Julia Ärzte zum Verlieben Band 123

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SAG MIR NUR DREI WORTE! von AMY RUTTAN
Nach nur einer einzigen unvergesslichen Liebesnacht mit Dr. Dante Affini entdeckt Shay schockiert: Sie erwartet ein Kind von dem sexy Chirurgen! Prompt verlangt er, dass sie ihn heiratet. Doch sie will keine Ehe ohne Liebe. Und auf die drei Worte wartet sie vergeblich …

ZWEI HERZEN IN GEFAHR von ROBIN GIANNA
Ausgerechnet Dr. Ferrera! Bei einem Hilfseinsatz in Peru muss Anästhesistin Annabelle für den Mann arbeiten, der beinahe ihre Karriere ruiniert hat. Sofort sprühen die Funken. Funken der Wut - und der Leidenschaft. Denn trotz allem ist Dr. Ferrera gefährlich attraktiv …

ÜBERRASCHUNG FÜR DR. SAINT von LOUISA HEATON
Dr. Sam Saint hat nach einem Autounfall die Erinnerung verloren. Das Einzige, was er weiß: Die honigblonde Schöne an seinem Bett ist seine Frau … und sie ist schwanger! Eigentlich ein Grund zur Freude. Aber er spürt, dass Emily etwas Entscheidendes vor ihm verbirgt …


  • Erscheinungstag 08.03.2019
  • Bandnummer 0123
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713478
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amy Ruttan, Robin Gianna, Louisa Heaton

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 123

AMY RUTTAN

Sag mir nur drei Worte!

Dr. Dante Affini muss vor seinem nächsten Geburtstag heiraten und innerhalb des ersten Ehejahres ein Kind zeugen, sonst verliert er sein Erbe! Da kommt es ihm gerade recht, dass sein One-Night-Stand mit Schwester Shay ungeahnt süße Folgen hat. Dumm nur, dass Shay keine Pflichtehe will – und Dante nach seiner Scheidung der Liebe abgeschworen hat!

ROBIN GIANNA

Zwei Herzen in Gefahr

Nur wegen ihrer Schönheit hat Annabelle Karriere als Anästhesistin gemacht! Davon ist Dr. Daniel Ferrera überzeugt. Bis er sich während eines Hilfseinsatzes eingestehen muss, dass er sich getäuscht hat – und dabei ist, sein Herz an die engagierte Ärztin zu verlieren. Aber auch wenn Annabelle seine Gefühle erwidert, scheint ihrem Glück keine Zukunft vergönnt zu sein …

LOUISA HEATON

Überraschung für Dr. Saint

Zehn Tage nach einem schweren Autounfall erwacht Emilys Ehemann Sam endlich aus dem Koma! Als sie ihm zögernd gesteht, dass sie sein Kind unter dem Herzen trägt, strahlt er glücklich. Irritiert fragt sie sich: Weiß er nicht mehr, dass sie kurz vor der Trennung standen? Oder hat er seine Meinung geändert, und ihre Liebe bekommt unerwartet eine neue Chance?

PROLOG

„Das war der langweiligste Redner, dem ich je zuhören musste.“ Shay nippte an ihrem Ananascocktail und blickte zu Dr. Dante Affini hinüber, der aus demselben Grund in Honolulu war wie sie: um an der Konferenz zur Trauma-Simulation teilzunehmen.

Sie fand, dass sie ein bisschen zu laut redete. Das passierte ihr immer in Gegenwart eines überwältigend attraktiven Mannes. Und Dr. Dante Affini sah umwerfend gut aus. Ein paar Tage in seiner Gesellschaft, und sie hätte vergessen können, warum sie hier war! Dazu die tropische Umgebung mit ihren verschwenderischen Farben und Düften …

Ein Paradies.

Wie immer hatte sie vorgehabt, sich in die Arbeit zu stürzen, doch dann war ihr der italienische Chirurg über den Weg gelaufen. Als er sie nach dem Weg fragte, stellte sie fest, dass er dieselben Vorträge besuchen wollte wie sie, und seitdem waren sie unzertrennlich. Nicht dass Shay etwas dagegen hatte. Dante sah fantastisch aus, war charmant, klug – und Single.

Ihr wurde heiß. Was dachte sie da? Sie fing nie was mit Ärzten an. Bei Dante fiel es ihr allerdings schwer, ihrem Prinzip treu zu bleiben.

Er sah nicht auf sie herab, weil sie Krankenschwester war. Sonst blieben die Pflegekräfte bei solchen Tagungen unter sich und die Ärzte auch. Dante schien eine Ausnahme zu sein. Einladungen seiner Kollegen zum Dinner, zu einem Drink oder Golfspiel hatte er abgelehnt, um Zeit mit Shay zu verbringen. Sie hatten sich die Vorträge gemeinsam angehört und schienen den gleichen Ansatz in der Medizin zu verfolgen.

Inzwischen neigte sich die Konferenz ihrem Ende zu, und es war Dantes Idee gewesen, den Tag bei einem Drink ausklingen zu lassen.

Für gewöhnlich nahm sie solche Einladungen nicht an. Aber dies war eine Art Urlaub, warum sollte sie sich nicht ein bisschen Vergnügen gönnen? Schließlich hatte sie in den letzten beiden Jahren nur gearbeitet.

, es war wirklich schrecklich.“ Er schüttelte sich und trank einen Schluck Ananassaft, bevor er sich umdrehte und aufs Wasser hinausblickte. „Was für ein herrlicher Abend.“

„Vor allem die frische Brise. Im Saal war es furchtbar stickig.“

„Ja, sehr unangenehm.“ Mit einer ausholenden Geste deutete er auf die Umgebung. „Dagegen ist es hier geradezu paradiesisch.“

Wie recht er hatte. Der letzte Schein der untergehenden Sonne lag wie flüssiges Gold auf dem türkisblauen Meer, Palmen wiegten sich sanft im Wind, und am Himmel zog die Dämmerung herauf. Bald würden unzählige Sterne dort oben funkeln.

„Ich wünschte, ich hätte Zeit gehabt, mir die Insel näher anzusehen“, sagte Shay nachdenklich. „Seit ich für die United World Wide Health Association arbeite, reise ich zwar mehr als früher, aber viel Freizeit ist da nicht drin. Es gibt immer so viel zu tun.“

„Das ist doch kein Leben.“

„Mag sein, aber ich liebe meine Arbeit in der Hilfsorganisation.“

Dante lächelte sie an, ein wenig schief und unwiderstehlich sexy. Ein Lächeln, das ihr mit jedem Tag vertrauter geworden war. Sie würde es vermissen, wenn die Konferenz vorbei war.

„Ach, was rede ich da, cara? Für mich ist die Arbeit auch das Wichtigste.“

„Wer im Glashaus sitzt …“, neckte sie.

„Trotzdem finde ich, dass du dir bei deinen Einsätzen freie Zeit gönnen solltest.“

Shay zuckte mit den Schultern. „Das stimmt, aber die letzten Male habe ich in Entwicklungsländern nach einer Naturkatastrophe geholfen. Da ist es nicht gerade ratsam, sich abends vom Lager zu entfernen, um sich die Gegend anzusehen.“

Er lächelte wieder. „Habe ich dir schon gesagt, wie mutig du bist, cara? Bewundernswert.“

Ihr stieg das Blut in die Wangen. Sie hätte ihm die ganze Nacht lang zuhören können. Dante sprach fließend Englisch, aber der weiche italienische Akzent verlieh seiner tiefen Stimme einen faszinierenden Klang.

„Ich mache nur meine Arbeit“, wehrte sie das Lob ab. Alles, was sie für Menschen in Not tat, geschah im Gedenken an ihre Mutter, die an den Folgen von Hurrikan Katrina gestorben war.

Ihr Tod hatte in Shay einen Entschluss reifen lassen. Um ihr Ziel zu erreichen, musste sie hart arbeiten. Heute bildete sie mittels Trauma-Simulationen Krankenschwestern und Ersthelfer aus, damit sie in Krisen- und Katastrophengebieten Leben retten konnten. Denn nur darum ging es. Leben zu retten.

„Du tust mehr als das, cara. Dir liegen die Menschen am Herzen, und das macht dich zu etwas Besonderem.“ Sein Lächeln verschwand, und er drehte den Strohhalm seines Drinks in den langen, schlanken Fingern. „Das kann ich nicht von jedem behaupten.“

Shay war froh darüber, dass die Dämmerung einsetzte, sonst hätte er gesehen, wie sie rot wurde.

Schon lange nicht mehr hatte sie bei einem Mann dieses sinnliche Prickeln verspürt wie bei Dante. Unter anderen Umständen wäre sie auf Distanz gegangen, aber da sie ihn kaum jemals wiedersehen würde, ließ sie sich darauf ein. Was konnte ein harmloser Flirt schon schaden?

Nicht dass sich zwischen uns etwas anbahnen wird …

Sagt wer?

„Danke“, antwortete sie schließlich und beendete den frivolen inneren Dialog.

„Komm“, meinte er überraschend und stellte sein Glas auf dem Tresen ab. „Gehen wir auf Entdeckungsreise.“

„Wie bitte?“

„Es ist unser letzter Abend im Paradies. Lass uns an den Strand gehen, am Wasser entlang, damit du wenigstens ein bisschen mehr erlebst als nur Arbeit.“

„Ach, ich weiß nicht …“ Sie blickte zu Dante auf, der nun vor ihr stand, mit blitzenden dunklen Augen, während der Wind mit seinem schwarzen Haar spielte und das weiße Hemd an seine Brust drückte, sodass die Muskeln sich darunter abzeichneten. Seine gebräunte Haut schimmerte im schwindenden Tageslicht, und sein Lächeln war unwiderstehlich.

„Was ist mit dem Lu’au?“, wandte sie ein. „Sollten wir nicht teilnehmen, schon allein, um die beruflichen Kontakte zu vertiefen? Du bist von weither angereist, hast du kein Interesse am Netzwerken?“

„Was ich an Kontakten geknüpft habe, reicht für ein ganzes Leben. Ich möchte ein einziges Mal nicht über Medizin reden. Es ist ein wundervoller Abend, komm, genießen wir ihn.“

„Na gut.“ Sie trank ihr Glas leer, stellte es neben seins und griff nach Dantes Hand. Eine starke Hand. Shay war überrascht, wie geborgen sie sich fühlte, als seine Finger sich um ihre schlossen. Flüchtig machte sie sich Gedanken wegen ihrer sehr kurzen Nägel und der von körperlicher Arbeit rauen Handfläche. Manchmal beneidete sie andere Frauen um ihre gepflegten Hände, das perfekt frisierte Haar und die eleganten Outfits, die nicht zerrissen oder voller Flecken waren. Oft lief Shay auch nur in OP-Kleidung herum!

Dante schien es nichts auszumachen.

Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass er in dieser Woche seine gesamte freie Zeit mit ihr verbracht hatte. Ein Chirurg und eine Krankenschwester.

Genieße es einfach. Lebe den Moment.

Sie verließen die Bar und gingen auf einem gewundenen Pfad zum Strand hinunter. Verlassen lag er da, nur das Plätschern der Wellen war zu hören. Wundervoll.

„Warte mal.“ Shay ließ Dantes Hand los.

„Was hast du vor?“

„Ich laufe lieber barfuß als mit Sandkörnchen in den Schuhen.“

Er lachte leise. „Gute Idee.“

Gleich darauf schlenderten sie weiter, jeder sein Paar Schuhe in der Hand. Sanft umspielte das schaumige Meerwasser ihre nackten Füße, und die laue Abendluft streichelte ihre Haut.

Einen schöneren Abschluss der Konferenz hätte Shay sich nicht wünschen können. Morgen würde sie nach New Orleans zurückfliegen und wenige Tage später zu ihrem nächsten Hilfseinsatz im Mittleren Osten aufbrechen. Ständig in Bewegung, nicht stehen bleiben, nirgends Wurzeln schlagen. Zwar kehrte sie stets wieder nach New Orleans zurück, doch die Stadt war kein echtes Zuhause mehr, seit ihre Mutter gestorben war. Shay wusste auch nicht, warum sie immer wieder dorthin zurückging.

„Du wirkst auf einmal so traurig, cara.“

Seine warme, tiefe Stimme und die Art, wie er „cara“ zu ihr sagte, ließen ihre Haut prickeln wie bei einer zärtlichen Berührung.

„Ich habe nur daran gedacht, wie wundervoll diese Woche war“, sagte sie und seufzte leise. „Wie froh ich bin, dass ich dich kennengelernt habe, Dante.“

Lächelnd strich er ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange. „Ich habe die Zeit mit dir auch sehr genossen, cara.“

Ihr Puls begann zu rasen, und sie schloss die Augen, als ihr Herz einen Schlag aussetzte. Bevor sie antworten konnte, spürte sie seine warmen Lippen auf ihrem Mund.

Shay ließ ihre Schuhe in den Sand fallen, schlang beide Arme um Dante, schmiegte sich dicht an ihn.

Dante vertiefte den Kuss, forschend und leidenschaftlich, und sie erbebte vor Lust.

„Shay“, flüsterte er an ihren Lippen, während er ihr Gesicht mit beiden Händen umfasste. „Es tut mir leid, ich kann nicht anders. Du bist betörend schön, so wundervoll …“ Wieder küsste er sie.

„Ich möchte nicht, dass es endet“, wisperte sie ihm ins Ohr, als er sie fest an sich drückte und begehrend über ihren Rücken strich.

„Ich auch nicht.“

Sie suchte seine Hand. „Lass uns zu dir gehen …“

„Bist du sicher, cara?“

„Ja. Wir haben nur diese Nacht. Ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung, Dante.“

Nur nach Leidenschaft, unvergesslicher Leidenschaft. Shay sehnte sich unbeschreiblich danach, sie in Dantes Armen zu finden.

Er lächelte. „Machen wir diese Nacht zu unserer.“

Dante nahm ihre Hand, sie hoben die Schuhe auf und gingen zum Hotel zurück, in sein Zimmer.

Dante wusste nicht, was er sich dabei gedacht hatte, Shay zu küssen. Der Wunsch, ihr nahe zu sein, sie zu berühren, hatte alles andere in den Hintergrund gedrängt. Der tropische Abendhauch blies ihr die honigblonden Strähnen in das herzförmige Gesicht, und er konnte ihrem verführerischen Charme einfach nicht widerstehen.

Dabei wollte er mit Frauen nichts mehr zu tun haben, nachdem Olivia ihm das Herz gebrochen hatte. Liebe bedeutete, die Kontrolle zu verlieren, und Dante hasste es, zum Spielball der Launen anderer zu werden.

Bei Shay jedoch schien all das bedeutungslos zu werden. Ihre warmen braunen Augen strahlten eine Wärme und Freundlichkeit aus, der er sich nicht entziehen konnte. Je besser er sie kennenlernte, desto entspannter fühlte er sich bei ihr. Mehr noch, er, der bei Frauen stets auf Distanz achtete, suchte bei jeder Gelegenheit ihre Nähe.

Cara, ich will dich so sehr“, flüsterte er an ihrem Hals.

„Ich dich auch.“ Ihr warmer Atem streichelte erregend seine Haut.

Nur eine Nacht. Sie will nur eine Nacht.

Sein Herz stand nicht auf dem Spiel.

Du bist nicht dein Vater, bist nicht verheiratet, tust niemandem weh. Ein Motto, nach dem sein jüngerer Bruder Enzo lebte. Warum konnte er das nicht auch, wenigstens für eine Nacht?

Shay seufzte leise, als er mit den Händen durch ihr seidiges Haar strich, und schlang die Arme um ihn. Mit ihren schlanken Fingern liebkoste sie seinen Nacken.

Mio Dio. Ja, er konnte ihr diese Nacht schenken. Eine Nacht war nicht für immer.

Ganz sicher nicht.

1. KAPITEL

Dante ballte in den Taschen seines Arztkittels die Fäuste. Sonst die Selbstbeherrschung in Person, hatte er gerade Mühe, sein Temperament zu zügeln. Er war wirklich nicht in der Stimmung, den Pflegeexperten aus den USA zu begrüßen und mit ihm zusammen das Simulationslabor zu leiten. Damit nicht genug, sollte der ihm auch noch die nächsten zwölf Wochen als OP-Pfleger zur Seite stehen.

Drei Monate, das hörte sich vielleicht nach wenig an, aber wenn er sich mit diesem Pfleger nicht verstand, konnten sie ewig lang werden!

Zuletzt hatte er vor zwei Jahren mit einer Amerikanerin von der United World Wide Health Association zusammengearbeitet. Was für ein Albtraum! Sie war nicht nur völlig unorganisiert, sondern auch so unselbstständig gewesen, dass sie ihn mit ihren Fragen fast in den Wahnsinn getrieben hatte.

Das muss nicht für jeden Amerikaner gelten.

Seine Laune besserte sich, als er an Shay und jene leidenschaftliche Nacht in Oahu dachte. Shay war eine Amerikanerin, an deren Nähe er sich hätte gewöhnen können. Selbst jetzt, Monate später, konnte er immer noch ihre weichen Lippen auf seinen spüren.

Allerdings war sie längst bei ihrem nächsten Einsatz, und er musste sich mit einem Fremden herumschlagen. Jemandem, dem er nicht vertraute. Was ihn wieder daran erinnerte, warum er eine miserable Laune hatte.

Sein Vater. Auch jemand, dem er absolut nicht trauen konnte.

Gestern Abend mussten sein jüngerer Bruder Enzo und er beim Essen erfahren, dass ihr Vater, Fürst Marco Affini, erneut Ländereien der Familie verkauft hatte. Und als Nächstes nahm er das Land ins Visier, das seine verstorbene Frau ihren Söhnen hinterlassen hatte. Noch konnte er seine gierigen Finger nicht danach ausstrecken. Wenn Dante und Enzo vor ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr heirateten und innerhalb ihres ersten Ehejahres einen Erben zeugten, gehörte es für immer ihnen. Natürlich hatte Enzo seinen Bruder sofort darauf hingewiesen, dass er in wenigen Monaten fünfunddreißig wurde – ohne eine zukünftige Braut in Sicht.

Dante war sich schmerzlich bewusst, dass seiner Villa auf dem Lido di Venezia, die seinem Großvater mütterlicherseits gehört hatte, der Verkauf drohte. Das Anwesen lag zehn Minuten mit der Fähre von Venedig entfernt und war auch Teil von Dantes Erbe. Der Ehevertrag zwischen seiner Mutter, einer Bürgerlichen, und seinem blaublütigen Vater bestimmte, dass er es nur antreten konnte, wenn er gewisse Bedingungen erfüllte.

Wie Enzo richtig bemerkt hatte, näherte sich Dantes fünfunddreißigster Geburtstag mit Riesenschritten, ohne eine Chance, sein Erbe noch zu retten.

Und wessen Schuld war das? Seine eigene. Nach der abgrundtiefen Enttäuschung mit Olivia reizte es ihn absolut nicht mehr zu heiraten.

Doch wenn er es nicht tat, verlor er alles, was seine verstorbene Mutter ihm zugedacht hatte. Einschließlich seines geliebten Weinguts in der Toskana.

Es war der ganze Stolz seines Großvaters gewesen, der dort mit Leidenschaft edle Reben angebaut hatte. Obwohl die Familie viel Geld besaß, war er sich nicht zu schade, im Weinberg mit anzupacken. Genau wie Dante. Er liebte es, Leben zu retten, und er liebte sein toskanisches Erbe, hatte selbst auf dem Land mitgearbeitet.

Die Vorstellung, dass es bald jemand anderem gehörte, war schwer zu ertragen.

Dante stürzte den Espresso hinunter, den er sich auf dem Weg in den Vortragssaal geholt hatte, wo er die Krankenschwestern und Ersthelfer der Hilfsorganisation begrüßen würde. In diesem Krankenhaus lernten sie, was sie wissen mussten, um in allen Teilen der Welt die medizinische Versorgung zu sichern.

Dante bewunderte sie für ihren Einsatz. Deshalb durfte er seinen Frust auch nicht an ihnen auslassen. Er holte tief Luft und fuhr sich durchs Haar. Als er flüchtig in den Spiegel blickte, fluchte er insgeheim, weil er es versäumt hatte, sich zu rasieren. Auch die dunklen Schatten unter seinen Augen gefielen ihm nicht, aber er hatte letzte Nacht nun einmal nicht viel Schlaf bekommen.

Die einzige Chance, das für ihn bestimmte Land zu retten, hatte ihn sein Herz gekostet. Damals schwor Dante sich, nie wieder in diese Falle zu tappen. Er musste sich eben nur damit abfinden, dass er alles verlieren würde.

Er mochte gar nicht daran denken, dass er auch seinen Bruder im Stich ließ und seine Mutter untröstlich wäre.

Sein Vater würde alles verkaufen, und Dante müsste sich innerhalb weniger Monate ein neues Zuhause suchen. Er schüttelte den Kopf, versuchte, die düsteren Gedanken zu vertreiben. Als Chefarzt der Trauma-Abteilung im Ospedale San Pietro musste er sich charmant und freundlich zeigen.

Dante öffnete die Tür zum Vorraum. „Ciao, ich bin Dr. Dante Affini, Leiter der …“

Die Krankenschwester drehte sich um, und Dante traute seinen Augen nicht. Es war Shay!

Sie sah hinreißend aus. Ihre Wangen waren sanft gerötet, und sie schien von innen heraus zu strahlen. Das honigblonde Haar war kürzer, als er es in Erinnerung hatte, aber die Bobfrisur betonte ihr süßes herzförmiges Gesicht. Ihre dunkelbraunen Augen waren voller Wärme, genau wie ihr Lächeln, und ihre rosigen Lippen weich und einladend. „Hallo, Dante.“

„Shay?“ Er lächelte verwundert. „Was machst du denn hier? Ich dachte, Daniel Lucey leitet den pflegerischen Teil des Trainings.“

„Das war auch so geplant, aber er ist verhindert, und da bin ich eingesprungen. Es war eine gute Gelegenheit, einen leichteren Job anzunehmen.“

„Das sagst du, cara? Du scheust doch keine Herausforderung.“

Sichtlich verlegen strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. „Das stimmt, aber ich habe keine andere Wahl. Dante, ich habe diesen Auftrag angenommen, weil ich … schwanger bin.“

Schwanger. Shay bekam ein Baby?

Einen Moment lang war er nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte. Dann traf ihn der nächste Gedanke mit Wucht.

„Ist es … von mir?“

„Ja.“

Ein Baby. Jener Abend in Oahu, als er so dumm gewesen war, einem Moment der Schwäche nachzugeben, hatte Folgen gehabt.

Dante rieb sich mit einer Hand übers Gesicht. Warum hat sie mir nichts davon gesagt? Bin ich wirklich der Vater? Olivia hatte ihn ebenfalls glauben lassen, dass ihr Kind von ihm war. Dabei war sie bereits von einem anderen schwanger gewesen, als sie mit Dante ins Bett ging. Er war wütend. Wütend auf sich selbst. Eine Woche und eine heiße Nacht genügten nicht, um jemanden richtig kennenzulernen. Und ganz bestimmt reichten sie nicht, um vertrauen zu können.

Die Röte auf ihren hellen Wangen vertiefte sich. „Ich habe diesen Job angenommen, um es dir persönlich zu sagen.“

„Warum hast du es mir nicht eher erzählt? Bevor du herkamst? Du weißt es seit Monaten.“

„Es tut mir leid, Dante, aber ich habe auch erst vor Kurzem herausgefunden, dass ich in der sechzehnten Woche schwanger bin.“

„Und das soll ich dir glauben?“

Sie zuckte zusammen. „Ja. Ich war in einem Kriegsgebiet eingesetzt. Da meine Periode noch nie regelmäßig kam, schob ich es auf den Stress und die Reise, als sie ausblieb. Irgendwann dauerte es mir aber doch zu lange. Der Test war positiv. Leider konnte ich dich nicht erreichen, weil die Kommunikationswege stark eingeschränkt waren.“

Dante sah rot. „Du warst in einem Kriegsgebiet? Schwanger?“

Sie hielt seinem Blick stand. „In Kriegsgebieten gibt es immer auch Schwangere.“

Er fluchte unterdrückt. „Das meinte ich nicht.“

„Hörte sich aber so an.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, und ihm fiel auf, dass ihre Brüste voller geworden waren. Er spürte wieder, wie sie sich unter seinen Händen angefühlt hatten.

Reiß dich zusammen, ermahnte er sich.

„Schön, du konntest mich also nicht erreichen.“

„Genau. Außerdem wollte ich es dir lieber persönlich sagen.“

„Ich bestehe auf einem Vaterschaftstest.“

Schockiert sah sie ihn an. „Das Baby ist von dir, Dante. Ich war mit niemand anderem zusammen.“

„Du hast nicht einmal gemerkt, dass du schwanger bist. Versteh also bitte, dass ich vorsichtig bin. Schließlich haben wir verhütet.“

„Kondome bieten keine hundertprozentige Sicherheit.“ Shay seufzte. „Und ich steige nicht durch die Betten. Ich schlafe nicht mit Fremden.“

„War ich kein Fremder, cara?“

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. „Ich bin nicht hergekommen, um einen Vater aus dir zu machen. Meine Arbeit ist gut bezahlt, und ich wollte von dem Geld eine längere Mutterzeit finanzieren, wenn ich erst wieder in den USA bin.“

„Also hast du mit dem Gedanken gespielt, mir das Kind zu verheimlichen.“

„Natürlich nicht. Du hast ein Recht darauf, von ihm zu erfahren, Dante. Das ist alles, ich erwarte nichts von dir.“

Er wollte ihr glauben, aber er hatte sich schon einmal die Finger verbrannt. Dank der Indiskretion seines Vaters wusste die ganze Welt, dass er ein Prinz war und ein Vermögen erben würde. Nur deswegen hatte sich Olivia mit ihm eingelassen.

Andererseits würde die Tatsache, dass Shay ein Baby von ihm erwartete, alle seine Probleme lösen.

Bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag musste er verheiratet sein und ein Kind gezeugt haben. Dass er verheiratet bleiben musste, stand nirgends geschrieben. Olivia hatte ihm zwar die Lust auf eine Ehe gründlich verdorben, aber nicht daran, Vater zu sein. Schon immer hatte er sich eine glückliche Familie gewünscht, etwas, was er selbst nie erlebt hatte.

Shay ging völlig in ihrer Arbeit bei der Hilfsorganisation auf. Sie wäre sicher nicht bereit, sich bei ihm in Italien häuslich niederzulassen. Hatte sie nicht erzählt, dass sie nie lange an einem Ort bleiben konnte? Wenn er das volle Sorgerecht bekam, hätte er das Kind, das er immer gewollt hatte – ohne sein Herz zu riskieren.

„Dante, sag etwas“, bat Shay.

Bevor er antworten konnte, klopfte es an die Tür. Seine Assistentin steckte den Kopf ins Zimmer. „Dr. Affini? Die Teilnehmer sitzen im Vortragssaal und warten auf Sie.“

Dante nickte ihr zu und wandte sich wieder an Shay. „Wir reden später weiter. Jetzt haben wir zu tun.“

Sie nickte resigniert. „Ja, wir haben zu tun.“

Für den Moment war alles gesagt. Aber die Sache war noch nicht vorbei.

Gemeinsam betraten Shay und Dante das Podium. Die ersten beiden Stuhlreihen waren mit neuen Freiwilligen der United World Wide Health Association besetzt, Frauen und Männern, die einen Crash-Kurs in Soforthilfe und Traumabehandlung absolvieren würden. Dante würde sie in Traumachirurgie unterrichten, während Shays Aufgabe darin bestand, mit ihnen die praktischen Abläufe zu trainieren.

Eigentlich wäre sie jetzt im Mittleren Osten unterwegs gewesen, um dabei zu helfen, Flüchtlinge zu impfen. Nachdem sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie den Auftrag abgesagt. Die Organisation suchte gerade eine Vertretung für Daniel, und Shay sprang ein. Romantische Gemüter hätten wahrscheinlich gesagt, dass es ein Wink des Schicksals war.

Auf lange Sicht würde es ihr letzter Auftrag sein, und sie war fest entschlossen, ihr Bestes zu geben. Außerdem sollte ihr Kind ein gutes Leben haben, und die Arbeit hier in Venedig verschaffte ihr ein dickes finanzielles Polster. Auch wenn sie ihre eigenen Träume vorerst zurückstellen musste.

Sie hatte das Baby nicht geplant, aber sie wollte ihm eine gute Mutter sein und gleichzeitig in ihrem Beruf weiterarbeiten. Vor allem würde sie nicht einem Mann nachweinen, der sich weder für sie noch für sein Kind interessierte. So wie ihre Mutter.

Dein Dad wird schon wiederkommen, Shay. Du wirst sehen. Ich bin seine Frau. Er ist nach Alaska gegangen, um in der Krabbensaison Geld zu verdienen. Danach kommt er und holt uns zu sich.

Natürlich ließ er sich nie wieder blicken.

Er lebte noch, wie Shay erfahren hatte, wollte jedoch nichts mit ihr zu tun haben.

Er führte ein neues Leben, und es interessierte ihn anscheinend nicht im Geringsten, dass ihr Haus vom Hurrikan Katrina zerstört worden und seine Frau bald darauf gestorben war.

„Shay Labadie wird Ihnen die Simulationsszenarien erklären, die Sie durchlaufen müssen.“ Dante verließ das Podium, und Shay schob die Gedanken an ihren Vater beiseite.

Sie war hier, um zu arbeiten. Und sie war gut in ihrem Job.

Nachdem sie die Abläufe vorgestellt und Fragen beantwortet hatte, betrat der Leiter der UWWHA die Bühne, und Shay stellte sich zu Dante. Deutlich spürte sie die starke Anspannung, die von ihm ausging.

Was auch kein Wunder war, nachdem sie ihm unerwartet eröffnet hatte, dass er Vater wurde.

Nach der Ansprache des Direktors sollte Gelegenheit zu einem zwanglosen Austausch sein, damit sich die Anwesenden besser kennenlernten. Shay wandte sich zur Treppe am Ende des Podiums, doch da griff Dante nach ihrer Hand und hielt sie fest.

„Einen Moment, Shay, per favore.“ Er rieb sich den Nasenrücken. „Als ich vorhin sagte, dass ich einen Vaterschaftstest machen möchte, meinte ich es ernst.“

„Okay.“ Das war verständlich, auch wenn es sie traf, dass er ihr Wort anzweifelte. Schließlich kannten sie sich kaum. „Noch etwas?“

„Nun, wie soll ich es dir sagen …“

„Dante, du brauchst überhaupt nichts zu sagen – oder zu tun. Ich meinte es ernst, ich verlange nichts von dir.“

„Ich weiß“, sagte er rasch. „Aber ich von dir.“

„Wie meinst du das?“ Alarmiert starrte sie ihn an.

„Es ist nicht viel, nur … falls der Test bestätigt, dass ich der Vater bin …“

„Das wird er“, unterbrach sie ihn.

„Falls es so sein sollte“, betonte er das erste Wort, „möchte ich, dass du meine Frau wirst.“

„Du willst … was?“ Alles hatte sie erwartet, nur das nicht! „Könntest du das bitte wiederholen?“

„Falls der Vaterschaftstest positiv ist, möchte ich, dass wir heiraten.“ Ernst blickte er sie an. Kein Lächeln, kein humorvolles Blitzen in den dunklen Augen.

Das musste ein Scherz sein. Männer machten keine Heiratsanträge, wenn sie ein einziges Mal mit einer Frau geschlafen hatten!

„Ich kann nicht glauben, dass du mich bittest, deine Frau zu werden.“

„Ich bitte dich nicht.“

„Du bist ja verrückt.“ Sie wollte an ihm vorbeigehen.

Dante versperrte ihr den Weg. „Ich bitte dich nicht, Shay. Ich sage es dir. Falls ich der Vater bin, heiraten wir.“

Was? Sie räusperte sich. „Für dich ist das also klar?“

„Ja, du wirst mich heiraten.“

Shay unterdrückte ein hysterisches Lachen. „Wie romantisch.“

„Hier geht es nicht um Romantik, cara.“ Die tiefe, warme Stimme und das Kosewort weckten Erinnerungen, die sie jetzt nicht gebrauchen konnte. Erinnerungen daran, wie sie in seinen starken Armen gelegen und er ihr Zärtlichkeiten ins Ohr geflüstert hatte. Cara …

„Liebst du mich?“

Dante zog die Brauen hoch. „Mit Liebe hat das nichts zu tun.“

„Also nein.“

„Hast du erwartet, dass ich Ja sage? Wir kennen uns nicht – von einer kurzen Woche abgesehen.“

„Eben. Warum sollte ich dich dann heiraten?“

Die Frage schien ihn zu verwundern. „Damit unser Kind ehelich ist. Um ihm ein sicheres Zuhause zu geben, mit beiden Eltern. Es wäre eine geschäftliche Vereinbarung zugunsten unseres Kindes.“

Die Vorstellung, ihr Baby gut versorgt zu wissen, war verlockend, aber sie wusste auch, wie das enden konnte. Sie hatte es selbst erlebt und würde alles tun, um es ihrem Kind zu ersparen. Verbitterung und Bedauern hatten den Familienalltag geprägt, bis ihr Vater eines Tages auf Nimmerwiedersehen gegangen war. Bis heute schien seine Tochter für ihn einfach nicht zu existieren.

Nein, das sollte ihr Kind nicht durchmachen.

„Ich werde dich nicht heiraten“, sagte sie und wandte sich ab.

Dante griff nach ihrem Arm, Zorn in den dunklen Augen. „Heißt das, ich werde mein Kind nie sehen?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Du bist nur zwölf Wochen in Italien. Und dann? Du wirst nicht einmal hier sein, wenn es zur Welt kommt.“

„Dante, ich würde dir niemals den Zugang zu deinem Kind verwehren. Aber wir müssen nicht verheiratet sein, um es großzuziehen. Wir brauchen nicht einmal im selben Land zu leben.“

Er setzte zu einer Antwort an, als sich plötzlich sein Pager meldete. „Unfallopfer unterwegs. Wir reden später weiter!“ Mit langen Schritten und wehendem Arztkittel stürmte er aus dem Raum.

Shay holte tief Luft, froh über die Atempause.

Zu früh gefreut. Dante tauchte wieder auf, steckte den Kopf ins Zimmer. „Kommst du, Shay? Ich werde operieren müssen, und du bist in den nächsten drei Monaten meine OP-Schwester. Ich brauche dich.“

Er braucht mich.

Shay war nicht sicher, ob sie diese Wochen überstehen würde. So wie die Dinge derzeit standen, würde sie ihn entweder umbringen oder sich in ihn verlieben!

Du bist nicht deine Mutter, du lässt dir aus Liebe zu einem Mann nicht alles gefallen. Es ist dein Leben, und du bestimmst.

Ihre Arbeit bedeutete ihr viel, und sie würde sich auch von einer Schwangerschaft nicht davon abhalten lassen, anderen Menschen zu helfen. Ich bin eine sehr gute Pflegeexpertin und Simulationstrainerin, sagte sie sich. Daran wird sich nichts ändern!

In der Notaufnahme war die Hölle los. Shay sah die Boote des Rettungsdienstes vor den automatischen Doppeltüren. Auf Tragen wurden Patienten hereingebracht.

Auf Dantes Nachfrage zeigte man ihnen, wo sie gebraucht wurden.

In einem der Behandlungszimmer lag ein schwer verletzter Mann.

„Er ist Amerikaner“, flüsterte Dante. „Deine Anwesenheit wird ihn beruhigen.“

„Was ist passiert?“

„Ein Vaporetto wurde aus der Bahn geschleudert, als ein großes Kreuzfahrtschiff in die Lagune einlief. Die Welle ergoss sich auf den Markusplatz, wo es auch einige Verletzte gab.“

„Vaporetto?“, fragte Shay, während sie sich einen Schutzkittel und Handschuhe anzog.

„Ein Wassertaxi. So etwas passiert leider immer öfter, vor allem in den Sommermonaten, wenn Touristenmassen unsere Stadt heimsuchen. Zu viel Verkehr.“ Sichtlich verärgert schüttelte er den Kopf.

Shay nickte nur und trat zu dem Patienten. Er war bei Bewusstsein.

„Ich verstehe kein Wort“, murmelte er undeutlich unter der Sauerstoffmaske.

„Ich auch nicht“, erwiderte sie sanft. „Aber ich bin dabei, die Sprache zu lernen.“

„Sie sind Amerikanerin?“ Erleichterung leuchtete in seinen braunen Augen auf.

„Ja. Ich arbeite hier als Pflegeexpertin für die United World Wide Health Association. Können Sie mir sagen, was geschehen ist?“

„Das weiß ich nicht, ich erinnere mich nicht. Meine Frau und ich hatten vom Lido di Venezia ein Wassertaxi zum Markusplatz genommen, und plötzlich waren wir im Wasser. Du meine Güte, wo ist meine Frau?“

„Wie heißt sie?“

„Jennifer Sanders.“

„Ich werde gleich nach ihr suchen“, versprach Shay. „Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass es Ihnen besser geht.“

„Ich kann mich nicht bewegen. Ich habe kein Gefühl in den Beinen“, sagte der Mann mit wachsender Panik.

Dante warf Shay einen besorgten Blick zu. „Wie ist Ihr Name, Signor?“

„Sind Sie der Arzt?“

Sì. Wie heißen Sie?“

„James, aber meine Freunde nennen mich Jim.“

Dante lächelte ihn beruhigend an. „Zuerst möchte ich Ihren Bauch untersuchen, und Sie sagen mir, wo Ihnen etwas wehtut. Danach lassen wir ein MRT von Ihrer Wirbelsäule machen.“

Der Patient nickte, und Shay schob ihm behutsam das T-Shirt hoch. Dunkle Hämatome bedeckten die Haut, der Bauch war geschwollen, ein Hinweis auf innere Blutungen. Darum mussten sie sich auf jeden Fall zuerst kümmern.

Jim Sanders schrie auf, als Dante den Milzbereich abtastete.

„Wir brauchen ein CT vom Abdomen, um zu sehen, wie stark die Blutung ist“, sagte Dante leise zu Shay.

„Wie veranlasse ich das?“

„Darum kümmere ich mich. Bleib du bei ihm und bereite alles vor.“

Shay beruhigte ihren Patienten und legte einen intravenösen Zugang, um zunächst die benötigten Blutproben abzunehmen. Jim musste auf den OP-Tisch, und zwar so schnell wie möglich.

„Wie heißen Sie?“

„Shay Labadie“, antwortete sie, während sie die Vitalzeichen kontrollierte und notierte.

„Baton Rouge?“

„Nein, New Orleans.“

„Ich komme aus Mississippi. Picayune, um genau zu sein.“

„Das ist ja nicht weit weg von Louisiana.“ Sie schenkte ihm wieder ein freundliches Lächeln, da sein Blutdruck auf einmal anstieg.

Er erwiderte es schwach, verdrehte im nächsten Moment die Augen, und die Überwachungsgeräte schlugen Alarm.

„Ich brauche einen Reanimationswagen!“, rief sie und hieb auf den blauen Alarmknopf.

2. KAPITEL

„Könntest du Dr. Prescarrie verständigen, unseren Neurologen?“, fragte Dante. „Er kann das Ausmaß der Nervenschädigungen am besten beurteilen.“

Dante wollte Shay die Gelegenheit geben, den OP-Tisch für kurze Zeit zu verlassen, aber sie wich ihm nicht von der Seite, reichte ihm die Instrumente an, als er Mr. Sanders’ Milz entfernte. Meistens schon, bevor er darum bat.

Sie wusste genau, was er brauchte und wann, und bewegte sich mit bewundernswerter Ruhe. Ja, sie war wirklich gut in ihrem Job.

Und sie bekommt ein Kind von mir.

Falls es sein Kind war.

„Spricht er Englisch?“, fragte Shay.

„Französisch, und ich habe dich schon französisch reden hören.“

„Okay, ich werde ihn anrufen, sobald Mr. Sanders stabil ist.“ Sie hielt ihm einen Kauter hin, den er nicht verlangt hatte. Aber, verdammt noch mal, er brauchte ihn gerade jetzt.

„Grazie“, sagte er schroff.

„Sie wirken angespannt, Dr. Affini.“

„Natürlich bin ich das. Ich versuche, ein Leben zu retten.“

Meins stellst du gerade auf den Kopf, weil du wieder aufgetaucht bist, schwanger mit meinem Kind.

Er hatte die Gedanken an Shay gehütet wie einen kostbaren Schatz. Romantische Erinnerungen, die er selten zuließ, höchstens nachts, wenn er nicht schlafen konnte. Dann wünschte er sich mehr, als er haben konnte.

Und nun war sie hier.

„Kann ich irgendetwas tun, um dir die Anspannung zu nehmen?“

„Nein. Das heißt, bis auf eins, das du strikt abgelehnt hast.“

„Das sollten wir nicht jetzt diskutieren“, sagte sie mit einem warnenden Unterton in der Stimme.

Dante zog die Brauen hoch. So hatte er Shay noch nie reden hören. Nicht einmal während der Konferenz, als ein paar Idioten sie entweder wie Luft behandelten oder abfällige Bemerkungen machten, weil sie „nur“ eine Krankenschwester war. Sie hatte ihnen immer mit einem freundlichen Lächeln einen Dämpfer verpasst.

Aber dies hier war eine deutliche Warnung.

„Warum nicht? Ich rede gern bei der Arbeit.“ Was nicht stimmte, aber es reizte ihn, sie herauszufordern.

„Tatsächlich?“

„Kommt auf das Thema an“, neckte er.

„Nun, dann kann ich nur sagen, dass das Thema, das Sie, Dr. Affini, im Sinn haben, absolut tabu ist.“

Er lachte leise auf, sagte jedoch nichts mehr, sondern beendete den Eingriff und stabilisierte den Patienten. Sobald die Splenektomie vollzogen war, verließ Shay ihn und ging zum Telefon. Sicher, um Dr. Prescarrie zu bitten, sich Mr. Sanders’ spinale Verletzungen anzusehen.

Dante war stark beeindruckt, wie souverän sie sich während der OP verhalten hatte. Von Frauen in seinen Kreisen konnte er das nicht erwarten. Frauen wie Olivia, die sich nicht einmal in die Nähe eines OP-Saals trauen würden, weil sie sich nicht die Hände schmutzig machen wollten.

Was du tust, ist wirklich nobel, Dante. Ich möchte nur nichts davon hören. Kannst du es nicht einfach für dich behalten?

Und worüber soll ich reden, Olivia? Über Mode, Luxuslimousinen?

Das Weingut, zum Beispiel, und, ja, es würde nicht schaden, deinem privilegierten Status entsprechend zu leben.

Ärgerlich zog sich Dante Handschuhe und Kittel aus und warf sie in den Abfallbehälter.

Olivia hatte es gar nicht gefallen, dass er Chirurg war und dazu noch in einem städtischen Krankenhaus arbeitete statt in einer luxuriösen Privatklinik. Und wenn schon Chirurgie, warum nicht wenigstens Schönheitschirurgie?

In ihren Augen sollte ein Prinz, der gleichzeitig Chirurg war, sich ausschließlich um Prominente kümmern und nicht jeden behandeln, der zur Tür hereinkam.

Nichts für Dante. Glanz und Glamour waren die Welt seines Vaters, nicht seine. Er hatte dafür nur Verachtung übrig.

Dante mochte ein Prinz sein, der ein Weingut in der Toskana, eine Villa auf dem Lido di Venezia und viel Geld erben würde, aber für ihn war die Bezeichnung nichts weiter als ein Titel. Mehr nicht.

Seine Arbeit als Arzt dagegen bedeutete ihm sehr viel.

„Dr. Prescarrie ist auf dem Weg.“ Shay betrat den Waschraum. „Er bringt allerdings seine eigene OP-Schwester mit.“

„Das sollte er auch.“ Er wusch sich die Hände. „Du bist mir zugeteilt.“

Sie dehnte den Nacken und zuckte zusammen.

„Geht es dir nicht gut?“ Besorgt sah er sie an.

„Doch, ich bin nur müde. Die Zeitverschiebung macht mir wohl zu schaffen.“

„Warum fährst du nicht nach Hause und ruhst dich aus?“

„Alles in Ordnung, ich kann arbeiten. Außerdem ist mein Dienst noch nicht beendet.“

„Shay, du musst auf dich achten. Du bekommst wahrscheinlich mein Baby.“

Hinter ihnen schnappte jemand hörbar nach Luft. Beide fuhren herum und sahen eine Krankenschwester, die schockiert von einem zum anderen blickte.

„Sì?“, fragte Dante frustriert. Sicher hatte sie seinen letzten Satz gehört.

„Mi spiace, Principe, non volevo interromperla.“ Sie entschuldigte sich für die Unterbrechung, aber Mrs. Sanders habe sich nach ihrem Mann erkundigt. Die Patientin, selbst mit einem gebrochenen Handgelenk davongekommen, mache sich große Sorgen um ihn.

Dante erklärte, dass er bald mit Mrs. Sanders sprechen würde, und die Schwester nickte und verschwand.

Shay stand wie angewurzelt da. „Sie hat Principe zu dir gesagt. Wieso redet sie dich wie einen Prinzen an?“

Er seufzte. Genau das hatte er vermeiden wollen. Der Titel war nur eine Last für ihn. Er war Dante, nicht mehr und nicht weniger.

„Weil ich einer bin“, gestand er.

Shay starrte ihn ungläubig an. „Du bist ein Prinz? Ein echter Prinz?“

Sì. Dein Kind wird also – falls es von mir ist – meinen Titel erben. Ein Fürstenkind.“

„Shay!“

Sie schüttelte nur den Kopf und eilte weiter. Viel mehr als die Eröffnung, dass er adlig war, beschäftigte sie, dass er ihr so misstraute. Da sie gar nicht gewusst hatte, dass er ein Prinz war, konnte er ihr doch nicht vorwerfen, dass sie nur auf sein Vermögen aus war!

„Shay!“

Seufzend blieb sie stehen und drehte sich um. Weglaufen führte zu nichts, und außerdem war es nicht gerade professionell. „Es tut mir leid, Dante, aber ich muss erst einmal verarbeiten, dass du … ein Prinz bist.“

„Das ändert nichts daran, wer ich bin“, antwortete er sanft.

„Woher soll ich das wissen? Wir kennen uns kaum.“

„Du hast recht. Eine gemeinsame Konferenzwoche ist so gut wie nichts.“

„Wir müssen uns besser kennenlernen, wenn wir zusammen für dieses Kind da sein wollen.“

Sì. Deshalb solltest du mich heiraten, falls der Test positiv ist.“

„Fang nicht schon wieder davon an. Ich werde dich nicht heiraten, Dante. Ich kann nicht jemanden heiraten, den ich nicht liebe.“

„Hier geht es nicht um Liebe, sondern um ein Zweckbündnis. Nur für ein Jahr. Du wohnst bei mir, und für die Öffentlichkeit sind wir Mann und Frau.“

„Dante, mein Aufenthalt endet nach zwölf Wochen.“

„Schön, aber du gehst in den Mutterschutz, wenn du in die USA zurückkehrst, ?“

„Ja, doch mein Visum ist auf drei Monate ausgestellt. Ich muss auf jeden Fall zurück.“

„Wenn wir heiraten, brauchst du keine Aufenthaltsgenehmigung. Du sagst, das Kind ist von mir. Warum bekommst du unser Kind nicht hier, in meiner Heimat?“

„Ich … Ich kann nicht … Ich werde nicht mein Leben aufgeben, Dante.“

„Sobald das Jahr um ist, kannst du gehen, wohin du möchtest. Mit unserem Kind – vorausgesetzt, ich erhalte Elternrechte. Selbstverständlich werde ich es auch weiterhin finanziell gut versorgen.“

„Und was bekommst du dafür?“, fragte sie verwirrt. Aus seinem Mund klang alles so einfach.

„Einen Erben.“ Er fuhr sich durch das schwarze Haar. „Das Kind unterstütze ich in jedem Fall, aber während du hier in Italien bist und unter meinem Dach lebst, kann ich dich beschützen. Für dich sorgen.“

Shay biss sich auf die Lippen. Sie wollte nicht heiraten. Niemals.

Außer aus Liebe. Die Liebe, bei der man nur noch Augen für den anderen hatte und sich nicht vorstellen konnte, auch nur eine Minute von ihm getrennt zu sein.

Sie legte die Hand auf ihren Bauch. „Ich kann nicht, Dante.“

„Natürlich kannst du. Dir ist sicher klar, dass dieses Kind nichts vom Familienvermögen erben wird, wenn es außerehelich geboren wird.“

„Wäre das so schlimm? Vielleicht ist es besser, wenn es mit all dem nichts zu tun hat.“

Dante sah sie an. „Er oder sie kann stolz darauf sein, ein Affini zu sein.“

Shay verspürte Gewissensbisse, weil sie ihn gekränkt hatte. Dante war anders aufgewachsen als sie. Er kam aus einer völlig anderen Welt.

Wie kannst du auf deine Familie stolz sein, wenn du nichts über den Namen weißt, mit dem du geboren wurdest?

Trotzdem, sie konnte auf seinen Vorschlag nicht eingehen. Noch nicht. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken und wollte erst mit ihrer Freundin und Kollegin Aubrey darüber sprechen.

„Wir sollten nach Mrs. Sanders sehen. Sie macht sich bestimmt große Sorgen.“ Damit ging sie einfach los. Zu ihrer Erleichterung widersprach Dante nicht, sondern begleitete sie.

Das gebrochene Handgelenk im Gips, lag Mrs. Sanders im Bett. Ein sorgenvoller Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Als Shay und Dante ins Zimmer kamen, schlug sie die Augen auf.

„Bitte sagen Sie mir, wie es meinem Mann geht“, bat sie.

Dante stellte sich mit einem beruhigenden Lächeln vor. „Ich bin Dr. Affini, ich habe Ihren Mann operiert.“

„Hat man Ihnen gesagt, warum er operiert werden musste?“, erkundigte sich Shay.

„Wegen innerer Blutungen?“, antwortete Mrs. Sanders unsicher. „Mehr weiß ich nicht.“

„Seine Milz wurde massiv beschädigt“, erklärte Dante behutsam. „Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu entfernen.“

Die Patientin fing an zu weinen, und Shay rieb ihr sanft die Schulter.

„Ihr Mann hat den Eingriff gut überstanden“, fuhr Dante fort. „Unser Neurologe Dr. Prescarrie wird bei ihm noch die Wirbelsäule untersuchen.“

„Warum?“ Mit tränenverschleierten Augen blickte Mrs. Sanders Dante an.

„Bevor wir ihn in den OP brachten, klagte er über Gefühllosigkeit in den Beinen. Der Kollege kann feststellen, ob die Lähmung nur vorübergehend ist und welchen Schaden die Wirbelsäule genommen hat.“

„Oh nein. Wir hatten vorgestern unseren dreißigsten Hochzeitstag. Unsere Kinder haben uns diese Italienreise geschenkt und über einen Reiseveranstalter gebucht …“

„Waren Sie mit der Reisegruppe unterwegs, als der Unfall passierte?“, fragte Shay.

„Nein, wir hatten etwas freie Zeit zur Verfügung, um uns Venedig anzuschauen. Morgen geht es weiter in die Toskana.“

„Geben Sie mir die Nummer des Veranstalters, dann setze ich mich mit ihm in Verbindung. Er wird dann auch Ihre Familie verständigen.“

„Die habe ich in meiner Handtasche.“ Sie deutete mit dem Kopf auf ihren Schrank. „Zum Glück wurde ich nicht ins Wasser geschleudert. In der Tasche sind alle Papiere, auch unsere Pässe – falls Sie die brauchen.“

Shay brachte ihr die Tasche, öffnete sie und hielt sie ihr hin, damit sie die Unterlagen herausziehen konnte. „Ich rufe Ihren Reiseleiter an, damit man sich um Ihr Gepäck und alles Weitere kümmert. Machen Sie sich keine Gedanken.“

Mrs. Sanders nickte und presste ihre Handtasche mit dem gesunden Arm an sich.

„Dr. Prescarrie wird Sie so bald wie möglich informieren, Signora Sanders. Sie bleiben vorerst in diesem Zimmer. Ruhen Sie sich aus, versuchen Sie, ein bisschen zu schlafen.“

Dante und Shay verließen den Raum.

„Gut, dass du angeboten hast, das Reiseunternehmen zu verständigen“, sagte er draußen zu ihr.

„Sie sind so weit weg von zu Hause.“ Shay sah auf die Papiere in ihrer Hand. „Kann ich irgendwo ungestört telefonieren?“

, komm mit.“ Er führte sie in einen anderen Flügel des Krankenhauses, öffnete die Tür zu einem Büro und schaltete das Licht an. „Hier ist mein Arbeitszimmer, es steht dir zur Verfügung.“

„Danke, Dante.“

„Lass dir Zeit. Bevor du allerdings gehst, möchte ich unsere Unterhaltung zu Ende führen.“

„Ich dachte, da wäre alles gesagt.“

Er lächelte schwach. „Nein, bei Weitem nicht. Außerdem musst du noch einen Test machen, cara.“

Dante verließ das Büro und schloss die Tür hinter sich.

Seufzend sank Shay in den weichen Ledersessel hinter seinem Schreibtisch und wählte die Nummer des Reiseveranstalters. Sie wurde direkt mit dem Reiseleiter verbunden und erklärte die Lage. Der Mann zeigte sich sehr hilfsbereit und versprach, dafür zu sorgen, dass das Ehepaar Sanders ihr Hotelzimmer so lange wie nötig nutzen konnte. Der Veranstalter würde auch Kontakt mit den Angehörigen und der Versicherung aufnehmen.

Zufrieden verabschiedete Shay sich und lehnte sich zurück. Sie schloss die Augen. Sie spürte, wie ihr Baby sich bewegte. Ein zartes Flattern, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Sie genoss den Moment und merkte erst jetzt, wie erschöpft sie war. Was mit Sicherheit daran lag, dass sie ohne Pause durchgearbeitet hatte. Sie musste dringend etwas essen, damit ihr Blutzuckerspiegel nicht vollends in den Keller ging.

Dante schien entschlossen zu sein, ihr Gespräch von vorhin fortzusetzen, aber das kam für sie nicht infrage. Jedenfalls nicht mehr heute Abend. Shay wollte nur noch zurück in die Villa, in der sie mit ihrer Freundin Danica wohnte, etwas essen und dann schlafen gehen. Morgen stand ihr ein langer Tag bevor, weil sie ihre erste Trauma-Simulation durchführen würde.

Sie stand auf und machte sich auf den Weg in ihr winziges Büro, das man ihr auf der anderen Seite des Krankenhauses überlassen hatte, um ihre Handtasche und ihren Pulli zu holen. Vom Hinterausgang war es nur ein kurzer Spaziergang bis zu der Unterkunft, die die United World Wide Health Association für ihre Mitarbeiter angemietet hatte.

Als sie das Gebäude verließ, wurde sie von Blitzlichtern geblendet, Leute mit Kameras und Mikrofonen stürmten auf sie zu und drängten sie buchstäblich an die Wand. Instinktiv schützte sie mit einer Hand ihr Gesicht. Gleichzeitig prasselten Worte auf sie ein, von denen sie nur wenige verstand, wie Prinz und Baby.

Als Nächstes hörte sie eine tiefe ärgerliche Stimme, starke Männerarme zogen sie beiseite. Dante! Er presste sie an sich, während er den Reportern etwas zubrüllte, und drängte sich mit ihr durch die Menge zurück ins Krankenhaus.

Endlich waren sie drinnen, und der Lärm drang nur noch schwach zu ihnen herein, bevor er schließlich ganz verstummte.

Shay atmete erleichtert auf. „Was war das denn?“

„Die Medien haben anscheinend Wind davon bekommen, dass du ein Kind von mir erwartest.“

„Das haben sie mir immer zugerufen?“

„Sì.“ Seine dunklen Augen blitzten, und er fluchte unterdrückt. „Wir sind zwar nicht mit dem englischen Adel zu vergleichen, aber meine Familie hatte auch ihre Skandale. Deshalb stehen mein Bruder und ich oft im Rampenlicht. Die Paparazzi lieben uns.“

„Und ich liefere ihnen die neueste Story.“ Sie legte die Hand auf den Bauch. „Werden sie mich jemals in Ruhe lassen?“

Dante fuhr sich durchs Haar. „Ich fürchte, nein.“

„Du hast gesagt, du könntest mich beschützen. Wie meintest du das?“

Er nickte knapp. „Wo wohnst du?“

„Nicht weit von hier, im Gästehaus der UWWHA.“

„Das ist keine gute Idee, du kommst mit zu mir.“

„Nein!“

„Shay, du wirst einen noch größeren Skandal lostreten, wenn du meinen Vorschlag ablehnst. Vor allem, wenn es wirklich mein Kind ist! Du könntest meinen Ruf hier am Krankenhaus ruinieren.“

Das wollte sie natürlich nicht. „Du meinst also, wir sollten eine Zweckehe eingehen?“

, denn nur so kann ich dich beschützen. Ich habe eine richterliche Verfügung erwirkt, dass die Reporter sich mir oder meinem Grund und Boden nicht nähern dürfen. Wenn wir verheiratet sind, bist du auch vor ihnen sicher.“

„Wir wären nur auf dem Papier verheiratet?“

, aber damit es echt aussieht, müsstest du für ein Jahr bei mir einziehen.“

„Hast du denn genug Platz?“

Dante lachte leise auf. „Meine Villa auf dem Lido di Venezia ist groß. Ich kann dir einen Gebäudeflügel überlassen, wenn du möchtest. Du brauchst nur Ja zu sagen. Lass mich dich beschützen.“

Shay konnte sich immer noch nicht dazu entschließen. Die Vorstellung, auf Schritt und Tritt durch Venedig von sensationshungrigen Reportern verfolgt zu werden, war allerdings auch nicht verlockend. Vor allem, weil sie so gut wie kein Italienisch sprach. Dante könnte die Leute auf Abstand halten. Wieder strich sie über ihren Bauch. Es war auch sein Baby, selbst wenn er es im Moment nicht glaubte.

„Komm, wir machen jetzt diesen Vaterschaftstest, damit alle Zweifel ausgeräumt sind.“

„Habe ich dabei gar nichts zu sagen?“

„Nein.“

Was sie nur in dem Gefühl bestärkte, dass dies nicht die letzte Auseinandersetzung in den vor ihr liegenden zwölf Wochen sein würde. Diese Runde hat er gewonnen, aber die nächste geht an mich!

3. KAPITEL

„Du hast was?!“

Dante blickte zu seinem Arbeitszimmer, wo Shay auf dem Sofa lag und schlief. Sie ruhte sich nach dem Vaterschaftstest aus. Dr. Tucci hatte versprochen, ihnen das Ergebnis schnellstmöglich mitzuteilen.

Zwar fiel es Dante schwer, Shay zu vertrauen, aber tief in seinem Herzen spürte er, dass das Baby von ihm war. Deshalb war er fest entschlossen, sie zu seiner Frau zu machen. Damit würde er das Erbe seiner Mutter bewahren und seinem Kind hinterlassen können. Niemals würde Dante dem eigenen Kind androhen, seinen Erbteil zu verkaufen, wenn es mit fünfunddreißig nicht verheiratet war. So etwas konnte sich auch nur sein Vater ausdenken!

Shay musste bei ihm in der Villa bleiben, damit die Medien sie in Ruhe ließen. Hier war sie sicher. Jetzt musste er sie nur noch dazu bringen, Ja zu sagen und in Italien zu bleiben. Wenn sie sein Kind unter dem Herzen trug, würde er alles tun, um es zu beschützen.

Und wenn es nicht deins ist?

Wieder sah er zu der friedlich Schlafenden hinüber, mochte nicht einmal daran denken, dass sie ihn betrügen könnte. So wie Olivia.

„Dante, hörst du mir überhaupt zu?“, tönte die ungeduldige Stimme seines Bruders durch die Leitung.

Scusa, es war ein schwieriger Tag.“ Er rieb sich die Schläfen, als sich bohrende Kopfschmerzen ankündigten.

„Kommt mir auch so vor.“

„Ich werde heiraten. Ich brauche so schnell wie möglich eine Genehmigung.“

„Ist sie keine Italienerin?“

„Nein, Amerikanerin.“

„Warum willst du eine Amerikanerin heiraten?“

„Sie bekommt ein Kind von mir.“

„Bist du sicher?“

, ich glaube, es ist von mir.“

„Du klingst nicht gerade überzeugt.“

„Das Ergebnis des Vaterschaftstests müsste bald vorliegen.“ Dante konnte ein Seufzen nicht unterdrücken.

Am anderen Ende blieb es einen Moment lang still. „Dante, ich weiß, ich habe dich gedrängt, endlich zu heiraten“, begann Enzo schließlich. „Aber … ist sie denn einverstanden?“

„Noch nicht.“

„Noch nicht?“, wiederholte sein Bruder. „Ich möchte nicht, dass du wieder verletzt wirst, Dante.“

„Mein Entschluss steht fest, Enzo. Sollte das Baby von mir sein, heirate ich sie.“

„Und wenn sie hinter deinem Geld her ist? Deinem Titel? Dass es dein Kind ist, schließt ja nicht aus, dass die Mutter sich davon Vorteile verspricht. Genau wie Olivia damals.“

„So ist Shay nicht. Du vergisst, dass sie es abgelehnt hat, meine Frau zu werden. Und zwar nicht nur ein Mal. Für mich wird das allmählich peinlich.“

Enzo lachte. „Trotzdem …“

„Nichts trotzdem! Shay will weder mein Geld noch sonst etwas. Es wäre eine reine Zweckehe, mehr nicht. Shay kann weiterhin arbeiten, wann und wo sie möchte, für unser Baby ist gesorgt, und ich behalte mein Erbe.“

„Und was willst du von mir?“

„Sie wohnt bei uns.“

„Wie meinst du das?“

„In dem Haus, in dem wir aufgewachsen sind und das vor Mutters Tod verkauft wurde. Die United World Wide Health Association hat es für ihre Gäste angemietet.“

„Aha, ich soll also ihre Sachen holen?“

„Oder jemanden beauftragen, sie in mein Haus zu bringen. Shay wird bis auf Weiteres bei mir wohnen. Als sie das Krankenhaus verließ, fiel eine Horde Reporter buchstäblich über sie her. Bald wird die ganze Welt wissen, dass man im Hause Affini Nachwuchs erwartet.“

„Nicht zu fassen, Bruderherz, du hast es geschafft. Du präsentierst praktisch in letzter Minute eine Ehefrau und einen Erben und rettest damit Großvaters Weingut und Mammas Villa.“

Als ihm klar wurde, was das bedeutete, musste Dante unwillkürlich lächeln.

Er würde alles, was ihm versprochen worden war, tatsächlich behalten können. Das geliebte Land, sein Zuhause.

„Könntest du mit ihrer Mitbewohnerin reden? Shay ist müde, und ich nehme sie gleich mit zu mir. Sie braucht Ruhe.“

, sobald ich hier mit der Sprechstunde fertig bin.“

„Grazie.“ Dante legte auf und trat ans Sofa. Shay sah bezaubernd aus, entspannt, mit rosigen Wangen. Es drängte ihn, ihre samtweiche Haut zu streicheln und, wie damals in Oahu, ihre süßen Lippen zu küssen.

Die Erinnerung daran war so lebendig, als wäre es gestern gewesen. Die Schwangerschaft machte Shay noch schöner.

Tu es nicht. Lass dich nicht darauf ein. Du hast dir schon einmal die Finger verbrannt.

„Wach auf, Shay“, sagte er leise.

Sofort richtete sie sich auf. „Ist etwas passiert?“

„Wir müssen aufbrechen. Die Paparazzi belagern zwar immer noch den Eingang, aber ich habe ein Wassertaxi bestellt, das uns zum Lido di Venezia bringt. Dorthin werden sie uns nicht folgen.“

„Und das Testergebnis?“

„Das bekommen wir morgen früh. Komm mit zu mir, dort bist du sicher.“

Sie nickte schläfrig und stand auf. Dante nahm ihren Arm und führte sie aus seinem Büro zu einer Wendeltreppe, die zum Kanal an der Rückseite des Krankenhauses führte.

Der Fahrer des Wassertaxis half Shay an Bord. Dante folgte ihr.

Es war bereits dunkel, doch die Lichter der Stadt beleuchteten den Weg. Das Krankenhaus lag nicht weit von der Lagune entfernt. Hinter ihnen sangen Gondolieri ihre Lieder, um Touristen zu einer Fahrt zu verlocken.

Shay sank im Sitz zusammen. „Entschuldige, ich kann kaum die Augen offen halten.“

„Lehn dich an mich.“ Dante legte den Arm auf die Rückenlehne, und Shay schmiegte den Kopf an seine Schulter. Ihr Parfüm stieg ihm in die Nase, ein zarter, femininer Duft nach Flieder.

Er erinnerte ihn an Kindheitstage in der Toskana, an sommerliche Hitze und die üppige Blütenpracht im Garten seiner Großmutter. Dante musste lächeln. Es fühlte sich gut an. Gut und richtig, so als hätte er alles, was er brauchte.

Sei vorsichtig.

Das Boot verließ die Kanäle und fuhr in die Lagune hinaus. Über ihnen zeigten sich ein paar Sterne, funkelnde Juwelen, die im Licht der Stadt oft verblassten. Heute jedoch war der Himmel klar. Die erleuchteten Fenster der Restaurants und Privathäuser auf der Sandbank des Lido di Venezia kamen näher. Weiter draußen ankerten zwei Kreuzfahrtschiffe, und Dante hörte die Musik, die von den Oberdecks zu ihnen herüberwehte.

Ein Missklang in seinen Ohren. Venedig verkam ihm zu sehr zu einer Touristenattraktion, weshalb er sich lieber in der Toskana aufhielt. Zwar war die malerische Gegend bei Urlaubern auch sehr beliebt, aber dort fielen sie nicht so auf wie in den engen Gassen der Lagunenstadt. Und auf dem Weingut seines Großvaters gab es überhaupt keine.

Mein Weingut.

Er blickte auf Shays leicht gerundeten Bauch, den sie im Schlaf schützend umfasste. Und obwohl er nicht sicher war, dass darunter sein Kind verborgen war, streckte er die Hand aus und berührte ihn vorsichtig.

Shay schrak hoch. „Wo sind wir?“

Dante zog die Hand weg und richtete sich auf. „Gleich bei mir zu Hause. Vom Pier zur Villa ist es nur ein kurzer Spaziergang.“

„Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin. Sonst halte ich länger durch.“

„Du bist schwanger, da ist das in Ordnung.“

Es war mehr als in Ordnung. Das Erbe seiner Mutter blieb in der Familie, und für ihn ging ein Traum in Erfüllung, den er längst ausgeträumt geglaubt hatte – das Kind, das er sich immer gewünscht hatte.

Falls es deins ist.

Die mahnende Stimme holte ihn in die harte Wirklichkeit zurück. Erinnerte ihn daran, dass er drauf und dran war, erneut sein Herz zu riskieren!

Dante verließ das Wassertaxi zuerst und hielt ihr die Hand hin. Shay war froh darüber, dass er ihr half, an Land zu gelangen. In ihrem Zustand fühlte sie sich auf dem schwankenden Boot nicht so sicher wie sonst.

Außerdem genoss sie es, seine starke Hand um ihre zu spüren. Es erinnerte sie an jenen Abend am Strand von Oahu. Shay seufzte unwillkürlich leise auf.

„Was ist?“, fragte er.

„Nichts.“ Sie lächelte ihn an.

Dante erwiderte ihr Lächeln und bezahlte dann den Kapitän.

„Ciao“, verabschiedete sich dieser und winkte ihnen noch einmal zu, bevor er nach Venedig zurücktuckerte.

Der Mond stand hoch oben am Himmel, das dunkle Wasser lag ruhig da. Nur ein paar zaghafte Wellen, vom Wassertaxi verursacht, bewegten die spiegelglatte Oberfläche. Shay dachte an die Abende im French Quarter am Jackson Square, an denen sie über den Mississippi geblickt hatte. Schwach tauchten Bilder ihres Vaters vor ihrem inneren Auge auf, wie er mit ihr zum Angeln an den Lake Pontchartrain gefahren war. Auch damals hatte der Mond den riesigen See beschienen, während an der Flussmündung die Lichter von New Orleans glitzerten.

Auch dieser Moment mit Dante war vollkommen. Doch es war ein flüchtiges Glück. Selbst wenn der Vaterschaftstest ihr recht gab, Dante würde sich dadurch nicht ändern. Anscheinend fiel es ihm schwer, jemandem zu vertrauen, und sie fragte sich, was dahintersteckte.

Nein, solche wundervollen Momente ließen sich nicht für immer festhalten. Sie rannen einem durch die Finger wie feinkörniger Sand. Shay hatte es erlebt. Nachdem ihr Vater für immer gegangen war, hatten jene Abende ihren Glanz verloren.

„Komm“, unterbrach Dante sie in ihren Gedanken. „Bis zur Villa ist es nicht weit.“

Sie gelangten auf die Straße, und zu ihrem Erstaunen entdeckte Shay ein paar Autos und eine Bushaltestelle.

Als hätte er ihre Stimmung erspürt, lachte Dante leise auf. „Hier gibt es keine Kanäle. Alles fester Boden unter deinen Füßen.“

„Es wundert mich, dass du nicht in Venedig lebst.“

„Ich bin dort aufgewachsen.“

„Wohnen deine Eltern noch da?“

„Nein“, erwiderte er knapp. „Mein Elternhaus befindet sich nicht mehr im Besitz meiner Familie.“

„Das hört sich an, als würdest du dich darüber ärgern.“

„Es ist eine lange Geschichte. Abgesehen davon ziehe ich das Leben hier auf dem Lido vor, weil es friedlicher ist. Die Touristen halten sich an der Strandseite auf, und ich wohne an der Lagunenseite. In einem Haus mit Garten und alten Bäumen. Hier habe ich als Kind viele Sommer verbracht und war jeden Tag in der warmen Adria schwimmen.“

Dante bog von der Gran Viale Santa Maria Elisabetta in eine schmale Seitenstraße ab. Shay erwartete ein Ferienhäuschen und starrte überrascht auf die herrschaftliche Villa hinter dem zweiflügeligen Tor, das Dante geöffnet hatte. Oben auf dem kastenförmigen Gebäude schien sich eine Dachterrasse zu befinden, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Lagune und die Stadt Venedig haben musste.

„Warum habe ich das nicht erwartet?“, murmelte sie. „Immerhin bist du ein Prinz.“

Er lächelte und stieß das quietschende Eisengitter weiter auf. „Das ist das Sommerhaus meiner Großeltern mütterlicherseits. Sie waren vermögend, aber nicht adlig. Leider war es ziemlich baufällig geworden.“

„Und du bringst es wieder in Schuss?“

Dante nickte. „Es hat ziemlich viele Zimmer.“ Er schloss die Haustür auf und schaltete das Licht an.

Was für ein Traum! Staunend blickte sich Shay um. Die glatt verputzten Wände waren in warmem Terracotta gestrichen, und die Eingangshalle war rund wie ein Erkerturm gebaut. Durch gemauerte Bögen gelangte man zu verschiedenen leeren Räumen.

„Ich hatte noch nicht die Zeit, alles fertigzustellen“, sagte er entschuldigend. „Hier im Erdgeschoss ist nur die Küche renoviert und ein Stockwerk darüber mein Schlafzimmer, die Terrasse und zwei Bäder.“

Shay folgte ihm an mehreren Zimmern vorbei. In einem sehr großen Raum erhaschte sie den Blick auf einen langen Esstisch mit einem Kronleuchter darüber.

„Hier ist die Küche, sie grenzt an den Garten. Viel kannst du nicht sehen, aber ich habe zwei Kiwipflanzen und einen Olivenbaum sowie einen kleinen Swimmingpool.“ Dante betätigte wieder einen Schalter und tauchte eine moderne Küche mit viel Platz und ganz in Weiß gehalten in sanftes Licht. „Hast du Hunger?“

„Ja“, musste sie zugeben.

„Das dachte ich mir“, sagte er lächelnd. „Du musst etwas essen.“

Sie setzte sich an den breiten Küchentisch aus massivem Holz. Der Garten lag im Dunkeln da, aber Shay sah die Spiegelung des Wassers, das an die Terrasse schwappte.

„Wunderschön. Wie alt ist die Villa?“

„Sie wurde Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet, um das zerfallende Haus der Familie zu ersetzen, das irgendwann um 1500 gebaut worden war. Während des Vierten Kreuzzugs Anfang des 13. Jahrhunderts hielten sich auf diesem Land viele Kreuzfahrer auf.“ Dante brachte ihr ein Glas kaltes Mineralwasser mit Limonenscheiben. „Trink das, die Limonen sind aus meinem Garten.“

Shay nahm einen Schluck. „Kreuzfahrer? Woher weißt du das?“

„Das weiß doch jeder. Habt ihr in der Schule nichts über die Kreuzzüge gelernt?“

„Nein, davon stand wohl nichts im Lehrplan.“

„Auf dem Lido hatten sich an die zehntausend Kreuzfahrer versammelt, angetrieben von Papst Innozenz III., um Palästina zurückzuerobern. Sie saßen eine Weile hier fest, weil sie sich den Bau der Schiffe nicht leisten konnten. Mit der Eroberung der dalmatinischen Stadt Zara finanzierte man schließlich die Schiffe. Einige meiner Ahnen väterlicherseits haben in Zara mitgekämpft. Den Adelstitel bekamen sie jedoch erst gut 300 Jahre später. Dieses Haus hat damit allerdings nichts zu tun, da es der Familie meiner Mutter gehörte. Wie du siehst, haben wir eine bewegte Familiengeschichte.“

„Da habe ich nur wenig zu bieten. Über meine Familie weiß ich nicht viel.“

Dante zog die Brauen hoch. „Wirklich nicht?“

„Nein. Labadie ist ein französischer Name, das ist klar. Die Vorfahren meines Vaters kamen nach New Orleans, bevor es von den Amerikanern gekauft wurde. Als es noch Teil Frankreichs war, sind sie, glaube ich, von den Seeprovinzen an der kanadischen Atlantikküste nach Süden gezogen. Das muss während des Siebenjährigen Kriegs gewesen sein.“

„Siebenjähriger Krieg?“

„Ach, hattest du das nicht in der Schule?“

Da mussten beide lachen.

„Was hältst du von Risotto? Es ist noch ein Rest da“, fragte Dante schließlich.

„Gern.“

Er machte sich daran, das Essen aufzuwärmen, und Shay sah sich in der Küche um. Sie kochte selten, konnte aber mit primitiven Kochstellen umgehen und am offenen Feuer kochen. Dort, wo sie arbeitete, wurden die Mahlzeiten meistens auf Gaskochern zubereitet, da es an Strom fehlte – und oft sogar an sauberem Wasser.

Diese Küche war der pure Luxus!

Shay dachte an die schmale, heruntergekommene Küche ihrer Mutter. Als während des Wirbelsturms Katrina die Dämme brachen und schlammiges Wasser das Haus flutete, wurde sie, wie auch der Rest des Hauses, zerstört. Später kehrte Shay noch einmal dorthin zurück, um eventuell noch irgendwelche Besitztümer zu retten.

Erfolglos. Nur ein paar Fotos und Papiere wie Geburtsurkunden waren ihr geblieben. Ihre Mutter hatte sie in einem wasser- und feuersicheren Kasten verstaut und zusammen mit wenigen anderen Habseligkeiten in ihre Tragetasche gestopft, bevor sie aus der Luke aufs Dach geklettert war, um sich vor der steigenden Flut in Sicherheit zu bringen und auf Hilfe zu warten.

„Du wirkst traurig, cara.“

„Ja?“

„Sì.“ Dante stellte ihr einen Teller mit duftendem Risotto hin und setzte sich mit dem zweiten zu ihr. „Hast du etwas?“

„Nein, ich bin nur müde.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und schob sich eine Gabel voll Risotto in den Mund. „Hmm, das ist ja köstlich.“

Er lächelte zufrieden. „Ich koche gern.“

„Du bist also kein gewöhnlicher Prinz.“

„Wie meinst du das?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Du bist Chirurg, arbeitest gern mit den Händen, und du kochst selbst. Bedienstete hast du auch nicht.“

Dante lachte auf. „Doch, eine Putzfrau, die mir das Haus sauber hält. Aber du hast recht, ich erledige das meiste lieber selbst. Mein Großvater mütterlicherseits besaß ein großes Weingut in der Toskana, und obwohl er sehr wohlhabend war, hat er mir beigebracht, dass harte Arbeit keine Schande ist.“

„Meine Kochkünste sind eher bescheiden. Das Einzige, was mir richtig gut gelingt, sofern ich die Zutaten und genügend Zeit habe, ist boudin.“

„Und was ist das?“

„Eine mit Reis und grüner Paprika gefüllte Wurst.“

„Die möchte ich mal probieren.“

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“, meinte sie mit einem leisen Lachen.

„Die Zutaten besorge ich dir.“

„Das glaube ich dir, aber ich muss ein Training leiten und dir im OP assistieren. Ich bin zum Arbeiten hier, Dante. Zu nichts sonst.“

„Mein Beruf bedeutet mir genauso viel wie dir, aber man hat auch ein Privatleben. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit.“

„Für mich schon.“

„Und wenn das Kind da ist? Kommt die Arbeit dann immer noch an erster Stelle?“

„Natürlich nicht! Eine Frau kann arbeiten und gleichzeitig Mutter sein.“

Dante seufzte unterdrückt. „Das bestreite ich ja gar nicht. Aber du hast gesagt, dass die Arbeit dein Leben ausmacht. Was ist mit Freizeit, mit Vergnügen, Entspannung?“

Die Frage erwischte sie kalt. Bei jedem Einsatz war sie mit Leib und Seele bei der Sache. Für Freizeit hatte sie keine Zeit!

„Weißt du was? Ich bin wirklich müde“, sagte sie ausweichend. „Wo kann ich schlafen?“

„Natürlich. Komm mit.“

Shay folgte Dante die breite geschwungene Treppe hinauf ins nächste Stockwerk. Auch hier kamen sie an zahlreichen Zimmern vorbei. In einem großen offenen Wohnraum sah Shay ein Sofa und einen Tisch. Dante führte sie weiter in den hinteren Teil der Etage und betätigte einen Lichtschalter.

„Dies ist zurzeit das einzige Zimmer mit Bett. Du kannst gern hier schlafen, ich ziehe dann solange aus.“

„Ist das dein Schlafzimmer?“

, und auch das einzige mit einem angeschlossenen Bad. Ich benutze das Bad unten. Kein Problem.“

„Und wo schläfst du?“

„Auf dem Sofa. Ruh du dich aus, ich muss sowieso noch arbeiten. Ich bin noch nicht müde.“

„Ich möchte dich nicht aus deinem Schlafzimmer vertreiben.“

„Es macht mir nichts aus.“ Er lächelte. „Geh du ruhig schlafen. Morgen reden wir über Hochzeitspläne – vorausgesetzt, das Ergebnis ist positiv.“

„Klar, sicher.“ Shay verdrehte die Augen. Dante war so was von stur und misstrauisch.

Er nickte stumm und verließ das Zimmer.

Seufzend ließ sich Shay auf das breite Bett sinken. Sie nahm sich fest vor, ihm morgen zu sagen, dass sie nicht heiraten würden. Weil es eine dumme Idee war.

Allerdings kam sie nicht mehr dazu, sich zu überlegen, mit welchen Argumenten sie ihren Entschluss begründen sollte, denn wenig später schlief sie tief und fest.

4. KAPITEL

Durchdringendes Klingeln weckte Shay. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie war. Schläfrig rieb sie sich übers Gesicht, während sie in ihrer Handtasche nach dem Handy suchte.

„Hallo?“, sagte sie und versuchte, nicht so verschlafen zu klingen.

„Geht’s dir gut?“, ertönte Aubreys aufgeregte Stimme am anderen Ende.

„Ja, danke … Aber du hast mich geweckt.“

„Wo hast du geschlafen? Ich habe gestern Abend im Gästehaus angerufen, und Danica meinte, du würdest bei Dr. Affini übernachten. Sie soll deine Sachen dorthin schicken.“

„Nein, nein, ich bleibe nicht hier. Nur die eine Nacht.“ Sie seufzte. „Das ist eine lange Geschichte.“

„Hey, ich hab gesagt, du sollst ihm von dem Baby erzählen. Von bei ihm einziehen war nicht die Rede!“, neckte Aubrey.

Shay musste lachen. „Wo bist du denn heute?“ Sie hoffte, dass ihre Freundin in der Nähe war. Aubrey hatte einen Auftrag außerhalb der Lagunenstadt angenommen, reiste aber auch ein bisschen durch Italien.

„Zufällig bin ich tatsächlich in Venedig.“

„Dann erzähle ich dir alles beim Mittagessen. Wann hast du Pause?“

„Um zwei. Wollen wir uns im Braddicio treffen? Das ist nicht weit vom Krankenhaus, und ich habe gehört, dass es gut sein soll.“

„Sehr schön.“ Shay unterdrückte ein Gähnen. „Bis später, ich freue mich.“

„Pass auf dich auf.“

Shay legte das Handy weg und ging ins Bad, duschte schnell und zog sich an.

Das Badezimmer war ganz in Weiß und modern wie die Küche, mit Ausnahme der großen Badewanne auf Klauenfüßen, die mitten im Raum stand. Die Fenster reichten bis zum Boden, die Raffrollos davor waren heruntergelassen. An den Seiten drang Sonnenlicht herein.

Sie zog eins davon hoch und entdeckte überrascht, dass zwei der Fenster Verandatüren waren, die auf eine Dachterrasse hinausführten. Shay entriegelte sie und trat ins Freie. Vor ihr erstreckte sich in atemberaubender Schönheit die Adria mit ihrem meerblauen Wasser und hellen Sandstränden. Shay schloss die Augen und sog den Duft der blühenden Obstbäume ein, der sich mit dem Geruch von warmem Sand und salziger Brandung mischte. Als sie sie wieder öffnete und nach unten blickte, sah sie die hohen Steinmauern, die Dantes Garten einfassten. Und die Obstbäume, den alten Olivenbaum und den kleinen Swimmingpool, in dem Dante zügig hin- und herschwamm.

Nackt.

Shay wollte den Blick abwenden, konnte es aber nicht. Wie gebannt verfolgte sie jede seiner kraftvollen Bewegungen im klaren türkisblauen Wasser, während sie sich deutlich erinnerte, wie es war, die Hände über diesen athletischen Körper gleiten zu lassen. Zu spüren, wie er sie an sich presste, gehalten von seinen starken Armen. Seine warmen Lippen auf ihrer Haut, die Hitze, die sich in ihr ausbreitete …

Sieh nicht hin. Verlass das Haus, nimm die nächste Fähre nach Venedig, fahr zurück. Dorthin, wo du der Versuchung widerstehen kannst.

Der Versuchung, die von Dante ausging.

Entschlossen riss sie sich von dem verlockenden Anblick los, nahm ihre Handtasche und machte sich auf den Weg nach unten.

Als sie die Treppe erreichte, stieg ihr der aromatische Duft von frischem Kaffee in die Nase. Sie sehnte sich nach einer Tasse, aber Koffein war für sie tabu. Gerade als sie sich zur Küche wandte, kam Dante durch die offen stehenden Terrassentüren herein. Nur mit einem Handtuch um die Hüften, sodass Shay freien Blick auf seine breite muskulöse Brust hatte.

Autor

Robin Gianna
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Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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Louisa Heaton
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