. Ich wuchs bei meiner Großmutter auf. Sie ist im letzten Jahr gestorben.“

„Das tut mir leid. Und was ist mit Ihrem Vater?“

„Nachdem meine Mutter tot war, wanderte er in die Vereinigten Staaten aus, um dort sein Glück zu suchen, wie man so schön sagt.“

Jannis lächelte.

„Ich erinnere mich noch, wie er mich auf seine Knie setzte und verkündete, er würde nach Amerika gehen und richtig reich werden. Jeder in den USA sei reich. Wenn er dann genug Geld hätte, würde er kommen und mich holen, um mit ihm in seinem großen Haus zu wohnen. Den ganzen Tag könnte ich dann im Swimmingpool baden und …“

Er sprach nicht weiter und lehnte sich zurück. Eine große weiße Möwe landete auf der Motorhaube und lugte neugierig durch die Windschutzscheibe ins Innere.

Charlotte stellte sich vor, wie Jannis seinen Vater voller Bewunderung anschaute. Spontan legte sie ihm die Hand auf den Unterarm. Seine Haut fühlte sich warm an, deutlich spürte sie die feinen Härchen unter ihren Fingern.

„Und, hat er Sie zu sich geholt?“, fragte sie sanft.

Jannis schüttelte traurig den Kopf. „Nein, ich sah meinen Vater nie wieder. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer in New York. Aber schon bald kam er bei einem Autounfall ums Leben.“

„Wie schrecklich für Sie!“

„Meine Großmutter verschwieg es mir eine ganze Weile. Erst als sie meinte, ich würde es verstehen, erzählte sie es mir.“ Er zögerte. „Man … wächst daran, wenn Träume zerplatzen.“

Voller Mitgefühl drückte sie seinen Arm. Er legte seine Hand auf ihre, hielt sie behutsam fest.

„Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen all dies erzähle“, meinte er heiser.

„Wohl, weil ich zu viele Fragen stelle“, erwiderte sie, als er sie losließ und sich wieder aufrecht hinsetzte. Das Knistern zwischen ihnen war mit Händen zu greifen. Eigentlich hatte sie sich den ersten Tag ihres neuen Arbeitslebens anders vorgestellt. Sie musste vorsichtiger sein.

Ihr hämmerte das Herz in der Brust, als sie tief durchatmete, um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Wissen Sie was, Jannis – ich glaube, die Möwe dort draußen versteht genau, was wir sagen.“

Jannis lachte und brach damit die Spannung.

„Scheint mir auch so. Kommen Sie, gehen wir zu Sofia.“ Er sprang aus dem hochachsigen Jeep, ging um den Wagen herum, streckte die Arme aus und half Charlotte heraus.

Sie spürte seine kräftigen Hände an ihrer Taille, wurde heruntergehoben und fand sich dicht vor ihm stehend wieder. Sie holte tief Luft. Sie hatte so viel Mühe auf diesen Neuanfang verwandt, da sollte sie sich nicht gleich in den Armen eines Mannes wieder finden, den sie kaum kannte.

Sie schaute ihm in die dunkelbraunen Augen. Lag Amüsiertheit darin? War sich Jannis Kimolakis seiner männlichen Anziehung so sicher, dass er glaubte, sie wäre leichte Beute?

Hastig trat sie einen Schritt zur Seite. „Wo müssen wir hin?“, fragte sie so kühl sie es vermochte.

„Hier, den Pfad entlang.“ Jannis ging voran und versuchte, seine turbulenten Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

Beinahe hätte er sie an sich gerissen und geküsst. Diese sinnlichen Lippen bettelten förmlich darum. Und die glatte weiße Haut zwischen ihrem Hosenbund und dem kurzen sexy Top reizte ihn, sie verlangend zu streicheln.

Nein! gebot er seiner Fantasie Einhalt. Charlotte hatte kein Interesse an ihm als Mann. Sie war einfach nur höflich. Dankbar, dass er sie aus dem Wagen gehoben hatte. Und anschließend war ihre Stimme fast frostig gewesen. Er musste wirklich aufpassen, was er tat.

Entschlossen marschierte er den schmalen, steinigen Strandpfad zu Sofias Haus entlang.

„Da sind wir!“ Er blieb an einem großen Felsen stehen, an dem der Weg sich gabelte und in die nächste Bucht schlängelte.

Charlotte schaute auf das niedrige kleine Gebäude, das von hohen Felswänden beschattet wurde. Sie verharrte einen Moment lang und lauschte dem Rauschen der Brandung und dem Kreischen der Seevögel am azurblauen Himmel.

„Schön ist es hier schon, aber so einsam gelegen. Nicht einmal eine Straße führt hierher. Nur dieser unebene Pfad.“

Jannis lächelte. „Sofia und Anthony leben gern abgeschieden und sind sich selbst genug. Wie Sie wissen, ist er Künstler, und Sofia … also, sie ist im Grunde ihres Herzens eine unverbesserliche Romantikerin. Sie hat lange gewartet, um den Richtigen zu finden. Ihr erster Mann war ein ruhiger, erdverbundener Mensch, freundlich und rücksichtsvoll, aber keiner, der ihr unter die Haut ging.“

„Und Sie glauben, Anthony hat ihr Herz im Sturm erobert?“, fragte Charlotte, als sie weitergingen.

„Oh ja! Sie sind noch immer wie frisch Verliebte. Sofia hat mir einmal anvertraut, dass sie auf einen solchen Partner ihr ganzes Leben lang gewartet hätte.“

Charlotte blieb stehen. „Mir hat sie erzählt, dass Anthony einige Jahre jünger ist als sie.“

Jannis blickte für einen Moment besorgt drein. „Ja, stimmt. Ehrlich gesagt, viel weiß ich über Anthony nicht. Nur, dass seine Eltern Griechen sind, die vor seiner Geburt nach Australien auswanderten. Er ist ein charmanter Mann. Falls er jemals wieder fortgehen sollte …“

Charlotte überlief ein Schauer. „Daran mögen Sie gar nicht denken, stimmts?“

„Oh, Sofia würde schon damit fertig werden, so wie sie mit allen Enttäuschungen ihres Lebens fertig geworden ist. Aber wir wollen hoffen, dass es niemals dazu kommt.“

Die Haustür stand weit offen, und aus dem Inneren schallte griechische Volksmusik, getragen von den klagenden Lauten einer Bouzouki, untermalt von Tamburin und hohen Flötentönen. Sehr wahrscheinlich von einem Kassettenrekorder, denn kaum hatte Jannis an die Tür geklopft, verstummte sie abrupt.

Jássou, Sofia!“

Sofia kam durch einen Fliegenvorhang aus der Küche. Sie starrte Jannis und Charlotte an.

„Aha, ich hätte mir denken können, dass ihr kommt. Aber ich hatte gehofft, erst später. Meine Meinung habe ich nicht geändert, also …“

„Sofia, wir können es nicht mehr länger aufschieben. Du bist in der sechzehnten Woche, und wir müssen die Frage der Untersuchung klären. Darf ich hereinkommen?“

Sofia zuckte mit den Schultern. „Seit wann brauchst du eine Einladung, Jannis?“ Dann zögerte sie. „Ich werde Anthony rufen. Er ist hinten im Garten. Setzt euch solange auf die Terrasse.“

Die beiden begaben sich zu dem sonnigen Sitzplatz mit weitem Blick auf das Meer und nahmen an dem grob gezimmerten Tisch Platz. Hell tanzte die Sonne auf den Wellen. Am Himmel war kein Wölkchen zu sehen. Wirklich ein idyllischer Ort, fand Charlotte.

Kurze Zeit später gesellte sich ein hoch gewachsener, dunkelhaariger und sonnengebräunter Mann Anfang dreißig zu ihnen, in den Händen eine bauchige Flasche und drei Gläser. Er sah ausgesprochen gut aus; der Typ, der Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald er einen Raum betrat.

Sofia folgte ihrem Mann und trug ein Tablett mit mehreren Tellerchen zum Tisch. Zwei Sorten Oliven standen neben blassrosa Táramosalata, der würzigen Fischrogenpaste, und dunkelgrünen Dolmades. Charlotte kannte die mit dem pikant gewürztem Reis gefüllten, in Weinblätter gewickelten Päckchen von einem früheren Griechenlandurlaub mit ihren Eltern.

„Hallo, ich bin Anthony.“ Er stellte Flasche und Gläser auf den Tisch und hielt dann Charlotte die ausgestreckte Hand entgegen.

„Ich bin Charlotte.“

„Willkommen! Sie wollten also einmal sehen, wie wir mit unserem schlichten Leben hier zurechtkommen?“ Sein australischer Akzent verriet, dass er noch nicht lange in Griechenland lebte. „Jannis, du brauchst dir keine Sorgen um Sofia zu machen. Sie ist fit wie eine Zwanzigjährige.“

Anthony schenkte eine blassgelbe Flüssigkeit in die Gläser. „Ihr trinkt doch Retsina?“

„Sicher!“, sagte Jannis.

Charlotte probierte vorsichtig. Der erste Schluck schmeckte wie Petroleum. Sie hielt ein paar Sekunden die Luft an. Der nächste war besser. Ja, Retsina hatte wahrlich einen ganz eigenen Geschmack.

Anthony, der sie beobachtet hatte, grinste. „Sie müssen ihn nicht trinken. Ich kann Ihnen auch einen Tee machen, wenn Sie möchten.“

„Nein. Ich muss mich zwar erst daran gewöhnen, aber … ich bin entschlossen, alles auszuprobieren, solange ich hier bin.“

Beide Männer lachten, und Charlotte wurde rot. „Im Rahmen des Vernünftigen natürlich.“ Leicht verlegen stellte sie ihr Glas ab.

„Also …“, riss sie sich zusammen und fuhr ruhig fort, „Jannis und ich sind hier, um die Tests zu erklären, die wir Sofia empfehlen. Wenn Sie wirklich keine Amniozentese wollen, gibt es noch die Möglichkeit eines Blutserumtests.“

„Was bedeutet das?“ Anthony runzelte die Stirn.

„Eine Methode, die keinen Eingriff erfordert. Es wird Blut abgenommen und zur Untersuchung ins Labor geschickt. Über drei Substanzen im Blut kann man dann die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Schädigung abschätzen“, erklärte Charlotte weiter.

„Welcher Schädigung?“, fragte Anthony und nahm die Hand seiner Frau.

Jannis räusperte sich. „Nun, wenn zum Beispiel ein niedriger Wert von Alpha-Fetoprotein im Blut festgestellt wird, könnte dies auf ein Down-Syndrom hindeuten. Wenn allerdings das Blut keinen dieser Risikofaktoren aufweist, liegt die Wahrscheinlichkeit einer solchen Schädigung bei dem Baby unter eins zu zweihundertfünfzig.“

„Doch selbst dann gibt es keine absolute Garantie, dass es gesund ist, oder?“, fragte Sofie leise. „Ich würde lieber …“

„Liebling, ich denke, du solltest die Untersuchung machen. Ich möchte so viel wie möglich über unser Kind wissen, bevor es zur Welt kommt.“ Anthony schaute Jannis an. „Ich meine, wie sicher ist dieser Test?“

Jannis beugte sich vor. „Es lassen sich zwei von drei Down-Syndrom-Babys und vier von fünf Fällen mit so genannter Spina bifida, also einem offenen Rücken, erkennen. Wie auch immer, ein negatives Ergebnis würde darauf hindeuten, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass Ihr Baby behindert ist.“

„Aber hundertprozentig ausschließen kann man es nicht“, sagte Sofia. „Ich werde mein Kind lieben, ob es nun gesund ist oder nicht.“

Charlotte tätschelte ihr die Hand. „Natürlich, Sofia. Aber sollte der Test auf mögliche Probleme hindeuten, wären wir alle besser auf die Geburt und anschließende Maßnahmen vorbereitet. Und wie Jannis bereits sagte – wenn er negativ ist, kann man wohl davon ausgehen, dass das Kind völlig gesund ist.“

Anthony legte seiner Frau den Arm um die Schulter.

„Liebling, ich finde, wir sollten so viel über unser Baby herausfinden wie möglich. Dann wissen wir, ob er gesund ist oder ob wir uns auf ein Problem vorbereiten müssen.“

Ein leichtes Lächeln huschte über Sofias Gesicht.

„Oh, du meinst, es ist ein Junge?“

Anthony grinste. „Wie auch immer, Hauptsache, es ist unser Kind, Schatz. Also, mach den Bluttest. Denk positiv. Wir werden das Kleine lieben, so wie es ist.“ Er wandte sich an Charlotte und Jannis. „Wann kann sie die Untersuchung machen?“

„Es gibt nur ein kleines Zeitfenster, das wir nutzen müssen“, erklärte Jannis. „Zwischen der sechzehnten und achtzehnten Schwangerschaftswoche. Nächste Woche wäre also ideal für Sofia. In zehn Tagen hätten wir dann das Ergebnis.“

„Fein! Ist Montagmorgen okay, Doc?“

Jannis lächelte ihn an. „Absolut.“

„Es ist wirklich sinnvoll“, wandte sich Anthony wieder an seine Frau. „Du hast nichts zu verlieren, und es wird dich beruhigen. Ich bringe dich ins Krankenhaus und …“

„Also, wenn du es wirklich willst, Anthony …“

Anthony lächelte. „Ja, Liebes. Dann bleibt es bei Montagmorgen, Jannis.“

„Schön. Wir erwarten euch und … Entschuldigt mich bitte einen Moment.“

Jannis holte sein klingelndes Handy aus der Hosentasche und meldete sich. Sein Gesicht war ernst, als er zuhörte. Charlotte bekam mit, dass es im Krankenhaus einen Notfall gegeben hatte.

Jannis beendete das Gespräch und blickte sie an.

„Das war Schwester Adriana. Ein fünfjähriger Junge mit einer Halsverletzung wurde eingeliefert. Wir sollten besser sofort zurück.“

Charlotte hatte sich bereits erhoben. „Dann sehen wir uns Montag, Sofia.“

„Vielleicht sollte ich …“, begann Sofia, aber ihr Mann unterbrach sie freundlich.

„Wir werden dort sein“, versprach er und legte wieder den Arm um seine Frau.

„Erzählen Sie mir von der Verletzung“, sagte Charlotte, während sie über die holprige Straße zurückfuhren.

„Offenbar ist der Junge auf ein Gartentor geklettert, heruntergefallen und hat sich an einem großen Schloss den Hals aufgeschlitzt. Adriana sagt, von einem Ohr zum anderen, weil er wohl den Kopf zur Seite riss.“

Charlotte schluckte. Hoffentlich war keine Schlagader betroffen.

„Ist es eine arterielle Blutung?“, fragte sie.

„Glücklicherweise nicht, aber eine sehr lange Wunde. Da die Luftröhre nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist seine Atmung in Ordnung. Genäht werden muss er allerdings unter Betäubung.“

„Ich habe Erfahrung in Anästhesie“, sagte Charlotte.

„Ich weiß. Es war eine der Qualifikationen, die ich gefordert hatte. Vollnarkosen kommen bei uns nicht oft vor, aber dies ist eine der wenigen Situationen, wo sie unerlässlich ist.“

In Richtung Klinik ging es nun bergab. Jannis drosselte das Tempo. Deutlich konnte Charlotte die Touristen in der Bucht neben dem Ort am Strand liegen sehen. Sie dachte an den Jungen im Krankenhaus.

„Fünf Jahre alt ist er, sagten Sie?“

Jannis nickte. Sie passierten die Krankenhauseinfahrt.

„Armer kleiner Kerl. Sehen wir zu, was wir für ihn tun können.“

Charlotte ergriff die Hand des kleinen Jungen. „Pos se lene? Wie heißt du?“

Der Junge sah sie mit schreckerfüllten Augen an und antwortete erst mit Verzögerung. „Imai o Wassilis.“

Wassilis’ verzweifelte Mutter war gebeten worden, sich auf einen Stuhl an der Wand zu setzen, als die beiden Ärzte erschienen. Einen Moment noch hielt sie die Tränen zurück, doch dann schluchzte sie auf.

„Hätte ich doch nur das Tor nicht abgesperrt!“ Sie erfuhren, dass sie es verschlossen hatte, damit ihr Junge nicht auf die Straße lief und sich schmutzig machte, da sie mit ihm zum Einkaufen in den Ort wollte.

Jannis versuchte, sie zu beruhigen, während Charlotte die Mullkompresse von der Wunde nahm und sie rasch durch eine andere sterile ersetzte, um die Blutung zu stillen. Jannis kam ihr zu Hilfe.

„Ein Wunder, dass keine Arterie verletzt wurde“, flüsterte er Charlotte zu.

Charlotte hatte Mühe, ihre Gefühle zu kontrollieren, wie immer, wenn sie es mit verletzten Kindern zu tun hatte. Ihre Hilflosigkeit ging ihr ans Herz, und der Schmerz der Mütter war fast unerträglich für sie, weil sie sich an ihre Stelle versetzte.

„Wir geben dir gleich etwas, damit du schön tief schläfst, Wassilis, und dann kümmern wir uns um deine Verletzung“, sagte Jannis sanft. „Du bist sehr tapfer.“

Er wandte sich an Wassilis’ Mutter. „Wir bringen ihn jetzt in den OP. Sie können hier warten oder auch nach Haus gehen, was immer Sie …“

„Ich bleibe.“ Die junge Frau gab ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. „Ich werde hier sein, wenn du aufwachst, Wassilis.“

Der Operationssaal war kaum größer als ein Behandlungszimmer, aber mit allem Notwendigen für kleinere Eingriffe ausgestattet, wie Charlotte nach einem schnellen Rundblick erkannte.

Sie legte dem Jungen einen intravenösen Zugang, und als das Morphin zu wirken begann, murmelte Wassilis: „Du hast gesagt, ich werde einschlafen, aber ich schlafe nicht ein … Ich will auch nicht einschlafen … Ich will nach Haus …, weil … weil …“ Seine Stimme verlor sich.

Charlotte blickte Jannis über den OP-Tisch an. „Er ist so weit.“

Nachdem sie die Atmungsgeräte überprüft hatte, konnte Jannis mit dem Nähen beginnen.

Der Eingriff erforderte sehr viel Sorgfalt und Genauigkeit. Jeder Stich bedeutete eine Herausforderung. Charlotte half ihm, reichte Nahtmaterial, Tupfer und Instrumente. Zwischendurch überprüfte sie immer wieder Atmung und Kreislauf ihres kleinen Patienten. Zwei volle Stunden dauerte es, ehe Jannis fertig war.

Er trat einen Schritt zurück, um seine Arbeit zu begutachten.

„Eine sehr hübsche Stickerei, wenn ich das sagen darf!“, meinte Charlotte.

Jannis lächelte, und zum ersten Mal seit Beginn der OP entspannte er sich.

„Meine Großmutter hat mir das Nähen beigebracht, als ich ein Kind war. Ich glaube nicht, dass sie geahnt hat, wie nützlich es mir später noch einmal werden würde. Allerdings muss ich sagen, das ist die hässlichste Schnittwunde, die ich in meinem Berufsleben gesehen habe. Wassilis wird eine große Narbe zurückbehalten, die viele Jahre zu sehen sein wird, wenn nicht für immer.“

„Ich glaube, er wird der große Held bei seinen Schulfreunden sein. Sie werden ihn bewundern, dass er einen solchen Unfall überlebt hat.“

„Ja, er ist wirklich ein tapferer kleiner Junge.“ Jannis streifte sich die OP-Handschuhe ab und warf sie in den Müllschlucker. „Bringen wir ihn zurück in das Zimmer, das Adriana für ihn vorbereitet hat.“

„Ich bleibe bei ihm, bis er aufwacht“, verkündete Charlotte.

„Und dann?“

Fragend schaute sie ihn an. Was meinte er?

„Und dann überlasse ich ihn Adriana und mache mit meiner Arbeit hier weiter.“

„Hoffentlich gibt es keine weiteren Notfälle. Aber vielleicht können wir nach Dienstschluss in der Taverne zusammen etwas trinken.“

Absichtlich wählte Jannis einen eher kühlen Ton, redete sich dabei ein, er wollte nur ein wenig gastfreundlich gegenüber seiner neuesten Mitarbeiterin sein. Das war ja wohl das Mindeste, wenn jemand eine so weite Anreise gehabt hatte.

Charlotte zögerte, aber nur kurz. Warum nicht?

„Ja, gern“, erwiderte sie und versuchte zu ignorieren, dass ihr Herz anfing, schneller zu schlagen.

3. KAPITEL

Von ihrem Tisch in der Taverne schaute Charlotte hinaus auf die Bucht. Lange hatte sie sich nicht mehr so entspannt gefühlt. Jannis hob das Glas.

Sie stießen miteinander an. Fasziniert schaute Charlotte zu, wie die Eiswürfel den klaren Anisschnaps in eine milchige Flüssigkeit verwandelten. Sie nahm einen Schluck und musste umgehend husten.

Ihr Begleiter lächelte. „Trinken Sie zum ersten Mal Ouzo?“

Charlotte nickte und versuchte, das Brennen in ihrer Kehle zu ignorieren. „Als ich damals mit meinen Eltern in Griechenland war, war ich noch zu jung dafür. Ich glaube, danach nehme ich besser einen Orangensaft … Ich meine … also, falls …“

Sie wand sich innerlich. Sehr wahrscheinlich sollte dies nur ein Willkommenstrunk für die neue Kollegin sein. Beschränkt auf ein Glas!

„Ich habe viel Zeit, wenn Sie auch welche haben“, antwortete Jannis locker. „Falls ich im Krankenhaus gebraucht werde – mein Handy ist angeschaltet. Später schaue ich dann noch einmal nach Wassilis, aber ich glaube nicht, dass es irgendwelche Probleme gibt, mit denen die Schwestern nicht fertig werden.“

„Es ging ihm erstaunlich gut, als mein Dienst zu Ende war. Seine Mutter und Adriana waren bei ihm und lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab.“

Jannis lächelte. „Tatiana ist eine gute Mutter. Ich kenne sie seit meiner Schulzeit.“

Charlotte schwenkte die Eiswürfel im Glas. „Wie wohl fast jeden hier auf Lirakis, oder?“

Jannis nickte. „So ungefähr. Abgesehen natürlich von den Touristen, die kommen und gehen. Sie sind auch der Grund dafür, waru...

Autor

Margaret Barker
Margaret Barker hat das Schreiben immer sehr gemocht aber viele andere interessante Karrieren hielten sie davon ab. Als sie ein kleines Mädchen war, erzählte ihre Mutter ihr Geschichten zum besseren Einschlafen. Wenn ihre Mutter zu müde oder beschäftigt war, bat sie Margaret sich selber Geschichten zu erfinden. Sie erzählte sie...
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Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
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Joanna Neil startete ihre Karriere als Autorin von Liebesromanen auf ganz unkonventionellem Wege. Alles begann damit, dass Joanna Neil einen Werbespot für Liebesromane sah und von diesem Zeitpunkt an wie verzaubert war.
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