Julia Ärzte zum Verlieben Band 73

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DIR KANN ICH KAUM WIDERSTEHEN von ANDREWS, AMY
Was für eine sexy neue Kollegin! Bei Callies Anblick bedauert Dr. Cade Coleman seinen Vorsatz, den Frauen und der Liebe abzuschwören! Der Chirurg will sich durch nichts von seiner Arbeit ablenken lassen - wären Callies Kurven nur nicht so überaus verlockend …

SO FEURIG KÜSST NUR DR. RODRIGUEZ von LOWE, FIONA
Hat er sie wirklich geküsst? Marco Rodriguez ist entsetzt! Zwar ist Lily sein Typ: zierlich, heißblütig und selbstbewusst. Aber der Arzt sucht keine Affäre - schließlich hat er einen kleinen Sohn. Und Lily scheint keine Frau zu sein, die gerne eine Mutter wäre …

IN DEN ARMEN DES PLAYBOY-DOKTORS von LYNN, JANICE
Warum ziert sie sich - obwohl er spürt, dass sie sich nach ihm sehnt? Dr. Grant Bradley ist es nicht gewohnt, um eine Frau zu kämpfen, doch Joni reizt ihn. Er ahnt, dass er die Krankenschwester nie wieder gehen lassen wird, wenn sie erst in seinen Armen liegt …


  • Erscheinungstag 13.03.2015
  • Bandnummer 0073
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702816
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amy Andrews, Fiona Lowe, Janice Lynn

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 73

AMY ANDREWS

Dir kann ich kaum widerstehen

Jetzt gehört er mir! Callie lässt sich bei der Wohltätigkeits- Auktion dazu hinreißen, eine Nacht mit dem umwerfenden Dr. Cade Coleman zu ersteigern. Obwohl der sie gerade rüde abgewiesen hat. Jetzt muss er einen Abend mit ihr verbringen – und Callie hofft heimlich, dass sie ihn mit höchst erotischen Argumenten zu noch viel, viel mehr überreden kann ...

FIONA LOWE

So feurig küsst nur Dr. Rodriguez

Zurück in Bulla Creek – dem Ort, an dem ihre Welt zusammenbrach! Nur ein paar Tage wird Lily ihrem kranken Vater helfen, dann will die Ärztin wieder in die Stadt und die Vergangenheit vergessen. Wäre da nicht ihr Kollege Dr. Marco Rodriguez. Der feurige Argentinier bringt ihr Blut zum Kochen – aber er fordert mehr als eine heiße Nacht. Verlangt er zu viel von Lily?

JANICE LYNN

In den Armen des Playboy-Doktors

Er hat alles: einen brillanten Verstand, Charme, Sex-Appeal – und zu viel Interesse am weiblichen Geschlecht. Dr. Grant Bradley ist dafür bekannt, Frauenherzen gleich reihenweise zu brechen. Niemals würde sich Schwester Joni der Riege seiner Geliebten anschließen! Auch wenn sein Lächeln und sein muskulöser Körper jede Menge Spaß versprechen ...

1. KAPITEL

Es war lange her, dass Cade Coleman sich wie ein Objekt gefühlt hatte. Aber als er jetzt in einem Ballsaal vor erwartungsvollen Frauen mit gezückten Scheckbüchern stand und von oben bis unten taxiert wurde, musste er unwillkürlich an die „schlechten alten Zeiten“ denken.

Damals war er in Beverly Hills für gelangweilte Hausfrauen der Poolboy und Gartenhelfer gewesen. Und heute? Mit fünfunddreißig Jahren Doktor Cade Coleman, Pränatalchirurg und einer der Juwelen in der Krone des Gold Coast City Hospital.

Viele Jahre waren vergangen, seit er in Gesellschaft betuchter reifer Frauen seine Unschuld – und die Richtung im Leben – verloren hatte. Und auch wenn er heute Abend am anderen Ende der Welt und im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung hier stand, entbehrte die Situation nicht einer gewissen Ironie.

„Was bieten Sie?“, rief die prominente Moderatorin ins Publikum. Gepflegt, elegant gekleidet und mit dem gewissen Blick für jüngere Männer, hätte sie genauso gut unter den Frauen dort unten sitzen können. Zumal sie Cade ansah, als ob sie überlegte, ihn für sich selbst zu kaufen. „Nicht vergessen, Dollars für Dates bringt jährlich eine stattliche Summe für die Neonatal-Abteilung ein, und in diesem Jahr …“ Sie machte eine Kunstpause und musterte, sehr zur Freude der Menge, Cade vielsagend von oben bis unten. „… haben wir uns den Leckerbissen bis zum Schluss aufgehoben.“

Cade lächelte entspannt. Als er gefragt wurde, ob er bei der Spendengala mitmachen wollte, hatte er nicht gezögert und Ja gesagt. Es machte ihm nichts aus, mit einer alternden Society-Lady den Abend zu verbringen – wenn es ihm denn in der Pränatalchirurgie bessere Technik und damit seinen kleinen Schützlingen mehr Chancen ermöglichte.

„Wer bietet zweihundert Dollar?“

Ein Raunen ging durch die Anwesenden, und schließlich war von den hinteren Tischen ein zaghaftes „Fünfzig …“ zu hören.

Cade presste theatralisch die Hand auf die Brust und tat gekränkt. „Ma’am, Sie haben mich zutiefst verletzt!“

Helles Gelächter füllte den Saal, als die Moderatorin lockte: „Oh, und er ist Amerikaner, Ladys. Wie exotisch.“

„Zweihundert“, ertönte eine Stimme.

Callie Richards verfolgte das Spektakel von ihrem Tisch aus und warf lächelnd einen Blick auf die Bieterin. Die hatte schon forscher geklungen. Wahrscheinlich machte es der sexy amerikanische Akzent … Worte, die lässig und weich von der Zunge rollten. Welche Frau flog nicht auf diese tiefe, volltönende Männerstimme?

Die Zweihundert wurden sofort überboten, und Callie konnte es den Frauen nicht verdenken. Cade Coleman hatte schon im Krankenhaus, als er vor ein paar Monaten dort anfing, der holden Weiblichkeit reihenweise Herzklopfen beschert. Er war groß, schlank, sonnengebräunt, hatte kein Gramm Fett am Leib und starke Muskeln an genau den richtigen Stellen. Und im Smoking sah er umwerfend aus, elegant und mit dem unbekümmerten Charme eines Rhett Butler.

Callie machte sich nichts vor. Auch sie war nicht immun gegen diese breiten Schultern und das nicht minder breite Selbstvertrauen. Und das nach allem, was sie von seinem Halbbruder erfahren hatte. Alex war so etwas wie ihr einziger Freund, obwohl er am anderen Ende des Erdballs lebte.

Alex zufolge waren Probleme mit einer Frau der Grund gewesen, warum Cade die USA verlassen hatte. Was wohl erklärte, weshalb er, soweit sie wusste, seit seiner Ankunft hier strikt Single geblieben war.

Dummerweise hatte sie das anfangs nicht geahnt und sich bis auf die Knochen blamiert. Ihr wurde immer noch flau, wenn sie daran dachte, wie sie sich ihm auf einer Hochzeitsfeier an den Hals geworfen hatte. Okay, er hatte sie freundlich zurückgewiesen, aber seit einer Ewigkeit hatte das kein Mann mehr mit ihr gemacht, und die Ablehnung schmerzte wie ein abgebrochener Stachel unter der Haut.

Dass sie mit ihm zusammenarbeiten musste, hatte es nicht einfacher gemacht. Sie wäre ihm lieber aus dem Weg gegangen, doch das war nicht möglich, sodass ihre in langen Jahren antrainierte Fähigkeit zu professioneller Distanz auf eine harte Probe gestellt wurde. Erst in jüngster Zeit hatte sich die Lage etwas entspannt, und Callie das Gefühl, dass sie lockerer miteinander umgehen konnten.

Das Gebot für einen Abend mit Dr. Cade Coleman lag mittlerweile bei achthundert Dollar.

„Ist das alles, meine Damen?“ Die Moderatorin deutete auf Cade. „So ein gut aussehender Arzt, der seinen Tag damit verbringt, kleine Babys zu retten, der ist doch sicher mehr wert!“

„Zweitausendfünfhundert.“

Für Sekunden war es still im Saal, dann setzte atemloses Gemurmel ein. Nicht nur Callie verrenkte sich fast den Hals, um die Frau zu sehen, die das Gebot abgegeben hatte. Es war Natalie Alberts.

Selbstbewusst, gertenschlank, blond und schön wie eine Jetset-Prinzessin, saß die pädiatrische Oberärztin aus Neuseeland da. Sie hatte schon lange ein Auge auf Cade geworfen, und ihre siegesgewisse Miene verriet, dass sie ihn auch zu bekommen gedachte.

Callie blickte zu Cade hinüber, während die Moderatorin ihrer Begeisterung Ausdruck verlieh. „So hab ich’s gern!“, gurrte sie.

Blendend weiße Zähne blitzten in Cades gebräuntem Gesicht auf, als er lächelte. Doch Callie erkannte den besonderen Ausdruck in seinen Augen wieder, weil er sie auch schon einmal so angesehen hatte. Holt mich hier raus.

Cade seufzte stumm, zwang sich jedoch zu einem Lächeln und programmierte seine Körpersprache auf Triumph. Warum nicht, wenn eine hinreißende Blondine bereit war, für ein einziges Date mit ihm mehr zu bezahlen, als manche Leute in einem Monat verdienten?

Verdammt.

Er hatte nichts gegen ein gutes Essen und ein paar Gläser Wein in Gesellschaft einer attraktiven Frau, vor allem, wenn es einem guten Zweck diente. Aber Stunden mit einer zu verbringen, die kein Geheimnis daraus machte, dass sie ihn heiraten und Kinder von ihm wollte? Das grenzte für ihn an Stalking – ein wahrer Albtraum.

Cade war nach Australien gekommen, um ein anderer zu werden. Weit weg von dem Mann, der er in der Vergangenheit gewesen war. Die damit verbundene Scham vergessen. Dies hier war seine zweite Chance, die er sich auf keinen Fall verderben würde. Seine Zeiten als Frauenheld waren endgültig vorbei. Jetzt zählten der Beruf und seine Karriere mehr als alles andere.

„Zweieinhalbtausend sind geboten, meine Damen. Wer legt noch etwas drauf?“

Plötzlich tat er Callie leid. Vor wenigen Minuten hatte er die Aufmerksamkeit noch genossen, aber nun wirkte sein Lächeln gezwungen, und der Ausdruck in seinen whiskybraunen Augen sprach Bände. Jedenfalls für Callie, die Dates selbst mied wie der Teufel das Weihwasser.

Und Cade sah aus, als würde er lieber einen vollen Giftbecher austrinken, als sich mit der heißen Neuseeländerin zu verabreden.

„Zweitausendfünfhundert Dollar“, rief die Moderatorin in den Saal. „Zum Ersten …“

Callie beobachtete, wie Cade einen Finger unter den Hemdkragen schob und die Nackenmuskeln lockerte – das Lächeln nach wie vor festgeklebt.

„Zum Zweiten.“

An seiner Wange zuckte ein Muskel.

„Zweitausendsechshundert.“

Erst als sich alle Augen auf sie richteten, begriff Callie, dass sie etwas gesagt hatte. Mehr noch, sie hatte gerade den Einsatz erhöht!

Natalie warf ihr einen ungehaltenen Blick zu. „Dreitausend“, betonte sie, bevor sie sich der Moderatorin zuwandte.

Die klatschte in die Hände und sah Callie erwartungsvoll an. „Oh, wie spannend.“

Ach, verflucht. Callie schaute zu Cade, rechnete damit, noch mehr Ablehnung in seinen Augen zu lesen. Weit gefehlt. Seine Erleichterung war mit Händen greifbar. Er lächelte Callie an, gewinnend und so verheißungsvoll, dass sie das Gefühl hatte, zu schmelzen.

„Weitere Gebote?“

Cade zog eine Braue hoch, und sein herausforderndes Lächeln brachte ihr Herz einen Moment aus dem Takt, bevor es umso schneller weiterschlug. Seine Mimik war eindeutig: Sie sind dran.

Callie seufzte. Okay, von mir aus, dachte sie. Aber dafür sind Sie mir was schuldig, und zwar nicht zu knapp.

„Dreitausendeinhundert“, sagte sie.

„Zweihundert!“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Natalie.

„Drei.“

„Fünfhundert“, konterte die Blondine wild entschlossen.

„Sechs.“

Die ganze Zeit ließ Callie das Objekt der Begierde nicht aus den Augen. Cade wirkte wieder völlig entspannt, blickte von einer Bieterin zur anderen, hin und her, als verfolge er am Cent-Court den Ballwechsel bei den Australian Open.

„Sieben.“

Callie knirschte mit den Zähnen. „Acht.“

„Viertausend.“ Laut und klar ertönte Natalies Stimme, und im Saal war vereinzelt ein Aufkeuchen zu hören.

„Viereinhalb.“

„Fünf!“

Man spürte förmlich, wie das Publikum den Atem anhielt.

„Hallo, hallo …“ Die Moderatorin rieb sich die Hände. „Jetzt wird’s wirklich interessant, Dr. Coleman.“

Cade grinste und sagte gedehnt mit dieser tiefen, sexy Stimme: „Ja, Ma’am.“

Callie glaubte, ein kollektives Seufzen zu vernehmen, als sich jedes weibliche Wesen schmachtend vorbeugte.

Fast hätte sie die Augen verdreht. Cade amüsierte sich großartig, wurde ihr ein bisschen zu übermütig. Callie überlegte ernsthaft, ihn fallen zu lassen, direkt in Natalies Krallen. Außerdem … hatte er ihr geholfen, als sie ihn gebraucht hatte, um gewisse Gelüste zu befriedigen?

Eben nicht.

Er hatte sie höflich abgewiesen. Und die Gelüste waren immer noch da. Cade in seinem verdammten Smoking hatte sie sogar noch verstärkt. Ein Fünkchen Bescheidenheit wäre nicht schlecht, mein Lieber.

„Bietet jemand mehr als fünftausend?“

Die Luft im Saal knisterte. Callie warf einen Blick auf die Moderatorin, die von einem Bein aufs andere trat wie ein Kleinkind, das dringend zur Toilette musste. Dann sah Callie zu Natalie, einer sehr feindselig dreinblickenden Natalie, und wieder zu Dr. Voll-von-sich-eingenommen.

Sie sagte nichts, blickte ihm nur in die Augen, während die Sekunden verstrichen.

„Nun ja“, sagte die Moderatorin. „Wenn es keine weiteren Gebote gibt …“

Callie verschränkte die Arme vor der Brust. Stille senkte sich auf den Raum. Atemberaubende Stille.

„Fünftausend Dollar zum Ersten.“

Cades Puls schaltete einen Gang zu, als Callie schwieg. Klar, der hinreißende Rotschopf schuldete ihm nichts. Vor allem nicht, nachdem er ihre Avancen zurückgewiesen hatte – was Cade ziemlich schwergefallen war, nachdem sie sich beim Tanzen in seinen Armen ziemlich gut angefühlt hatte.

Warum beteiligte sie sich überhaupt an der Auktion?

Das konnte sie doch nicht machen: ihm erst einen Ausweg zeigen, um ihm in letzter Minute die Tür vor der Nase zuzuschlagen?

„Zum Zweiten.“

Cade fixierte sie mit schmalen Augen. Spöttisch hob sie die Brauen. Seine männlichen Antennen registrierten, dass sie damit ziemlich sexy wirkte.

Seine Überlebensantennen hatten andere Sorgen. Sie zieht das nicht durch, oder?

Er schluckte und schob zwei Finger zwischen Hals und Hemdkragen. Die Scheinwerfer brannten heiß von der Bühnendecke. Bitte, flehte er mit den Augen. Bitte!

Cade wünschte, er könnte mit ihr reden. Ihr versprechen, dass sie das Geld von ihm wiederbekam, jeden einzelnen Cent. Eine horrende Summe, um sich Frauen von Natalies Schlag vom Leib zu halten, aber das war es ihm wert. Sie war nett und eine gute Ärztin, doch nichts für ihn. Natalie in irgendeiner Form zu ermutigen, konnte ihm nur gewaltigen Ärger einbringen.

Der Moment, indem der verwegene Draufgänger buchstäblich in sich zusammenfiel, entging Callie nicht. So ist’s gut, braver Junge.

„Fünftausendeinhundert“, verkündete sie im selben Moment, als die Moderatorin den Mund öffnete und ihr Hämmerchen hob.

Das Publikum war zu sehr damit beschäftigt, zu tuscheln und hingebungsvolle Seufzer auszustoßen, als dass jemand gemerkt hätte, wie Cades breite Schultern tiefer sackten und seine Kiefermuskeln sich entspannten. Aber Callie sah es. Ihre Blicke trafen sich, und die Botschaft in Cades war klar: Ich schulde Ihnen was.

Und ob! signalisierte sie stumm.

„Miss?“

Alle, Callie eingeschlossen, richteten die Augen auf Natalie. Die presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Callie konnte sie nur bewundern. Jemand, der sich eine Grenze setzte und diese auch einhielt, bewies eiserne Impulskontrolle.

Etwas, das ihr manchmal völlig abging. Sonst hätte sie sich Cade damals auf der Hochzeitsfeier nicht an den Hals geworfen. Und das heute Abend setzte allem die Krone auf. Sie hatte nicht einmal vorgehabt, mitzubieten, und jetzt war sie um fünf Riesen ärmer!

Oh ja, Cade Coleman stand bis zum Hals in ihrer Schuld!

Die Auktion war schnell besiegelt, und das Publikum stand geschlossen auf und applaudierte, als Cade geschmeidig von der Bühne sprang und auf Callie zuging. Als er bei ihrem Tisch stand, nahm er ihre Hand und bedankte sich galant mit einem formvollendeten Handkuss.

Als seine warmen Lippen wie ein Hauch ihre Fingerknöchel streiften, musste Callie zugeben, dass der Mann unwiderstehlich charmant war.

„Danke“, sagte er, während der Beifall anhielt und Blitzlichter aufflammten. „Ich stehe tief in Ihrer Schuld.“

Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Sie haben ja keine Ahnung, wie tief.“

Cade lachte leise auf. „Wollen wir das auf der Tanzfläche besprechen?“ Der Applaus verklang, und die Musiker fingen an zu spielen.

Ihre Hand immer noch in seiner, blickte Callie zur Tanzfläche, die sich schnell füllte. „Halten Sie das für eine gute Idee – nach dem letzten Mal?“

„Ich denke, das liegt hinter uns, oder?“

Zugegeben, sie arbeiteten zusammen. Kamen inzwischen sogar gut miteinander aus. Wohnten sogar auf derselben Etage des Apartmentgebäudes.

Außerdem waren sie beide erwachsen. Auch wenn der breitschultrige Mann neben ihr sie nicht kaltließ – erst recht nicht, seit sie seinen Mund auf ihrer Haut gespürt hatte.

Sich sehr wohl dessen bewusst, dass sie immer noch im Rampenlicht stand, neigte sie huldvoll den Kopf. „Aber nur ein Tanz“, murmelte sie.

Cade legte ihr die Hand auf den Rücken, als er Callie zur Tanzfläche geleitete. Dabei versuchte er standhaft zu ignorieren, wie sich das smaragdgrüne, hinten tief ausgeschnittene Kleid an ihren Körper schmiegte. Oder wie ihr tizianrotes, zu einer üppigen Lockenpracht hochgestecktes Haar den anmutig schlanken Nacken frei ließ und den Blick auf ihren makellosen Rücken lenkte.

Am Rand der Tanzfläche nahm Cade ihre Hand in seine und legte die andere auf ihre Taille. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Callie fixierte einen Punkt über seiner Schulter, während sie sich im Takt der langsamen Musik bewegten. Aber Cade war sich der sanft geschwungenen Hüfte unter seiner Handfläche bewusst, spürte jede Bewegung des verführerischen Frauenkörpers. Ein schwacher Duft nach Frangipani stieg ihm in die Nase, Callies betörendes Parfüm.

Hinter ihnen drängten weitere Paare aufs Tanzparkett. Cade zog Callie automatisch näher an sich, um sich in der Enge bewegen zu können. Ihr seidiges Haar, zart wie ein Schmetterlingsflügel, streifte seine Wange, und in Cade regte sich Verlangen, machte ihm plötzlich bewusst, wie lange er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war.

Und wie sehr er es vermisste.

Obwohl er sich gesagt hatte, dass er fertig war mit den Frauen. Nach dem Debakel mit Sophie hatte er einen Schlussstrich gezogen, seine Sachen gepackt und war erst von der West- an die Ostküste der USA geflüchtet und schließlich ans andere Ende der Welt.

Von da an wollte er sich nur noch auf seine Karriere konzentrieren.

Und jetzt genügte ein Tanz mit Callie Richards, um seinen Entschluss ins Wanken zu bringen!

„Ich schreibe Ihnen gleich morgen früh einen Scheck aus“, sagte er, weil es ihm auf einmal sehr unangenehm war, in ihrer Schuld zu stehen.

Callie schloss kurz die Augen, um einen Seufzer zu unterdrücken, als sein warmer Atem ihre Schläfe liebkoste. Sie lehnte sich ein bisschen zurück, gerade so weit, dass sie ihm in die Augen blicken konnte. Augen, die sie an dunklen Bernstein erinnerten, an rauchigen Whisky.

„Glauben Sie, ich kann es mir nicht leisten, fünf Riesen lockerzumachen?“

Flüchtig war Cade abgelenkt, weil das Licht der funkenden Kronleuchter ihren grünen Augen einen sinnlichen Schimmer verlieh. Unwillkürlich fiel sein Blick auf Callies Mund. Volle Lippen, scharlachrot geschminkt und leicht glänzend, hatten sie etwas sündhaft Sinnliches. „Das habe ich nicht gesagt“, antwortete er schließlich.

„Es ist für einen guten Zweck“, meinte sie lässig. „Ich wäre ein lausiges Vorbild, wenn ich das Krankenhaus, in dem ich arbeite, und die Abteilung, die ich liebe, nicht in irgendeiner Form unterstützen würde.“

„Fünftausend Dollar sind kein Pappenstiel.“

„Und wenn schon.“ Callie blickte ihm wieder starr über die Schulter, als sein männlicher Duft ihre Sinne zu berauschen drohte. „Dann ist es eben mein Dienst an der Gesellschaft in diesem Jahr. Außerdem könnte es ganz nützlich sein, dass Sie mir etwas schuldig sind.“

Cade zog eine Grimasse. „Das habe ich befürchtet.“

Sie lachte hell auf. Ihr würde es auch nicht schmecken, dass jemand über sie verfügen konnte. Bittere Erfahrungen aus einer Ehe, die sie viel zu jung eingegangen war, hatten sie gelehrt, niemals anderen Menschen die Kontrolle über ihr Leben zu gestatten. „Keine Bange“, erwiderte sie, während ihr Puls beschleunigte, weil Cades Oberschenkel flüchtig an ihrem rieb. „Ich werde meine Macht mit Bedacht nutzen.“

Das beruhigte ihn wenig. „Was halten Sie davon, wenn wir es hinter uns bringen?“, schlug er vor. „Sie haben fünftausend Dollar für ein Date mit mir bezahlt, also … tun wir’s.“

Erschauernd versuchte Callie, im Takt der Musik zu bleiben, nicht zu stolpern so wie ihr Herz, als Cade mit seiner tiefen, volltönenden Stimme gesagt hatte: Tun wir’s. Natürlich meinte er Ausgehen, was sie nicht wollte, und leider nicht wilden, ungestümen Sex.

„Ich gehe nicht aus“, sagte sie.

Cade stutzte. „Wie meinen Sie das?“ Ein romantisches Abendessen, sich nett unterhalten, zum Abschied ein Kuss, vielleicht auch mehr … so lief das doch bei den Frauen.

„Wie ich es gesagt habe.“ Callie sah ihn wieder an. „Seit Teenagerzeiten hatte ich kein Date mehr. Ich will das nicht. So wie Sie auch, vermute ich.“

Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens war er mit Frauen ausgegangen, um sie ins Bett zu kriegen. Erst in den letzten Monaten hatte er eine komplette Kehrtwendung und damit einen Bogen um Frauen gemacht, die auf ein Date mit ihm aus waren. Callies Lippen schimmerten verheißungsvoll. Ein Mund, der zum Küssen einlud …

„Mir ist noch nie eine Frau begegnet, die sich nichts aus Dates macht. Sie sogar meidet.“

„Oh, ist das ein männliches Vorrecht im guten alten Amerika?“, antwortete sie zuckersüß. „Dann haben Sie sich mit den falschen Frauen getroffen. Es ist mir eine Ehre, für Sie die Erste zu sein.“

Ihr Lächeln stieg ihm zu Kopf, die erotische Andeutung traf weiter südlich. Cade wurde warm. „Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie gepflegte gesellige Stunden mit dem anderen Geschlecht meiden?“

„Nennen Sie mir Ihren?“, konterte sie. Ihre Gründe gingen nur sie etwas an.

Cade rang sich ein Lächeln ab. Noch nie hatte ihm jemand auf so höfliche Art zu verstehen gegeben, dass er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte. „Touché“, murmelte er.

Eine Weile drehten sie sich schweigend zu den sanften Klängen der Musik.

„Dann haben Sie fünf Tausender für nichts bezahlt?“, fragte er dann.

„Nicht unbedingt. Man weiß nie, wann man einen männlichen Begleiter braucht.“

„Großartig.“ Cade gab sich die größte Mühe, gekränkt zu klingen. „Jetzt fühle ich mich wie ein Gigolo.“

„Wenigstens sind Sie einer von der teuren Sorte.“

Die unverblümte Antwort verschlug ihm für einen Moment die Sprache, dann musste Cade lachen. Zu seinem Erstaunen stimmte sie ein, und ihr kehliges Lachen hatte etwas ausgesprochen Erotisches. Natürlich hatte er sie schon öfter lachen hören – während der Arbeit. Schlagfertig scherzte sie mit Kolleginnen und Kollegen, vor allem den Kollegen.

Oh ja, die Männer mochten sie, hielten große Stücke auf sie. Und Callie Richards schien es zu genießen, „zu den Jungs“ zu gehören.

„Liegt es an meinem Akzent?“, fragte er, weil es ihn auf einmal störte, dass die Frau in seinen Armen nicht das geringste Interesse an ihm hatte. „Zu schnodderig?“

Callie lächelte. „Nein.“

„Aber Sie finden ihn nicht besonders charmant?“

Sie zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich bevorzuge den britischen Akzent.“

„Verdammt“, murmelte Cade. „Daran ist nur dieser Hugh Grant schuld.“ Callie lachte, und der heisere Klang strich ihm über die Haut, lockend, verführerisch wie sanfte Fingerspitzen. „Stört es Sie, dass wir Kollegen sind?“

Callie seufzte. „Nehmen Sie’s nicht persönlich, es hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich komme gern gleich zur Sache … was Männer betrifft.“ Sie sah ihn an. „Ich bin nicht auf der Suche nach einem Ehemann. Ich mag Sex“, betonte sie. „Ich brauche vorher kein Candle-Light-Dinner und muss hinterher nicht kuscheln. Mein Beruf ist mir wichtiger als alles andere im Leben. Deshalb weiß ich, was ich will, und sage es ganz offen. Sie haben bereits deutlich gemacht, dass Sie nicht interessiert sind … und damit hat sich’s.“

„Ah, jetzt verstehe ich. Es geht darum, dass ich Ihnen einen Korb gegeben habe.“

„Nein, das stimmt nicht.“

„Okay.“ Er glaubte ihr nicht eine Sekunde. Aber sie bot ihm die perfekte Gelegenheit, die Sache richtigzustellen. „Lassen Sie mich erklären …“

„Bitte nicht“, wehrte sie ab. „Ich hatte die Situation falsch eingeschätzt. Es war ein merkwürdiger Abend, Hochzeiten haben manchmal diese Wirkung auf mich. Und ich war beschwipst.“

„Schon gut, Callie.“

„Eben nicht gut.“ Ihr Temperament ging mit ihr durch. „Ich habe Sie in Verlegenheit gebracht. Es war peinlich, und das ist es noch. Also, bitte, reden wir nicht mehr darüber, ja?“ Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Die Musik zwang sie, auf der Tanzfläche zu bleiben, obwohl sie lieber geflüchtet wäre. Hört dieser Song denn nie auf?

„Es ging nicht darum, dass ich Sie nicht attraktiv fand. Das haben Sie hoffentlich nicht gedacht.“

Und ob. Sie hatte ein bisschen zu viel Champagner getrunken und sich allein gefühlt inmitten glücklicher Paare auf dieser Hochzeitsfeier.

Nach Cades Reaktion war sie zutiefst gedemütigt.

Wieder einmal abgewiesen von einem Mann. Dabei hatte sie Jahre gebraucht, um nach der Ehe mit Joe ihr Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Heute bestimmte sie, wo es langging. Sie suchte sich aus, mit wem sie wann und wie oft ins Bett stieg.

Sie erkannte einen sicheren Kandidaten auf Anhieb – auch nach ein paar Gläsern Wein. Und bei Cade Coleman hatte ihre weibliche Intuition auf sichere Beute getippt.

Bis zu dem Moment, als er höflich, aber bestimmt ablehnte.

„Natürlich nicht“, log sie.

„Gut. Weil das nicht der Grund war“, bekräftigte Cade noch einmal. Verdammt, Callie war genau so gebaut, wie er es mochte. Mehr noch, es kostete ihn all seine Willenskraft, sich nicht vorzubeugen und ihren scharlachroten Mund zu küssen. „Ich habe Mist gebaut … zu Hause“, fügte er hinzu und fragte sich, warum er das überhaupt erwähnte.

Callie nickte. „Alex hat mir erzählt, dass Sie Frauenprobleme hatten.“

Das hatte er nicht erwartet. Dann fiel ihm ein, dass sein Halbbruder und Callie sich ziemlich gut kannten. Durch sie hatte Cade den Job am Gold Coast City Hospital erst bekommen.

Zu seinem Erstaunen hakte sie nicht nach. Die meisten Frauen hätten ihre Neugier nicht im Zaum halten können und mehr über sein „Frauenproblem“ herausfinden wollen. Dass Callie Richards nicht nachbohrte, rechnete er ihr hoch an.

„Genau deshalb bin ich hier“, fuhr er fort. „Ich will mich auf meine Karriere konzentrieren. Also keine Affären, keine romantischen Tête-à-Têtes. Ehrlich gesagt fand ich das nie besonders befriedigend, nicht auf Dauer jedenfalls. Und auf keinen Fall so wie meinen Beruf, die Arbeit mit meinen Patienten.“

Callie lächelte, als ihr zum ersten Mal bewusst wurde, dass sie ganz ähnlich tickten. Gleiche Erwartungen, gleiche Prioritäten im Leben. Sie spürte den feinen Smokingstoff unter ihrer Handfläche und strich geistesabwesend darüber. „Ich glaube, Sie und ich, wir sprechen dieselbe Sprache.“

„Tun wir das?“

„Klar. Wir lieben unsere Arbeit. Alles andere ist überflüssig. Das finde ich gut.“

Verblüfft blickte er sie an. „Frauen sehen das üblicherweise nicht so.“

„Ich bin nicht eine Ihrer üblichen Frauen“, erwiderte sie lächelnd.

Da haben Sie verdammt recht, wollte er gerade sagen, als die Musik verklang. Einige Paare klatschten Beifall, verließen die Tanzfläche. Cade und Callie folgten ihnen.

Da beugte sie sich vor und flüsterte ihm zu: „Trotzdem werde ich meine Schuld eines Tages einfordern.“

Flüchtig berührten ihre Lippen sein Ohr, und ihr warmer Atem streichelte seine Haut. Ihre Worte hätten eine Drohung sein können, doch sie klangen wie ein erregendes Versprechen …

2. KAPITEL

Auch am Montagmorgen in seinem Büro dachte Cade noch an Callies letzte Bemerkung, als er von ihr persönlich eine Pagermeldung bekam. Lächelnd griff er zum Telefon.

Er wählte die Nummer, die auf dem Display seines Pagers stand. „Ich wusste, dass Sie es nicht lange aushalten würden“, sagte er, als sie beim zweiten Klingeln ranging. „Früher oder später erliegen Sie meinem charmanten Akzent.“

„Tut mir leid, bin immer noch im Team Hugh.“ In ihrer Stimme schwang ein Lächeln mit.

Cade schnaubte. „Ich könnte mir eine Haartolle à la Grant wachsen lassen.“

„Ich dachte, Sie halten auch nicht viel von Dates.“

„Das stimmt, aber wir haben noch eine Rechnung offen. Es ist eine Frage des Stolzes.“

„Ach, es geht um Ihr Ego! Armer Cade.“ Sie schnalzte mit der Zunge.

Da musste er lachen. „Ich bin sicher, dass mein Ego das überlebt.“

„Ich auch.“

„Hatte Ihre Pagermeldung einen bestimmten Grund, oder wollen Sie mir generell das Leben schwer machen?“

Callie lachte, und sein Körper reagierte wie am Samstagabend, als Cade sie in den Armen gehalten hatte. „Ich brauche eine zweite Meinung“, sagte sie dann. „Wir haben es mit einem fetofetalen Transfusionssyndrom zu tun, und ich möchte die Eltern umfassend informieren. Auch darüber, was Sie mit Ihrem neumodischen Fetoskop anstellen können.“

Cade grinste. „Bin schon unterwegs.“

Fünf Minuten später klopfte es an ihre Tür, und Callie wappnete sich kurz, bevor sie rief: „Herein.“

Sie war froh, dass sie vorher einmal tief Luft geholt hatte. Cade im Smoking war schon eine Augenweide. Aber Cade in Businesshemd und Anzughose unter dem Arztkittel, das Stethoskop lässig um den Hals gehängt und die Krawatte leicht gelockert, das war der Inbegriff des blendend aussehenden, selbstbewussten Chirurgen – und eine fast unwiderstehliche Versuchung. Er sprach die Ärztin in ihr an, was für Callie noch gefährlicher war als ein Mann, der im Anzug sexy aussah.

„Hey“, sagte er.

Er lächelte offen und freundlich, und in seinem Blick las sie eine Vertrautheit, die es ihr nicht leicht machte, distanziert zu bleiben. „Danke fürs Kommen. Nehmen Sie Platz.“

Ohne Umschweife kam sie zur Sache, vielleicht auch, weil sie merkte, dass durch Cade ihre lockere Haltung Männern gegenüber bedroht war. Callie hatte Jahre gebraucht, um ihr Herz aus dem Spiel zu lassen, aber sein Lächeln überwand mühelos ihre Schutzmauern. Es verführte sie, etwas Verrücktes zu tun und alle Vorsicht in den Wind zu schlagen.

Ja, es wäre verrückt. Ausgerechnet bei einem Mann, der Bindungen genauso scheute wie sie. Hatte ihr Herz nicht schon genug gelitten, als sie es an jemanden verloren hatte, der unfähig war, zu lieben?

„Kathy Street ist sechsundzwanzig, hat drei Kinder unter fünf Jahren und ist in der zweiundzwanzigsten Woche mit Zwillingen schwanger. Eineiige Jungen.“

„Mit monochorialer Plazenta?“

„Genau. Beim ersten Ultraschall in der zwölften Woche wurde die Zwillingsschwangerschaft festgestellt. Der nächste Ultraschall war für die neunzehnte Woche angesetzt, aber sie hat den Termin nicht wahrgenommen.“

„Warum nicht?“

„Wegen der jüngsten Überschwemmungen. Die Familie lebt drei Stunden westlich von hier auf dem Land. Zwei Wochen lang stand der Ort unter Wasser, und in der letzten Woche haben sie aufgeräumt und versucht, einigermaßen wieder auf die Beine zu kommen. Gestern konnte sie zum ersten Mal zum Gesundheitszentrum fahren, das übrigens eine Stunde mit dem Auto entfernt liegt. Der Allgemeinarzt fand sie zu weit entwickelt für diesen Zeitpunkt der Schwangerschaft, aber Kathy hatte sich nichts dabei gedacht. Weil es ja Zwillinge sind. Dass sie kurzatmig und stark erschöpft war, hat sie mit dem Stress der Flutkatastrophe und der anstrengenden Putzaktion hinterher erklärt. Beim Ultraschall stellte sich dann das hier heraus …“ Callie reichte ihm die Bilder, die Kathy mitgebracht hatte. „Ein größerer Zwilling mit Polyhydramnion und sein kleinerer Bruder fast ohne Fruchtwasser.“

Cade betrachtete die äußerst dramatischen Aufnahmen. Der größere Fetus – oder Empfängerzwilling – saß bequem in seinem überdehnten, voll gefüllten Fruchtwassersack, während der sogenannte Spenderzwilling wie in seine Fruchtblase eingeschweißt wirkte.

„Der Kollege hat sie sofort zu uns überwiesen, und sie sind gestern Nacht noch losgefahren.“ Callie wandte sich zu ihrem Computer um und rief eine Datei auf, bevor sie den Monitor herumschwenkte. „Diese Bilder habe ich gerade eben gemacht.“

Er beugte sich vor, studierte die Aufnahmen.

„Ich denke, sie ist die richtige Kandidatin für eine intrauterine Laserablation“, sagte sie.

„Tja, für eine Entbindung sind die Babys definitiv noch zu klein. Natürlich wäre die Laserablation eine Option, aber wenn man konservativ vorgehen will, bietet sich die Fruchtwasserentlastungspunktion an.“

Callie musste lächeln. Cade Coleman war nicht gerade für konservative Ansätze in der Medizin bekannt, sonst hätte er es in der Pränatalchirurgie nicht so weit gebracht. Doch es war gut zu wissen, dass er auch nicht wie ein Cowboy vorpreschte.

„Natürlich. Bei Kathy und Ray sollten wir jedoch die Lebensumstände berücksichtigen, und da wäre ein einmaliger Eingriff auf jeden Fall von Vorteil. Wir beide wissen doch, dass die Fruchtwasserpunktion beim Empfängerzwilling mehrmals wiederholt werden muss – mit hohem Risiko einer Frühgeburt. Von der zwingend notwendigen Nachsorge einmal abgesehen. Die Streets wohnen nicht gerade in der Nähe einer Arztpraxis. Auf die Familie käme viel Stress in Form von physischer – und auch finanzieller – Belastung zu. Außerdem müsste Kathy sich für den Rest der Schwangerschaft ins Bett legen. Wie soll sie das machen, mit drei kleinen Kindern und der Farm? Um das zu gewährleisten, müssten wir sie stationär aufnehmen.“

„Auch nach der Lasertherapie muss sie liegen.“

„Ich weiß.“ Abwesend klopfte Callie mit ihrem Kugelschreiber auf den Schreibtisch. „Aber falls sie sich nicht oder nur mäßig an die Anweisungen hält, wäre wenigstens die Ursache des Problems schon behoben.“ Sie kannte Frauen wie Kathy, sie war unter ihnen aufgewachsen. Farmersfrauen, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hart arbeiteten. Ausruhen, das war etwas für Städter.

Als Cade schwieg, legte sie den Stift hin. Starrte Cade an. Dass es so schwer sein würde, ausgerechnet ihn zu überzeugen, hätte sie nie gedacht.

„Die Zwillinge hätten die besten Chancen. Bevor Sie bei uns angefangen haben, mussten Paare wie Kathy und Ray für eine Laserbehandlung nach Sydney.“

Da grinste er. „Ihnen ist klar, dass Sie bei mir offene Türen einrennen?“

Callie verdrehte die Augen. Warum nicht gleich so? dachte sie. „Worauf warten wir noch?“ Sie stand auf. „Sagen wir es ihnen.“

Er folgte ihr durch eine Verbindungstür in den angrenzenden Raum, wo ein junges Ehepaar saß. Der Mann hielt seiner Frau die Hand, und beide sahen aus, als könnten sie Halt gebrauchen.

„Sie haben heute Morgen schon einiges mitgemacht“, sagte Callie, nachdem sie Cade vorgestellt hatte. „Bevor wir uns über die Behandlungsmöglichkeiten unterhalten, haben Sie irgendwelche Fragen?“

„Ja.“ Ray nickte. „Entschuldigen Sie, für uns ist das alles ein bisschen überwältigend. Habe ich es richtig verstanden, dass die Zwillinge über die Plazenta dieselbe Blutversorgung haben?“

Callie lächelte aufmunternd. „So ungefähr. Ihre Zwillinge teilen sich eine Plazenta, was bei eineiigen Zwillingen üblich ist. Normalerweise hat jeder Zwilling über seine Nabelschnur eine eigene Verbindung zur Plazenta. Beim fetofetalen Transfusionssyndrom haben sich jedoch in der Plazenta verbindende Blutgefäße zwischen den Zwillingen gebildet.“

„Das führt dazu, dass Blut von einem zum anderen Zwilling übertragen wird“, fügte Cade hinzu.

„Das ist der Empfängerzwilling, oder?“, fragte Kathy.

Callie nickte. „Richtig. Sein Herz wird wegen der erhöhten Blutmenge stärker belastet, die Nieren produzieren mehr Harn, um die überschüssige Flüssigkeit loszuwerden. Das wiederum führt zu einer vermehrten Fruchtwasserbildung. Das hatte ich Ihnen ja vorhin auf dem Ultraschallbild gezeigt.“

„Deshalb bin ich so rund.“

„Genau“, stimmte Cade der werdenden Mutter zu. „Wir sprechen von einem Polyhydramnion. Durch die erhöhte Fruchtwassermenge dehnt sich die Gebärmutter stärker, als es in dieser Phase der Schwangerschaft normal wäre.“

Cade schwieg und warf Callie einen Seitenblick zu. Ray und Kathy wirkten etwas mitgenommen, aber gefasst, nahezu stoisch – ganz so, wie man ihm „die Leute aus dem Busch“, wie hier die Menschen aus dem Outback genannt wurden, beschrieben hatte.

Ray bestätigte das keine fünf Sekunden später, indem er gleich zur Sache kam. „Okay“, sagte er. „Wie kriegen wir das in den Griff?“

Nachdem Callie ihnen beschrieben hatte, dass Bettruhe, regelmäßige Fruchtwasserentnahmen und strenge ärztliche Beobachtung eine Option wären, fügte sie hinzu: „Die zweite Möglichkeit wäre eine Behandlung, die das Problem mit einem einzigen Eingriff beheben kann. Deshalb habe ich Dr. Coleman hergebeten.“

„Dann machen wir das.“ Ray war sofort dafür.

Cade sah zu Callie hinüber, und als sie nickte, beschrieb er die Methode. „Ich operiere also, während Ihre Zwillinge noch im Mutterleib sind“, schloss er.

Jetzt wirkte Ray schockiert, und Kathy fragte erschrocken: „Können Sie das denn?“

„Sie wären die Erste, seit ich vor zwei Monaten nach Australien gekommen bin, aber in den USA habe ich diesen Eingriff mehr als ein Dutzend Mal durchgeführt.“

Und dann erläuterte er im Einzelnen Vor- und Nachteile der Operation, nannte Zahlen, beantwortete geduldig alle Fragen des Ehepaars. Callie war froh darüber, wie er mit dem Fall umging, und gleichzeitig stark beeindruckt. Der Mann wusste, wovon er redete und was er tat. So lässig und nonchalant er sonst wirkte, als Chirurg war er sich seiner Verantwortung bewusst. Er würde niemals leichtsinnig ein Risiko eingehen.

„Sie müssen sich nicht sofort entscheiden“, sagte sie schließlich, als keine Fragen mehr kamen. „Warum setzen Sie sich nicht unten in den Coffeeshop und besprechen in Ruhe, welche Möglichkeit für Sie infrage kommt?“

Ray nickte. „Wenn wir diese Lasersache machen wollen“, wandte er sich an Cade, „wie schnell können Sie loslegen?“

„Morgen. Wir würden Kathy sofort stationär aufnehmen und ein paar Tests machen, während ich ein Team zusammenstelle. Ob wir morgens oder nachmittags operieren, kann ich allerdings noch nicht sagen.“

„Okay.“ Ray stand auf und half seiner Frau beim Aufstehen. Dann streckte er Cade die Hand hin. „Vielen Dank, Doc.“ Er nickte Callie zu. „Sie hören bald von uns.“

Callie zog eine Visitenkarte aus ihrer Hosentasche. „Rufen Sie mich unter dieser Nummer an, jederzeit.“

Sobald die Tür sich hinter den beiden geschlossen hatte, fragte sie: „Was glauben Sie? Werden sie’s machen?“

„Die zwei wirken auf mich ganz pragmatisch. Ich denke, ja.“ Er blickte Callie an. Ihr herrliches rotes Haar war am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und im Tageslicht strahlten ihre grünen Augen wie Smaragde. „Haben Sie Lust, morgen zu assistieren? Ich könnte noch ein Paar Hände gebrauchen, falls wir die Zwillinge holen müssen.“

Callie lächelte. Neben Cade zu stehen, während er zwei Winzlingen das Leben rettete, war mehr als beunruhigend für ihren Seelenfrieden, und trotzdem hätte sie es um nichts in der Welt verpassen mögen. „Keine zehn Pferde könnten mich davon abhalten!“

Deshalb stand sie am nächsten Morgen in OP-Kleidung mit Kappe und Mundschutz im Operationssaal und beobachtete auf dem Monitor, wie Cade das Fetoskop durch den Fruchtwassersack des Empfängerzwillings – Joshua – zu den verbindenden Blutgefäßen auf der Oberfläche der Plazenta schob. Es war eine seltsame und schöne Unterwasserwelt, ähnlich wie in dem Dokumentarfilm über eine gesunkene spanische Galeone, den sie einmal gesehen hatte. Callie hielt unwillkürlich den Atem an, als der Lichtstrahl des Fetoskops eine kleine Hand streifte.

„Wunderschön, nicht?“, fragte Cade.

Die Arme vor der Brust verschränkt, drehte sie sich um und sah Cade an. Er schien die gleiche prickelnde Begeisterung zu spüren wie sie. „Ja, faszinierend“, sagte sie und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

Cade betrachtete sie einen Moment länger. Der größte Teil ihrer klassischen Züge war hinter dem Mundschutz verborgen, sodass er nicht sagen konnte, welche Farbe ihr Lippenstift hatte oder ob sie überhaupt welchen trug. Dafür entdeckte er etwas, das ihn viel mehr in den Bann schlug: ihre Augen.

Durch den Mundschutz wurden die türkisblauen Sprenkel in ihrer grünen Iris noch betont. Sie waren Cade bisher nicht aufgefallen, und er fragte sich, warum. Wahrscheinlich schaffte er es allmählich wirklich, sich ausschließlich auf seine Karriere zu konzentrieren. Warum sonst sollte ihm entgangen sein, was für hinreißende Augen Dr. Callie Richards hatte?

Aus einem Grund, der sich ihm nicht erschloss, fand er es plötzlich deprimierend, dass er für die schönen Augen einer Frau keinen Blick mehr hatte.

Cade nahm sich zusammen, um sich seiner Aufgabe zu widmen. Kathy lag vor ihm auf dem OP-Tisch, unter Vollnarkose, aber im Herzen voller Vertrauen darauf, dass er ihre Babys retten würde.

„Laser, bitte.“

Die Instrumentenschwester reichte ihm die Laserfaser, und er führte sie durch den Schaft des Fetoskops ein, ohne den Monitor aus den Augen zu lassen. Sobald er die Faser richtig platziert hatte, begann er damit, die störenden Blutgefäße zu veröden und für immer zu verschließen.

Es dauerte nicht lange, bis er zufrieden feststellen konnte, dass der Eingriff gelungen war. „Das sollte genügen“, meinte er, während er die Faser herauszog.

Callie blickte ihn an, und ihre Augen leuchteten vor Aufregung. Und wieder konnte sich Cade ihrem Zauber nicht entziehen. „Gut gemacht!“, lobte sie. „Entnehmen Sie auch gleich etwas Fruchtwasser, da Sie schon mal drin sind?“

„Ja. Ich schätze, ich kann Joshua und seine Mutter um gut zwei Liter erleichtern.“

Nach erfolgreicher Punktion von anderthalb Litern beendete Cade die OP. Kathy würde gleich nach dem Aufwachen eine spürbare Entlastung fühlen, Herz und Nieren des kleinen Joshua mussten nicht mehr so hart arbeiten, und sein Zwilling Andrew hatte jetzt die Chance, sich normal zu entwickeln.

Und das Sahnehäubchen auf dem Kuchen – Callie blickte ihn an, als hätte er ihr die Sterne vom Himmel geholt.

Besser hätte es nicht laufen können!

Vier Tage später wurde Kathy entlassen. Den Zwillingen ging es gut, es hatte keine Komplikationen gegeben. Sie musste nur darauf achten, dass sie ein Mal wöchentlich zur Untersuchung ging.

„Vielen, vielen Dank“, sagte Kathy, während Ray den Reißverschluss ihrer Tasche zuzog. „Sie haben unseren Jungs das Leben gerettet.“

Callie lachte. „Diese Lorbeeren hat sich Dr. Coleman verdient.“ Sie hatte Cade nur gelegentlich kurz gesehen, was ihr allerdings ganz lieb war, weil sie sich in seine ärztlichen Qualitäten zu verlieben drohte.

Als wären seine körperlichen nicht schon Versuchung genug!

„Nein, wir beide“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr.

Kathy lachte, als Callie sich umdrehte. „Sehen Sie, Cade ist meiner Meinung.“

Callie sah nur eins: Cade, lässig an den Türrahmen gelehnt, die Hemdsärmel aufgerollt, die Krawatte gelockert. Ihr Magen vollführte einen kleinen Salto. „Cade“, betonte sie und drehte sich wieder zu Kathy um, bevor sie etwas Dummes tat – wie zum Beispiel, den Mann schmachtend anzustarren, „… ist zu liebenswürdig.“

„Unsinn“, erwiderte er und kam näher. Callie wusste es, ohne sich umzudrehen. Sie spürte es einfach. „Sie haben zuallererst an die Zwillinge gedacht und die modernste Behandlung vorgeschlagen, die die Medizin zu bieten hat. Das ist mutig. Glauben Sie mir, viele Kollegen da draußen halten es lieber mit Voodoo-Methoden als mit dem, was ich mache.“

Sein Arm streifte ihren, als Cade neben sie trat, und ihr Magen schaffte den doppelten Salto.

„Voodoo oder nicht, wir stehen in Ihrer Schuld.“ Ray schüttelte Cade die Hand. „Bei Ihnen beiden.“

„Denken Sie an die wöchentliche Ultraschallkontrolle“, sagte Callie. „Sie ist unerlässlich und lebenswichtig für Ihre Jungen. Genau wie vernünftige Ernährung und Ruhe. Bei Ihnen besteht ein hohes Frühgeburtsrisiko. Übernehmen Sie sich nicht, lassen Sie alles langsam angehen.“

„Das werde ich“, versprach Kathy.

„Ray?“ Callie wandte sich an den werdenden Vater. „Sie und ich, wir beide wissen genau, dass Kathy manchmal nicht weiß, wie man sich schont. Vor allem, wenn sie auf der Farm und mit drei kleinen Kindern alle Hände voll zu tun hat. Deshalb verlasse ich mich auf Sie, dass Sie sie rechtzeitig bremsen, damit sie sich ausruht.“

„Hey“, protestierte Kathy gutmütig.

Ray ignorierte seine Frau. „Keine Bange, Doc.“

„Ist sie immer so?“, murrte Kathy in Richtung Cade.

Er betrachtete Callie. Wer weiß? Sie war eine ausgezeichnete Medizinerin, professionell und erfahren auf ihrem Fachgebiet. Risiken schreckten sie nicht ab. Aber er kannte sie noch nicht lange genug, um zu beurteilen, wie sie mit ihren Patienten umging. Und jetzt wurde er Zeuge, wie sie sie förmlich bemutterte – und nicht nur die Babys.

Wer hätte gedacht, dass sich hinter der Fassade der tüchtigen, zupackenden Ärztin ein weiches Herz verbarg?

„Nur bei denen, die sich nicht an meine Regeln halten“, mischte sich Callie ein, weil sie Cades Antwort nicht hören wollte. Sie mochte es nicht, wenn man über sie redete, als sei sie nicht anwesend. Das hatte etwas Intimes, und davon hatte sie dank dieses Falls in dieser Woche schon genug gehabt mit Cade. Erst das Wagnis, dann der Erfolg des Eingriffs, eine Achterbahnfahrt der Gefühle, bei der sie beide auch ein besonderes Verhältnis zu Kathy und Ray aufgebaut hatten.

„Wir wollen Sie nicht länger aufhalten.“ Kathy wechselte das Thema. „Haben Sie am Wochenende etwas Schönes vor? Sie gehen doch bestimmt in einen schicken Nachtklub, trinken Cocktails und tanzen, bis die Sonne aufgeht?“

„Antworten Sie nicht.“ Ray lächelte. „Sie möchte nur ein bisschen Glamour abstauben.“

Kathy streckte ihm die Zunge heraus. „Spielverderber. Weißt du, wie lange ich keinen Cocktail mehr getrunken oder die Nacht durchgetanzt habe?“

Callie lachte bei dem sehnsüchtigen Unterton in Kathys Stimme. Aber ihr entging auch nicht, wie die werdende Mutter dabei liebevoll die Hände auf ihren runden Bauch legte. „Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen“, antwortete sie. „Ein Glas Rotwein nach Dienstschluss und früh schlafen gehen ist für mich viel verlockender.“

„Genau“, fügte Cade hinzu. „Und mir genügt ein Stündchen am Strand.“

Allerdings verspürte er plötzlich Lust auf samtroten Shiraz …

Als Callie zwei Stunden später den noch warmen Sand betrat, sagte sie sich, dass sie nur frische Luft schnappen wollte. Auch wenn sie selten an den Strand ging. Doch warum heute nicht einmal eine Ausnahme machen? Nach der Arbeit war sie rastlos gewesen, und warum sollte sie die Gelegenheit, dass das Meer nur einen Steinwurf entfernt lag, nicht nutzen?

Nicht, um schwimmen zu gehen. Aber ein Spaziergang würde ihre kribbelige Unruhe vielleicht lindern, und falls sie zufällig Cade in Surfershorts begegnete, wäre das auch keine Tragödie. Vor allem nicht, wenn sie feucht an seinem atemberaubenden Körper klebten …

Eine Stunde noch bis Sonnenuntergang. Mildes Licht ergoss sich auf den Strand, während Callie durch den tiefen, weichen Sand stapfte, hin zur Uferlinie, wo das Laufen einfacher war. Im überwachten Badebereich war einiges los. Gruppen von Teenagern feierten ausgelassen den Beginn des Wochenendes, und Urlauberfamilien genossen die Stunden, in denen die brennende australische Sonne ihre schädigende Kraft verlor.

Callie ließ die beeindruckende Skyline von Surfers Paradise hinter sich und wanderte langsam am Wassersaum entlang. Die Flut kam auf, und ein frischer Wind zupfte an ihren Haaren. Sie hatte sie im Nacken zusammengebunden, doch schon wehten ihr einzelne Strähnen ins Gesicht.

Das Wasser umspülte ihre Knöchel und spritzte ihr manchmal bis zum Knie, also zog sie den Rock ihres trägerlosen schwarzen Sommerkleids höher und steckte ihn im Bund ihres Slips fest, damit der Saum nicht nass wurde.

Je weiter sie sich vom beflaggten Bereich entfernte, umso weniger Menschen waren im Wasser. Sie hoffte, dass es sich um geübte Schwimmer handelte. Die Gold Coast war zwar für traumhafte Strände und als Surferparadies bekannt, aber auch für lebensgefährliche Strömungen.

Callie hatte wenig Lust darauf, dass ihr Entspannungsspaziergang damit endete, dass sie jemanden halb tot aus dem Ozean ziehen musste.

Als ihr auffiel, dass sie schon wieder wie ein Arzt dachte, anstatt die herrliche Umgebung zu genießen, zwang sie ihre Gedanken in eine andere Richtung.

Sonne, Sand und Meer.

Erholung pur.

Entspannung.

Keine Intensivstation. Keine kranken Zwillinge. Zwei Tage frei. Ohne Rufbereitschaft.

Einatmen, ausatmen.

Einatmen, ausatmen.

Es funktionierte ein paar Sekunden, bis die Konturen des Joggers, der ihr entgegenkam, schärfer wurden.

Es war Cade. Mit nacktem Oberkörper.

Callie vergaß für einen Moment, Luft zu holen. „Oh, verdammt!“, stieß sie schließlich hervor, und dann funktionierte das Ein- und Ausatmen wieder.

Einigermaßen.

Wie war sie nur auf die Idee gekommen, dass der Mann im Arztkittel besser aussah als im Smoking? Sein Adamskostüm stellte beides in den Schatten. Falls man von der oberen Hälfte auf den Rest schließen konnte …

Cade erkannte sie im selben Moment wie sie ihn, lächelte überrascht und winkte kurz, während er weiter auf sie zu joggte. Callie ging langsamer, als seine braun gebrannte, muskulöse Brust mit jedem Schritt deutlicher in ihr Blickfeld rückte.

Sie ließ den Blick tiefer gleiten, über die faszinierende Linie dunkler Härchen, die zwischen seinem Sixpack verlief, bis sie unter dem Bund seiner Shorts verschwand. Shorts, die sehr tief auf seinen schmalen Hüften saßen.

Callie blieb stehen, als er vor ihr abbremste.

„Hey“, sagte er.

Feine Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, aber der Mann schien nicht einmal außer Atem zu sein, und er roch auch nicht nach Schweiß. Stattdessen stieg Callie ein Duft nach Salz und Sand, nach Meer und warmer Männerhaut in die Nase. Eine Welle rauschte über ihre Füße, doch sie bemerkte es nicht einmal, bis Cade sie am Ellbogen packte und höher den Strand hinaufzog.

„Sie joggen ja.“ Callie hätte sich gern noch ein bisschen an seinem atemberaubenden Körper sattgesehen, blickte ihm aber ins Gesicht. Auch nicht schlecht. Der dunkle Bartschatten verlieh ihm etwas Verwegenes. „Ich dachte, ihr Amis geht lieber ins Fitnessstudio.“

Cade lachte. „In New York bin ich ins Studio gegangen, der Strand war so weit weg. Aber in L. A. bin ich immer am Meer gejoggt.“ Er streckte ein Bein aus, beugte sich in der Taille, um die abrupte Unterbrechung seines Laufs mit einer Stretchingübung aufzufangen. „Allerdings bin ich etwas enttäuscht. Ich dachte, in Australien hüpfen Kängurus am Strand herum. Bisher habe ich noch keins gesehen.“

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass es eine Retourkutsche auf ihre Bemerkung war. „Sehr witzig.“

Grinsend richtete sich Cade auf. „Und Sie, gehen Sie schwimmen?“

„Oh nein.“ Callie schüttelte sich. „Ich schwimme nicht im Meer.“

„Warum nicht?“ Bildete sie sich das ein, oder hatte er spöttisch geklungen?

„Ich möchte lieber sehen, was um mich herum schwimmt.“

„Aha, Sie haben Angst vor Haien.“

In australischen Gewässern waren Haie nicht das Einzige, wovor sie sich fürchtete, aber es genügte als Erklärung.

„Zum Beispiel.“

„Wissen Sie, dass die Chance, von einem Hai angegriffen zu werden, ziemlich gering ist? Die haben viel mehr Angst vor uns, und statistisch gesehen sterben weltweit nur wenige Menschen durch eine Hai-Attacke.“

Callie warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. „Ich komme aus einer ländlichen Kleinstadt. Vierzehn Autostunden vom nächsten Strand entfernt. Statistisch gesehen ist jemand von dort, wo ich aufgewachsen bin, noch nie durch eine Hai-Attacke gestorben. Ich möchte, dass es so bleibt.“

Er lachte laut auf. „Okay. Sie haben ja keine Ahnung, was Ihnen entgeht.“

„Herzlichen Dank, ich bleibe trotzdem an Land, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Ihr Handy klingelte, und sie fischte es aus dem Ausschnitt, wo sie es vorhin in ihren trägerlosen BH gesteckt hatte. Cade verfolgte die Aktion mit hochgezogenen Brauen. „Ich wollte keine Tasche mitnehmen“, erklärte sie, während sie aufs Display schaute. „Mist. Meine Mutter. Entschuldigen Sie mich einen Moment, es wird nicht lange dauern.“

Cade sah ihr nach, als sie sich ein paar Schritte entfernte, das Handy am Ohr. Der Wind presste das Kleid an ihren Körper, sodass sich ihre langen, wohlgeformten Beine unter dem Stoff abzeichneten, und auch die schmale Taille, die Cade neulich beim Tanzen unter den Fingern gespürt hatte. Das trägerlose Mieder zeigte ihre glatten Schultern und betonte ihre Brüste. Schimmernde rote Haarsträhnen hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und wehten Callie ins Gesicht. Sie trug kein Make-up.

Das also war Callie in ihrer Freizeit. Bisher hatte er sie nur im Arztkittel gesehen oder in dem hinreißenden smaragdgrünen Kleid.

Er fragte sich, wie sie sich in einer eng anliegenden Jeans machen würde.

Oder auf seinem Bett.

Callie beendete das Telefonat und schob das Handy wieder dorthin, wo sie es hergeholt hatte. Cade fühlte sich wie ein Fünfzehnjähriger beim Anblick eines Dekolletés. Heiß.

„Was machen Sie Sonntagabend?“, fragte sie, während sie auf ihn zukam.

Die Frage hatte er nicht erwartet. Callie wirkte genervt, und plötzlich ahnte er, worauf sie hinauswollte. „Meine Schuld einlösen und mit Ihnen ausgehen?“

Sie nickte grimmig. „Gute Antwort.“

„Ihre Mutter kommt auch mit?“

„Und mein Vater. Sie sind auf dem Weg nach Norden, zum Kap, um meinen Onkel zu besuchen.“

Ein Date mit Callie hatte er sich anders vorgestellt. Ganz anders. Aber unterm Strich handelte es sich hier um eine geschäftliche Vereinbarung, mehr nicht. „Wohin gehen wir? Was soll ich anziehen, und wer soll ich sein?“

Callie sah ihn nachdenklich an. Sie liebte ihre Eltern, doch diese hatten nie verstanden, warum sie von zu Hause weggegangen war oder sich nicht mehr angestrengt hatte, ihre Ehe zu retten. Callie hatte wenig Lust, sich irgendwelche Predigten anzuhören. Cade wäre ein guter Puffer zwischen den Fronten.

„Keine Ahnung“, antwortete sie. „Seien Sie einfach Sie selbst. Ich sage Ihnen Sonntag noch Bescheid, wo wir uns treffen.“

„Alles klar.“

„Okay, also, dann mache ich mich mal auf den Heimweg.“

„Kann ich Sie nicht zum Schwimmen verlocken?“ Cade deutete mit dem Kopf auf die Brandung.

Er konnte sie zu allem Möglichen verführen, aber sie wusste auch, was sie brauchte, wenn sie verunsichert war – oder das Gefühl hatte, dass ihr die Kontrolle über ihr Leben entglitt.

Sex.

Allerdings hätte sie eine zweite Zurückweisung von Cade Coleman nicht ertragen.

„Nein, danke“, antwortete sie daher.

„Wie Sie wollen.“ Cade tippte sich grüßend an die Stirn und wandte sich zum Wasser.

„Warten Sie“, hielt sie ihn zurück. „Hier dürfen Sie nicht schwimmen. Nur im beflaggten Bereich.“

Cade grinste verwegen. „Sie sind immer schön brav, was?“ Sprach’s, lief los und tauchte mit einem Hechtsprung in die Wellen.

Callie wartete, nur für den Fall, dass sie lossprinten musste, um ihn aus dem Meer zu ziehen – falls eine Sogströmung ihn erwischt hatte.

Schließlich brauchte sie den Mann unversehrt für die Verabredung am Sonntagabend.

Da tauchte sein Kopf wieder auf, und sie entspannte sich.

„Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht!“, rief er ihr zu.

Sie blickte auf seine braun gebrannte, muskulöse Brust. Oh doch, das weiß ich ganz genau.

3. KAPITEL

Eine gute Fee hatte seinen Wunsch gehört und ihn erfüllt. Als Cade am Sonntagabend Callie abholte, trug sie eine schmale Jeans, die sich perfekt an Po und Beine schmiegte. Ein modischer Gürtel betonte ihre schlanken Hüften. Auch weiter oben war der Ausblick betörend. Die brombeerrote Bluse umschmeichelte ihre Brüste und fiel locker auf die Taille. Callies rotes Haar schimmerte im Schein der Lampen.

Wimperntusche und schwarzer Kajal verliehen ihren wundervollen Augen etwas Geheimnisvolles, und ein Hauch von Lipgloss auf ihren Lippen weckte in Cade begehrliche Gefühle.

Seinen leisen, anerkennenden Pfiff quittierte sie mit einem Lachen. Doch es klang gezwungen, und ihre Augen blieben davon unberührt. „Da sehen Sie, was Ihnen entgangen ist“, meinte sie, schloss die Tür ab und ging an ihm vorbei Richtung Fahrstuhl.

„Kann ich es mir noch mal überlegen?“, neckte er, während er ungeniert auf ihre sanft schwingenden Hüften blickte. Eine Augenweide.

„Nichts da. Sie haben’s vermasselt. Und jetzt werden Sie sich immer fragen, wie es gewesen wäre.“

Cade lachte. Wie recht sie damit hatte! Allerdings hatte er sich das vor heute Abend auch schon gefragt. Was wäre gewesen, wenn er ihre Avancen neulich nicht abgelehnt hätte …

„Haben Sie sich ans Linksfahren gewöhnt?“, fragte Callie auf dem Weg zum Restaurant. Sie hatte dankbar angenommen, als Cade fragte, ob er fahren solle. Stocknüchtern würde sie einen Abend mit ihren Eltern wahrscheinlich nicht besonders gut überstehen. Besser, sie hatte einen Fahrer zur Verfügung, falls sie ein Glas Wein mehr trank als erlaubt.

„Klar. Bin nur ein paar Mal auf der falschen Seite gelandet.“

Callie wich das Blut aus dem Gesicht. „Ein paar Mal?“

„Ganz am Anfang“, meinte er schulterzuckend.

„Ihr Wagen scheint ohne einen Kratzer davongekommen zu sein.“

„Natürlich.“ Lächelnd streichelte er das lederummantelte Steuerrad des schnittigen RX8. „Nichts passiert.“

Bewundernd blickte sie sich im Innenraum um. „Wie gut.“

„Gefällt er Ihnen?“

Sie blickte ihn an. Ihr gefiel alles, was sie sah. Absolut alles … Cade sah zum Stehlen aus in Jeans und einem modischen T-Shirt. „Sehr. Der RX8 ist ein tolles Modell. Hohes Drehmoment.“

„Ah, eine Frau, die sich mit Autos auskennt und in Jeans umwerfend aussieht“, neckte er. „Ich habe wohl den Jackpot geknackt.“

Callie lächelte, maß dem flirtenden Ton aber keine Bedeutung bei. Anscheinend fühlte sich Cade bei ihr sicher, weil hinter ihrem Date keine romantischen Absichten steckten.

„Ich habe auch ein Faible für Retro-Modelle“, antwortete sie. „Meiner ist ein leuchtend roter Alpha Spider. Der ist zwanzig Jahre alt, sieht aber immer noch klasse aus und läuft wie am Schnürchen.“

„Jetzt machen Sie mich neugierig. Spendieren Sie mir eine Probefahrt?“

„Klar, warum nicht?“

Nach kurzem Schweigen fragte Cade: „Und? Gibt es irgendetwas, das ich wissen muss?“

Die Frage brachte sie für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Ihr Puls beschleunigte, als sie an all die Dinge dachte, von denen niemand wusste. Und wenn es nach ihr ginge, konnte es für alle Zeiten so bleiben.

Sie verstand zwar, dass Cade nicht ungewollt in irgendwelche Fettnäpfchen treten wollte, aber manches blieb besser in der Vergangenheit begraben. Wie zum Beispiel ihre katastrophale Ehe. Ihre Mutter, die sich dafür selbst nach so vielen Jahren immer noch schämte, würde das Thema sicher nicht zur Sprache bringen.

„Nein.“

Cade blickte auf die Straße. „Wenigstens ein paar Eckdaten? Zum Beispiel, wo Sie herkommen? Am Strand sagten Sie etwas von einer Kleinstadt auf dem Land.“

Okay, das war harmlos. Ihr Herz schlug mit normaler Geschwindigkeit weiter. „Ja. Broken Hill, im äußersten Westen von New South Wales. Zehn Autostunden von Sydney entfernt.“

„Eine Minenstadt, stimmt’s? Da kommt doch BHP ursprünglich her?“

Beeindruckend, was der Mann alles wusste. Allerdings wirkte er auch wie jemand, der sich im Börsenhandel auskannte, und der Rohstoffkonzern BHP Billiton gehörte weltweit zu den größten Bergbauunternehmen. „Ja, genau.“

„Und Ihr Vater … ist Minenarbeiter?“

„Richtig. Wie sein Dad vor ihm und davor der Dad seines Dads. Und wie meine drei älteren Brüder.“

Drei Brüder? Das erklärte, warum sie mit ihren männlichen Kollegen so gut klarkam. „Und Ihre Mutter?“

Da gäbe es viel zu erzählen. Aber das ließ sie besser bleiben. „Hausfrau.“

Die knappe Antwort bestätigte, was er schon vermutet hatte. „Wenn Sie mir eine Bemerkung gestatten …“ Cade überlegte sich seine nächsten Worte sehr sorgfältig. „Ich habe den Eindruck, dass Sie und Ihre Mutter sich nicht … besonders grün sind? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?“

Fast hätte Callie laut gelacht. Nicht besonders grün? Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. „Nein, alles in Ordnung“, griff sie zu einer Notlüge. Ihr Lachen hätte sicher hysterisch geklungen. Oder schlimmer noch, sie wäre in Tränen ausgebrochen! „Wir kommen miteinander aus. Ich liebe sie. Und meinen Vater auch.“

„Okay …“

Von Alex wusste Callie, dass Cades Kindheit nicht gerade ein Sonntagsspaziergang gewesen war. Verglichen mit dem, was die beiden Brüder erlebt hatten, hatte sie es gut gehabt: eine Familie, die sie liebte, ein Dach über dem Kopf, zu essen und eine Kleinstadtgemeinde, die auf jedes ihrer Schäfchen achtete.

„Sie hatten nur andere Vorstellungen von meiner Zukunft. Sie haben nie gesagt: Mädchen, du hast Grips, du musst studieren. Ich sollte in Broken Hill bleiben. Heiraten, Kinder kriegen.“

Was sie ja auch gewollt hatte. Leidenschaftlich und mit der rosaroten Brille auf der Nase, wie es sich für eine naive Siebzehnjährige gehört, die unsterblich in ihren Highschool-Schatz verliebt war.

Nur hatte sie leider niemand auf das vorbereitet, was nach der Traumhochzeit passierte. Callie hätte nie erwartet, dass aus der Idylle mit Haus und weißem Gartenzaun ein einsames Gefängnis werden würde.

„Aber Sie haben Broken Hill verlassen, um Medizin zu studieren, und damit waren sie nicht einverstanden?“

„Ja“, antwortete sie, obwohl das die schlimmste Zeit ihres Lebens nicht annähernd beschrieb. Callie sah wieder aus dem Fenster.

Cade musste kein Psychologe sein, um zu begreifen, dass sie nicht weiter darüber reden wollte. Das konnte er verstehen. Aber nach allem, was sie ihm erzählt hatte, konnte sie sich nicht beschweren.

„Sie sind trotzdem bestimmt sehr stolz auf Sie.“ Was hätte er dafür gegeben, wenigstens ein einziges Mal von seinem Vater zu hören: Ich bin stolz auf dich.

„Ja, auf ihre Art wahrscheinlich schon. Sie … verstehen mich nur nicht.“

Ärger wallte in ihm auf. Sie hat keine Ahnung, wie viel Glück sie gehabt hat, dachte er. Ihre Eltern liebten sie, die Familie wurde in der Gemeinde geachtet. Bei ihm hatte es ganz anders ausgesehen. Wäre dies ein echtes Date gewesen, hätte er an die Belohnung am Ende des Abends gedacht und den Mund gehalten.

Aber dieser Abend würde nicht damit enden, dass Callie in seinem Bett landete. Warum sie dann nicht auf den Boden der Tatsachen setzen? „Manch einer würde sagen, dass Sie es ziemlich gut gehabt haben.“

Callie hörte den scharfen Unterton und sah Cade an. Sein Profil wirkte grimmig, die Lippen waren zusammengepresst. „Es tut mir leid, Cade.“ Sie legte ihm die Hand auf den Oberarm. Selbst die Muskeln unter ihren Fingern schienen angespannt. „Ich weiß, dass Sie es als Kind … nicht einfach hatten. Mir ist bewusst, wie sicher und behütet ich aufgewachsen bin.“ Callie lächelte reumütig. „Hören Sie nicht auf die weinerliche Prinzessin hier.“

Cade blickte kurz auf ihre Hand, die warm auf seiner Haut lag. Sie weiß davon? Was genau hatte Alex ihr erzählt? Alex, der noch schmallippiger wurde als er, wenn es um die Vergangenheit ging?

Wie gut hatte sein Bruder Callie gekannt?

„Da ist es.“ Ihre Stimme riss ihn aus den Gedanken. Callie nahm die Hand von seinem Arm, deutete auf das Strandlokal, und Cade setzte den Blinker, bevor er auf den Parkplatz abbog.

Callie war nervös, als sie das Restaurant betrat. Seit drei Jahren hatte sie ihre Eltern nicht mehr gesehen und, abgesehen von gelegentlichen Telefonaten, kaum Kontakt gehabt. Damals war sie zu Weihnachten nach Broken Hill gefahren, nur um sich neben ihren verheirateten Brüdern mit ihren perfekten Ehefrauen und Kindern wie das schwarze Schaf der Familie zu fühlen.

Eine, die auf ganzer Linie versagt hatte … Es hatte sie wütend gemacht, immer wieder die gleichen Fragen, die gleichen Andeutungen zu hören. Kein Ehemann, kein Baby in Sicht. Na und? Sie war Fachärztin für Neonatalogie, eine gefragte Spezialistin. Mal im Ernst, was ist schlimm daran, wenn man keine Gebärmaschine sein will?

Ihre Eltern waren noch nicht da, und ein Kellner führte sie zu einem Tisch in der Nähe der deckenhohen Fenster. Ein Kellner, dem anscheinend gefiel, was er sah, weil er Callie mit einem anerkennenden Lächeln bedachte. Sie erwiderte es unbefangen. Hatte sie sich doch absichtlich für Kleidung entschieden, die jedem Mann signalisierte: Ich bin sexy, und ich weiß es. Gerade heute Abend war es ihr besonders wichtig, sich begehrenswert und selbstbewusst zu fühlen. Ein paar Stunden in Gesellschaft ihrer Eltern konnten dieses Gefühl zunichtemachen und Callie in eine Zeit zurückkatapultieren, in der sie jedes Selbstvertrauen verloren hatte.

Eine dunkle, schmerzvolle Zeit.

Deshalb brauchte sie es, dass der Kellner mit ihr flirtete. Dass die beiden Kerle an der Bar ihr auf den Hintern starrten. Cade war zwar nicht interessiert, aber den bewundernden Blicken nach zu urteilen, fanden einige Männer hier sie sehr attraktiv.

Es gab ihr ein Gefühl von Macht. Keiner spielte mit ihr. Sie hatte die Kontrolle, niemand sonst.

Callie bestellte ein Glas Rotwein, Cade ein alkoholfreies Bier. Beides wurde umgehend gebracht, von einem anderen Kellner, der sie genauso einladend ansah wie sein Kollege. Da sie wusste, dass Cade zuschaute, ließ sie den Blick über den jungen Mann schweifen, der auf keinen Fall älter als fünfundzwanzig und richtig heiß war. Dann griff sie zu ihrem Glas, trank einen Schluck und sah aus dem Fenster. Rotwein und Männerblicke, ja, so würde sie den Abend überstehen …

Die Sonne ging bereits unter, warf aber noch genug Licht aufs Meer, sodass die weißen Schaumkronen auf der Brandung zu erkennen waren.

„Toller Ausblick“, meinte Cade.

„Ja.“ Sie stellte das Glas ab, strich geistesabwesend über den Stiel, schob ihr Besteck zusammen und wieder auseinander. Lange hielt sie das Warten nicht mehr aus. Sie sah Cade an, suchte krampfhaft nach Ablenkung. „Sie sehen Alex nicht besonders ähnlich“, sagte sie.

Cade spürte, wie sich sein Nacken verspannte – wie immer, wenn die Sprache auf seine Kindheit kam. „Wir sind Stiefbrüder. Mein Vater hat seine Mutter geheiratet.“

„Oh, ich dachte immer, Sie und er wären Halbbrüder.“

Je weniger er erzählte, umso besser. „Nein.“

„Dann war es Ihr Vater, der …“ Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte.

„Alex als Punchingball benutzt hat?“ Die Erinnerungen erzeugten einen bitteren Geschmack im Mund. „Ja.“

„Das tut mir leid. Es muss schwer gewesen sein, so aufzuwachsen.“

Das war noch beschönigend ausgedrückt. Nachdem Alex es nicht mehr ausgehalten hatte, war er gegangen. Cades Vater hatte sich immer öfter besinnungslos betrunken und sich nicht mehr um seinen Sohn gekümmert. Oder einfach zugeschlagen, wenn er ihm in die Quere kam. Das war die Zeit gewesen, wo Cade bei den reichen Hausfrauen von Beverly Hills Zuflucht und finanzielle Absicherung gefunden hatte.

„Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht“, sagte er. „Wie ist Ihr Verhältnis zu Alex? Waren Sie und er ein …“

Callie blickte ihn verwundert an. Glaubte er wirklich, dass sie darauf antworten würde? „Wir sind Freunde.“ Ja, sie hatten eine kurze, heiße Affäre gehabt, jedoch schnell begriffen, dass es ein Fehler gewesen war. Die daraus entstandene Freundschaft bestand aber bis heute.

Doch das ging Cade nichts an.

„Alex ist sehr verschlossen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er jemanden erzählt hat, was er durchgemacht hat.“

„Er hat nicht viel gesagt. Ich habe mehr zwischen den Zeilen gelesen.“

„Immerhin hat er Ihnen erzählt, dass er als Kind zu Hause misshandelt wurde. Für ihn ist das schon viel.“ Sogar mit Cade hatte er wenig darüber geredet, obwohl Cade unzählige Male Zeuge der Brutalität seines Vaters gewesen war.

Callie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hatte er hier, weit weg von allem, mehr Abstand und konnte leichter darüber sprechen.“

Cade hätte gern noch weiter nachgehakt, aber da sah er, wie ein älteres Paar das Restaurant betrat und einen der Kellner ansprach. Der Mann hatte rotes Haar und einen dichten rotblonden, von grauen Strähnen durchzogenen Vollbart. „Ich glaube, da sind sie.“

Callie drehte sich um, mit Herzklopfen. Sie winkte ihren Eltern zu, während die vertraute Mischung widersprüchlicher Gefühle sie erfüllte: Liebe, Sehnsucht, Enttäuschung, Ärger, Bedauern.

Sie wandte sich wieder Cade zu. „Bereit?“, fragte er. Als sie nickte, stand er auf, blickte ihren Eltern entgegen. Callie tat es ihm nach, und da waren sie auch schon am Tisch angekommen.

Callie umarmte erst ihre Mutter, dann ihren Vater und stellte Cade vor. Der bot ihrer Mutter seinen Stuhl an, damit sie neben ihrem Mann sitzen konnte, und nahm neben Callie Platz.

„So etwas sehen wir bei uns zu Hause eher nicht.“ Duncan Richards deutete auf den Ozean hinter den Fenstern.

„Grandios, nicht wahr?“, sagte Cade.

„Sie sind auch nicht von hier, oder?“, fragte Duncan, während der Kellner die Speisekarten verteilte und Callie anlächelte.

Die merkte es gar nicht. Sie spürte den Blick ihrer Mutter, fühlte sich taxiert, hörte förmlich, wie ihre Mutter mit sich haderte, sich fragte: Was habe ich nur falsch gemacht?

Callie konzentrierte sich auf die Speisekarte, hörte abwesend zu, wie Cade erzählte, woher er kam, und wie ihr Vater ihn fragte, worin sich Australien und die USA unterschieden. Aber sie wusste, dass es bald zur Sache gehen würde, also um sie und um ihr Leben. Und tatsächlich, sobald der Kellner ihre Wünsche notiert und sich vom Tisch entfernt hatte, legte ihre Mutter los.

„Wie geht es dir, Darling? Wir haben dich ja so lange nicht gesehen. Deine Nichten und Neffen sind schon wieder ein Stück gewachsen, du weißt gar nicht, was du verpasst. Und bei Anne-Marie ist es bald wieder so weit – das vierte Kind!“

Margaret Richards bedachte Cade mit einem gezwungenen Lächeln, bevor sie sich wieder ihrer Tochter zuwandte. „Erzähl mir von deiner tollen Karriere. Wie viele Babys hast du jetzt schon zur Welt gebracht?“

Cade hätte schon taub sein müssen, um die bemühte, fast missbilligende Betonung auf „deiner tollen Karriere“ nicht mitzubekommen. Vorhin hatte er Callie noch zurechtgewiesen, aber jetzt tat sie ihm leid. Unbemerkt von den beiden anderen, legte er Callie unter dem Tisch die Hand auf den Oberschenkel und drückte ihn leicht. Aus reiner Solidarität, zur Unterstützung.

Durch den Jeansstoff hindurch spürte er ihre Wärme an den Fingern, und plötzlich fiel es ihm schwer, die Hand wieder von ihrem Bein zu lösen.

Er musste sich regelrecht dazu zwingen.

Callie wurde heiß in dem Moment, als Cades Handfläche sie berührte. Die Hitze schoss an der Innenseite ihres Schenkels entlang, sammelte sich zwischen ihren Beinen. Es spielte keine Rolle, dass Cade die Hand schnell wieder wegzog. Das Gefühl blieb. Ein Prickeln, ein Kribbeln, von dem sie mehr wollte …

Sie spürte ihm nach, genoss es lieber, statt sich über ihre Mutter zu ärgern, die immer wieder zu vergessen schien, dass sie keine Geburtshelferin war.

„Ich mache selten Entbindungen, Mum. Dafür haben wir unsere Hebammen und Geburtshelfer.“

„Du holst gar keine Babys?“ Verwirrt sah Margaret ihren Mann und dann wieder ihre Tochter an. „Aber ich dachte, du bist ein Babydoktor?“

Callie zählte stumm bis fünf, um eine scharfe Antwort hinunterzuschlucken. Wie oft hatte sie ihr schon den Unterschied zwischen Gynäkologie und Geburtshilfe auf der einen und ihrem Job auf der anderen Seite erklärt?

„Meine Arbeit besteht hauptsächlich darin, kranke Neugeborene zu behandeln. Ich kümmere mich um die Frühchen, die auf die Intensivstation müssen. Und um werdende Mütter und ihre Babys, wenn vor der Geburt Komplikationen auftreten. So wie Cade auch.“ Sie wandte sich ihm zu und lächelte. „Cade operiert sogar Babys, wenn sie noch im Mutterleib sind.“

Margaret schnappte nach Luft. „Das können Sie?“

Cade unterdrückte ein Lachen. Callies wunderschöne grünblaue Augen bettelten buchstäblich um Beistand. „Ja“, antwortete er. „Das ist möglich – wenn die Umstände stimmen.“

Autor

Amy Andrews
<p>Amy war ein Kind, das immer eine Geschichte im Kopf hat. Ihr Lieblingsfach war English und sie liebte es Geschichten zu schreiben. Sollte sie einen Aufsatz mit nur 100 Worten schreiben – schrieb Amy 1.000 Worte. Anstatt nur eine Seite bei dem Thema „ Beschreibt auf einer Seite eure Sommerferien“...
Mehr erfahren
Fiona Lowe
Fiona Lowe liebt es zu lesen. Als sie ein Kind war, war es noch nicht üblich, Wissen über das Fernsehen vermittelt zu bekommen und so verschlang sie all die Bücher, die ihr in die Hände kamen. Doch schnell holte sie die Realität ein und sie war gezwungen, sich von den...
Mehr erfahren
Janice Lynn
Janice Lynn hat einen Master in Krankenpflege von der Vanderbilt Universität und arbeitet in einer Familienpraxis. Sie lebt mit ihrem Ehemann, ihren 4 Kindern, einem Jack-Russell-Terrier und jeder Menge namenloser Wollmäuse zusammen, die von Anbeginn ihrer Autorenkarriere bei ihr eingezogen sind.
Mehr erfahren