Julia Ärzte zum Verlieben Band 115

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EIN DOC MIT GEWISSEN VORZÜGEN von AMALIE BERLIN
Dr. Dante Valentino hat zwar der Liebe abgeschworen, trotzdem gehört eine eigene Familie für ihn zum Leben dazu. Da kommt ihm Schwester Lises Kinderwunsch gerade recht. Kaum hat er sie jedoch zu einer Scheinehe inklusive heißem Sex überredet, erwachen ungeahnte Gefühle …

WAS VERSCHWEIGEN SIE, DR. FLYNN? von JOANNA NEIL
Als Saffi nach einem Unfall unter Amnesie leidet, kehrt sie an den Ort ihrer Kindheit zurück. Dort trifft sie den charmanten Notarzt Matt Flynn, der sie liebevoll umsorgt. Aber so sehr sie seine zärtlichen Küsse genießt, ahnt sie auch: Er verbirgt etwas vor ihr!

MIT DIR IM DSCHUNGEL DER GEFÜHLE von DIANNE DRAKE
Mit jedem Tag, den die schöne Juliette ihm im Dschungelkrankenhaus zur Seite steht, fühlt Dr. Damien Caldwell sich mehr zu ihr hingezogen. Doch er weiß leider aus Erfahrung: Ein einfacher Arzt wie er wird einer verwöhnten, reichen Frau wie ihr niemals genügen!


  • Erscheinungstag 27.07.2018
  • Bandnummer 0115
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711474
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amalie Berlin, Joanna Neil, Dianne Drake

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 115

AMALIE BERLIN

Ein Doc mit gewissen Vorzügen

Lise glaubt nicht an die Liebe, trotzdem wünscht sie sich un bedingt ein eigenes Kind. Da scheint Dr. Dante Valentinos Vorschlag die perfekte Lösung: eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen, nur mit Eheringen und Nachwuchs! Aber schon nach einer ersten Nacht der Leidenschaft muss Lise fürchten, dass ihr attraktiver Boss bloß mit ihr spielt …

JOANNA NEIL

Was verschweigen Sie, Dr. Flynn?

Als Notarzt Matt seine Ex-Kollegin Saffi zum ersten Mal nach ihrem Unfall trifft, sprühen sofort wieder die Funken zwischen ihnen. Doch auch wenn Saffi und er sich bald immer näher- kommen, weiß Matt: Wenn erst Saffis Erinnerung zurückkehrt, ist ihre zarte Romanze sofort vorbei! Es sei denn, er kann Saffi endlich beweisen, wie ernst er es mit ihr meint …

DIANNE DRAKE

Mit dir im Dschungel der Gefühle

Den Job im Dschungelkrankenhaus hat die reiche Juliette angenommen, um sich um bedürftige Patienten zu kümmern – nicht um sich in eine aussichtslose Affäre mit ihrem neuen Boss Damien zu stürzen! Auch wenn sie sich unwiderstehlich von ihm angezogen fühlt, hat er ihr unmissverständlich klar-gemacht, dass seine und ihre Welt auf Dauer nicht zusammenpassen.

1. KAPITEL

Versetzt.

Und dabei hatten ihre Kolleginnen sie auf dieses Blind Date geschickt. Konnten sie da nicht wenigstens einen Mann aussuchen, der auch tatsächlich auftauchte?

Zum zehnten Mal in ungefähr zwanzig Minuten schaute OP-Schwester Lise Bradshaw auf ihre Uhr, dann bestellte sie einen Mojito und zwang sich, nicht ständig auf die Tür zu starren.

Vergiss ihn.

Denk nicht mehr darüber nach.

Die Musik war gut. Selbst wenn sie ohne Begleitung hier war, auf einer Tanzfläche in South Beach war niemand wirklich allein.

Und falls ihre Verabredung wie durch ein Wunder doch noch auftauchen sollte, stach ihr hautenges, rotes Kleid in der schwarzweißen Deko des Clubs definitiv heraus.

In ihrem sicheren, ruhigen Leben arbeitete Lise hart, las viel und plante ihre Zukunft – eine Zukunft, in der sie wieder eine Familie haben würde. Sie ging weder mit ihren Kollegen aus, noch hatte sie wirklich enge Freunde, seit sie von Jacksonville nach Miami gezogen war. Prinzipiell ging sie überhaupt nicht aus. Falls – nein, wenn – sie ihren Plan umsetzte, blieb ihr auch keine Zeit mehr dazu, also sollte sie das Beste aus diesem Abend machen.

Sie hatte sich nicht auf die Blind Dates eingelassen, weil sie die giftige Ehe ihrer Eltern kopieren wollte, sondern um die Zeit vor ihrer Schwangerschaft voll auszukosten.

Ihr Mojito wurde gebracht, und sie trank die Hälfte davon aus, bevor sie sich auf die Tanzfläche stürzte.

Auf einer Bühne hinter der Tanzfläche standen Instrumente und versprachen später Livemusik. Aber im Moment brachte der DJ ihre Füße und ihren Körper in Bewegung. Sie schloss die Augen und überließ sich ganz der Musik. Vom Text verstand sie nicht viel, aber der Rhythmus spülte den Frust und die Sorgen der Woche fort, wärmte ihr den Magen … wobei das vielleicht am Mojito lag.

Plötzlich verstummte die Musik, und Lise hielt inne, öffnete die Augen. An ihr vorbei gingen Musiker auf die Bühne.

Ein großer Mann in einem dreiteiligen, schwarzen Anzug samt Hemd – das Sakko fehlte – einen schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen, sah sie an, als er an ihr vorbeiging.

Augen, so schwarz wie sein Anzug, begegneten ihrem Blick, und Lise spürte den Kick gegenseitiger Anziehung, bevor sie ihn erkannte.

Diese Augen. Sie kannte sie nur zu gut. Ihr Atem stockte, Hitze schoss ihr in die Wangen und lief in einer Welle durch ihren Körper.

Dr. Valentino.

Rein technisch gesehen war er nicht ihr Chef. Doch sie stand zu oft mit ihm im OP, wo Masken nur die Augen freiließen, um ihn nicht wiederzuerkennen.

Er schaute sie an, als wollte er sie in seine Arme ziehen und ihre Kurven gleich hier auf der Tanzfläche erforschen … So hatte er sie noch nie angesehen, und sie selbst gab sich immer größte Mühe, ihn nicht so anzusehen.

Obwohl sie schon so lange zusammenarbeiteten, wusste sie so gut wie gar nichts über ihn. Nur dass er ein toller Chirurg war, sündhaft sexy, manchmal gereizt, und welche Instrumente und Techniken er bevorzugte.

Irgendwann fiel ihr ein, dass sie nicht so starren sollte. Geh zurück zu deinem Tisch, Dummerchen.

Aber ihre Füße bewegten sich kein Stück, genauso wenig wie ihr Blick.

Dr. Valentino ging zum Klavier in der Ecke der Bühne, vor der sie stand. Als er sich auf den Hocker setzte, begegneten sich ihre Blicke erneut, und Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.

Das war Verlangen. Echtes Verlangen. Diese wunderschönen Augen versprachen schmutzige, schmutzige Dinge.

Wie machte er das?

Hatte er schon immer so gefühlt, war aber zu anständig gewesen, um es im Krankenhaus zu zeigen? Offensichtlich konnte er Dinge gut verstecken – wie zum Beispiel seine musikalischen Fähigkeiten. Dass er in einer Band spielte und ihm echte Klamotten besser standen, als erlaubt sein sollte. Wer trug bitte einen dreiteiligen Anzug in einem Nachtclub? Vorausgesetzt, dass hier noch irgendwo das Sakko herumlag.

Plötzlich fühlte sie sich so mächtig und sexy wie schon sehr lange nicht mehr. Ihr rotes Kleid schenkte ihr heute Abend Mut und Selbstvertrauen.

Ihre Verabredung mochte sie versetzt haben, aber wen interessierte das, wenn Dr. Valentino sie so ansah!

Doch auf einmal runzelte er die Stirn und kniff seine dunklen Augen zusammen, sein schöner Mund wurde zu einer schmalen Linie zusammengepresst.

Es dauerte einen Moment, doch dann raubte ihr eine Erkenntnis den Atem: Er hatte sie nicht erkannt – erst als er sich setzte.

Da dieser Mann bis auf Anordnungen oder Ausführungen für die Operationsaufzeichnung nichts sagte, hatte sie gelernt, in seinen Augen zu lesen, weil sie von seinem Gesicht sonst kaum etwas sehen konnte.

Hätte er ihr diesen Blick während einer OP zugeworfen, hätte sie sich auf das Schlimmste vorbereitet.

Sie brauchte definitiv noch einen Mojito, und sie musste aus dem Scheinwerferlicht raus. Dann konnte er sie nicht mehr sehen. Denn im Moment konkurrierte ihre Gesichtsfarbe gerade mit der Farbe ihres Kleides.

Schnell ging Lise zu ihrem Tisch zurück. Dort nahm sie ihre kleine Handtasche, die sie quer über dem Oberkörper trug, ab, zog ihr Handy heraus und legte es vor sich auf den Tisch, als die Musik begann. Sie bestellte einen weiteren Mojito, so konnte sie die Musik genießen, ohne sich Sorgen darüber machen zu müssen, was sein finsterer Blick wohl bedeutet hatte.

Vorher hatte der DJ modernen Latin Pop gespielt, die Band dagegen spielte hellen, fiebrigen Jazz, den Lise zuerst nicht einordnen konnte.

Es half etwas, obwohl sie am liebsten gegangen wäre. Dann würde sie ihn über die nächsten drei Tage vergessen können, bevor am Montagmorgen die nächste Operation mit ihm anstand.

Aber Jefferson konnte immer noch auftauchen. Vielleicht stand er im Stau oder hatte vergessen, wann genau sie sich treffen wollten. Ein schrecklicher Unfall könnte entschuldigen, dass er nicht anrief oder eine Nachricht schrieb, um ihr abzusagen. Bei ihrem Glück heute kam er noch, wenn sie jetzt ging, und sie müsste ein neues Treffen ausmachen, statt diese dritte Verabredung offiziell von ihrer Liste streichen zu können.

Entweder übte die Band täglich oder spielte schon seit Jahren zusammen. Die Arrangements gaben allen Instrumenten die Chance zu glänzen, und Dr. Valentino versuchte nicht, die Musik zu dominieren, wie sonst alles andere – wie es seine Persönlichkeit zu sein schien.

Dieser schrecklich finstere Blick verschwand noch vor dem Ende des ersten Liedes. Seine Anspannung ließ nach. Es machte ihm offensichtlich Spaß, und er war gut darin.

Als die Band nach ungefähr einer Stunde aufhörte, hatte sie sich beinahe erfolgreich eingeredet, dass er sie nur so finster angestarrt hatte, weil er sie vorher mit diesem heißen Blick angesehen hatte und sie mit ihm arbeitete. Warum auch sonst?

Aber Lügen waren gefährlich. Zuerst fiel es schwer, eine Lüge zu erzählen, dann wurde es immer leichter, wurde zu einem Reflex … Es lag nur an dem sexy Kleid und einigen Mojitos gemixt mit ihrer heißen Schwärmerei, dass sie so uncharakteristisch reagiert hatte, und dazu würde sie stehen.

Wenn denn die Sprache darauf kommen sollte.

Sie würde nicht wie ihre Eltern werden.

Sobald das Licht auf der Bühne ausging, sah er sie erneut an, und weil ihr gerade nichts anderes einfiel, erhob sie ihr leeres Glas zu einem Toast.

Er stand auf, kein Anzeichen eines finsteren Blickes, sprang von der Bühne und kam direkt auf sie zu.

„Noch einen Drink, Bradshaw?“

Nachnamen. Gut! Wie bei der Arbeit.

„Darauf wollte ich zwar nicht hinaus, aber klar, wenn Sie möchten. Ich habe Ihnen nur mit einem leeren Glas zugeprostet, weil ich vorhin nicht richtig aufgepasst habe, Dr. …“

„Dante“, unterbrach er sie, setzte sich, bedeutete dem Kellner, dass er noch zwei Mojitos wollte, und konzentrierte sich dann ganz auf sie. „Hier bin ich Dante. Und du bist Lise.“

„Dante …“, wiederholte sie zögernd. Seinen Vornamen auszusprechen, fühlte sich gefährlich an, als könnte sie jede ihrer Regeln brechen. „Danke für den Mojito, Dante.“

Dante neigte den Kopf. „Es ist nur ein Drink“, entgegnete er. Er wollte noch mehr sagen, aber er hatte Zeit, und in diesem Moment vibrierte ihr Telefon. Sofort nahm er es in die Hand und überprüfte, was es war. Eine Nachricht. Von einem Jefferson.

Er wusste, er neigte zu Misstrauen. Wenn ihre Anwesenheit hier das war, wonach es aussah, wollte er damit nichts zu tun haben. Wo würde er wieder einen Ort finden, um sich in Ruhe zu entspannen, falls seine Verbindung zum Inferno herauskam?

„Gehst du normalerweise immer an anderer Leute Telefone?“, fragte sie leicht irritiert und sah ihn gereizt an. Dabei beugte sie sich über den kleinen, runden Tisch zu ihm, sodass es ihm schwerfiel, nicht auf ihr atemberaubendes Dekolleté zu starren.

„Wenn sie an einem Abend, an dem ich spiele, unangekündigt in meinem Club auftauchen, schon. Hast du Bilder gemacht?“ Weil ihm der Name Jefferson nichts sagte, öffnete er die Nachricht nicht sofort, dafür den Fotoordner.

Konzentrierte sich auf die Tatsachen, nicht auf den erstaunlich sinnlichen Körper, den sie unter der schlabberigen OP-Kleidung versteckte.

Dein Club?“, fragte sie. Dann schienen seine Fragen anzukommen, und ihr verwirrter Gesichtsausdruck verfinsterte sich, überschattete ihre unglaublich hübschen Gesichtszüge. „Nein, ich habe keine Fotos von dir gemacht.“

Sie schnipste mit den Fingern und streckte ihm auffordernd die Hand entgegen. Durch die ruckhaften Bewegungen geriet ihr gut ausgefülltes Dekolleté ins Schwingen.

Was er ignorieren würde.

Halt dich an den Plan. Regle das. Wenn es ganz unschuldig war, konnte er in Erwägung ziehen, sie hinterher zu unterhalten.

In der Bildergalerie gab es viele Sonnenuntergänge und Meerbilder, zusammen mit dem dokumentierten Fortschritt eines gelb gestrichenen Kinderzimmers mit Ententhema.

Oh.

Aber keine Fotos von ihm oder dem Club. „Hast du jemanden angerufen oder jemandem geschrieben, dass du mich hier gefunden hast?“

„Warum sollte ich das tun? Bist du im Zeugenschutzprogramm, oder was? Gib mir einfach mein Telefon, Dante.“ In ihrem Frust – oder dank ihrer Drinks – sagte sie seinen Namen auf eine Art, wie er sie seit der Highschool nicht mehr gehört hatte. Verärgert. Ein bisschen zu betont. Sarkastisch.

Er ignorierte es, aber er musste sich daran erinnern, mit wem er hier sprach: mit der besten OP-Schwester, mit der er je gearbeitet hatte. Niemand, der zu … nun ja, zu irgendwelchen Gefühlsausbrüchen neigte.

„Ich möchte nicht, dass sich mein Berufs- und mein Privatleben kreuzen. Niemand weiß vom Inferno, und so soll es auch bleiben. Wenn du wirklich zufällig hier bist, dann solltest du mit keiner Menschenseele am Buena Vista darüber sprechen.“

„Keinem erzählen, dass du in einer Boygroup bist. Verstanden.“

Boygroup. Er lachte, obwohl er sie eigentlich so einschüchtern wollte, dass sie tat, was er wollte. Bradshaw wirkte sonst immer so ruhig und professionell während der Arbeit – diese freche und gleichzeitig wütende Version sollte ihn wirklich nicht so reizen.

„Du weißt, dass ich nicht einfach herumsitze und darauf warte, über dich zu tratschen.“

Die Art wie sie die Augen zusammenkniff, überzeugte ihn nicht. Wie viel hatte sie getrunken?

Die Nachricht. Wenn sie jemandem geschrieben hatte …

Er schaute wieder auf das Telefon und las die Nachricht. „Wer ist Jefferson?“

Lise, ich habe viel Gutes über dich gehört, und deswegen habe ich der Verabredung auch zuerst zugestimmt. Aber mir sind Zweifel gekommen. Es scheint mir nicht fair, dir etwas vorzumachen, wenn Dicke Frauen nicht mein Typ sind.

Unbekannter Name, schreckliche Nachricht – sie sagte wirklich die Wahrheit. Sie war rein zufällig hier.

„Niemand Wichtiges“, antwortete sie und streckte erneut ihre Hand nach ihrem Telefon aus. Etwas traf ihn wie ein Stich im Magen – er hätte es für Schuldgefühle gehalten, aber nach den Dingen, die er in der Vergangenheit getan hatte, konnte ihn nur eine einzige Sache beschämen. Nein, es musste eher nachempfundene Verlegenheit sein. Er drückte auf die Zurück-Taste, um die Nachricht vom Bildschirm zu entfernen, und legte ihr das Telefon dann in die Hand.

„Und dabei musst du mich immer nur einmal um etwas bitten“, sagte sie ironisch.

Wenn überhaupt. Sie war aus gutem Grund seine Lieblings-OP-Schwester. Seine schwierigsten Operationen legte er stets auf Montag oder Donnerstag – die Tage, an denen er sie bekommen konnte. Einmal hatte er sogar einen Kollegen bestochen, um sie an einem Dienstag an der Seite zu haben. Mit ihr im OP war es, als wäre ein zweiter Chirurg in Bereitschaft dabei. Sie ahnte voraus, was er brauchte.

Es fiel ihm schwer, dieses sexy, sarkastische Wesen als dieselbe Person zu sehen. Selbst als sie verstummte und ihr die Verlegenheit die Frechheit aus dem Gesicht wischte.

„Er hat dich versetzt?“, fragte Dante sanfter als alles andere, was er bis jetzt zu ihr gesagt hatte.

„Er sollte vor einer Stunde hier sein, aber wie es scheint, hat er sich großzügig zurückgezogen, nachdem er mich so lange hat warten lassen. Also habe ich ihn nicht getroffen und mich auch nicht hoffnungslos in ihn verliebt … denn dicke Frauen fand er noch nie attraktiv. Und das auch noch großgeschrieben.“

Als hätte er es nicht bereits gelesen.

Ja, das musste wehtun.

Die Mojitos wurden gebracht, und sie trank einen großen Schluck. Er tat es ihr gleich, zum allerersten Mal wusste er nicht, was er sagen sollte. Versetzt von jemandem, den sie noch nie getroffen hatte, und dabei trug sie dieses Kleid? Das hätte auf den Typen auf jeden Fall Eindruck gemacht.

Lise trank aus und sah erneut zur Tanzfläche. „Sie mixen hier großartige Mojitos …“

„Ich stelle immer gute Leute ein. Warum wolltest du in diesem Kleid einen Mann treffen, den du nicht kennst?“

„Hast du die Gerüchte noch nicht gehört?“ Sie beugte sich näher zu ihm. „Das wundert mich. Dabei fragt mich mittlerweile beinahe jeden Tag jemand danach oder hält mir deswegen einen Vortrag.“

„Ich plaudere auf der Arbeit nicht über Privates.“ So sollten beide Welten getrennt bleiben. „Also, welches Gerücht?“

„Ich werde von den hartnäckigeren Schwestern von Blau Acht auf fünf Blind Dates geschickt.“ Blau Acht war die neurologische Station im Buena Vista – ihre Station. „Allerdings war bis jetzt keins davon sonderlich aufregend. Die ersten beiden konnten keine Unterhaltung führen – selbst, wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Jetzt dieser Idiot, und weißt du, mir ist egal, dass er nicht aufgetaucht ist, er zählt. Sie bekommen also noch zwei Versuche, nicht drei. Ist schließlich nicht meine Schuld, wenn sie schlecht wählen.“

„Warum haben sie sich so auf dich fixiert?“

Davor hatte sie sich gefürchtet, aber Lise lebte ihr Leben gern offen und ehrlich. Sie verheimlichte nichts. Sie log nicht. Lieber sollten die Leute sie so ablehnen, wie sie wirklich war, bevor sie sich in eine Maske verliebten und dann aus allen Wolken fielen, wenn sie bemerkten, dass sie nicht perfekt war.

„Weil ich beschlossen habe, eine eigene Familie zu gründen, und so ziemlich alle entsetzt sind, dass ich dafür einen Samenspender suche, oder, wie sie es nennen ‚die Liebe aufgebe‘ und nicht auf meinen ‚Seelenverwandten‘ warte.“ Sie verdrehte die Augen.

Eine Unterhaltung mit dem echten Dante war nicht halb so befriedigend wie die sexy neckende Unterhaltung mit dem imaginären Dante, die manchmal in ihrem Kopf stattfand, wenn sie gerade nichts Wichtigeres zu tun hatte. Dieser Dante hätte sie längst davon überzeugt, dass sie perfekt geformt war und dass ihm sehr gefiel, was er sah. Er hätte sie mit Venus verglichen, und die Göttin hätte dabei den Kürzeren gezogen.

Der imaginäre Dante war deutlich besser.

„Ich verstehe. Deswegen die Fotos von dem Kinderzimmer mit den gelben Enten in deinem Telefon?“

„Vielleicht …“

„Klingt, als hättest du einen schlechten Abend, Bradshaw.“ Er stützte seine Ellbogen auf den Tisch, als wären sie enge Freunde. Definitiv nicht so, als wollte er sie küssen, das wäre etwas, was der imaginäre Dante getan hätte.

Darum beugte sie sich erneut zu ihm hinüber. „Lise. Wenn ich dich Dante nenne, dann nenn mich Lise.“

Zuerst hatte er nicht bestritten, dass sie übergewichtig war, und jetzt missachtete er ihre Mutterschaftspläne und das fantastische, entzückend fröhliche Entenzimmer?

Es reichte.

Sie musste nicht bei ihm sitzen und so tun, als würde es ihr nichts ausmachen, dass Jefferson nicht aufgetaucht war, gefolgt von seiner Ohrfeige per SMS. Sie waren hier nicht im Krankenhaus, sondern in einem Tanzclub. Und der Dr. Valentino, der kühl, heldenhaft und brillant Leben rettete, gefiel ihr weitaus besser als Dante, der Barbesitzer und Pianist.

„Dieser Abend wird mit jeder Minute unangenehmer. Wenn du mir auch einen Vortrag halten willst, kannst du … kannst du das vergessen! Denn du bist einfach unhöflich, und dabei wollte ich dir sagen, wie wunderbar die Musik war. Aber jetzt nicht mehr! Und nur damit das klar ist …“ Sie hob einen Finger, als er den Mund öffnete. „Wenn eine Frau sagt, jemand hat sie als kurvig, rundlich oder sogar dick bezeichnet, und sie ist es offensichtlich nicht, wird erwartet, dass du vehement widersprichst. Und selbst wenn sie es ist, solltest du sowas sagen wie, dass es unhöflich ist, das zu sagen. Dass du nichts davon getan hast, heißt, dass du mich auch dick findest. Und das bin ich nicht. Also … noch einen schönen Abend, Dante.“

Ein neues Stück begann, perfektes Timing. Lise nahm ihre Handtasche und hängte sie sich wieder quer über die Brust um, damit sie die Hände frei hatte für Mr. Mojito, und trat dann an Dante vorbei auf die Tanzfläche.

Sie hatte kaum einen Fuß auf den polierten Fliesenboden gesetzt, als eine große, warme Hand ihr freies Handgelenk umfasste und sie aufhielt.

„Du bist nicht dick, Lise. Aber du versteckst dich gut in überweiter OP-Kleidung.“ Sie drehte sich nicht zu ihm um, aber er sagte das über ihre Schulter, so nah an ihrem Ohr, dass ihr eine Gänsehaut den Arm hinauflief.

„OP-Kleidung ist nun mal weit. Und falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, ich habe nur eine große Oberweite.“ Sie wandte ihm den Kopf zu, und er nutzte die Gelegenheit, ihr den Mojito abzunehmen, bevor sie den Inhalt über einem von ihnen vergoss. Dann trank er den Rest aus und stellte das Glas auf das Tablett eines vorbeigehenden Kellners.

Dieser Mann hatte ihren Mojito ausgetrunken. Was tat man, wenn einem der Mojito aus der Hand geklaut wurde?

Weitersprechen. Sprachlosigkeit zeigte nur, dass man überfordert und nicht clever genug war, um bei diesem verrückten Gespräch mitzuhalten.

Dabei starrte sie auf seinen Mund und dachte an die sinnlichen, schwärmerischen Fantasien, die dieser Mund definitiv erfüllen könnte, wenn er denn wollte.

Erbärmlich teenagerhaft. Und es zeigte nur, wie sehr sie sich nach Gesellschaft sehnte – genug, um sich auf Blind Dates einzulassen. Genug für alkoholverursachte Lust. Jämmerlich.

Sag. Einfach. Was.

„Diese dummen Dinger bestimmen, welche Größe ich tragen kann, aber die OP-Oberteile sind eine Standardausführung, und jeder – sogar Menschen, die normal proportioniert sind – sieht dämlich darin aus. Außer dir, aus irgendeinem Grund siehst du in OP-Kleidung gut aus. Ich würde ja behaupten, du hast deine Seele dafür verkauft, aber wir sind bereits im Inferno. Außerdem ist die Kleidung bequem, darum kann man gut darin arbeiten. Und falls ich jemals Oberteile bekäme, die meinem Hüftumfang entsprechen, würde ich an meiner eigenen Oberweite ersticken.“

Super. Tolles Bild: Erdrosselt von Brüsten.

Dante grinste auf sie herunter.

Aber lachte er mit ihr oder über sie?

Bevor sie sich noch weiter blamieren konnte, schlang er einen Arm um ihre Taille, ergriff ihre jetzt freie Hand, manövrierte sie sicher in eine Tanzposition und führte sie rückwärts auf die Tanzfläche.

Atemlos und mehr als nur leicht erstaunt ließ Lise es zu. „Wir tanzen? Ein Streit weckt bei dir die Lust zu tanzen?“

Vielleicht war es ganz gut, dass er ihren Mojito ausgetrunken hatte, sie hatte offensichtlich schon zu viele davon intus.

Der starke Arm um ihre Taille zog sie nah genug an sich, um die Notwendigkeit ihrer zugegebenermaßen zeltähnlichen OP-Oberteile zu demonstrieren – unterhalb der Taille berührten sie sich nicht, aber ihre Brüste wurden an seine warme Brust gepresst, und automatisch legte sie ihren Arm um seine Schultern.

„Dieses Kleid ist spektakulär, und es steht dir ausgesprochen gut“, sagte er, die Hand fest auf ihrer Taille, um sie in einem Tanzstil zu drehen, den ihre Füße nicht kannten. „Folge mir.“ Er wurde langsamer, trat so weit zurück, dass sie seine Füße sehen konnte, und nachdem sie die Schrittfolge ein paar Mal wiederholt hatte, lagen seine starken Hände wieder auf ihrem Körper, und er führte sie langsam am Rand der jetzt noch volleren Tanzfläche entlang.

Warum machte sie hier mit? Sie war auf die Tanzfläche gegangen, um von ihm wegzukommen. Und weil sie tanzen wollte.

Aber selbst nach der ungehobelten Telefonangelegenheit war dieser Mann noch unglaublich sexy, und sie war versetzt worden. Auf jeden Fall war Dante ein sehr zufriedenstellender Ersatz.

Grüble nicht unnötig darüber nach. Tanz einfach mit ihm.

„Warum dieses Kleid, wenn du Jefferson gar nicht kennst?“, fragte er erneut.

Um ihn über der lauten Musik verstehen zu können, musste sie auf seinen Mund starren, dessen Mundwinkel sich hoben.

Alles hieran fühlte sich surreal an.

Tanz so, als wärst du nicht das Kind eines Straußes und einer dreibeinigen Ziege.

Ignorier die Gefühle, die seine Hände in deinem Körper auslösen.

Kein Problem.

„Es ist neu“, gestand sie, und genau wie sie konzentrierte er sich auf ihren Mund, während sie sprach. „Für mich sind diese Verabredungen der letzte große Auftritt vor dem Muttersein. Weil ich sonst nicht wirklich ausgehe oder mich verabrede. Hauptsächlich, weil es einfach zu viel Aufwand ist. Aber ich dachte, wenn Jefferson seine Karten richtig ausspielt und nicht …“

„Hässlich ist?“

Lise zuckte leicht zusammen, nickte aber.

Auch wenn sein anzüglicher Gesichtsausdruck verschwunden war, als er sie erkannt hatte, schien Dante seine Meinung geändert zu haben. Er starrte länger auf ihren Mund, sexgeschwängerte Erwartung verdunkelte seine Augen.

Weil sie sich etwas unsicher auf den Beinen fühlte, ließ sie seine Hand los, um beide Arme um seine Schultern zu legen, ihn fester zu halten.

Wenn sie wollte – und wenn sie einen Grund dafür finden könnte, sich mit ihm einzulassen, der als zurechnungsfähig bezeichnet werden konnte – wäre Dante ihr letztes großes Hurra.

Und eins von epischem Ausmaß. Er könnte sogar Mojitos mitbringen.

Dante sagte nichts, zog sie nur etwas näher, sodass sein Mund ihr Ohr berührte. So spürte sie die Bartstoppeln auf seiner Wange, während er leise den spanischen Text zur Musik mitsang.

Das Zittern, das sein Lied in ihr auslöste, brachte ihn dazu, sie fester zu halten, obwohl er sich etwas zurücklehnte, um ihr in die Augen sehen zu können.

„Du solltest dich von mir fotografieren lassen und ihm das Bild schicken. Lass ihn für seine dumme Entscheidung leiden.“

Warum dachte er noch immer über Jefferson nach?

„Du denkst, das lässt ihn leiden? Er könnte auch hier gewesen sein, einen Blick auf mich geworfen haben und dann eilig wieder verschwunden sein.“

„Nein.“ Dante schüttelte den Kopf, hielt sie noch immer eng an sich gepresst, obwohl sie sich jetzt auf der Stelle wiegten, vor der Bühne, etwas abseits.

„Das weißt du nicht.“

„Doch. Er ist hetero, und hätte er dich heute Abend gesehen … Vertrau mir.“

Ihm vertrauen. Als wäre es das Einfachste auf der Welt. Vertrau dem sexy Mann, der ein Doppelleben führt.

Andererseits, was konnte ein Foto schon schaden? So fühlte sich Jefferson vielleicht etwas schuldig, wenn er sah, dass sie sich extra herausgeputzt und so lange auf ihn in einem Nachtclub gewartet hatte, bevor er tatsächlich absagte. Das sollte ihm eine Lektion für sein nächstes Blind Date sein.

„Na gut.“ Lise löste sich von ihm, um das Telefon aus ihrer Tasche zu ziehen. „Aber sorg dafür, dass ich gut aussehe. Vielleicht gibt es ja einen sexy Filter, den wir nutzen können.“

Während sie ihre Handtasche abnahm und sich ordentlich über eine Schulter hängte, kam er ihr ganz nah und murmelte ihr etwas ins Ohr, das unerträglich sexy war. Warm. Verspielt. Und viel zu Spanisch, als dass sie es verstand.

Selbst nach drei Jahren in Miami verstand sie nur querida.

Aber das reichte.

Einen Augenblick später hatte er sie positioniert und ein Bild gemacht. Noch bevor sie einen Blick darauf werfen konnte, hatte er es auch schon an Jefferson geschickt.

„Was hast du dazu geschrieben?“

„Nichts.“

Er reichte ihr das Telefon zurück. „Es ist besser, nichts zu sagen. Dann wird er eine Menge Fragen haben, und das wird ihn noch schlimmer leiden lassen.“

Sie richtete ihre Tasche und verstaute ihr Telefon, bevor sie sich erneut in seinen Armen wiederfand, als ein schnelleres Lied begann.

Er zog sie eng an sich, dieser sexy Mund nah an ihrem Ohr, und die fantastisch raue Stimme sang wieder für sie. Er brachte sie dazu, sich zu drehen, und dann spürte sie ihn an ihrem Rücken, während seine Hände ihre Hüften umfingen.

Das konnte nicht derselbe Mann sein.

Sie blickte über ihre Schulter und sah Dr. Valentino, aber in nahezu jedem Aspekt war er ein anderer Mensch, der nur kurz den Mann aufblitzen ließ, den sie kannte. „Ist das Salsa?“

„Nein.“ Seine Stimme klang warm an ihrem Ohr. „Das ist eine Bachata. Einfache Schritte. Hüfte, Füße. Schritt-Schritt-Schritt-Tipp. Mit den Schritten verstärkst du die Hüftbewegung.“

Durchs Tanzen verführt. Sie erkannte die Symptome, doch es war ihr egal.

Starke Hände auf ihren Hüften führten sie durch die Schritte. In dieser Position kam sie ihm extrem nahe, spürte seine heiße Erregung, seine Oberschenkel streiften die Rückseiten ihrer Oberschenkel, seine Brust bewegte sich an ihrem Rücken. Und ihr Po …

Als ihr Körper den Tanz gelernt zu haben schien, drehte er sie wieder zu sich herum. Seine Blicke brachten die freche Sinnlichkeit zurück, die sie vorher gefühlt hatte.

Berauscht von den Mojitos und dem erotischen Tanz trat Lise auf ihn zu, beugte sich vor und presste ihre Lippen auf seinen Mundwinkel. Er hörte auf zu tanzen.

Er tat gar nichts mehr.

Erwiderte auch ihren Kuss nicht.

2. KAPITEL

Fehler?

Großer Fehler!

Lise trat so hastig zurück, dass sich Dantes Arme von ihrer Taille lösten.

„Entschuldige.“ Dann erinnerte sie sich an ihren Lippenstift, starrte auf seinen Mund und hob dann die Hand, um den Abdruck so gut wie möglich abzuwischen. „Das war nicht richtig von mir. Ich meine, vor fünf Minuten haben wir uns noch gestritten.“

Jemandem Lippenstift vom Mund zu wischen, war beinahe so intim wie ein Kuss.

Schnell zog sie ihre Hand zurück. „Wirklich, es tut mir leid. Ich werde jetzt …“

Vor Peinlichkeit sterben.

Stumm deutete sie auf ihren Tisch. Eine Drehung, dann eilte sie davon.

„Stopp! Warum bist du so schreckhaft?“ Mit zwei Schritten hatte er sie eingeholt, schlang erneut einen Arm um ihre Taille und nahm die Hand, die er zuerst zu fassen bekam. „Du musst dich für nichts entschuldigen.“

„Aber du hast den Kuss nicht erwidert.“

„Weil ich von der Bühne ein Zeichen bekommen habe. Ich würde nichts lieber tun, als weiter mit dir zu tanzen und dir diese Schreckhaftigkeit wegzuküssen. Wenn du dich entschuldigen willst, dann nur für deine Treffsicherheit.“

Er begleitete sie zu ihrem Tisch und setzte sie auf einen Stuhl, den er für sie zurechtschob. Aber als sie dachte, er würde gehen, griff er in ihre Haare. Hitze und Verlangen breiteten sich in ihrer Brust aus. Er bog ihren Kopf zurück, bis sie direkt zu ihm aufsah. Das alles geschah so schnell, so unerwartet, dass sie sprachlos war. Sie konnte ihn nur anstarren. Spürte, wie ihr Puls raste und noch schneller wurde, als sie seinen Gesichtsausdruck musterte.

Die Spannung ließ sie erschauern.

Schnell und deutlich zielgenauer als sie beugte er sich über sie und küsste sie.

So war Lise noch nie geküsst worden. So hungrig. So … schockierend. Seine Zunge tauchte in ihren Mund, drängte sie dazu zu reagieren.

Als ob sie in dieser Position auf die Idee gekommen wäre, sich von ihm zu lösen – seine freie Hand umfasste ihren Hals, seine Finger streichelten sie, ohne Druck auszuüben, fühlten sich aber trotzdem wie Feuer auf ihrer Haut an. Es erregte sie, und Dantes unverschämte Sinnlichkeit raubte ihr den Atem. Sein Geschmack, ein Mix aus den Mojitos, die sie getrunken hatten, und etwas anderem, Aufregenderem berauschte sie stärker, als Alkohol es gekonnt hätte, und sie verlor in seinem Kuss jegliches Zeitgefühl. Unwillkürlich bewegten sich ihre Hände langsam nach oben, sehnsüchtig und suchend.

Als jemand in der Nähe anerkennend johlte, beendete Dante den Kuss, hob seinen Kopf gerade so weit, dass sie sich ansehen konnten. Seine dunkelbraunen Augen schienen ihr so viel zu versprechen, und sie konnte den Blick nicht abwenden, selbst wenn sie es gewollt hätte.

„Bleib für den nächsten Auftritt, aber tanz mit keinem anderen, wenn du nicht willst, dass ich von der Bühne springe und dich daran erinnere, warum du auf mich wartest.“

Stumm und atemlos konnte sie nur nicken.

Er küsste sie erneut, ein weicher, kurzer Kuss, als wollte er das Versprechen besiegeln, dann gab er ihren Kopf frei und ging zur Bühne.

Oh, sie war dabei, einen Fehler zu machen. Einen großen Fehler.

Und er wäre es wert.

Dante zog sich auf die Bühne hoch, so musste er sich nicht an den anderen Musikern vorbeischlängeln, um zu seinem Klavier zu kommen. Kaum saß er, da erklangen auch schon die ersten Töne des nächsten Liedes.

Zum Glück war es ein schnelles Stück. Sein einziges Ventil waren jetzt seine Hände, und die konnten sich nur mit der Musik bewegen; nicht schnell genug, um der Energie gerecht zu werden, die in ihm pulsierte.

Zum ersten Mal gelangte er beim Spielen nicht an diesen friedlichen Ort, wo er sich wie zwischen den Welten fühlte. Seine Gedanken waren nicht leer, sondern erfüllt von Lise. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn zum letzten Mal jemand so gereizt hatte.

Bei ihrem Anblick hatte vorhin sein ganzer Körper angefangen zu summen, Druck baute sich auf und schaffte ein Bewusstsein, das er als übernatürlich bezeichnet hätte, wäre er kein rationaler Chirurg gewesen. Er hatte sofort gewusst, dass da jemand im Club war, der es wert war, gesehen zu werden.

Aber sein Interesse – obwohl echt und rein sexueller Natur – wurde aus der Bahn geworfen, als ihm etwas an ihr vertraut vorkam. Er war alle Möglichkeiten durchgegangen.

Hatte er mit ihr geschlafen? Nein. Diesen Körper hätte er unmöglich vergessen können.

War sie schon öfter hier im Club gewesen? Nein. Er besaß den Club erst seit fünf Jahren, da wäre sie ihm mit Sicherheit aufgefallen. Und er hätte sich ihre Nummer besorgt.

Krankenhaus? Familienangehörige eines Patienten? Personal?

Siedend heiß fiel es ihm ein.

Bradshaw. Die OP-Schwester von heute Morgen. Er hatte sie vor nicht einmal zehn Stunden gesehen und würde ihr am Montagmorgen wieder gegenüberstehen. Würde sie in grauer OP-Kleidung, ohne das sexy Make-up und die teuflisch roten Lippen, auch diese magnetische Anziehung auf ihn ausüben?

Nicht, wenn sie heute Abend mit ihm nach Hause ging – und so, wie sie errötet war und ihn angelächelt hatte, würde sie das. Aber während der Arbeit könnte es kompliziert werden.

Ein Stück endete, und das nächste begann, aber seine Gedanken konnte er nicht so einfach wechseln, wie er den Takt wechselte. Er wollte sie, und das war Grund genug, um sich etwas Feierabendspaß zu gönnen.

Ihr Augenrollen, als sie von Ehe gesprochen hatte, sagte ihm, dass sie eine Nacht nicht überbewerten würde. Das half, machte es einfach. Warum grübelte er dann noch?

Gegen das Scheinwerferlicht konnte er weder sie noch ihren Tisch ausmachen, und er wollte sie sehen. Als das Lied endete, nahm er sich vom Bühnenrand ein Funkgerät und wandte sich ab. Leise gab er Max, dem Manager des Inferno, die Anweisung, das Licht bis auf die Spotlights zu dimmen.

Endlich konnte er sie sehen.

Noch immer saß sie am Tisch, starrte auf ihr Telefon, ein winziges, zufriedenes Lächeln spielte um ihren jetzt nackten Mund.

Jefferson hatte auf das Foto reagiert.

Gut. Genau wie Dante erwartet hatte. Eine kleine Manipulation des Mannes, der die Frau gedemütigt hatte, die heute Abend mit ihm nach Hause kommen würde. Es fühlte sich wie Gerechtigkeit an, auch wenn er kaum noch zwischen Gerechtigkeit und Rache unterscheiden konnte.

Dann setzte im nächsten Stück das Klavier ein, und endlich überließ er sich ganz der Musik. Noch fünfundvierzig Minuten, eine halbe Stunde Pause und noch ein langer Auftritt, bevor er tun konnte, was er wirklich wollte: Lise mit nach Hause nehmen und sie aus diesem Kleid schälen.

Während Dante spielte, verließ Lise langsam der Mut. Eine Nacht könnte atemberaubend sein oder zu lebensplanverändernden Komplikationen führen.

So sehr sie sich auch wünschte, dass er von der Bühne sprang, ihren Kopf umfasste und sie noch einmal besinnungslos küsste, was würde das für ihre Arbeitsbeziehung bedeuten? Hatte der Kuss sie bereits verändert? Konnte sie ihn noch ansehen, ohne sich vorzustellen, wie sich seine Hände in ihren Haaren und auf ihrem nackten Hals anfühlten?

Sie liebte ihre Arbeit. Mit dem Geld, das sie damit verdiente, konnte sie sich im teuren Miami ein kleines Cottage leisten. Und Geld war der erste Punkt auf ihrer Liste gewesen, was eine verantwortungsbewusste Frau haben sollte, bevor sie ein Kind bekam.

Einen Kuss konnte man vergessen.

Eine Nacht mit Dante … war ihre Zukunftspläne nicht wert.

Allein die Vorstellung, ihr noch nicht empfangenes Kind zu verlieren, riss sie aus ihren lustvollen Fantasien.

Denk an deinen Traum.

Allein ein Verschieben des Zeitplanes war inakzeptabel oder würde es sein, sobald sie den besten Spender ausgewählt und eine Art Konzept ausgearbeitet hatte.

Wer wusste schon, wie viele Versuche es brauchte, um schwanger zu werden, sobald sie den Einen aus ihrer Datenbank herausgefiltert hatte?

Während sie sich gut zuredete, vibrierte ihr Telefon erneut – eine weitere Nachricht von Jefferson, diesmal mit einer geschätzten Ankunftszeit.

Dante warf die Tür zu seinem Büro hinter sich zu.

Lise hatte nicht gewartet. Und dabei war er so sicher gewesen, dass sie es tun würde. Und was noch schlimmer war, obwohl er vorhin mit ihrem Telefon gespielt hatte, ihre Nummer hatte er nicht bekommen.

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal jemanden so falsch eingeschätzt hatte. Er hatte ihr genau das gegeben, was sie wollte, und trotzdem war sie gegangen.

Warum? Weil Jefferson sich entschlossen hatte, vor ihr zu Kreuze zu kriechen? Er hätte die Bänder der Überwachungskameras überprüfen können, doch eigentlich war es egal. Ihre Entscheidung. Er war nur wütend darüber, praktisch von einer Frau sitzen gelassen worden zu sein, die ihn eigentlich wollte.

Das Telefon in seiner Tasche vibrierte und störte seinen liebsten Zeitvertreib – andere zu analysieren. Er zog es heraus, bevor er sich auf das Ledersofa fallen ließ, auf dem er zwischen den Auftritten manchmal ein Nickerchen hielt.

Eine Regel beherrschte seine Zeit im Club: Der Rückzugsort war heilig! Bring die Außenwelt nicht herein, trag nichts nach außen. Lises Auftauchen heute Abend hatte diese Regel komplett über den Haufen geworden.

Er sah auf den Bildschirm und las eine Nachricht von der neuesten Valentino-Ehefrau – Cassie, verheiratet mit seinem Zwillingsbruder. Sie bat ihn um ein Treffen am nächsten Tag im Seaside. Auch wenn das sein freier Tag war, lehnte er nie ab und schrieb ihr zurück, um es ihr zu bestätigen.

Über die letzten Monate hatte er alle seine Brüder heiraten und eine Familie gründen sehen. Ihre Familie war gewachsen, was für ihn bedeutete, dass auch mehr schiefgehen konnte und geregelt werden musste. Probleme aus der Welt zu schaffen, war seine Hauptaufgabe in der Familie.

Ehefrauen und Kinder bedeuteten mehr Menschen, um die man sich kümmern musste. Sein Kreis war von drei auf sieben Leute angewachsen, Nummer acht und neun auf dem Weg. Dieses Wachstum verlangte von ihm mehr Aufmerksamkeit – selbst innerhalb seines Rückzugsortes.

Er musste verrückt sein, auch nur daran zu denken, diese Zahl noch zu erhöhen, indem er selbst eine Ehefrau suchte. Nicht, dass er eine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte.

Eine weitere Nachricht kam, bevor er das Telefon auf das Sofa fallen lassen konnte, und er seufzte, bevor er sie las.

Santiago – sein mittlerer Bruder – und seine Frau Saoirse fragten, ob er morgen zum Essen kam.

Er war umgeben von frischverheirateten Paaren, und er hörte von ihnen deutlich öfter als vorher. Hatten sie abgesprochen, sich um ihn zu kümmern? Denn so fühlte es sich an – ärgerlicherweise das Letzte, was er brauchte. Und so würde es weitergehen, bis er heiratete. Um den letzten Valentino-Junggesellen musste man sich kümmern …

Das Trauma ihrer Kindheit zwang sie alle dazu, ihn vielleicht noch mehr.

An der Stelle seiner Familie hätte Dante dasselbe gedacht – schließlich hatte er noch nie eine Frau mit nach Hause gebracht, um sie ihnen vorzustellen, oder war für längere Zeit mit einer Frau zusammen gewesen. Er hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, bis seine Brüder alle verheiratet waren, und jetzt stach er als Single heraus. Aber es war normal zu heiraten, es wurde erwartet. Und den Schein zu wahren, war immer wichtig gewesen.

Er ließ das Telefon auf das Sofa fallen, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, konzentrierte sich auf die Musik zwischen den Bandauftritten, die die Leute auf die Tanzfläche holte. Die ihn und Lise auf die Tanzfläche gebracht hatte.

Jemand würde klopfen, sollte er vor dem letzten Auftritt einschlafen oder die Zeit verpassen, weil er sich vorstellte, wie er Lise aus ihrem heißen Kleid schälte.

Er wünschte nur, er hätte sie besser gekannt. Hatte ihr Selbstwertgefühl es zugelassen, mit dem Mann mitzugehen, der sie versetzt und beleidigt hatte, wenn er schließlich zu Kreuze kroch?

Jefferson war leicht gewesen. Aus Lise dagegen wurde er nicht schlau.

Und wenn er nun sie dafür strafte, dass sie ihn versetzt hatte? Sie dazu brachte, dass es ihr leid tat und sie vor ihm zu Kreuze kroch?

Am Montagmorgen stand Dante am Waschbecken und sah dem Team zu, das alles für die anstehende OP vorbereitete.

Lise fehlte.

Ein Blick auf die Uhr, und er biss die Zähne zusammen. Aus dem Club zu verschwinden konnte er verzeihen. Aber zu einer Operation zu spät zu kommen?

„Carrasco. Dónde está Bradshaw?“ Er kochte vor Wut. Sie kam nie zu spät. Was hatte sich geändert? Nur der Kuss? War sie zu einem weiteren Blind Date gewesen und hatte dann verschlafen?

„Heute Spanisch, Dr. Valentino?“ Die OP-Schwester legte den Kopf schräg, antwortete aber trotzdem. „Ich habe sie noch nicht gesehen.“

Spanisch. Während der Arbeit. Ein erstes Mal für alles.

Er wechselte ins Englische – Kontrolle war wichtig. „Hat jemand von Bradshaw gehört? Es passt nicht zu ihr, einfach nicht aufzutauchen.“

„Ich kann in der Personalabteilung nachfragen, ob sie sich krankgemeldet hat“, bot Sandy Carrasco an.

Obwohl sie sich noch einmal waschen musste, wenn sie ein Telefon anfasste, wies Dante sie an: „Tun Sie das.“

Wieder kam die Frage vom Donnerstag auf: War Lise mit Jefferson gegangen?

Das war vor vier Tagen gewesen. Wenn sie vor so langer Zeit in Schwierigkeiten geraten war …

Die Bürste rutschte ihm aus den Fingern und fiel ins Waschbecken. Er unterdrückte ein Seufzen, nahm sich eine neue und begann von vorn.

Sandy telefonierte, er hörte sie sagen, dass sich Lise nicht krankgemeldet hatte.

„Nicht bei der Personalabteilung“, bestätigte sie und wählte eine andere Nummer.

Für diesen Eingriff wollte er keine andere OP-Schwester. Lise war die Beste. Er wollte Lise.

„Ich bin hier!“

Beim Klang ihrer Stimme drehte er sich um, Erleichterung übertönte seinen Ärger, sodass er nicht genau wusste, wie er sich fühlte, was ihn wiederum auf die Palme brachte. „Heute Morgen nicht aus dem Bett gekommen, Bradshaw?“

Er musterte ihre Erscheinung und spürte, wie sein Nacken heiß wurde. Das viel zu große OP-Oberteil, das sie sonst immer trug, war durch eines in einem anderen Schnitt ersetzt worden – dieses wickelte sich um ihre Brust wie ihr rotes Kleid.

Sie hatte es geschafft, graue OP-Kleidung sexy aussehen zu lassen.

„Wenn es mal so erholsam gewesen wäre.“ Sie eilte in das kleine Abteil und holte, was sie brauchte, um sich vorzubereiten. „Ich weiß, ich bin ein wenig später als sonst, aber wir haben noch gut fünfzehn Minuten, bis die OP anfängt …“

Dante wollte keine Entschuldigungen. Aber er wollte im Krankenhaus auch keine Szene machen, selbst wenn sie ihn schon wieder aus der Bahn warf. Er wollte die alte Lise, nicht die, die ihn so umhaute, dass er sich fragte, wie sie das geschafft hatte.

Sie trat an das freie Waschbecken neben ihm und begann, sich die Hände zu waschen.

Die Haare unter der OP-Haube versteckt – wie immer. Kein Make-up, aber auch noch keine Maske. Er hätte sie gern ohne Make-up angesehen – oder sie nach ihrer Entschuldigung gefragt. Aber das musste warten.

Ihr kurzes Treffen im Inferno war kein Grund, warum sie nicht professionell sein konnten. Sie hatten sich nur ein wenig geküsst, nicht so oft, wie er zugegeben noch immer wollte, aber sie würden es überleben.

Er verließ den Raum, ließ die Schwestern allein bei ihrer Vorbereitung. Ein anderer chirurgischer Assistent zog ihm den Kittel und die Handschuhe an, und dann nahm sich Dante einen Moment, um zu überprüfen, dass alles so war, wie er es haben wollte, bevor der Patient gebracht wurde.

„Wie war deine Verabredung letzte Woche?“, fragte ein weiteres Teammitglied, sobald Lise den OP betrat.

„Dafür ist jetzt wirklich keine Zeit. Wenn du einen Bericht willst, gebe ich dir nachher gern einen.“

Stimme angespannt. Haltung steif. Glücklich? Aber sicher doch. Das konnte er nicht falsch deuten.

Er wusste nur nicht, ob es Jefferson oder ihr heißer Tanz gewesen war, der sie unglücklich gemacht hatte.

Was zum Teufel war nur los mit ihm? Noch nie hatte er solche Probleme gehabt, jemanden zu durchschauen. Nicht seit den Betrügereien, die ihn in seiner Jugend beinahe ins Gefängnis gebracht hätten.

Die Tür ging auf, und das Bett mit der Patientin wurde hereingeschoben, eine Frau um die dreißig, Mutter von drei Kindern.

Er lernte immer so viel wie möglich über einen Patienten, damit er im Kopf behielt, was auf dem Spiel stand. Er nahm sich Zeit für die Patientin, versicherte ihr noch einmal, dass er sein Bestes tun würde. Dinge, die er gewöhnlich immer für seine Patienten tat, auch wenn sie keine Kinder zu Hause oder im Warteraum hatten – oder, wie es bei ihm der Fall gewesen war, in der Kapelle, wo sie beteten, dass alles gutging.

Dann nickte er dem Anästhesisten zu. Je schneller ihre Patientin bewusstlos war, desto eher hörte sie auf, sich Sorgen zu machen. Und umso schneller hatte er die Rathke-Taschen-Zyste, die hinter ihrer Hirnanhangdrüse wuchs, entfernt.

Ein Strich weniger auf dem Konto seiner alten Sünden. Irgendwann kam er hoffentlich aus dem Minus heraus.

Kaum hatte Dante den Operationssaal verlassen, wiederholte Sandy Carrasco ihre Forderung: „Lise, erzähl endlich, wie das Date gelaufen ist.“

Das ganze Wochenende hatte Lise sich bemüht, den Abend auszublenden, und darum auch nicht überlegt, was sie sagen sollte, wenn sie unausweichlich danach gefragt wurde.

„Oh, einfach toll, schätze ich.“ Sich mit unhöflichen Menschen anzulegen, diese schlechte Eigenschaft hatte sie offensichtlich von Dante übernommen. Denn Sandy war diejenige gewesen, die ihr Jefferson empfohlen hatte. Und die sie ihm gegenüber offenbar als dick beschrieben hatte.

Als Sandy begeistert lachte, fuhr Lise fort: „Ich habe mir für den Abend ein neues Kleid gekauft. Jefferson und ich hatten ein paar Tage vorher kurz telefoniert und uns auf einen Club geeinigt, den er mag. Ich kam an, bin hineingegangen, da er nicht draußen auf mich gewartet hat. Habe einen Mojito getrunken. Und getanzt.“

„Er hat drinnen gewartet?“

„Oh nein. Dort war er auch nicht. Ich habe mich allein amüsiert. Mojitos. Tanzen. Habe mich mit einem attraktiven Musiker unterhalten.“ Nicht. Dante. Erwähn nicht Dante. Dann erzählte sie, dass sie versetzt worden war, von der gemeinen SMS über dicke Frauen, und dass er doch noch kommen wollte, nachdem sie ihm ein Foto von sich in dem roten Kleid geschickt hatte.

Konfrontation war sonst nicht ihre Sache, obwohl das manchmal bei ihrer offenen und ehrlichen Strategie nicht ausblieb – oder wenn sie gedemütigt und angetrunken war. Aber manchmal, wie jetzt, war es auch ganz praktisch.

Bevor Sandy noch etwas anderes tun konnte, als peinlich berührt zu schauen, deutete Lise – da sie ihren OP-Kittel bereits ausgezogen hatte – auf ihr neues, besser geschnittenes OP-Oberteil, ihren relativ flachen Bauch und ihre Taille.

„Ich bin nicht zierlich. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich nicht dick bin. Und bevor du auf irgendwelche Ideen kommst, ich zähle das trotzdem als mein drittes Date, also bleiben nur noch …“ Sie brach ab, und angewidert von dieser Erfahrung änderte sie ihre Meinung. „Wer auch immer die Junggesellen Nummer vier und fünf aussucht, sollte ihnen lieber absagen. Ich bin durch damit. Denkt, was ihr wollt. Meine Pläne hängen nicht davon ab, ob meine Arbeitskollegen meine Entscheidungen billigen oder nicht. Und jetzt muss ich mich wahrscheinlich von Dr. Valentino anschreien lassen. Entschuldigt mich bitte.“

3. KAPITEL

Die Tür zu Dantes Büro wurde geöffnet. Er sah auf, während er sein Telefon ausschaltete. Lise schloss gerade die Tür hinter sich.

Zusammengezogene Augenbrauen, steife Haltung, Hände zu Fäusten geballt … Entweder war sie sehr wütend oder sehr besorgt.

Zum ersten Mal am Buena Vista Hospital erlebte er sie ohne ihre unerschütterliche Ruhe … und ohne OP-Haube. Die seidigen, blonden Locken, an deren Gefühl in seiner Hand er sich das ganze Wochenende erinnert hatte, waren wie eine Krone um ihren Kopf geflochten. Sie steckte ihre Haare nicht einfach irgendwie unter diese Hauben. Trotzdem hübsch.

Aber nicht das, worauf er sich konzentrieren sollte.

Sie trat vor seinen Tisch, schien es sich anders zu überlegen, stellte sich dann hinter einen der Stühle vor seinem Schreibtisch und umfasste die Lehne.

Statt sie auszufragen, schwieg er. Sie wusste, warum er sie hergebeten hatte.

Stumm trat sie wieder vor, aber diesmal setzte sie sich.

„Geht es dir gut?“, fragte er. „Du hast besorgt ausgesehen, als du reinkamst. Angst, dass ich dich wegen deiner Verspätung anbrülle?“

„Ein wenig. Und ich habe gerade Sandy die Meinung gegeigt und alle restlichen Blind Dates abgeblasen. Hab ihr gesagt, dass ich ihre Zustimmung nicht brauche, um mein Leben zu leben. Es war … ich weiß nicht, entweder mutig oder unhöflich. Vielleicht beides.“

„Manchmal muss man unhöflich sein, um etwas zu regeln“, murmelte Dante und lehnte sich zurück, während er entschied, wie er das handhaben sollte.

„Du hättest dazu nicht unhöflich werden müssen.“ Sie sah ihn vorwurfsvoll an.

Ihr Telefon.

„Ich kannte dich nicht gut genug, um dir zu vertrauen.“

„Du arbeitest seit zwei Jahren mit mir.“

„Und trotzdem kenne ich dich kaum.“

In seinem Erwachsenenleben tat er selten etwas, ohne vorher zu planen, wie es ausgehen sollte. So hatte er die Zeit nach dem Mord an seinen Eltern überstanden, war durch College und Medizinstudium gekommen, hatte Stipendien erhalten und sogar eine Stelle in seinem bevorzugten Krankenhaus. Er hatte Pläne für den Club und einen tollen Manager, der diese in die Tat umsetzte.

Leider hatte Lise die ärgerliche Angewohnheit, seine Pläne zu durchkreuzen. Als er an ihren Tisch gekommen war, war sein Plan einfach gewesen: Herausfinden, was sie wusste, und dafür sorgen, dass sie niemandem vom Inferno erzählte. Der Plan hatte genau zwei Minuten lang funktioniert.

Dann hatte er einen neuen Plan gefasst, wie der Abend hätte enden sollen, als sie tanzten und die Anziehung zwischen ihnen unleugbar wurde, und auch der war gescheitert.

Als er sie angewiesen hatte, in sein Büro zu kommen, hatte er geplant, von ihr eine Erklärung für ihre Verspätung zu fordern – hauptsächlich, um herauszufinden, ob sie nach einem langen, sexy Wochenende mit dem Mistkerl, von dem sie erst versetzt worden war, verschlafen hatte.

„Warum bist du so plötzlich verschwunden?“, fragte er.

Und wieder ging ein Plan den Bach runter. Genauso wie der, Arbeit und Club komplett getrennt zu halten. Aber wie sonst sollte er sie verstehen, wenn er ihr keine Fragen stellte?

Für einen Moment wirkte sie verwirrt, aber auch verlegen. „Ich dachte, du wolltest beides streng voneinander trennen. Soll ich dich jetzt im Moment Dante oder Dr. Valentino nennen?“

„Dante“, antwortete er sofort – es gefiel ihm, wenn sie seinen Namen sagte. „Das wollte ich, aber es hat nicht funktioniert.“

„Du hast sexy mit mir getanzt und mir auf Spanisch ins Ohr gesungen. Das passiert nicht einfach so.“ Ihre Stimme klang schriller, genauso wie im Club, als sie ihn wegen seiner Unverschämtheit angeschrien hatte.

„Dass du da warst, ist passiert. Alles andere hinterher war eine bewusste Entscheidung und nichts, was ich bereue“, erklärte er, damit sie nicht dachte, er gab ihr die Schuld an seiner offensichtlich ungeschickten Verführung. „Also, warum bist du verschwunden?“, fragte er noch einmal.

„Damit ich nicht mit dir im Bett lande.“

„Warum? Das wolltest du doch. Du wolltest eine letzte spektakuläre Nacht. Ich hätte dir diese Nacht ohne Komplikationen garantiert.“

Sie rollte mit den Augen. „Das sagt sich leicht, aber es hätte alles nur durcheinandergebracht. Das tut es jetzt schon, und dabei haben wir nur getanzt und uns geküsst.“

Dante rutschte mit seinem Stuhl um den Schreibtisch herum, dann umfasste er die Armlehnen ihres Stuhls, um sie zu sich umzudrehen, damit sie ihn ansehen musste.

Schmerzerfüllt verzog sie das Gesicht, als ihr Stuhl über den Teppich rutschte. Aber es war so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war, darum versuchte er, bei seinem Plan zu bleiben – dem neuen Plan, der gerade entstanden war.

„Dachtest du, ich würde dich zu etwas zwingen, was du nicht willst?“, fragte er sanft.

„Nein. Ich wollte es ja. Aber es war eine schlechte Entscheidung, befeuert von Mojitos und Hormonen und weil … Na ja, weil ich einsam war, wenn du es schon wissen musst. Du bist sehr attraktiv, und dann waren da das Tanzen und die sexy Sachen, die du auf Spanisch gesagt hast …“ Langsam atmete sie aus und rieb sich das Gesicht.

Sie sah genauso frustriert aus, wie er sich fühlte. „Wenn du dich in ein Leben als alleinerziehende Mutter stürzen willst, musst du im sozialen Umgang besser werden. Du kannst zukünftig einfach sagen: ‚Danke, aber ich habe meine Meinung geändert.‘“

„Danke, aber ich habe meine Meinung geändert“, wiederholte sie, aber trotz der sarkastischen Wiederholung seiner Worte klang nichts davon in ihrer Stimme mit.

„Süß.“ Er ergriff ihre Hand, damit sie sich auf ihn konzentrierte – Körperkontakt hatte den tollen Nebeneffekt, dass man vertrauenswürdig erschien, und er brauchte bei ihr jeden Vorteil. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Etwas, das dir sehr vertraut werden wird als alleinerziehende Mutter, glaub mir.“

„Warum hast du dir Sorgen gemacht?“ Sie löste sich nicht von ihm, aber ihr Arm fühlte sich ganz steif an, verriet ihren inneren Aufruhr, und als sie seinem Blick begegnete, spürte er, wie etwas in ihm weich wurde.

„Ich habe während des Auftritts dein Gesicht gesehen. Du hast beim Blick auf dein Telefon gelächelt. Das Wunderdate hatte geantwortet.“

„Wunderdate?“, wiederholte sie und musste trotz allem grinsen. „Das hat er. Aber um ein Wunder zu sein, hätte er auftauchen müssen. Ich habe ihm nicht mal zurückgeschrieben. Du hast dir Sorgen gemacht, dass er doch noch gekommen ist, ich ihm verziehen habe und mit ihm verschwunden bin?“

„Du hattest mindestens drei Mojitos, und ich hatte mein Bestes getan, dich zu verführen, also kann es gut sein, dass ich zu einer schlechten Entscheidung beigetragen habe.“

Leicht verärgert schüttelte sie den Kopf, zog ihre Hand aber nicht weg. „Er hat noch mehrmals geschrieben nach dem Foto. Ich habe nie geantwortet. Als er dann schrieb, er wäre auf dem Weg, habe ich beschlossen zu verschwinden, bevor ich etwas Dummes tue.“

„Erklär, was du damit meinst.“ Er hielt ihre Hand fest und blickte sie weiter an. Das hatte den doppelten Vorteil, dass er ihr Gesicht ohne Make-up sehen und die Faszination ihrer hellblauen Augen genießen konnte.

„Du weißt, was ich damit meine. Dumm war das, was wir getan haben. Was wir tun wollten. Was wir jetzt vielleicht tun!“ Sie entzog ihm ihre Hand, aber die magische Verbindung, die er spürte, hallte noch nach.

„Das war nicht dumm, sondern wäre eine überaus angenehme Pause von der Wirklichkeit gewesen. Du fühlst es.“ Er zeigte auf ihre Hand. „Ich weiß, dass du es fühlst.“

„Das ist einfach Chemie. Das heißt nicht, dass der Rest einfach verschwindet.“

Er nahm ihre Hände und hielt ihrem skeptischen Blick stand. Zwischen ihnen knisterte es weiter, daraus wurde ein hartnäckiges Kribbeln, das entweder mehr Berührung oder eine sofortige Beendigung dieser Situation erforderte.

Mehr.

Dante beugte sich vor, die Ellbogen auf seine Knie gestützt, und hob ihre schmale Hand an seine Lippen, hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel. Dann drehte er sie leicht und hauchte Küsse vom Mittelpunkt ihrer Handfläche zur empfindlichen Innenseite ihres Handgelenks.

Ihr Atem ging schwerer, und als er den Kopf hob und ihr wieder in die Augen sah, war ihr Mund leicht geöffnet, und Erregung verdunkelte ihren Blick.

„Diese Verbindung zwischen uns … Du spürst sie auch. Sex zwischen uns wäre genauso – heiß und atemberaubend. Es ist ziemlich dumm, noch immer darüber zu reden, wenn wir beide wissen, dass es passieren wird.“

„Das weißt du nicht.“ Sie atmete tief durch, blinzelte und entzog ihm sanft, aber entschlossen ihre Hand. Sie wusste es auch, leugnete es jedoch. Er begriff nur nicht, warum. „Und was hast du vorher gemeint?“

„Wann?“

„Als du gesagt hast, dass mir Sorgen noch sehr vertraut werden.“ Lise griff nach jedem Strohhalm, um die erotische Anziehung zwischen ihnen zu zerstören. Der Tag hatte schon schlecht genug angefangen. Und während der OP hatte sie Instrumente fallen lassen, die ausgetauscht werden mussten. Zweimal. Das passierte ihr sonst nie. Jetzt prickelte jede Zelle ihres Körpers, und sie wollte mehr Kontakt mit seiner Haut, mit seinen Lippen … Sie wollte mit ihm tanzen, mit ihm streiten …

Je schneller sie das hinter sich ließen, desto besser. Und eine sarkastische Hexe zu sein, hatte Männer bis jetzt immer davon überzeugt, dass sie den Aufwand nicht wert war, nur Dante nicht. „Willst du damit andeuten, du hast dir um mich Sorgen gemacht, so wie Eltern um ihre Kinder?“

Lise setzte sich ganz gerade hin, was sie sofort bereute. Ihr Nacken und ihre rechte Schulter schmerzten von dem Unfall heute Morgen, und die Bewegung hatte diese Muskeln noch zusätzlich unter Spannung gesetzt.

„Ich weiß, wie das ist. Aber“, sagte er und verzog den Mund, „ich fühle für dich bestimmt nicht wie Eltern für ihr Kind.“

„Du hast Kinder?“

„Jüngere Geschwister. Ich habe sie zusammen mit meinem Bruder großgezogen, nachdem unsere Eltern umgebracht worden waren.“

Nachdem unsere Eltern umgebracht worden waren.

Die Worte fuhren ihr wie ein Stich ins Herz, doch sein attraktives Gesicht zeigte nicht den Hauch eines Gefühls.

Während einer Operation konnte sie in seinen Augen lesen – da hatte sie einen Kontext und zwei Jahre Übung, seine Blicke zu interpretieren. Jetzt war sein Gesicht völlig ausdruckslos und unberührt.

Mit diesem Mann zu sprechen, war gefährlich. Keine Richtung wirkte sicher, aber direkt auf etwas zuzulaufen, das noch immer eine Wunde sein musste, fühlte sich am unsichersten an.

Sprich über die Kinder. „Wie alt?“

„Jetzt oder damals?“

„Damals.“ Obwohl sie bezweifelte, dass er die Elternrolle ganz aufgegeben hatte, egal, wie alt seine Geschwister jetzt auch sein mochten.

„Alejandro ist der Jüngste, er war zehn. Santiago war vierzehn. Rafe und ich waren achtzehn.“

„Du hast einen Zwilling? Es gibt zwei von deiner Sorte?“ Mit dem Zeh stupste sie seinen Fuß an und stellte ihren Fuß neben seinen. Ihre Schuhe berührten sich, wo sie doch eigentlich seine Hand ergreifen wollte und …

„Zweieiig. Nicht identisch.“ Er lächelte und schwieg dann.

Welchen Trost konnte sie nach all diesen Jahren anbieten?

Doch er hatte es ihr nicht erzählt, weil er Trost brauchte. Natürlich schmerzte es noch immer – sie erinnerte sich sofort an den Schock und den Schmerz, als sie ihren Vater verloren hatte, aber das war anders. Seine Geschichte war eine zweifache Katastrophe, Gewalt von anderen ausgeübt, sie hatten nicht einfach beschlossen zu sterben.

Doch offenbar hatte er etwas anderes gemeint. „Du denkst, ich mache einen Fehler, wenn ich meinen Schwangerschaftsplan verfolge, weil ich keine Familie habe.“

Das überraschte ihn offenbar. Er wusste wirklich nichts über sie.

„Du hast keine Familie?“ Besorgnis lag in seiner Stimme. „Überhaupt keine?“

Lise seufzte. „Es ist egal. Ich werde mich davon nicht abhalten lassen, eine Familie zu gründen.“

Es klopfte an der Tür und unterbrach, was er hatte sagen wollen. Dante stand auf, sein Körper so flüchtig nah – so wie nach dem Kuss, als er über ihr aufgeragt war, die Hände in ihren Haaren vergraben, und die Anziehung zwischen ihnen so stark war, dass die anderen Leute im Club sie gespürt hatten.

Ihre Zunge klebte ihr am Gaumen, und sie wollte zu ihm aufsehen, doch sofort strahlte glühender Schmerz in ihren rechten Arm aus. Sie senkte ihr Kinn wieder, und er ging um sie herum zur Tür.

„Hallo, Dr. Valentino. Ich wollte nur nachfragen, ob Sie von Lise Bradshaw gehört haben. Wollen Sie disziplinarische Maßnahmen einleiten?“, fragte eine weibliche Stimme auf der anderen Seite der Tür und klang viel zu fröhlich, wenn man bedachte, was sie gerade gesagt hatte.

Disziplinarische Maßnahmen?

Wer war das? Jemand aus der Personalabteilung?

Lise bewegte den Kopf, um an ihm vorbeizusehen, doch Dantes Körper blockierte die schmale Öffnung der Tür.

„Sie kam kurz nach dem Telefonat vorhin. Disziplinarische Maßnahmen sind unnötig. Das war ihre erste Verspätung, und sie hatte eine sehr gute Entschuldigung dafür.“

Dabei hatten sie noch nicht einmal darüber gesprochen, warum sie zu spät gekommen war. War der Mann eigentlich allergisch gegen die Wahrheit?

Doch das war noch nicht alles. „Aber es ist gut, dass Sie vorbeigekommen sind. Ich möchte gern, dass der Papierkram erledigt wird, um Schwester Bradshaw Vollzeit in mein Team zu versetzen.“

Sie kamen zu einer Art Übereinkunft, bevor Dante die Tür schloss und sich wieder zu ihr setzte.

„Woher weißt du, dass ich eine gute Entschuldigung hatte? Ich habe dir nicht erzählt, warum ich zu spät dran war.“

„Du gehörst nicht zur unpünktlichen Sorte.“ Sein Telefon klingelte, und er hob einen Finger, warf einen Blick auf das Display und sagte: „Die Aufwachstation. Ich bekomme alle zwanzig Minuten eine Statusmeldung.“

Ein weiterer Grund, aus dem sie in die andere Richtung rennen sollte: Er hatte nicht einmal gefragt, ob sie in sein Team wechseln wollte, er brachte einfach den Stein ins Rollen.

Dante legte auf und steckte sein Telefon wieder in seine Brusttasche. „Also, du wolltest sagen?“

„Ich habe gefragt, warum du gelogen hast. Denn du hast nie gefragt, warum ich zu spät dran war.“

„Niemand wird es infrage stellen. Es bleibt unser Geheimnis. Ich habe dir lediglich einen Vertrauensbonus gegeben.“

„Ich mag keine Geheimnisse. Und du hast zugegeben, dass du Zweifel hattest.“ Einem erwachsenen Mann einen Vortrag über Ehrlichkeit zu halten, war Zeitverschwendung, und doch … vor diesem Morgen hätte Lise nie gedacht, dass es ihr Spaß machen könnte, mit jemandem zu streiten, doch so war es.

„Du hast recht. Sag mir, warum du dich verspätet hast.“

„Weil mir heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit jemand hinten draufgefahren ist“, erzählte sie. „Was, genau genommen, eine gute Entschuldigung ist. Aber der Punkt ist …“

„Du hattest einen Autounfall auf dem Weg zur Arbeit?“, bremste er sie aus – wie der Fahrer vor ihr, weswegen ihr jemand hinten draufgefahren war. „Du hattest einen Unfall und warst nur etwa fünfzehn Minuten später als sonst? Hast du dich untersuchen lassen? Hast du deswegen die Instrumente fallen lassen und reibst dir immer wieder die Schulter?“

Er fluchte leise und wartete gar nicht auf ihre Antwort, stand einfach auf, ging um ihren Stuhl herum und fuhr mit den Fingern ihre Wirbelsäule entlang.

Dieser Mann wechselte innerhalb einer Sekunde von grinsend und selbstbewusst in den „wütender Arzt“-Modus. Da konnte sie nicht mithalten.

„Es tut nur ein bisschen weh. Ich musste nicht aus meinem Auto herausgeschnitten werden, nur mein hinterer Stoßdämpfer ist abgefallen. Ich wurde nach vorn geschleudert, aber es geht mir gut. Es ist bloß etwas empfindlich.“

„Trotzdem muss es überprüft werden.“ Er fluchte erneut und umfasste ihr Kinn, sein langer Zeigefinger und der Daumen hielten ihren Unterkiefer, während seine Handfläche und die restlichen Finger ihren Hals umfassten.

„Was machst du da?“

„Ich halte dich davon ab … Halt den Kopf still!“, grummelte er, und dann sagte er etwas anderes – zweifellos in sein Telefon, da er nicht mit ihr sprach.

„Mein Genick ist nicht gebrochen.“

Radiologie? Er rief in der Radiologie an. Sollte sie jetzt amüsiert oder verärgert sein? „Ich muss nicht geröntgt werden.“

„Du könntest ein Schleudertrauma haben und stolzierst herum, als wäre nichts.“

„Ich bin nicht stolziert!“ Wieder versuchte sie, zu ihm aufzusehen, und Dante ließ sein Telefon in ihren Schoß fallen, damit er ihren Hals besser umfassen konnte.

„Ich war sowieso schon spät dran, dann haben wir die OP durchgeführt, und danach bin ich gleich hergekommen, wie du wolltest. Wann hätte ich mich durchchecken lassen sollen? Hätte ich angerufen und gesagt: ‚Oh, Dr. Valentino, ich glaube, ich muss einen Arzt aufsuchen, ich fühle einen Schmerz von fünf auf der Schmerzskala von eins bis zehn. Ist es in Ordnung, wenn ich Ihre Neuroendoskopie sausen lasse?‘, wärst du ausgeflippt.“

Diese Art von Gespräch hätte es vor letzter Woche nie gegeben. Sie war sonst immer ihr professionelles, antiseptisches Arbeits-Ich. Sie mochte es ruhig und sicher – und hatte bisher immer alles unter Kontrolle gehabt.

Mit einer Hand nahm er sein Telefon von ihrem Oberschenkel und wählte erneut. Jetzt ließ er jemanden mit einem Rollstuhl und einer mittelgroßen Halskrause kommen.

„Halt die Klappe, Lise“, grummelte er, ließ seine Hand an der Seite ihres Halses ruhen. „Du hast mir gerade erzählt, dass du keine Familie hast, die sich um dich kümmert oder dafür sorgt, dass du dich um dich selbst kümmerst. Darum wirst du jetzt geröntgt, und wenn die Aufnahmen in Ordnung sind, kannst du nach Hause und dich den restlichen Tag ausruhen. Obwohl du dir eine Massage für die Schulter organisieren solltest, denn heute tut es vielleicht nur etwas weh, aber morgen wird es die Hölle sein.“

„So zerbrechlich bin ich nicht.“

„Aber dafür stur.“

„Und ich bin ja so froh, dass wir nicht übertreiben.“

4. KAPITEL

„Wow, Bradshaw, du siehst schlimmer aus als erwartet.“

Mit mehreren Einkaufstüten in der Hand stand Dante vor Lises Tür und sprach Worte aus, die jede Frau von einem Mann hören wollte, den sie nicht mehr länger nur heimlich begehrte.

„Vielleicht ist mein Hals heute Morgen steif, und vielleicht funktioniert meine Schulter nur unter schrecklichen Schmerzen. Aber müssen wir noch mal ein kleines Gespräch über Unhöflichkeit führen?“ Ihr finsterer Blick hatte zweifellos seine Wirksamkeit verloren, da sie ihm nicht in die Augen schauen konnte, ohne innerlich dahinzuschmelzen.

„Nein, du musst nur sagen: ‚Dante, mein Freund, du hattest recht, als du dir nach meinem Unfall Sorgen um mich gemacht hast.‘“

Er streckte seine mit Tüten beladenen Arme aus und trat vor, wodurch sie instinktiv zurückwich.

„Schadenfreude ist nicht gerade attraktiv. Bitte sag mir, dass du die Medikamente bekommen hast.“ Steif ging sie in die Küche, erwartete, dass er ihr folgte.

„Du solltest freundlicher sein zu deinem Ritter in glänzender Rüstung“, erwiderte er, aber sie hörte, wie die Tür zufiel und abgeschlossen wurde, dann Schritte hinter sich.

„Ich werde ausgesprochen nett sein, sobald du meine Wohlfühlmedikamente rausrückst.“

Vorsichtig stellte Dante die Tüten ab, bevor er eine kleine Papiertüte herausholte und leicht schüttelte. „Die du nicht haben würdest, wenn …?“

„Du sie nicht für mich abgeholt hättest.“ Auch wenn ihr Stolz darunter litt, dass sie überhaupt um Hilfe bitten musste.

Sie griff nach der Tüte, doch er zog sie aus ihrer Reichweite.

„Und?“

„Wenn du mich gestern nicht gezwungen hättest, mich untersuchen zu lassen. Bist du jetzt glücklich?“ Lise schnappte sich die kleine Tüte. Sofort fuhr glühender Schmerz in ihre Schulter und ihren Hals.

„Glücklich ist vielleicht etwas übertrieben. Aber du hast wirklich schlechte Laune.“ Er nahm die verderblichen Lebensmittel, um sie in den Kühlschrank zu räumen.

Dann schluckte Lise endlich die Tabletten.

Sobald sie das Glas auf der Arbeitsfläche abstellte, wurde ihr eine halbgeschälte Banane in die Hand gedrückt. „Du weißt, dass man Entzündungshemmer nicht auf nüchternen Magen nehmen soll. Iss die, wenn du dich nicht in einer halben Stunde schlechter fühlen möchtest.“

Murrend biss sie in die Banane. Schlechte Laune beschrieb nicht einmal ansatzweise, wie sie sich heute fühlte – dabei hatte sie sich auf ihn gefreut. Toll, jetzt hatte sie auch noch den Verstand verloren und nicht nur die Fähigkeit, nach links zu schauen.

„Es sieht aus, als würden in deinen Haaren Eichhörnchen ein Nest bauen.“ Sein neckender Tonfall besänftigte ihre Verärgerung etwas.

„Ich kann mich nicht richtig kämmen und habe bis eben auf dem Sofa geschlafen. Sexy, findest du nicht?“

„Ich hätte gesagt ‚niedlich‘, aber du bist so mürrisch, dass es den Niedlichkeitsfaktor irgendwie wieder aufhebt.“ Er streckte die Hand aus und kämmte mit den Fingern durch ihre Haare; die sanfte Berührung ging ihr durch und durch.

Am liebsten hätte sie sich an ihn gelehnt und sich von ihm trösten lassen. Doch es wäre dumm gewesen, ihr freundschaftliches Verhältnis zu gefährden. Dumm und gefährlich.

„Wenn du möchtest, kämme ich es für dich.“

Die Vorstellung, dass er ihr die Haare kämmte, war ihr auf einmal zu intim. Dieses Gefühl überrollte sie lawinenartig, als sie die pinkfarbenen Schachteln sah, die er diskret zur Seite schob.

Tampons.

Ihr Magen zog sich zusammen, und sie verschluckte sich beinahe an ihrer Banane. „Die hatte ich ganz vergessen …“

Warum hatte sie ihn gebeten, die zu besorgen?

Weil sie sauer gewesen war, dass er recht gehabt hatte.

Weil er nicht zu selbstzufrieden sein sollte, dass sie seine Hilfe brauchte.

Weil sie nicht wollte, dass es zukünftig einfach war, Hilfe anzunehmen, und weil sie dachte, dass er dann zweimal überlegte, bevor er ihr seine Hilfe anbot.

„Was schulde ich dir?“

Dante warf ihr einen Seitenblick zu. „Mach dir keine Gedanken. Auch wenn du mich … was? Getestet hast?“

„Nein. Höchstens ein bisschen. Hauptsächlich habe ich mich elend gefühlt und war wütend, und ich dachte, dann bringst du die Sachen vorbei und gehst gleich wieder, ohne Wurzeln zu schlagen. Es war kindisch, aber du hast keine Ahnung, wie frustrierend es ist, wenn man sich plötzlich nicht mehr um sich selbst kümmern kann, nachdem man das praktisch sein ganzes Leben lang getan hat. Und du warst so …“ Sie ging zum Tisch, wo ihre Handtasche lag, kramte darin herum und holte ihr Telefon heraus. „… komisch nett. Das macht mich misstrauisch. Sag mir die Summe und deine E-Mail-Adresse, damit ich dir das Geld überweisen kann.“

Das war nicht Teil seines Plans. Freunde mussten nicht entschädigt werden, darum wechselte er das Thema.

Er nahm ihr das Telefon weg und legte es auf den Tisch, dann dirigierte er sie ins Wohnzimmer. „Ich habe dich für Donnerstag eingetragen, und das wird keine leichte Operation, also kannst du beruhigt sein, ich bin aus rein egoistischen Gründen hier. Ich brauche dich bei dieser OP, und zwar fit.“ Das war nicht gelogen, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Was Lise anging, verfolgte er einen neuen Plan. „Hast du einen Termin für eine Massage gemacht?“

Im Wohnzimmer schob er sie zum Sofa und bedeutete ihr, dass sie sich setzen sollte, was sie auch tat.

„Habe ich, aber vor morgen Nachmittag war kein Termin frei. Und wenn es morgen noch so schlimm ist, glaube ich nicht, dass eine einfache Massage zwölf Stunden vor der Operation hilfreich sein wird. Du solltest vielleicht jemand anderen eintragen, oder du wartest bis Donnerstag und setzt dann Sandy ein, wenn ich noch immer nicht richtig arbeiten kann.“

„Oder du lässt mich da ran. Ich kann es nicht schlimmer machen.“ Er setzte sich neben sie und lehnte sich an die großen, plüschigen Kissen. So viel besser als sein Sofa …

„Also geht es hier nur um Arbeit.“

Autor

Dianne Drake
Diane, eine relative neue Erscheinung im Liebesromanbetrieb, ist am meisten für ihre Sachliteratur unter dem Namen JJ Despain bekannt. Sie hat mehr als sieben Sachbücher geschrieben, und ihre Magazin Artikel erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Zusätzlich zu ihrer Schreibtätigkeit, unterrichtet Dianne jedes Jahr in dutzenden von Schreibkursen. Dianne`s offizieller Bildungshintergrund besteht...
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