Julia Ärzte zum Verlieben Band 142

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

IN DEN ARMEN DES PLAYBOY-DOCS von LUCY RYDER

Als Danielle einem sexy Fremden in die Arme stolpert, knistert es heiß. Doch die Ärztin hat den Männern abgeschworen! Schnell reißt sie sich los - nur um kurz darauf schockiert zu erkennen: Dylan ist ihr neuer Klinik-Kollege! Vergeblich versucht sie, ihn zu ignorieren …

WENN EIN ARZT SEIN HERZ RISKIERT von KATE HARDY

Nach einer schweren Enttäuschung zieht sich Dr. Ben Mitchell in das malerische Küstenörtchen Great Crowmell zurück. Statt zur Ruhe zu kommen, wird sein Leben jedoch bald von der süßen Schwester Toni durcheinandergewirbelt. Kann er es wagen, erneut sein Herz zu riskieren?

GEFÄHRLICHE SEHNSUCHT NACH DIR von ANNIE CLAYDON

Dr. Ethan Conway ist Kates Held, seit er sie vor ihrer Tierarztpraxis aus den Händen eines gefährlichen Angreifers befreit hat. Aber so sehr sie sich insgeheim nach seinen zärtlichen Umarmungen sehnt, darf sie ihm nicht zu nahekommen. Sonst entdeckt er noch ihr Geheimnis …


  • Erscheinungstag 21.08.2020
  • Bandnummer 142
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715595
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Ryder, Kate Hardy, Annie Claydon

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 142

LUCY RYDER

In den Armen des Playboy-Docs

Beim Blick in die geheimnisvollen grauen Augen seiner neuen Kollegin Danielle verspürt Dr. Dylan St. James vom ersten Moment an hungriges Verlangen. Doch kaum hat er sie zu einer heißen Liebesnacht verführt, muss er sich fragen: Ist er erneut an eine Frau geraten, die nicht ihn, sondern vor allem das Geld seiner Familie begehrt?

KATE HARDY

Wenn ein Arzt sein Herz riskiert

Mit erfolgreichen Londoner Ärzten wie Dr. Ben Mitchell hat Schwester Toni keine guten Erfahrungen gemacht – und dennoch zieht Ben sie magisch an! Schon bald kann sie seinen zärtlichen Küssen nicht mehr widerstehen und schwebt im siebten Himmel. Ihr Glück scheint perfekt, bis er sie nach einem folgenreichen Liebeswochenende in Wien plötzlich zurückstößt …

ANNIE CLAYDON

Gefährliche Sehnsucht nach dir

Die hübsche Tierärztin Kate weckt weit mehr in Dr. Ethan Conway als nur seinen Beschützerinstinkt. Aber er darf seiner Sehnsucht nach ihrer betörenden Nähe nicht nachgeben! Schließlich hat er sich nach dem Tod seiner Frau geschworen, sich mit ganzer Kraft um seinen kleinen Sohn zu kümmern. Da ist in seinem Leben kein Platz für eine neue Liebe, oder?

1. KAPITEL

Notfallmedizinerin Dr. Danielle Stevens überquerte den Parkplatz zum Angestellteneingang des St. Mary Hospital in der Innenstadt von Vancouver mit dem düsteren Gefühl, dass ihr Leben verflucht war. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, sie hätte geschworen, heute wäre Freitag, der Dreizehnte, und das Universum wollte sich über sie lustig machen.

Sie war bei Regen aufgewacht, was in Vancouver keineswegs ungewöhnlich war, und hatte dann festgestellt, dass ihre Dusche nicht funktionierte und die Wasserrohre bedenkliche Geräusche von sich gaben. Was natürlich wiederum bedeutete, dass sie nicht mehr duschen konnte, bis sich jemand die Sache angeschaut hatte. Und wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, war ihr außerdem auch noch der Kaffee ausgegangen, weil sie vergessen hatte, im Supermarkt vorbeizugehen und die allerwichtigsten Dinge einzukaufen. Dinge wie Kaffee, Peanutbutter, Käseflips sowie Haarspülung. Also fehlte ihr nicht nur das nötige Koffein, sondern sie hatte auch Hunger, und ihre Haare standen wild nach allen Seiten ab.

Zu guter Letzt hatte sie dann außerdem ein höchst unschönes Geschenk vorgefunden – einen halb aufgefressenen Vogel, dem der Kopf fehlte, was sie Kater Axel zu verdanken hatte, der ihrer Nachbarin Hilda gehörte.

Da ihr Auto in der Werkstatt war, musste Dani schließlich auch noch zehn Straßenblocks durch den strömenden Regen laufen.

Na toll.

Vermutlich würde es an diesem Tag genau so weitergehen, denn es war tatsächlich Freitag. Und Freitagnacht in der Notaufnahme konnte man nur als höllisch bezeichnen. Am Ende der Arbeitswoche schien den meisten Leuten der Verstand offenbar in demselben Maße abhanden zu kommen, wie ihr Alkoholkonsum anstieg.

Während Dani versuchte, so weit wie möglich zu ignorieren, dass ihr Leben gerade aus den Fugen geriet, spürte sie den Vibrationsalarm und hielt inne, um das Handy aus ihrer Umhängetasche zu holen.

In der Annahme, es wäre ihr Automechaniker, der schon wieder eine lahme Entschuldigung vorbrachte, warum ihr Wagen noch nicht repariert worden war, wischte sie verärgert über den Bildschirm. Nur um festzustellen, dass eine Facebook-Benachrichtigung sie dazu aufforderte, sich anzusehen, wie Richard Ashford-Hall, der Fiese … ups … der Dritte, sich gerade in Cabo Mexico amüsierte.

Mit einem entschiedenen Fingerdruck löschte sie diese Benachrichtigung.

„Nein“, teilte Dani dem Handy befriedigt mit, wobei sie entschlossen das unangenehme Gefühl verdrängte, das sie jedes Mal überfiel, wenn Richards Name erwähnt wurde. „Ich will nicht wissen, was dieser kranke, fremdgehende Mistkerl gerade tut, herzlichen Dank auch.“

Und noch weniger Interesse hatte sie daran, sich anzusehen, mit wem er es tat. Sie hoffte nur, dass seine Gespielin wusste, worauf sie sich da einließ.

Dani selbst hatte es damals nicht gewusst, aber dieses Kapitel ihres Lebens lag ja nun endgültig hinter ihr.

Zum Glück.

Es wäre nur schön, wenn die Leute endlich aufhören würden, sie ständig daran zu erinnern, wie dumm, naiv und vertrauensselig sie gewesen war. Oder wie märchenhaft ihr Leben hätte sein können, wenn sie bereit gewesen wäre, mit einem gewohnheitsmäßigen Lügner, Fremdgänger und aufgeblasenen Wichtigtuer verheiratet zu bleiben.

Sie schauderte bei der Erinnerung an ihre Ehe. Lieber würde sie bis in alle Ewigkeit auf einem baufälligen Hausboot mit fragwürdigen Rohrleitungen wohnen und sich von Peanutbutter und Käseflips ernähren, anstatt in die tückische Schlangengrube der Ashford-Hall-Familie zurückzukehren.

Ja, zum Henker, sie entsorgte sogar lieber Axels unerwartete Geschenke, als mit reichen, verzogenen Jungs und ihren widerlichen Freunden zu tun zu haben.

Da sie eine Nachricht von ihrem Mechaniker auf der Mailbox sah, hörte Dani diese ab. Als ein lautes: „Hey, Süße“, ertönte, verzog sie entnervt ihre Miene und stellte rasch den Ton leiser. „Hören Sie, es geht um Ihren Wagen. Sind Sie sicher, dass ich nicht einen Freund von mir anrufen soll, der Ihnen einen guten Preis für einen Tausch gegen diese Klapperkiste machen kann? Was die Bezahlung angeht, können wir uns bestimmt einigen“, erklärte er.

In seiner Stimme schwang ein anzüglicher Unterton mit, der ihr eine Gänsehaut verursachte und sie an die Typen in dem super-elitären Club erinnerte, bei dem ihr Exmann Mitglied gewesen war.

„Außerdem ist hier ein ganzer Haufen verschlissener Kabel, die schlecht zu identifizieren sind, und die Karre hat mehr Rost als ein alter Schleppkahn. Rufen Sie mich an. Jederzeit.“

Verärgert rief Dani zurück, erreichte jedoch nur den Anrufbeantworter, weil die Arbeitswoche bereits zu Ende war. Mist.

„Hier ist Danielle Stevens“, sagte sie energisch. „Und ich will keinen Tausch bei Ihrem Freund.“ Sie war ziemlich sicher, dass der Mechaniker illegale Kontakte besaß, und sie hatte garantiert nicht vor, sich ein gestohlenes Auto zuzulegen. Zwar versuchte sie, möglichst sparsam zu sein, aber etwas Derartiges gehörte auf gar keinen Fall dazu.

„Reparieren Sie einfach mein Auto!“, rief sie. Und ehe sie auflegte, fügte sie noch ein verspätetes „Bitte“, hinzu. Danach atmete sie tief ein, hielt die Luft zwei Sekunden lang an und atmete sie dann mit ihrem Ärger zusammen langsam wieder aus.

Na also, dachte sie. Ich bin total entspannt und nehme die Dinge einfach so, wie sie kommen.

Schließlich war das ja nichts Neues. Wieder ein Wochenende ohne Auto? Keine große Sache. Das hieß nur, dass sie nach ihrer Schicht die endlos lange Strecke zum Jachthafen zurücklaufen musste. Das hatte sie schon öfter gemacht und es auch überlebt. Damals zwar noch als Studentin, aber mit dreißig war sie ja immer noch jung und ein solcher Fußmarsch mit Sicherheit ausgesprochen gesund.

Hatte sie nicht gerade erst gestern festgestellt, dass ihre Jeans allmählich etwas eng saßen? Auf diese Weise würde sie die dringend nötige Bewegung bekommen, die sie sich selbst immer versprach, ohne auf Peanutbutter und Käseflips verzichten zu müssen.

Klar, es war auf jeden Fall gut für sie. Im Gegensatz zu den zwei Jahren, die sie als Mrs. Ashford-Hall verbracht hatte. Zwei Jahre, beziehungsweise eher drei, die sie nur allzu gern aus ihrem Gedächtnis gelöscht hätte.

Etwas Missmutiges über das fragwürdige Erbgut der gesamten männlichen Rasse – insbesondere Automechaniker, Vermieter und Ex-Ehemänner – vor sich hinmurmelnd, trat sie zwischen einer Reihe parkender Autos hervor, als gerade ein SUV an ihr vorbeiraste und geräuschvoll hupte. Die blöde Frau am Steuer, die offenbar keine Ahnung vom Autofahren hatte, bespritzte Dani mit einer reizenden Mischung aus Dreck, Regenwasser und allem Möglichen sonst noch.

Mit einem empörten Aufschrei sprang sie rückwärts, wobei sie auf der unebenen Straße stolperte. Im nächsten Moment prallte sie an die Stoßstange des Wagens hinter ihr und stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden.

Dabei flog ihr Handy in die eine und die Tasche in die andere Richtung, wobei sich deren Inhalt quer über dem Asphalt verstreute.

Benommen kniff Dani flüchtig die Augen zusammen. Was zum Teufel hatte sie bloß verbrochen, um einen solchen Tag zu verdienen? Da spürte sie plötzlich eine Bewegung neben sich, und als sie die Augen wieder öffnete, blickte sie in ein Paar besorgter moosgrüner Augen, die aus einer Entfernung von etwa dreißig Zentimetern auf sie herunterschauten.

Wow, wo kam denn dieser Kerl auf einmal her?

Blinzelnd sah sie auf in ein markantes Gesicht, das so attraktiv war, dass dessen Besitzer ohne Weiteres auf einer Kinoleinwand hätte erscheinen können. Oder in Danis geheimsten Fantasien, falls sie nicht dauerhaft von der gesamten Männerwelt Abstand genommen hätte.

Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr faszinierter Blick über eine hohe, breite Stirn glitt, umrahmt von glänzend dunklem Haar, dazu hohe Wangenknochen, eine gerade Nase, ein kraftvolles Kinn sowie ein schön geschnittener, männlicher Mund und ein geradezu perfekt dazu passender Bartschatten.

Der Ein-Tagesbart verlieh seinem prägnanten Kinn einen Ausdruck von Entschlossenheit, der darauf hindeutete, dass dieser Mann durch und durch ein Alpha-Tier war. Für einen Sekundenbruchteil hatte Dani den fast überwältigenden Drang, mit ihrem Finger den festen Mund nachzuzeichnen und dieses raue Zeichen der Männlichkeit zu spüren.

Aber das lag sicher nur am Schock.

Ihre Finger prickelten, als ob sie tatsächlich dem Impuls nachgegeben hätte, das Kinn des Unbekannten zu berühren. Und es dauerte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass er etwas sagte.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Die tiefe Stimme schien wie ein Mini-Orgasmus all ihre Sinne zu aktivieren. Dani erstarrte, als sich plötzlich ein unwillkommenes Kribbeln bis an Stellen in ihrem tiefsten Innern ausbreitete, die seit drei langen Jahren vollkommen tot gewesen waren. Sie blickte an sich herab, und es hätte sie nicht gewundert, wenn von ihrer durchnässten Kleidung auf einmal Dampf aufgestiegen wäre. Dieser Typ war einfach so heiß.

Oh nein! Sofort rief sie sich zur Vernunft. Absolut kein Kribbeln für irgendjemanden mit einem Y-Chromosom. Vergiss nicht, du hast mit der Männerwelt abgeschlossen.

Aus. Ende. Vorbei.

„Ma’am, haben Sie sich den Kopf gestoßen?“

Ma’am? Im Ernst? Seit wann war sie eine Ma’am für einen heißen Typen? So alt war sie ja nun auch wieder nicht. Und nach den feinen Lachfältchen um seine Augenwinkel herum zu urteilen, vermutlich sogar ein ganzes Stück jünger als er.

Obwohl sie antworten wollte, brachte sie lediglich ein Krächzen hervor, was ihr unendlich peinlich war. Offensichtlich hatte ihr der Sturz nicht nur den Atem, sondern auch noch die letzten Gehirnzellen geraubt.

Um ihre Würde wiederzugewinnen, schob sie sich das tropfende Haar aus den Augen und setzte sich auf. Als sie daraufhin ein heftiger Schmerz von ihrer Hüfte und ihrem Ellenbogen her durchzuckte, biss sie sich rasch auf die Lippen, um ein Stöhnen zu unterdrücken.

Ehe sie aufstehen konnte, legte der Fremde ihr seine große warme Hand auf die Schulter. „Bleiben Sie noch einen Augenblick sitzen.“

Während ihrer gesamten Ehe hatte Dani sich herumkommandieren lassen, und sie hatte es satt, Anweisungen von Leuten zu befolgen, die nicht für ihr Gehalt verantwortlich waren. Außerdem saß sie in einer Pfütze voller kaltem Regenwasser, das ihre Jeans und den Pullover durchdrang und sich ausgesprochen unangenehm anfühlte.

„Ähm …“ Na toll, jetzt war sie auch noch sprachlos. „Ich glaube nicht“, murmelte sie, während sie sich hochrappelte. Dabei verzog sie das Gesicht, weil mehrere Körperstellen dabei wehtaten.

Der Unbekannte hielt ihre Umhängetasche in seiner sonnengebräunten Hand und sammelte den verstreuten Inhalt wieder ein. Auf den Zehenspitzen nach vorne gebeugt, langte er nach einer ungeöffneten Schachtel mit Tampons, was in Dani erneut ein Gefühl tiefster Peinlichkeit auslöste, obwohl es eigentlich gar keinen Grund dafür gab. Für eine Ärztin waren Tampons doch eine völlig natürliche Sache.

Es folgte die Sonnenbrille, und als er den Liebesroman aufhob, den Dani an Stelle von Lebensmitteln gekauft hatte, hielt er inne, um den Klappentext zu lesen.

Sie wollte danach greifen, doch er hielt das Buch außerhalb ihrer Reichweite, bis er zu Ende gelesen hatte. „Zwei heiße Kerle?“, erkundigte er sich neugierig. So, als wäre sie die verrückte Heldin, die eine Schwäche für einen attraktiven Polizisten und einen noch attraktiveren Kopfgeldjäger hatte.

Dani verdrehte die Augen, nahm das Buch und ihre Tasche und begann, alles wieder hineinzustopfen. Leider konnte sie darin weder ihr Handy noch ihr Portemonnaie entdecken, in dem sich ihre letzten zwanzig Dollar Bargeld befanden. Sobald sie sich umblickte, sah sie ihren Retter, der das abgenutzte Portemonnaie in der Hand hatte und ihre Zugangskarte für das Krankenhaus betrachtete. Auf diesem Bild sah sie aus wie eine Psychopathin.

Es schien ihn zu amüsieren.

Mit einem unwilligen Ausruf entriss sie ihm die Karte und stopfte sie ebenfalls in ihre Tasche. Aus dem Augenwinkel erspähte sie dann ihr Telefon. Um es unter einem Wagen in der Nähe hervorzuholen, musste Dani sich auf alle Viere niederlassen und sich weit danach strecken. Als sie es schließlich wiederhatte, wandte sie sich um und bemerkte, wie der Unbekannte ihr auf den Po starrte.

Wieder stieß sie einen entrüsteten Laut aus, woraufhin der Mann lächelnd den Blick zuerst über ihre schmutzige, durchnässte Vorderseite hinaufgleiten ließ, dann kurz an ihrem Mund hängen blieb, ehe er ihr in die Augen schaute.

Entsetzt spürte Dani, wie ihre Brustwarzen vor Erregung hart wurden. Ihr Körper war also doch noch nicht völlig abgestorben.

„Ich lege gerade eine Pause von allem ein, was ein Y-Chromosom hat“, platzte sie heraus.

Als sie sein leises, samtweiches Lachen hörte, wäre sie am liebsten wieder unter das Auto zurückgekrochen. Hitze schoss ihr in die Wangen. Lieber Himmel, was war heute bloß los mit ihr?

„Gut zu wissen“, meinte der Fremde gedehnt. „Das würde auch das Ablaufdatum erklären.“

Was?

Er hielt ein viereckiges Folienpäckchen hoch. Ein Kondom? Danis Augen weiteten sich unwillkürlich, und sie scheute davor zurück, als könnte es beißen. „Äh … Ich …“, stotterte sie. „Das ist nicht …“ Entschieden schüttelte sie den Kopf und wich zurück. „Nein. Definitiv nicht meins.“

Er beugte leicht die Knie, um ihr direkt in die Augen zu sehen. „Sind Sie sicher, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist? Sie sind ziemlich hart gefallen.“

Doch Dani war fest entschlossen, sich auf keine Diskussion über ihren uneleganten Sturz, ihr schmerzendes Hinterteil oder sonst irgendwas einzulassen. „Mir geht’s gut, wirklich“, meinte sie schnell und wünschte, sie könnte einfach verschwinden.

Schlimm genug, dass überhaupt irgendjemand ihre peinliche Vorstellung mitgekriegt hatte. Aber dass es ausgerechnet auch noch der heißeste Typ in ganz Kanada sein musste, war ein Beweis für ihre Theorie, dass das Universum es auf sie abgesehen hatte.

„Und was ist damit?“ Er hielt das ungeöffnete Kondom in die Höhe.

„Behalten Sie’s.“

„Danke“, erwiderte er ironisch. „Aber was ist, wenn Sie es brauchen?“

Dani presste den Mund zusammen und schüttelte energisch den Kopf. „Ich nehme mir gerade eine Auszeit, schon vergessen?“

Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während er die Hand ausstreckte, um ihr eine nasse, gekräuselte Strähne hinters Ohr zu stecken. „Ach ja, stimmt.“

Der Kontakt war so unerwartet, dass sie erneut erstarrte, als sie seine rauen Fingerspitzen an den sensiblen Stellen an ihrem Ohr spürte. Unzählige lustvolle Empfindungen schienen auf einmal über ihre Haut zu streichen. Dani konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie zuletzt von einem Mann berührt worden war. Oder vielmehr, wann sie tatsächlich von einem Mann hatte berührt werden wollen.

Die plötzliche Sehnsucht danach erschreckte sie.

Oh je.

Dass dies ausgerechnet bei einem vollkommen Fremden passierte, brachte sie noch mehr aus der Fassung. Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.

„Bloß so aus Neugier“, fuhr Mr. Hot Guy fort. „Heißt das, Sie stehen momentan eher auf Frauen?“ Die Vorstellung war für ihn offenbar durchaus reizvoll.

„Was?“ Dani blieb der Mund offen stehen, und ihre Benommenheit löste sich schlagartig auf. „Nein!“ Sie schlug seine Hand beiseite und wich mehrere Schritte zurück. „Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber, nein, ich stehe nicht auf … Also echt!“ Sie stöhnte entnervt. „Sie sind ja so ein … Kerl!“

„Schuldig im Sinne der Anklage.“ In seinen grünen Augen lag ein belustigtes Glitzern. „Aber dann bin ich ja froh.“

„Froh?“

„Dass Miss Süß und Kess nicht bei dem anderen Team mitspielt.“

„Oh, mein Gott!“ Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. „Bitte hören Sie auf damit!“ Mit einem Seufzen und Lachen zugleich stieß sie den Finger in seine Richtung. „Und vergessen Sie, dass Sie das gehört haben. Am besten vergessen Sie die gesamten letzten zehn Minuten, weil …“ In diesem Moment erblickte sie einige ihrer Kollegen am Eingang zum Krankenhaus, die auf ihre Uhren deuteten, um zu zeigen, dass sie sich beeilen sollte. „Ich muss los.“

Dani wollte auf die Straße treten, da wurde sie an eine warme, harte Männerbrust gepresst, als ein Auto an ihr vorbeizischte.

„Vorsicht“, sagte er leise an ihrem Ohr, und wieder wurde ihr ganzer Körper von einem sinnlichen Schauer erfasst.

Allerdings, schimpfte sie mit sich selbst. Es täte ihr sicher gut, diesen Rat zu beherzigen. Während sie eine Entschuldigung murmelte, humpelte sie zu dem Angestellten-Eingang hinüber. Von dort aus schaute sie über die Schulter zurück und sah, wie der Unbekannte ihr nachblickte. Ein kleines, verblüfftes Lächeln umspielte seinen wahnsinnig sexy Mund. So, als könnte er kaum glauben, was er gerade erlebt hatte.

„Danke!“, rief sie ihm zu. Dabei ignorierte sie das nagende Gefühl, dass sie gerade vor etwas Wunderbarem weglief. Vor etwas Aufregendem, aber auch Erschreckendem.

Lächelnd rief er zurück: „Jederzeit gerne wieder.“

Dani blieb erneut stehen, ohne zu wissen, warum es ihr anscheinend so schwerfiel, einfach weiterzugehen. Denn sie war ziemlich sicher, dass sie am besten meilenweit weglaufen sollte.

Sekundenlang sahen sie einander über die nasse Straße hinweg an.

Schließlich lachte er leise und fragte mit seiner tiefen, rauen Stimme: „Sind Sie sicher, dass Sie es sich mit Ihrem Boykott nicht noch mal anders überlegen wollen?“

„Nein“, erklärte sie mit fester Stimme. „Ganz bestimmt nicht.“

Der Mann schwieg und musterte sie prüfend, ehe er schließlich nickte. „Mein Pech.“ Er kramte seinen Schlüssel aus der Hosentasche. „Wir sehen uns, Sie süßes kleines Ding.“

Doch das hatte nichts weiter zu bedeuten. Widerstrebend wandte Dani sich ab. Männer flirteten ständig. Es war eine Art Zeitvertreib, so wie Biertrinken, Rülpsen und Fremdgehen. Abgesehen davon hatte sie ohnehin schon genug Probleme. Da brauchte sie nicht auch noch einen hochgewachsenen Unbekannten, über den sie sich den Kopf zerbrach.

Als sie die Rampe hinaufhumpelte, dachte sie, das Wichtigste momentan war die Tatsache, dass sie zu spät zum Dienst erschien und aussah, als hätte sie gerade eine Runde Schlamm-Catchen hinter sich.

Lächelnd ging Dylan St. James zu seinem Jeep. In letzter Zeit hatte es für ihn nicht viel Grund zum Lächeln gegeben. Aber der kleine sexy Pechvogel, dem er eben begegnet war, hatte geschafft, was schon lange niemandem mehr gelungen war. Sie hatte ihn zum Lachen gebracht. Ein kleines Wunder in Anbetracht all dessen, was in den vergangenen beiden Jahren geschehen war.

Nach einem langen Kampf gegen Speiseröhrenkrebs hatte er seinen Großvater verloren, und einer seiner Freunde war bei einem Kletterunfall ums Leben gekommen. Beides innerhalb von zwei Monaten. Nach diesem doppelten Schicksalsschlag hatte Dylan einen befristeten Arbeitseinsatz auf einem westafrikanischen Krankenhaus-Schiff angenommen in der Hoffnung, diese Arbeit würde ihm helfen, darüber hinwegzukommen.

Er hatte sich voll in die Arbeit gestürzt, die er liebte. Nämlich mit seinen Fähigkeiten als orthopädischer Rekonstruktionschirurg Menschen und vor allem Kindern dabei zu helfen, dass sie ein möglichst normales Leben führen konnten. Denjenigen zu helfen, die im Allgemeinen keinen Zugang zu moderner medizinischer Versorgung besaßen.

Hier hatte er einige großartige Menschen kennengelernt und sich auf eine lockere Affäre mit einer Projekt-Koordinatorin eingelassen. Eine Beziehung, die eher aufgrund räumlicher Nähe und Bequemlichkeit beruhte als auf echten Gefühlen. Zumindest bei Dylan. Er hatte geglaubt, sie seien Freunde mit gelegentlichen Vorzügen. Bis zu dem Zeitpunkt, als Simone ihre Bombe hatte platzen lassen, dass sie schwanger war.

Das war ein großer Schock für ihn, da sie in dieser Phase nur sehr selten zusammen gewesen waren und er nie ungeschützten Sex hatte. Niemals. Das war jedoch noch nicht das Schlimmste. Dylan war bereit gewesen, sich seiner Verantwortung zu stellen, allerdings ohne die Frau zu heiraten, die ihm nichts weiter bedeutete. Aber da hatte sie offensichtlich etwas ganz anderes vor.

Eines Abends, als er früher als erwartet im OP fertig geworden war, war er zum Speisesaal gegangen. Dort hatte er zufällig mit angehört, wie Simone und eine australische Krankenschwester über ihn sprachen, beziehungsweise vor allem über das Vermögen seiner Familie. Simone hatte damit geprahlt, dass sie sich einen reichen kanadischen Arzt geangelt hätte. Der einzige Grund, weshalb sie in solch gottverlassenen Ländern auf einem Schiff arbeitete, auf dem es noch nicht einmal einen Swimmingpool gab.

Als ob das auf einem Hospitalschiff wichtig wäre.

Dylan hatte sich gerade zu erkennen geben wollen, als er noch etwas wesentlich Aufschlussreicheres zu hören bekam. Nämlich dass das Baby, das Simone ihm unterschieben wollte, von einem anderen Kollegen stammte. Einem verheirateten Kollegen.

Dass sie erschrak, als sie aufschaute und Dylan vor sich sah, wäre eine Untertreibung gewesen. Es hatte Tränen, flehentliche Bitten, Drohungen und hysterische Anfälle gegeben. Aber am Ende hatte es ihm gereicht. Er hatte seinen Einsatz beendet und war dann nach Hause gekommen.

Simone war nicht die erste Frau, die sich ihm an den Hals warf, nachdem sie erfahren hatte, dass seiner Familie das größte Schifffahrtsunternehmen am Pazifik gehörte. Und sie würde vermutlich auch nicht die letzte sein. Dylan musste sich in Zukunft einfach noch vorsichtiger verhalten, das war alles. Außerdem hatte er nicht das geringste Interesse daran, jemanden zu heiraten, mit dem er sich nicht vorstellen konnte, gemeinsam alt zu werden.

Nicht dass er etwas gegen das Heiraten gehabt hätte. Aber bisher hatte er noch keine Frau gefunden, die ihn wollte und nicht das Geld seiner Familie. Eine Frau, mit der er eine solche Beziehung aufbauen konnte, wie seine Eltern und Großeltern sie gelebt hatten.

Manchmal fragte er sich, ob das wohl jemals passieren würde.

Sobald Dylan seinen Jeep entriegelt hatte, stieg er ein. Als er den Zündschlüssel einstecken wollte, bemerkte er das Kondom, das er noch immer in der Hand hielt. Mit einem amüsierten Lachen über die Verlegenheit der Frau von eben, die so eisern darauf beharrt hatte, dass es nicht ihr gehörte, warf er es ins Handschuhfach.

Sie war ein temperamentvolles Bündel voller Widersprüche. Er dachte an ihre großen grauen Augen, als sie damit herausgeplatzt war, dass sie sich gerade eine Auszeit von allem nahm, das ein Y-Chromosom besaß. Das hatte seltsam gemischte Gefühle in ihm hervorgerufen, die er eigentlich lieber verdrängen wollte.

Kopfschüttelnd ließ er den Wagen an, fuhr rückwärts aus der Parklücke und zum Ausgang des Parkplatzes. Auf einmal war er viel besser gelaunt als bei seiner Landung vor ein paar Stunden. Jetzt hatte er einige Tage Zeit, die er bei seiner Familie verbringen wollte, und danach würde er zu seiner Arbeit als Facharzt im St. Mary’s zurückkehren.

Der Gedanke, dort eine gewisse kleine, sexy Kollegin wiederzusehen, entlockte ihm erneut ein Lächeln der Vorfreude.

Doch das war wahrscheinlich nur dem langen Flug und den drei Tagen ohne viel Schlaf zuzuschreiben, die er gerade hinter sich hatte.

2. KAPITEL

Dylan fiel in seine Krankenhaus-Routine zurück, als wäre er bloß eine Woche lang weg gewesen. Sein alter Kollege Steve Randall freute sich so sehr über seine Rückkehr, dass er sofort alle Termine so weit wie möglich verlegt hatte, um auf Bora Bora im Südpazifik Urlaub zu machen. An seiner Stelle übernahm nun Dylan diejenigen Operationen, die nicht verschoben werden konnten.

Obwohl er viel zu tun hatte, ging ihm die niedliche kleine Brünette vom Parkplatz neulich nicht aus dem Kopf. Das ärgerte ihn. Schließlich war er ein fünfunddreißigjähriger Mann, der seit fast zwanzig Jahren mit Frauen zusammen gewesen war. Und noch nie hatte er während einer Operation an eine Frau gedacht.

Bis zu dem Tag, als er in die geheimnisvollen grauen Augen einer unwiderstehlichen jungen Frau geblickt hatte, während er den verstreuten Inhalt ihrer Handtasche einsammelte.

Sie tauchte nicht nur in seinen Träumen auf, sondern drängte sich sogar im OP in seine Gedanken. Das musste aufhören. Ablenkungen dieser Art konnte Dylan sich nicht leisten. Da er alleine war, blieb ihm nicht mal Zeit für eine Mittagspause, geschweige denn für eine Frau, die fest entschlossen war, sich von Männern fernzuhalten.

Er fragte sich, was ihr zugestoßen sein mochte, dass sie Männern so sehr misstraute. Er verspürte das unerklärliche Bedürfnis, den Kerl zu finden, der dafür verantwortlich war, und ihn zu verprügeln. Dylan hatte zwei Schwestern und würde mit jedem Kerl, der ihnen übel mitspielte, dasselbe tun.

Ja, genau. Er empfand einfach nur einen brüderlichen Beschützerinstinkt für die kleine Brünette. Mehr nicht. Schließlich wusste er nichts über sie, außer dass sie ebenfalls im St. Mary’s arbeitete. Es war ein großes Krankenhaus, und er hatte weder Zeit noch Lust, eine Frau zu suchen, die keinerlei Interesse an ihm hatte.

Es war sogar umso besser, dass sie auf seinen Flirtversuch nicht eingegangen war. Denn er wollte nichts weiter, als ab und zu mal ein paar nette Stunden mit einer attraktiven Frau verbringen, die wusste, worum es ging. Da die Kleine ganz offensichtlich nicht der Typ für ein solches Arrangement war, beschloss Dylan, sie aus seinem Kopf zu verbannen und sich darauf zu konzentrieren, seinen hervorragenden Ruf als Chirurg weiter auszubauen.

Nach unzähligen, eng aufeinanderfolgenden Terminen und zwei Tagen, an denen er von morgens bis abends operiert hatte, war Dylan am Donnerstagabend der nächsten Woche froh, endlich nach Hause zu können. Er nahm seine Lederjacke, schaltete das Licht aus und ging durch den dunklen Warteraum. Es war schon nach acht, und er hatte die Absicht, sich in einer Sport-Bar am Jachthafen mit ein paar Kajakfreunden zu treffen. Seit seiner Rückkehr hatte er sie noch nicht gesehen, und er wollte gerne bald wieder aufs Wasser.

Er war gerade im Begriff, hinter sich abzuschließen, da klingelte sein Handy. Nach einem schnellen Blick auf das Display lächelte er. „Hi, Mom. Was ist los?“

Seine Mutter lachte. „Gar nichts ist los, Darling. Ich rufe bloß an, um herauszufinden, was mein Lieblingssohn am Wochenende vorhat, und ihn zum Dinner einzuladen.“

„Mom, ich bin dein einziger Sohn.“

„Und deshalb auch mein Lieblingssohn“, entgegnete sie scherzhaft.

Dylan lachte ebenfalls. „Ich würde gerne zum Essen kommen, Mom, aber ich habe Rufbereitschaft. Bei einem Notfall würde es zu lange dauern, um von West Vancouver zum Krankenhaus zu fahren.“

„Das ist ja das Schöne an meinem Plan, Darling“, erwiderte Vivian St. James selbstzufrieden. „Wir gehen mit den Hendersons zum Dinner ins Regis. Du erinnerst dich doch noch an Fred und Daphne?“

Der allzu muntere Tonfall seiner Mutter machte Dylan misstrauisch. Und ihr nächster Satz bestätigte seinen Verdacht.

„Jedenfalls ist ihre Tochter Abigail wieder aus Europa zurück, und wir könnten doch alle schön zusammen essen …“

„Mom“, unterbrach er sie sanft. „Lass es.“

Nach einer kurzen Pause fragte sie: „Was denn?“

Er seufzte. „Du willst mich wieder verkuppeln.“

„Ach was! Das ist doch Unsinn“, wehrte sie mit einem Lachen ab.

Doch er merkte ihr an, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Seine Mutter versuchte, ihm ein Date zu vermitteln in der Hoffnung, dass es zum Altar führen würde. Sie wollte vor ihrem Tod noch Enkelkinder haben. Dabei war sie erst sechzig.

„Selbst wenn es wahr wäre, junger Mann, du musst unbedingt mehr ausgehen und Leute treffen. Frauen“, fügte sie hinzu.

„Mom, ich treffe jeden Tag Frauen. Und außerdem habe ich schon jemanden kennengelernt“, hörte er sich plötzlich sagen. Doch dann hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen, weil er ihr damit falsche Hoffnungen machte. Vivian würde ihm so lange in den Ohren liegen, bis er ihr die erfundene Frau vorstellte. Dylan liebte seine Mutter sehr, aber sobald sie der Ansicht war, dass eins ihrer Kinder einen hilfreichen Schubs in die richtige Richtung benötigte, tat sie alles dafür.

„Ach ja?“

Oh, verdammt! Seine Mutter schien überglücklich zu sein, dass ihr Sohn sich nach dem Tod seines Freundes endlich mal wieder verabredete. Sie fand jedes ihrer Kinder großartig und konnte einfach nicht widerstehen, sich in deren Angelegenheiten einzumischen.

„Das ist ja wunderbar, Darling! Wo seid ihr euch begegnet, und wann lerne ich sie kennen?“

Belustigt gab er zurück: „Wer sagt denn, dass es eine Sie ist?“

Sekundenlang herrschte verblüfftes Schweigen am anderen Ende des Telefons, und Dylan konnte sich den Ausdruck seiner Mutter lebhaft vorstellen.

Dann schnaubte Vivian jedoch ungläubig. „Dylan Thomas St. James!“ Sie musste lachen. „An Homosexualität gibt es nichts auszusetzen, aber du willst mich bloß ärgern. Also, wann kann ich sie kennenlernen?“

Zum Glück hörte er in diesem Augenblick den Piepton eines eingehenden Anrufs. „Sekunde, Mom. Ich kriege gerade einen Anruf.“ Mit einem schnellen Tastendruck nahm er den Anruf an. „St. James.“

„Hier ist Rona Sheppard von der Notaufnahme“, sagte eine resolute Stimme. „Sind Sie noch im Hause?“

„Ja.“ Dylan streifte seine Lederjacke ab und eilte zu seinem Kittel. Ein solcher Anruf bedeutete grundsätzlich, dass er noch eine Weile hierbleiben würde. „Was gibt’s?“

„Ein kleines Kind mit einer schweren Armverletzung“, antwortete die Stationsärztin. „Voraussichtliche Ankunftszeit in drei Minuten. Vitalfunktionen schwankend.“

„Bin gleich unten.“ Dylan legte auf, in Gedanken bereits bei seinem nächsten Fall. Erst als er das Handy in die Tasche stecken wollte, erinnerte er sich wieder an seine Mutter. „Mom, tut mir leid, aber das mit dem Dinner heute Abend klappt nicht.“ Dass er eigentlich auf dem Weg zu Harrys Bar am Jachthafen gewesen war, erwähnte er lieber nicht. Vor allem, um zu vermeiden, dass seine Mutter ihm einen Vortrag über die Frauen hielt, die sich in Sport-Bars aufhielten.

„Oh, wie schade.“ Vivian seufzte. „Ich habe mich so gefreut, dass du wieder hier bist. Ist es was Schlimmes?“

„Ich weiß noch nicht, aber es geht um ein kleines Kind.“

„Oh, Darling. Ich weiß, wie sehr dir solche Fälle zu schaffen machen. Ruf mich an, wenn du kannst.“

Er verabschiedete sich, legte auf und nahm dann die Treppe, anstatt auf den Lift zu warten. Schwere Verletzungen waren immer dramatisch. Und bei einem Kind war noch mehr Eile geboten.

Als er durch die Schwingtüren kam und mit langen Schritten den Korridor hinunterlief, hörte er, wie jemand kurze, schnelle Anweisungen erteilte. Eine weiche, weibliche Stimme, die er sofort erkannte. Noch ehe er den Schockraum erreicht hatte, wusste er aufgrund der zackig hervorgestoßenen Befehle, dass der Patient bereits eingetroffen war. Das Erstaunlichste war, dass mitten im Zentrum des Chaos die brünette Frau vom Parkplatz stand und ihre Anordnungen gab.

Die behandelnde Ärztin.

Warum ihn dieser Anblick so vollkommen durcheinanderbrachte, wusste Dylan nicht. Unvermittelt blieb er an der Tür stehen, wobei sich sein Magen in einer Mischung aus Furcht und düsterer Vorahnung verkrampfte.

Der Junge, nicht älter als sechs oder sieben, sah auf der Liege so klein und zerbrechlich aus, dass sich Dylans Herz schmerzlich zusammenzog, ehe er sich innerlich davon distanzieren konnte. Solche Fälle gingen ihm jedes Mal unter die Haut. Und falls es seinem Team nicht gelingen sollte, den abgetrennten Arm wieder mit dem Körper zu verbinden, würde es ihn noch viel mehr quälen.

Der Anblick der blutdurchtränkten Kompresse versetzte ihn nach Westafrika zurück, wo er die beiden letzten Jahre damit verbracht hatte, Gliedmaßen zu replantieren, die entweder durch Explosionen oder Geschützfeuer abgerissen oder auch von Panga schwingenden Soldaten abgehauen worden waren. Die Behandlung der jungen Opfer war immer am schwierigsten gewesen, denn oft hatte es keine Gliedmaßen mehr gegeben, die man wieder hätte replantieren können. Häufig hatten auch bereits Nekrosen oder Infektionen eingesetzt, bevor die Kinder zu ihm kamen.

Das bedeutete lebenslanges, unnötiges Leid und Behinderungen, falls sie es tatsächlich überlebten. Und mehr als einmal hatte Dylan sich gefragt, wozu das alles gut sein sollte.

In seinen Erinnerungen verloren, hörte er kaum, wie die behandelnde Ärztin fragte: „Wer ist der diensthabende Orthopäde? Hat ihn jemand gerufen?“

Erst als sein Name genannt wurde, brachte ihn das wieder in die Gegenwart zurück.

„Rona hat gesagt, dass Dr. St. James schon unterwegs ist.“

Der abrupte Wechsel von seinen Erinnerungen, die ihm noch immer viel zu frisch und lebendig im Gedächtnis waren, zu den hellen Lichtern des Schockraums, verursachte bei Dylan flüchtig ein Gefühl der Verwirrung. Er sah, wie die Ärztin sich stirnrunzelnd das Stethoskop vom Hals nahm.

„Ist das der Neue, bei dem sie alle reihenweise in Ohnmacht fallen?“, fragte sie abwesend. Dabei steckte sie die Bügel in die Ohren und ließ die Metallmembran über die Brust des Jungen gleiten. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich an eine andere Krankenschwester. „Paula, wir brauchen noch mehr Blut, bevor wie ihn in den OP bringen können. Schließ einen weiteren Beutel an und achte darauf, dass wir genug Blut zur Verfügung haben. Hoffen wir mal, dass der heiße neue Typ nicht bloß ein hübsches Gesicht hat. Ohne seinen Arm aufzuwachsen, ist das Letzte, was dieser kleine Kerl gebrauchen kann.“

Dylan atmete tief durch, schob rasch seine Erinnerungen beiseite und betrat den Raum, als sie gerade auf den Monitor schaute. „Verdammt noch mal, wo bleibt der Mann? Amy, ruf noch mal an. Wir …“

„Nicht nötig“, unterbrach er sie. Mit einem Blick beurteilte er den Zustand des Jungen, während er seine Finger auf die Oberarmarterie oberhalb der Verletzungsstelle legte. Der Pulsschlag war langsam und unregelmäßig, kaum noch vorhanden.

Sich der Nähe der brünetten Ärztin nur allzu deutlich bewusst, spürte Dylan sofort den Moment, als sie ihn wiedererkannte, da sie plötzlich hörbar nach Luft schnappte. Sie hielt mitten in der Bewegung inne, und als er aufsah, waren ihre Augen beinahe erschrocken geweitet.

Dylan, der ihren Blick festhielt, schlug einen ruhigen, gedämpften Ton an. „Um was für eine Verletzung handelt es sich hier, Dr. … äh …?“

„Ich … ich …“, stotterte sie.

Die blonde Krankenschwester hatte die Reaktion der Ärztin ebenfalls mitbekommen, denn sie schaute zwischen ihnen beiden hin und her. Offenbar bemerkte sie die plötzliche Anspannung im Raum.

„Dani?“ Die Krankenschwester war gerade im Begriff, das intubierte Kind mit einem weiteren Blutbeutel zu versorgen. „Alles in Ordnung mit dir?“

Die Ärztin blinzelte unvermittelt, und auf einmal wirkte sie nervös. „Ich bin Dr. Stevens. Er … ähm …“ Sie musste sich sichtlich zusammenreißen. „Er hat seinen Arm etwa zweieinhalb Zentimeter oberhalb des Ellenbogengelenks verloren.“

Die beiden Krankenschwestern sahen einander erstaunt an.

„Das sehe ich“, erklärte Dylan. „Haben die Sanitäter gesagt, wie es passiert ist?“

Heiße Röte schoss Dani in die Wangen, und sie verzog entnervt die Miene, ehe sie sich nach einem tiefen Atemzug wieder in die kühle, beherrschte Notfallmedizinerin von eben verwandelte. „Anscheinend ist eine Fensterscheibe auf ihn draufgefallen“, berichtete sie knapp. Ihrer klaren Stimme war nur noch ein kaum wahrnehmbares Beben anzumerken.

„Handelt es sich um eine Quetschverletzung?“

„Nein. Ziemlich sauber. Ich musste die Oberarmarterie abklemmen, um den Blutdruck zu erhöhen, bin aber nicht sicher, wie lange er noch auf die OP warten kann.“

Mit einem Nicken wies Dylan zu dem Kühlbehälter auf dem Rollwagen neben der Liege. „Wie ist der Zustand des Arms?“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihn mir anzusehen. Aber das Rettungsteam hat gesagt, dass er intakt ist.“

Er hob die blutdurchtränkte Bandage an und sah darunter die Klemme am Ende der Arterie. Nach einem Blick auf die gesplitterten Knochenränder nickte er kurz und ging zur Tür. „Wir brauchen Röntgenaufnahmen von beiden Seiten, und bringen Sie ihn hoch, sobald er fertig ist. Wir warten auf ihn.“

Auf dem Weg zum Operationssaal tippte Dylan eine Nummer auf seinem Handy ein.

Als seine Kollegin sich beim dritten Klingeln meldete, sagte er: „Kate, hier ist Dylan. Wie schnell könntest du im OP sein?“

„In zwanzig bis dreißig Minuten. Wieso?“

„Ich brauche deine mikrochirurgischen Fähigkeiten für eine Replantation.“

Kate lachte. „Ich habe keine Rufbereitschaft.“

„Ich weiß. Aber wenn ein Kind seinen Arm verliert, bist du die Gefäßchirurgin meiner Wahl. Ich brauche dich in meinem Team.“

Ihr stockte hörbar der Atem. „Ein Kind? Bitte sag mir, dass es keine Quetschverletzung ist.“

Er drückte auf den Liftknopf. „Nein, ist es nicht. Eine Glasscheibe hat ihm den Arm oberhalb des Ellenbogens abgetrennt. Natürlich ist dabei einiger Schaden entstanden, aber es sollte eigentlich eine unkomplizierte Operation werden.“

Sie seufzte. „Also gut. Fangt schon mal ohne mich an. Ich bin unterwegs.“

Während Dylan auf den Lift wartete, piepte er den Gefäßchirurgen an, der Rufbereitschaft hatte, ebenso wie einen plastischen Chirurgen. Als der Lift kam, trat er hinein, in Gedanken mehr bei dem bevorstehenden Eingriff als bei der Frau in der Notaufnahme.

Später war noch genug Zeit, um über seine Reaktion auf das Wiedersehen mit ihr nachzudenken. Als ihre grauen Augen so verwundert auf ihn gerichtet waren, hatte es ihm förmlich einen Schlag vor die Brust versetzt. Sie hatte verblüfft und verlegen gewirkt. Sogar irgendwie bestürzt. Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, ihn wiederzusehen.

Dylan selbst fühlte sich auch etwas aus der Fassung gebracht. Aber nicht etwa, weil er bei dem Blick in ihre rätselhaften Augen auf einmal den Boden unter den Füßen verloren zu haben schien. Was zum Teufel war da gerade passiert?

Nein, beruhigte er sich schnell. Er war bloß überrascht gewesen. Überrascht, dass sie vollkommen selbstsicher ihre Anweisungen gegeben hatte, ohne die geringste Andeutung der charmanten Ungeschicklichkeit bei ihrem ersten Zusammentreffen. Ja, es war lediglich die Überraschung darüber, sie gefunden zu haben, ohne dass er es überhaupt versucht hatte.

Auf gar keinen Fall konnte es daran liegen, dass in dem Moment, als er sie sah, etwas tief in seinem Innersten zu ihm gesagt hatte: Da bist du ja.

Das wäre einfach zu verrückt gewesen.

Dani und eine Krankenschwester schoben die Liege aus dem Aufzug und eilten damit den Gang hinunter zum OP. Amy kümmerte sich in der Notaufnahme um die verzweifelte Mutter des kleinen Patienten, die gerade eingetroffen war, als sie ihn zum Lift brachten.

Ihren kleinen Jungen fast leblos auf der großen Erwachsenenliege zu sehen, war für die schwangere Christine Nolan fast zu viel gewesen. Dani hatte Amy daher gebeten, ihr etwas zur Beruhigung zu geben, bevor sie es womöglich gleich mit zwei Patienten zu tun hatten.

Sobald sie durch die Schwingtür kamen, griff die OP-Schwester nach dem Kühlbehälter. „OP Nummer vier“, erklärte sie knapp. „Sie werden erwartet.“

Schnell eilten sie weiter zu dem Durchgang, wo eine weitere Pflegekraft ihnen die Tür aufhielt. Dani übergab die Liege und schaute hinüber zu dem OP-Team, dessen Mitglieder am Leuchtkasten standen und die Röntgenaufnahmen betrachteten, die sie vor zehn Minuten hatte machen lassen.

Vor allem wurde ihr Blick von einer ganz bestimmten Gestalt angezogen. Und als spürte er ihre Gegenwart, drehte der Mann sich um und fing sofort ihren Blick auf. Bei seinem Anblick, wie er alle anderen um einen Kopf überragte, beschleunigte sich ihr Pulsschlag unwillkürlich. Bereits in OP-Anzug, Kittel und Haube, sah Dr. Hot Guy aus, als gehörte ihm die Welt.

Danis Wangen glühten vor Verlegenheit bei der Erinnerung an ihre beiden vorherigen Begegnungen, und sie hoffte inständig, dass es ihr erspart blieb, sich noch ein drittes Mal vor ihm zu blamieren. Was musste er wohl von ihr denken? Erstens, dass sie tollpatschig war und mit allem herausplatzte, was ihr gerade durch den Kopf ging. Und zweitens, dass sie plötzlich zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fähig war, sobald sie seine tiefe, sexy Stimme hörte.

In dem Augenblick, als sie in die moosgrünen und von dunklen Wimpern umrahmten Augen geblickt hatte, war ihr Kopf schlagartig leer gewesen. Dann hatte er ihr eine Frage zu der Verletzung gestellt, woraufhin sie eine schrecklich dumme Antwort gegeben hatte, bei der sogar ein Medizinstudent gestutzt hätte.

Dani konnte nur hoffen, dass niemand es bemerkt hatte. Ach Unsinn, da brauchte sie sich nichts vorzumachen. Natürlich war es allen aufgefallen. Vor allem ihm. Oh nein, dachte sie, während ihr erneut die Schamesröte in den Nacken stieg. Sie hatte wie angewurzelt dort gestanden, als wäre sie wieder ein Teenager und hätte plötzlich den begehrtesten Jungen der Schule getroffen.

Hastig wandte Dani sich ab, um zu flüchten. Sie war fast schon aus der Tür, da hörte sie seine tiefe, dunkle Stimme.

„Dr. Stevens?“

Sie unterdrückte das Bedürfnis, vor ihm wegzulaufen, und drehte sich langsam um, damit sie eine gelassene Miene aufsetzen konnte. Immerhin bin ich eine dreißigjährige Fachärztin, ermahnte sie sich. Sie atmete tief durch, um ihre Nervosität zu besänftigen. Sie hoffte sehr, dass er ihr nicht ansehen konnte, wie aufgewühlt sie war. Doch sie fürchtete genau das, denn sie hatte ihre Gefühle noch nie besonders gut verbergen können.

„Ja?“

Sein Blick glitt über ihr Gesicht und blieb an ihrem Mund hängen. Dann hob er die Hand, und sie wich ein paar Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken an der Wand stand und ihn mit großen Augen ansah. Peinlich berührt merkte sie, dass er sich lediglich übers Kinn rieb.

Sie hatte also total überreagiert.

Rasch schaute sie um sich, ob irgendjemand ihren merkwürdigen Rückzug mitbekommen hatte. Zutiefst erleichtert stellte sie jedoch fest, dass niemand ihnen Aufmerksamkeit schenkte.

Reiß dich verdammt noch mal zusammen, Dani!

Besorgt sah Dr. St. James sie an. „Ist alles okay mit Ihnen?“

„Natürlich“, brachte sie kühl hervor. Mit einer Handbewegung setzte sie hinzu: „Ich will nur möglichst schnell wieder in die Notaufnahme zurück.“

Nach einer kurzen Pause nickte er, wobei er mit den Augen flüchtig den deutlich sichtbaren Pulsschlag in ihrer Halsmulde streifte.

Es kostete sie all ihre Willenskraft, dieses Anzeichen ihrer Nervosität nicht zu verdecken.

„Gibt es etwas, was ich über den Jungen wissen sollte? Allergien, Vorerkrankungen, Medikamente?“, erkundigte sich Dr. St. James.

„Ähm … Nein.“ Dani musste sich räuspern. „Er heißt Timothy Nolan und ist sieben Jahre alt. Seine Mutter sagt, er ist ein normaler, aktiver kleiner Junge, der Eishockey und Dinosaurier liebt. Er ist ein großer Fan der Vancouver Canucks.“

Ein Lächeln erhellte sein markantes Gesicht. Ein Lächeln, bei dem es ihr förmlich den Atem verschlug und ihr Pulsschlag sich noch heftiger beschleunigte. Als ihr jedoch auch noch die Knie weich zu werden drohten, richtete Dani sich kerzengerade auf.

Hör auf, ihn so anzustarren, schimpfte sie im Stillen mit sich. Attraktiven Typen mit einem charmanten Lächeln kann man nicht über den Weg trauen. Also sieh zu, dass du jetzt gehst, und zwar schön langsam und ruhig.

„Na, dann müssen wir eben dafür sorgen, dass er eines Tages selbst Eishockey spielen kann“, erwiderte Dr. St. James.

Das ist gut, Dani. Konzentrier dich auf den Patienten anstatt auf deine seltsamen Reaktionen.

„Sie können den Arm replantieren?“, fragte sie daher.

„Die Röntgenaufnahmen sehen gut aus.“

„Das heißt, Timmy wird wieder ganz gesund?“, hakte sie nach.

Er warf ihr einen gequälten Blick zu und seufzte. „Ich werde mein Bestes tun, aber ich kann keine Wunder vollbringen.“

„Da habe ich aber etwas ganz anderes gehört“, entgegnete sie beinahe unhöflich. Und sie wurde sofort rot, als er bei ihrem schnippischen Tonfall die Brauen hob.

Dennoch, sie hatte nicht die Absicht, sich von ihm einschüchtern zu lassen. Im Gegensatz zu damals vor sechzehn Jahren, als ein anderer toller Kerl ihren faszinierten Blick aufgefangen hatte. Mit einem selbstgefälligen Lächeln hatte er seine Schulter an ihren Schulspind gelehnt, ihr einen anzüglichen Blick zugeworfen und mit gedehnter Stimme gesagt: „Na, meinst du, du kommst mit dem klar, was ich zu bieten habe?“ Als sie daraufhin die Flucht ergriff, hatte er sich vor Lachen ausgeschüttet.

Genauso fühlte sie sich jetzt auch, doch diesmal gelang es ihr, standzuhalten und ihr Gegenüber sogar ein wenig herausfordernd anzusehen.

Ihr Verhalten schien ihn zu überraschen, aber auch sie selbst war erstaunt darüber.

„Wir werden unser Bestes geben“, wiederholte er.

Dani nickte und wandte sich wieder zum Gehen.

Da vernahm sie erneut seine halblaute Stimme. „Dr. Stevens?“ Er wartete, bis sie ihn ansah. „Sie sollten nicht alles glauben, was Sie hören.“

Dani hatte das Gefühl, dass er damit auch noch etwas anderes meinte als bloß den Krankenhaus-Tratsch, demzufolge er mit mehr Frauen geschlafen hatte, als ein Monat Tage hatte. Und das allein seit seiner Rückkehr. Sie war sicher, dass die Gerüchte weit übertrieben waren, und außerdem hatte er keinerlei unbehagliche Gefühle in ihr ausgelöst.

Kann schon sein, aber bei Richard hast du auch nichts gemerkt, erinnerte sie ihre innere Stimme der Vernunft. Jedenfalls nicht vor der Hochzeit. Und du weißt, wie das ausgegangen ist.

Da sie nicht antwortete, stieß Dr. St. James einen weiteren Seufzer aus und schien noch etwas sagen zu wollen. Doch dann rief die Anästhesistin nach ihm, und er sagte nur: „Ich muss gehen.“

Dani war fast enttäuscht, dass er nicht … Ja, was denn? Sie an die Wand gepresst und überall berührt und geküsst hatte?

Hey, jetzt reiß dich endlich mal zusammen. Das hier ist schließlich ein Operationssaal. Und hör auf, seinen Mund anzustarren. Denk lieber daran, dass du eine Auszeit von den Männern dieser Welt nimmst. Vergiss nicht, warum du auf solche Kerle verzichten kannst.

Abrupt drehte sie sich um, doch wieder hielt seine samtweiche Stimme sie zurück.

„Ach, und Dr. Stevens?“

Als sie über die Schulter blickte, erklärte er in gedehntem Ton: „Ich habe übrigens nicht bloß ein hübsches Gesicht.“

Obwohl es ihr peinlich war, dass er ihre Bemerkung in der Notaufnahme mitbekommen hatte, kam ihr Stolz ihr zu Hilfe, und sie gab gelassen zurück: „Woher soll ich das wissen?“

Erfreut, weil sie trotz seiner durchdringenden grünen Augen imstande war, kühl und professionell zu reagieren, entspannte sich Dani. Einen Moment lang hielt sein magnetischer Blick sie noch fest, ehe Dr. St. James sich mit einem knappen Nicken abwandte.

Bevor sich die Schwingtür hinter ihr schloss, hörte Dani das stetige Piepen der Monitore und schickte ein schnelles Gebet für Timmy und das gesamte OP-Team zum Himmel.

Im Lift, wo niemand sie sehen konnte – vor allem keine durchdringenden grünen Augen, die sie direkt zu durchschauen schienen, ließ Dani sich gegen die Wand sinken. Stöhnend schlang sie die Arme um sich.

Sie konnte es nicht fassen. Der Typ, dem sie eine Abfuhr erteilt und an den sie danach viel zu oft hatte denken müssen, war Chirurg am selben Krankenhaus wie sie. Und nicht nur das, er war auch noch genau der Dr. Hot Guy, für den das gesamte weibliche Personal schwärmte, Verheiratete und Singles gleichermaßen. Schon deshalb sollten sofort alle Alarmglocken bei ihr läuten.

Kein Interesse, sagte sie sich energisch. Schließlich hatte Dani kaum ihre Beziehung zu einem anderen reichen, attraktiven und heiß begehrten Mann überlebt. Daher hatte sie ganz bestimmt nicht vor, für einen zweiten Kerl dieser Sorte dahinzuschmelzen.

Nein, auf gar keinen Fall. Absolut nicht.

Aber sie musste zugeben, dass sie von ihm träumte. Sexy Träume, die sie nicht einmal ihrer besten Freundin erzählen würde.

Lieber würde sie sich von einem Bus überfahren lassen, als ihn glauben zu lassen, dass sie wie jede andere Frau in Verzückung geriet, sobald seine grünen Augen in ihre Richtung gingen. Dass ihre Hormone verrückt spielten und auf einmal alle Nervenfasern kribbelten.

Als sich die Lifttür öffnete, war der Gang leer. So konnte Dani ihren kleinen Anfall zum Glück verbergen. Anstatt gleich zur Notaufnahme zurückzukehren, eilte sie zuerst in die Damentoilette, wo sie sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Als sie ihre hochroten Wangen und glänzenden Augen sah, rief sie sich streng zur Vernunft. Verschwende deine Gedanken nicht an einen sexy Chirurgen mit grünen Augen, und benimm dich gefälligst professionell und wie eine Erwachsene, ermahnte sie ihr Spiegelbild.

Eigentlich sollte sie sich von allen männlichen Wesen fernhalten. Die Frauen lagen diesem Kerl noch mehr zu Füßen als Richard Ashford-Hall III. Nie wieder wollte Dani eine von vielen sein. Sie würde sich nie mehr in eine Situation bringen, in der sie um die Aufmerksamkeit eines Mannes kämpfen musste. Es war zu demütigend, wenn einem klar wurde, dass man dessen Ansprüchen niemals genügen konnte, egal, wie sehr man sich auch anstrengte.

Außerdem war sie beschädigte Ware. Und kein Mann, wie Richard ihr auf grausame Art erklärt hatte, wollte beschädigte Ware. Falls sie nicht in der Lage war, ihre Aufgabe zu erfüllen, nämlich ihm einen Erben zu liefern, dann war sie auch für keinen anderen zu gebrauchen.

3. KAPITEL

Trotz der oft frustrierenden Fälle und der langen, anstrengenden Arbeitszeiten liebte Dani ihren Beruf als Notfallmedizinerin. Sie mochte die Hektik und die Herausforderung in der Notaufnahme. Sie liebte es, Leben retten zu können und rätselhafte Symptome zu erkennen, ehe ihre Patienten an den entsprechenden Facharzt weitergeleitet wurden.

Ständig hatte sie mit neuen Fällen, neuen Patienten zu tun. Auch wenn ihr Beruf dadurch immer aufregend war, empfand sie es als unbefriedigend, nicht zu wissen, was mit den Patienten in kritischem Zustand geschah, die sie behandelt hatte.

Manchmal schafften es diejenigen, die sie in der Notaufnahme wiederbelebt hatten, nicht. Aber viele führten danach noch ein langes, glückliches Leben, weil Dani mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten dazu beigetragen hatte. Fälle wie die des kleinen Timothy Nolan ließen sie jedoch nicht mehr los, und sie hatte das dringende Bedürfnis, sich nach ihm zu erkundigen.

Als sie hörte, dass die Operation endlich vorbei war, nutzte sie die donnerstags nachts übliche Ruhepause, um in den zehnten Stock hinaufzufahren.

Sie wollte sich davon überzeugen, dass es dem Jungen gut ging und sein Arm gerettet werden konnte. Sie fragte sich oft, ob sie genug getan hatte. Ob sie ihr Bestes gegeben hatte. Denn manchmal reichte auch das nicht.

Aber wenigstens war Timmy gesund und in den allerbesten Händen. Zumindest hatte sie das gehört.

Es war bereits nach halb drei Uhr morgens, als sie den Korridor zur pädiatrischen Intensivstation hinunterging. Das ängstliche Jammern eines Kindes durchdrang die nächtliche Stille. Mitfühlend dachte Dani daran, was die Eltern dieses Kindes wohl gerade durchmachten. Die Trauer darüber, dass sie selbst nie die Höhen und Tiefen des Elternseins erleben würde, verbannte sie tief in ihr Innerstes, wo es ihr nicht wehtun konnte.

Solange sie nicht darüber nachdachte, verursachte es ihr keinen Schmerz. Mittlerweile war sie schon ziemlich gut darin, all die Dinge einfach zu ignorieren, die sie ohnehin nicht ändern konnte.

Als sie am Schwesterntresen vorbeiging, sah sie ihn. Er stand am Fenster eines kleinen Einzelzimmers auf der Intensivstation. Die Beine breit auseinandergestellt, fuhr er sich mit seinen langen, sonnengebräunten Fingern über das Kinn.

Noch immer im Klinikanzug, dessen weicher Stoff sich über seinen breiten Schultern spannte, hätte er fast einschüchternd gewirkt, wenn nicht sein dunkles Haar an manchen Stellen wirr vom Kopf abgestanden hätte. So, als hätte er es schon mehrfach mit den Fingern durchkämmt.

Sobald Dani das leichte Kratzgeräusch seiner Finger an seinen Bartstoppeln wahrnahm, blieb sie stehen. Ihr stockte der Atem, und einen Moment lang verspürte sie den Impuls, sich umzudrehen und zu verschwinden, ehe er sie erblickte. Doch dann gewann ihr gesunder Menschenverstand die Oberhand. Sie hatte jedes Recht dazu, nach einem Patienten zu schauen, den sie in der Notaufnahme behandelt hatte.

Da wandte er unvermittelt den Kopf, und sie fühlte sich beinahe durchbohrt von seinem laserscharfen Blick. Sie erstarrte, da seine Miene verschlossen und düster wirkte. Ihr Herzschlag setzte aus, und ihr Magen zog sich zusammen.

Oh nein, irgendetwas musste schiefgegangen sein.

Doch dann blinzelte er, und der düstere Ausdruck schwand. Stattdessen schien sich seine Miene aufzuhellen.

Dani rieb sich die kalten Arme, während sie die letzten Schritte auf ihn zuging. „Sie sehen müde aus“, meinte sie leise.

Dr. St. James hob die Brauen. „Ach ja?“

Prüfend betrachtete sie ihn. „Müde, aber zufrieden.“

Froh, dass sie ruhig bleiben konnte, obwohl sie sich so befangen fühlte, schaute sie durch die Glasscheibe in den Raum, wo ein junges Paar eng umschlungen am Bett stand. In ihren Gesichtern eine Mischung aus Verzweiflung und Liebe. Danis Blick ging zu dem linken Arm des Jungen, der von der Schulter bis zum Handgelenk bandagiert war. Die kleinen Finger waren geschwollen, zeigten jedoch eine rosige Farbe.

Erleichtert lockerte sie ihre angespannten Schultern. „Es ist alles gut gegangen?“

Dr. St. James steckte die Hände in die Taschen und wippte leicht auf den Fersen. „Ja …“

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass er sie ansah, und wappnete sich innerlich gegen seine durchdringende Musterung, mit der er alles zu erkennen schien, was sie lieber verbergen wollte.

Dani hielt ihre Aufmerksamkeit auf die kleine Familie gerichtet. „Er wird also irgendwann mal für die Canucks spielen können?“

Die selbstkritische Belustigung in seinem Lachen veranlasste sie dazu, ihn anzusehen. Er wirkte etwas betroffen, was aber wahrscheinlich nur eine optische Täuschung war. Chirurgen, vor allem die von der attraktiven Sorte, hielten sich im Allgemeinen durchaus für Halbgötter in Weiß.

„Sie stellen überhaupt keine hohen Ansprüche, oder?“, meinte er.

„Soll das etwa heißen, die Gerüchte stimmen nicht, und Sie haben tatsächlich bloß ein hübsches Gesicht?“

Er bedachte sie mit einem gereizten Blick. „Was habe ich Ihnen in Bezug auf Tratsch gesagt, Dr. Stevens?“ Entschlossen ergriff er ihren Arm und lotste sie zur Tür. „Und zu Ihrer Information: Männer sind nicht hübsch.“

Nein, dachte sie. Dieses markante Kinn, die ausgeprägten Wangenknochen und die hohe breite Stirn würde man wohl kaum als hübsch bezeichnen. Dazu war er viel zu stark und zu männlich.

Er machte eine derart gequälte Miene, dass Dani sich insgeheim darüber amüsierte. Zugleich war sie jedoch auch verdutzt, wie schnell und geschickt er sie von der Kinderintensivstation zu den Aufzügen schob.

Abrupt hielt sie inne. „Was tun Sie da?“

Mit einem fröhlichen Grinsen blickte er auf sie hinunter und erwiderte: „Ich werde Sie zum Dinner einladen.“

Misstrauisch sah sie zu ihm auf. „Zum Dinner?“

Hinter ihnen ging eine der Türen auf, und zwei Krankenschwestern verließen den Lift. Interessiert registrierten sie die fast vertrauliche Geste, mit der Dr. St. James seine Hand um Danis Oberarm gelegt hatte.

Schnell rückte sie von ihm ab.

Mit einem unterdrückten Fluch ließ er seine Hand sinken und nickte den beiden anderen Frauen zu, während er halblaut sagte: „Ja, Sie wissen schon, die Mahlzeit, die man am Ende des Tages zu sich nimmt.“

„Es ist drei Uhr morgens“, entgegnete sie verblüfft.

Lächelnd antwortete er: „Ja, und ich bin am Verhungern. Also, wie wär’s? Ich kenne dieses tolle Bistro im Westflügel, wo man zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Truthahn-Sandwich und heißen Kaffee kriegt. Es hat nicht gerade die schönste Atmosphäre, aber um diese Zeit wird es dort zumindest ruhig sein.“

Und genau das war das Problem, fand Dani. Die stille Vertraulichkeit des rund um die Uhr geöffneten Bistros war etwas ganz anderes als die hell erleuchtete Cafeteria im Ostflügel. Mit diesem Mann allein in einer nur schwach beleuchteten Nische zu sitzen, ähnelte für ihren Geschmack viel zu sehr einem Date. So etwas hatte sie seit ihrer Scheidung geflissentlich vermieden.

„Ich bin noch im Dienst.“ Sie war fest entschlossen, nicht mehr Zeit in seiner Gesellschaft zu verbringen, als beruflich nötig war. „Ich bin bloß kurz hochgekommen, um zu sehen, wie es Timmy geht, bevor ich wieder zurückgehe.“

Dr. St. James drückte den Rufknopf. „Es geht ihm besser als erwartet, aber letztendlich wird es sich erst im Laufe der Zeit herausstellen.“ An die Wand gelehnt, betrachtete er sie mit einem undurchdringlichen Ausdruck. „Aber das wissen Sie ja selbst.“

Dani nickte, wobei sie sich alle Mühe gab, sich nicht anmerken zu lassen, dass er sie nervös machte.

„Wie läuft es denn gerade in der Notaufnahme?“, fragte er dann.

„Es ist viel los.“ Ihr stieg die Röte in die Wangen. „Deshalb sollte ich auch schnell wieder zurück.“

Belustigt zuckte es um seine Mundwinkel. „Da unten ist es so still wie im Leichenschauhaus, habe ich recht?“

Sie rieb sich die Nase, und als der Aufzug kam, betrat sie ihn. Dr. St. James, der ihr folgte, drückte den Knopf zum Erdgeschoss, ehe er sich an die Wand lehnte. Da Dani seinem Blick auswich, lachte er leise.

Schließlich sah sie ihn dann doch an und seufzte. „Woher wissen Sie das?“

„Ich kann mich noch gut an meine Ausbildungszeit in der Notaufnahme erinnern.“ Er hob die Schultern. „Und Sie sind hier. Falls wirklich viel los wäre, hätten Sie bis zum Ende Ihrer Schicht gewartet, um mich zu kontrollieren.“

Sie verdrehte die Augen. „Ich mache eben Pause.“

„Von den Y-Chromosomen oder der Notaufnahme?“

Sein leicht schiefes Lächeln wirkte viel zu verführerisch für ihren Seelenfrieden.

Als der Lift stoppte und die Tür aufging, setzte Dr. St. James hinzu: „Es geht doch nur um einen Kaffee und ein Sandwich mit einem Kollegen. Außerdem dachte ich, Sie würden vielleicht gerne erfahren, wie die Operation verlaufen ist.“

Danielle Stevens’ misstrauische Miene war nicht zu verkennen. Dylan konnte ihr geradezu ansehen, welche Gedanken ihr durch den Kopf gingen.

Stirnrunzelnd fragte sie: „Sie wollen mit mir über Ihren Patienten sprechen?“

„Er ist auch Ihr Patient“, gab er gut gelaunt zurück. Dabei sagte er sich, dass sie eigentlich gar nicht sein Typ war, und wunderte sich, weil er plötzlich das Gefühl hatte, es wäre doch so. Sie war weder eine klassische Schönheit noch besonders schick. Aber sie besaß eine unglaublich anziehende Ausstrahlung, die seinen Blick immer wieder auf sich zog.

Die dunkle Lockenmähne hatte sie zu einem unordentlichen Dutt geschlungen, aus dem einige Strähnen herausgerutscht waren. Ihre Fingernägel waren kurz gehalten, und obwohl sie keinen Schmuck trug, wirkten ihre Hände lang und elegant, als wären sie dazu bestimmt, schöne Ringe zu tragen. Abgesehen von ein bisschen Mascara auf den langen, dichten Wimpern verzichtete sie auch auf jegliches Make-up.

Dylan senkte den Blick auf ihren breiten, ungeschminkten Mund mit der vollen Unterlippe und fragte sich, ob dieser sich wohl genauso weich anfühlte, wie er aussah. Und ob er so süß schmeckte wie in seinen Träumen.

Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt nicht mehr.“ Als eine lange Lockensträhne ihre Wange berührte, strich sie sie ungeduldig beiseite. „Sobald die Übergabe meiner Patienten stattgefunden hat, war’s das.“

In ihren dicht bewimperten grauen Augen lag ein so tiefes Misstrauen, als rechnete sie jeden Moment damit, dass er sich in einen absoluten Mistkerl verwandelte. Bei den Frauen, die Dylan normalerweise datete, handelte es sich um selbstbewusste, kultivierte Frauen, die wussten, worum es ging. Frauen, die ihn anschauten, als wäre er das Nächstbeste nach einem Tiffany-Armreif.

Dr. Danielle Stevens machte hingegen den Eindruck, als hätte sie keine Ahnung von solchen Dingen. Vermutlich würde sie sogar vor einer funkelnden Kristallkugel zurückschrecken, als würde sie beißen.

Er musste sich eingestehen, dass er das Verlangen verspürte, diesen breiten, weichen Mund zu schmecken. Aber er wollte auch noch mehr als nur einen flüchtigen Geschmack von Danielle Stevens.

Sie faszinierte ihn. Einerseits strahlte sie Entschiedenheit und Kompetenz aus, andererseits jedoch auch etwas Sanftes und Zerbrechliches. Sie war hart und weich, süß und scharf zugleich. Und trotz des im Krankenhaus vorherrschenden Desinfektionsgeruchs nahm er ihren warmen Duft als Frau wahr, gepaart mit einem Hauch von Kühle. Es erinnerte Dylan an einen Wald an einem heißen Sommertag – kühl, geheimnisvoll und verlockend. Nur allzu gern hätte er sein Gesicht an ihren Hals gedrückt, um den Geruch ihrer Haut tief einzuatmen.

Das verblüffte ihn, denn er konnte sich nicht daran erinnern, jemals das Bedürfnis gehabt zu haben, am Hals einer Frau zu riechen. Jedenfalls nicht mit einem so überwältigenden Verlangen. Allein dieser Gedanke überraschte ihn, da er schon lange kein Verlangen mehr nach irgendetwas empfunden hatte. Und schon gar nicht nach einer Frau.

Er stieß gerade die Tür zum Bistro auf, da klingelte ihr Handy. Wenn Dylan sie nicht so genau beobachtet hätte, wäre ihm der seltsame Ausdruck vermutlich entgangen, der über ihr Gesicht huschte, als sie auf das Display schaute.

Er unterdrückte ein Lächeln, weil sie ihre Erleichterung nur unzureichend verbarg. Schon zum zweiten Mal in dieser Nacht wurden seine Pläne von einem Anruf durchkreuzt. Und obwohl ihn der erste vor seiner Mutter gerettet hatte, fühlte er sich jetzt ziemlich frustriert. Musste Danielle Stevens ihm denn so deutlich zeigen, wie froh sie war, flüchten zu können?

„Ich muss gehen“, erklärte sie.

Ohne seine Antwort abzuwarten, wandte sie sich ab und eilte davon. Bereits zum zweiten Mal in einer Woche.

Sobald ihm klar wurde, dass er das Wiegen ihrer Hüften, die hübsche Rundung ihres Pos in dem weiten Klinik-Anzug, und ihre langen, schlanken Beine beobachtete, rieb Dylan mit Daumen und Zeigefinger über seine müden Augenlider und atmete tief durch.

Offenbar hatte er gerade seine Schwäche für eine niedliche, kesse Brünette mit traurigen grauen Augen und einer gewissen Neigung zur Ungeschicklichkeit entdeckt.

In der Tat, dachte er selbstironisch, Dylan St. James hat’s schwer erwischt.

Als Dani die Tür des Angestellten-Eingangs öffnete, war die Stadt in frühes Morgenlicht getaucht. Diese Freitagnacht war hektischer gewesen als sonst.

Abgesehen von den üblichen Betrunkenen, die ihren Rausch ausschlafen mussten, war die größte Herausforderung eine High-Society-Frau mittleren Alters mit mehreren verwirrenden Symptomen gewesen. Wie sich schließlich herausstellte, hatte sie unwissentlich eine Überdosis Cannabis eingenommen, weil sie sich an den Marihuanakeksen ihres Neffen bedient hatte. Auch wenn es fast die ganze Nacht gedauert und einen Haufen Tests gekostet hatte, war Dani dennoch zufrieden mit sich. Denn ihr Instinkt, dass es sich weder um einen Gehirntumor noch um eine Herzerkrankung handelte, hatte sich als richtig erwiesen.

Ihr fiel ein, was die Stationsärztin über den Vollmond gesagt hatte. Daher drehte Dani sich im Kreis, um den Himmel zu betrachten. Aber entweder Rona hatte sich geirrt oder der Mond war bereits hinter den Bergen verschwunden.

Theo Andersen, der junge Assistenzarzt der Notaufnahme, der gerade zusammen mit Amy die Treppe herunterkam, fragte: „Wonach guckst du denn da?“ Er blickte zum Himmel hinauf. „Vogel? Flugzeug? Oder vielleicht ein fliegendes Eichhörnchen?“

„Wäre das dann nicht Superman?“ Dani zog sich das Gummiband aus den Haaren und schüttelte ihre Lockenmähne aus.

„Nicht in Vancouver.“ Kameradschaftlich legte Theo ihr den Arm um die Schultern. „Wenn du willst, kann ich dein Held sein.“

Lachend schob sie ihn von sich. „Nein, danke.“ Sie gähnte ausgiebig, während sie von heißem Essen, heißem Kaffee, einer heißen Dusche und ihrem Bett träumte.

Und bestimmt nicht von einem gewissen heißen Chirurgen. Auf gar keinen Fall. Solche Typen brachten einem nur Probleme.

„Einen Helden brauche ich nicht“, fügte sie hinzu.

Amy musterte sie nachdenklich. „Aber du weißt schon, dass nicht alle Kerle so sind wie dein Ex, oder?“

Dani, die nicht die geringste Lust hatte, an einem so schönen Tag an ihre Vergangenheit zu denken, sah zu, wie Theo für Wendy, eine Kinderkrankenschwester, einen Zaubertrick vorführte. „Ja, ich weiß. Manche sind wie Theo.“

Amy lachte belustigt und kramte ihre Sonnenbrille aus der Handtasche. „Na schön, ich verstehe, wieso du mit Männern nichts mehr am Hut hast.“ Dann schwand ihr Lächeln. „Trotzdem kannst du dich nicht ewig verstecken, Dani. Das ist ungesund.“

„Ich verstecke mich ja gar nicht“, verteidigte sich Dani. „Ich habe bloß noch niemanden getroffen, der mich interessiert. Das ist alles.“

Sofort schoss ihr das Bild eines hochgewachsenen Chirurgen mit verführerischen grünen Augen, einem sexy Mund und großen warmen Händen in den Kopf. Unwillkürlich überlief sie ein sinnlicher Schauer. „Wenn der Richtige kommt, dann geh ich ran, versprochen.“

„Bei Richard hast du auch geglaubt, dass er der Richtige ist“, gab Amy zurück.

Na ja, vielleicht hatte Dani damals nicht wirklich geglaubt, er sei der Richtige, aber sie war schrecklich langweilig und unerfahren gewesen. Richard hatte ihr als Erster echte Aufmerksamkeit geschenkt, und es hatte ihr unglaublich geschmeichelt, dass ein so attraktiver und beliebter Mann wie er sich für sie interessierte.

Wahrscheinlich war das der Grund, dass sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.

„Vielleicht solltest du diesmal lieber nach dem Falschen Ausschau halten“, schlug Amy vor. „Geh mal aus dir raus und hab ein bisschen Spaß.“

Ehe sie etwas erwidern konnte, rief Theo ihnen zu: „Wir wollen uns heute Abend in Harrys Bar treffen. Kommt ihr auch?“

Froh darüber, Amys Beharrlichkeit zu entkommen, schüttelte Dani den Kopf. „Nein, ich habe schon was vor.“

„Was denn?“ Skeptisch hob Amy die Augenbrauen.

Hilflos zuckte Dani mit den Achseln. „Na ja, eine Sache halt.“

Vorwurfsvoll zeigte Amy mit dem Finger auf sie. „Siehst du, genau das meine ich.“

„Was denn?“, meinte sie erstaunt.

„Du reagierst allergisch auf Spaß.“

Dani fühlte sich ein wenig gekränkt. So wurde sie also von anderen Leuten gesehen? „Ich gehe doch ständig mit euch irgendwohin. Musstest du mich nicht erst letzten Monat im Gateway davon abhalten, auf den Tischen zu tanzen?“

„Nein, das waren Wendy und Theo“, stellte Amy trocken fest.

Sie verzog das Gesicht. Ach ja.

„Dani“, sagte Amy vorsichtig, „wann hattest du zuletzt ein richtiges Date? Du weißt schon, mit einem Typen, den du gut findest.“

„Ich bin noch nicht bereit für irgendwelche Dates.“ Allein die Vorstellung, mit einem Kollegen auf einen Kaffee und ein Sandwich in ein spärlich beleuchtetes Bistro zu gehen, hatte sie bereits vollkommen aus der Fassung gebracht. Wie sollte sie da mit einem echten Date klarkommen?

Amy musterte sie aufmerksam. „Könntest du mir dann vielleicht erklären, was neulich mit Dr. Hot Guy passiert ist?“

Es kostete Dani einige Mühe, locker zu bleiben. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Sie kramte nach ihrer Sonnenbrille. „Ich hatte Steve Randall erwartet und war einfach überrascht. Mehr nicht.“

„Hm“, meinte Amy jetzt noch skeptischer.

Dani, die so tat, als suchte sie nach ihrem Autoschlüssel, blickte auf. „Was soll das heißen?“

Einen Moment lang wirkte Amy hin- und hergerissen, dann seufzte sie. „Ich wollte eigentlich nichts sagen. Aber ich habe gehört, dass man dich und Dr. Hot Guy zusammen vor der Kinderintensivstation gesehen hat. Und anscheinend habt ihr einen sehr vertrauten Eindruck gemacht.“

Dani konnte es nicht fassen. „Wa…?“ Heiße Röte stieg ihr in die Wangen. „Das ist absolut lächerlich. Wir haben bloß über Timmy Nolan gesprochen. Ich kenne den Kerl ja nicht mal.“

Amy zog die Augenbrauen hoch. „Und warum wirst du dann rot?“

„So ein Quatsch! Ich werde doch nicht rot!“, protestierte sie, wobei sich ihre Röte jedoch noch mehr vertiefte. „Ich ärgere mich nur darüber, dass die Leute nichts Besseres zu tun haben, als zu tratschen.“

Amy schnaubte. „Du ärgerst dich, weil ein sexy Typ dich angefasst und auf deinen Mund geschaut hat?“ Ironisch meinte sie: „Ja, klar, verstehe ich total, wieso dich das ärgert.“

Dani überlief ein prickelndes Gefühl. Er hatte auf ihren Mund geschaut?

Amy prustete vor Lachen. „Du solltest dein Gesicht sehen“, stieß sie hervor. „Du bist ja so was von scharf auf den großen Bad Boy aus der Orthopädie!“

Ohne diesen Kommentar einer Antwort zu würdigen, holte Dani finster ihren Schlüssel aus der Tasche und marschierte quer über den Parkplatz zu ihrem Auto.

Dass sie auf irgendeinen Kerl scharf war, das konnte überhaupt nicht sein.

4. KAPITEL

Dani parkte zwei Blocks vom Jachthafen entfernt, um noch im Supermarkt einzukaufen. Obwohl sie fest vorgehabt hatte, ihren Lieblings-Coffee-Shop diesmal zu ignorieren, fand sie sich doch genau dort wieder. Tief atmete sie den köstlichen Duft nach frisch gebrühtem Kaffee ein. Himmlisch.

Owen Lawrence, der Eigentümer, schaute auf, als sie seufzend ihre Nase an die Vitrine drückte. „Brauchst du noch einen Moment, Süße?“

Widerstrebend riss sie ihren Blick von der Auslage allzu verführerischer Backwaren los und lachte. „Hi, Owen. Nein, ich hab nur eine sehr lange Nacht hinter mir.“

Hatte sie etwa tatsächlich gerade gestöhnt?

Vielleicht hat Amy ja recht, und ich sollte wirklich mal wieder anfangen zu leben, dachte sie bei sich.

„War viel los?“

Sie unterdrückte ein Gähnen. „Du würdest nicht mal die Hälfte von dem glauben, was wir freitagnachts so alles in der Notaufnahme erleben.“ Sie stellte sich in der Warteschlange an und sah sich um.

Viele Kunden läuteten hier ihr Wochenende ein. In der Nähe saß ein älteres Ehepaar, das sich lächelnd an den Händen hielt. Beide freuten sich ganz offensichtlich an der Gesellschaft des anderen.

Unwillkürlich musste auch Dani lächeln, spürte jedoch zugleich einen Stich in ihrer Herzgegend. Nein, sie war nicht neidisch auf das Paar, doch sie wünschte sich im Alter auch so etwas.

Nicht nur im Alter, sondern schon jetzt. Aber sie hatte es probiert und war gescheitert. Und sie hatte mehr als nur ein paar emotionale Narben davongetragen. Der Anblick eines jungen Pärchens am Nachbartisch mit ihrem fröhlich glucksenden Baby in einem Buggy schmerzte Dani. Denn sie hatte verborgene körperliche Narben, die es verhinderten, dass sie jemals eine eigene kleine Familie haben würde.

Dani ignorierte den Impuls, sich den Schmerz an ihrem Bauch wegzureiben, wo niemals ein Kind heranwachsen würde. Es gab Schlimmeres als Unfruchtbarkeit. Zum Beispiel mit einem Mann verheiratet zu sein, der es für sein gutes Recht hielt, ständig mit Models, Schauspielerinnen oder Freundinnen an exotische Orte zu jetten. Im Grunde mit jeder Frau, die nicht seine Ehefrau war.

Richard war so attraktiv gewesen wie ein Kinostar, romantisch und aufmerksam – bis zu ihrer Hochzeit. Gleich danach hatte er sich als äußerst anspruchsvoll herausgestellt und angefangen, alles an Dani zu kritisieren: ihre Art zu sprechen, ihr Verhalten, ihre Kleidung. Danach folgten die unterschwellig gemeinen Bemerkungen und schließlich, nach einem Jahr, wurden aus dem emotionalen Missbrauch heftige Tobsuchtsanfälle, die oft in Gewalt ausarteten. Dani hatte in ständiger Anspannung gelebt und verabscheute sich dafür, wie leicht sie sich von ihm hatte kleinmachen lassen.

Bis zu jenem letzten sogenannten „Geschäftswochenende“, mit dem nicht nur ihre Albtraum-Ehe endete, sondern an dem auch der Unfall geschehen war, hatte Richard sie nie wirklich geschlagen. Aber er hatte seine körperliche Überlegenheit eingesetzt, um Dani einzuschüchtern. Er hatte sie herumgeschubst, mit hartem Griff gepackt und in irgendwelche Gegenstände gestoßen, weil er der Meinung war, er müsste ihr Vernunft beibringen.

Dani schauderte. Nie wieder würde sie zulassen, dass ein Mann ihre Seele und ihr ohnehin schwaches Selbstbewusstsein als Frau zerstörte.

Inzwischen war sie älter und klüger geworden. Jetzt ließ sie sich nicht mehr von einem hübschen Gesicht und einem charmanten Lächeln beeinflussen.

Sie bezahlte ihren Kaffee und gönnte sich außerdem den größten Schokocreme-Donut, der im Angebot war. Auf dem Weg zum Ausgang nahm sie schon einen riesigen Bissen von der sündhaft leckeren Köstlichkeit.

Sie war so damit beschäftigt, ihren Latte Macchiato und den Donut zu genießen, der ihr auf der Zunge zerging, dass sie kaum auf ihre Umgebung achtete. Da wurde sie beinahe von zwei Schuljungs auf Skateboards umgefahren.

„Vorsicht, Lady!“, warnten sie fröhlich, wobei sie einen perfekten Bogen fuhren, ehe sie davonflitzten.

„Ihr solltet besser aufpassen!“, schrie sie ihnen hinterher. Dann blickte sie bedauernd nach unten, wo ihr erst halb verspeistes Frühstück teilweise auf dem Gehweg und teilweise auf ihrem Klinikanzug gelandet war.

„Verdammt! Das hatte ich so nötig.“ Seufzend rieb Dani mit der Papierserviette an dem Fleck herum, während sie den Verlust ihres Kaffees betrauerte. Den leeren Becher und den Rest des Donuts hob sie auf und warf beides in den nächsten Mülleimer.

Es ist besser so, sagte sie sich. Denn die Millionen von Kalorien hatte sie ganz und gar nicht nötig.

Vor sich hinmurrend, drehte sie sich um, da sie zum Supermarkt gehen wollte, und prallte mit einem breitschultrigen Mann zusammen. Mit einem erschrockenen Ausruf fuhr sie zurück und spürte, wie große Hände sie an den Oberarmen festhielten, um sie vor demselben Schicksal wie ihr Frühstück zu bewahren.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
Mehr erfahren
Annie Claydon

Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...

Mehr erfahren
Lucy Ryder
Mehr erfahren