Julia Ärzte zum Verlieben Band 94

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IN DEN SANFTEN HÄNDEN DES RETTERS von LENNOX, MARION
"Minenunglück. Zwei Einstürze. Arbeiter und Ärztin verschüttet." Alarmiert hört Notarzt Josh Campbell den Funkspruch von Wildfire Island. Denn die einzige Ärztin auf der Insel ist Maddie, seine Exfrau. Und sie ist hochschwanger! Für Josh beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit …

UNSER KIND MUSS LEBEN! von MACKAY, SUE
Alles will Jodi tun, um das Leben ihres Sohnes zu retten! Auch wenn sie den Mann anflehen muss, den sie früher so geliebt und dann verlassen hat, weil er Gefühle nicht zuließ und nur seine Arbeit kannte: Dr. Mitch Maitland - Jamies Vater, der nichts von Jamie ahnt …

ALLE LIEBEN DR. WORTHINGTON von MARINELLI, CAROL
Wenn Dr. Worthington durchs Krankenhaus eilt, leuchten die Augen aller Schwestern. Marnie ist vom ersten Arbeitstag an gewarnt! So ein Traummann kann bestimmt nicht treu sein … Aber als der Single-Dad in eine Notlage gerät, ist sie zur Stelle. Und darf nicht seinem Charme verfallen …


  • Erscheinungstag 16.12.2016
  • Bandnummer 0094
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709754
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marion Lennox, Sue MacKay, Carol Marinelli

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 94

MARION LENNOX

In den sanften Händen des Retters

Keine Sekunde zögert Dr. Maddie Haddon: Sie muss in die Mine zu dem verletzten Arbeiter, auch wenn sie hochschwanger ist. Doch dabei gerät sie selbst in Lebensgefahr – und das Baby kommt! Nur Notarzt Josh Campbell kann ihr helfen, ihr Ex, den sie nie aufgehört hat zu lieben. Wenn sie jemals das Tageslicht wiedersieht, wird sie auf ihre Gefühle hören …

SUE MACKAY

Unser Kind muss leben!

Für Kinderarzt Mitch Hawke sind die Tränen von Müttern leider Teil seines aufreibenden Jobs im Auckland General Hospital. Aber seine Welt gerät ins Wanken, als Jodi sein Büro betritt und ihn verzweifelt um Hilfe für ihren todkranken Sohn bittet! Denn Jodi und er waren ein Paar, bis sie ihn verließ. Fassungslos erfährt er jetzt, dass er Jamies Vater ist …

CAROL MARINELLI

Alle lieben Dr. Worthington

„Dr. Worthington, ich helfe Ihnen!“ Für Harry sind das die schönsten Worte der Welt. Marnie wird ab sofort seine Zwillinge betreuen. Sicher weiß die schöne Krankenschwester, dass er nicht an die Liebe glaubt, und macht sich keine falschen Hoffnungen. Doch was richtig und falsch ist, weiß er nach einem ersten heißen Kuss selbst nicht mehr …

PROLOG

Helden und Heldinnen entscheiden sich nicht bewusst dafür, mutig zu sein, dachte Maddie. Meist haben sie keine andere Wahl. In ihrem Fall wurde sie unfreiwillig zur Heldin, als große Felsbrocken sie in einer Mine gefangen hielten – einer Mine, die sie erst gar nicht hätte betreten sollen.

Diese Heldin war nicht mutig. Sie war einfach nur dumm.

Schließlich wussten alle, dass es dort gefährlich war. Ian Lockhart, der Besitzer, hatte Wildfire Island schon vor Wochen mit einem Berg von Schulden verlassen und ohne die Gehälter seiner Angestellten zu bezahlen. Kurz nach seinem Verschwinden war die Mine aus Sicherheitsgründen geschlossen worden.

Wer hatte also die grandiose Idee gehabt, eine der Schichten dicht unter der Oberfläche anzuzapfen?

Schließlich gab es Gründe dafür, warum dieser Bereich bisher nicht erschlossen worden war. Der Fels war brüchig. Aber da sie keine Gehälter bekommen hatten und verzweifelt Einkommen suchten, hatten die Inselbewohner den Zaun durchtrennt und angefangen zu graben. Niemand sollte davon wissen.

Aber jetzt … vor einer Stunde war der Anruf durchgekommen. Ein zersplittertes Stück Holz der Stützbalken und ein kleiner Felsbrocken hatten einem der Inselbewohner ein zerbrochenes Bein beschert.

Wenn der Bruch nicht so schlimm gewesen wäre, hätten die Bergleute Kalifa ins Krankenhaus gebracht und ihr Geheimnis für sich behalten. Stattdessen hatten sie Maddie angerufen und sie gebeten, über die Berge zu dem verwilderten Minengelände zu kommen.

Maddie – Madeline Haddon – war zwar hochschwanger, aber die einzig verfügbare Ärztin. Die Bergleute hatten ihr gesagt, dass Knochensplitter aus Kalifas Haut ragten und er deshalb nicht transportiert werden könnte, ohne dass man riskierte, die Blutzufuhr zu durchtrennen.

Sie hatte keine andere Wahl gehabt.

Als sie in der Mine eingetroffen war, hatte es sie große Mühe gekostet, ihn zu stabilisieren. Kalifa musste dringend operiert werden, wenn er nicht für den Rest seines Lebens humpeln sollte, und Maddie machte sich Sorgen, ob sein Herz dieser Belastung gewachsen sein würde. Daher hatte sie Keanu angerufen, den anderen Inselarzt, der gerade auf dem Rückweg von einer Klinik auf dem Festland war. Sie hatte ihn gebeten, Kalifas Überführung nach Cairns zu organisieren, als sie plötzlich von unten ein ominöses Grummeln gehört hatte.

Kurz darauf kam aus der Öffnung der Mine eine große Schmutz- und Staubwolke.

Maddie hatte geglaubt, dass Kalifa und seine beiden Freunde, die sie angerufen hatten, allein gearbeitet hätten. Sie hatte nicht gedacht, dass noch weitere Männer in der Mine sein würden. Aber dann kamen sie stolpernd und vom Staub geblendet aus der Öffnung.

Sie hatte den beiden Männern dabei geholfen, Kalifa auf den Rücksitz des Jeeps zu hieven. In Notfällen wie diesen diente ihr Auto schon einmal als Ambulanz. Doch dann hatte sie sich umgedreht und entsetzt dabei zugeschaut, wie die Bergleute ins Freie gestolpert waren.

„Wie viele von euch sind da unten?“, fragte sie den ersten Mann, der eine tiefe Fleischwunde am Arm hatte. Sie griff nach einem Verband und drückte ihn auf die Wunde.

„Zw … zwölf Männer“, erwiderte er.

„Und sind jetzt alle draußen?“ Als man sie wegen Kalifa angerufen hatte, hatte sie gedacht … Warum hatte sie nicht nachgefragt?

„Es fehlen noch drei.“

„Aber warum? Wo sind sie?“

„Malus Bein ist zerschmettert“, erwiderte er. „Er blutet wie verrückt.“

„Sitzt er fest? Ist der Schacht eingestürzt?“

„Nur … ein bisschen Steinschlag, wo Kalifa gegen den Balken gefallen ist. Malu hatte Pech – wir wollten die Abstützung wieder aufrichten, er befand sich direkt darunter, als der Felsen runterkam. Macca und Reuben helfen ihm rauszukommen, doch sie können den Druckverband nicht länger festziehen. Aber der Schacht ist frei genug. Sie müssten gleich rauskommen.“ Seine Stimme erstarb. „Vorausgesetzt, sie können die Blutung stoppen.“

Maddie starrte den Mann entsetzt an.

Der Staub hatte sich inzwischen gelegt. Alles sah fast so aus wie immer.

Jemand war am Verbluten …

Oh, verdammt!

Sie hatte die Männer, die aus der Mine gekommen waren, kurz überprüft. Niemand schien ernsthaft verletzt zu sein. Und sie standen einander bei. Die Krankenschwester, die sie begleitet hatte, Caroline Lockhart, kümmerte sich gerade um einen Bergmann, der anscheinend seinen Arm gebrochen hatte. Doch er stand auf zwei Beinen und schien außer Gefahr zu sein. Einige der Männer hockten auf dem Boden und husteten. Sie mussten noch untersucht werden.

Ersteinschätzung.

Ein gebrochener Arm. Schürfwunden, Schnittwunden und sonst nichts. Kalifa wartete darauf, dass man ihn ins Krankenhaus brachte.

Doch jemand war am Verbluten …

Die Ersteinschätzung sagte ihr genau, wo sie gebraucht wurde.

Aber sie war schwanger. Schwanger! Instinktiv legte sie die Hand auf den Bauch und zuckte innerlich zurück.

Wie hoch war das Risiko?

Es war nur ein kleiner Felsbrocken heruntergestürzt, sagte sie sich. Der Schacht als solcher war unversehrt.

Doch hinten im Schacht drohte Malu zu verbluten. Sie hatte keine andere Wahl.

„Helfen Sie mir“, herrschte sie einen unverletzten Bergmann an. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie auf den Verband, den sie auf die Wunde am Arm seines Kumpels gelegt hatte. „Drücken Sie ganz fest und machen Sie so weiter, bis Caroline Zeit hat, Ihnen zu helfen. Die Blutung lässt bereits nach, aber lassen Sie den Verband nicht los. Caroline, können Sie Keanu funken?“

„Er ist auf dem Weg von Atangi hierher.“

„Sagen Sie ihm, er soll mit dem Boot an dieser Küstenseite der Insel anlegen und so schnell wie möglich herkommen. Inzwischen sollten Sie Kalifa nicht bewegen. Er braucht einen Arzt, der ihn auf dem Transport begleitet. Die Blutzufuhr zu seinem Bein scheint stabil zu sein, solange er sich nicht rührt. Glücklicherweise haben wir genug Schmerzmittel für ihn dabei. So, und jetzt geben Sie mir Ihre Taschenlampe“, befahl sie einem anderen Bergmann. „Und Ihren Schutzhelm.“

„Sie … Sie können dort nicht reingehen“, stammelte der Kumpel. „Doc, Sie sind schwanger. Das ist zu gefährlich.“

„Natürlich ist es gefährlich. Ihr Idioten habt in einer Mine gearbeitet, die eigentlich geschlossen sein sollte. Aber habe ich eine andere Wahl? Malu hat zwei Kinder, und seine Frau ist meine Freundin. Caro, jetzt übernimmst du hier das Kommando!“

Sie griff nach ihrer Tasche, setzte sich den Helm auf und steuerte auf den Schacht zu.

„Doc, warten Sie, ich komme mit“, rief einer der Männer ihr hinterher.

„Denken Sie nicht mal dran. Sie haben auch Kinder“, schnappte sie zurück. „Wir haben schon vier Idioten in der Mine. Wagt ja nicht, fünf daraus zu machen!“

1. KAPITEL

Dr. Joshua Campbell war so gelangweilt vom Patiencespielen, dass er jede Partie inzwischen schneller beendete. Das war zwar nicht im Sinne des Spiels, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Er hatte schon jede verfügbare Fachzeitschrift gelesen und die Ausrüstung wieder und wieder gecheckt. Er war unruhig im Zimmer auf und ab gelaufen und hatte das restliche Personal des Cairns Air Rescue Service in den Wahnsinn getrieben. Er hatte das Gefühl durchzudrehen.

Die ganze Woche lang war nichts Außergewöhnliches passiert. In ganz Nordqueensland schien niemand auch nur auf eine Spinne getreten zu haben, und die Patiententransporte, um die er sich hatte kümmern müssen, waren reine Routine gewesen. Es hatte keinen einzigen Notfall gegeben.

„Wenn nicht bald was passiert, gehe ich noch zur Armee“, sagte Josh mürrisch zu Beth, der Rettungssanitäterin. „Vielleicht nehmen sie mich ja im Bombengeschwader. Glaubst du, es gibt hier in der Gegend Bedarf an Bombendeponien?“

„Warum putzt du nicht einfach mal unsere Küche, nur so zur Übung?“, gab Beth verdrossen zurück. „Ferien und drei Jungs in der Pubertät? Eine Handgranate könnte nicht mehr Chaos anrichten. Wenn dir nach Explosionen zumute ist, musst du dir nur einen Haushalt zulegen. Vielleicht solltest du heiraten.“

„Hab ich schon hinter mir“, grummelte er.

„Ja, ich weiß, mit Maddie. Aber das ist doch schon Jahre her.“ Beth und Josh hatten ihre Stellen zum selben Zeitpunkt angetreten, und da sie jetzt schon viele Jahre miteinander gearbeitet hatten, gab es nur wenig, was der eine nicht vom anderen wusste. „Du hast es nicht lange genug ausgehalten, um wirklich zu wissen, was häusliches Glück bedeutet.“ Doch dann verschwand ihr Lächeln. „Oh …. Verdammt, tut mir leid, Josh. Ich weiß, ihr habt das Baby verloren, aber trotzdem … Das ist doch alles schon so lange her. Glaubst du, dass du und Karen vielleicht …“

„Nein!“ Er sagte es mit mehr Nachdruck als beabsichtigt und war selbst erstaunt über die Heftigkeit seiner Antwort. Sie befanden sich im Personalraum, der zu dem großen Hangar gehörte, in dem die Rettungsflugzeuge standen. Die Tür war offen, und seine Stimme hallte in dem gewölbten Hangar wider. „Nein“, wiederholte er ein wenig leiser, „Familienleben interessiert uns beide nicht.“

„Und ihr seht euch immer weniger“, sagte Beth nachdenklich. „Wie wäre es mit einem Dating Portal? Vielleicht findest du ja so die richtige Frau?“

„Beth …“

„Du bist jetzt sechsunddreißig, Josh. Zugegeben, du siehst immer noch sehr gut aus. Aber das wird nicht immer so bleiben. Ehe du es dich versiehst, brauchst du eine Gehhilfe und bist deprimiert darüber, dass du keine Enkelkinder hast …“

„Jetzt steht mein Entschluss fest – ich werde mich definitiv für das Bombengeschwader bewerben“, erwiderte er und warf ihr ein Bündel Papiere hin. „Nur um vor dir zu flüchten. Schau dir lieber mal das Dokument hier an. Ich hab zwar schon alle Papiere geordnet, aber was soll’s? Dann hab ich wenigstens die Zeit, mein Bewerbungsschreiben für die Armee auszufüllen.“

In diesem Moment meldete sich das Funkgerät. Beide griffen danach, aber Beth schnappte es sich zuerst. Sie hörte den kurzen Anweisungen am Ende der Leitung zu, während ihre Miene immer ernster wurde.

Die Papiere lagen vergessen auf dem Boden. Josh griff schon nach seiner Jacke. Er kannte diesen Gesichtsausdruck. „Was ist los?“, erkundigte er sich, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.

„Es gibt Ärger“, erwiderte sie und zog sich ebenfalls die Jacke an. „Auf Wildfire Island ist eine Mine eingestürzt. Einer der Bergleute hat ein gebrochenes Bein und muss nach Cairns überführt werden. Das Flugzeug geht um zehn.“

„Ein Mineneinsturz?“, wiederholte Josh. „Und nur ein Mann ist verletzt worden?“

„Ja, gleich zu Beginn. Eine der Abstützungen ist eingebrochen. Hat das Bein des Mannes zerquetscht, aber diese Idioten haben wohl nicht begriffen, dass sie die Mine evakuieren sollten. Jetzt hingegen …“ Sie schüttelte den Kopf. „Der Einsturz scheint ziemlich heftig zu sein. Wir haben noch nicht alle Informationen, aber es sieht so aus, als wäre eine Ärztin aus der Gegend ebenfalls eingeschlossen.“

Eine Ärztin aus der Gegend.

Wildfire.

Etwas in Josh erstarrte zu Eis.

Beth sah ihn an. „Was ist los?“

„Du hast gesagt Wildfire. Ein Teil der M’Langi Gruppe?“

„Ja.“

„Da arbeitet doch Maddie.“

„Maddie?“ Ihre Augen weiteten sich. „Deine Maddie?“

„Wir sind ja nicht verheiratet.“

„Ich weiß, und das seit Jahren. Aber woher willst du das wissen?“

„Naja, ich … ich verfolge ihren Weg ein bisschen. Sie arbeitet zwei Wochen auf der Insel und zwei Wochen auf dem Festland. Ihre Mutter lebt in einem Altersheim in Cairns.“

„Verstehe“, nickte Beth verblüfft, dann schien es ihr plötzlich zu dämmern. „Heißt das, du stalkst sie?“

Das sollte zwar ein Witz sein, aber Josh fand es nicht so lustig.

„Natürlich nicht. Wir bleiben nur in Verbindung, schicken uns zu Weihnachten und den Geburtstagen Karten. Ich weiß, wo sie arbeitet, für den Fall, dass …“ Er zögerte. „Zur Hölle, ich habe keine Ahnung.“

Beths Gesichtszüge wurden weicher. Sie zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu und klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Ich weiß, wie es ist“, sagte sie. „Schließlich war ich bereits zweimal verheiratet. Einmal dein Ex, immer dein Ex. Aber mach dir keine Sorgen, es gibt schließlich ein großes medizinisches Zentrum auf Wildfire. Die Ärztin in der Mine muss nicht Maddie sein.“

„Stimmt.“ Josh starrte ins Leere. Irgendetwas sagte ihm … Er wusste es einfach.

„Erde an Josh“, sagte Beth mit fester Stimme. „Unser Flugzeug wartet. Lass uns gehen!“

Der Krach kam wie aus dem Nichts. Gerade hatte Maddie noch sehr effizient im Dämmerlicht gearbeitet. Sie war besorgt gewesen, hatte aber keine Angst.

Jetzt aber hatte sie Angst.

Sie musste den Staub, die Dunkelheit und die Angst ausblenden.

Wo war ihr Patient?

Sie hatte ihre Taschenlampe verloren und war voller Schreck hingefallen, als die Felswand um sie herum zusammengebrochen war. Alles in Ordnung, dachte sie, als sie sich vorsichtig hinkniete. Wenn sie ihren Mund bedeckte, konnte sie immer noch atmen. Nur konnte sie nichts sehen.

Und irgendwo in der Nähe war ein Mann, der kurz davor war zu verbluten.

Wo war nur die verdammte Taschenlampe?

Die Telefon-App! Maddie schluchzte erleichtert auf, als sie sich an einen Nachmittag vor ein paar Wochen erinnerte. Sie hatte zusammen mit Hettie, der Oberschwester, auf der Terrasse der Klinik gesessen, und Caroline hatte ihnen gezeigt, welche Apps sie auf ihre Handys laden konnten.

Für die meisten hatte sie keinen Bedarf, aber es hatte auch eine Taschenlampen-App gegeben, falls man im Dunkeln landete. So wie jetzt und … Ja, ihr Handy war in ihrer Tasche. Sie zog es heraus und tippte die App an.

Eine erstaunliche Menge Licht kämpfte sich durch den Staub.

Jetzt sah sie auch die große Taschenlampe vor sich auf dem Boden liegen. Erleichtert hob Maddie sie auf und knipste sie an. Glücklicherweise war sie nicht kaputt.

Und als Nächstes …

Der Verletzte, um den sie sich kümmern musste.

Sie war den Männern auf der Hälfte des Wegs begegnet. Blut war von Malus Bein heruntergelaufen, und er war nur halb bei Bewusstsein gewesen. Die Bergleute hatten ihm einen Druckverband angelegt, aber das reichte nicht.

„Er braucht mehr Druck“, hatte sie die beiden angeblafft. „Legt ihn hin.“

Dann hatte sie das Grummeln gehört. Sie hatte gespürt, wie die Erde zitterte.

„Los, lauft“, hatte sie die beiden Männer angeschrien, die ihn trugen, und das Echo ihres Schreis hallte noch immer in ihren Ohren wider.

Sie waren losgelaufen.

Maddie hoffte, dass sie es ins Freie geschafft hatten. Der Weg, auf dem sie gekommen war, war durch Felsbrocken blockiert. Hoffentlich waren sie auf die andere Seite gelangt.

Aber jetzt gab es Wichtigeres für sie. Sie musste Malu finden. Mit ihrer Taschenlampe und dem Handy reichte die Sicht nur für ein paar Meter.

„Malu?“

„H … hier.“

Zwischen ihnen lag ein Steinhaufen. Maddie kletterte darüber hinweg, auch wenn die Steine ihr ins Fleisch schnitten. Sie war jetzt im achten Monat schwanger. Vielleicht war es ja keine gute Idee, in diesem Zustand zu klettern, doch darum ging es jetzt nicht.

Malu lag direkt dahinter und hatte Glück gehabt, dass die Felsen ihn nicht erschlagen hatten.

Und er war noch am Leben. Ja, er hatte Glück gehabt, sehr viel Glück.

Auf dem Oberschenkel hatte er eine tiefe Fleischwunde, die auch der Druckverband nicht ganz verdecken konnte. Darunter tröpfelte das Blut …

Maddie zog ihre Jacke aus und wickelte sie ihm ums Bein.

Malu schrie vor Schmerzen auf.

„Tut mir leid“, sagte sie, konnte aber im Moment nichts dagegen tun. „Zuerst müssen wir die Blutung stoppen, und dafür muss ich fest drücken.“

„Entschuldigen Sie, es war nur der Schock …“

„Ja, ich hätte Sie warnen sollen.“

Das Atmen fiel ihr nicht leicht, bei all dem Staub und Dreck in der Luft. Trotzdem versuchte sie, nach außen hin möglichst kontrolliert zu wirken und ihrem Patienten nicht zu zeigen, wie viel Angst sie hatte.

Malu blieb stumm. Maddie kannte ihn, er war ein Inselbewohner der M’Langi Gruppe, die für ihre Zähigkeit berühmt waren.

Er hatte eine Frau und zwei kleine Kinder.

Maddie dachte daran, dass sie Morphium in ihrer Tasche hatte. Wenn sie nur ein weiteres Paar helfender Hände gehabt hätte …

Aber das hatte sie nicht.

Seine Hose waren zerrissen. Sie drückte mit einer Hand auf die Wunde und riss mit der anderen Hand sein Hosenbein bis zum Knöchel auf.

Dann suchte sie in ihrer Tasche nach einer Schere und fand sie glücklicherweise sofort. Ein Schnitt, und sie hielt das Stück Stoff in der Hand. Sie legte es um das Bein und zog es immer fester zusammen, bis Malu vor Schmerz aufschrie.

„Malu, das Schlimmste ist vorbei“, sagte sie, nachdem sie es geschafft hatte, den Stoff zu verknoten. „Die Blutung hat aufgehört, und ich habe jetzt die Hände frei. Ich werde uns Masken machen, damit wir leichter atmen können. Und dann hole ich Ihnen Schmerzmittel.“

Außerdem braucht er Flüssigkeit, dachte sie und dankte Gott dafür, dass sie ihre Tasche nicht verloren hatte. Ja, sie konnte versuchen, ihm eine Salzinfusion zu legen. Aber unter diesen Bedingungen steril zu arbeiten würde nicht einfach sein.

Das Wichtigste war, Malu jetzt am Leben zu erhalten. Nachdem er so viel Blut verloren hatte, musste sie die Flüssigkeiten austauschen.

Malu reagierte jetzt kaum noch. Sein Puls … Sein Puls …

Fünf Minuten später hatte Maddie ihm Morphium gespritzt und eine improvisierte Infusion gelegt, die die Flüssigkeit in seinen Arm pumpte. Sie hatte ihre Bluse zerrissen und daraus Atemmasken gemacht, damit der Staub nicht in ihre Lungen kam. Jetzt lehnte sie sich zurück und fand endlich Zeit, selbst zu atmen.

Doch sie hatte das Gefühl zu ersticken. Ihre Augen waren voller Splitt.

Aber sie waren am Leben.

„Doc?“ Malus Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Hmmm?“

„Macca und Reuben … Sie haben mich getragen.“

„Ja, ich weiß.“

„Reuben ist mein Onkel. Glauben Sie, sie haben es geschafft?“

„Ich weiß es nicht.“ Es machte keinen Sinn, ihn anzulügen. Wahrscheinlich kannte Malu die Risiken noch besser als sie. Maddie griff nach seiner Hand und hielt sie fest. Mehr konnte sie im Moment nicht tun.

Der Gedanke, dass die anderen sie suchen würden und sich durch den Schutt kämpfen mussten … selbst wenn sie ihn hätte verlassen können, hätte ihr das nichts genutzt. Die Trümmer um sie herum waren nicht zu durchdringen.

Malu drückte fest ihre Hand. „Denken Sie nicht mal dran, die Steine wegzuschaffen. Das geht nur von der anderen Seite. Aber Sie sollten jetzt das Licht ausschalten.“

„Wie bitte?“

„Das Licht. Wir brauchen es im Moment nicht. Wer weiß, wie lange wir …“

„Völlig richtig“, nickte Maddie und knipste ihre Taschenlampe und die App aus. Doch als sie auch ihr Handy abschalten wollte, tauchte auf einmal eine SMS auf dem Display auf.

Wann war sie gekommen? Das hatte sie gar nicht mitbekommen.

Die Botschaft war simpel.

Maddie? Sag mir, dass du nicht in der Mine bist. Wir sind unterwegs mit dem Rettungsflugzeug. Josh.

Josh!

Josh würde kommen.

Ihr Handy funktionierte. Hilfe war unterwegs.

Es war erstaunlich, dass das Signal bis hier unten gekommen war. Aber der Tunnel war ja auch nur schmal, und in regelmäßigen Abständen gab es Regulierungsschächte. Allein das Telefon zu haben war eine große Beruhigung für Maddie. Und Josh würde kommen … Plötzlich fühlte sie sich unendlich erleichtert. Sie sagte Malu Bescheid und spürte, wie sich sein Griff um ihre Hand lockerte. Ja, die Kavallerie war unterwegs und würde sie retten.

Josh würde kommen.

Eigentlich sollte ihr das egal sein, denn ihre Ehe war ja schon seit Jahren vorbei. Inzwischen waren sie … Freunde? Vielleicht nicht einmal das.

Egal … Josh würde kommen.

„Sie bekommen also immer noch Signale?“, fragte Malu voller Hoffnung.

„Ja, so gerade noch.“

„Sagen Sie ihnen, sie sollen sich beeilen. Und wenn auch nur eine Kamera am Ausgang steht, brauche ich ein Paar neue Hosen, bevor sie mich rausbringen.“

Maddie schmunzelte. Er war so voller Zuversicht.

Aber sein Puls war weiterhin sehr schwach.

„Ich werde es ihnen sagen“, erwiderte sie und tippte die Nachricht ein.

Ja, wir sind unter Tage. Ein Felsbrocken versperrt uns den Eingang. Außerdem bräuchten wir dringend neue Kleidung. Irgendwie funktioniert der Reinigungsdienst hier nicht so gut.

Sie las Malu die SMS vor, und er kicherte. Vielleicht sollte ich noch mehr schreiben, dachte Maddie. Eigentlich war ein ausführlicher medizinischer Report angesagt. Doch im Moment reichte es zu wissen, dass sie beide noch am Leben waren.

Dabei würde sie es belassen müssen, bis Josh …

Bis die Kavallerie eintreffen würde.

Das Flugzeug rollte auf die Landebahn raus. „Bitte schalten Sie Ihr Handy aus“, fuhr der Pilot Josh an. Er wollte sein Telefon schon in die Tasche stecken, als plötzlich eine weitere Nachricht auf seinem Display erschien.

Ja, wir sind unter Tage. Ein Felsbrocken versperrt uns den Eingang.

Außerdem bräuchten wir dringend neue Kleidung. Irgendwie funktioniert der Reinigungsdienst hier nicht so gut.

Er stieß einen Fluch aus.

„Josh?“ Beth sah ihn besorgt an.

„Sie ist dort unten“, sagte er grimmig. „Maddie sitzt in der Falle.“

„Noch ein Grund mehr, dein Handy auszuschalten, damit wir endlich losfliegen können“, erwiderte sie. Dann nahm sie ihm das Telefon ab und las die Nachricht. Ihre Gesichtszüge erstarrten. Das Rettungsteam war zwar an schreckliche Nachrichten gewöhnt. Aber wenn es eine von ihnen traf …

„Bitte warten Sie noch dreißig Sekunden“, bat sie den Piloten und fing an, eine SMS einzutippen.

„Was machst du da?“ Josh versuchte, ihr das Telefon wegzunehmen, doch sie drehte ihm den Rücken zu und tippte weiter. Nachdem sie die Nachricht abgeschickt hatte, reichte sie ihm das Handy.

Er starrte auf das Display.

Wir sind unterwegs. Josh führt uns an. Er wird dich retten, und wenn er mit seinen bloßen Händen graben muss.

„Beth …“ Er konnte kaum sprechen.

„Stimmt es etwa nicht?“, fragte sie, während er vergeblich versuchte, seine Panik zu verbergen.

„Doch“, erwiderte er und schaltete das Telefon aus, bevor es endlich losging.

2. KAPITEL

Welche gütige Fee hatte dafür gesorgt, dass sie mit einem voll bepackten Medikamentenkoffer in die Mine gegangen war?

Und welcher böse Geist hatte sie dazu veranlasst, überhaupt dort reinzurennen?

In den nächsten Stunden versuchte Maddie, sich einen Reim auf das Geschehen zu machen.

Es hätte ein automatisches System vor Ort geben müssen, um mich aufzuhalten, dachte sie, während die Dunkelheit um sie herum immer schwärzer zu werden schien. Und Absperrungen, die verhindert hätten, dass die Ex-Minenarbeiter überhaupt reinkommen konnten.

Aber wer hatte eigentlich das Sagen gehabt? Ian Lockhart vielleicht? Ihm gehörte diese Mine, oder, um genauer zu sein, seinem Bruder. In den letzten Jahren war es mit der Insel stetig bergab gegangen. Vielleicht hatte Lockhart einfach kein Geld mehr gehabt. Es hatte auch Gerüchte gegeben, dass der medizinische Dienst schließen musste.

Heute Morgen hat er wenigstens noch funktioniert, dachte Maddie und klammerte sich damit an den einzigen Funken Hoffnung, den sie in diesem Albtraum finden konnte. Es war gut, dass sie hergekommen war. Ja, es war dumm von ihr gewesen, die Mine zu betreten, aber zumindest hatte sie drei Liter Kochsalz mitgebracht und Malu bisher nur zwei davon verabreicht. Die Blutung hatte inzwischen fast vollständig aufgehört. Aber sein Blutdruck fing an zu steigen und …

Und sie war noch immer unter Tage gefangen. Und zwar ziemlich tief unter Tage.

In diesem Moment klingelte ihr Handy, keine SMS also.

Ein richtiger Anruf. Instinktiv drehte Maddie den Ton leiser. Der Staub setzte sich immer noch, und es schien ihr, als würde nur das leiseste Geräusch noch mehr Gestein in Bewegung setzen.

Malu war nicht mehr bei Bewusstsein. Sie hatte ihm Morphium gegeben, und er war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Das Klingeln hatte ihn anscheinend nicht aufgeweckt.

„Ha … hallo.“ Es fühlte sich komisch an, den Anruf unter diesen Umständen entgegenzunehmen. Sie musste plötzlich husten. „Wa … warten Sie!“

Hoffentlich war es Josh.

Aber warum dachte sie das? Josh kam aus Cairns. Es war unmöglich, dass er schon hier sein konnte. Ihr Husten ließ nach, und sie konnte sich wieder konzentrieren.

„Maddie?“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang ziemlich verzweifelt. Und sie gehörte nicht Josh.

Sie erkannte sie – es war Keanu, einer der anderen beiden Inselärzte. Sam, der ständige Arzt, hatte Urlaub genommen, bevor sie ihr Baby bekam. Daher waren Keanu und sie jetzt die einzigen Mediziner auf der Insel.

„Was ist los?“, fragte er besorgt. „Geht’s dir gut?“

„Wir sitzen hier in der Falle, sind aber sonst so weit okay.“ Sie sah zu Malu hinüber. „Stimmt’s?“

Er reagierte nicht, aber das hatte Maddie auch nicht erwartet. Die Wunde in seinem Oberschenkel war sehr tief. Ohne das Morphium hätte er schreckliche Schmerzen erleiden müssen. Sie lockerte seine Gesichtsmaske ein bisschen. Eigentlich brauchten sie Sauerstoff. Warum hatte sie daran nicht gedacht?

„Maddie?“

Sie konzentrierte sich wieder auf den Anruf. „Keanu? Malu hat eine Aufprallverletzung am Oberschenkel.“ Wahrscheinlich hatte er auch ein paar gebrochene Rippen, aber das wollte sie in seiner Gegenwart nicht sagen. „Sobald wir hier raus sind, müssen wir ihn nach Cairns zur OP bringen. Aber es ist mir gelungen, die Blutung zu stoppen, er ist jetzt stabil. Ich habe ihm zwei Liter Kochsalz und fünf Milligramm Morphium ge …“

„Das hattest du alles dabei?“, fragte Keanu ungläubig.

„Ich war früher schließlich bei den Pfadfindern“, erwiderte sie trocken. „Unser Motto lautet allzeit bereit.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann …

„Sind Macca und Reuben bei dir?“

„Sie sind weggelaufen, als es den zweiten Einsturz gab. Wir sind hier ganz allein.“

Er hatte sein Handy offensichtlich auf laut gestellt, denn sie konnte im Hintergrund ein Schluchzen hören. Wahrscheinlich sind sie im Büro der Mine, und das Schluchzen kommt von einem Mitglied von Maccas oder Reubens Familie, dachte sie.

Malus Familie war bestimmt auch da.

Nur für sie selbst gab es niemanden.

Andererseits … Josh würde kommen. Das hatte er ihr versprochen.

Aber Josh gehört nicht zu meiner Familie, rief sie sich ins Gedächtnis. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte er auch nie dazu gehört.

„Dieser letzte Felssturz …“ Maddie brach ab und hatte Angst, die Frage überhaupt zu stellen. Doch dann sammelte sie sich und sprach weiter. „Ist jemand verletzt worden?“

„Nein, allen geht es gut außer euch vieren.“

„Was ist mit Kalifa?“

„Maddie, mach dir lieber Sorgen um dich selbst.“

„Sollte ich das denn?“

Erneutes Schweigen.

„Kann sein, dass es ein bisschen dauern wird, bis wir zu euch durchstoßen“, meinte Keanu. „Wie ist die Luft dort unten?“

„Ziemlich staubig.“

„Aber?“

„Aber sonst ist alles okay.“ Sie schnüffelte. „Ich kann einen Luftzug spüren, Glaubst du, dass es hier eine Ausstiegsluke gibt?“

„Ich könnte mir vorstellen, dass der Luftzug aus einem Ventilationsschacht kommt. Dem Himmel sei Dank, dass er noch funktioniert.“ Keanu zögerte. „Maddie, wir müssen vom Festland Experten und Ausrüstung besorgen.“

„Vom Festland … Also aus Cairns?“

„Ja.“

„Kommen sie mit dem Rettungsflugzeug?“

„Woher weißt du etwas über das Rettungsflugzeug?“

„Von Josh.“

Wieder schwieg der Mann am anderen Ende der Leitung. „Dein Josh“, sagte er schließlich.

„Er ist nicht mein Josh“, erwiderte sie und fügte hinzu: „Woher weißt du überhaupt, dass er mein Josh ist?“

„Hettie hat es mir gesagt. Sie hat die Nachricht des Cairns Air Sea Rescue übermittelt. Aber … hast du selbst mit ihm gesprochen?“

„Ja.“

„Maddie?“

„Mmhh?“

„Du solltest sparsam mit deinem Handy umgehen. Vielleicht ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für ein Schwätzchen mit deinem Ex.“

„Er hat mir eine SMS geschickt. Außerdem habe ich drei Akkus für mein Telefon in meinem Koffer. Das reicht für zwei Tage.“

„Vielleicht ja auch nicht.“

„Du machst wohl Witze!“

„Das hoffe ich“, erwiderte er. „Aber ob es nun zwei Tage dauert oder nicht … Geh sparsam mit deinem Telefon um.“

Ob es nun zwei Tage dauert oder nicht, geh sparsam mit deinem Telefon um.

Maddie kniete sich hin und gab sich alle Mühe, nicht in Panik zu geraten.

Zwei Tage?

Vor nicht allzu langer Zeit hatte es einen Zwischenfall gegeben, bei dem Bergleute eingeschlossen gewesen waren. Wo war das doch gleich gewesen? In Tasmanien? Und nach wie vielen Tagen hatte man die Männer bergen können? Nach vierzehn Tagen? Maddie konnte sich nicht an die Einzelheiten erinnern, doch sie wusste noch, wie sie die Bilder der Rettung am Fernseher gesehen hatte. Sie war überwältigt gewesen von der Tragödie des Mineneinsturzes, aber noch überwältigter vom Mut der Bergleute, die unter diesen schrecklichen Umständen ganz ruhig geblieben waren.

Allerdings war auch keiner von ihnen schwer verletzt gewesen.

Malu hat einen Schock gehabt, und er hat eine tiefe Schnittwunde, aber sonst? Er musste unbedingt geröntgt werden, und dazu mussten sie ihn ins Krankenhaus bringen. Nur da konnte man sein Bein erfolgreich operieren.

Es war im Moment so dunkel, dass sie ihn nicht einmal sehen konnte.

Zwei Tage …

Es herrschte absolute Dunkelheit.

Sie griff nach Malus Handgelenk. Sein Pulsschlag war stabil. Sie musste die Taschenlampe nicht anknipsen.

Trotzdem stellte Maddie sie kurz an. Nur für einen Moment.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war etwa zwölf Quadratmeter groß. Die Decke war noch intakt, darüber gab es Abstützungen. Aber am Ende des Raums waren diese Stützbalken völlig zersplittert.

Auf dem Boden lagen viele kleine Brocken. Am besten, sie räumte sie weg, dann konnte Malu bequemer liegen.

Dazu brauchte sie die Taschenlampe nicht. Sie knipste sie wieder aus, und die Dunkelheit traf sie wie eine Ohrfeige.

In diesem Moment gab ihr Telefon ein kleines Pling von sich. Sie atmete dreimal tief durch, um sich zu beruhigen, und sah dann auf das Display.

Wir sind gelandet. Seid ihr sicher dort unten? Vielleicht kannst du ja ein paar hübsche Felsen als Kopfkissen benutzen. Oder willst du nicht vielleicht doch lieber hochkommen?

Maddie hätte ihn küssen können. Doch natürlich küsste sie Josh nicht. Jedenfalls nicht mehr. Er hatte Bekundungen von Zuneigung in der Öffentlichkeit nie gemocht, nicht einmal, als sie noch verheiratet gewesen waren. Sie hatte nie gezweifelt, dass er sie begehrte. Aber Zärtlichkeiten hatten sie immer nur hinter verschlossenen Türen ausgetauscht. Fast hätte man den Eindruck bekommen können, er schämte sich dafür, dass er sie brauchte.

Aber das tat er ja auch nicht. Das war ihm vor fünf Jahren klar geworden, als sie sich getrennt hatten. Doch in diesem Moment brauchte Maddie ihn. Und deshalb entschloss sie sich auch, ihm zu antworten.

Ich gehe nirgendwohin. Versuche nur zu entscheiden, welchen Stein ich als Kopfkissen nehmen soll. Habe Malu Morphium gegeben. Er hat sehr viel Blut verloren. Habe ihm zwei Liter Kochsalz gespritzt. Jetzt hab ich nur noch eine Ampulle, und die will ich in Reserve behalten. Sein Puls liegt bei hundertzwanzig. Gerade noch bei Bewusstsein. Mache mir Sorgen.

Keanu und sein Verbot, ihr Telefon zu benutzen, konnten ihr gestohlen bleiben. Sie schickte die Nachricht ab. Na klar, das Leben ihrer Batterie war kostbar, aber Josh war Traumaspezialist, noch dazu ein sehr guter, und sie brauchte seinen Rat. Wenn sie schon hier unten mit Malu gefangen war, musste sie alles tun, um ihm am Leben zu halten.

Das schloss den Kontakt mit Josh ein. Oder etwa nicht?

Nachdem die SMS weg war, wurde es wieder dunkel um sie herum.

Josh war auf dem Weg von Wildfires kleinem Flughafen und musste die Berge überqueren, um die Mine zu erreichen. Bestimmt gab es dort einige Funklöcher.

Wie lange würde es dauern, bis ihn ihre Nachricht erreichte?

Aber war das überhaupt von Bedeutung? In medizinischer Hinsicht konnte er schließlich auch nicht mehr für Malu tun als sie.

Maddie musste daran denken, dass sie viele Freunde auf Wildfire Island hatte. Seit fünf Jahren war sie jetzt Flugärztin auf der Insel und verbrachte ihre Zeit zur Hälfte dort und zur anderen Hälfte auf dem Festland in Cairns. Es ging ihr gut, ihre Ehe lag lange hinter ihr. Jetzt stand der nächste Schritt in ihrem Leben an … Er bedeutete zwar ein Risiko, war aber etwas, wonach sie sich verzweifelt sehnte.

Ohne darüber nachzudenken, legte sie die Hand auf ihren Bauch. Bei dem Einsturz war sie zwar von Steinen getroffen worden, aber war es ihr gelungen, ihr Baby ausreichend zu schützen?

Warum, zum Teufel, hatte sie das Leben ihres Kindes aufs Spiel gesetzt? Es war zwar nur der Bruchteil einer Sekunde gewesen, aber … im Nachhinein erschien es ihr geradezu auf kriminelle Weise dumm.

„Es tut mir leid. Tut mir so leid“, flüsterte sie zu dem kleinen Wesen in ihrem Bauch und war den Tränen nahe.

Sie musste unbedingt mit jemandem sprechen.

Vielleicht konnte sie Hettie ja eine Nachricht schicken. Hettie, die Oberschwester und Pflegedienstleiterin von Wildfire, war ihr eine richtige Freundin. Im Gegensatz zu Josh, der für sie inzwischen nur ein Kontakt geworden war. Jemand aus ihrer Vergangenheit, an den sie schon lange nicht mehr gedacht hatte, so wie man alte Fotos aus der Schulzeit wegräumt. Bis man sie dann irgendwann wegwirft.

Aber jetzt noch nicht, sagte Maddie sich und begann, sich im Dunkeln vorzutasten und Steine wegzuräumen, damit Malu es ein wenig bequemer hatte.

Fotos. Komisch – plötzlich konnte sie an nichts anderes mehr denken. An ein Foto ihrer Mutter, vor ihrem Schlaganfall. Und an Fotos von ihrer Hochzeit.

Doch das lag alles lange hinter ihr. Am besten, sie würde sie einfach wegwerfen. Sie strich sich noch einmal über ihren Bauch, und fast war ihr so, als würde sie beten.

„Ich brauche das alles nicht“, sagte sie laut, obwohl das Sprechen durch den Staub fast unmöglich war. „Die Vergangenheit ist endgültig vorbei. Jetzt habe ich eine Zukunft.“

Trotzdem …

Bitte, melde dich bald, bat sie im Stillen. Bitte, Josh!

Bis dahin würde sie weiter die Steine wegräumen.

Auf der Landebahn wartete ein Lastwagen. Ein Helikopter wäre besser gewesen, dachte Josh grimmig, während sie ihre Ausrüstung auf den Wagen luden. „Früher hatten wir einmal einen Landeplatz neben der Mine, doch der wurde schließlich zu teuer“, hatte Hettie, die Oberschwester auf Wildfire, ihnen erklärt. „Jetzt hat der Dschungel sich den Platz zurückerobert. Deshalb werden wir euch im Lastwagen dorthin bringen.“

Wenn sie mit dem Helikopter dort nicht landen konnten, würde der Wagen auch die Verletzten zurückbringen müssen, damit sie ausgeflogen werden konnten.

Die Verletzten …

Maddie?

Bei dem Gedanken an die Situation, in der sie sich befand, wurde Josh ganz übel. Er konnte jetzt nicht an sie denken, sondern musste sich ganz auf den Job konzentrieren, der vor ihm lag.

Nachdem sie alles verstaut hatten, ließ er sich auf dem Beifahrersitz des Lastwagens nieder. Ein zweiter Jeep nahm Beth mit. Sie verließen die Küstenstraße und fuhren um die Hochebene herum auf die andere Seite der Insel.

Er warf einen Blick auf sein Handy.

Nichts.

„Es gibt keinen Empfang, Kumpel“, erklärte der Fahrer. „Die Übertragung von Signalen funktioniert nicht, wegen der Hochebene.“

„Wissen Sie noch mehr?“

„Nicht mehr als Sie.“ Grimmig hielt der Fahrer das Steuer fest und sah starr geradeaus. „Bisher gibt es noch kein Lebenszeichen von Macca und Reuben. Sie sind Freunde. Wir wissen, dass Malu und Doc Haddon am Leben sind. Aber sie sind eingeschlossen.“ Er umklammerte das Steuerrad noch fester. „Dieser verdammte Lockhart. Er hat alles Geld aus der Mine gepresst, und was hat er damit gemacht? Immer wieder haben wir ihm gesagt, dass die Abstützungen erneuert werden müssen, weil die Mine sonst geschlossen werden muss. Und wo ist er? Jedenfalls nicht hier, um sich zu stellen, das steht mal fest.“

„Sprechen Sie von Max Lockhart? Ist er nicht der Besitzer von Wildfire?“

„Ja, allerdings. Aber wir haben ihn oder seinen Bruder Ian schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Ian hat vor ein paar Jahren das Geschäft für ihn übernommen, doch er hatte nur seinen eigenen Vorteil im Sinn. Jetzt ist er irgendwo im Ausland. In der Mine zu arbeiten wurde für uns immer gefährlicher. Irgendwann gab es dann kein Geld mehr, und er hat sich aus dem Staub gemacht. Und jetzt dieser Zwischenfall … Wie, zum Teufel, sollen wir die Leute da rausholen?“ Er stieß einen kräftigen Fluch aus.

„Und … Doc Haddon?“, fragte Josh zögernd.

Die Züge des Mannes wurden weicher, er nickte. „Sie ist eine tolle Ärztin. Arbeitet jetzt seit fünf Jahren auf der Insel und tut alles für unsere Leute.“ Sein Gesicht verfinsterte sich wieder. „Sie haben erzählt, sie wäre einfach in die Mine hineingerannt. Alle anderen sind weggelaufen, selbst die Männer, die Malu getragen haben. Aber sie hat sich nur ihren Medizinkoffer geschnappt und ist reingelaufen. Eine Heldin, das ist sie.“ Seine Augen wurden feucht, und er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.

In diesem Moment klingelte Joshs Telefon. Mit klopfendem Herzen las er den Namen des Absenders. Maddie.

Zunächst konnte er die SMS nicht lesen, weil auch ihm Tränen in den Augen standen. Doch dann klärte sich sein Blick.

Ich gehe nirgendwohin. Versuche nur zu entscheiden, welchen Stein ich als Kopfkissen nehmen soll. Habe Malu Morphium gegeben. Er hat sehr viel Blut verloren. Hab ihm zwei Liter Kochsalz gespritzt. Jetzt hab ich nur noch eine Ampulle, und die will ich in Reserve behalten. Sein Puls liegt bei hundertzwanzig. Gerade noch bei Bewusstsein. Mache mir Sorgen.

Wie lange mochte es her sein, dass sie die SMS geschickt hatte? Während er noch im Flieger gesessen hatte? Er wischte sich die Tränen fort und machte sich daran, ihr zu antworten.

Du hältst dich großartig. Sein Herzschlag wird hoch sein wegen des Schocks. Versuch, ihn warm zu halten. Schau mal, ob du seinen Oberschenkel ein bisschen höher betten kannst. Aber das weißt du ja alles selbst, Maddie. Vertrau deinem Instinkt. Liebe dich.

Doch dann machte Josh eine kurze Pause.

Wie oft hatte er in der Vergangenheit seiner Frau getextet und mit den Worten Liebe dich geendet?

„Du hast mich nie wirklich geliebt.“ Das waren Maddies Worte gewesen, in jenen schrecklichen letzten Tagen, als er erkannt hatte, dass es mit ihrer Ehe vorbei war. „Die Liebe teilt, Josh. Liebe heißt teilen, Josh. Liebe bedeutet Geben und Nehmen, und du weißt nicht, wie man das macht.“

Wahrscheinlich hatte sie recht gehabt. Er hatte sie nicht geliebt. Oder wenigstens nicht genug.

Ein paar Sekunden lang starrte er auf das Display und löschte die letzten zwei Worte. Dann schickte er die Nachricht ab.

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, was die Frauen jetzt alles durchmachen“, sagte der Lastwagenfahrer mehr zu sich selbst. „Und Pearl … Malus Frau … Auch sie hält große Stücke auf Maddie. Ich weiß nicht, ob Sie das gewusst haben, aber wenn eine Frau von der Insel ein Kind bekommt, fährt sie normalerweise sechs Wochen vor der Geburt nach Cairns ins Krankenhaus. Das ist aber keine Pflicht, und Pearl ist zu Hause geblieben. Weil das Baby dann mitten in der Nacht kam, musste Doc Haddon mit einem Helikopter rübergeflogen werden und hat das Kind mit einem Kaiserschnitt zur Welt gebracht. In Pearls Küche, stellen Sie sich das mal vor. Seitdem lässt sie sich von keinem anderen Arzt mehr behandeln.“

Josh hätte gern etwas darauf erwidert, fand aber nicht die richtigen Worte.

„Sind Sie verheiratet?“, erkundigte sich der Fahrer. Sie fuhren jetzt bergabwärts, durch dichten tropischen Regenwald, wahrscheinlich in Richtung Küste.

„Nein“, erwiderte Josh nach einer Weile. „Nicht mehr.“

Er hatte es nicht verdient, verheiratet zu sein. Er hatte es vermasselt.

Seine Eltern waren drogenabhängig gewesen, und so musste er, seit er denken konnte, immer den Beschützer spielen. Musste immer stark sein.

Einmal war eine Sozialarbeiterin zu ihnen ins Haus gekommen und hatte seine Schwester Holly gefunden, wie sie zusammengekrümmt auf dem Bett gelegen und gewimmert hatte. Sie hatten seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen.

Er war damals acht gewesen, und Holly fünf. Für sein Alter war er ziemlich groß gewesen, und im Gegensatz zu seiner Schwester hatte er nicht gewimmert. Man hatte ihm früh beigebracht, nicht zu weinen.

Die Sozialarbeiterin hatte ihm vorgeworfen, dass er Holly nicht beschützt hatte, und danach hatte er diesen Fehler nie wieder gemacht. Er hatte andere beschützt und beschützt und beschützt, soweit es in seiner Macht gelegen hatte.

Und jetzt? Jetzt war Maddie in Schwierigkeiten, sie war im Berg eingeschlossen.

„Partnerin?“ Vielleicht wollte der Typ sich einfach nur ablenken. Schließlich waren es ja auch seine Freunde, die in der Mine festsaßen.

Und das war es auch, was Maddie für ihn war. So etwas wie ein Freund. Nicht mehr und nicht weniger.

„So etwas Ähnliches … Ich habe eine Freundin“, erwiderte er und dachte an Karen. Sie trafen sich jetzt seit drei Monaten, was für seine Verhältnisse schon ziemlich lange war. Josh mochte sie, und es machte Spaß, mit ihr Zeit zu verbringen. Sie hatte auch nichts dagegen, dass sein Job ihn zeitlich so sehr beanspruchte. Um ehrlich zu sein, hatte er oft das Gefühl, dass sie ihn genauso benutzte wie er sie.

Vielleicht ist sie ja nicht einmal meine Freundin, dachte er. Aber das war jetzt auch egal.

Maddie hingegen …

„So, wir sind da“, verkündete der Fahrer und fuhr von der Hauptstraße – wenn man das überhaupt eine Hauptstraße nennen konnte – zu einem umzäunten Areal. Das Schild am Zaun besagte „Minengebiet – Zutritt verboten“. Sicherheitsvorkehrungen waren jedoch weit und breit nicht zu sehen.

Es gab einige heruntergekommene Baracken, die von ein paar Bäumen umgeben waren. Nur die vielen Fahrzeuge – ein uraltes Feuerwehrauto, ein Polizeimotorrad und ein Jeep vom Wildfire Medizinischen Dienst waren ein Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung war.

Der Fahrer hielt vor der ersten Baracke an und legte Josh die Hand auf die Schulter. „Viel Glück“, sagte er. „Danke, dass Sie gekommen sind. Wir können Ihre Hilfe wirklich gebrauchen.“

Josh stieg aus dem Lastwagen, als sein Handy erneut piepte. Wieder eine SMS von Maddie.

Hier unten ist es warm genug, aber Air Condition wäre nicht schlecht. Glaubst du, das lässt sich arrangieren? Und ich hätte auch nichts gegen ein paar weiche Kissen und zwei Matratzen. Malu wünscht sich ein Bier und ich einen Gin Tonic, obwohl ich mich auch mit Limonade zufriedengeben würde. Ja, Limonade wäre der Hit. Das ist meine Liste, Dr. Campbell. Kriegst du das hin?

Ja, ein Kissen wäre gut oder sogar großartig. Stattdessen lag Maddie auf dem Rücken, hatte die Hände hinterm Kopf verschränkt und versuchte, nicht daran zu denken, wie hart der Felsen war. Und wie schwer Malus Beine.

Versuch mal, ihn aufzurichten, damit seine Beine höher liegen als sein Herz.

Nun, das war leichter gesagt als getan. Sie hätte natürlich Steine unter seine Oberschenkel legen können – ja, das war bestimmt sehr gemütlich. Stattdessen hatte Maddie ihren weichen ledernen Medizinkoffer geleert und ihn Malu als Kopfkissen gegeben. Außerdem hatte sie ihn etwas Wasser trinken lassen. Nicht so viel, wie er gern gehabt hätte, denn wenn sie wirklich noch zwei Tage ausharren mussten, musste sie das Wasser rationieren. Da ihr nichts Besseres eingefallen war, hatte sie seine Beine auf ihre gelegt.

Das schien ihm zu helfen. Sie hielt sein Handgelenk umklammert und konnte den Unterschied spüren.

Er hatte dagegen protestiert, aber nicht sehr heftig. Tatsächlich dämmerte er immer wieder weg und nahm kaum wahr, was sie tat.

Auch Maddie hätte nichts dagegen gehabt, nicht mehr alles mitzubekommen. Sie hatte einen blutenden Kratzer auf der Stirn, und ihr ganzer Körper fühlte sich klebrig an.

Sie hätte alles für eine Dusche gegeben.

Ihr Rücken tat weh.

Hatte sie Krämpfe?

Nein, das bildete sie sich wahrscheinlich nur ein.

Und Josh? Er war irgendwo dort draußen.

Josh. Ihr Ehemann.

Nein, das war er nicht mehr. Aber in diesem Moment, zwischen all dem Staub und Schotter, erlaubte sie sich den Luxus, es sich vorzustellen. Schließlich hatte sie ihn geheiratet. Sie hatte einen Eid geschworen und es auch so gemeint.

Als sie die Scheidungsunterlagen unterzeichnet hatte, hatte sie das Gefühl, als würde es ihr das Herz brechen.

„Josh …“ Sie sprach seinen Namen laut aus, als wäre er eine Art Talisman. Nein, sie brauchte ihn nicht, jedenfalls nicht bis jetzt. Josh hasste es, gebraucht zu werden.

Aber das stimmte nicht ganz, gab sie zu. Er liebte es, körperlich Hilfe zu leisten, wie in diesem Moment. Der Retter, der eingeflogen wird. Aber als Maddie jemanden für ihre seelischen Schmerzen gebraucht hatte?

Das hatte zu ihrer Scheidung geführt.

„Wer ist Josh?“

Malus Stimme klang schläfrig. Er rührte sich, zog vor Schmerzen das Gesicht zusammen, fluchte und beruhigte sich dann wieder. Seine Beine waren unglaublich schwer, und Maddie spürte, dass sie nicht mehr lange so liegen konnte.

„Josh ist mein Exmann“, erwiderte sie, mehr um sich abzulenken. Ärzte enthüllen ihren Patienten nicht ihr Privatleben. Aber hier unten verschwammen die Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem. Zwei Tage? Hoffentlich nicht!

„Er arbeitet als Traumaspezialist bei Cairns Air Sea Rescue“, erklärte sie. „Er hat mir eine SMS geschickt und ist auf dem Weg hierher.“

„Ihretwegen?“

„Das ist sein Job.“

„Also nicht Ihretwegen.“

„Wir sind seit fünf Jahren geschieden.“

„Ach ja?“ Wahrscheinlich versuchte Malu, sich durch seine Fragen von seinen Schmerzen abzulenken. Es war schwierig, inmitten dieser staubigen Luft zu sprechen.

Maddie konnte ihm schlecht raten, seine Energien aufzusparen. Vielleicht brauchte sie ja ebenfalls Ablenkung.

„Dann ist er nicht der Vater Ihres Babys?“

„Nein.“ Mehr wollte sie nicht verraten, was er zu spüren schien.

„Ich kann mir nicht vorstellen, mich von meiner Pearl scheiden zu lassen“, sinnierte er. „Vor fünf Jahren also? Was ist denn da passiert? Oder war er nicht der richtige Mann für Sie?“

„Möglicherweise.“ Sie dachte darüber nach und musste plötzlich doch über ihn sprechen. Auf eine Art und Weise, wie sie es noch nie zuvor getan hatte.

„Josh hatte es nicht leicht“, sagte sie sanft in die Dunkelheit. „Er hatte eine jüngere Schwester, Holly. Seine Eltern waren völlig unfähig, und dass die beiden Kinder überlebt haben, ist wirklich ein Wunder. Sie wanderten von einer Pflegefamilie zur nächsten. Manchmal waren sie auch getrennt, aber Josh hat wie ein Löwe gekämpft, damit das nicht passierte. Er hat alles getan, um seine kleine Schwester zu beschützen. Beide waren die einzigen Konstanten im Leben des anderen.“

„Oh, das klingt schrecklich.“

„Ja“, nickte Maddie, „es war auch schrecklich. Aber Josh war ein zäher Bursche. Er hat ein Stipendium bekommen und Medizin studiert. Während seines Studiums hat er gearbeitet und Holly unterstützt.“

„Wo haben Sie ihn getroffen?“

„Kurz nachdem ich mein Studium beendet hatte. Wir wurden Freunde und … Na ja, eins führte zum anderen.“

„Zu Ihrer Hochzeit.“

„Stimmt“, flüsterte sie und dachte wieder an die wundervollen Monate, bevor der Albtraum begann. Wie sie im Dunkeln gelegen und Josh umarmt hatte. Wie sie gespürt hatte, dass er sie festhielt. Wie seine Liebe gewachsen war und sie geglaubt hatte, dass sie vielleicht eine Chance hatten.

„Aber?“ Malu musste wieder husten und begann zu stöhnen. Maddie rechnete schnell nach, wie viel Morphium sie noch hatte, und überlegte, dass sie ihm vielleicht in einer halben Stunde noch etwas geben konnte. Aber sie durfte ihn nicht zu sehr sedieren, nicht mit dem ganzen Staub in der Luft.

Daher musste sie ihn weiter ablenken. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen?

„Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir aus den richtigen Gründen geheiratet haben“, erklärte sie. „Meine Mutter … Aber vielleicht wissen Sie das ja schon. Ich habe Pearl davon erzählt, als sie mich gefragt hat, warum ich nicht die ganze Zeit über auf Wildfire bin. Mein Vater hat uns verlassen, als ich sechs Jahre alt war. Ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter und ich standen uns sehr nahe, doch dann hatte sie einen Schlaganfall. Sie ist nicht mehr in der Lage, irgendetwas selbstständig zu tun.“

Sie räusperte sich. „Jedenfalls, wie ich sagte, Josh war damals mein Kollege und mein Freund, und als der Schlaganfall passierte, war er eine unglaubliche Stütze. Er hat sich aufopferungsvoll um mich und meine Mutter gekümmert. Ich glaube, er besucht sie sogar jetzt noch. Er hat einfach alles richtig gemacht. Und ich … Nun ja, ich habe mich so rettungslos in ihn verliebt, dass ich plötzlich schwanger war.“

„Hey, so etwas kann passieren“, flüsterte Malu. „Und? Hat Josh sich darüber gefreut?“

„Ich bin mir nicht sicher“, flüsterte sie zurück. „Er hat es zwar behauptet, aber er ist gleichzeitig auch sehr gut darin, seine Emotionen zu verbergen. Jedenfalls hat er mir gesagt, dass er mich liebt, und dann haben wir geheiratet. Manchmal erschien er mir zwar ein bisschen distanziert, aber ich dachte … vielleicht …“

„Aber was ist mit dem Baby passiert? Was war der Grund für Ihre Trennung?“

„Sind Sie sicher, dass Sie das hören wollen?“

„Pearl behauptet immer, dass ich ein Klatschmaul bin“, sagte Malu. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. „Bitte, erzählen Sie es mir.“ Als Maddie zögerte, wurde sein Griff noch fester. „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber um ehrlich zu sein, habe ich ziemliche Angst hier unten im Dunkeln. Bitte, lenken Sie mich ein bisschen ab. Ich verspreche Ihnen, dass alles, was Sie sagen, unter uns bleiben wird.“

Sie hätte fast gelächelt. „Okay.“ Maddie zögerte einen Moment lang und fuhr dann fort: „Man sagt ja manchmal, ein Unglück kommt selten allein. So war es auch bei uns. Meine Mutter hatte einen Schlaganfall. Josh und ich heirateten, was an sich ja eine gute Sache war. Doch dann ereigneten sich noch zwei weitere Tragödien. Zuerst haben wir unser Kind verloren – Mikey kam zu früh auf die Welt –, und dann starb Joshs kleine Schwester.“

„Oh, Maddie.“ Malus Stimme war voller Mitgefühl.

„Na ja, wissen Sie, ich bin sicher, wenn es nur mein Baby und meine Schwester gewesen wäre, hätte Josh damit bestimmt großartig umgehen können. Aber es war sein eigener Schmerz, der ihn völlig umgehauen hat. Als Reaktion darauf hat er eine Mauer um sich errichtet. Er war emotional einfach nicht mehr zugänglich, ist sozusagen verschwunden.“

„Wie geht denn so etwas?“

„Normale Menschen schaffen das nicht“, erwiderte Maddie langsam. „Aber Josh hatte eine wirklich schreckliche Kindheit. Er selbst hat mir nie davon erzählt, ich weiß es von seiner Schwester. Trotzdem habe ich natürlich gemerkt, dass er manchmal Albträume hatte. Albträume und Dämonen, die ihn verfolgten. Dann kam Mikey auf die Welt, war aber zu schwach, um zu überleben. Und Holly wurde von einem Betrunkenen überfahren. Danach zog Josh sich so sehr in sich selbst zurück, dass ich ihn nicht mehr erreichen konnte. Irgendwann kam er dann zu mir und sagte völlig ruhig, dass er nicht wüsste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er meinte, er wäre nicht dazu in der Lage, mir ein guter Ehemann zu sein, und müsste mich deshalb verlassen.“

Maddie schüttelte den Kopf und versuchte, die Erinnerung an jenen schrecklichen Abend abzuschütteln, als Josh ihr erklärt hatte, dass ihre Ehe vorbei war.

Danach herrschte langes Schweigen, wofür sie sehr dankbar war. Und dann dachte sie … Ich habe doch Krämpfe. Magenkrämpfe.

Aber Krämpfe im Rücken?

Angst überkam sie.

Nun gut, sie lag auf felsigem Boden, und Malu hatte seine Beine auf ihre gelegt. Natürlich hatte sie Krämpfe.

Natürlich?

Oh, bitte …

„Sie können jetzt etwas Morphium bekommen, wenn Sie möchten“, sagte sie. Das gab ihr wenigstens die Gelegenheit, die Taschenlampe wieder anzuknipsen. Sie blickte kurz auf ihr Handy, doch da war keine neue Nachricht.

Nachdem sie Malu das Morphium injiziert hatte, lockerte sich sein Griff um ihr Handgelenk, und sie dachte, dass er langsam wieder in einen Dämmerzustand fallen würde. Doch die Felsen waren anscheinend zu hart, und das Morphium machte keinen großen Unterschied.

„Josh hat Sie also verlassen und angefangen, beim Cairns Air Sea Rescue Service zu arbeiten?“, flüsterte er.

„Nun ja, ich habe den Eindruck, dass er mit dem Schmerz und den Traumata anderer Leute besser umgehen kann als mit seinen eigenen“, sagte sie und versuchte, die richtigen Worte zu finden. Oder auch die richtigen Antworten. „Aber als wir unser Baby verloren … Er konnte es nicht aushalten, dabei zuzuschauen, wie sehr ich litt. Und als Holly starb, brach seine ganze Welt zusammen. Er konnte mich nicht trösten, und er hatte das Gefühl, wenn er mir seinen Schmerz zeigte, würde ich das nicht aushalten. Und weil er mir nicht helfen konnte, hat er mich verlassen.“

„Oh, meine Liebe …“

„Mir geht’s gut“, flüsterte sie.

Malu hustete und griff wieder nach ihrer Hand. „Ich mag mich ja irren“, flüsterte er. „Aber das ist nicht mein Eindruck.“

„Was denn?“

„Dass es Ihnen gut geht. Und zwar nicht nur wegen der Erinnerung an Ihren Exmann, der Sie verlassen hat.“

„Ich bin okay.“

„Ich spüre immer, wenn jemand leidet.“

„Ein paar Steine haben mich getroffen. Ich werde wohl einige Schrammen haben.“

„Sie können gern das Kopfkissen mit mir teilen.“

„Das wäre ja nicht sehr professionell“, erwiderte Maddie trocken und versuchte zu lächeln. In diesem Moment klingelte ihr Handy.

Hey, du. Wie sieht’s denn bei euch aus? Ich hoffe, ihr seid in Ordnung. Josh.

„Ist das die Nachricht, dass die Bulldozer kommen?“, fragte Malu. Als Maddie hörte, wie brüchig seine Stimme klang, knipste sie wieder die Taschenlampe an.

Dann überlegte sie, was sie Josh sagen konnte. Außer der Tatsache, dass sie Angst hatte. Oder, um genauer zu sein, zu Tode erschrocken war. Sie hasste die Dunkelheit und hatte schon angefangen, in Panik zu verfallen. Der Staub in ihrer Lunge machte das Atmen schwierig, und die Krämpfe …

Komm schon, reiß dich zusammen, befahl sie sich selbst. Es würde niemandem nutzen, wenn sie jetzt hysterisch wurde.

Sie hätte diese verdammte Mine gar nicht erst betreten sollen.

Aber dann wäre Malu jetzt tot.

Josh wollte Tatsachen hören. Mit Emotionen kam er nicht zurecht.

Ja, Josh. Uns geht es gut.

3. KAPITEL

Josh war nicht auf Wildfire, um in eine Mine zu gehen und Leute rauszuholen. Nicht einmal Maddie. Er war gekommen, um medizinische Hilfe zu leisten, eine Ersteinschätzung der Lage vorzunehmen und die Verletzten zu evakuieren, wenn nötig.

Doch er sah auch, dass seine Hilfe mehr als willkommen war. Die Einwohner der Insel taten alles, was in ihren Kräften stand, aber das Ärzteteam bestand nur aus einem Doktor und zwei Krankenschwestern. Dieser eine Arzt – den die Inselbewohner Keanu nannten – hatte anscheinend ziemlich lange gebraucht, um einzutreffen, und kümmerte sich jetzt um den ersten Mann, der bei dem Einsturz verletzt worden war. Er hatte ein gebrochenes Bein und dann noch einen Herzkollaps bekommen.

Aber Josh wurde auch noch an anderer Stelle gebraucht. Offenbar waren die Bergleute nach dem Einsturz noch einmal in die Mine zurückgekehrt, um ihre verletzten Kumpel zu holen. Doch das hatte nicht funktioniert, weil dem ersten ein zweiter Einsturz gefolgt war, mit weiteren Verletzten. Keanu hatte deshalb alle Hände voll zu tun und nahm Joshs und Beths Anwesenheit kaum zur Kenntnis.

Überall herrschte schreckliches Chaos, und niemand schien zu wissen, was zu tun war.

„Wo ist der Manager der Mine?“, fragte Josh ärgerlich, während er die Szene betrachtete, die sich vor ihm abspielte. Eine Gruppe dreckiger Bergleute kauerte vor dem Eingang zur Mine. Alle standen noch unter Schock. Keanu hatte die Verletzten unter einer Palme aufgebahrt. Er und die Krankenschwestern kümmerten sich unter Hochdruck um den Mann mit dem Beinbruch. Als Josh auf sie zuging, schüttelte Keanu den Kopf.

„Wir haben alles, was wir hier brauchen. Aber es war recht knapp für diesen Burschen hier, und es gibt noch andere, die Hilfe brauchen. Zum Beispiel der Mann mit dem Arm dort hinten.“ Er zeigte ein paar Meter weiter auf einen Kumpel, der auf dem Boden lag.

„Keine Atembeschwerden?“

„Na ja, alle haben natürlich Staub eingeatmet … Wir könnten Sauerstoff gebrauchen, aber …“

„Ich werde Beth bitten, die Atemwege der Männer zu untersuchen.“

„Bin schon dabei.“ Beth ging auf den Lastwagen zu, um die Sauerstoffflasche zu holen. „Okay, Jungs“, rief sie. „Wenn jemand Lust auf frischen Atem hat, kommt zu mir und stellt euch in einer Reihe auf.“

„Was geschieht unten in der Mine?“, fragte Josh.

„Hettie ruft gerade den Vorstand in Cairns an. Wir brauchen eine Expertenmeinung. Sie haben versprochen, uns Männer und Geräte zu schicken.“

Aus Cairns. Das würde Stunden dauern.

Maddie war dort unten.

Keanu regulierte gerade eine Tropfinfusion und beobachtete mit Argusaugen den Atem des Mannes. „Sie sind also Ihr Exmann“, sagte er schließlich.

„Ja, genau.“

„Also, wir alle lieben Maddie. Aber sie ist jetzt dort unten, und es ist der Job der Experten, sie herauszuholen. In der Zwischenzeit gibt es hier mehr Arbeit, als wir bewältigen können. Wir versuchen noch immer, die Männer zu stabilisieren. Bis jetzt haben wir eine gebrochene Wirbelsäule, einen Mann, dessen Arm so zerschmettert ist, dass er ihn vielleicht verliert, einen Beinbruch, begleitet von Schock und Atemschwierigkeiten und noch sehr viel mehr. Können Sie sich als Erstes um die Wirbelsäule kümmern?“

Auch wenn er es nicht wollte, musste Josh aufhören, an Maddie zu denken, die unter Tage gefangen war. Maddie, die sich im Innern einer Mine befand, in der es bereits zweimal zu Einstürzen gekommen war. Er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren.

Die Ersteinschätzung.

Er ging zu dem Mann mit der gebrochenen Wirbelsäule. Aber solange er nicht in Schockstarre verfiel – was gut sein konnte, wenn der Bruch wirklich schwer war – hatte der Mann mit dem Arm Priorität. Hoffentlich konnte er ihn retten.

Vier Menschen befanden sich noch da unten, darunter Maddie.

„Wer ist der Manager der Mine?“, fragte er die Bergleute.

„Sein Name ist Ian Lockhart“, erwiderte einer der Männer. „Jedenfalls ist er derjenige, der hier eigentlich das Sagen haben sollte. Aber er hat sich aus dem Staub gemacht, als die Schuldeneintreiber aufgetaucht sind.“

„Und ist er derjenige, der hier das Kommando hatte?“

„Nein, das war Pete Blake. Max Lockhart gehört zwar die Insel, aber er ist nie da. Er hat Pete engagiert, um die Mine zu betreiben, aber Ian hat Pete vor einem Jahr gefeuert und hat sich selbst um alles hier gekümmert. Reuben Alaki ist jetzt der Vorarbeiter, aber …“ und hier brach seine Stimme, „Reuben ist einer der Männer, die unten gefangen sind.“

„Ist Pete denn noch auf der Insel?“

„Ja. Er ist wahrscheinlich gerade draußen zum Angeln.“

„Holt ihn her“, fuhr Josh den Mann an. „Ihr könnt den Helikopter benutzen.“

„Wie bitte? Sollen wir ihn von seinem Boot herunterholen?“

„Ja, genau“, erwiderte er grimmig. „Wir brauchen einen Experten, und zwar schnell.“ Er beugte sich zu dem Mann mit dem gebrochenen Arm. Er sah ziemlich schlimm aus. „Okay, Kumpel, wir werden dich jetzt untersuchen und dir ein Schmerzmittel geben. Und dann sollten wir alles tun, um eure Männer aus der Mine zu holen.“

In diesem Moment spürte Josh eine feuchte Hundeschnauze an seinem Bein. Er erstarrte und sah fassungslos auf den großen goldenen Labrador hinab.

Bugsy.

Es war schon so lange her, dass er den Hund gesehen hatte, sodass ihm unwillkürlich die Tränen kamen. Auch der Hund schien ihn wiederzuerkennen, und das war wirklich erstaunlich.

Nach ihren Flitterwochen hatte Josh ihn Maddie geschenkt. Durch seine Arbeit, die oft Rettungsaktionen mit einschloss, war er häufig weg und wusste sehr wohl, wie einsam sie war. Mit dem Hund änderte sich das, und er war auch die einzige Konstante in ihrem Leben gewesen, als ihre Ehe zerbrochen war. Danach war es nur logisch erschienen, dass Maddie ihn behielt.

Doch dass er jetzt hier war … auf der Insel …

Josh wusste, dass er sich damit nicht aufhalten durfte. Er musste den Bruch untersuchen, der ziemlich schwer zu sein schien. Zuerst hatte er den Eindruck, dass die Blutzufuhr stabil genug war, um die Hand zu retten. Aber plötzlich war er sich nicht mehr so sicher.

Hinter ihm kümmerte Keanu sich um den Mann mit dem gebrochenen Bein.

„Lauf und finde Maddie“, sagte Josh zu Bugsy und gab ihm einen kleinen Schub. „Ich kann jetzt nicht zu ihr, aber vielleicht … Hol Maddie! Lauf!“

Die Krämpfe waren wirklich sehr schmerzhaft.

Es ist doch nur mein Rücken, sagte sie sich. Es muss mein Rücken zu sein. Ich muss ihn verstaucht haben, als ich gefallen bin.

Die Krämpfe kamen im Abstand von fünfzehn Minuten.

Oder auch zehn.

Ohhhh.

„Josh, ich brauche Sie hier.“

Keanu hätte ihn bestimmt nicht gerufen, wenn es nicht dringend wäre. Er hob den Arm, den er behandelt hatte und bat Beth, ihn in dieser Position zu halten, damit das Blut hindurchfließen konnte.

Es gab wirklich mehr als genug für ihn zu tun. Wenigstens hielt ihn das davon ab, noch länger über Maddie nachzudenken.

„Erzählen Sie mir, wie Sie Pearl kennengelernt haben“, bat Maddie Malu.

Sie merkte, wie die Trennungslinie zwischen Arzt und Patient immer mehr verschwand. Es schien von Minute zu Minute dunkler zu werden, und ihre einzige Verbindung zur Realität war Malus Hand.

Dankbar lauschte sie ihm, wie er ihr von seiner Jugend auf der Insel berichtete, die er mit Tauchen und Fischen verbracht hatte. Erst spät hatte er angefangen, sich für Mädchen zu interessieren.

Als er dann Pearl traf, hatte er genau gewusst, dass sie die richtige Frau für ihn war.

Es hatte zehn Jahre gedauert, bis sie seinen Heiratsantrag schließlich angenommen hatte.

Und dann waren die Babys gekommen. Sie führten ein ganz alltägliches Leben, doch ihre Liebe war so stark wie am ersten Tag.

Maddie blinzelte, als Malu schließlich verstummte. Dann merkte sie, dass er eingeschlafen war.

Die Liebe, dachte sie wehmütig. Man erkannte erst, wie selten sie war, wenn man sie verloren hatte.

Sie hatte ihr Baby verloren, das zu früh zur Welt gekommen war. Mikey … Er hatte nur zwei Stunden lang gelebt.

Und sie hatte Josh verloren.

Doch das stimmte nicht. In Wirklichkeit hatte er ihr ja nie gehört. Und jetzt würde sie endlich ein Baby haben, das sie lieben konnte.

Sie hatte ihr ungeborenes Kind in eine eingestürzte Mine gebracht. Wie hatte sie nur etwas so Dummes tun können? Auch wenn sie Malu hatte retten wollen … Aber dabei zu riskieren, dass ihr Baby …

Doch Josh war da draußen, sagte sie sich, als im selben Moment ihr Handy klingelte.

Ja, es war ein richtiger Anruf, keine SMS. Als Maddie abnahm, war er wunderbarerweise selbst am anderen Ende der Leitung!

„Hi!“

Nicht weinen, ermahnte sie sich. Auf keinen Fall!

„Maddie?“

Sie holte ein paarmal tief Luft und versuchte, zu sprechen.

„J-Josh.“

„Hey …“

„Nein. Entschuldige, ich will dich nicht erschrecken.“ Sie versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen, und war froh, dass Malu schlief. „Also, Malu geht es den Umständen entsprechend gut. Nur sein Blutdruck wird immer höher. Allerdings glaube ich nicht, dass wir die dritte Portion Kochsalz brauchen werden.“ Es gab keinen Grund dafür, Josh zu sagen, warum sie sie in Reserve behalten wollte. „Außerdem war es anscheinend eine gute Idee, sein Bein anzuheben. Ich habe ihm zusätzlich noch fünf Milligramm Morphium gespritzt.“ Beim nächsten Satz konnte sie nicht verhindern, dass ihre Stimme brach. „Wann können wir wohl mit Hilfe rechnen?“

„Wir arbeiten daran. Pete Blake ist gerade mit dem Hubschrauber eingeflogen worden. Er war draußen am Riff beim Angeln und kennt das Gestein in- und auswendig.“

„P-Pete ist ein guter Mann.“ Maddie war genau wie die übrigen Inselbewohner schockiert gewesen, als er entlassen worden war. „Aber …“

„Aber er kann dich nicht allein dort unten rausholen“, beendete Josh den Satz für sie. „Wir müssen die Lage genau analysieren, bevor wir irgendetwas tun. Ich fürchte, du wirst noch eine Nacht dort unten verbringen müssen.“

Eine Nacht. Na gut – das war immerhin besser als die zwei Tage, von denen Keanu gesprochen hatte.

„Wie sollen wir hier wissen, wann es Zeit zum Schlafengehen ist?“, fragte sie in dem Versuch, die Situation ein bisschen aufzulockern.

„Du kannst doch jederzeit auf dein Handy schauen, Maddie. Aber wenn du möchtest, rufe ich dich an und sage dir Bescheid. Und wenn du darauf bestehst, singe ich dir sogar ein Schlummerlied.“

„Du!“

„Meine Stimme wird mit dem Alter immer besser“, erwiderte er leicht gekränkt. „Möchtest du sie hören?“

„Nein.“

„Du hast einfach keinen Geschmack. Ich weiß wirklich nicht, warum ich dich geheiratet habe.“

„Ich weiß es auch nicht“, erwiderte sie, und plötzlich war der Ernst wieder da. Die Vergangenheit kam zurück – aber auch die Gegenwart. „Josh?“

„Hmmm?“

„Was geht da draußen vor sich?“

„Wir haben gerade eine Hand gerettet.“

Sie hielt die Luft an. „Wessen Hand?“

„Die von Max Stubbs.“

„Oh!“ Maddie dachte an die Gruppe der Bergleute, die nach dem Einsturz aus der Mine geströmt waren. Max war darunter gewesen. Er war zwar gestolpert, hielt sich aber wenigstens auf den Beinen. „War seine Blutzufuhr unterbrochen? Das ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Gibst du dir etwa die Schuld daran?“

„Na ja, wenn ich oben geblieben wäre …“

„Du hast angerufen. Malu hat dich mehr gebraucht.“

„Ja, aber ich habe nicht einmal …“

„Seine Blutzufuhr war anfangs noch nicht gestaut. Der Bruch war instabil und hat sich bewegt. Mach dir keine Sorgen. Wir haben es im Griff.“

Sie zögerte, wollte es aber wirklich wissen. „Was ist sonst noch passiert?“

„Gar nichts.“

„Komm schon, erzähl mir doch keine Märchen. Ich höre es an deiner Stimme. Was ist passiert?“ Sie kannte Josh nur zu gut. Natürlich hatte er auch Gefühle, doch er versuchte, sie zu verbergen.

„Maddie …“

„Wenn du es mir nicht sagst, nehme ich mal an, dass Gas ausgeströmt und jetzt auf dem Weg zu uns ist. Es wird uns erreichen, wird uns ersticken, bis wir …“

„Maddie!“

„Also los, sag es mir schon!“

Er zögerte, gab sich dann aber einen Ruck. „Wir haben einen Patienten verloren. Der erste Mann, der ins Freie gelangt ist.“

„Kalifa?“ Das konnte sie kaum glauben. „Aber er hatte doch nur ein gebrochenes Bein.“

„Herzstillstand. Siebenundsechzig Jahre alt. Übergewichtig. Er hätte überhaupt nicht in die Mine runter dürfen.“

„Keiner von ihnen hätte es gedurft“, erwiderte sie bitter. „Aber Kalifa … Sein Herz … oh nein, ich hätte nicht …“

„Jetzt hör endlich auf, dir Vorwürfe zu machen“, sagte er streng. „Du warst nur eine Ärztin inmitten einer Katastrophe. Du hast getan, was du konntest. Ein paar weitere Männer, die unbedingt den Helden spielen mussten, sind auch noch verletzt. Aber ich denke, das kriegen wir hin. Was macht der Akku von deinem Handy?“

Die Batterie war in Ordnung. Das hoffte Maddie jedenfalls. Denn die Verbindung zu Josh war das Einzige, was sie davon abhielt durchzudrehen „Sie wird noch eine Weile halten, denke ich. Aber ich muss vorsichtig damit umgehen. Josh?“

„Hmmm?“

„Musst du nicht zurück an die Arbeit?“

„Ja, allerdings. Wir sind gerade dabei, die Männer zu stabilisieren. Danach müssen wir sie nach Cairns ins Krankenhaus bringen. Aber ich bleibe hier am Mineneingang.“

Warum bedeutete ihr das so viel? Und warum löste seine Stimme etwas in ihr aus, das jahrelang geschlafen hatte?

„Stell dir vor, Bugsy ist hier“, wechselte er das Thema. „Warum behältst du ihn eigentlich hier auf der Insel, wenn du nur die Hälfte der Zeit da bist?“

„Er ist unser Krankenhaushund. Alle lieben ihn, aber offiziell kümmert Hettie sich um ihn, wenn ich in Cairns bin. Hettie ist unsere Oberschwester. Harte Schale, weicher Kern.“

„Genau wie ich“, erwiderte er, und sie hörte ihn lächeln. Warum ihr Herz deswegen weinte, wusste sie selbst nicht.

Schon wieder dieses komische Gefühl. Aber sie war doch längst über ihn hinweg, sagte sie sich.

„Bist du okay?“, fragte er besorgt, und sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Diese Krämpfe … Diese Rückenschmerzen … Aber warum sollte sie ihn auch noch beunruhigen? Er konnte schließlich nicht einfach den Zauberstab schwenken und sie hier herausholen.

„Mir geht’s gut.“

„Du klingst aber nicht so.“

„Na gut, ich gehe mal davon aus, dass mein Lippenstift verschmiert ist. Aber irgendwie kann ich hier keinen Spiegel finden.“

Sie hörte, wie er kurz auflachte, doch es klang auch ein wenig gezwungen. „Ich rufe dich in einer Stunde wieder an, wenn Keanu nicht hinschaut“, versprach er. Es gelang ihr zu lächeln, und sie versuchte sich einzureden, dass die Krämpfe schließlich nicht so schlimm waren.

„Was tust du, wenn er es mitbekommt?“

„Dann ruf ich dich trotzdem an. Ich verspreche es dir.“

Maddie versuchte, nicht an Josh zu denken. Sie versuchte, auch nicht an We… an Krämpfe zu denken. Wenn sie ganz ruhig liegen blieb, waren sie auch gar nicht so schlimm.

Wenn sie nur nicht so regelmäßig gewesen wären!

Jetzt kamen sie alle zehn Minuten und gingen durch ihren ganzen Körper. Sie musste sich zwingen, nicht zu keuchen. Und nicht zu schreien.

Wenn ich ganz ruhig bleibe …

Und sie blieb ganz ruhig.

Sie lag in der Dunkelheit, starrte ins Nichts, und ihre Hände lagen auf ihrem geschwollenen Bauch.

„Es tut mir so leid“, flüsterte sie. „Ich hätte zuerst an dich denken sollen.“

„Maddie?“

„Mmm?“ Malu rührte sich.

„Wie wär’s mit noch einer weiteren kleinen Spritze?“

„Auf der Skala der Schmerzen, wo befinden Sie sich da gerade?“, erwiderte sie. „Zwischen eins und zehn.“

„Acht“, sagte er. „Und Sie?“

„Ich …“

„… lüge nicht?“, gab er zurück. „Oh doch, das tun Sie. Wollen Sie nicht endlich Ihre Beine unter meinen wegnehmen?“

„Nein, ich …“

„Gut, dann tue ich es selbst.“

„Malu …“

„Wir zwei stecken zusammen in diesem Schlamassel“, erwiderte er und fügte hinzu: „Stimmt nicht, oder? Wir sind zu dritt.“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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