Julia Ärzte zum Verlieben Band 192

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DIE PRINZESSIN UND DER DOC von JULIE DANVERS

Er ist eine Mischung aus sexy Wassersportler und Gott in Weiß – auf den ersten Blick verliebt Danielle sich in Dr. Cade Logan! Aber mehr als eine kurze Affäre darf nicht sein. Denn sie ist nicht nur Ärztin, sondern auch Prinzessin. Und bald ruft die Pflicht – und nicht die Liebe …

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  • Erscheinungstag 29.06.2024
  • Bandnummer 192
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526197
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julie Danvers, Traci Douglass, Annie Claydon

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 192

1.KAPITEL

In der hektischen Notaufnahme wetteiferten tausend verschiedene Dinge um Danis Aufmerksamkeit. Sie musste sich anstrengen, um das Geplauder der Pflegekräfte und Gesprächsfetzen von Patienten auszublenden. Genauso wie das laute Hämmern der Bauarbeiten, die schon den ganzen Sommer über andauerten und pausenlos immer weiterzugehen schienen.

Während sie das Kurvenblatt in der Patientenakte betrachtete und sich auf ihrem Block Notizen machte, verdrängte Dani den allgemeinen Lärm in den Hintergrund. Heute war ihr letzter Tag als Assistenzärztin für Innere Medizin, und sie war fest entschlossen, gut auf die Visite vorbereitet zu sein. Dr. Benson, der leitende Lehrarzt, besaß den Ruf, die angehenden Fachärzte durch schwierige Fragen herauszufordern. Dani hatte schon erlebt, wie Studenten und Kollegen wegen seiner schroffen, einschüchternden Art die Visite in Tränen aufgelöst verließen.

Allerdings hatte Dr. Benson sie bisher noch nicht zum Weinen gebracht, und das sollte unbedingt so bleiben. Sie hatte die Absicht, ihre Assistenzzeit auch auf genau diese Weise zu beenden, indem sie Dr. Bensons durchbohrendem Blick standhielt.

Obwohl sie konzentriert arbeitete, drang dennoch ein Geräusch durch den allgemeinen Lärmpegel zu ihr hindurch. Ein scharfer Hustenlaut, gefolgt von einem Keuchen, als würde jemand nicht genug Luft bekommen. Sofort schaute Dani auf und blickte sich suchend in der Notaufnahme um.

Das Boston General Hospital war ein sehr altes Gebäude, was bedeutete, dass ständig irgendwo Bauarbeiten stattfanden. Als Dani nach der Quelle des keuchenden Hustens Ausschau hielt, bemerkte sie einen Bauarbeiter, der seinen Hammer hatte fallen lassen und zusammengekrümmt nach Atem rang. Als er merkte, dass Dani ihn beobachtete, nickte er ihr kurz zu, wischte sich über die Stirn, griff nach seinem Hammer und machte sich wieder an die Arbeit.

Doch Dani zögerte damit, sich erneut ihren Notizen zuzuwenden. Irgendetwas an dem Hustenanfall des Mannes hatte sich nicht gut angehört. Aber er schien problemlos weiterzuarbeiten. Und außer ihr war offenbar keinem der Ärzte oder Pflegekräfte in der Notaufnahme irgendetwas Beunruhigendes aufgefallen. Daher wandte sie sich wieder der Patientenakte zu. Gleich darauf wurde ihr diese jedoch von ihrer besten Freundin Kim zugeschlagen, die mit ihrem gewohnten Überschwang am Stationstresen auftauchte.

„Hey!“, protestierte Dani. „Das wollte ich gerade lesen!“

„Natürlich.“ In Kims dunklen Augen funkelte es belustigt. „Du bist die Einzige, die sich am letzten Tag ihrer Assistenzzeit in Patientenakten vertieft. Findest du nicht, dass es Wichtigeres zu tun gibt?“

Dani zupfte an ihrem Pferdeschwanz, wie immer, wenn sie genervt war. „Was könnte wichtiger sein, als sich auf die Visite vorzubereiten?“

„Hm.“ Kim tat so, als würde sie überlegen. „Wie wäre es damit, dir ein bisschen Zeit zu nehmen, um dich von dem guten alten Boston General zu verabschieden? Dich bei den Lehrärzten zu bedanken, die uns betreut haben? Und bei den Pflegekräften, die uns davor bewahrt haben, Mist zu bauen? Aber vor allem, all die Feiern und Partys zu planen, die noch stattfinden müssen, bevor die Leute aus unserer Gruppe sich übers ganze Land verstreuen, um die nächste Stufe ihrer Karriere in Angriff zu nehmen?“

Einen Moment lang traten Dani Tränen in die Augen, die sie jedoch rasch mit einem aufgesetzten Lächeln zu verbergen versuchte. Aber Kim ließ sich nicht täuschen.

„Ach, entschuldige, Dani. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich meine bloß, du solltest nicht so hart arbeiten und dabei womöglich vergessen, all den netten Menschen hier auf Wiedersehen zu sagen.“

„Schon gut. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich keine neue Stelle antreten werde.

Damit habe ich mich abgefunden. Ich finde es nur schade, wenn in ein paar Wochen alle Leute aus Boston weggehen.“

„Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du weder einen Job noch ein Stipendium in Aussicht hast“, gab Kim zurück. „Du bist eine unserer Besten.“

Die meisten Teilnehmer ihrer Ausbildungsgruppe würden eine Stelle oder ein Stipendium in dem von ihnen gewählten Fachbereich antreten. Kim hatte in Miami ein Stipendium zur Facharztausbildung in der Onkologie erhalten. Danis Freunde waren alle im Begriff, den nächsten großen Schritt in ihrem Beruf als Mediziner zu machen.

Nur Dani Martin nicht. Oder vielmehr, Prinzessin Danielle-Genevieve Matthieu DuMaria nicht, die in der Thronfolge von Lorovia an zwölfter Position stand. Danis Heimat war ein winziges Land an der Nordküste des Mittelmeers zwischen Frankreich, Monaco und Italien. Was Lorovia an Fläche fehlte, machte es als drittreichstes Land der Welt durch seinen Wohlstand wieder wett. Die Chancen, jemals zu regieren, schienen für Dani als jüngster Tochter des jüngsten Sohnes äußerst gering. Trotzdem hatten ihre königlichen Verpflichtungen eine so große Bedeutung, dass ihr keine Möglichkeit blieb, ihren ärztlichen Beruf tatsächlich auszuüben.

Dani hatte ihren Freunden und Vorgesetzten gesagt, dass familiäre Verpflichtungen sie daran hinderten, weiterhin als Ärztin tätig zu sein. Niemand wusste allerdings, wie umfassend diese Verpflichtungen waren. Als sie ihre Absicht verkündet hatte, ein Medizinstudium zu beginnen, war daraufhin eine heftige Auseinandersetzung innerhalb der Familie entbrannt. Kein Mitglied der königlichen Familie hatte bisher jemals einen Beruf erlernt. Und die meisten waren davon überzeugt, dass Dani viel zu sehr mit ihren royalen Pflichten beschäftigt sein würde, um noch Zeit für eine Tätigkeit als Ärztin zu haben.

Dani liebte ihre Familie, und es kränkte sie, als ihr Onkel ihr vorwarf, sich von ihren Verpflichtungen abzuwenden. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hatte Dani immer davon geträumt, Ärztin zu werden. Damals hatte sie nach einem üblen Sturz von ihrem Pferd zahlreiche Verletzungen davongetragen, darunter auch einen mehrfachen Beinbruch, der zwei Operationen erforderte. Die behandelnden Ärzte hatten Dani inspiriert, sodass sie sich gewünscht hatte, eines Tages anderen Menschen ebenso helfen zu können, wie diese Ärzte ihr geholfen hatten. Während des Studiums hatte sie dann beschlossen, Kardiologin zu werden. Denn schließlich wurde vom Herzen aus der gesamte Körper versorgt.

Danis Eltern unterstützten sie dabei, ihren Traum zu verfolgen, obwohl viele der älteren Familienmitglieder Vorbehalte dagegen gehabt hatten. Nach einer Woche voller Auseinandersetzungen erklärte sich die Familie zu einem Kompromiss bereit. Dani erhielt die Erlaubnis, in den USA Medizin zu studieren, wo europäische Politik keine besondere Rolle spielte. Daher war die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dort als Mitglied der königlichen Familie Lorovias erkannt zu werden. Aus Sicherheitsgründen bestand ihre Familie dennoch darauf, ihren Status als Prinzessin streng geheim zu halten. Zudem musste Dani als Nachnamen den Familiendecknamen Martin benutzen. Im Gegenzug bekam sie die Erlaubnis, nach dem Studium auch ihre dreijährige Assistenzzeit für Innere Medizin zu absolvieren, damit sie die Möglichkeit hatte, als approbierte Ärztin zu arbeiten und der medizinischen Fachwelt auch etwas zurückzugeben. Nach dem Ende ihrer Assistenzzeit wurde von ihr jedoch erwartet, dass sie nach Hause zurückkehrte. Dort sollte sie auf die Medizin verzichten und sich auf diejenigen Pflichten konzentrieren, die eher ihrem königlichen Stand entsprachen.

Ihr Beruf als Ärztin hatte also leider ein Ablaufdatum, was Dani schrecklich fand. Weil sie nach ihrer Assistenzzeit aufhören musste, würde sie niemals imstande sein, sich weiter als Kardiologin zu spezialisieren. Denn dafür wäre noch eine jahrelange zusätzliche Ausbildung erforderlich. Aber das gehörte zu den Opfern, die mit einer königlichen Geburt verbunden waren. Wenn sie sich ihren Traum schon nicht vollständig erfüllen durfte, musste sie sich eben mit einem Teil davon zufriedengeben.

Der Status ihrer Familie beeinflusste einfach alles, von ihren Freundschaften bis hin zu ihrem Liebesleben. Dani hatte nur einige wenige Ausflüge in den Bereich der Romantik gewagt. Trotzdem hatte sie bereits leidvoll erfahren, wie schwierig es war, als Mitglied einer königlichen Familie Dates zu haben. Wenn sie sich mit jemandem traf, der von ihrem Status als Prinzessin wusste, konnte sie nie sicher sein, ob sie um ihrer selbst willen gemocht wurde, oder vielmehr wegen der Macht und dem Einfluss ihrer Familie.

Vor einigen Jahren, während ihres Studiums, hätte sie fast einem Mann ihr Herz geschenkt. Zu Anfang hatte Peter nicht gewusst, dass sie eine Prinzessin war. Doch irgendwann hatte sie es ihm sagen müssen, und danach hatte sich alles verändert. Seine früher einmal sehr wohlhabende Familie hatte zu dem Zeitpunkt große öffentliche und finanzielle Probleme. Daher betrachtete er Danis königliche Herkunft als die Lösung für all die Probleme seiner Familie. Dani hätte Peter von ganzem Herzen unterstützt, aber egal, was sie ihm anbot, es war nie genug. Als er schließlich so weit ging, private Fotos von ihr an eine sensationslüsterne Boulevardzeitung zu verkaufen, war es vorbei.

Auch wenn inzwischen schon so viel Zeit vergangen war, quälte sie der Schmerz über seinen Verrat noch immer. Damals hatte Dani beschlossen, ihren Status als Prinzessin niemandem mehr zu offenbaren. Es sei denn, jemand hätte sich ihr absolutes Vertrauen verdient. Nur sehr wenige Mitarbeiter des Boston General und auch Kim kannten die Wahrheit.

Ihre Position als Prinzessin in den vergangenen Jahren geheim zu halten, war für Dani eine willkommene Abwechslung gewesen. Sie hatte Freunde gewonnen, von denen sie wusste, dass es wahre Freunde waren. Keine Leute, die nur deshalb ihre Gesellschaft suchten, weil sie aus einer königlichen Familie stammte. Es war einfacher, sich gar nicht erst auf irgendwelche Dates einzulassen. Obwohl sie die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben mochte, vielleicht doch eines Tages jemandem zu begegnen, in den sie sich verlieben könnte. Ein schöner Traum. Ganz abgesehen davon, wie kompliziert es war, als Mitglied einer königlichen Familie mit jemandem zusammen zu sein, hatte Peters Verrat sie zutiefst verletzt. Insofern konnte Dani sich nicht vorstellen, ihr Herz jemals wieder irgendeinem anderen Menschen anzuvertrauen.

Da nun bald die Zeit gekommen war, das Versprechen ihrer Familie gegenüber einzulösen, sollte sie lieber aufhören, solchen Träumen nachzuhängen. Als Prinzessin gehörte ihr Leben nicht ihr selbst. In ein paar Wochen würde ihr Beruf als Ärztin nur noch eine ferne Erinnerung sein.

Dani verabscheute Abschiede, und die Vorbereitung auf die Visite bot ihr eine willkommene Ablenkung. Diese letzte Patientenvorstellung sollte ihre allerbeste werden. Immerhin würde es vermutlich das letzte Mal sein, dass sie sich mit einer Gruppe von Kollegen über einen Fall austauschen konnte.

Der keuchende Husten von vorhin hallte erneut durch den Warteraum, diesmal gefolgt von einem längeren Ringen nach Luft. Der Bauarbeiter in der Ecke stand halb vornüber gebeugt.

„Glaubst du, er ist okay?“, fragte Dani.

Kim wirkte unsicher. „Die Krankenschwestern scheinen nicht alarmiert zu sein. Und er atmet noch.“

Wieder rang der Mann mühsam nach Luft.

„Das ist kein Atmen, das ist Keuchen“, widersprach Dani, als der Mann zusammenbrach.

Sofort sprintete sie quer durch den Warteraum. Der Bauarbeiter war blass und verlor schnell das Bewusstsein. Sie konnte nicht einmal mehr seinen Puls fühlen.

„Herzstillstand“, sagte sie zu Kim. „Hol Hilfe!“

Kim rannte los, um den Alarm auszulösen.

Dani handelte instinktiv. Sie legte dem Mann beide Hände auf die Brust, die Ellbogen fest, und begann mit den Kompressionen. Im Geiste ging sie dabei die Regeln durch, was ihr bei einem Notfall immer half, einen klaren Kopf zu bewahren.

Fünf Zentimeter tief drücken, die Finger verschränken, nicht die Rippen berühren, mit dreißig Kompressionen beginnen.

Erleichterung durchströmte sie, als das Notfallteam eintraf. Wahrscheinlich hatte es nur Sekunden gedauert, doch es war ihr viel länger vorgekommen.

Das Team bestand aus mehreren Pflegekräften und einem Arzt, den sie nicht kannte. Er war jünger als die meisten anderen Ärzte hier, mit sonnengebleichtem Haar und einem Dreitagebart. Dani fragte sich, ob er vielleicht ein neuer Kollege war.

Er nickte ihr zu. „Sie machen das großartig. Machen Sie weiter so, bis wir im Katheterlabor sind.“

Das Team hob den Patienten auf eine Trage. Dani hockte sich rittlings über ihn und fuhr mit ihren Kompressionen fort, während ein Pfleger ihm mit einem Beatmungsbeutel Sauerstoff zuführte. In höchster Eile wurde die Trage durch die Schwingtüren der Notaufnahme gerollt und dann den Korridor entlang. Dani hatte Mühe, ihr Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig weiterhin Kompressionen zu verabreichen.

Als sie das Katheterlabor erreichten, zitterten ihre Arme vor Anstrengung. Sie konzentrierte sich so sehr aufs Zählen, dass sie kaum hörte, was der hellhaarige Arzt sagte.

Sanft schüttelte er ihren Arm. „Sie können aufhören. Wir schließen ihn jetzt an einen Defibrillator an.“

Er streckte ihr die Hand entgegen, um ihr von der Trage zu helfen. Einen Moment lang war Dani in seinen Armen, als er sie auf den Boden herunterhob. Doktor Wer-auch-immer besaß eindeutig kraftvolle Muskeln unter seinem Klinikanzug.

Allerdings blieb ihr keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Denn sobald ihre Füße den Fußboden berührten, erklärte er bereits: „Ab jetzt übernehmen wir. Kann jemand sie hinausbegleiten?“

Dani wurde von einer Krankenschwester aus dem Raum geführt. Draußen blieb sie stehen und schaute durchs Fenster. Doch der Patient war nicht mehr zu sehen, weil das gesamte Team ihn umringte.

In ihrer dreijährigen Assistenzzeit hatte Dani gelernt, mit dem Unerwarteten zu rechnen. Dennoch fand sie es erschreckend, wie schnell die Situation von einem normalen in einen kritischen Zustand umgeschlagen war. In der einen Sekunde hatte der Bauarbeiter auf den Fußboden eingehämmert und im nächsten Moment einen Herzstillstand erlitten. Falls er überlebte, hatte sich sein Leben damit schlagartig geändert. Im Katheterlabor wäre Dani den Kollegen nur im Weg gewesen, aber sie wünschte, sie hätte zumindest den Namen des attraktiven Arztes erfahren.

Wie aufs Stichwort ging die Tür des Labors auf, und er kam heraus. „Sie sind noch da. Gut“, meinte er.

Jetzt, da sie ihn genauer betrachten konnte, stellte Dani fest, dass er nicht nur sonnengebleichtes Haar besaß, sondern seine muskulösen Arme ebenfalls sonnengebräunt waren.

„Für den letzten Tag Ihrer Assistenzzeit war das ziemlich heldenhaft, Doc.“

Woher wusste er, dass sie Assistenzärztin war? „Ich glaube, wir kennen uns nicht“, erwiderte sie.

Er lächelte, wobei sich eins seiner Augen kaum merklich schloss. So, als würde er ihr zuzwinkern. „Ich bin Dr. Logan.“ Er streckte die Hand aus. „Cade Logan.“

Seltsamerweise schien es Dani plötzlich die Sprache zu verschlagen, sobald sie ihm die Hand gab und seine Wärme spürte. „Dani Martin“, brachte sie mühsam hervor.

„Nun, Dr. Martin, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass sich der Patient dank Ihrer schnellen Reaktion auf dem Wege der Besserung befindet. Er hatte großes Glück, dass Sie in der Nähe waren, als er den Herzstillstand erlitt, und sofort erkannten, was los war.“

„Er wird also wieder gesund?“

„Um ihn vorerst zu stabilisieren, haben wir bei ihm einen Herzkatheter eingeführt. Morgen früh steht er gleich als Erster für einen dreifachen Bypass auf der OP-Liste. Es hätte wesentlich schlimmer ausgehen können, falls seine Herzprobleme unentdeckt geblieben wären. Vermutlich hat es ihm das Leben gerettet, dass er zufällig gerade in einer Notaufnahme arbeitete“, antwortete Cade Logan. „In einem solchen Fall zählt jede Sekunde. Durch Ihr rasches Eingreifen haben wir wertvolle Zeit gewonnen.“

Dani stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.

„Ihnen ist heute etwas gelungen, was nicht oft geschieht. Sie haben geholfen, jemandem das Leben zu retten, und mich beeindruckt.“

„Ich bin bloß froh, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen bin“, meinte sie.

„Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel“, entgegnete er. „Sie sind sofort in Aktion getreten, als es nötig war, und haben auch genau das Richtige getan.“

Sie nickte wortlos.

„Das Boston General scheint eine seiner besten Mitarbeiterinnen zu verlieren“, fuhr Cade fort. „Darf ich fragen, wo Sie nach dem Ende Ihrer Assistenzzeit ein Stipendium erhalten haben?“

Dani zögerte. „Ich werde kein Stipendium antreten.“

Er war überrascht. „Wollen Sie stattdessen als Allgemeinmedizinerin arbeiten?“

„Nein, ich werde gar nicht arbeiten. Heute ist nicht nur der letzte Tag meiner Assistenzzeit, sondern auch der letzte Tag meiner Tätigkeit als Ärztin. Punkt. Ich habe familiäre Verpflichtungen, die es mir unmöglich machen, weiter in meinem Beruf zu arbeiten.“

Die Anteilnahme in Cades Blick wirkte echt. „Das tut mir sehr leid. Geht es in Ihrer Familie allen gut?“

„Das ist es nicht. Meine Familie ist … Als Mitglied meiner Familie bin ich dem Familien… unternehmen verpflichtet. Es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch“, erwiderte Dani.

„Das muss ein sehr großes Unternehmen sein. Sind Sie etwa die Erbin eines Pharmakonzerns?“ In seiner Stimme schwang ein leicht belustigter Unterton mit, doch in seinen Augen lag ein Ausdruck aufrichtiger Neugier.

„So etwas in der Art.“ Sie hasste es, andere Menschen zu belügen. Aber Cade Logan auf eine falsche Fährte zu führen, schadete ja niemandem. Nach dem heutigen Tag würde sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen.

„Wie schade“, sagte er. „Die Welt braucht gute Ärzte. Offen gesagt, mehr als Pharmaerbinnen.“

Trotz seines scherzhaften Tonfalls konnte Dani die Wahrheit hinter seinem Lächeln erkennen. Schließlich entsprach dies auch ihrer eigenen Meinung.

„Leider habe ich meine Entscheidung bereits getroffen“, gab sie knapp zurück. Hoffentlich würde er den Wink verstehen, dass sie nicht weiter über dieses Thema zu sprechen wünschte.

„Ich verstehe, aber …“

„Da gibt es kein Aber. Ich muss für meine Familie da sein. Ende der Geschichte.“ Eigentlich hatte sie nicht die Absicht gehabt, so schroff zu reagieren. Sie war jedoch verblüfft darüber, wie beharrlich Cade nachhakte. Im Allgemeinen hielten die Leute sich zurück, wenn sie erklärte, ihre familiären Pflichten würden sie daran hindern, eine Karriere in der Medizin zu verfolgen. Nur Kim hatte intensiver nachgebohrt, und das auch erst, nachdem sie zu einer Freundin geworden war, der Dani vertrauen konnte.

Beschwichtigend hob Cade die Hand. „Na schön, die Familie kommt zuerst. Das verstehe ich. Aber beantworten Sie mir eine Frage: Warum haben Sie so viel Kraft und Energie aufgewendet, um Ärztin zu werden, bloß um diesem Beruf nach so kurzer Zeit wieder den Rücken zu kehren? Was war der Sinn dahinter, wenn Sie sowieso aufhören wollten?“

Dani war ihm keine Erklärung schuldig. Dennoch wollte sie seine Frage beantworten, weil sie sich diese selbst oft genug gestellt hatte. „Weil die Medizin ein Wunder ist. Sie ist voller Wunder … Geburt, die Genesung von Krankheiten, allen Widrigkeiten zum Trotz etwas überstehen. Natürlich ist sie auch Wissenschaft, aber es gibt kein anderes Fachgebiet, wo man nicht täglich irgendetwas Wunderbares sieht. Selbst wenn ich diese Wunder nur für eine kurze Zeit lang miterleben darf, ist es besser, als sie niemals zu erfahren. Egal, was in der Zukunft passiert, ich werde das Leben immer mit anderen Augen betrachten, weil ich Ärztin gewesen bin. Auch wenn ich nicht praktiziere, weiß ich doch, was für ein Wunder es darstellt, dass der menschliche Körper existiert. Vor allem, wenn er Krankheiten oder Verletzungen durchgemacht hat. Die Medizin hat mir gezeigt, wie Menschen sogar unter den außergewöhnlichsten Umständen weiterleben können. Das werde ich niemals vergessen.“

Mit einem seltsamen Ausdruck sah Cade sie an. Als hätte sie etwas völlig Unerwartetes gesagt. Auf einmal war es ihr peinlich, so viel über Wunder gesprochen zu haben. Vermutlich hielt er sie für total naiv.

„Und das reicht Ihnen?“, fragte er. „Bloß ein paar Jahre der Erinnerungen an all diese Wunder?“

Nein, natürlich nicht. Dani liebte die Medizin. Aber als Prinzessin hatte sie die Pflicht, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie hob das Kinn und schaute ihm direkt in die Augen. Blaugrün, wie Meerwasser. Sein Blick war nachdenklich und durchdringend zugleich. Herausfordernd. Einen solchen Ausdruck hatte sie im Laufe ihrer Ausbildung schon zu oft gesehen, um sich davon aus der Fassung bringen zu lassen.

„Es muss reichen“, antwortete sie.

„Sie haben einen sehr leidenschaftlichen Zugang zur Medizin für jemanden, der daraus aussteigen will“, stellte Cade fest.

„Mir sind viele Dinge wichtig. Leider stehen sie einander manchmal gegenseitig im Weg.“

„Zum Beispiel Ihre Familie und Ihr Beruf.“

Sie nickte bestätigend.

„Wissen Sie, warum ich hier in Boston bin?“

„Ich dachte, Sie sind ein Gastmediziner.“

„Nicht ganz. Ich bin Stipendiat im letzten Jahr bei einem ungewöhnlichen Kardiologie-Stipendienprogramm am Coral Bay Medical Center auf St. Camille, einer Insel in der Karibik.“

„Von St. Camille habe ich schon gehört.“ Die Insel war berühmt für ihr türkisblaues Meer sowie herrliche weiße Sandstrände. Und Kardiologie war die Fachrichtung, von der Dani immer geträumt hatte. Allerdings bestand für sie nicht die geringste Möglichkeit, Kardiologin zu werden, da dies noch weitere drei Jahre einer spezialisierten Facharztausbildung bedeuten würde.

„Auf St. Camille werden erfahrene Ärzte gebraucht, aber die richtigen Leute dafür zu finden, ist nicht leicht“, erklärte Cade. „Viele Studenten absolvieren ihr Medizinstudium in der Karibik und kehren nach ihrem Abschluss wieder in ihre Heimat zurück. Es gibt leider nicht viele, die es andersherum machen wollen. Es ist schwierig, besonders begabte Kandidaten davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, auf eine kleine Insel mit begrenzten Möglichkeiten zu ziehen.“

„Sie sind also hier, um Mitarbeiter anzuwerben?“, meinte Dani.

„Genau. Ich bin auf der Suche nach qualifizierten Assistenzärzten, aber Qualifikationen alleine sind nicht genug. Für das Programm suchen wir Ärzte, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben. So wie Sie, zum Beispiel.“

„Ich?“ Sie war verblüfft. Einen Moment lang versuchte sie sich die Reaktion ihrer Onkel vorzustellen, wenn sie ihnen mitteilte, die nächsten Jahre in der Karibik verbringen zu wollen. Ihre Onkel hatten sich schon oft genug darüber beklagt, dass Boston zu weit von Lorovia entfernt war. St. Camille wäre vollkommen ausgeschlossen. „Das kann ich nicht. Es tut mir leid, aber es ist einfach nicht möglich. Meine Familie braucht mich.“

„Selbstverständlich“, antwortete Cade. „Ich wusste, dass meine Chancen gering sind. Aber falls Sie es sich doch anders überlegen sollten, rufen Sie mich an. Natürlich gibt es ein Bewerbungsgespräch, und Sie würden sehr gute Empfehlungen von Ihren Vorgesetzten benötigen. Aber ich habe das Gefühl, Sie wären eine ziemlich sichere Kandidatin.“

Wieder lächelte er, und es versetzte Dani einen Stich. Wenn er lächelte, schienen seine blaugrünen Augen beinahe zu glitzern. Es erinnerte sie an das Sonnenlicht, wenn es auf Meereswellen traf.

Cades Augen erinnerten sie an ihre Heimat. Obwohl sie nicht so oft nach Hause fahren konnte, wie sie es sich gewünscht hätte, kehrte sie mindestens einmal im Jahr zu einem Urlaub zurück. Es war schon einige Monate her, seitdem sie in Lorovia einen Spaziergang am Meer gemacht hatte. Dennoch sah sie im Geiste das Schimmern des Wassers so deutlich vor sich, als wäre es erst gestern gewesen.

Cade schien nur wenig zu entgehen. Auch wenn seine Augen glitzerten, war sein Blick auch durchdringend. Dani hatte eine fast unsichtbare kleine Narbe direkt über ihrer Oberlippe. Ein Überbleibsel ihres Reitunfalls. Den meisten Menschen fiel sie gar nicht auf. Doch sie spürte, wie er mit seinem Blick an der Form ihrer Lippen hängen blieb.

Wieso betrachtete er ihren Mund so eindringlich? Es war doch nur eine Narbe, die man auf Fotos nicht einmal sah. Dennoch fühlte sie sich dadurch etwas gehemmt, und sie war es auch nicht gewöhnt, auf solch intensive Weise angestarrt zu werden.

Um die plötzliche Stille zu brechen, fragte sie: „Wie ist es denn so, auf einer kleinen karibischen Insel zu leben?“

Erstaunt zog Cade die Brauen hoch. „Dann habe ich doch eine Chance, Sie für uns zu gewinnen?“

„Nein, nein. Das ist reine Neugier.“

„Meiner ausgesprochen voreingenommenen Meinung nach wird ihr nicht einmal die Bezeichnung ‚Paradies‘ gerecht“, antwortete er.

„Aber Sie leben doch wahrscheinlich sehr weit von Ihrer Familie entfernt. Es sei denn, sie kommt von dieser Insel. Ist das nicht schwer?“, wandte Dani ein.

Bei dem Wort „Familie“ flog ein düsterer Schatten über sein Gesicht.

„Das Programm ist sehr flexibel“, sagte er. „Für diejenigen, die das wollen, gibt es viele Möglichkeiten, nach Hause zu fahren. Aber für manche ist der abgelegene Standort sogar einer ihrer größten Vorteile.“

„Und für Sie?“, wollte sie wissen. „Ist die Entfernung ein Vorteil?“

„Das hier ist das erste Mal in sechs Jahren, dass ich die Insel verlassen habe. Sagen wir, die Entfernung von meiner Familie ist eher ein Gewinn als eine Belastung.“

„Sechs Jahre lang sind Sie nicht von der Insel weggekommen?“ Dani hatte Mühe, sich das vorzustellen. Der größte Teil ihres Lebens war immer von der Familie bestimmt gewesen. Jede ihrer Entscheidungen wurde davon beeinflusst, welche Auswirkungen sie auf die Familie haben könnte. Obwohl Dani sich oft wie eine Gefangene der Tradition vorkam, bedeutete die Familie ihr alles. Ein Leben ohne sie wäre unvorstellbar. „Es muss doch jemanden geben, der Ihnen fehlt. Verwandte oder … jemand Besonderes.“

„Auf St. Camille habe ich alles, was ich brauche. Das Programm unterstützt jedoch all diejenigen, die ihre Heimat besuchen möchten.“ Cades Stimme klang fest, als sei das Thema von seiner Seite aus damit beendet.

Das machte Dani allerdings nur noch neugieriger. Ja, die Familie war für viele Menschen eine problematische Angelegenheit. Trotzdem ging es sie nichts an. „Ich wollte nicht neugierig sein.“

„Neugier ist ganz normal. Aber nach allem, was Sie über Ihre familiären Verpflichtungen gesagt haben, ist Ihre Neugier vermutlich nicht groß genug, als dass Sie wirklich ernsthaft über eine Bewerbung nachdenken würden.“

„Es klingt nach einem tollen Programm“, erwiderte sie mit einem bedauernden Lächeln. Und das war noch untertrieben. Es schien das perfekte Programm zu sein. Genau die Art von Abenteuer, in das sie sich sofort hineinstürzen würde, wenn sie nur könnte.

Aber eine Prinzessin hielt ihr Wort. Selbst wenn sich ihr diese allerletzte Chance bot, die Ärztin zu werden, die sie immer hatte sein wollen. Und auch wenn ihr dieses Angebot von einem Mann mit sonnenblondem, welligem Haar präsentiert wurde.

„Es ist nur … Wegen meiner Familiensituation ist das leider unmöglich.“

Cade zuckte die Achseln. „Nun ja, ich musste es einfach versuchen.“ Wieder gab er ihr die Hand. „Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja irgendwann einmal wieder.“

„Das hoffe ich.“ Dani wusste, dass er bloß nett sein wollte. Wie groß waren die Chancen, ihn jemals wiederzusehen, wenn er auf St. Camille lebte?

Er wandte sich ab, um ins Katheterlabor zurückzukehren, und ließ sie im Korridor stehen.

Eine Prinzessin erfüllte immer ihre Pflicht. Es war richtig gewesen, sein Angebot abzulehnen.

Doch warum fühlte es sich so an, als hätte sie gerade einen riesengroßen Fehler begangen?

Eine Woche später stand Dani vor einer Bar auf der anderen Straßenseite gegenüber des Boston General. Sie und ihre Freunde waren hier in den vergangenen Jahren oft etwas trinken gegangen, und heute wollten sie sich noch ein letztes Mal treffen, bevor alle die Stadt verließen.

Zwar konnte sie schon einige ihrer Freunde drinnen sehen, schaffte es jedoch nicht, selbst hineinzugehen. Denn ihr war so gar nicht nach Feiern zumute. Das Ende ihrer Assistenzzeit fühlte sich an wie das Ende des wichtigsten Abschnitts in ihrem Leben. Sie hatte nur diese wenigen wundervollen Jahre gehabt, in denen sie wirklich sie selbst sein durfte.

Aber im Grunde war Dr. Dani Martin ja ganz und gar nicht diejenige, die sie wirklich war. Morgen musste sie in ihr wahres Leben als Prinzessin Danielle-Genevieve nach Lorovia zurückkehren. Das Flugticket steckte bereits in ihrer Handtasche.

In ihr kämpften allzu viele widerstreitende Gefühle, und dies sollte ein Abend der Freude sein. Sie wollte ihren Studienkollegen nicht mit derartigen Gefühlen die Feier verderben. Deshalb blieb sie vor der Tür stehen, wobei sie sich einerseits danach sehnte, hineinzugehen, andererseits jedoch den unvermeidlichen Abschied fürchtete.

Während sie noch zögerte, stieg ein älterer Mann aus einem Taxi und kam zu ihr.

Überrascht sah sie ihn an. „Dr. Benson?“

Trotz seiner schroffen Art hatte er Dani niemals so eingeschüchtert wie ihre Kollegen und Kolleginnen. Vielleicht, weil sie es gewohnt war, mit ihren älteren Verwandten umzugehen, die sich häufig anspruchsvoll und herrisch verhielten. Die Zusammenarbeit mit Dr. Benson hatte Danis Kampfgeist geweckt, und sie war fest entschlossen gewesen, seinen hohen Anforderungen gerecht zu werden.

Seine Miene wirkte heute auffallend anders als sein sonst so düsterer Gesichtsausdruck. Tatsächlich schien er sogar erfreut zu sein, sie zu sehen.

„Die Abschiedsparty einer Ausbildungsgruppe lasse ich mir nie entgehen“, erklärte er. „Und ich hatte das Gefühl, wenn ich vorbeikomme, dass ich Sie treffen würde. Ich hätte es sehr bedauert, mich nicht von einer unserer vielversprechendsten Assistenzärztinnen verabschieden zu können.“

Dani errötete vor Freude. Um sich dieses Kompliment zu verdienen, hatte sie jahrelang hart gearbeitet. „Bitte entschuldigen Sie, dass ich letzte Woche die Visite verpasst habe.“

„Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen“, sagte Dr. Benson. „Wie ich erfuhr, kam Ihnen etwas Dringendes dazwischen. Und Sie haben unter diesem Druck offenbar bewundernswerte Arbeit geleistet. Selbstverständlich hätte ich auch nichts weniger von Ihnen erwartet.“

„Danke, das bedeutet mir sehr viel.“

„Aber ich bin nicht nur deshalb hergekommen, um Sie mit Komplimenten zu überhäufen. Ich wollte etwas noch Wichtigeres mit Ihnen besprechen. Nämlich Ihre Zukunft.“ Als Lehrarzt war Dr. Benson eine der wenigen Personen, die über Danis Herkunft Bescheid wussten.

„Dr. Benson, meine Zukunft besteht darin, dass ich morgen nach Lorovia zurückfliege. Mir wurde das Medizinstudium nur unter der Bedingung gestattet, dass ich im Anschluss daran sofort nach Hause zurückkehre, um dort wieder meinen Pflichten nachzukommen.“

„Ich weiß, Ihre Situation ist kompliziert“, bestätigte er. „Aber weil ich Sie inzwischen gut kenne, wurde mir klar, dass es wie bei allen anderen hervorragenden Medizinern tatsächlich Ihre Berufung ist, anderen Menschen zu helfen. Nicht jeder muss als Arzt tätig sein. Und als Prinzessin kann man vermutlich auf vielfältige Weise helfen. Aber Sie, Dr. Martin, bei Ihnen glaube ich, dass Sie wirklich zu dieser Tätigkeit berufen sind. Sie besitzen all das, was für einen Kardiologen nötig ist, falls Sie sich in dieser Richtung weiterentwickeln wollen. Sind Sie wirklich sicher, dass es das Beste für Ihre Zukunft ist, wenn Sie Ihre Karriere als Medizinerin jetzt aufgeben?“

„Selbst wenn ich weitermachen wollte, wie könnte ich?“, sagte Dani. „Alle Stipendien für dieses Jahr sind schon vergeben.“

„Nicht alle“, widersprach Dr. Benson. „Es gibt noch freie Plätze in kleinen Programmen mit ungewöhnlichen Rahmenbedingungen. Gestern habe ich beispielsweise mit Dr. Logan das Kardiologie-Stipendium des Medizinischen Zentrums von Coral Bay besprochen. Und er schien ganz besonders an Ihnen interessiert zu sein.“

Cade hatte nach ihr gefragt? Obwohl sie schon abgelehnt hatte?

„Dr. Logan ist gestern wieder nach St. Camille zurückgeflogen, aber er hat mich gebeten, noch ein allerletztes Mal mit Ihnen zu sprechen. Ich sollte Ihnen ausrichten, dass Ihnen diese Tür offensteht, falls Sie Interesse daran haben. Es gibt keine Garantie, für wie lange, aber im Augenblick ist sie noch offen. Er hat mich auch gebeten, Ihnen seine Telefonnummer zu geben.“ Er reichte Dani eine Visitenkarte.

Noch während Dani sie nahm, begann sie bereits erneut zu erklären, warum sie ihre Karriere als Ärztin unmöglich weiterverfolgen konnte.

Doch er unterbrach sie. „Nehmen Sie sich einfach die Zeit, darüber nachzudenken. Und während Sie das tun, möchte ich Ihnen auch das hier noch geben.“ Dr. Benson gab ihr einen pastellfarbenen Briefumschlag.

Als sie ihn öffnete, fand sie darin eine Grußkarte.

Sie las, was darin stand.

Liebe Dr. Martin,

ich kann Ihnen und all den anderen Ärzten gar nicht genug dafür danken, dass Sie für mich da gewesen sind. Mein Vater starb an einem Herzinfarkt, als ich noch klein war. Aber Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich es miterleben werde, wie meine Jungs aufwachsen. Diese Karte ist nur ein kleiner Dank für das, was Sie getan haben. Aber ich hoffe, Sie werden sie behalten, in dem Wissen, dass ich Ihnen für immer zutiefst dankbar sein werde.

Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben!

Charlie

„Der Mann, den Sie letzte Woche gerettet haben, heißt Charles Brownlow. Er hat eine Frau und zwei Kinder“, berichtete Dr. Benson. „Ich bin mir dessen bewusst, wie wichtig Ihre Verpflichtungen in Ihrer Heimat sind. Aber eine solche Gelegenheit wie das Coral-Bay-Programm gibt es nicht oft. Offen gesagt, genauso wenig wie Mediziner mit der Begabung und den Fähigkeiten, ein solches Programm erfolgreich zu absolvieren. Es gibt viele Arten zu helfen, Dani. Und ich denke, als Ärztin tätig zu sein, könnte Ihre sein.“

Verflixt. Drei Jahre lang war es Dani gelungen, dem Benson-Blick standzuhalten. Doch jetzt merkte sie, wie ihr die Tränen kamen. Dr. Benson hatte sie jetzt tatsächlich doch noch zum Weinen gebracht.

„Denken Sie darüber nach.“ Freundschaftlich klopfte er ihr auf die Schulter, bevor er die Bar betrat.

Dani wischte sich die Tränen aus den Augen, ehe sie den Umschlag und Cades Visitenkarte in ihre Handtasche steckte. Dabei berührte sie das Flugticket nach Lorovia. Sie nahm die Visitenkarte und das Ticket heraus und betrachtete beide. Es fühlte sich an, als lägen zwei vollkommen unterschiedliche Zukunftsperspektiven in ihren Händen.

Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben.

Was konnte wichtiger sein als diese Worte?

Aber sie hatte ihrer Familie ein Versprechen gegeben, und eine Prinzessin musste ihr Wort halten.

Andererseits, war es nicht die höchste Pflicht einer Prinzessin, ihrem Volk zu helfen?

Als Ärztin besaß Dani die Fähigkeiten, allen Menschen zu helfen. Nicht nur dem Volk von Lorovia, sondern jedem, der ihre Hilfe benötigte.

Welchen Sinn hatte es, ein Mitglied der königlichen Familie zu sein, wenn sie den Menschen nicht helfen konnte?

Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Dani war davon überzeugt gewesen, ihre Zukunft sei besiegelt. Diese sechs Worte brachten jedoch alles ins Wanken.

Cade war gestern schon nach St. Camille abgereist.

Diese Nachricht hinterließ eine unerwartete Leere in ihrem Herzen. Er war fort.

Aber nicht ganz außer Reichweite. Sie hatte seine Telefonnummer.

Wenn sie irgendwelche Zweifel zuließ, würde sie es nie tun. Sie durfte nicht daran denken, was ihre Familie dazu sagen oder wie sie reagieren würde.

Nicht denken, einfach tun.

Dani spürte plötzlich denselben Adrenalinschub wie in der Notaufnahme, als sie sofort gehandelt und mit der Reanimation begonnen hatte.

Sie holte ihr Telefon heraus und tippte die Nummer ein.

Eigentlich rechnete sie damit, die Mailbox zu erreichen. Zu ihrer Überraschung ging Cade jedoch dran.

Trotz des Knackens in der Verbindung klang seine Stimme tief und voll. „Hallo?“

„Dr. Logan? Hier ist Dani Martin. Ich würde von Ihnen gerne mehr über das Stipendienprogramm von Coral Bay erfahren.“

2. KAPITEL

Dani zog sich ihr zweites Kopfkissen über den Kopf. Aber das half nur wenig gegen das Unwetter, das vor dem Fenster ihres Zimmers im Coral Bay Medical Center tobte. Finster starrte sie auf ihren Wecker, der ihr in neongrünen Zahlen die Zeit anzeigte. Vier Uhr morgens. Sie war erst nach Mitternacht zu Bett gegangen, hatte aber nur schwer in den Schlaf gefunden.

Seit zwei Wochen befand sie sich hier am örtlichen Krankenhaus, doch sie fühlte sich, als hätte sie einen ewig langen Familienstreit hinter sich. Ihr spontaner Entschluss, ihren Beruf weiterzuverfolgen, war bei ihren Onkeln gar nicht gut angekommen. Dani hatte natürlich gewusst, dass diese ihre Entscheidung ablehnen würden. Ihre Eltern dagegen hatten wunderbar auf die Nachricht reagiert, und Dani war noch immer gerührt von ihrer bedingungslosen Unterstützung. Doch als jüngster Sohn der regierenden Königin musste sich ihr Vater in allgemeinen Familienangelegenheiten den Entscheidungen seiner älteren Brüder fügen. Die Onkel zu überzeugen, war nicht leicht gewesen, da sie es gewohnt waren, ihren Willen durchzusetzen.

Es zerriss Dani das Herz, einen Entschluss zu fassen, der so viel Streit in ihrer Verwandtschaft verursachte. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben war sie bereit, für das zu kämpfen, was sie wollte. Daher hatte sie keine andere Wahl gehabt, als sich an ihre Großmutter zu wenden. Die Königin.

Von ihr hatte Dani sich immer ein wenig eingeschüchtert gefühlt. Sie war zwar herzlich, aber auch streng – vor allem in Bezug auf die Wahrnehmung der königlichen Familie in der Öffentlichkeit. Zum größten Teil überließ die Königin die Regelung familiärer Angelegenheiten anderen Mitgliedern ihrer Großfamilie. Manchmal jedoch traten Meinungsverschiedenheiten auf, die sich nicht lösen ließen. In solchen Fällen galt das Wort von Danis Großmutter als endgültig.

Sich an ihre Großmutter zu wenden, konnte riskant sein. Dessen war Dani sich bewusst. Falls die Königin nicht für sie Partei ergriff, musste sie ihren ärztlichen Beruf für immer aufgeben. Und zunächst schien es auch so, als würde ihre Großmutter den Onkeln zustimmen. Allerdings änderte sich das sofort, sobald sie den Namen des Coral Bay Medical Center hörte.

Offenbar war das medizinische Zentrum dort bekannter, als Dani geahnt hatte. In wohlhabenden Kreisen schien es ein gut gehütetes Geheimnis zu sein, sich an diesem Ort diskret ärztlichen Behandlungen zu unterziehen, weit weg von neugierigen Paparazzi. Tatsächlich hatte sich laut ihrer Großmutter auch Danis Großvater einmal als Patient in Coral Bay aufgehalten. Und ihre Großmutter schrieb es den dortigen Ärzten zu, dass sie ihm noch mehrere weitere Lebensjahre geschenkt hatten, bevor er starb.

Die Königin war gegenüber der gesamten Familie für Dani eingetreten. Vielleicht hätten sie alle ihre Vorstellungen von den Pflichten einer Prinzessin zu eng gefasst, hatte sie erklärt. Wenn Dani die Begabung und die Fähigkeiten besaß, als Ärztin Leben zu retten, dann hatte sie auch eine Pflicht, diese Fähigkeiten zu nutzen. Zwar wäre es möglicherweise ein Bruch mit der Tradition, wenn ein Mitglied der Königsfamilie einen Beruf ausübte, aber sollten Traditionen nicht den Menschen zugutekommen? Zudem fand ihre Großmutter, dass die Familie Coral Bay etwas schuldig war. Falls Dani also dort als Ärztin arbeiten wollte, könnte sie dies mit der vollen Unterstützung ihrer Familie tun.

Natürlich müsste sie aus Sicherheitsgründen auch weiterhin ihre königliche Herkunft geheim halten. Und sie sollte auch weiterhin den Nachnamen Martin benutzen. Auf St. Camille zu leben und zu arbeiten, wäre etwas völlig anderes als das Studium und die Assistenzzeit. Falls ihr Geheimnis aufgedeckt würde, hätte Dani ganz allein die Verantwortung dafür zu tragen. Das Risiko, dass die Nachricht sich verbreiten würde, selbst wenn sie es nur ein oder zwei Personen anvertraute, wäre viel zu hoch. Deshalb sei es ihr ausdrücklich verboten, irgendjemandem ihren Status zu verraten. Gleichgültig, für wie vertrauenswürdig sie denjenigen auch halten mochte.

Ohne zu zögern erklärte Dani sich bereit, ihre Identität zu verschweigen. In ihren Augen war dies ein geringer Preis, den sie für die Chance zahlen musste, ihren geliebten Beruf weiter auszuüben.

Sie war voller Freude, endlich die Zustimmung ihrer Familie für die Arbeit in Coral Bay erhalten zu haben. Doch seit ihrer Ankunft auf St. Camille schien irgendwie alles schiefzugehen.

Die Internetverbindung war die gesamte Woche über äußerst instabil gewesen, sodass sie mit niemandem hatte in Kontakt bleiben können. Sie hatte nur eine einzige Nachricht von Kim bekommen: ‚Gab es schon eine Gelegenheit, die Muskeln von Dr. Strand-Adonis noch mal abzuchecken?‘

Diesen Spitznamen hatte sie Cade verpasst, nachdem sie die Geschichte von Danis Begegnung mit ihm im Boston General gehört hatte. Allerdings war Danis Antwort nicht mehr durchgekommen. Wegen der für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Tropenstürme hatte sie bisher kaum Gelegenheit gehabt, etwas von den berühmten weißen Sandstränden der Insel und dem kristallklaren Meer zu sehen. Außerdem machte es ihr das Wetter auch schwer, sich eine richtige Wohnung zu suchen. Das Coral Bay Medical Center stellte allen Mitarbeitern geräumige Zimmer zur Verfügung, die jedoch recht unpersönlich eingerichtet waren. Deshalb hoffte Dani, möglichst bald eine geeignete Wohnung zu finden.

Das Krankenhaus besaß einen Hubschrauberlandeplatz für den Patiententransport, aber die Insel war zu klein für einen eigenen Flughafen. Also war Dani mit einem Privatjet zu einer größeren Nachbarinsel geflogen und hatte den Rest der Strecke nach St. Camille mit einer Fähre zurückgelegt. Der Schiffskapitän war in der Lage gewesen, eine Sturmpause zu nutzen. Zwar hatte Dani die raue See auf der Überfahrt gut überstanden, ihr Gepäck jedoch leider nicht. Es sollte gerade in dem Augenblick geladen werden, als eine extrem hohe Welle das Schiff traf. Die meisten der Sachen, die sie mitgebracht hatte, lagen daher jetzt irgendwo auf dem Meeresboden. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Kleidung und nichts, was unverzichtbar gewesen wäre. Dennoch wäre es schön gewesen, ein paar ihrer eigenen Sachen bei sich zu haben, während sie sich an ihre neue Umgebung gewöhnte.

Vom Krankenhaus hatte sie mehrere Klinikanzüge erhalten, die sie tragen konnte, bis die Wetterlage sich beruhigte und sie die Möglichkeit hatte, einkaufen zu gehen. Allerdings war Dani sehr zierlich, und es gab keine kleinen Größen mehr. Was bedeutete, dass sie die Ärmel und Hosenbeine mehrfach hochkrempeln musste und sich vorkam wie ein Kind, das Verkleiden spielte.

Da mittlerweile knisternde Blitze über den dunklen Himmel vor ihrem Fenster zuckten, gab Dani die Hoffnung auf Schlaf endgültig auf. Aber nicht nur der Sturm hielt sie wach. Sie hatte so viel aufs Spiel gesetzt, um ihren Traum zu verwirklichen. Und jetzt war sie weit weg von allen Menschen, die sie kannte, bewohnte ein kahles Zimmer, das nicht ihr gehörte, und trug Kleidung, die ihr nicht passte.

Ob das Universum ihr damit vielleicht zeigen wollte, dass sie lieber hätte Prinzessin bleiben sollen?

Es ist ja nur vorübergehend, dachte sie bei sich. Ich brauche bloß ein bisschen Zeit, um mich auf das Inselleben und die Kollegen im Medical Center einzustellen.

Allmählich verlor sie jedoch die Geduld. Wenn sie noch länger mit Cade Logan zusammenarbeiten musste, würde sie mit Sicherheit bald platzen.

Dani atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Wahrscheinlich wollte er ihr nur helfen. Aber falls er die Absicht hatte, sie auch in den Wahnsinn zu treiben, dann machte er seine Sache verdammt gut.

Als leitender Stipendiat des Kardiologie-Programms war Cade für den größten Teil der Ausbildungsbetreuung am Krankenhaus zuständig. Dani konnte verstehen, dass er seine Verantwortung sehr ernst nahm. In den vergangenen zwei Wochen hatte sie ihn als gewissenhaften, aufmerksamen Kollegen kennengelernt, der seinen Patienten mit aufrichtigem Interesse zuhörte. Diese Dinge schätzte sie an ihm.

Leider war er jedoch auch der größte Kontrollfreak, mit dem sie jemals zusammengearbeitet hatte.

Wenn Dani im Labor anrief, um eine besonders schnelle Untersuchung anzufordern, stand Cade prompt hinter ihr und wollte wissen warum. Gäbe es einen Notfall? Und wenn ja, wieso hätte sie ihn nicht informiert?

Wenn sie dazu eingeladen wurde, bei einer Operation zuzuschauen, beobachtete er mit Argusaugen, wie sie sich Hände und Arme wusch. Als hätte sie im Boston General nicht gelernt, wie man sich auf einen chirurgischen Eingriff vorbereitete. Immer wieder verirrte Dani sich im Labyrinth des Kellers der Klinik, und wenn sie ihm dabei über die Weg lief, was häufig geschah, reichte es ihm nicht, ihr nur den richtigen Weg zu zeigen. Stattdessen wollte er genau wissen, wohin sie ging, was sie brauchte und wieso sie sich verirrt hatte. Dummerweise lief sie Cade ständig über den Weg. Es erschien ihr fast unmöglich, im Krankenhaus um irgendeine Ecke zu biegen, ohne sich direkt seinen durchdringenden blauen Augen gegenüberzusehen.

Und es betraf nicht nur sie. Gestern Vormittag hatte Dani einem der Assistenzärzte erklärt, wie man einen zentralen Venenkatheter legte. Instinktiv hatte sie sich zurückgehalten, damit Matthew sich selbst zurechtfand und dadurch größeres Selbstvertrauen entwickeln konnte. Cade hingegen sah das offenbar anders. Er hatte sich beinahe sofort eingeschaltet.

„Die Hände ruhig halten“, wies er den jungen Arzt an.

Dani machte eine finstere Miene. Wie sie geahnt hatte, wurde das Zittern von Matthews Händen durch die Kritik nur noch stärker. Kurz darauf ging Cade erneut dazwischen, als Matthew die nicht mehr benötigte Nadel im verkehrten Fach auf dem chirurgischen Tablett ablegte.

„Nicht dahin. Das gehört in die obere linke Ecke des Tabletts. Wenn man die Instrumente standardmäßig anordnet, macht das die ganze Sache einfacher“, erklärte er.

Dani war zwar derselben Ansicht, fand jedoch, dass Cade hätte warten sollen, bis Matthew fertig war, ehe er ihm eine solche Rückmeldung gab. Nur wenige Sekunden später übernahm Cade die Behandlung gleich ganz und legte den Katheter selbst.

„Nächstes Mal klappt es sicher besser“, meinte er zu Matthew und wandte sich dann an Dani. „Nehmen Sie sich diese Woche die Zeit, all unsere Assistenzärzte gründlicher in das Verfahren einzuweisen.“

Innerlich fing sie an zu kochen. Als Cade sich zum Gehen wandte, folgte sie ihm hinaus.

„Entschuldigen Sie, Dr. Logan. Kann ich kurz mit Ihnen reden?“ Ihr Ton war scharf.

Erstaunt schaute er von seiner Patientenakte auf. Seine Miene wirkte völlig unschuldig, als hätte er nicht die geringste Ahnung, warum sie verärgert war. Doch seine ständige Kontrolle musste aufhören. So konnte sie nicht arbeiten.

„Stimmt irgendwas nicht?“

„Allerdings! Was war das denn da drin gerade?“

„Soweit ich mich erinnere, hat ein Assistenzarzt sich bemüht, eine Behandlung durchzuführen, für die er offensichtlich noch nicht bereit war. Und Sie schienen zu zögern, es selbst zu machen. Also habe ich zum Wohle des Patienten die Sache selbst in die Hand genommen.“

Dani zurück: „Zunächst einmal habe ich nicht ‚gezögert‘. Jeder Assistenzarzt ist nervös, wenn er zum ersten Mal einen zentralen Venenkatheter legen soll. Ich wollte Matthew zeigen, dass er seiner Ausbildung genug vertrauen kann, um seine Nervosität zu überwinden. Aber weil Sie ihn sofort mit Ihrer Kritik überfallen haben, nachdem er gerade erst angefangen hatte, hat das ganz bestimmt nicht dazu beigetragen, ihm die Nervosität zu nehmen. Durch die Art, wie Sie die Behandlung an sich gerissen haben, hält er sich jetzt vermutlich für vollkommen unfähig.“

„Hm. Vielleicht sollten wir den Patienten fragen, ob es ihm lieber ist, dass Matthew sich gut fühlt, oder dass seine Behandlung von qualifizierten Ärzten durchgeführt wird“, gab Cade kühl zurück.

„Falls der Patient auch nur im Geringsten gefährdet gewesen wäre, hätte ich sofort eingegriffen“, erwiderte Dani zornig. „Aber es ist auch wichtig, die Assistenzärzte üben zu lassen. Jetzt wird Matthew beim nächsten Mal, wenn er einen zentralen Venenkatheter legen soll, schrecklich aufgeregt sein, was für zukünftige Patienten noch schlimmer ist.“

Zu ihrer Überraschung besänftigte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich. Sie hatte sich schon auf eine hitzige Auseinandersetzung eingestellt, doch Cade wirkte nachdenklich, und auf seiner Stirn zeigten sich Sorgenfalten.

„Sagen Sie Matthew beim nächsten Mal, er soll etwas summen“, erklärte er.

„Summen?“

„Ja“, bestätigte Cade. „Lassen Sie ihn und den Patienten gemeinsam eine Melodie summen. Es gibt Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass Summen beim Einführen eines zentralen Venenkatheters den Venendruck des Patienten verändert. Und auch Matthew wird sich dadurch beruhigen. Es ist ein einfaches, aber effektives Mittel. Er soll es ausprobieren … nachdem er das Verfahren vorher noch einige Male beobachtet hat.“

Keine schlechte Idee, fand Dani. Warum hatte er das nicht gleich vorgeschlagen, anstatt Matthew zurechtzuweisen und ihr ein schlechtes Gefühl zu vermitteln?

„Das klingt nach einer guten Strategie“, antwortete sie. „Ich wünschte, Sie hätten Matthew das vorgeschlagen, anstatt sofort selbst zu übernehmen.“

Er lächelte, wobei sich das eine Auge wieder ein klein wenig schloss. „Vielleicht habe ich mich zurückgehalten, um zu sehen, ob Sie ihm diese Anregung geben würden.“

Damit ging er davon und ließ Dani stehen, die jetzt noch verärgerter war als zuvor.

Das ist wie bei Dr. Benson, dachte sie bei sich. Cade wollte sie auf Trab halten. Sie durfte sich von ihm nicht unterkriegen lassen.

Erneut krachte draußen ein Donnerschlag. Da sie ohnehin nicht schlafen konnte, beschloss sie, eine frühe Morgenvisite zu machen. Es konnte auch nicht schaden, sich den Patienten von Matthew noch einmal anzuschauen. Cades Einmischung hatte sie verunsichert.

Sie stieg aus dem Bett und schlüpfte in ihren viel zu großen Klinikanzug. Schließlich hatte sie nicht drei Jahre dem Benson-Blick standgehalten, nur um sich jetzt von Cade Logan und seinen stets wachsamen blauen Augen ihr Selbstvertrauen untergraben zu lassen. O nein. Wenn Cade glaubte, sie würde sich von seiner ständigen Überwachung aus der Fassung bringen lassen, dann würde er schnell merken, dass sie aus härterem Holz geschnitzt war.

Dani suchte sich ihren Weg durch die verschlungenen Gänge der Klinik, wobei sie den Mitarbeitern, denen sie begegnete, noch etwas schläfrig zunickte. Nach zwei Wochen kannte sie ihre Kollegen allmählich. Und abgesehen von Cade schienen alle anderen genug Vertrauen in ihre klinischen Fähigkeiten zu haben.

Als sie das Zimmer ihres Patienten erreichte, war Cade bereits dort.

Typisch.

Er betrachtete gerade das Krankenblatt am Fußende des Bettes. Traute er ihr etwa nicht zu, sich selbst um ihre Patienten zu kümmern? Als leitender Arzt sollte Cade bei Bedarf für Konsultationen zur Verfügung stehen, aber es bestand absolut keine Notwendigkeit, bei jedem Patienten persönlich vorbeizuschauen.

Es sei denn, er tat es deshalb, weil er Danis Kompetenz anzweifelte.

Sie hüstelte, um ihn auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen, doch ein krachender Donnerschlag verschluckte ihre Stimme. Dani wartete, bis der Lärm vorbei war, dann sagte sie laut: „Entschuldigung?“

Beim Klang ihrer Stimme fuhr Cade zusammen. „Es ist doch sicher nicht nötig, so zu schreien, Dr. Martin.“

Glücklicherweise war noch das gedämpfte Nachtlicht eingeschaltet, sodass er die heiße Röte in ihren Wangen hoffentlich nicht allzu deutlich sah. „Ich wollte nur sichergehen, dass Sie mich hören.“

„Nun, das ist Ihnen auf jeden Fall gelungen.“ Er lächelte, und wie jedes Mal verblüffte sie der rasche Wechsel in seinen blauen Augen von intensiver Konzentration zu einem Ausdruck der Verwunderung.

Seine Augen waren so veränderlich wie das Meer. In der einen Sekunde schien er Dani damit zu durchbohren und sich in der nächsten über sie lustig zu machen. Es war verwirrend, weil sie nie wusste, womit sie rechnen musste.

Im Grunde war es jedoch nichts anderes als der Benson-Blick. Daher erwiderte sie sein Lächeln mit ruhiger Miene.

„Warum sind Sie denn schon so früh auf den Beinen?“, fragte er. „In der Facharztausbildung ist es nicht wie in der Assistenzzeit. Sie sollten es ausnutzen, dass Sie zum ersten Mal nach drei Jahren wieder genug Schlaf kriegen können.“

Da hatte er recht. Trotz ihres etwas holprigen Starts in dem Medical Center spürte Dani bereits den Vorteil davon, einen regelmäßigen Schlafrhythmus zu haben. Trotz chronischen Schlafmangels zu arbeiten, war ein ganz normaler Bestandteil der ärztlichen Ausbildung. Die schlimmste Phase war jedoch die Assistenzzeit. Dani hatte die Wochen gefürchtet, in denen sie zu Nachtschichten und vierundzwanzigstündiger Rufbereitschaft eingeteilt war, immer gefürchtet.

„Es war schön, mich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ausgeruht zu fühlen“, bestätigte sie.

Cade lachte. „Mir ging es zu Beginn der Facharztausbildung genauso. Zu Anfang hatte ich so viel Energie, dass ich glaubte, ich müsste meine Blutwerte überprüfen lassen. Bis mir klar wurde, dass man sich einfach nur als ganz normaler Mensch so fühlt, wenn man acht Stunden Schlaf bekommt.“

Dani fand es schön, Cade ein bisschen entspannter zu erleben als sonst. Bei den meisten ihrer bisherigen Gespräche war es um die Behandlung von Patienten gegangen. Gespräche, die sie frustrierten, weil Cade ihr Anweisungen zu Dingen erteilte, die sie ohnehin schon geplant hatte. Heute Morgen schien er jedoch ausnahmsweise etwas lockerer zu sein.

Dennoch konnte sie es nicht gebrauchen, dass er ständig ihre Arbeit beaufsichtigte.

„Dr. Logan“, begann sie.

„Ich bitte Sie, Sie sind jetzt schon zwei Wochen hier und sollten mich Cade nennen.“

„Also gut, Cade. Können wir kurz mal in den Flur rausgehen?“

Er begleitete Dani hinaus. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in Schwierigkeiten bin“, meinte er.

„Nein, niemand ist in Schwierigkeiten. Wir müssen nur mal darüber reden.“ Sie deutete auf das Patientenzimmer.

Cade hob die Augenbrauen, seine blauen Augen noch heller als sonst. „Worüber genau?“

Dani versuchte, sich möglichst diplomatisch auszudrücken. „Ich habe den Eindruck, dass Sie nach meinem Patienten schauen.“

„Ist da etwas falsch dran?“

„Nicht unbedingt. Aber falls Sie es nicht bemerkt haben sollten, ich bin hier, um nach ihm zu schauen“, erwiderte sie. „Es kommt mir so vor, als würden Sie jedes Mal, wenn ich etwas erledigen möchte, etwas Neues erfahre oder allein irgendetwas zu Ende bringen möchte, hinter mir stehen, um darauf zu achten, dass es auch geschieht.“

„Ich bin der leitende Arzt des Stipendienprogramms, Dr. Martin. Auf reibungslos verlaufende Behandlungen zu achten, stellt einen wichtigen Teil meines Verantwortungsbereichs dar.“

„Ja, schon. Aber es gibt einen großen Unterschied dazwischen, auf reibungslose Behandlungsabläufe zu achten, und der Annahme, dass dies nicht der Fall wäre, wenn Sie sich nicht persönlich darum kümmern. Offen gesagt, fast jedes Ihrer Feedbacks stand im Zusammenhang mit Dingen, die ich sowieso getan hätte, wenn Sie nur mal eine Sekunde länger gewartet hätten.“

„Zum Beispiel?“

„Cade, wir befinden uns gerade mitten in einem Beispiel. Wenn ich hier sehe, wie Sie meinen Patienten überprüfen, vermittelt mir dies das Gefühl, dass Sie mir nicht zutrauen, alles unter Kontrolle zu haben oder mich an Sie zu wenden, falls es notwendig ist.“

Einen Moment lang wirkte seine Miene gequält. Dann sagte er: „Es ist nicht so, dass ich Ihnen nicht vertraue.“

„Was dann?“

Er zögerte. „Ich habe meine Assistenzzeit und danach auch meine Facharztausbildung hier absolviert. Diese Insel, das Medical Center, bedeutet mir alles. Ich möchte dauerhaft auf St. Camille leben. Und dies ist das erste Jahr, in dem ich die Hauptverantwortung für das Ausbildungsprogramm trage. Ich möchte, dass alles gut läuft. Aber was ist, wenn ich das nicht schaffe? Wenn mir irgendwas entgeht? Was ist, wenn etwas Vermeidbares passiert, weil ich meinen Instinkt ignoriert habe?“

Dani schwieg nachdenklich. Sie hatte Cade als selbstbewussten, kompetenten Mediziner wahrgenommen, der jeder Situation gewachsen war. Bis jetzt war es ihr nie in den Sinn gekommen, dass Cade Logan, der Kontrollfreak, womöglich selbst nervös war. Er hatte die Verantwortung und machte sich Sorgen um all die Dinge, die schiefgehen könnten. Das konnte sie durchaus nachvollziehen.

„Sie sind eine gute Ärztin, Dr. Martin, das weiß ich. Ich habe Ihre Bewerbung gelesen, und ich habe gesehen, wie Sie arbeiten. Mir ist klar, dass ich imstande sein sollte, Ihnen jeden Patienten im Krankenhaus anzuvertrauen. Aber ich traue mir selbst nicht. Was ist, wenn ich für diese Aufgabe noch nicht bereit bin?“

Auf einmal sah er so verletzlich aus, dass ihr gesamter Ärger sich in Luft auflöste. Eine lockige Strähne fiel ihm ins Gesicht, und Dani konnte nur mit Mühe dem Bedürfnis widerstehen, ihm diese Strähne besänftigend aus der Stirn zu streichen.

Stattdessen sagte sie: „Na ja, zunächst einmal: Sie können Ihrem Instinkt vertrauen. Jetzt gerade hatten Sie nämlich eine gute Idee.“

Fragend sah Cade sie an. „Inwiefern?“

„Weil Sie sagten, dass es Zeit wird, uns beim Vornamen zu nennen. Schluss mit Dr. Martin. Nennen Sie mich einfach Dani.“

Er lächelte, und obwohl in seinen Augen dasselbe Glitzern lag wie zuvor, wirkte es anders. Weniger irritierend und warmherziger.

„Einverstanden.“

Sie überlegte. „Ich weiß es zu schätzen, dass Sie meinen Fähigkeiten vertrauen. Aber um als Team zusammenzuarbeiten, müssen wir uns gegenseitig vertrauen. Das braucht Zeit, und wir kennen uns ja noch nicht besonders lange. Also, was benötigen Sie von mir, um mir vertrauen zu können?“

Cade dachte kurz nach, ehe er antwortete: „Offenheit.“

Tja, das hast du dir jetzt selbst zuzuschreiben, dachte Dani bei sich. Ausgerechnet sie verbarg ja ein ausgesprochen großes Geheimnis.

„Ja, Offenheit“, bekräftigte er. „Ich denke, das ganze Team sollte sich mit Offenheit wohlfühlen. Vor allem jetzt am Anfang. Und ich muss daran arbeiten, die Kontrolle abzugeben. Ich glaube, je mehr wir alle offener und ehrlicher miteinander umgehen, desto besser würde ich mich dabei fühlen, die Kontrolle abzugeben.“

Dani rang sich ein schwaches Lächeln ab. „Ehrlichkeit währt am längsten.“

Aber wie gut konnte sie dieses Prinzip befolgen? Im Allgemeinen machte es ihr nichts aus, ihre königliche Herkunft zu verschweigen, weil sie wusste, wie wichtig Diskretion und Sicherheit waren. Aber Cade gegenüber fühlte es sich in diesem Augenblick ganz anders an.

Wieder einmal bemerkte sie, dass sein Blick an ihrer Oberlippe hängen blieb. Genau wie in Boston. Plötzlich wurden ihr die Lippen trocken.

Als sie diese unwillkürlich befeuchtete, sah sie, wie Cade schluckte. Es war eindeutig. Aber wieso sollte er so reagieren, nur weil sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr?

Ach, wahrscheinlich interpretierte sie viel zu viel in die Sache hinein.

Andererseits, warum schaute er sie auf diese intensive, durchbohrende Art und Weise an?

In diesem Moment gab es einen so lauten Donnerschlag, dass Dani zusammenzuckte. Als auch das Licht im Korridor ausging, konnte sie kaum noch Cades Umrisse erkennen, geschweige denn seinen Gesichtsausdruck.

„Die Sicherungsgeneratoren müssten jede Sekunde anspringen“, sagte er. „Keine Sorge. Das passiert manchmal bei den besonders starken Stürmen.“

Gemeinsam standen sie in der Dunkelheit und warteten.

„Müssen wir uns Sorgen machen?“, fragte Dani schließlich.

„Warten wir noch eine Sekunde.“ Als das Licht noch immer nicht wieder anging, meinte er schließlich: „Okay, gehen wir am besten mal zur Wand rüber.“

Dani machte einen Schritt vorwärts, wobei sich jedoch eines ihrer überlangen Hosenbeine löste, und sie stolperte mit einem kleinen Aufschrei. Aber feste Arme bewahrten sie davor, auf dem Fußboden zu landen.

Sie erstarrte, zu beschämt, um sich zu bewegen.

„Achtung!“, sagte Cade. „So, ich halte Sie fest, bis Sie Ihr Gleichgewicht wiedergefunden haben.“

Autor

Traci Douglass
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Annie Claydon
<p>Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...
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