Julia Ärzte zum Verlieben Band 171

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

NEUES LEBEN FÜR DEN NOTARZT von KATE HARDY
Sofort ist Notärztin Florence fasziniert von ihrem neuen Kollegen Robert Langley. Zu Weihnachten kommen sie einander näher. Florence wünscht sich eine Familie – doch Rob will nach einer schweren OP das Leben genießen. Ist er der Falsche für sie?

DAS SÜSSE GEHEIMNIS DER KRANKENSCHWESTER von SHELLEY RIVERS
Nie hat Thurza die Nacht mit dem geheimnisvollen Logan vergessen. Doch dann war er verschwunden. Jetzt steht er wieder vor ihr – als neuer Arzt in ihrem kleinen Dorf. Wie wird er die Nachricht aufnehmen, dass er Vater von Zwillingen geworden ist?

BRIANA SUCHT DAS GLÜCK von LOUISA GEORGE
Warum muss ausgerechnet Fraser Moore ihr neuer Kollege sein? Briana kann den Kinderarzt nicht ausstehen. Aber seine Tochter ist ihr Patenkind und braucht ihre Fürsorge. Je mehr Zeit sie mit beiden verbringt, desto größer wird ihr Wunsch nach einer eigenen kleinen Familie …


  • Erscheinungstag 18.11.2022
  • Bandnummer 171
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511629
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hardy, Shelley Rivers, Louisa George

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 171

KATE HARDY

Neues Leben für den Notarzt

Nach einer schweren OP hat Notarzt Robert viel nachzu- holen – auch in der Liebe. Mit der schönen Ärztin Florence erlebt er unvergessliche Stunden der Leidenschaft. Doch warum wirkt sie so verändert, seit sie einen Blick auf seine Narbe geworfen hat?

SHELLEY RIVERS

Das süße Geheimnis der Krankenschwester

Nach zwei Jahren kehrt Dr. Logan Fox nach Dorset zurück. Hier trifft er überraschend Krankenschwester Thurza wieder, mit der er vor seiner Abreise eine magische Nacht verbracht hat. Gerne würde er ihr näherkommen, aber Thurza scheint etwas vor ihm zu verbergen …

LOUISA GEORGE

Briana sucht das Glück

Um seiner Tochter nach dem Tod ihrer Mutter Halt zu geben, zieht Kinderarzt Fraser Moore in die Nähe ihrer Patentante Briana. Alles scheint gut zu werden – bis Fraser und Briana einander näherkommen. Wird ihre Nacht des Begehrens alles zerstören?

1. KAPITEL

Robert Langley betrat das Asherwick General Hospital mit dem guten Gefühl, endlich wieder zu den Helfenden zu gehören und nicht zu denen, die Hilfe brauchten. In den letzten Monaten hatte er erlebt, wie es sich anfühlte, Patient zu sein. Wie es war, mit geplatztem Blinddarm per Hubschrauber evakuiert zu werden. Nach einer Blutvergiftung mit Nierenversagen im Krankenhaus zu liegen und auf Dialyse angewiesen zu sein. Zeitgleich mit seinem Zwillingsbruder Oliver in zwei benachbarten OPs zu liegen, weil sein Bruder ihm eine Niere spendete. Und sich nach der Transplantation bei seinen Eltern zu erholen. Seine Mutter hatte ihn vor lauter Sorge regelrecht in Watte gepackt.

Das letzte halbe Jahr war ziemlich anstrengend gewesen. Rob hatte sich damit abfinden müssen, dass er nie wieder als Freiwilliger für seine Hilfsorganisation würde arbeiten können. Mit nur noch einer funktionierenden Niere war das einfach zu riskant. Und das Bergrettungsteam, bei dem er Mitglied gewesen war, hatte ihm für die Zeit nach seiner Genesung eine zwar neue Aufgabe angeboten – aber am Schreibtisch.

Seit einer gefühlten Ewigkeit war Rob nicht mehr geklettert. Er hatte nichts Riskanteres getan, als mit seinem Zwillingsbruder Schach zu spielen. Und gearbeitet hatte er auch schon seit Monaten nicht mehr – bis auf das eine Mal, als er Ollie vertreten hatte, als medizinischer Betreuer bei einem Benefiz-Radrennen.

Rob sehnte sich nach ein bisschen Normalität. Er wünschte sich sein Leben zurück, sein schönes, abwechslungsreiches, ein wenig hektisches Leben. Den ersten Schritt hatte er am Wochenende gemacht. In der Genesungszeit nach der OP hatte er sich das Haar wachsen lassen, sodass ihm der Pony wie bei seinem Zwillingsbruder in die Augen gefallen war. Doch am Samstagmorgen war er zum Friseur gegangen und hatte sich das Haar wieder ganz kurz schneiden lassen. Seit ein paar Tagen hatte er sich auch nicht mehr rasiert. Und als er an diesem Morgen in den Spiegel sah, blickte ihm endlich wieder sein altes Ich entgegen – und nicht mehr der Patient, der auf andere angewiesen war.

Zwar gab sein Arzt ihm noch kein grünes Licht fürs Klettern, in Teilzeit arbeiten durfte er aber wieder. Daher hatte Rob vorübergehend eine Stelle als Assistenzarzt in der Notaufnahme des Asherwick General Hospital angenommen, für drei Tage in der Woche. Er war unendlich froh, wieder zu arbeiten. Dass ihn hier niemand kannte, war ihm sehr recht: Denn so würde ihn niemand ermahnen, dass er sich nicht überanstrengen solle.

Das würde er ohnehin nicht tun, schließlich wollte er auf keinen Fall einen Rückfall erleiden und wieder ans Bett gefesselt sein. Er freute sich darauf, wieder zuallererst als Arzt wahrgenommen zu werden und nicht als Patient, der sich von einer Nierentransplantation erholte. Er würde wieder den Beruf ausüben, in dem er viele Jahre ausgebildet worden war und für den er großes Talent hatte.

„Hallo! Mit Ihnen habe ich hier gar nicht gerechnet“, sagte plötzlich eine Frau zu ihm.

Rob hatte sie noch nie zuvor gesehen. Und er hätte sich bestimmt an sie erinnert. Sie war zierlich, hatte dunkles Haar im Pixie-Schnitt, große braune Augen, ein herzförmiges Gesicht und einen sinnlichen Mund – sie erinnerte ihn ein bisschen an die junge Audrey Hepburn. Nur dass sie kein kleines Schwarzes trug, sondern einen weißen Arztkittel.

„Dr. Florence Jacobs“ stand auf ihrem Namensschild, sie war also vermutlich eine zukünftige Kollegin.

Bevor Rob etwas erwidern konnte, fragte sie: „Wie geht es denn Ihrer Patientin mit der Varizellen-Pneumonie, mit der Sie vor ein paar Wochen hier waren?“

„Ich glaube, Sie verwechseln mich“, erwiderte er.

Die Frau runzelte die Stirn. „Nein, bestimmt nicht. Das waren Sie – Sie hatten bloß eine andere Frisur.“

Nun verstand er. „Ach, dann war es bestimmt mein Zwillingsbruder Oliver“, erklärte Rob. Ollie setzte sich immer sehr für seine Patienten ein. „Ich kann ihn aber gerne nach der Patientin fragen, wenn Sie möchten.“

„Nein, danke, nicht nötig.“ Seine neue Kollegin errötete.

Weil ihr das Missverständnis offenbar peinlich war, sagte er: „Fangen wir doch einfach von vorne an: Guten Morgen, ich heiße Robert Langley und bin der neue Assistenzarzt in Teilzeit. Meine Freunde nennen mich Rob.“

„Freut mich. Florence Jacobs, Fachärztin.“ Eine Kurzform ihres Namens nannte sie nicht. Hielt sie lieber professionelle Distanz zu Kollegen, oder kürzte sie ihren Namen einfach nicht ab?

Als Rob ihr die Hand gab, prickelte seine Haut. Kein gutes Zeichen.

Er musste sich schließlich auf seine neue Arbeit konzentrieren und durfte sich nicht ablenken lassen. Selbst wenn Florence Single und an ihm interessiert sein sollte – er war ja nur für ein paar Monate hier und würde dann wieder seine Stelle in Manchester antreten.

Für Rob war es zwar kein Hindernis, wenn eine Beziehung nicht von Dauer war, aber ob Florence an so etwas interessiert wäre?

Nein, es war besser, der Anziehung nicht nachzugeben. Sein Leben war in den letzten Monaten schon kompliziert genug gewesen. Darum wollte er sich jetzt auf sich und seine Arbeit konzentrieren.

Weder wollte er mit Erwartungen konfrontiert werden, die eine Frau an ihn haben könnte, noch wollte er ihr wehtun, wenn er sich zu langweilen begann – und das passierte ihm schnell.

„Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen unsere Teeküche für die Mitarbeiter“, schlug Florence vor. „Sie sind heute mit mir zusammen im Wiederbelebungsbereich eingeteilt. Sagen Sie mir also einfach Bescheid, wenn Sie etwas brauchen. Und herzlich willkommen im Asherwick General!“

Rob schenkte ihr sein schönstes Lächeln. „Super, vielen Dank.“

Robert Langley war einfach atemberaubend. Er sah aus wie der junge Hugh Grant, nur mit sehr kurzem Haar und Drei-Tage-Bart, der Florence allerdings sehr gefiel. Und diese strahlend blauen Augen …

Am liebsten hätte sie sein Gesicht berührt, um herauszufinden, wie sich sein Bart anfühlte. Doch sie hatte die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass es mit gebrochenem Herzen, zerplatzten Träumen und einer Scheidung endete, wenn man sich auf einen Mann einließ. Auf keinen Fall würde sie also der Anziehung nachgeben, die der neue Assistenzarzt auf sie ausübte.

Bei seinem Aussehen standen die Frauen sicher reihenweise Schlange – wenn er nicht schon seit Jahren verheiratet war.

Also schaltete Florence in den freundlich-professionellen Modus um, lächelte und zeigte ihm die Küche.

„Wir zahlen alle einmal monatlich einen Beitrag an Shobu vom Empfang für die Kaffeekasse. Sie sorgt dann dafür, dass wir immer mit ausreichend Tee, Kaffee und so weiter versorgt sind.“ Sie wies auf den Schrank. „Hier finden Sie Becher und Teller, Besteck ist in der Schublade, und mit ein bisschen Glück hat heute jemand Geburtstag und bringt Kuchen mit.“

„Oder jemand hat seinen ersten Arbeitstag und möchte den neuen Kollegen und Kolleginnen eine Freude machen.“ Rob stellte eine Tüte auf die Arbeitsfläche. „Kuchen, Käsestangen und Obst.“

„Ein sehr guter Einstieg!“ Florence lächelte. Seine Auswahl zeigte, dass er an mögliche Unverträglichkeiten gedacht hatte – sehr rücksichtsvoll. Das gefiel ihr.

Rob packte seine Mitbringsel aus. „Bitte bedienen Sie sich! Alles Gute von Ihrem neuen Kollegen Rob Langley“, hatte er auf ein Schild geschrieben.

Nach einem Blick auf die Uhr sagte er: „Für einen Kaffee ist jetzt keine Zeit mehr – sonst können wir keine vernünftige Übergabe machen, ohne dass die Kollegen ihre Schicht überziehen müssen.“

Rob Langley wurde ihr immer sympathischer. Offenbar war er ein echter Teamplayer, und genau so jemanden brauchten sie.

Auf dem Weg zu ihrem heutigen Einsatzort stellte Florence ihn allen vor, denen sie unterwegs begegneten. Als sie angekommen waren, klingelte das Telefon. Sie ging ran, machte sich ein paar Notizen und legte auf.

„In zehn Minuten trifft ein älterer Patient ein, der sich bei einem Sturz den Kopf angeschlagen und viel Blut verloren hat. Im Krankenwagen ist er kollabiert, konnte aber stabilisiert werden“, berichtete sie schnell. „Er ist auch leicht verwirrt.“

„Angezeigt sind also eine Kreuzprobe des Blutes, eine Infusion und eventuell eine Bluttransfusion, dann ein CT-Scan vom Kopf bis zur Hüfte, um mögliche Verletzungen zu ermitteln“, erwiderte Rob.

„Genau“, sagte Florence, die seine Einschätzung teilte.

Beim Eintreffen des Patienten war alles bereits vorbereitet. Als die Sanitäter von ihren Maßnahmen berichteten, bemerkte Florence, dass der Blutdruck des Mannes aufgrund des Blutverlusts niedrig war.

„Mr. Walker, wissen Sie, wo Sie sind?“, fragte Rob ihn.

„Nicht zu Hause, oder?“ Der ältere Mann klang verwirrt.

„Nein, Sie sind im Asherwick General Hospital.“

„Erinnern Sie sich, was passiert ist?“, erkundigte sich Florence.

„Nein.“ Mr. Walker schüttelte den Kopf und zuckte zusammen. „Mir tut der Nacken weh.“

„Wir glauben, dass Sie hingefallen sind und sich den Kopf gestoßen haben“, sagte Rob. „Ihre Frau ist schon auf dem Weg hierher, zusammen mit Ihrer Tochter. Ich bin übrigens Dr. Langley, und das hier ist Dr. Jacobs. Wir werden uns hier um Sie kümmern. Ich würde Ihnen jetzt gern etwas Blut abnehmen, in Ordnung?“

„Ja.“ Mr. Walker wirkte den Tränen nahe. „Ich möchte zu Lizzie.“

„Sie kommt sicher bald“, beruhigte Florence ihn. Der Blutdruck des Patienten machte ihr Sorgen. Offenbar hatte er schon so viel Blut verloren, dass die lebenswichtigen Organe nicht mehr richtig versorgt wurden. „Sie bekommen jetzt erst einmal eine Infusion.“

Rob bereitete schon alles vor. Auch Blut hatte er bereits abgenommen. Er war zwar neu auf der Station und auch nur vorübergehend hier, verhielt sich aber, als gehörte er schon seit Jahren zum Team. Anders als frühere Kollegen ergriff er die Initiative und wartete nicht auf Anweisungen.

Als Mr. Walker stabilisiert und die Blutung gestillt war, wurde er zum CT-Scan geschickt. Rob und Florence gingen währenddessen zu seiner Frau und der Tochter, die mittlerweile eingetroffen waren.

„Guten Tag, ich bin Dr. Jacobs, und das ist Dr. Langley“.

„Lizzie Walker“, erwiderte die Frau. „Und Jeannette.“

„Freut mich. Wir haben Ihrem Mann gesagt, dass Sie beide herkommen würden“, berichtete Rob.

„Bei ihm wird gerade ein CT-Scan durchgeführt. Wir wollen uns genau ansehen, ob er irgendwelche anderen Verletzungen hat. Er bekommt auch eine Transfusion, weil er viel Blut verloren hat“, ergänzte Florence. „Können Sie uns sagen, was passiert ist?“

„Ganz genau weiß ich es leider nicht. Pete ist nach unten gegangen, um unseren Hund rauszulassen und uns Tee zu kochen“, erwiderte Mrs. Walker. „Dabei ist er wohl auf der Treppe ausgerutscht. Gehört habe ich allerdings nichts, weil ich in der Dusche war. Erst später habe ich den Hund bellen hören und nachgesehen, und da lag Pete unten am Fuß der Treppe, und überall war Blut! Ich habe einen Krankenwagen gerufen und ihn zugedeckt. Er wusste nicht mehr, ob er gefallen oder plötzlich bewusstlos geworden war …“ Sie schüttelte den Kopf. „Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, tut mir leid.“

„Sie haben genau das Richtige getan: Sie haben Ihren Mann warm gehalten, ihn nicht bewegt und einen Krankenwagen gerufen“, versicherte Florence.

„Da war so viel Blut!“

„Ja, Wunden am Kopf bluten immer stark, weil dort die Haut dicker ist und es mehr Venen und Arterien gibt“, erklärte Rob. „Wir haben die Blutung aber gestoppt.“

„Wird Dad sich von dem Sturz erholen?“, fragte Jeannette besorgt.

Das konnte Florence noch nicht beantworten. „Wir kümmern uns um ihn“, sagte sie stattdessen. „Er wirkte leicht verwirrt. Wie ist denn sein allgemeiner gesundheitlicher Zustand? Hat er irgendwelche Erkrankungen?“

„Eigentlich ist alles in Ordnung“, erwiderte Mrs. Walker.

Jeannette seufzte. „Das stimmt doch nicht, Mum. Dads Gedächtnis ist nicht mehr, was es mal war.“

„Wir kommen gut zurecht“, entgegnete Mrs. Walker.

„Wir wollen uns nicht in ihr Leben einmischen“, erklärte Florence sanft. „Wir wollen nur wissen, was passiert ist und was die Ursache war – damit Ihr Mann die optimale Behandlung bekommt.“

Mrs. Walker schnitt ein Gesicht. „Wir werden einfach älter. Es stimmt schon, Pete ist ein bisschen vergesslich. Er hat hohen Blutdruck, nimmt aber jeden Tag sein Medikament.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Meinen Sie, er hatte einen Schlaganfall und ist deshalb gestürzt? Kann er sich darum an nichts erinnern?“

„Nach dem CT-Scan werden wir mehr wissen“, antwortete Florence.

„Aber wenn Sie uns seine gesamte Krankengeschichte erzählen können, würde uns das sehr helfen.“ Rob lächelte freundlich.

Weil seine charmante Art bei den beiden Frauen ankam, ließ Florence ihn das Gespräch führen und machte sich währenddessen ausführliche Notizen.

„Danke, das hilft uns sehr“, sagte sie am Ende. „Wir geben Ihnen sofort Bescheid, wenn er vom Scan zurück ist.“

„Schlaganfall?“, fragte Rob, als sie sich von den beiden Frauen verabschiedet hatten.

„Oder eine Gehirnblutung durch den Sturz“, meinte Florence.

Mr. Walker war zurück auf der Station, und die Bluttransfusion konnte beginnen. Doch der ältere Mann war sehr unruhig.

„Mr. Walker, Sie müssen auf dem Rücken liegen bleiben und den Arm stillhalten, damit ich Sie behandeln kann“, sagte Florence sanft, denn das Risiko eines Organversagens stieg mit jeder Minute.

„Mir tut der Nacken weh!“, sagte Mr. Walker erneut.

Rob setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. „Ich weiß, und dagegen unternehmen wir auch etwas. Aber jetzt müssen Sie bitte kurz ruhig liegen bleiben, damit wir Ihnen helfen können. Dr. Jacobs gibt Ihnen ein Schmerzmittel, und dann können Ihre Frau und Ihre Tochter zu Ihnen kommen.“

„Ich möchte nicht, dass die beiden mich mit dem ganzen Blut sehen.“

„Wenn Sie ruhig liegen bleiben, wasche ich Ihnen das Gesicht“, schlug Florence vor.

„Sie können ganz beruhigt sein, Mr. Walker. Ich bleibe neben Ihnen sitzen, und Dr. Jacobs macht Ihnen das Gesicht sauber. Sie müssen nur ruhig liegen bleiben. Einverstanden?“

Florence rechnete damit, dass der ältere Mann protestieren würde, aber plötzlich gab er jeglichen Widerstand auf. „Also schön.“

Florence und Rob sahen einander an. Gemütserregung und plötzlicher Stimmungswechsel konnten Anzeichen eines Schlaganfalls sein – oder Hinweis auf etwas anderes, das die Fähigkeit eines Patienten beeinträchtigte, Informationen zu verarbeiten. Vielleicht hatte er auch nur schreckliche Angst.

Während Florence Mr. Walker das Gesicht säuberte, sprach sie beruhigend auf ihn ein. Ihre mitfühlende Art gefiel Rob. Außerdem blieb sie auch bei großer Anspannung ruhig. Ja, seine neue Kollegin beeindruckte ihn sehr. Doch er musste vernünftig sein und durfte der Anziehung nicht nachgeben. Er hatte nun einmal kein besonderes Talent für Beziehungen und würde ja auch nur drei Monate hier sein. Sobald er wieder klettern durfte, wollte er nach Manchester zurückkehren – weit weg. Da war es besser, gar nicht erst etwas anzufangen.

Florence ging gemeinsam mit ihm die Ergebnisse des CT-Scans durch. „Zum Glück ist weder eine Gehirnblutung noch ein Schädelbruch zu sehen“, sagte sie.

„Ich sehe keine Anzeichen für eine innere Verletzung oder andere Brüche“, fügte Rob hinzu. „Wenn Mr. Walker Glück hat, ist er mit blauen Flecken und einer Platzwunde am Hinterkopf davongekommen.“

„Ich möchte ihn trotzdem über Nacht zur Beobachtung hierbehalten“, sagte Florence. „Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Natürlich könnte er einfach von dem Sturz verwirrt sein. Aber seiner Tochter ist ja schon vorher aufgefallen, dass sein Gedächtnis nachlässt. Ich glaube, wir sollten ihn im Auge behalten.“

„Das sehe ich auch so“, stimmte Rob zu.

Als sie Mr. Walker offiziell aufgenommen hatten und seine Familie bei ihm war, wurden sie zu einem Patienten gerufen, der mit Verdacht auf Herzinfarkt zusammengebrochen war und auf der Station dann einen Herzstillstand erlitten hatte. Zum Glück konnten sie ihn retten und in die kardiologische Abteilung einweisen.

„Ich glaube, eine Pause ist jetzt überfällig“, sagte Florence zu Rob. „Soll ich Ihnen zeigen, wo die Cafeteria ist?“

„Ja, das wäre toll. Ich gebe den Kaffee aus.“

„Nein, ich – heute ist schließlich Ihr erster Tag“, widersprach sie.

„In Ordnung, aber dann gebe ich den Kuchen aus.“

„Einverstanden.“ Florence lächelte.

In der Cafeteria bestellte sie ihnen beiden einen Cappuccino, und Rob kaufte zwei Schoko-Brownies. „Mein Bruder Ollie liebt Käse über alles und versteht nicht, dass Schokoladenkuchen glücklich macht“, sagte er, als sie sich setzten.

„Ja, der macht wirklich glücklich“, stimmte sie lächelnd zu. „Und nicht nur wegen des Zuckerhochs.“

Rob spürte, wie sich in seiner Brust etwas zusammenzog. Denn wenn Florence lächelte, verwandelte sich die ruhige, kompetente Ärztin und schien plötzlich von innen zu strahlen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn eine Frau so umhauen würde. Wie sollte er damit umgehen? Sich mehr wie sein Zwillingsbruder verhalten, wie sie es abgemacht hatten – oder seinem Impuls nachgeben?

Natürlich sollte er sich zurückhalten. Florence und er kannten sich ja kaum, doch das tat seiner Sehnsucht keinen Abbruch.

„Sie haben das Gespräch mit Mr. Walkers Frau und seiner Tochter wirklich gut gemacht“, sagte sie jetzt.

Rob zuckte nur die Schultern. „Wenn Familien sich Sorgen um einen Patienten machen, wird der oft noch angespannter. Deswegen halte ich es für das Beste, wenn man die Angehörigen beruhigt.“

„Da haben Sie recht. Ich hatte schon befürchtet, dass wir Mr. Walker ein Beruhigungsmittel geben müssen, und das wäre für ihn und seine Familie sehr unschön gewesen. Aber zum Glück war das ja nicht nötig. Sie haben sich wirklich gut eingefühlt.“ Florence sah ihn über den Rand ihres Bechers hinweg an. „Wo haben Sie denn bisher gearbeitet?“

Rob wusste, dass er aufpassen musste, wie viel er preisgab. Er wollte nicht, dass seine Vergangenheit ihm in die Quere kam – er wollte nicht schwach wirken. „In Manchester“, sagte er, was ja auch stimmte. Er verschwieg allerdings, dass er ein Sabbatjahr genommen hatte, um im Ausland arbeiten zu können. „Und Sie?“

„Ich habe meine Ausbildung in Leeds gemacht und bin dann vor einem Jahr hergezogen, um näher bei meiner Familie zu sein.“

„Das ist bei mir ähnlich, meine Eltern verbringen hier in der Nähe ihren Ruhestand.“ Auch das war nicht die ganze Wahrheit. Ohne die Blinddarmentzündung und die Blutvergiftung hätte Rob noch immer für die Hilfsorganisation gearbeitet. Oder er wäre wieder in Manchester und in seiner Freizeit für die Bergrettung im Einsatz. So oder so, er hätte seine Fähigkeiten sinnvoll eingesetzt. Zum Glück hatte Florence ihre Familie erwähnt, sodass er ganz leicht das Thema wechseln konnte.

„Dann stammt Ihre Familie hier aus der Gegend?“

„Ja, meine Eltern wohnen im nächsten Dorf. Ich bin hier aufgewachsen“, erzählte sie. „Meine ältere Schwester ist vor zwei Jahren zurückgekommen, als sie sich zur Ruhe gesetzt hat.“

Wie bitte? Florence war doch sicher ungefähr so alt wie er – also um die dreißig. „Ruhestand?“, wiederholte Rob verwirrt.

„Lexy ist Ballerina“, erklärte sie. „Sie ist sechsunddreißig. Viele Balletttänzerinnen ziehen sich aus dem Beruf zurück, bevor sie vierzig sind, weil Hüften und Knie durch das Tanzen so stark beansprucht werden. Außerdem will sie nicht mehr auf Tournee gehen, seit ihre Älteste zur Schule geht. Also hat sie sich zur Ballettlehrerin ausbilden lassen und eine eigene Tanzschule gegründet, zu der auch ihre drei Töchter gehen – sogar die jüngste, Darcey, die erst zwei ist.“

Rob merkte, dass sie nicht nur stolz klang, sondern auch wehmütig. Warum wohl? Außerdem fiel ihm auf, dass Florence nichts über einen Ehemann gesagt hatte. Verstohlen sah er zu ihrer linken Hand. Einen Ring trug sie nicht, aber sie konnte ja trotzdem in einer festen Beziehung sein.

Diese großen braunen Augen, der sinnlich geschwungene Mund … und wenn sie ein Zimmer betrat, wirkte alles plötzlich heller und freundlicher. Schnell verdrängte er diese Gedanken und sagte: „Darcey ist ein ungewöhnlicher Name.“

„Ja, nach Darcey Bussell. Lexy hat alle drei Töchter nach berühmten Ballerinas benannt: Die älteste heißt Margot nach Margot Fonteyn und die vierjährige Anna nach Anna Pavlova.“

„Verstehe.“ Rob beschränkte sich bis zum Ende der Pause auf berufliche Themen, dann gingen er und Florence zurück in die Notaufnahme. Nachmittags war viel los, und zu Hause angekommen, musste er sich widerstrebend eingestehen, dass er müde war. Bei seinem Nachbarn war ein Paket für ihn abgegeben worden, und Rob wusste sofort, von wem es war: von dem Menschen, für den er vor ein paar Monaten dasselbe getan hatte. Dem Menschen, der so oft dasselbe dachte wie er.

Im Paket lag eine kurze Nachricht:

Du darfst das Paket nur auspacken, wenn du dich an deinem ersten Arbeitstag NICHT übernommen hast.

„Ja ja, Ollie, ist ja schon gut.“ Lächelnd öffnete Rob das Paket. Es enthielt einen guten Rotwein und edle Schokolade – perfekt für den ersten Feierabend.

Rob schickte seinem Zwillingsbruder eine kurze Nachricht.

Danke für das Paket – ich habe mir eine Belohnung auch echt verdient.

Wenige Sekunden später klingelte sein Telefon.

„Und, wie war dein erster Tag?“, fragte Oliver.

„Einfach toll. Es tut so gut, wieder zu arbeiten und Leben zu retten, Ollie. Wir haben einen Patienten mit Herzstillstand wiederbelebt. Ich arbeite zwar nur drei Tage pro Woche, aber so kann ich etwas bewirken, statt nur zu Hause zu sein.“ Unnütz zu Hause zu sitzen und sich sogar zu krank zu fühlen, um hin und her zu laufen. Das war für Rob geradezu unerträglich gewesen.

„Freut mich, dass es dir gefallen hat. Hast du nette Kollegen?“

Unwillkürlich dachte Rob an Florence Jacobs. „Sehr nette sogar.“ Mehr wollte er seinem Bruder vorerst nicht verraten.

„Und du hast dich auch wirklich nicht übernommen?“, fragte Oliver nach.

„Jetzt hör aber mal auf, natürlich war ich vernünftig! Trotzdem bin ich ziemlich müde“, gab Rob zu. „Aber ich kann mich ja morgen erholen. Jeden zweiten Tag zu arbeiten, wird mir helfen, mich langsam wieder an den Berufsalltag zu gewöhnen. Bis ich wieder voll einsatzfähig bin, wird es noch eine Weile dauern, aber Teilzeit ist besser als nichts.“

„Das klingt fast ein bisschen zu vernünftig“, neckte sein Bruder ihn. „Versuchst du tatsächlich, mehr wie ich zu sein?“

„Ja.“ Zumindest die meiste Zeit. Ob er jedoch sesshaft werden und sich niederlassen konnte, da war Rob sich nicht so sicher. Doch ihm war aufgefallen, wie unpersönlich seine Mietwohnung aussah. Wenn Rob seinen Bruder um eines beneidete, dann um dessen Fähigkeit, sich ein gemütliches Zuhause einzurichten – und zwar noch am Tag des Einzugs. Er selbst war nie lange genug an einem Ort und ständig auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Sogar in seiner Wohnung in Manchester – die er an einen Kollegen vermietet hatte – hielt er sich immer nur kurz auf: wenn er nicht gerade in der Notaufnahme, beim Klettern oder im Ausland war.

Vielleicht sollte ich mir auch in dieser Hinsicht ein Beispiel an Ollie nehmen, dachte Rob und beschloss, am nächsten Tag ein paar der Fotos auf seinem Handy auszudrucken und sie in Rahmen auf den Kaminsims zu stellen. Dann fühlte sich seine Wohnung vielleicht nicht mehr so unpersönlich an.

„Ich bin am Verhungern, deswegen lege ich jetzt auf – ich muss mir dringend etwas zu essen kochen.“

„Du meinst wohl, etwas in der Mikrowelle warm machen“, zog Oliver ihn auf.

„Und wenn schon. Mein Abendessen ist gar nicht so ungesund und enthält zwei der fünf Portionen Gemüse, die man am Tag essen soll. Und zum Nachtisch gibt’s einen Apfel.“

Anders als sein Bruder machte Rob Kochen keinen Spaß. Dauerte die Zubereitung eines Gerichts länger als fünf Minuten, kam es für ihn nicht infrage. Er verbrachte seine Zeit lieber mit spannenderen Dingen. „Ich melde mich morgen“, sagte er. „Grüß bitte Gemma von mir, und vielen Dank noch mal für das Päckchen!“

„Bitte schön. Übrigens kannst du auch jederzeit zum Abendessen zu uns kommen, wenn du nach der Arbeit müde bist. Ich koche gern für dich.“

„Danke, das ist echt nett.“ Doch Oliver war frisch verliebt. Und nachdem seine vorige Partnerin ihn wegen der Nierentransplantation verlassen hatte, wollte Rob auf keinen Fall die neue Beziehung seines Bruders belasten – auch wenn er Gemma sehr mochte und fand, dass sie viel besser zu Oliver passte als Tabby, seine Ex.

„Wie geht es eigentlich deiner Patientin mit der Varizellen-Pneumonie?“

„Sie ist wieder ganz gesund. Aber woher weißt du von ihr?“

„Jemand aus meinem neuen Team erinnerte sich daran, dass du mit ihr in der Notaufnahme warst, und sie hat uns miteinander verwechselt.“

„Ach ja?“, fragte Oliver interessiert.

„Ich habe echt Hunger, also bis bald!“, sagte Rob schnell, denn er wollte auf keinen Fall seinem Zwillingsbruder von Florence Jacobs erzählen.

Florence’ Schritte hallten in ihrer Küche. Über ein Jahr war vergangen, seit sie nach Northumbria zurückgezogen war – über ein Jahr seit ihrer Scheidung. Und über zwei Jahre war es her, dass ihre Welt zusammengebrochen war.

Obwohl sie ganz in der Nähe aufgewachsen war, fühlte sie sich in dieser Wohnung noch immer nicht zu Hause. Es war die leere Wohnung einer Alleinstehenden. Eigentlich hatte Florence immer gedacht, dass sie nun schon Kinder haben würde.

Doch stattdessen war sie wieder allein. Und sie hatte einfach nicht die Kraft, es noch einmal mit einem Mann zu versuchen.

Dass Florence Leeds verlassen hatte und zurückgezogen war, bereute sie nicht. So wohnte sie in der Nähe ihrer Familie, die ihr sehr wichtig war. Sie konnte ihre Nichten aufwachsen sehen. Und es tat gut, dass niemand bei der Arbeit sie bemitleidete. Keine geflüsterten Gespräche, die abrupt verstummten, wenn sie die Teeküche betrat.

In Leeds hatte man im Krankenhaus viel über ihre Scheidung spekuliert und vermutet, dass Dans Affäre die Ursache gewesen war, denn Florence hatte ihren Mann sehr geliebt. Aber das war nicht die ganze Wahrheit.

Dan und sie hatten drei Jahre lang versucht, ein Kind zu bekommen, und Untersuchungen hatten ergeben, dass das Problem bei Dan lag. Adoption, ein Pflegekind sowie künstliche Befruchtung mit Samenspende hatte er rigoros abgelehnt – eine gemeinsame Therapie ebenso. Dann hatte er sie vor die Wahl gestellt: entweder er oder ein Baby.

Jetzt habe ich keins von beiden, dachte Florence wehmütig. Dan dagegen hatte eine alleinerziehende Mutter geheiratet – die Frau, mit der er eine Affäre gehabt hatte. Sie hatte ihm die Kinder geschenkt, die er Florence vorenthalten hatte.

Je länger sie darüber nachdachte, umso klarer wurde ihr: Nicht Kinder zu bekommen, war Dans Problem gewesen, sondern Kinder mit ihr zu bekommen. Ihre große Liebe hatte keine Familie mit ihr gründen wollen. Irgendetwas musste mit ihr ganz und gar nicht stimmen.

Florence gab sich einen Ruck. Statt sich zu bemitleiden, wollte sie sich lieber auf das Schöne in ihrem Leben konzentrieren. Sie hatte eine Familie, die sie sehr liebte, und gute Freunde, die immer für sie da waren. Eigentlich habe ich doch großes Glück, dachte Florence.

Aber sie wusste genau, was sie heute so durcheinandergebracht hatte.

Robert Langley.

Ihr neuer Kollege war charmant, ging einfühlsam mit den Patienten um und behandelte alle Kollegen und Kolleginnen gleich – unabhängig von deren Position.

Er dachte mit, traf schnell Entscheidungen, die Zusammenarbeit mit ihm machte Spaß, und er sah einfach umwerfend aus.

Vielleicht war genau das das Problem, denn Rob erinnerte sie an Dan in der Zeit nach ihrem Kennenlernen. An den weltgewandten, charmanten Dan, der mit jedem zurechtkam.

Florence hatte geglaubt, dass sie für immer zusammenbleiben würden. Doch dann hatte Dan ihr das Herz gebrochen.

Rob hatte weder Kinder noch eine Partnerin erwähnt, und er wirkte ein kleines bisschen distanziert. Als würde er mit seinem Charme die Menschen davon ablenken, wer er wirklich war.

„Vielleicht interpretierst du einfach zu viel hinein und tust deinem neuen Kollegen Unrecht, Florence Jacobs“, sagte sie und beschloss, laufen zu gehen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und bis dahin würde sie keine weitere Sekunde an Robert Langley denken.

2. KAPITEL

Zwei Tage später war Rob für die Behandlung kleinerer Verletzungen eingeteilt. Am späten Vormittag erschien ein Mann, dem ein anderer Autofahrer aufgefahren war.

„Tut mir leid, dass wir Ihre Zeit verschwenden, Herr Doktor. Ich bin bloß hier, weil meine Frau keine Ruhe gibt“, sagte er leicht genervt.

„Ihre Frau sieht das ganz richtig“, entgegnete Rob. „So ein Aufprall kann sich schwerwiegender auswirken, als man denkt.“

„Und vorhin hat er ein bisschen gelallt“, fügte die Ehefrau hinzu. „Ich habe ihn kaum verstanden, als er mich angerufen hat.“

„Ich stand an der Straße und habe auf den Abschleppdienst gewartet“, sagte der Patient verdrießlich. „Außerdem war mir kalt. Ich habe keine unerkannte Hirnblutung – du guckst einfach zu viele Krankenhausserien.“

Rob musste ein Lächeln unterdrücken. „Wurde der Airbag ausgelöst?“

„Nein. Ich stand mit meinem Wagen und wollte rechts abbiegen, als dieser Idiot in mich hineingefahren ist. Er hat mich nicht gesehen, obwohl ich geblinkt habe. Der hat überhaupt nicht aufgepasst!“

„Das Auto wird wahrscheinlich verschrottet“, berichtete seine Frau. „Der Aufprall muss also eine ganz schöne Wucht gehabt haben.“

„Dann werde ich Sie jetzt mal untersuchen.“ Rob sah sich Nacken und Kopf des Patienten an, bat ihn, seinem Finger mit dem Blick zu folgen, und untersuchte dann den Rücken des Mannes.

„Ihre Muskeln sind sehr angespannt, wahrscheinlich werden Sie das etwa eine Woche lang spüren. Sie brauchen Schmerzmittel und müssen sich ausruhen – und das meine ich ernst. Außerdem werden Ihnen leichte Dehnübungen guttun.“

„Siehst du? Das ganze Theater war umsonst!“, sagte der Mann zu seiner Frau.

„Das sehe ich anders“, widersprach Rob. „Obwohl ich Ihnen noch bis Anfang des Jahres zugestimmt hätte.“

Neugierig fragte der Patient: „Und weshalb haben Sie Ihre Meinung geändert?“

„Wegen eines geplatzten Blinddarms. Ich arbeitete im Ausland und dachte, dass meine Magenschmerzen einfach mit dem ungewohnten Essen zu tun hatten. Dabei sollte ich es als Arzt doch wirklich besser wissen.“ Er lächelte. „Ich habe daraus gelernt, nichts mehr zu ignorieren. Je schneller man jemanden untersucht, desto leichter kann man ein mögliches Problem erkennen und behandeln, bevor es gefährlich wird.“

„Verstehe“, sagte der Mann.

„Falls Ihre Rückenschmerzen im Lauf der nächsten Woche schlimmer werden, kommen Sie bitte noch einmal her oder gehen zu Ihrem Hausarzt. Auf keinen Fall einfach die Zähne zusammenbeißen – dann dauert es nur länger, bis Sie wieder der Alte sind.“

„Ist gut.“

Rob verschrieb seinem Patienten ein Schmerzmittel und ging dann in seiner Pause in die Teeküche, wo er Florence traf.

Weil sein Herz bei ihrem Anblick einen kleinen Sprung machte, rief er sich in Erinnerung, dass er sich im Zaum halten musste.

„Das Wasser hat gerade gekocht“, sagte sie.

„Super, danke!“ Er verrührte Pulverkaffee mit heißem Wasser und fügte dann so viel kaltes hinzu, dass er den Kaffee sofort trinken konnte.

„Wie war Ihr Tag bisher?“, erkundigte er sich.

„Ich hatte mit mehreren Colles-Frakturen zu tun, dabei ist es heute noch nicht mal glatt.“ Sie schwieg kurz und fragte: „Sie hatten also Anfang des Jahres einen geplatzten Blinddarm?“

Als Rob sie überrascht ansah, sagte sie: „Ich war vorhin in der Behandlungsnische direkt neben Ihrer. Da habe ich es mitbekommen. Aber ich behandle die Information natürlich vertraulich.“

„Danke.“ Er lächelte betont gelassen. „Ja, das war ziemlich unangenehm. Eigentlich war ich bei einem Hilfseinsatz in einem Erdbebengebiet, und dann musste ich selbst behandelt werden.“ Wie gefährlich die Lage für ihn nach dem geplatzten Blinddarm geworden war, behielt er vorerst lieber für sich. Blutvergiftung, Dialyse, zu Hause eingesperrt sein …

„Das war ein guter Rat, den Sie Ihrem Patienten gegeben haben.“

„Gute Ratschläge zu befolgen, ist nicht so einfach, wenn man ein Y-Chromosom hat“, erwiderte Rob mit ausdrucksloser Miene, und Florence lachte.

„Zumindest geben Sie es zu.“ Als sie lächelte, machte sein Herz wieder einen Sprung. Sie hatte einen wunderschönen Mund, den er am liebsten berührt hätte.

Das war doch verrückt! Aber er hatte sich tatsächlich schon lange nicht mehr so sehr von einer Frau angezogen gefühlt. Das letzte Mal mit vierundzwanzig, als er seine erste Stelle als Arzt hatte und sich in eine Kollegin verliebt hatte. Nur leider hatte Janine die nächsten fünf Jahre ihres Lebens schon fertig durchgeplant, inklusive Heirat, Hauskauf und Kinder. Das hatte nicht zu Robs Plan gepasst, um die Welt zu reisen. Und so hatten sie ihre Beziehung unter Tränen beendet. Er hatte sich nie ganz verziehen, dass er Janine wehgetan hatte und nicht der Mann gewesen war, den sie brauchte.

Deshalb machte er jeder Freundin gleich am Anfang klar, dass eine ernste, dauerhafte Beziehung für ihn nicht infrage kam. Auf keinen Fall wollte er noch einmal einer Frau so wehtun.

Es beunruhigte ihn, wie sehr er sich zu Florence hingezogen fühlte. Was war nur mit ihm los? Er war in den letzten Monaten doch auch anderen hübschen Frauen begegnet, hatte aber nie den Wunsch verspürt, die Beziehung zu vertiefen. Was war an Florence Jacobs so besonders? Bevor er sich weiter den Kopf zerbrechen konnte, sagte sie: „Wissen Sie eigentlich schon von unserem Weihnachtsessen am Freitag nächste Woche? Noch können Sie sich anmelden.“

„Weihnachtsessen? Im Oktober?“

„Ja, notgedrungen. Wir trauen uns nicht, es näher an Weihnachten zu legen. Sie wissen ja, was im November und im Dezember oft los ist. Da haben wir hier so viel zu tun, dass niemand Zeit hätte“, erklärte sie.

„Auch wieder wahr.“ Ollie würde ihn bestimmt drängen, zu dem Essen zu gehen, denn so könnte er das Team besser kennenlernen – auch wenn er nur drei Monate hier war. Kurz nach Weihnachten würde er wieder weg sein.

„Danke, ich komme gerne. Bei wem muss ich bezahlen?“

„Shobu kümmert sich ums Geld und nimmt die Essenswünsche entgegen“, antwortete Florence. „Ach so – Sie dürfen natürlich auch Ihre Partnerin mitbringen.“

„Keine Partnerin“, erwiderte Rob. „Ich komme allein.“

Er war Single? Sofort schlug Florence’ Herz schneller. Dabei war Robert Langley doch einfach nur ihr neuer Kollege. Und seit der Scheidung hatte sie ohnehin kein Interesse an einer Beziehung. Auf keinen Fall würde sie riskieren, dass ihr noch mal jemand das Herz brach. Außerdem wusste sie ja auch gar nicht, ob er überhaupt an ihr interessiert war.

„Alles klar. Dann sprechen Sie am besten direkt mit Shobu.“

„Mache ich. Ach, und übrigens: Der Frau mit der Varizellen-Pneumonie geht es gut.“ Er lächelte. „Ich habe meinen Bruder nach ihr gefragt.“

„Sehr schön, danke!“ Wie nett, dass er sich extra erkundigt hatte.

Die nächsten eineinhalb Wochen ermahnte Florence sich immer wieder, dass Robert Langley nur ihr Arbeitskollege war. Sie verhielt sich ihm gegenüber freundlich, aber leicht distanziert … bis sie das Hotel betrat, in dem das Weihnachtsessen der Station stattfand.

Ganz offensichtlich hatte Shobu ihm auch den Dresscode mitgeteilt: Abendanzug und Cocktailkleid. Florence war nicht darauf vorbereitet, wie atemberaubend Rob in Smoking und Fliege aussah. Letztere war bei genauerem Hinsehen nicht schwarz, sondern dunkelgrau mit Paisleymuster. Sehr stylish! Mit seinem Drei-Tage-Bart, über den sie am liebsten mit den Fingerspitzen gestrichen hätte, sah er unglaublich sexy aus …

Reiß dich zusammen, ermahnte Florence sich. Er durfte nicht merken, wie attraktiv sie ihn fand.

„Sie sehen toll aus“, sagte Rob in diesem Moment.

„Danke.“ Sie hatte sich ein Kleid von Lexy ausgeliehen: ein schlichtes schwarzes Etuikleid mit U-Boot-Ausschnitt, das ihr bis zum Knie reichte. Dazu trug sie eine einreihige Perlenkette und passende Ohrringe – ebenfalls von Lexy geliehen. Außerdem hatte ihre Schwester darauf bestanden, sie zu schminken. Ihre Nichten hatten ihr versichert, dass sie wie eine Prinzessin aussah.

„Allerdings ist mein gesamtes Outfit geliehen. OP-Kleidung oder weißer Kittel sind mehr mein Ding.“

„Sie sehen trotzdem sehr hübsch aus.“

Er ist einfach nur höflich, ermahnte sie sich. Es gab keinen Grund für dieses warme Gefühl, das plötzlich ihren ganzen Körper erfüllte. Und auch keinen Grund dafür, dass ihr der Atem stockte. Doch beim Essen wurde es noch schlimmer, denn sie saß neben Rob. Manchmal streifte seine Hand ihre, und jedes Mal schlug ihr Herz schneller.

Um sich wieder zu beruhigen, suchte Florence nach einem unverfänglichen Thema. Doch als sie sich zu Rob umwandte, um etwas über das leckere Essen zu sagen, trafen sich ihre Blicke.

Hilfe.

Aus der Nähe sah sie, wie wunderschön seine Augen waren, wie lang seine Wimpern und wie sinnlich sein Mund. Unwillkürlich fragte sie sich, wie sich seine Lippen wohl auf ihrer Haut anfühlen würden. Dabei hatte Florence eigentlich mit dem Küssen abgeschlossen. Sie wollte nie wieder verletzlich sein.

„Das Essen schmeckt fantastisch, oder?“, fragte sie betont fröhlich und hoffte, dass niemand den leicht panischen Ton bemerken würde.

„Ja, sehr“, stimmte er zu und rutschte leicht auf seinem Stuhl hin und her. Die Stühle standen so nahe beieinander, dass sich sein Bein kurz an ihres drückte und sie seine Körperwärme durch den Hosenstoff spüren konnte. Am liebsten hätte Florence sich an ihn geschmiegt.

„Wird nach dem Essen getanzt?“, erkundigte Rob sich.

Er und sie eng umschlungen auf der Tanzfläche … Nein. Florence gab sich einen Ruck und erwiderte: „Ja. Es werden sämtliche Weihnachtshits gespielt, alle springen wie wild herum und singen lauthals mit.“ In der Gruppe Spaß zu haben, war zum Glück viel ungefährlicher, als zu zweit zu tanzen.

„Ihre Schwester ist ja Ballerina. Heißt das, dass Sie auch gerne tanzen?“

Sie liebte es über alles. Dan war ein ausgezeichneter Tänzer gewesen. Unter anderem deshalb hatte sie sich in ihn verliebt: Beim Tanzen mit ihm hatte sie das Gefühl gehabt, zu schweben. Als er sie verlassen hatte, war ihr letzter gemeinsamer Tanz schon über ein Jahr her gewesen. Und Florence hatte nicht geahnt, dass er mit einer anderen Frau getanzt hatte.

Doch von diesen schmerzlichen Erinnerungen wollte sie sich nicht den heutigen Abend verderben lassen. Und sie wollte Rob auf keinen Fall ermuntern, sie zum Tanzen aufzufordern.

„Nein, ich trete nicht in Lexys Fußstapfen“, erwiderte sie deshalb. „Mit fünf Jahren bin ich eine Weile zum Ballettunterricht gegangen. Ich fand die Musik schön und habe Lexy gern beim Tanzen zugesehen. Aber ich hätte niemals stundenlang geübt wie sie.“

Florence sah ein Funkeln in seinen Augen, als hätte er ihr Ablenkungsmanöver durchschaut. Doch als er sich darauf einließ und das Thema wechselte, war ihre Enttäuschung groß.

„Warum sind Sie eigentlich Ärztin geworden?“

„Ich wollte Menschen helfen. Und als ich während meiner Ausbildung in der Notaufnahme gearbeitet habe, wusste ich, dass das genau das Richtige ist“, erzählte sie. „Und Sie? Warum sind Sie Arzt geworden?“

Rob lächelte jungenhaft. „Also, mit dreizehn wollte ich eigentlich Rockstar werden.“

Florence konnte sich ihn sehr gut auf der Bühne vorstellen, wo er sicher die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Sie stand ja selbst völlig in seinem Bann.

„Und wie ernst war es Ihnen mit diesen Plänen? Haben Sie tatsächlich Musik gemacht?“

„Ja, mein Bruder, ein Freund und ich hatten eine Band.“ Er lachte. „Ich war Leadgitarrist und Sänger, Ollie spielte Bass und sang die Begleitstimme, und Micky war der Schlagzeuger. Geprobt haben wir in unserer Garage.“ Wieder lachte er. „Wir waren so was von schlecht! Ich wette, unsere Eltern und die gesamte Nachbarschaft waren zutiefst erleichtert, als wir die Sache an den Nagel gehängt haben.“

Wenn Rob lachte, bildeten sich feine Linien um seine wunderschönen tiefblauen Augen. Bei dem Anblick verspürte Florence ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. Sicher war ihm klar, was für eine Wirkung er auf Frauen hatte. Und er hatte freiheraus zugegeben, dass er kein Talent zum Rockstar besaß. Es gefiel ihr sehr, dass er offensichtlich kein Angeber war. Er gefiel ihr sehr.

„Manchmal singe ich mit Lexy und meinen Nichten im Auto“, gestand sie. „Ich singe nicht besonders gut, aber es macht mir Spaß. Wann haben Sie sich denn entschieden, Medizin zu Ihrem Beruf zu machen?“

„Ich habe das Klettern für mich entdeckt und bin dem örtlichen Bergrettungsteam beigetreten“, erzählte Rob. „Da musste ich mich in Erster Hilfe schulen lassen. Daraus entstand der Wunsch, im Bereich Notfallmedizin zur arbeiten.“ Er lächelte. „Schon als Kind fiel mir das Stillsitzen schwer, deshalb gefällt mir das rasante Tempo in unserer Abteilung.“

Gerne hätte Florence erfahren, was ihm sonst noch gefiel. Dabei wollte sie doch gar keine Beziehung! Warum nur faszinierte Robert Langley sie so? Warum konnte sie den Blick nicht von ihm abwenden und nahm jede unbeabsichtigte Berührung so intensiv wahr?

Zum Glück rettete sie der Leiter der Station davor, irgendetwas Dummes zu sagen. Er schlug mit dem Löffel gegen sein Glas, hielt eine kurze Rede und kündigte die Verteilung der Secret-Santa-Geschenke an. Und danach wurde getanzt.

Während des Essens hatte Rob Florence die ganze Zeit sehr intensiv wahrgenommen. Und bei jeder zufälligen Berührung war seine Sehnsucht stärker geworden. In ihrem Kleid erinnerte sie ihn noch mehr an Audrey Hepburn. Und er wollte unbedingt mit ihr tanzen – sie eng an sich ziehen und sich mit ihr zu romantischer Musik bewegen.

Natürlich wäre es das Vernünftigste, diese Anziehung zu unterdrücken, bevor sie noch stärker wurde. Zwar wusste Rob mittlerweile durch den Flurfunk, dass Florence Single war, doch das hieß noch lange nicht, dass sie auf eine Beziehung aus war. So wie sie ihn mit ihren wunderschönen braunen Augen angesehen hatte, war er aber sicher, dass auch sie sich von ihm angezogen fühlte.

Am besten hielt er sich von ihr fern, tanzte nur in der Gruppe mit ihr und beließ es ansonsten bei einem rein freundschaftlichen Umgang.

Nur fand Rob Florence leider unwiderstehlich.

Er tanzte mit Krankenschwestern, einer Ärztin und weiteren Mitarbeiterinnen – und war sich trotzdem die ganze Zeit bewusst, wo Florence auf der Tanzfläche war, selbst wenn er ihr den Rücken zuwandte.

Was war bloß los mit ihm? Er wollte doch nicht mal eine Beziehung: Er wollte sich ganz und gar darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden und sein altes Leben so weit wie möglich wieder aufzunehmen. Zum Beispiel das Klettern. Lauter Dinge, für die frühere Partnerinnen keine Geduld gehabt hatten. Auch das war ein Grund, dass seine Beziehungen nie hielten. Es lohnte sich also nicht, auch nur daran zu denken.

Doch er konnte einfach den Blick nicht von Florence abwenden. Wie sie sich bewegte …

Florence tanzte den ganzen Abend, einfach zum Spaß und ohne Risiko. Doch die ganze Zeit wusste sie genau, wo Rob auf der Tanzfläche war. Er war zwar laut eigener Aussage ein miserabler Sänger, aber tanzen konnte er. Er passte sich aufmerksam den Bewegungen seiner Tanzpartnerinnen an. Ihr fiel auch auf, dass er mit allen Frauen der Gruppe tanzte und dabei immer nett war und lächelte.

Robert Langley konnte wirklich gut mit Menschen umgehen.

Und er sah fantastisch aus.

Und er war Single …

Florence gab sich einen Ruck. Wir sind Arbeitskollegen, und auch das nur vorübergehend, ermahnte sie sich. Keine Komplikationen, keine Enttäuschung, kein gebrochenes Herz. Sie wollte nicht noch einmal erleben, dass jemand ihr wehtat und auf ihren Träumen herumtrampelte.

Also unterhielt sie sich lächelnd mit Kollegen und tanzte.

Als das nächste Lied zu Ende war, prickelte plötzlich ihre Haut am ganzen Körper.

Rob stand direkt neben ihr.

„Möchten Sie mit mir tanzen, Dr. Jacobs?“, fragte er.

Wie sollte sie da widerstehen?

„Warum nicht“, erwiderte sie betont lässig.

Dann kam natürlich ausgerechnet ein langsames, sinnliches Lied, bei dem alle Lichter heruntergedimmt wurden.

Statt wie bisher in einer Gruppe ausgelassen zu tanzen, war Florence nun in Robs Armen – so nahe, dass sie seine Körperwärme durch sein Hemd und die Wärme seiner Hand auf ihrem Rücken spürte.

Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer.

Trotz der hohen Absätze war sie nicht groß genug, um die Wange an seine zu schmiegen. Doch allein durch seine Nähe wurde ihr fast schwindelig. Es war eine kleine Ewigkeit her, seit sie zuletzt mit einem Mann so eng getanzt hatte.

Diesmal erzählte Rob nicht von seiner Teenagerzeit und fragte sie auch nicht nach ihrer Familie. Er hielt sie einfach in den Armen. So nahe, dass sie seinen Herzschlag spüren konnte.

Als Florence zu ihm aufblickte, schien das Glühen seiner Augen sie fast zu verbrennen. Hieß das, dass er dasselbe empfand? Hatte er wie sie alles um sich herum vergessen – die anderen Menschen, die Musik –, sodass es nur noch sie beide zu geben schien? Verspürte auch er diese verrückte, wilde Sehnsucht?

Vielleicht sah Rob die Fragen in ihren Augen. Denn er zog sie noch näher an sich und neigte den Kopf, sodass sie Wange an Wange tanzten. Und dann spürte sie seine Lippen an ihrem Mundwinkel – ohne sie unter Druck zu setzen oder etwas zu fordern, sondern sanft und sehr verführerisch.

Nur ein winziger, zarter Kuss.

Was war schon dabei, den zu erwidern?

Florence gab ihrer inneren Stimme der Vernunft keine Gelegenheit, ihr das auszureden: Sie wandte ihm das Gesicht zu, sodass ihre Lippen seine streiften und ein Schauer durch ihren ganzen Körper ging. Fast hätte sie das Gleichgewicht verloren, doch er hielt sie sicher in seinen Armen.

Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie in der Öffentlichkeit waren – umgeben von Arbeitskollegen. Da konnte sie doch nicht einfach mit Rob knutschen!

Doch als er sie plötzlich sanft und zärtlich zu küssen begann, konnte Florence nicht mehr klar denken. Eigentlich hätte sie sich jetzt dringend von Rob lösen und ihm vorschlagen müssen, dass er mit jemand anderem tanzte. Doch sie brachte es einfach nicht fertig. Sie wollte am liebsten immer so weitertanzen, in seinen Armen. Sein Herz im selben Rhythmus schlagen hören wie ihres.

Und auch als die Musik wieder schneller wurde und sie sich voneinander lösten und anfingen, mit anderen zu tanzen, konnte sie nur daran danken, wie Rob sie geküsst hatte. Bei der Erinnerung erschauerte sie voller Verlangen – und erschrak darüber.

Florence hatte schon sehr lange nicht mehr so für jemanden empfunden. Das schmerzliche Erlebnis mit Dan hatte sie davon abgehalten, sich zu öffnen. Sie war völlig durcheinander und wusste nicht, wie sie sich nun verhalten sollte.

Rob hatte nicht vorgehabt, Florence zu küssen – es war einfach passiert.

Und es erschütterte ihn zutiefst. So hatte er sich zuletzt als Teenager gefühlt: Als er endlich den Mut aufgebracht hatte, das Mädchen zu küssen, für das er schon so lange geschwärmt hatte.

Florence kannte er erst seit ein paar Wochen. Er musste vernünftig sein, sich mehr wie sein Bruder verhalten – das hatten sie so vereinbart. Was würde Ollie jetzt an seiner Stelle tun? Wahrscheinlich tanzen, sich nett unterhalten und viel lächeln.

Das war doch ein guter Plan, den Rob nun auch befolgte.

Doch die ganze Zeit über wusste er genau, wo Florence sich gerade aufhielt.

Zwischen ihr und ihm bestand ganz klar eine Verbindung, und er wollte diesem geheimnisvollen Band auf den Grund gehen. Gleichzeitig wusste er jedoch, dass er Abstand halten sollte.

Rob war es nicht gewohnt, so verwirrt zu sein. Als Experte für Notfallmedizin nutzte er permanent dieselbe Fähigkeit wie für seine Freizeitbeschäftigungen: innerhalb kürzester Zeit eine Situation einschätzen und dann schnell eine fundierte Entscheidung treffen können. Zögern durfte man da nicht. Warum zögerte er dann jetzt?

Er beschloss, vernünftig zu sein und sich am Ende des Abends freundlich von Florence zu verabschieden. Doch dann hörte er sich sagen: „Müssen Sie los, oder können Sie noch ein bisschen bleiben und etwas mit mir trinken?“

Florence’ schöne braune Augen sahen im gedämpften Licht riesengroß aus. „Das Hotel schließt jetzt.“

„Nicht für Übernachtungsgäste. Ich habe mir ein Zimmer genommen.“ Nur für den Fall, dass ihn wieder einmal tiefe Erschöpfung überkommen würde. „Wie wäre es mit einem Drink an der Bar?“

Rob war es nicht gewohnt, so stark auf eine Frau zu reagieren. Er hoffte, dass sie bleiben würde.

„In Ordnung. Ich trinke noch ein Glas mit Ihnen – aber nur, wenn ich Sie einladen darf.“

Am liebsten hätte er laut gejubelt. „Das geht wahrscheinlich nicht, weil die Bar nur für Hotelgäste ist“, erwiderte er lächelnd. „Aber Sie dürfen sich nächste Woche gerne mit einem Kaffee revanchieren.“

Oje, das klang, als wollte er sie zu einem Date überreden. Doch statt die Flucht zu ergreifen, nickte Florence. „Abgemacht.“

Rob führte sie zu einem Tisch in einer ruhigen Ecke der Bar, fragte sie, was sie trinken wollte, und bestellte ihnen beiden ein Glas trockenen Weißwein. Als Florence einen Schluck nahm, betrachtete er ihren Mund und dachte daran, wie ihre Lippen sich auf seinen angefühlt hatten: warm, sanft und sinnlich. Er sehnte sich danach, das noch einmal zu erleben und zu fühlen, wie sie sich an ihn schmiegte.

Dann begegneten sich ihre Blicke, und Florence errötete. Hatte sie gerade denselben Gedanken? Sehnte auch sie sich nach mehr?

Sie stellte ihr Glas ab und sagte: „Ich sollte jetzt lieber gehen.“

Ohne nachzudenken, erwiderte Rob: „Du könntest doch auch hierbleiben.“

„Hierbleiben?“ Offenbar fiel ihr gerade erst wieder ein, dass er sich ein Zimmer genommen hatte.

Er sah ihr an, dass sie hin- und hergerissen war. Ob sie Bedenken hatte, weil sie Arbeitskollegen waren? „Es bleibt unter uns, bis wir beide wissen, wie sich das hier weiter entwickelt“, sagte er.

Florence schwieg lange. Schließlich fragte sie: „Und wenn ich hierbleibe, was passiert dann?“

Ihre Stimme bebte ganz leicht. War sie genauso nervös wie er?

Rob wollte sie beruhigen, ihr aber auch zeigen, wie sehr er sie begehrte. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Das hier war nicht geplant.“

Eigentlich war er es gewohnt, schnell gute Entscheidungen zu treffen. Doch dabei konnte er sich auf seine Erfahrung verlassen. Das hier war Neuland für ihn – ein Schritt ins Ungewisse.

Vielleicht beruhigte Florence die Erkenntnis, dass auch er offenbar etwas durcheinander war. Denn plötzlich lächelte sie und sagte: „Okay.“

Ein kleines Wort, das ihm so viel bedeutete. Rob stand auf und streckte die Hand nach ihr aus. Auch Florence stand auf, nahm seine Hand und ging mit ihm zum Aufzug.

Der war überraschend klein – es war gerade genug Platz für sie beide.

Sobald sich die Türen geschlossen hatten, umfasste Rob sanft ihr Gesicht und streifte mit den Lippen ihre. Als er sich von Florence löste, erbebte sie.

„Eigentlich hätte das nicht so passieren sollen“, sagte er sanft. „Aber das Leben beschert einem neben unerwarteten Komplikationen eben auch schöne Dinge. Und die schönen Dinge möchte ich mir nicht entgehen lassen.“

„Ich auch nicht.“ Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass auch ihr das Leben schon übel mitgespielt hatte.

Rob hielt ihre Hand, bis sie bei seinem Zimmer ankamen. Er öffnete die Tür und ließ Florence eintreten. Nervös setzte sie sich auf den Rand eines Sessels.

„Du kannst es dir jederzeit anders überlegen“, sagte er ruhig. „Dann rufe ich dir ein Taxi. Du musst nichts tun, was du nicht willst, Florence.“

Dass er ihr die Entscheidung überließ, schien den Ausschlag zu geben. Florence stand auf, kam zu ihm und küsste ihn.

In Robs Innerem schien ein Feuerwerk zu explodieren. Es war, als wäre er nach vielen Monaten endlich wieder ins Leben zurückgekehrt. Florence sah nicht den hilfebedürftigen Patienten in ihm, sondern einen Mann. Sie wollte ihn ebenso sehr wie er sie.

Rob löste den Mund von ihrem, drehte sie sanft herum und öffnete langsam den Reißverschluss an der Rückseite ihres Kleides. Als Florence sich ein wenig wand, drehte er sie vorsichtshalber wieder zu sich.

„Alles in Ordnung?“

„Ja.“ Sie nickte.

Rob gab ihr einen Kuss, dann streifte er ihr das Kleid von den Schultern, sodass es zu Boden fiel. „Du bist wunderschön“, flüsterte er und fuhr mit dem Finger am Rand ihres spitzenbesetzten BHs entlang.

Als Florence sich die Zunge über die Unterlippe gleiten ließ, wurde sein Puls schneller.

„Du bist immer noch komplett angezogen, da müssen wir dringend für Ausgleich sorgen“, sagte sie.

„Du hast mich ganz in der Hand.“

Florence löste seine Fliege, dann knöpfte sie ihm das Hemd auf. Er hielt unwillkürlich den Atem an, als er ihre Finger auf seiner Haut spürte. Geduld war nicht Robs Stärke, aber wenn er es jetzt überstürzte, würde Florence sich zurückziehen. Und vielleicht bekam er nie eine zweite Chance.

Also ließ er sie das Tempo bestimmen, mit den Fingern seine Schultern, die Muskeln auf seinem Rücken erkunden. Jede Berührung machte ihn halb verrückt vor Verlangen. Als sie innehielt, zitterte er vor Begehren.

„Florence?“ Inständig hoffte er, dass sie nicht aufhören wollte.

Er nahm ihre Hand und küsste eine Fingerspitze nach der anderen. „Ich möchte dich das Tempo bestimmen lassen, aber ich kann mich kaum noch beherrschen.“

Ob Rob Langley wusste, was sein Lächeln in ihr auslöste? Er war charmant und unglaublich sexy – und Florence wollte ihn. So ein Gefühl wie vorhin beim Tanzen mit ihm hatte sie seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr gehabt. Schon Jahre vor ihrer Scheidung nicht mehr, wenn sie ehrlich war.

Sie wollte solch ein Gefühl wieder spüren, sie wollte die kalte Einsamkeit ihres Lebens hinter sich lassen. Und sie wollte, dass Rob die Kontrolle verlor.

Florence stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Und dann lagen sie plötzlich nackt im Bett. Sie wusste nicht mehr, wer wen ausgezogen hatte. Doch das lag nicht daran, dass sie zu viel getrunken hätte – sondern daran, dass sie alles um sich vergaß, wenn Rob sie berührte.

Er kniete zwischen ihren Beinen, liebkoste die Vertiefung an ihren Schlüsselbeinen mit dem Mund, nahm ihre Brustspitzen zwischen die Lippen und ließ dann den Mund an ihrem Körper hinuntergleiten.

Florence konnte an nichts anderes denken außer an die Empfindungen, die er in ihr auslöste. Als er sie liebkoste, breitete sich Hitze in ihrem ganzen Körper aus, und ihr Verlangen wurde immer stärker, bis sie es kaum noch aushielt und ihr ganz schwindelig wurde. Erschauernd kam sie zum Höhepunkt.

Florence hatte ganz vergessen, wie himmlisch sich das anfühlte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Rob.

„Oh ja.“ Ein genüssliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Rob lächelte ebenfalls. „Gut. Das erste Mal sollte ganz für dich sein.“

Rob war beim Sex also rücksichtsvoll und selbstlos. Das war bei Dan zum Ende ihrer Ehe anders gewesen: Da hatte der Sex eher an einen Kampf erinnert.

Offenbar bemerkte Rob, dass etwas in ihr vorging. „Du kannst es dir noch immer anders überlegen“, sagte er.

„Nein, es ist nur … es ist kompliziert.“

„Gibt es einen anderen Mann?“

Florence schüttelte den Kopf. „Nein, so etwas würde ich nicht tun. Ich habe nur ein paar … Altlasten. Du kannst es einfach ignorieren.“

„Oder ich tue alles dafür, dass du sie vergisst.“ Rob küsste sie erneut und liebkoste sie dann mit Händen und Mund, bis sie vor Verlangen bebte. Ihre Sehnsucht war so stark, dass es ihr fast Angst machte.

Er streifte sich ein Kondom über und drang langsam in sie ein. Als sie ihn ganz in sich aufgenommen hatte, begann er, sich zu bewegen. Immer heißer loderte ihre Lust. Florence legte die Beine um Rob, um ihn noch tiefer in sich zu spüren.

Diesmal kamen sie gemeinsam zum Höhepunkt. Eng umschlungen lagen sie da, während die sinnlichen Schauer langsam abklangen.

Dann löste Rob sich sanft von ihr und ging ins Badezimmer, um das Kondom zu entsorgen.

War das das Signal, dass sie gehen sollte? Florence war schon so lange nicht mehr in einer Situation wie dieser gewesen, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte.

Sie überlegte noch immer, als Rob wieder aus dem Badezimmer kam. Und da fiel ihr die Narbe an seinem Unterleib auf. Sie befand sich dort, wo man sie nach einer Blinddarm-OP erwartet hätte, aber die Narbe sah noch ziemlich frisch aus.

Als Rob bemerkte, dass sie die Narbe betrachtete, sagte Florence: „Die sieht so … so neu aus.“

Rob atmete tief durch und entschied sich dafür, Florence zu vertrauen. „Also, die Kurzfassung der Geschichte lautet: Ich habe im Juni eine Niere gespendet bekommen. Mittlerweile darf ich in Teilzeit arbeiten, um mich wieder einzugewöhnen. Deshalb bin ich auch immer nur drei Tage pro Woche in der Notaufnahme.“

Florence kniff die Augen zusammen. „Eine Nierentransplantation ist ein großer Eingriff.“

Er seufzte. „Ich weiß. Ich habe mit dem Stationsleiter vereinbart, dass die Sache unter uns bleibt. Die Kollegen sollen auf keinen Fall denken, dass ich mit der Arbeit überfordert bin. Ich konnte monatelang nichts von dem tun, was ich normalerweise tue. Und ich kann es nicht leiden, wenn die Leute mich behandeln, als wäre ich schwach.“

„Ich werde bestimmt kein Urteil über dich fällen“, versicherte Florence. „Du bist ja selbst schon streng genug mit dir.“

„Kann sein“, gab er zu. „Dass ich plötzlich so eingeschränkt war, hat mir sehr zu schaffen gemacht.“

„Erzähl mir mehr darüber“, sagte sie sanft.

Rob atmete tief durch. „Ich habe freiwillig für eine Hilfsorganisation gearbeitet und war in einem Erdbebengebiet im Einsatz, weil ich Herausforderungen mag. Mir ging es nicht so gut, aber ich dachte, das läge am Wasser und dem ungewohnten Essen.“ Er zuckte die Schultern. „Leider war es mein Blinddarm, der dann schließlich geplatzt ist. Ich hatte eine schwere Blutvergiftung, die meine Nieren zerstörte. Deshalb war ich für eine Weile auf die Dialyse angewiesen.“ Damals war die Zeit so unerträglich langsam vergangen. „Mein Bruder Ollie hat mir dann eine Niere gespendet.“

„Wow, das beeindruckt mich!“, sagte Florence.

„Ja, er ist ein wirklich toller Mensch.“ Er sah sie an. „Danke, dass du mir zugehört hast. Und was machen wir jetzt, nachdem ich der Stimmung so einen Dämpfer verpasst habe?“

„Hast du nicht. Außerdem habe ich das Thema ja selbst angesprochen.“

„Na gut. Ich kann dir ein Taxi rufen, wenn du willst. Oder …“ Er atmete tief ein. „Oder du bleibst hier, schläfst mit mir zusammen ein und vergisst einfach mal alles andere. Nur du und ich. Ganz ohne Altlasten.“

Das klang wunderschön und unendlich verlockend. Wozu sollte Florence auch in ihre leere Wohnung zurückfahren? Stattdessen könnte sie hierbleiben, in den Armen des Mannes, der so atemberaubende Empfindungen in ihr auslöste. Sie könnte alles vergessen, was sie in den letzten Jahren so unglücklich gemacht hatte. Und ganz ohne Versprechungen einfach Nähe und Wärme genießen.

Die Entscheidung fiel ihr leicht. „Ich bleibe hier.“

Rob lächelte und legte sich neben sie. Florence schmiegte sich an ihn, ließ den Kopf auf seiner Schulter ruhen und verschränkte die Finger mit seinen. Über die Zukunft konnte sie sich morgen immer noch Gedanken machen. Heute Nacht würde sie einfach nur im Hier und Jetzt sein.

3. KAPITEL

Als Florence am nächsten Morgen aufwachte, war es warm und behaglich. Es dauerte einen kurzen Moment, bis ihr klar wurde, dass sie nicht in ihrem eigenen Bett lag. Jemand lag neben ihr und hatte den Arm um sie geschlungen.

Sie musste an den vergangenen Abend denken: wie Rob und sie miteinander getanzt, sich geküsst und geliebt hatten …

Mit anderen Worten: Ihr Leben war ziemlich kompliziert geworden. Sie hatten einander zwar nichts versprochen, doch wie sollte Florence sich verhalten? Nachdem ihre Ehe gescheitert war, wollte sie keine Beziehung mehr. Dass sie in der letzten Nacht der Versuchung nachgegeben hatte, erfüllte sie mit Panik.

Ob Rob jetzt dachte, sie wären ein Paar? In der Nacht hatte er davon gesprochen, einfach mal alles zu vergessen – aber ob er das heute Morgen immer noch so sehen würde?

Florence bekam es immer mehr mit der Angst zu tun. Sie war nicht bereit für das Risiko, noch einmal so verletzt zu werden wie damals von Dan. Sie wollte nicht noch einmal das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein. Und Rob war ja auch nur vorübergehend hier. Keine gute Idee, sich in jemanden zu verlieben, der bald wieder wegzog.

Doch selbst wenn er bleiben würde, gab es noch ein anderes Problem: Wegen der Nierentransplantation musste er Immunsuppressiva einnehmen, und die wirkten sich auf die Fruchtbarkeit aus. Florence hätte also wie damals mit Dan wieder einen Partner, der ohne medizinisches Eingreifen keine Kinder bekommen konnte. Außerdem wusste sie nicht einmal, ob er überhaupt Kinder wollte.

Wie sie es auch drehte und wendete, es war das Beste, jetzt einfach zu gehen und das Ganze zu beenden, bevor einer von ihnen sich zu sehr darauf einließ. Florence würde also die vergangene Nacht als kurzes Intermezzo verbuchen, das sich zwar himmlisch angefühlt hatte, sich aber nicht wiederholen würde. Sie musste ihre Empfindungen und ihre Sehnsucht wieder tief in sich vergraben. Und Rob und sie würden künftig nur Arbeitskollegen sein.

Er atmete tief und regelmäßig. Ob sie sich wohl von ihm lösen, sich anziehen und dann gehen konnte, ohne dass er es bemerkte? Das war zwar ein bisschen feige, doch sie würde ihm nachher schreiben und sich entschuldigen.

Als Florence ganz vorsichtig seinen Arm zur Seite schob, murmelte Rob etwas im Schlaf und zog sie wieder näher an sich. So funktionierte es also schon mal nicht.

Sie musste ihn wecken, ihm sagen, dass sie dringend gehen musste, und ihn dann bitten, sie nicht anzusehen, während sie sich anzog.

Sie atmete tief ein, schob seinen Arm zur Seite und stand auf. „Rob.“

Er war sofort wach.

„Es tut mir leid, aber ich muss los.“ Florence sah ihn an und merkte sofort, dass das ein Fehler war. Diese wunderschönen blauen Augen. Die Bartstoppeln, über die sie am liebsten gestrichen hätte. Sein sinnlich geschwungener Mund … Das alles rief die Empfindungen wach, die Rob gestern in ihr ausgelöst hatte. Er hatte ihr all seine Aufmerksamkeit geschenkt und sie zärtlich verwöhnt. Und es war ganz unbefangen gewesen – sie hatten es einfach genossen, den Körper des anderen zu erkunden. Zweimal hatten sie sich letzte Nacht geliebt, und jedes Mal hatten sich ihre Körper in perfekter Harmonie bewegt und waren geradezu miteinander verschmolzen …

Sie musste jetzt dringend gehen, bevor sie erneut in Robs Armen lag und alles nur noch komplizierter machte.

„Entschuldigung“, sagte sie leise.

„Bleib doch noch“, schlug er vor. „Wir könnten Frühstück beim Zimmerservice bestellen, und danach fahre ich dich nach Hause.“

Florence stellte sich vor, wie sie gemeinsam Kaffee tranken und sich gegenseitig Stücke von ihren Croissants klauten, dabei Zeitungen lasen und zusammen das Kreuzworträtsel lösten … Diese Art gemütlicher Zweisamkeit fehlte ihr, doch es hatte keinen Sinn, sich danach zu sehnen.

„Nein, tut mir leid. Könntest du dich vielleicht …“ Ihr Gesicht wurde heiß. Nach der leidenschaftlichen Nacht, die sie miteinander verbracht hatten, war es ein wenig absurd, dass er sie nicht nackt sehen sollte. Schließlich war sie kein Teenager mehr, sondern eine vernünftige Zweiunddreißigjährige.

Zum Glück verstand Rob sofort. „Na klar“, sagte er und schloss die Augen.

„Danke.“ Schnell zog Florence sich an. „Ähm … dann also bis bald bei der Arbeit.“

„Ist gut.“ Er hatte die Augen noch immer geschlossen, und seine Miene war undurchdringlich.

Florence wusste nicht, was sie sagen sollte. Von Dan zu erzählen, würde vermutlich wehleidig klingen. Sie war schließlich erwachsen und müsste die Sache mittlerweile verarbeitet haben. Rob traf keinerlei Schuld, doch sie konnte ihm einfach nicht erklären, was in ihr vorging. „Danke für … ähm …“, brachte sie heraus. Dann blieben ihr die Worte im Halse stecken.

Eilig verließ sie das Hotelzimmer und bekam zu ihrer großen Erleichterung fast sofort ein Taxi. Zu Hause würde sie heiß duschen und hoffentlich wieder zur Vernunft kommen. Denn Rob und sie würden noch ein paar Monate lang zusammenarbeiten müssen, und auf keinen Fall sollten ihre Patienten unter einer angespannten Stimmung leiden. Irgendwie würde sie die Sache also in Ordnung bringen müssen.

Rob konnte sich nicht erinnern, jemals so einen schlimmen „Morgen danach“ erlebt zu haben. Letzte Nacht noch war Florence warm und zart und unwiderstehlich gewesen. Eigentlich hatte er gedacht, dass der Sex ihnen beiden gefallen hatte. Sie war bei ihm geblieben und in seinen Armen eingeschlafen. Und er hatte sich beim Einschlafen vorgenommen, ihr am nächsten Tag vorzuschlagen, dass sie zusammen frühstückten und dann noch etwas unternahmen: zum Beispiel einen Spaziergang oder Mittagessen in einem Pub. So hätten sie Zeit, einander ganz ohne Druck ein bisschen besser kennenzulernen. Florence war seit sehr langer Zeit die erste Frau, bei der er diesen Wunsch verspürte.

Doch heute Morgen wäre sie vermutlich einfach gegangen, wenn er nicht aufgewacht wäre. Sie hatte es sehr eilig gehabt, das Hotelzimmer zu verlassen.

Was war nur schiefgelaufen?

Je länger Rob darüber nachdachte, desto mehr verwirrte ihn ihre Reaktion. Eigentlich hatte er nichts getan, das sie verletzt oder gekränkt haben könnte. Doch Florence hatte ihm sehr deutlich gezeigt, dass sie ihn nicht näher kennenlernen wollte und dass die vergangene Nacht für sie eine einmalige Sache gewesen war.

Vielleicht hatte das auch gar nicht mit ihm zu tun, sondern mit den Altlasten, die sie erwähnt hatte. Rob begann zu verstehen, wie sich einige seiner Ex-Freundinnen gefühlt haben mussten. Normalerweise war er derjenige, der sich nicht auf eine feste Beziehung einließ und die Sache beendete. Nun war er zum ersten Mal selbst abgewiesen worden, und das war gar kein schönes Gefühl. Rob war wütend auf sich selbst, weil er sich etwas wünschte, das er nicht bekommen konnte. Und er schämte sich wegen seines Verhaltens gegenüber seinen Ex-Freundinnen.

Irgendwie würden Florence und er wieder zu einem professionellen Umgang miteinander finden müssen, ihren Patienten zuliebe.

Doch jetzt wusste er, wie es sich anfühlte, Florence zu küssen und ihre Haut an seiner zu spüren. Er kannte den Ausdruck in ihren Augen, wenn sie zum Höhepunkt kam.

Er wünschte sich mehr.

Sie aber offenbar nicht. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich und beschloss, erst einmal kalt zu duschen. Dann würde er sich überlegen, wie er das Durcheinander, das er angerichtet hatte, wieder ordnen konnte.

Das mit dem Wieder-zur-Vernunft-kommen hatte leider überhaupt nicht funktioniert. Florence konnte sich nicht einmal mit Sticken ablenken, ihrem allerliebsten Hobby. Schließlich gab sie auf und schrieb ihrer Schwester eine Nachricht.

Kann ich auf einen Kaffee vorbeikommen? XX

Die Antwort kam umgehend.

Na klar. XX

Lexy umarmte sie zur Begrüßung, führte sie in die Küche und sah sie forschend an. „Was ist denn passiert? Eigentlich dachte ich, dass du nach gestern Abend in bester Stimmung bist. Es macht dir doch sonst immer solchen Spaß, mit den Kollegen auszugehen.“

„Doch, es war wirklich nett“, schwindelte Florence.

„Nur ‚nett‘?“ Lexy stellte einen Becher Kaffee und einen Schokomuffin vor ihr auf den Tisch. „Max ist mit den Mädchen Brot holen gegangen, wir haben also eine halbe Stunde Zeit, uns ungestört zu unterhalten. Also erzähl schon.“

„Es gibt nichts zu erzählen.“

Lexy verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihre Schwester durchdringend an.

„Bitte nicht dieser strenge Ballettlehrerinnen-Blick“, sagte Florence, doch dann gab sie nach. „Also schön, ich habe etwas ziemlich Dummes gemacht.“

Als Lexy einfach nur abwartete, atmete sie hörbar aus. „Ich hatte einen One-Night-Stand.“

„Mit wem?“

Darauf wollte Florence keine Antwort geben.

„Und habt ihr verhütet?“

„Ja, natürlich.“

„Dann finde ich es gar nicht so dumm.“ Lexy zog eine Augenbraue hoch. „Einvernehmlicher Sex zwischen zwei Erwachsenen – wo ist das Problem?“

Widerstrebend rückte Florence mit der Sprache heraus. „Es war mit meinem neuen Kollegen, der nur vorübergehend hier ist.“

„Ja, und?“

Warum begriff ihre Schwester es nur nicht? Florence barg das Gesicht in den Händen. „Ich habe die Nacht mit jemandem verbracht, den ich kaum kenne.“

„Ach, das hat dir bestimmt gutgetan. Es wird doch Zeit, dass du die Sache mit Dan hinter dir lässt“, erwiderte Lexy sanft.

„Aber mein Kollege wird nicht lange hierbleiben. Die Sache hat also überhaupt keine Zukunft.“

„Macht doch nichts, er kann ja einfach dein Übergangsmann sein, mit dem du Dan endgültig vergisst.“ Lexy runzelte die Stirn. „Es sei denn, du magst ihn wirklich.“

Genau das war es ja, was Florence Angst macht. Es war wunderschön gewesen, sich bei dem Weihnachtsessen mit Rob zu unterhalten, mit ihm zu flirten, ihn zu küssen und ihn zu lieben. Er war seit der Trennung von Dan der erste Mann, der ihr überhaupt aufgefallen war.

„Ich weiß nicht, wie ich zu der Sache stehe.“ Das war nicht völlig gelogen, denn so verwirrt wie jetzt war Florence selten gewesen.

„So was passiert nun einmal, Floss. Bei der Arbeit stehst du immer unter großer Anspannung, da ist es ganz normal, dass du dich mal austoben musst.“

„Stimmt schon. Nur tue ich so was normalerweise nicht.“

„Dann war es höchste Zeit. Hast du vielleicht Fotos von gestern?“, fragte sie interessiert. „Ist er süß?“

„Nein, habe ich nicht. Und ja, er ist total süß“, gab Florence zu. Rob sah aus wie sämtliche Filmstars, für die sie als Teenager geschwärmt hatte: groß, dunkelhaarig, mit wunderschönen Augen, markanten Wangenknochen und einem sinnlichen Mund. Und wie er sich bewegte …

„Er wird also noch mindestens ein paar Wochen im Krankenhaus sein. Wenn ihr euch mögt, könntet ihr eure kleine Affäre ja ein bisschen ausdehnen“, schlug Lexy vor.

„Das kann ich nicht.“ Florence biss sich auf die Lippe. „Ich muss doch mit ihm zusammenarbeiten.“

„Es gibt jede Menge Beziehungen unter Kollegen, Floss. Du bist sehr professionell und wirst sicher nicht zulassen, dass das deine Arbeit beeinträchtigt.“

„Es geht nicht nur darum. Ich … ich bin heute Morgen praktisch aus dem Hotelzimmer geflüchtet und habe mich noch bei ihm bedankt, für …“ Stöhnend barg sie wieder das Gesicht in den Händen.

„Für den heißen Sex?“ Lexy lachte laut auf. „Ach, Süße.“ Sie umarmte ihre kleine Schwester. „Und jetzt kommst du dir vor wie ein Teenager und weißt nicht, was du tun sollst?“

„Genau. Ich habe es vergeigt. Er hatte vorgeschlagen, dass wir uns etwas beim Zimmerservice bestellen und zusammen frühstücken.“

„Das ist ja nett“, fand Lexy. „Sieh es doch mal so: Er weiß jetzt bestimmt, dass du dich normalerweise nicht auf One-Night-Stands einlässt.“

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
Mehr erfahren
Shelley Rivers
Mehr erfahren
Louisa George
Mehr erfahren