Julia Ärzte zum Verlieben Band 91

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

HOCHZEITSGLOCKEN FÜR SCHWESTER JILL von LENNOX, MARION
"Willst du mich heiraten?" Als Dr. Charles Wetherby ihr spontan einen Antrag macht, sagt Jill sofort Ja. Offiziell natürlich zu einer reinen Zweckehe, um ihr gemeinsames Pflegekind adoptieren zu können. Insgeheim findet sie ihren Chef allerdings unwiderstehlich sexy …

HAPPY END MIT DEM PLAYBOY-DOC? von ANDREWS, AMY
Dr. Adam Carmichael begehrt die süße Jessica geradezu schmerzlich. Aber jüngere Frauen wie sie stellen Ansprüche und wollen Liebeserklärungen hören, statt einfach nur leidenschaftliche Nähe zu genießen! Trotzdem kann der Playboy-Doc es nicht lassen, Jessica zu küssen …

WENN AUS FREUNDSCHAFT PLÖTZLICH MEHR WIRD von WEBBER, MEREDITH
Woher kommt dieses ungewohnte Kribbeln, sobald Nick sie ansieht? Whillimina hat den attraktiven Arzt immer als ihren allerbesten Freund betrachtet, nicht mehr - und nicht weniger! Doch als er jetzt in ihren Heimatort zurückkehrt, erwachen rätselhafte Gefühle in ihr …


  • Erscheinungstag 23.09.2016
  • Bandnummer 0091
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707576
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marion Lennox, Amy Andrews, Meredith Webber

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 91

MARION LENNOX

Hochzeitsglocken für Schwester Jill

Dr. Charles Wetherby will Jill nur aus einem Grund heiraten: um dem Waisenkind Lily ein neues Zuhause zu geben. Auch wenn er sich eingestehen muss, dass er sich immer stärker zu seiner hübschen Pflegedienstleiterin hingezogen fühlt. Doch aufgrund seiner Verletzung kann er schließlich nicht erwarten, dass eine Frau mehr als Mitleid für ihn empfindet, oder?

AMY ANDREWS

Happy End mit dem Playboy-Doc?

Ein nackter Mann in ihrem Bett! Jessicas Herz schlägt höher, als sie Dr. Adam Carmichael entdeckt. Aber Vorsicht: Der große Bruder ihrer Freundin ist ganze zwölf Jahre älter als sie und obendrein ein notorischer Playboy. Also leider absolut nicht der Richtige für das Liebesmärchen mit Happy End, das sie sich so sehnsüchtig erträumt. Was nun?

MEREDITH WEBBER

Wenn aus Freundschaft plötzlich mehr wird

Ist Whillimina schon immer so schön gewesen? fragt Dr. Nick Grant sich verwundert, als er die Krankenschwester nach fünf Jahren erstmals wiedersieht. Oder hat er sie einfach nie als Frau betrachtet, weil sie schon seit dem Kindergarten befreundet sind? Vergeblich versucht er sich einzureden, dass die ungewohnte Spannung zwischen ihnen nur am Jobstress liegt …

1. KAPITEL

„Ihr müsst verheiratet sein, sonst kommt sie woandershin.“

Toms Worte schlugen in Charles Wetherbys Büro wie eine Bombe ein. Jill und Charles starrten Lilys Onkel ungläubig an.

Wendy brach die lastende Stille. Wendy war Lilys Sozialarbeiterin. Sie hatte sich um die Formalien gekümmert, nachdem die Eltern des kleinen Mädchens vor einem Jahr tödlich verunglückt waren, und sich dafür eingesetzt, dass Charles und Jill für Lily sorgen konnten.

„Fassen wir noch einmal zusammen“, sagte sie und gewann damit Zeit in einer Situation, die außer Kontrolle zu geraten drohte. „Bisher ist doch alles gut verlaufen, Tom.“

Damit hatte sie recht. Lilys Mutter war eine entfernte Cousine und ihr Mann ein guter Freund von Dr. Charles Wetherby gewesen, dem Medizinischen Direktor des Crocodile Creek Base Hospital. Und Jill Shaw war die Pflegedienstleiterin der Klinik.

„Wir haben sie so gern bei uns“, flüsterte Jill.

Weder sie noch Charles mochten sich das sechsjährige Mädchen in einer fremden Familie vorstellen. Sie kümmerten sich gemeinsam um Lily, hatten sogar eine Verbindungstür in die Wand zwischen ihren Wohnungen einsetzen lassen, um dem Kind ein richtiges Zuhause zu geben. Sie waren in fast jeder Beziehung Partner. Aber Tom schien das nicht zu genügen. Er war Lilys gesetzlicher Vormund, hatte selbst sechs Kinder aus zwei Ehen und wollte seine Nichte nicht bei sich aufnehmen. Dennoch störte er sich an Lilys Lebensumständen.

„Bei Charles und Jill ist sie wirklich sehr gut aufgehoben“, betonte Wendy. „Für Lily wäre es das Beste, wenn sie in Crocodile Creek bleiben könnte. Sie wurde hier geboren, hat hier ihre Freunde. Hier war von Anfang an ihr Zuhause, und das ist für ihr Wohl und ihre Entwicklung sehr wichtig.“

„Die Leute stellen Fragen. Warum wir sie nicht nehmen und so weiter. Das macht meiner Frau ein schlechtes Gewissen. Zu uns kann sie nicht, aber ich will nicht immer wieder antworten müssen, dass sie in Pflege ist. Ich will, dass sie adoptiert wird, und meine Frau meint, dass die Leute, die sie nehmen, verheiratet sein müssen. Wir möchten sagen können, dass sie anständig untergekommen ist.“

Anständig untergekommen … wie ein streunender Hund, dachte Charles. Aber Lily war kein Streuner, sondern eine muntere Sechsjährige, die die Herzen aller im Sturm eroberte. Doch es waren Narben geblieben, für die meisten anderen unsichtbar. Er sah den Wagen vor sich, schrottreif nach dem furchtbaren Unfall. Man hatte die Fahrerkabine aufschneiden müssen, um die beiden Toten zu bergen, und erst da das kleine Mädchen entdeckt, das starr vor Schreck hinter den Sitzen kauerte.

„Sie braucht uns, Tom“, sagte er barsch. „Nach außen hin wirkt sie fröhlich, ein lebhaftes Mädchen, das für jedes Abenteuer zu haben ist. Doch für ein Kind ihres Alters ist sie zu selbstständig, zu unabhängig. Und sie hat fast jede Nacht Albträume.“

„Sie fängt gerade an, sich uns zu öffnen“, fügte Jill eindringlich hinzu.

Charles blickte zu ihr hinüber. Das Vertrauen ins Leben wiederfinden … das galt nicht nur für Lily, sondern auch für Jill. Um einer brutalen Ehe zu entrinnen, war sie nach Crocodile Creek geflüchtet und begann erst jetzt allmählich, sich zu entspannen. Jill hatte das kleine Mädchen tief in ihr Herz geschlossen. Und er selbst?

Er war zwanzig Jahre allein gewesen, ein Einzelgänger. Dass er ein Loch in seine Esszimmerwand reißen ließ, um sein Leben mit Jill und Lily zu teilen, war längst nicht selbstverständlich. Und nun drohte man ihm Lily wegzunehmen!

„Wir möchten, dass sie bei uns bleibt“, sagte er.

„Dann heiratet!“, fuhr Tom ihn an.

„Das geht nicht“, flüsterte Jill.

„Doch.“ Charles drehte seinen Rollstuhl so, dass er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Warum nicht? Wir tun es für Lily.“

Einen Moment lang herrschte Stille. Dann lächelte Wendy erleichtert. Sie musste ein Kind, um das sie sich immer noch Sorgen machte, nicht weiterreichen.

Tom war auch zufrieden. „Aber bringt das schnell über die Bühne. Wie lange braucht man für das Aufgebot und den anderen Kram? Ich gebe euch vier Wochen. Danach lasse ich sie von jemand anders adoptieren.“

Er verabschiedete sich mit grimmiger Miene und verließ das Haus. Nein, er hatte Lily nicht noch einmal sehen wollen. Tom mochte ihr Onkel sein, aber sie interessierte ihn nicht.

„Das ist großartig“, sagte Wendy, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Das Krankenhaus war ein lang gestreckter, flacher Bau, eingebettet in tropische Gärten und mit Blick auf den Ozean. Wendy sah durchs Fenster nach draußen, wo Lily auf einer Reifenschaukel saß, die von einem mächtigen Feigenbaum herabhing. „Einfach fantastisch!“

„Es bedeutet, dass sie bleiben kann“, meinte Charles mit einem unsicheren Blick zu Jill.

„Mehr als das“, antwortete Wendy sanft. „Lily braucht Zuwendung, Menschen, die bereit sind, für sie da zu sein.“

„Das sind wir.“ Endlich brach Jill ihr Schweigen.

„Nein, ihr tut das, was ihr für richtig haltet. Keiner von euch lässt sich wirklich auf sie ein.“

„Was zum Teufel meinst du damit?“, wollte Charles wissen.

„Ihr seid beide auf eure Unabhängigkeit bedacht und lebt für euren Beruf. In der Vergangenheit hat euch das Schicksal übel mitgespielt, sodass es nur natürlich ist, dass jeder von euch sich in sein Schneckenhaus zurückgezogen hat, um nicht wieder verletzt zu werden. Dennoch seid ihr liebenswert und sehr sympathisch.“ Wendy schob ihre Unterlagen zusammen, bereit, aufzubrechen. „Sonst hätte ich Lily niemals in eure Obhut gegeben. Aber ihr müsst lernen zu lieben. Mehr als alles andere braucht dieses kleine Mädchen Liebe.“

„Wir lieben sie!“, unterbrach Jill sie heftig.

„So sehr, dass ihr bereit seid zu heiraten. Das hat mich überrascht – und unglaublich gefreut.“ Lächelnd stand sie auf. „Ihr schafft das. Du und Charles und Lily. Heiratet und lernt, euch auf all das einzulassen, was Liebe ausmacht. Danach kann ich Lilys Akte endgültig schließen. Ach ja, und ich möchte eine Einladung zu eurer Hochzeit! Tom hat euch nicht viel Zeit gelassen. Am besten fangt ihr gleich damit an, Blumen und die Hochzeitstorte zu bestellen.“

Damit verließ sie sie, beugte sich draußen zu Lily hinab, verabschiedete sich und verschwand dann. Für eine sechzigjährige grauhaarige Sozialarbeiterin hatte sie einen erstaunlich jugendlichen, schwungvollen Gang.

Jill und Charles starrten ihr nach. Vermieden es, einander anzusehen.

„Was hast du getan?“, sagte sie schließlich in die Stille hinein.

„Ich habe dich wohl gebeten, mich zu heiraten.“

„Ich … Das können wir nicht.“

„Warum nicht?“

„In einem Monat?“ Ihre Stimme klang erstickt.

„Stimmt, das könnte schwierig werden. Wir haben einiges vor uns.“

Vor sechs Monaten hatte ein tropischer Wirbelsturm entlang der nördlichen Küstenlinie von Queensland eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Der Schaden war katastrophal gewesen – weniger hier auf dem Festland als vielmehr draußen auf Wallaby Island. Dort hatte der Sturm die Krankenstation und vor allem Charles’ Lieblingsprojekt getroffen, eine Einrichtung für schwer kranke und behinderte Kinder. Mithilfe öffentlicher und privater Mittel und der tatkräftigen Unterstützung vieler Helferinnen und Helfer hatten sie das Camp wieder aufbauen können, und allmählich kehrte so etwas wie Normalität ein. In dieser Woche wurden die ersten Kinder erwartet. Am Samstag sollte es offiziell eröffnet werden.

„Ich glaube, Heiraten geht recht schnell.“ Charles rollte auf die Veranda hinaus.

Unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte, folgte Jill ihm. Schweigend sahen sie aufs Meer hinaus.

„Ich hätte dich erst fragen müssen“, meinte Charles.

„Nein, das ist schon in Ordnung.“

„Geschieden bist du doch, oder?“

Ein kühles Lächeln umspielte ihren Mund. „Glaubst du ernsthaft, dass ich an dieser Ehe festgehalten hätte?“

„Jill, falls du irgendwann jemand anders heiraten möchtest …“ Charles drehte geschickt den Rollstuhl zu ihr herum. Mit seinem Gefährt war er genauso beweglich wie ein Mann auf seinen zwei Beinen. Als kleiner Junge war er Opfer eines Unfalls geworden, bei dem sein Bruder versehentlich auf ihn geschossen hatte. Mit eisernem Willen trainierte Charles auch heute noch täglich, sodass sein Körper athletisch war wie der eines Leistungssportlers. Die Lähmung betraf den unteren Lendenwirbelbereich. Charles konnte die Muskeln darüber voll kontrollieren, und seine Beine waren eingeschränkt funktionsfähig. An Unterarmgehstützen konnte er sich, wenn auch unter Mühen, fortbewegen. Und obwohl ihm Füße und Knie kaum gehorchten, absolvierte er tagtäglich ein hartes Trainingsprogramm, wofür Jill ihn nur bewunderte.

Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie Charles überhaupt bewunderte. Ein kluger, hochintelligenter Mann, der eine natürliche Autorität ausstrahlte. Er war groß, schlank und vorzeitig ergraut, was seiner Attraktivität keinen Abbruch tat. Im Gegenteil, seine blitzenden grauen Augen und seine einzigartige Persönlichkeit hatten etwas magnetisch Anziehendes. Er mochte im Rollstuhl sitzen, er mochte über vierzig sein, aber Jill fand ihn einfach sexy.

Und er hatte sie gebeten, seine Frau zu werden.

Nein, er hatte gesagt, dass sie heiraten würden. Das war ein großer Unterschied.

„Willst du mich nicht heiraten?“, fragte sie, als er nicht weitersprach.

„Warum sollte ich das nicht wollen? Du bist eine sehr attraktive Frau.“

„Na klar.“

„Doch, das meine ich ernst.“

Sie blickte an sich hinunter. Lily und sie hatten sich heute Morgen die Fußnägel lackiert. Scharlachrot. Jill trug eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt, bei dem die Ärmel herausgerissen waren. Ihr volles kastanienbraunes Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihr sommersprossiges Gesicht war ungeschminkt.

Jill war siebenunddreißig Jahre alt. Die jungen Krankenschwestern und Ärztinnen, die im Crocodile Creek Hospital arbeiteten, sahen blendend aus, jung, frisch, voller Leben. Verglichen mit ihnen fühlte sie sich alt. Angenagt vom Zahn der Zeit.

„Du kannst mir vertrauen“, sagte Charles sanft. „Unsere Ehe braucht nur auf dem Papier zu bestehen, wenn du die Vorstellung nicht erträgst, dass …“

Sie hob den Kopf, sah ihn an. Charles, der so klug, so intelligent war, so streng. Aber auch humorvoll, traurig und verschlossen. Wie komme ich bloß auf die Idee, ihn zu heiraten?

„Na… Natürlich besteht sie nur auf dem Papier“, brachte sie heraus.

„Selbstverständlich“, sagte er und klang plötzlich sehr müde.

„Tom lässt Lily nicht bei uns, wenn wir nicht heiraten.“ Jill wandte sich ab, kämpfte um Haltung. „Du willst Lily doch?“

„Du willst sie auch. Oder etwa nicht?“

Jill blickte in den Garten hinaus, wo sich Lily auf ihrer Schaukel höher und höher schwang. Will ich eine Tochter?

Mehr als alles auf der Welt, dachte sie. Ihr Leben war leer gewesen, bevor Lilys Eltern verunglückten. Leer, seit sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Vielleicht auch schon seit ihrer Hochzeit.

„Was zum Teufel hat er getan, dass du so ängstlich bist?“, wollte Charles wissen.

„Ich bin nicht ängstlich.“

„Nicht bei deiner Arbeit, das meinte ich nicht. Offen gesagt bist du die beste Krankenschwester, mit der ich jemals zusammengearbeitet habe. In deinem Privatleben allerdings …“

„Es ist alles in Ordnung.“

„Du lässt nicht viel heraus.“

„Du auch nicht.“

„Vielleicht habe ich allen Grund dazu“, murmelte er. „Verdammt, Jill, glaubst du, wir schaffen es, eine gute Ehe zu führen?“

„Ich … Wäre es so viel anders als das, was wir jetzt haben?“

„Wohl nicht. Aber ich muss dir einen Ring kaufen.“

„Musst du nicht.“

„Und ob! Lass es uns gleich offiziell machen.“ Er blickte auf seine Uhr. „Könnte allerdings etwas knapp werden. In einer halben Stunde steht die OP bei Muriel Mooronwa an, und ich habe Cal versprochen, ihm zu assistieren. Wenn wir Glück haben, sind die Geschäfte danach noch geöffnet. Und morgen muss ich zur Insel.“ Charles schwieg nachdenklich. „Ich hatte Lily versprochen, sie mitzunehmen. Was hältst du davon, den Dienstplan zu ändern, damit du mitfahren kannst? Dann könnten wir dort alle Einzelheiten besprechen.“

„Das geht nicht. Eine leitende Kraft sollte im Krankenhaus bleiben.“

„Ich bitte Cal und Gina hierzubleiben. Cal macht so oft Vertretung, dass er praktisch die Verantwortung trägt.“

„Er ist keine Krankenschwester. Ärzte glauben zwar, dass sie alles wissen, doch wenn es um Praktisches geht, sind sie meistens überfordert.“

„Willst du nicht mitkommen?“

„Nein“, erwiderte sie matt.

„Jill, wir müssen das nicht tun. Ich werde dich nicht gegen deinen Willen heiraten.“

„Natürlich nicht.“

Ärger blitzte in seinen grauen Augen auf. „Das ist mir zu wenig! Ich will keine unterwürfige Frau.“

„Was soll das heißen?“

„Das werde ich dir sagen: Ich habe dich als Pflegedienstleiterin eingestellt und erlebe dich in deiner Position als kompetent, durchsetzungsfähig, manchmal humorvoll und gelegentlich gefühlsmäßig stark engagiert. Eine Frau, die meinem Pflegepersonal guttut. Und diese Frau bitte ich, mich zu heiraten – und nicht einen Schatten dessen, was du bei Kelvin warst.“

„Über Kelvin bin ich hinweg.“

„Bist du nicht“, widersprach er sanft. „Ich könnte diesen miesen Kerl erwürgen. Aber viel mehr noch wünsche ich mir, dass du neu anfangen kannst. Mit einem tollen Mann, der dir ein unbeschwertes Leben bietet, mit Kindern, mit Tanzen gehen, mit allem, was dein Herz begehrt. Das kann ich leider nicht. Wir hängen fest mit dem, was das Schicksal uns in den Schoß gelegt hat. Doch wir wollen Lily ein schönes Zuhause schaffen. Ein Kind glücklich zu machen, ist ein wunderbares Ziel. Meinst du, es wäre eine gute Basis für eine Ehe?“

Jill holte tief Luft, drehte sich um und lehnte sich an die Verandabrüstung, um Charles anzusehen. „Ich höre mich undankbar an, ich weiß.“

„Nein, eher unsicher und verwirrt. So, wie ich mich fühle.“

„Du begräbst deine Träume.“

„Ich gestatte mir keine Träume. Wir wissen beide, wie es ist, wenn das Leben einem übel mitspielt. Dass man untergehen kann, wenn man seinen Verstand nicht benutzt. Und wir haben nicht wenig: unsere Freundschaft, gegenseitige Achtung und Lily. Genügt das nicht, um eine gute Ehe zu führen?“

„Für Lily?“

„Nicht nur.“ Charles beobachtete das Mädchen, das immer noch vergnügt schaukelte. „Auch ein bisschen für uns selbst.“

„Weil wir Lily lieben“, flüsterte Jill.

„Und weil es die beste Lösung ist. Was meinst du, Jill? Willst du mich heiraten?“

„Solange du keine … echte Ehe erwartest.“

„Nach außen hin muss sie echt wirken. Für Lily und alle anderen sollte klar sein, dass wir verheiratet und ihre Adoptiveltern sind.“

„Sie nennt uns Jill und Charles.“

„Wendy sagt, das macht nichts.“

„Ja, schon, aber ich fände es schön, wenn sie zu mir …“ Sie unterbrach sich. „Okay, damit kann ich leben. Charles, meinst du es wirklich ernst?“

„Sehr ernst.“

„Dann heirate ich dich“, flüsterte sie.

Es war eine ungewöhnliche, eine folgenschwere Entscheidung, doch Charles lächelte. „Eigentlich müsste ich jetzt vor dir auf die Knie sinken.“

„Und ich erröten und verlegen lächeln.“

„Es ist gut so, wie es ist.“ Er griff nach ihrer Hand, und bevor sie ahnte, was er vorhatte, küsste er sie zart auf den Handrücken. „Das Beste, was wir tun können. Und es gibt niemanden, den ich lieber heiraten würde als dich.“

Helles Gelächter drang zu ihnen herauf. Am anderen Ende des Rasens lag das Ärztehaus, wo junge Mediziner aus aller Welt wohnten. Sie kamen für ein oder zwei Jahre, um in dieser abgeschiedenen Gegend freiwillig Dienst zu leisten. Zwei Frauen eilten den Weg entlang, beide in weißen Kitteln, das Stethoskop um den Hals. Sie waren herrlich jung und unbeschwert, eine hübscher als die andere.

Er möchte niemanden lieber als mich heiraten? Das wagte Jill zu bezweifeln. Charles war ein wunderbarer, ein atemberaubender Mann. Dass er körperlich eingeschränkt war, spielte für sie keine Rolle.

Für ihn hingegen schon. Ein Grund, warum er nie sein Herz verschenken würde.

Dann kann ich ihn auch heiraten, dachte sie. Außerdem … Fast versteckt, ganz tief in ihr regte sich der Gedanke, dass es … nun ja, interessant werden könnte, mit Charles Wetherby verheiratet zu sein. Charles, den einstimmig alle weiblichen Wesen, die hier gearbeitet hatten oder noch arbeiteten, als den aufregendsten Mann im Rollstuhl bezeichneten, den sie je gesehen hatten.

„Okay.“ Jill brachte sogar ein Lächeln zustande. Ein echtes Lächeln, das sich gut anfühlte.

„Was ist okay?“

„Ich heirate dich.“

„Sehr schön.“ Lächelnd gab er ihre Hand frei. „Lass uns diese OP über die Bühne bringen, und dann fahren wir in die Stadt und kaufen dir einen Ring.“

„Einen Ring?“

„Und zwar einen verdammt großen Diamanten. Wenn schon, denn schon.“

„Nein, Charles.“

„Doch, Jill.“ Er schwang den Rollstuhl herum und rollte zu der Rampe, die auf den Weg führte. Die Entscheidung war gefallen, jetzt ging es weiter. „Wir sollten es Lily sagen.“

„Noch nicht“, bat sie. Es kam alles so plötzlich, sie brauchte ein bisschen Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen.

„Dann heute Abend, wenn wir sie ins Bett bringen. Je eher sie Bescheid weiß, umso besser. Uns bleibt nicht viel Zeit, um die Hochzeit zu organisieren. Wir sollten keine Minute davon verschwenden.“

2. KAPITEL

Nicht dass Charles jemals Zeit verschwenden würde. Stillstand kannte der Mann gar nicht.

Jill reichte Cal die gewünschten Instrumente, während er bei Muriel Mooronwa den Leistenbruch operierte. Der Eingriff war längst überfällig, und es grenzte an ein Wunder, dass Muriel ihm endlich zugestimmt hatte.

Das verdankte sie Charles. Vor zehn Jahren wären Frauen wie sie immer schwächer geworden, bis sie an den Folgen der Hernie starben. Muriel gehörte, neben vielen anderen in dieser Gegend, zu den indigenen Australiern, die bei ihrem Stamm aufgewachsen waren. Sie scheute Großstädte und alles, wofür sie standen. Sie misstraute weißen Ärzten. Doch Charles hatte für diese Menschen eine medizinische Grundversorgung aufgebaut, die ihresgleichen suchte.

Nachdem Charles angeschossen worden war, galt er bei seiner Familie, einer Dynastie wohlhabender, einflussreicher Farmer, als nutzlos. Was sie verloren, bedeutete für die Region jedoch einen Riesengewinn. Charles studierte Medizin, um hinterher in seiner Heimat eine Klinik aufzubauen, von der andere abgeschiedene Siedlungen im Outback nur träumen konnten. Er hatte eine Vision: Er wollte Bedingungen schaffen, um Ärzte aus aller Welt hierherzuholen. Manche überzeugte er sogar, für immer zu bleiben. Wie den hochbegabten Chirurgen Cal oder Gina, eine amerikanische Kardiologin. Jill war immer wieder verblüfft, wie Charles es schaffte, andere für seine Pläne zu begeistern.

Und es blieb nicht bei der Klinik. Sobald sie und die angeschlossene Flugrettung auf festen Füßen standen, kam das Kindercamp auf Wallaby Island dazu. Hier sollten behinderte und kranke Kinder aus ganz Australien die schönsten Ferien ihres Lebens verbringen können, ohne auf erstklassige Reha-Maßnahmen verzichten zu müssen.

„Tagträumerchen“, sagte Charles sanft, dem nichts entging. Die OP war nahezu beendet, Cal schloss die Wunde. „Wovon träumst du, von Diamanten?“, fügte er neckend hinzu.

Jill schnappte nach Luft. „Nein!“

„Habe ich richtig gehört?“ Cal machte große Augen. „Diamanten?“

„Vielleicht nur einer“, entgegnete Charles. „Jill, da Gina und Cal unsere Chefbabysitter sind, sollten sie es zuerst erfahren, oder? Was meinst du?“

„Wollt ihr beiden heiraten?“

„Nur wegen Lily“, antwortete Jill hastig.

Die Freude in Cals Blick verlor an Glanz. „Warum?“

„Wenn wir nicht heiraten, wird Lily von jemand anders adoptiert“, erklärte Charles. „Und wir haben uns daran gewöhnt, sie bei uns zu haben.“

„Du meinst, ihr liebt sie“, erwiderte Cal lächelnd. „Was ist passiert?“

„Ihr Onkel will sie adoptieren lassen. Er ist ihr Vormund und möchte, dass sie bei einem Ehepaar aufwächst.“

„Wir können sie nicht weggeben“, sagte Jill. „Alle hier lieben Lily.“

„Oh, ja.“ Cal dachte sicher daran, wie oft Lily mit seinem und Ginas Sohn spielte. Der kleine CJ und Lily waren die besten Freunde. „Wann ist der große Tag?“

„Ich … Wir haben vier Wochen Zeit.“

„Hey, das ist der beste Anlass, um eine Party zu feiern!“, begeisterte sich Cal.

„Wir heiraten im kleinen Kreis.“ Die Worte waren heraus, ehe Charles darüber nachdenken konnte. „Kein Brimborium.“

„Kein Brimborium“, wiederholte Jill.

Charles warf ihr einen Blick zu. Er hätte sich treten können, dass er schon wieder entschieden hatte, ohne sie zu fragen.

„Und keine Fotos“, setzte sie mit ausdrucksloser Stimme hinzu.

Von Freude keine Spur.

Natürlich nicht. Ihre erste Ehe war die Hölle gewesen. Was für andere das höchste Glück bedeutete, barg für Jill die schlimmsten Erfahrungen ihres Lebens. Kein Wunder, dass sie ihrem Hochzeitstag nicht jubelnd entgegensah.

Charles wusste nur wenig aus ihrer Vergangenheit, und diese Einzelheiten hatte er nicht von Jill, sondern von seinem Freund Harry, dem Polizisten von Crocodile Creek. Sie war noch sehr jung gewesen, als sie heiratete, und ohne jede familiäre Unterstützung. Ihr Mann misshandelte und demütigte sie auf das Schlimmste. Mehrmals hatte sie vergeblich versucht, ihm zu entkommen. Der letzte Versuch wäre für sie beinahe tödlich ausgegangen. Hätte ein Urlauberpaar nicht zufällig vom Anlegesteg aus beobachtet, wie Jill vom Fischerboot ihres Mannes ins Wasser stürzte, und sie gerettet, hätte sie nicht überlebt.

Zum Glück hatten die traumatischen Ereignisse diese kluge, mutige Frau nicht brechen können. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, begann sie mithilfe von Mitarbeiterinnen des Frauenhauses weitab vom Wohnort ihres Mannes ein neues Leben. Mit einem neuen Namen und einer Ausbildung zur Krankenschwester.

Jill bestand ihr Examen mit Auszeichnung. Als sie sich bei ihm auf die Stelle der Pflegedienstleitung bewarb – in einer der entlegensten Regionen Australiens –, da hatte Charles sein Glück nicht fassen können.

Doch Jill war nicht glücklich. Sie wirkte mitgenommen, als hätten die Ereignisse des Nachmittags sie jeglicher Kraft beraubt. Hatte sie Angst? Nicht nur davor, dass ihr Exmann sie finden könnte, sondern auch vor ihm? Verdammt, sie sollte wissen, dass ich ihr niemals wehtun würde, dachte Charles. Außerdem war sie einverstanden gewesen. Sie liebt Lily, sie will, dass wir heiraten.

„Cal, wir sind fertig“, sagte er unbeabsichtigt barsch. „Könntet Gina und du noch ein paar Stunden auf Lily aufpassen?“

„Klar. Wir müssen für den Trip nach Wallaby Island packen. Das geht schneller, wenn Lily uns CJ vom Hals hält.“

„Gut.“ Er musste auch packen, doch das konnte warten. „Sagt Lily noch nichts, sie soll es erst heute Abend von uns erfahren. Jill und ich wollen essen gehen und müssen jetzt los.“

„Es ist gerade mal vier Uhr“, meinte Jill verwundert. „Wozu die Eile?“

„Wir müssen uns umziehen und in der Stadt sein, bevor der Juwelier schließt. Ich war noch nie verlobt, und wenn wir schon heiraten, dann lass es uns wenigstens stilvoll tun, Jill.“

Ich brauche keinen Ring. Ich muss nicht heiraten. Doch sie sprach die Worte nicht aus. Oh, worauf habe ich mich bloß eingelassen?

Jill stand in ihrem kleinen Schlafzimmer und spähte ratlos in den Kleiderschrank. Du gehst mit Charles aus. Jeans und weiße Bluse?

„Zieh ein Kleid an!“, rief Charles von seinem Schlafzimmer herüber.

Jill besaß nur eins. Sie hatte es gekauft, als die erste Hochzeit in Crocodile Creek stattfand. Und es im letzten Jahr nicht weniger als acht Mal getragen! Die vielen Mediziner, die hierherkamen, schienen für Romantik besonders empfänglich zu sein. Alle Einheimischen amüsierten sich inzwischen darüber und hatten das Ärztehaus schon in „Hochzeitskapelle“ umbenannt.

Jill selbst hatte nie im Ärztehaus gewohnt. Ihre Unabhängigkeit bedeutete ihr viel.

Was mache ich hier nur?

Klar, sie wollte Lily behalten. Als sie sie das erste Mal in den Armen hielt, hatte sie sie sofort ins Herz geschlossen. In jener Nacht, in der Lilys Eltern gestorben waren.

„Ein Kleid, ja?“, ertönte Charles’ tiefe Stimme.

Er ist genauso bestimmend wie ich, dachte Jill lächelnd. Aber nie herrschsüchtig. Nie aggressiv. Obwohl sie ihn schon einige Male in angespannten Situationen erlebt hatte. Sie dachte an die Familienfehde, unter der er gelitten haben musste. Zwar war sein Bruder schuld an Charles’ Verletzung, doch der Vater hatte seinen Zorn darüber an Charles ausgelassen. Warum sonst sollte er ihn als nutzlos bezeichnen?

Charles hatte sich nie gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals aufgelehnt.

Stattdessen nahm er seinen Pflichtteil aus dem riesigen Vermögen der Wetherbys, den sein Vater ihm nicht vorenthalten konnte, und baute diese medizinische Einrichtung auf. Anscheinend hatte es ihm geholfen, seinen Ärger und seinen Frust zu bezwingen.

Charles verdient es, dass ich ein Kleid anziehe.

Jill holte es aus dem Schrank, ein cremeweißes Seidenkleid, ärmellos und mit Wasserfall-Dekolleté. Sie schlüpfte hinein und löste das Haarband.

Ihre schimmernden kastanienbraunen Locken waren einst ihr ganzer Stolz gewesen. Rasch bürstete sie sie durch, bis sie ihr in sanften Wellen auf die Schultern fielen, zog Sandalen an, schnappte sich ihre Handtasche und eilte zur Tür.

Doch dann blieb sie stehen und ging zum Spiegel zurück. Eine Weile sah sie sich an, seufzte, nahm die Puderdose und puderte ihre Sommersprossen ab. Sie drehte den Lippenstift auf, den sie … wie oft benutzt hatte? Acht Mal bei acht Hochzeiten.

Ihre würde die neunte sein.

„Mach nicht mehr daraus, als es ist“, flüsterte sie, hielt jedoch inne, als sie die Lippenstifthülse wieder zusammengesteckt hatte und ihr Blick auf ihr Spiegelbild fiel. „Nicht schlecht für siebenunddreißig. Und du wirst Charles heiraten.“

Eine Zweckheirat, zugegeben. Aber mit Charles … Jill verspürte ein erwartungsvolles Prickeln. „Es ist nur Charles“, sagte sie sich bestimmt. „Medizinischer Direktor von Crocodile Creek. Dein Chef.“

Und bald dein Ehemann.

„Träum weiter“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, streckte sich die Zunge heraus, lächelte und machte sich auf den Weg zu ihrem Verlobten.

Es gefiel ihm. Charles wartete schon auf sie, als sie ihr Schlafzimmer verließ. Und er lächelte so, wie sie es liebte. Dann vertieften sich die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln und erinnerten sie an feine Sonnenstrahlen.

„Hey“, sagte er. „Was ist der Anlass? Vielleicht eine Verlobung?“

Charles hatte sich ebenfalls in Schale geworfen. Hose und Hemd waren von feinster Qualität, Kleidung, in der sein athletischer Körper noch atemberaubender wirkte als sonst.

„Wo ist Lily?“, fragte Jill.

„Glücklich und zufrieden bei Cal und Gina.“

„Manchmal macht es mir Sorgen, dass sie Fremden gegenüber so zutraulich ist.“

„Wendy sagt genau das Gleiche, und Tom hat sicher recht. Lily braucht feste Bezugspersonen, eine richtige Familie. Und die werden wir für sie sein. Komm, wir kaufen einen Verlobungsring.“

Der Juwelier war unterwürfig, eifrig und überfordert. Bei dem Versuch, sie in den Laden zu führen, zerrte er unbeholfen an Charles’ Rollstuhl und hätte ihn fast umgekippt. Als Charles sich schließlich von der unwillkommenen Hilfestellung befreit hatte und erklärte, was er wünschte, stolperte der Mann fast über seine Füße, um ihn zu bedienen. Anscheinend hatte er erkannt, was für einen vermögenden Kunden er vor sich hatte.

„Es ist mir eine Ehre, Sir“, begann er und präsentierte ein Samttablett mit funkelnden Brillantringen. „Niemals hätte ich erwartet, dem Medizinischen Direktor des Crocodile Creek Hospital einen Verlobungsring anbieten zu dürfen. Und Sie sind ein Wetherby. Ihrem Bruder habe ich auch einen verkauft. Er leitet jetzt die Farm, nicht?“

Sein Gesicht wurde ernst. „Was für ein Jammer, die Sache mit Ihrem Unfall. Aber Sie haben es auch nicht schlecht getroffen. Ein gesunder Mann könnte kaum mehr erreichen. Nun, Sie sind und bleiben trotzdem ein Wetherby, Sir. Ihr Bruder hat einen Diamanten von eineinhalb Karat genommen, als er sich verlobte. Wenn Sie mich vorgewarnt hätten … In der Qualität habe ich gerade leider nichts da. Ich kann Ihnen allerdings eine Auswahl einfliegen lassen, wenn Sie sich für einen bestimmten Stil entscheiden. Mit einem Stein, so groß Sie wollen“, meinte er und fügte zu Jill gewandt hinzu: „Haben Sie ein Glück, Miss!“

„Ja“, antwortete sie hölzern. Es gefiel ihr nicht, wie herablassend der Juwelier mit Charles umging. Zwar redete er mit Charles, hielt jedoch Blickkontakt mit ihr, als wollte er ihr zeigen, dass er zu dem Mann im Rollstuhl nett war. Ihr war auch nicht Charles’ Gesichtsausdruck entgangen, als der Juwelier seinen Bruder erwähnte.

Sie mochte diesen Laden nicht. Mochte die protzigen Diamanten nicht. Wollte Charles, dass sie einen größeren als seine Schwägerin trug?

„Was möchtest du, Jill?“, fragte er da.

Sie unterdrückte ihren Ärger und versuchte, eine Wahl zu treffen. „Mir ist jeder recht, so groß, wie du möchtest.“

„Wie ich möchte?“, wiederholte er erstaunt, um dann auszusprechen, was sie nur gedacht hatte: „Du willst nicht wirklich einen Diamanten, oder?“

„Wenn du denkst, ich sollte …“

„Ich denke nur, dass du entscheiden solltest. Du wirst ihn tragen, und einige dieser Ringe sind ziemlich …“

„Auffällig?“, fiel sie ein, und Charles’ Miene entspannte sich.

„Ich habe richtig vermutet, oder?“ Er lächelte flüchtig. „Du magst diese Ringe genauso wenig wie ich.“

„Aber wir brauchen einen Ring“, antwortete Jill. „Falls du jedem verkünden willst, dass wir verlobt sind.“

„Worauf du dich verlassen kannst.“ Er streckte dem Juwelier die Hand hin. „Tut mir leid, Alf, meine Zukünftige hat ein Herz für die einfachen Dinge. Es ist einer der Gründe, warum ich sie gebeten habe, meine Frau zu werden, also wollen wir nicht daran rütteln. Danke für Ihre Hilfe und guten Tag. Kommst du, Jill?“

Er manövrierte seinen Rollstuhl zur Tür hinaus, bevor sie einen Ton sagen konnte.

Jill musste laufen, um ihn einzuholen.

Einen halben Straßenblock weiter fiel es ihm auf, Charles hielt an und drehte sich zu ihr herum.

„Entschuldige. Als er mir unter die Nase rieb, was für einen Klunker mein Bruder ausgesucht hatte, ging mir sozusagen die Hutschnur hoch.“

„Das habe ich gemerkt. Und wie er dich behandelt hat …“

„Ist unwichtig. So etwas bin ich gewohnt. Hier geht es um dich. Möchtest du wirklich keinen Dreikaräter?“

Jill betrachtete ihre Hände. Beanspruchte Hände durch ihre Arbeit als Krankenschwester. Leicht gerötet, mit kurz geschnittenen Nägeln. „Ein Brillant würde bei mir albern aussehen.“

„Wie wäre es mit einem Opal?“ Charles bemerkte ihr Zögern. „Wenn du keinen willst, sag es einfach.“

„Ich liebe Opale, aber …“

„Kein Aber. George Meredith ist gerade in der Stadt. Hast du ihn mal kennengelernt? Er ist unser Goldsucher, verbringt seine Zeit damit, in jedem Winkel von hier bis nach Longreach im Dreck zu graben. Mit Opalen kennt er sich aus wie kein Zweiter. Heute Morgen kam er wegen Rückenschmerzen zu mir, und ich habe ihm eine Woche Schürfpause verordnet. Er soll mal wieder in einem richtigen Bett schlafen und die Beine hochlegen. George hat sich im Hotel ein Zimmer genommen, und ich weiß, dass er ein paar gute Steine dabeihat. Komm, die sehen wir uns an.“

George hatte sogar mehr als das in seinem Gepäck: fertige Schmuckstücke.

„Normalerweise verarbeite ich sie nicht“, sagte der große Mann mit der ruhigen Stimme, der fast schüchtern wirkte. Auf seine Opale, die er auf der Bettdecke ausgebreitet hatte, schien er jedoch mächtig stolz zu sein. „Ich verkaufe sie an die Händler weiter. Aber ein Kumpel von mir hat ganz ordentliche Sachen gemacht und mir ein bisschen was beigebracht, als ich es im Rücken hatte. Wenn der besser ist, fahre ich nach Cairns. Da, wo viele Touristen sind, werde ich diese Steine schnell los. Warten Sie einen Moment.“

Charles und Jill sahen zu, wie er in einem abgenutzten Koffer kramte und eine Dose Aftershave zutage förderte. Er grinste verlegen, bevor er sich abwandte, an der Dose fummelte und sich schließlich wieder umdrehte – in der Hand einen kleinen Lederbeutel.

Behutsam öffnete er ihn, holte vier Päckchen hervor, deren Inhalt er vorsichtig auswickelte. Gleich darauf lagen vier Ringe und zwei Anhänger auf dem Kopfkissen.

„Schwarze Opale“, sagte George zufrieden. „Bessere Qualität finden Sie nirgends auf der Welt. Gefallen sie Ihnen?“

Gefallen? Jill hatte nie zuvor etwas so Herrliches gesehen. Einer zog sie besonders an, und sie nahm ihn hoch. Es war der kleinste Stein von allen, seine raue, kantige Form in Gold gebettet. Der Opal schimmerte in einem dunklen Türkisgrün, mit schwarzen Tiefen versetzt und feurigen roten Schlieren, die wie Flammen im Stein züngelten. Der Edelstein saß in der goldenen Fassung, als hätte er so im Boden gelegen, seit einer Ewigkeit dort verkeilt, vom Wasser der Ozeane abgeschliffen, verwittert zu der einzigartigen Schönheit, die Jill nun in der Hand hielt.

Überwältigt blickte sie den Ring an.

„Probieren Sie ihn“, sagte George.

Als sie sich nicht rührte, nahm Charles ihn ihr aus der Hand und schob ihn auf ihren Ringfinger. Er passte wie für sie gemacht.

Jill sah auf ihre Hand, schluckte, wollte etwas sagen, brachte keinen Ton hervor.

„Ich denke, wir haben uns entschieden“, meinte Charles hochzufrieden.

Beide Männer grinsten wie zwei Flaschengeister, die gemeinsam einen Herzenswunsch erfüllt hatten.

„Ihre Hand ist wie für ihn geschaffen“, sinnierte George. „Dieser Stein … Ich war drauf und dran, ihn zu behalten. Ich mochte mir nicht vorstellen, dass er an den Händen einer reichen Frau zwischen einem halben Dutzend Diamanten, Saphiren und anderen Glitzersteinen sein Dasein fristet. Ihre Hände sind genau richtig für ihn. Nehmen Sie’s mir nicht krumm, Ma’am, wenn ich sage, dass man ihnen ansieht, dass sie hart gearbeitet haben. Und dieser Opal schmückt sie wie eine Auszeichnung dafür.“

„Nicht schlecht gesprochen.“ Charles warf dem Schürfer einen anerkennenden Blick zu.

„Ich mein’s ernst.“ In seiner Stimme schwang ein gefühlvoller Unterton mit, und Jill glaubte ihm.

Dennoch …

„Den können wir nicht nehmen“, flüsterte sie. „Es ist ein schwarzer Opal.“ Sie hatte lange genug in Crocodile Creek gelebt, um zu wissen, wie teuer solche Steine waren. „Du kannst nicht …“

„Doch, ich kann“, erklärte Charles bestimmt. „Jill, warum setzt du dich nicht ein paar Minuten unten an die Bar, während George und ich das Geschäftliche regeln?“

„Ich …“

„Nun geh schon.“ Lächelnd zeigte er auf die Tür.

Zum Essen gingen sie ins Hotelrestaurant der Familie Poulos. Im Athina wurden sie ausgiebig mit herzlichen Umarmungen und freudigen Worten begrüßt. Die Neuigkeiten hatten längst ihre Runde gemacht.

„Wir tun es nur für Lily“, sagte Jill zu Sophia Poulos.

Die strahlte von einem Ohr zum anderen. „Unsinn. An Ihrem Finger funkelt ein wunderschöner Ring. Sie tragen ein schickes Kleid. Sie sind eine schöne Frau, und Dr. Wetherby … nun, er ist ein sehr attraktiver Mann. Erzählen Sie mir nicht, dass Ihnen das noch nicht aufgefallen ist. Sie tun es für Lily? Pah!“ Sophia eilte Richtung Küche. „Wir haben ein Liebespaar an Tisch eins!“, rief sie ihrem Mann temperamentvoll zu. „Champagner aufs Haus!“

Das ist doch albern, dachte Jill verlegen. Und trotzdem ließ sie sich von der ausgelassenen Stimmung anstecken.

Erst als die Aufmerksamkeit der anderen nachließ und sie allein beim Essen saßen, herrschte auf einmal eine Stille, mit der Jill nicht umgehen konnte. Es ist doch nur Charles. Charles, dein Chef.

„Was liegt morgen an?“ Die Arbeit war ein Thema, bei dem sie sich wohler fühlte.

„Morgen wird ein voller Tag.“ Es hörte sich an, als graute ihm davor, aber Jill wusste, dass das nicht stimmte. Dem Kindercamp auf Wallaby Island galt Charles’ ganze Leidenschaft. Morgen wollte er in dem nach einem verheerenden Sturm neu aufgebauten und vergrößerten Camp die ersten Kinder begrüßen. Sie fragte sich, woher er die Zeit für das Gespräch mit Tom und der Sozialarbeiterin genommen hatte, geschweige denn für ein festliches Abendessen mit seiner Verlobten.

Und dafür, ihr einen Ring zu schenken.

Während er über seine Pläne sprach, glitt ihr Blick immer wieder zu dem herrlichen Opal. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Kostbares und Schönes besessen. Allerdings war sie nicht derselben Meinung wie George: Jill fand, dass er viel zu edel für ihre Hände war.

Doch wie so oft schien Charles auch diesmal ihre Gedanken zu erahnen. Er unterbrach, was er gerade erzählte, und sagte sanft: „Er steht dir.“

Jill wurde rot. „Entschuldige …“

„Nein, ich muss mich entschuldigen. Heute Abend sollten wir nicht über die Arbeit reden.“

„Mehr haben wir kaum gemeinsam“, erwiderte sie und bereute es im nächsten Moment. Sie hatte nicht schroff klingen wollen.

Vielleicht bin ich ja schroff. Nette Umschreibungen waren nicht ihre Art. Schon seit Jahren nicht mehr. Und Charles schien es nichts auszumachen, wenn sie unverblümt sagte, was sie dachte. Er fragte sie nach ihrer Meinung, und die bekam er auch. Jetzt jedoch nagten leise Zweifel an ihr. Du musst weicher werden. Eine schroffe Ehefrau wird er nicht haben wollen.

„Wir haben Lily.“

„Ja, obwohl mir nicht ganz klar ist, warum du Lily adoptieren willst. Du hast schon eine Tochter.“

„Eine siebenundzwanzigjährige Tochter, die ich erst seit wenigen Monaten kenne.“

„Du hast Kates Mutter sicher sehr geliebt.“

„Wir alle haben sie geliebt“, antwortete er. „Maryanne war hinreißend, ein wildes Mädchen, das die ganze Welt umarmen wollte und in vollen Zügen gelebt hat. Ich war nicht der einzige, der heftig in sie verliebt war. Nachdem mein Bruder mich versehentlich angeschossen hatte, brachte man mich von hier weg, in die Großstadt, und Maryanne behielt für sich, dass sie schwanger war. Als es mir so weit besser ging, dass ich nach Crocodile Creek zurückkehren konnte, war sie verschwunden. Anscheinend gab sie Kate später zur Adoption frei. Dass ich ein Kind habe, erfuhr ich erst, nachdem Kate hier als Krankenschwester angefangen hatte. Kurz vor dem Wirbelsturm.“

Charles klang sachlich, doch Jill konnte sich nicht vorstellen, dass ihn das alles nicht getroffen hatte.

„Immerhin hast du eine Tochter“, sagte sie sanft.

„Ja, aber ich war nicht dabei, als sie aufwuchs. Lily, so kommt es mir vor, ist wie eine zweite Chance.“ Er hielt inne. „Genug von mir. Was ist mit dir?“

„Mit mir?“, sagte sie erschrocken.

„Alles, was ich über deine Vergangenheit weiß, habe ich von anderen erfahren. Wenn du meine Frau wirst, sollte ich ein bisschen mehr wissen, meinst du nicht?“

„Du willst dir bestimmt nicht anhören, wie Kelvin war.“

„Harry erzählte mir, dass er ins Gefängnis gekommen ist.“

„Man hat ihn zu fünf Jahren Haft verurteilt … weil er mich verletzt hat.“ Sie stockte. „Ich habe immer noch Angst vor ihm.“

„Warum?“

„Er hat gesagt, dass er mich umbringt, wenn ich ihn verlasse“, flüsterte sie. „Und ein Mal hätte er es beinahe geschafft.“

„Fühlst du dich bedroht?“

„Du weißt, dass ich meinen Namen geändert habe. Aus Judy Standford, dem dummen geprügelten Weib eines Fischers im Süden, ist Jill Shaw, Pflegedienstleiterin in Crocodile Creek geworden. Er ahnt nicht, dass ich hier bin, aber er wird die Suche nicht aufgegeben haben.“

„Nach so vielen Jahren?“

„Was Kelvin gehört, gehört ihm für immer. So denkt er“, fügte sie matt hinzu. „Er würde mich lieber tot sehen als frei.“

„Warum zum Teufel hast du ihn geheiratet?“

„Aus dem ältesten Grund der Welt. Ich war sechzehn, fast noch ein Kind. Kelvin war ein Motorradkumpel meines ältesten Bruders. Rick fand es okay, dass ich mit ihnen zu einem Musikfestival fuhr. Unerfahren und naiv, wie ich war, endete es damit, dass ich schwanger wurde. Mein Dad … nun ja, auf seine Art war er genauso gewalttätig wie Kelvin. Kelvin war bereit, mich zu heiraten, und ich eingeschüchtert genug, dem zuzustimmen. Dann verlor ich das Baby. Als ich mich von Kelvin trennen wollte, da …“ Sie konnte nicht weitersprechen.

„Du musst mir keine Einzelheiten erzählen.“ Charles blickte sie verständnisvoll an. „Später, als es vorbei war, hast du niemals daran gedacht, wieder zu heiraten? Ein Kind zu bekommen?“

„Natürlich wünschte ich mir ein Kind!“, brach es aus ihr hervor. „Ich war im siebten Monat, als ich mein kleines Mädchen verlor. Aber erst als ich Lily in den Armen hielt, wurde mir klar, wie sehr ich mich danach sehnte.“

„Dann ist Lily für uns beide eine zweite Chance.“ Er griff nach ihrer Hand, an deren Ringfinger der Opal im Kerzenlicht geheimnisvoll schimmerte. Die Kraft und Wärme, die Charles’ Hände ausstrahlten, beruhigten Jill und gaben ihr Halt. Doch je länger er sie hielt, umso stärker drängten sich andere Gefühle in den Vordergrund. Gefühle, die sie verunsicherten.

„N… Nicht“, sagte sie schließlich und entzog ihm ihre Finger.

„Wir sollten schon ein wenig Zuneigung zeigen“, meinte er trocken. „Falls wir nicht wollen, dass man unsere Ehe für eine Mogelpackung hält.“

„Es spielt keine Rolle.“

„Da könntest du dich irren. Wir bekommen Lily. Sie ist ein Geschenk, aber auch eine große Verantwortung.“

„Wir sollten bei ihr zu Hause sein.“

„Jetzt braucht sie uns nicht. Das ist ja das Problem. Wir könnten ihr auch sagen, dass sie bei Gina und Cal leben wird, und sie würde es hinnehmen.“

Jill blickte in die endlos scheinenden Tiefen ihres Opals. „Sie ist traumatisiert.“

„Leider lässt sie keinen Psychologen an sich heran.“ Charles seufzte. „Nun, du kennst die Probleme genauso gut wie ich. Wollen wir ihr heute Abend erzählen, dass wir heiraten werden? Dass sie für immer bei uns bleiben kann?“

„Cal weiß es, Gina weiß es, Sophia Poulos und noch ein paar mehr wissen es auch. Wenn wir nicht wollen, dass sie es in Crocodile Creek als Letzte erfährt, sollten wir nicht mehr lange warten.“

3. KAPITEL

Charles beglich die Rechnung, und sie verließen das Restaurant. Laue Abendluft umfing sie.

Am Wagen angekommen, öffnete Charles die Fahrertür, schwang sich auf den Sitz, klappte den Rollstuhl zusammen und hob ihn mühelos auf die Rückbank. Jill war kaum angeschnallt und zupfte noch ihr Kleid zurecht, als Charles schon auf die Straße fuhr.

Er ist ein ganz normaler Mann, dachte Jill, während sie geistesabwesend auf die Fahrbahn blickte. Ein normaler Ehemann. War ihm eigentlich klar, was diese Vorstellung mit ihr machte?

Sie jagte ihr Angst ein.

Warum hatte sie dieser Ehe zugestimmt? Weil sie Lily liebte. Weil sie es nicht ertragen hätte, Lily aus ihrem vertrauten Zuhause zu reißen. Weil Charles im Rollstuhl saß und deshalb nicht auf eheliche Pflichten pochen würde?

Ja, auch das, wahrscheinlich. Charles’ Lähmung machte diese Ehe sicherer. Eine Ehe ohne Sex.

Aber vielleicht täuschte sie sich? Vielleicht war er doch in der Lage … Jill dachte den Gedanken nicht zu Ende. Ich vertraue Charles.

Sie sah ihn an, betrachtete sein Profil im Mondlicht. Die markanten Züge, die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln, wo das Lachen seine Spuren hinterlassen hatte. Und der Schmerz. Charles würde es nie zugeben, doch man steckte eine Verletzung wie seine nicht ohne Schmerz weg.

Ihr gefiel sein dichtes, leicht welliges Haar mit den silbrigen Strähnen darin. Graue Schläfen waren so verdammt sexy bei einem Mann in seinem Alter. Und das war der Punkt: Wenn sie anfing, ihn körperlich anziehend zu finden, würde es Probleme geben.

Dabei war sie es leid, in den Fesseln zu verharren, die ihr die Vergangenheit angelegt hatte. Sie wünschte sich ein Heim, eine Familie mit Ehemann und Tochter. Mit Charles und Lily.

Wenn Kelvin davon Wind bekommt, bringt er uns alle um.

Oder sah sie Gespenster? Ihr Verstand sagte Ja. Ihre Erinnerungen jedoch, noch immer von Kelvin beherrscht, ließen sie insgeheim zittern.

„Woran denkst du?“ Er klang angespannt.

Weil er doch seine Zweifel hatte? „Charles, warum willst du mich heiraten? Ich bin schlicht und rechthaberisch und alt.“

„Das ist absolut albern.“

„Findest du?“

„Dann frage ich dich, warum du mich heiratest? Ich sitze im Rollstuhl.“

„Das ist genauso albern.“

„Glaubst du nicht, dass du mich heiratest, weil ich im Rollstuhl sitze?“

„Aus Mitleid?“, murmelte sie. „Wohl kaum.“

„Hast du kein Mitleid mit mir?“

„Du reißt jedem den Kopf ab, der es wagt, dir sein Mitgefühl zu zeigen.“

„Also hast du Angst vor mir?“

„Nein“, antwortete sie spontan, beschloss jedoch, ehrlich zu sein. „Oder jedenfalls nicht viel.“

„Fassen wir zusammen“, begann er. „Du hältst dich für schlicht und rechthaberisch und alt, hast Angst vor mir und trotzdem beschlossen, meine Frau zu werden.“

„Das hört sich dumm an.“

„Stimmt. Bei all der Romantik, die hier in Crocodile Creek knistert.“

„Nur bei uns nicht.“

„Nicht wenigstens ein bisschen?“

„Natürlich nicht. Sieh uns doch an. Wir haben die Fakten betrachtet und sachlich darüber gesprochen. Einen Verlobungsring gekauft. Uns nicht einmal geküsst.“

„Ich habe deine Hand geküsst.“

„Ja, und es … war nett.“

„Möchtest du geküsst werden?“

„Nein!“

„Vielleicht sollten wir es tun“, meinte er gedankenvoll. „Immerhin gehen wir eine Ehe ein. Wir könnten es einfach versuchen.“

„Charles, bitte nicht.“

„Weil du schlicht und rechthaberisch und alt bist?“

„Nein, weil …“

„Ich im Rollstuhl sitze?“

„Nein!“

„Warum dann?“, wollte er wissen. „Warum zum Teufel nicht?“

„Weil wir …“

„Es nicht verdient haben?“ Charles blickte zu ihr hinüber.

Sie starrte in die Nacht hinaus, überlegte krampfhaft, was sie sagen sollte. Drehte an ihrem Verlobungsring, als würde er auf der Haut brennen.

„Jill, mach nicht so ein Gesicht.“

„Was für eins?“

„Ach, verdammt!“ Ehe sie sich’s versah, lenkte Charles den Wagen auf den Seitenstreifen. Sie hielten vor der Brücke über den Crocodile Creek. Eine leicht abschüssige Sandbank zog sich am Flussarm entlang.

Ein anderes Paar wäre vielleicht ausgestiegen, um an den Ufersaum zu schlendern und Arm in Arm das Glitzern des Mondlichts auf dem dunklen Wasser zu bewundern.

Und würde vielleicht von einem Krokodil gefressen. Nur Narren stiegen um diese Zeit hier aus.

„Jill, ich werde niemals eine Frau heiraten, die sich vor mir fürchtet“, sagte Charles in die Dunkelheit.

„Ich fürchte mich nicht vor dir.“

„Sieh mich an, wenn du das sagst.“

Jill wandte sich ihm zu, blickte ihm in das ernste Gesicht. Sie kannte diesen Mann, arbeitete seit vielen Jahren mit ihm zusammen. Er war der beste Arzt, den Crocodile Creek je gehabt hatte. Er liebte Lily.

„Ich habe keine Angst vor dir“, erklärte sie. Es war die Wahrheit. Jill vertraute ihm.

Nur die Vorstellung, wieder eine Ehe einzugehen, hatte sie zutiefst verunsichert.

„Es wird gut gehen“, sagte er, nahm sie bei den Händen und zog Jill behutsam zu sich. „Ich halte dich nicht für schlicht, rechthaberisch und alt.“ Und dann lächelte er, mit diesem Lächeln, das sie so liebte: ein bisschen übermütig und voller Wärme. „Na schön, rechthaberisch mag stimmen. Aber das muss eine Pflegedienstleiterin sein können. Und eine Mum auch. Du wirst Mutter sein, Jill, und zwar eine sehr gute. Davon bin ich überzeugt. Es wird alles gut werden, vielleicht sogar fantastisch. Lass uns unser Bestes geben, okay?“

Charles zog sie dicht an sich und küsste sie.

Wie lange war sie nicht geküsst worden?

Viele, viele Jahre nicht. Leidenschaftlich geküsst hatte sie zuletzt als Teenager. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlte … Nein, so hatte es sich noch nie angefühlt.

Starke, warme Hände umfassten ihr Gesicht, hielten es, als zärtliche Lippen ihre berührten. Sekunden später durchströmte sie eine sengende Hitze, füllte sie aus, überall, ließ sie am ganzen Körper zittern. Jill öffnete die Lippen, ergab sich dem süßen sinnlichen Kuss.

Es war, als trete sie in eine andere Welt ein. Unwillkürlich hob sie die Hände, wühlte in Charles’ Haar, während sie nicht genug bekommen konnte von seinem forschenden Mund, den köstlichen Empfindungen, die auf ihrer Haut prickelten.

Das Gefühl war magisch und so intensiv, dass sie sich wie verwandelt vorkam. Verzaubert in ein Wesen, das sie nie gewesen war oder längst vergessen hatte: eine Frau, die vor Lust und Verlangen zerfließen wollte.

Einen winzigen Moment lang ließ sie sich fallen, fühlte sich wieder wie das Mädchen, das sein Leben noch vor sich hatte und nicht ahnte, was Frauen passierte, die sich dem Willen und der Kontrolle eines Mannes unterwarfen.

Hässliche Kuh, so hatte Kelvin sie genannt. Wieder und wieder, bis sie es selbst glaubte. Aber vielleicht stimmte es ja gar nicht. Wie Charles sie küsste, das war verführerisch und überwältigend schön. Jill verlor sich in Träumen, die sie sich nie gestattet hatte. Sehnte sich nach mehr.

Nein. Schlagartig ernüchtert erinnerte sie sich daran, wer und wo sie war. Jill Shaw, Pflegedienstleitung im Crocodile Creek Hospital. Eine Frau, die den Kopf nicht in den Wolken trug, sondern mit beiden Beinen fest auf der Erde blieb. Immer. Mit einem leisen Aufkeuchen schob sie Charles von sich.

Er ließ sie sofort los, lehnte sich zurück, sodass er ihr Gesicht im Mondlicht betrachten konnte. Charles sieht aus, wie ich mich fühle, dachte sie. Überrascht … Nein, mehr als das. Der große Charles Wetherby wirkte fassungslos!

„Ich glaube …“ Die Stimme gehorchte ihr nicht, und sie unternahm einen zweiten Anlauf. „Ich glaube, das ist keine gute Idee.“

„Küssen?“

„Das und alles andere.“ Sie war immer noch atemlos. Es war nur ein Kuss, versuchte sie sich zu beruhigen. Aber was für ein Kuss! Ein Kuss, der ihr den Verstand vernebelt hatte. Ein Kuss, der ihr das Gefühl gab, schön und begehrenswert zu sein.

Ich bin nicht schön. Ich muss vernünftig sein.

„Heißt das, es wird nichts passieren?“

„Genau!“

„Warum nicht?“

„Wir sind zu alt.“

„Was heißt hier wir?“

„So meinte ich es nicht …“ Sie wand sich innerlich. „Charles, ich …“ Wie sollte sie es ausdrücken? Ihre Fähigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen, schien sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben. „Ich werde nicht die eifersüchtige Ehefrau spielen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich weiß ja nicht, was du bisher gemacht hast …“

„Sex, meinst du?“ Charles klang auf einmal amüsiert.

„Also, ich … weiß ja nicht mal, ob …“

„Ob ich kann?“ Verdammter Kerl, er schien ihre Verlegenheit noch zu genießen! „Ja, ich kann.“

„Das … Das ist gut. Falls du also …“ Jill schwieg hilflos.

„Falls mir der Sinn danach steht, habe ich dein Einverständnis? Aber nicht mit dir?“

„Dass du mich geküsst hast, heißt nicht, dass ich mehr von dir erwarte.“

„Und wenn ich mehr will?“

„Willst du nicht“, entgegnete sie matt. „Oder vielmehr, ich möchte es nicht. Charles, es war ein romantischer Abend, und ich danke dir dafür. Mein Ring ist wunderschön.“ Sie blickte auf ihre Hand. Ein Mondstrahl setzte die roten Adern in der Tiefe des Opals in Brand und ließ sie feurig schimmern. „Ich mag ihn wirklich sehr. Aber wir heiraten zu einem bestimmten Zweck.“

„Du findest mich nicht …“

„Frag erst nicht!“, unterbrach sie ihn scharf. „Das ist absurd.“

„Natürlich ist es absurd.“ Das Lächeln in seiner Stimme erstarb, als wäre es nie da gewesen.

Oh, nein, er hat mich völlig falsch verstanden! „So habe ich es nicht gemeint“, flüsterte sie betroffen.

Charles startete den Motor. „Keine Sorge, ich werde dir nicht wieder zu nahe kommen. Es wird Zeit, dass wir nach Hause fahren.“

„Charles …“

„Schon gut“, meinte er müde. „Wie du bereits sagtest, wir sind zu alt. Lass uns Lily abholen und ihr erzählen, dass sie respektable, umsichtige Eltern bekommt.“

Jill sank in ihren Sitz und fühlte sich um anderthalb Meter geschrumpft. Niemals hatte sie andeuten wollen, dass sie Charles’ Lähmung abstoßend fand. Oder ein Hindernis beim … was auch immer. Tatsache war, dass sie nichts wollte. Keine Berührung, keine Küsse und vor allem nicht mehr. Sie fürchtete, die Kontrolle zu verlieren, die sie sich nach ihrer Scheidung mühsam erworben hatte. Nie mehr in ihrem Leben wollte sie sich verletzlich machen.

Ich sollte mich bei ihm entschuldigen, dachte sie, als sie bei einem flüchtigen Seitenblick seine grimmige Miene sah. Ich könnte ihn zum Lächeln bringen.

Wollte sie das? Nein, nicht wenn sie allein waren. Nicht wenn sie ein Kleid trug und seinen Verlobungsring. Nicht wenn sein Lächeln sie schwach machte.

Dann lieber steif dasitzen, Distanz wahren und ein ausdrucksloses Gesicht zeigen. Kalter Fisch. Jill hatte zufällig mit angehört, wie eine der jüngeren Krankenschwestern sie so bezeichnete. Gut so. Sie wollte keine Gefühle zeigen.

Da fiel ihr Lily ein, das kleine Mädchen, das bald offiziell ihre Tochter sein würde. Wie könnte sie in ihrer Nähe ein kalter Fisch sein?

„Wir bleiben jeder für sich, außer wenn wir mit Lily zusammen sind“, sagte Charles.

„Du verstehst mich“, murmelte sie verblüfft und gleichzeitig beschämt.

„Weil wir uns ähnlich sind.“

„Charles, es tut mir so leid.“

„Muss es nicht. Ich habe dich geküsst und damit eine Grenze überschritten. Es wird nicht wieder vorkommen.“

Lily schlief schon, als sie bei Cal und Gina ankamen. Cal hörte den Wagen und brachte sie nach draußen. Sie wachte auf, als Jill sie in ihren Sitz setzte, beschwerte sich aber nicht.

„Gute Nacht, Schlafmütze.“ Cal wuschelte in ihren zerzausten Locken, bevor er vom Auto zurücktrat. Er lächelte Jill an, griff nach ihrer Hand und pfiff beim Anblick des Opalrings anerkennend. „Meinen Glückwünsch!“

Jill spürte, wie sie rot wurde. „Es ist keine große Sache.“

„Ich finde es großartig.“ Cal beugte sich in den Wagen und grinste. „Glückwunsch, Charles.“

„Danke. Aber wir tun es nur für Lily.“

„Klar.“ Das klang zweifelnd. Er sah Lily an. Sie trug ihren rosa Lieblingspyjama mit den himmelblauen Sternen. „Sagt ihr es ihr heute noch?“

„Was denn?“, fragte die Kleine schläfrig.

„Was wir heute Abend gemacht haben“, erklärte Charles knapp. „Komm, Jill, ich will noch einmal ins Krankenhaus nach zwei Patienten sehen und danach packen. Wir müssen los.“

Bald darauf waren sie zu Hause. Sie brachten Lily ins Bett und deckten sie wie gewohnt zu. Und jetzt? dachte Jill. Wie fangen wir an?

Lily löste das Problem auf ihre Weise. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass ihre Kuscheltiere – zwei Teddys, eine Giraffe, ein Stier wie ihr echter Lieblingsbulle Oscar, eine Ente und eine Puppe ohne Haare – an ihren angestammten Plätzen saßen, sagte sie: „Das ist ein hübscher Ring. Hast du den von Charles?“

„Ja.“ Jill fühlte sich seltsam hilflos.

„Warum?“

„Wir werden heiraten“, antwortete Charles. „Dein Onkel Tom war heute hier. Er will, dass du bei richtigen Eltern wohnst. Jill und ich möchten, dass du bei uns bleibst, bis du alt genug bist, um für dich selbst zu sorgen. Deshalb wollen wir heiraten, damit Onkel Tom erlaubt, dass wir dich großziehen.“

Mit großen Augen hatte Lily aufmerksam zugehört. „Passt ihr die ganze Zeit auf mich auf?“

„Ja“, bekräftigte Jill. „Wenn du es auch möchtest, unterschreiben wir die Papiere, damit niemand dich uns wegnehmen kann.“ Sie holte tief Luft. „Und noch etwas, Lily … Du magst uns vielleicht nicht Mum und Dad nennen, weil das ja deine Eltern für dich waren, und das soll etwas Besonderes bleiben. Aber wenn du möchtest, kannst du Mama und Papa sagen …“

„Ihr heißt doch Jill und Charles.“

„Das stimmt.“ Charles strich ihr eine Locke hinters Ohr zurück. „Wir sind Jill und Charles oder wie du uns auch immer nennen möchtest. Von jetzt an sind wir eine Familie, ja?“

„Okay“, sagte sie wie ein gehorsames Kind, nahm in jeden Arm einen Teddy und schloss die Augen. „Gute Nacht.“

Und das war’s. Eine ungeheure, lebensverändernde Entscheidung, heruntergebrochen auf ein paar schlichte Sätze. Als sie mit Charles das Kinderzimmer verließ, fühlte sich Jill wie erschlagen.

Von ihrem Wohnzimmer führte eine Tür in Charles’ Wohnzimmer. Jeden Abend sagten sie Lily gemeinsam gute Nacht, Charles rollte in seine Wohnung und schloss die Tür hinter sich.

Damit war jeder für sich.

„Weißt du was?“, meinte er nachdenklich. „Wir könnten die gesamte Wand einreißen.“

„Wie bitte?“

„Bevor das Krankenhaus errichtet wurde, war dies ein altes Farmhaus. Da es für mich zu groß war, habe ich zwei Wohnungen daraus machen lassen. Dieses Zimmer war ursprünglich der Wohnraum, der Mittelpunkt des Hauses, mit breiten, bis zum Boden reichenden Fenstern, von denen aus man die Bucht überblicken konnte. Warum nicht die Wand einreißen und die Fenster wieder einsetzen lassen? Wir sehen doch sowieso meistens denselben Fernsehkanal. Was hältst du von einem schönen großen Flachbildschirm?“, erwärmte er sich mit typisch männlicher Begeisterung für seine Idee.

„Jungen und ihr Technikspielzeug“, sagte sie neckend, um ihre plötzliche Anspannung zu verbergen. „Ist das der wahre Grund für deinen Heiratsantrag?“

„Hey, du hast einen Opal bekommen. Da steht mir doch ein großer Fernseher zu, oder? Wie groß könnte er sein, wenn wir aus unseren Wohnzimmern eins machen?“ Charles zögerte. „Ein Familienzimmer“, fügte er dann hinzu. „Wo wir uns als Familie aufhalten.“

„Ich brauche meine Privatsphäre.“

Sein Lächeln erlosch. „Ich rede nicht von einem gemeinsamen Schlafzimmer, Jill.“

„Nein.“

„Ehe heißt für dich also nicht, zusammen fernzusehen? Als Familie zusammenzuleben?“

Wie sollte sie ihm erklären, dass das gefährlich werden konnte? Nähe und Vertrautheit waren etwas, das sie nach Möglichkeit mied. Schon jetzt fehlte ihr manchmal die gewohnte Distanz. Lily schlief normalerweise bei ihr, aber wenn Jill im Krankenhaus aufgehalten wurde, sah Charles nach der Kleinen. Deshalb war es schon vorgekommen, dass Jill bei ihrer Rückkehr Charles auf ihrer Seite der Verbindungstür vorfand.

Eigentlich sollte es ihr nichts ausmachen. Aber Kelvin spukte immer noch in ihrem Kopf herum, wie ein Schatten, der sie zu ersticken drohte. Ich sollte eine Therapie machen, dachte sie. Doch was würde ihr die Psychologin sagen? Dass sie sich die Gefahr nur einbildete und daran arbeiten müsse, die Bedrohung mental aufzulösen?

„Okay, wir lassen die Wand so, wie sie ist“, meinte Charles.

„Vielleicht kann ich dir einen größeren Fernseher kaufen.“

Ihr Versuch, die angespannte Atmosphäre zu lockern, verfing nicht.

„Das kann ich selbst“, sagte er ausdruckslos. „Ich muss noch ins Krankenhaus.“ Charles schwieg einen Moment. „Jill, ich werde zwei Wochen auf der Insel bleiben. Lily kommt mit, und sie freut sich darauf. Willst du nicht auch rüberkommen? Wenigstens zur Eröffnungsfeier?“

Wenn die halbe Landespresse anwesend ist? Fotografen, Medienvertreter? Niemals! „Ich halte hier die Stellung.“

„Da kann dich jemand vertreten. Verdammt, Jill, du schreibst die Dienstpläne, du findest eine Möglichkeit, für ein, zwei Tage auszufallen. Schließlich hast du das neue Reha-Zentrum größtenteils mit geplant, mit der Gesundheitsbehörde verhandelt, Hürden aus dem Weg geräumt. Es ist auch dein Baby.“

Sollte sie ihm sagen, dass sie Angst hatte, von Kelvin entdeckt zu werden? Nach acht Jahren? Charles würde sie für verrückt erklären.

„Es ist dein Traum, Charles.“

„Man darf seine Träume auch mit jemandem teilen!“

Der Ärger in seiner Stimme ließ sie zusammenzucken. „Ich … Ja, natürlich“, flüsterte sie. „Aber ich muss nicht dabei sein.“

„Von mir aus übernachte in der verdammten Hotelanlage“, sagte er scharf. „Sie liegt am anderen Ende der Insel, weit weg von meiner Hütte.“

„Das ist Blödsinn.“

„Ja, nicht wahr? Warum werde ich dann den Eindruck nicht los, dass du mich für einen Unhold hältst?“

„Du hast mich geküsst.“

„Warum nicht? Du bist eine attraktive Frau, die eingewilligt hatte, mich zu heiraten. Also habe ich dich geküsst. Offensichtlich war es ein Fehler, und ich sagte bereits, dass es nicht wieder vorkommt. Doch Lily braucht uns als Eltern. Das wird nicht funktionieren, wenn wir beide auf verschiedenen Planeten leben!“

„Charles …“

„Leg du die Regeln fest und sag sie mir dann.“ Er klang resigniert. „Ich muss nach meinen Patienten sehen. Geh schlafen, wir sehen uns morgen früh, bevor ich abfahre.“ Charles wendete seinen Rollstuhl und fuhr durch die Verbindungstür in seinen Bereich des Hauses.

Kurz darauf schloss sich die Tür hinter ihm.

4. KAPITEL

Warum hast du sie geküsst?

Charles rollte durch die stillen Flure des Krankenhauses. Wir haben eine Vernunftentscheidung wegen Lily getroffen. Was hast du dir dabei gedacht, die ganze Sache mit Gefühlen zu beladen?

Wahrscheinlich gar nichts. In dem Moment war Jill unwiderstehlich gewesen. Zum Küssen.

Das war ja das Problem. Charles hielt am Stationstresen, um die Patientenakte des alten Joe Bloomfield zu holen. Er legte sie sich auf die Knie und starrte darauf, ohne die Informationen wahrzunehmen.

Jill ist hinreißend. Hinter ihrer spröden Art hatte er schon immer eine leidenschaftliche Frau vermutet. Charles wusste, dass sie unter ihrer Vergangenheit litt, erfüllt von einer Angst, die an Paranoia grenzte. Dass sie sich einverstanden erklärt hatte, ihn zu heiraten, musste für sie ein großer Schritt gewesen sein. Und als er ihr den Ring auf den Finger schob und ihre graublauen Augen aufleuchten sah, schienen die Mauern, die sie um sich gezogen hatte, für einen Moment durchlässig zu werden.

Als sie seinen Kuss schließlich erwiderte, hatte er flüchtig erahnt, wie warm und sinnlich sie sein könnte, wenn sie sich gehen ließ.

Viel zu schnell brach der Zauber, und Jill zog die Verteidigungsmauern wieder hoch.

Was zum Teufel hast du erwartet? Du sitzt im Rollstuhl, hast du ernsthaft gedacht, dass du sie aus der Reserve locken kannst? Charles fluchte unterdrückt.

Auf einer Wand des Flurs war auf gesamter Länge ein Handlauf für Patienten angebracht, die beim Gehen noch Halt brauchten oder ihre Beweglichkeit trainieren wollten. Charles fuhr dicht heran, klappte die Fußstützen hoch, packte die Stange mit beiden Händen und schwang sich aus dem Rollstuhl.

Sobald er stand, klammerte er sich mit der linken Hand an den Handlauf und ließ die rechte langsam los. Dann drehte er sich parallel zur Wand. Verdammt, seine Beine waren nutzlos!

Aber sie waren nicht völlig ohne Gefühl, nicht gänzlich kraftlos. Er schob das rechte Bein vorwärts, suchte das Gleichgewicht und schob dann das linke Bein vor. Seine Zehen gehorchten ihm nicht, sodass er eher schlurfte als ging. An einem Gehgestell oder Unterarmstützen gelang es ihm besser, einhändig allerdings …

Entschlossen setzte er einen Fuß vor den anderen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Charles wollte es bis zum Lagerraum schaffen.

Schließlich erreichte er den Türrahmen, wo der Handlauf endete. Charles gönnte sich den Luxus, ihn mit beiden Händen zu fassen. Hinter ihm ertönte Applaus.

Er drehte sich um und entdeckte Susie, die Physiotherapeutin. „Wenn alle meine Wirbelsäulenpatienten deine Entschlossenheit aufbringen würden, wäre ich arbeitslos“, meinte sie fröhlich.

„Wie lange stehst du da schon?“

„Sonst bist du immer derjenige, der sich anschleicht und die Leute erschrickt. Jetzt siehst du mal, wie das ist.“ Sie lächelte. „Soll ich dir deinen Rollstuhl bringen?“

„Ja, bitte.“ Als sie bei ihm war, sank er erleichtert hinein.

„Du warst heute schon anderthalb Stunden im Fitnessraum“, mahnte Susie. „Und schwimmen. Findest du nicht, dass du es übertreibst?“

„Nein.“

„Und du denkst ans Heiraten, habe ich gehört?“

„Wahrscheinlich weiß man es inzwischen schon in London“, antwortete er säuerlich.

Susie lachte und lehnte sich gegen den Handlauf. „Charles, konsultierst du eigentlich noch einen Facharzt?“

„Nein.“

„Du behandelst dich selbst, was?“

„Mir kann niemand mehr helfen.“

„Hey, ich habe dir geholfen. Los, gib’s zu. Seit du die Übungen machst, die ich dir empfohlen hatte, bist du viel beweglicher.“

„Hier riecht es aber stark nach Eigenlob.“

„Wenn mich sonst niemand lobt, muss ich es eben tun“, meinte sie lächelnd, wurde jedoch schnell ernst. „Du hast mir fast den Kopf abgerissen, als ich die Übungen vorschlug. Und gleich wirst du ihn mir wieder abreißen.“

„Dann behalte deine guten Ratschläge für dich.“

„Das könnte ich, angesichts der Tatsache, dass du mein Chef bist. Aber ich bin auch ausgebildete Krankengymnastin. Und da das Eheleben auf dich wartet …“

„Susie!“

„Man kann da etwas machen.“ Susie redete schneller, während sie sich langsam entfernte. Charles’ Miene nach zu urteilen, tat sie gut daran, schleunigst in Deckung zu gehen. „Übungen, die dir und Jill mehr Spaß verschaffen.“

„Es ist eine reine Zweckehe.“

„Ja, ja, die ganze Stadt weiß, dass ihr es für Lily tut. Aber wir wissen auch, dass ihr ein nettes Paar abgebt. Eine echte Ehe wäre für euch beide fantastisch, und wenn ein paar Übungen dazu beitragen können …“

„Soll ich dich ohne Referenzen vor die Tür setzen? Susie, halt dich raus.“

„Bin schon weg!“, rief sie im Weggehen, drehte sich aber verschmitzt lächelnd noch einmal um. „Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe. Sie haben nun einmal eine Physiotherapeutin angestellt, die immer das Beste für ihre Patienten will und das auch durchsetzt, Dr. Wetherby. Finden Sie sich damit ab. Wir sehen uns morgen auf dem Schiff.“

Susie duckte sich und verschwand im nächsten Zimmer, als eine Büchse mit Kugelschreibern und Bleistiften in ihre Richtung segelte.

Um elf Uhr sollte die Fähre ablegen. Jills Dienst begann um sieben.

Sie war bei Sonnenaufgang aufgestanden, um Lilys Sachen zu Ende zu packen. Das Mädchen wachte auf, als sie damit fertig war, und Jill setzte sich zu ihm aufs Bett.

„Ich muss zur Arbeit, aber ich komme nachher zum Anleger und winke euch, wenn ihr abfahrt“, sagte sie und nahm Lily in die Arme. „Wenn du aufgestanden bist, kannst du mit Charles frühstücken.“

„Hast du nicht gesagt, dass er jetzt mein Daddy ist?“

„Okay, dann frühstückst du mit Daddy.“

„Ich frühstücke mit Charles“, erwiderte Lily und hielt ihr die Wange für einen Abschiedskuss hin.

Vielleicht sollte ich Charles auch guten Morgen wünschen, dachte Jill. Normalerweise tat sie es nicht, aber … seit gestern trug sie seinen Ring am Finger.

Sie steckte den Kopf in sein Zimmer. Natürlich war er schon auf und arbeitete. Er saß am kleinen Fenster, von wo aus er das Meer sehen konnte. Ein bisschen davon, jedenfalls. Es wäre wirklich vernünftig, die Wand wegzunehmen … Jill betrachtete ihn. Charles wirkte konzentriert, sein kluges Gesicht ernst. Er arbeitet so hart, er sollte den Blick aufs Meer genießen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du heute Morgen arbeitest“, sagte er da, und sie fuhr heftig zusammen.

„Charles!“

„Was ist?“

„Du hast mich erschreckt.“

„Laut meiner Mitarbeiter eine meine hervorragendsten Fähigkeiten als Chef“, antwortete er lächelnd, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Bringst du uns nicht zur Fähre?“

„Ich wollte mit Gina die Checkliste für die Medikamente noch einmal durchgehen.“ Die Kinder, die diesmal nach Wallaby Island kamen, waren schwierige Fälle: drei schwer Asthmakranke, zwei im fortgeschrittenen Krebsstadium, zwei Diabetiker. Jedes Kind sollte eine herrliche Zeit verbringen und den Aufenthalt auf der tropischen Insel so gut es ging genießen können. Jill und Charles hatten die Listen für die Ausrüstung oft besprochen und ergänzt, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.

„Das ist nicht nötig“, entgegnete er unwirsch. „Und das weißt du auch.“

„Ich möchte nur sichergehen.“

„Du meinst, du fühlst dich unwohl hier. Bei mir.“

„Du hast mich geküsst.“ Es klang nicht anklagend, sondern mehr wie eine Feststellung.

„Ja, ich erinnere mich.“ Diesmal lächelten auch seine Augen. „Und es war angenehm. Okay, dann lauf zu deinen Listen.“

„Ich versuche, zum Hafen zu kommen. Bis nachher.“

Vielleicht hätte ich doch mitfahren sollen.

Jill stand am Anleger und spürte noch die Wärme von Lilys kleiner Hand in ihrer. Sah Charles’ Lächeln vor ihrem inneren Auge. Wurde das Gefühl nicht los, dass er sie zum Abschied geküsst hätte. Aber er musste sich auf seine Gehhilfen stützen, als er an Bord ging, und sie hatte Abstand gehalten.

Nicht noch mehr Küsse, dachte sie.

„Pass gut auf dich auf“, hatte er gesagt. „Du bist meine Verlobte. Arbeite nicht so hart und delegiere alles, was dir zu viel ist, an andere. Denn wenn ich zurückkomme und merke, dass du müde und erschöpft bist, werde ich das gesamte medizinische Team feuern.“ Er sprach so laut, dass alle rundherum es hören konnten.

Die Leute grinsten, manche lachten laut auf. Jill war immer noch verlegen. Charles hatte sich wirklich so angehört, als wäre sie ihm wichtig. Einerseits genoss sie seine Fürsorge, andererseits verunsicherte sie sie. Die Anwesenden betrachteten sie, als wäre sie etwas Besonderes. Aber das bin ich nicht. Niemals.

„Pass auf dich und auf Lily auf“, hatte sie mühsam hervorgebracht, und Charles lächelte sie an, so voller Zärtlichkeit, dass sie es wie eine Liebkosung spürte.

Und dann waren sie fort.

Jill blickte ihnen nach, bis sie die Bucht verließen – zwei undeutliche Gestalten am Bug des Schiffes. Charles saß, und Lily stand neben ihm. Bevor sie endgültig außer Sicht verschwanden, winkten sie ihr ein letztes Mal zu.

Mein Mann und meine Tochter.

Bewusst ließ sie sich die Worte durch den Kopf gehen und wartete darauf, dass die gewohnte Panik einsetzte. Seltsamerweise passierte nichts. Weil sie nicht hier waren und in den nächsten zwei Wochen auch nicht wiederkommen würden? Ich sollte bei ihnen sein. Jetzt kam die Panik. Heiraten, Familie, das hörte sich gut an, solange es in weiter Ferne lag. Wie wird es in Wirklichkeit sein?

Charles ist anders als Kelvin.

Jill zuckte zusammen. Wo mochte Kelvin sein? Wenn er wüsste, was sie vorhatte … Nein, beruhigte sie sich, er ist nur noch ein böser Traum. So weit weg von ihrem Leben, dass er nicht mehr existierte.

Aber er hat immer gesagt, dass er mich umbringt, wenn ich ihn verlasse.

Lass es sein! ermahnte sie sich. Hör nicht auf die Echos der Vergangenheit. Vor dir liegt die Zukunft.

Eine Zukunft, die sie nicht zu umarmen wagte.

Dröhnendes Motorgeräusch riss sie aus ihren Gedanken. Jill drehte sich um und sah Georgie auf den Anleger zurasen. Georgie, Gynäkologin und Geburtshelferin der Stadt und passionierte Bikerin.

„Habe ich sie verpasst?“, rief sie, stellte ihre Maschine ab und marschierte auf Jill zu. „Ich wollte ihnen alles Gute wünschen, aber das Baby der Langleys hatte andere Pläne. Charles ist bestimmt sehr stolz.“

„Das ist er.“

„Und nicht nur wegen der Neueröffnung auf der Insel.“ Grinsend hakte sich Georgie bei ihr unter. „Noch eine Hochzeit, hurra!“

„Ja.“

„Hey, du wirkst nicht gerade wie die errötende Braut.“

„Ich bin zu alt zum Erröten.“

Georgie warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. Wie Jill hatte auch sie in jungen Jahren schwere Zeiten erlebt. Inzwischen war sie überglücklich mit Alistair verheiratet. „Charles ist ein liebenswerter Mann“, sagte sie sanft.

„Lass ihn das nicht hören.“

„Jaja, er will, dass wir ihn für autoritär und reizbar halten.“ Georgie lachte leise. „Aber du weißt, dass er ein Stubentiger ist?“

„Klar“, antwortete Jill matt.

„Willst du denn einen Stubentiger?“ Georgie musterte sie. „Man kann leicht denken, dass Frauen wie wir nur mit einem starken Mann an unserer Seite glücklich werden.“

„Ich nicht.“

„Nein, aber mein Alistair ist der beste Beweis dafür, dass ein Held nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Ohne den Wirbelsturm hätte ich vielleicht nie erfahren, was in ihm steckt.“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
Mehr erfahren
Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
Mehr erfahren
Amy Andrews
<p>Amy war ein Kind, das immer eine Geschichte im Kopf hat. Ihr Lieblingsfach war English und sie liebte es Geschichten zu schreiben. Sollte sie einen Aufsatz mit nur 100 Worten schreiben – schrieb Amy 1.000 Worte. Anstatt nur eine Seite bei dem Thema „ Beschreibt auf einer Seite eure Sommerferien“...
Mehr erfahren