Julia Best of Band 193

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  • Erscheinungstag 27.10.2017
  • Bandnummer 0193
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708948
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child

JULIA BEST OF BAND 193

1. KAPITEL

Sie kannte diese Haltung.

Marie Santini sah durch das Fenster ihrer Autowerkstatt zu dem Mann hinüber, der in der Einfahrt stand. Es war nicht leicht, etwas von ihm zu erkennen, da die Scheibe mit Stechpalmenzweigen und Schneemännern bemalt war. Aber sie gab sich Mühe. Er war groß, hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar und trug eine Fliegersonnenbrille, obwohl der Himmel bewölkt war. Sein Kinn war hart und wies auf Sturheit hin.

Perfekt.

Genau, was sie brauchte. Noch ein Mann mit Beschützerinstinkt seinem Auto gegenüber. Also, ehrlich, wenn der Wagen einer Frau den Geist aufgab, brachte sie ihn in die Werkstatt und holte ihn wieder ab, wenn er fertig war. Ein Mann dagegen blieb da und behütete das Ding, als wäre es ein Baby und könnte ohne ihn nicht auskommen. Dabei stellte er alles infrage, was sie, Marie, seinem Baby antat.

Marie mochte Autos, aber sie wusste genau, dass sie nicht bluteten, wenn man an ihnen arbeitete. Allerdings hatte sie in der letzten Woche wenig Aufträge gehabt. Sie sollte wohl besser rausgehen und diesen nervösen Mann hereinbitten. Also zog sie ihre marineblaue Jacke an und ließ sie offen, damit die Schrift auf dem roten T-Shirt noch zu erkennen war: „Marie Santini, Automechanikerin“. Dann ging sie zur Tür.

„Das soll eine Autowerkstatt sein?“

Verwundert betrachte Davis Garvey das kleine ordentliche Büro, das zur Werkstatt gehörte. Die Wände waren strahlend weiß, die Fensterläden blau, und neben der Tür standen Pflanzenkübel mit roten und weißen Blumen. Durch eine breite Tür gelangte man in die Garage, und da die Tür offen stand, konnte man zahllose an Haken aufgehängte Werkzeuge sehen, die im Licht der Deckenlampen funkelten.

Abgesehen von der Garage mit ihrer Hebebühne wirkte das Ganze eher wie eine Teestube als wie eine Autowerkstatt.

Davis hatte etwas Größeres und irgendwie Eindrucksvolleres erwartet. So wie die Marines in Camp Pendleton über die Werkstatt redeten, hatte er geglaubt, man würde an diesem Ort die Leidenschaft für Autos geradezu spüren. Aber der Schriftzug bewies, dass er hier richtig war. Auf dem rot-weiß-blauen Schild stand „Santinis Werkstatt“.

Davis verzog das Gesicht, als er sich daran erinnerte, was seine Kameraden ihm regelrecht ehrfürchtig erzählt hatten. „Wenn Marie Santini deinen Wagen nicht hinkriegt, dann schafft es niemand.“

Trotzdem fiel es Davis schwer, sich vorzustellen, dass eine Frau an seinem Auto arbeiten würde. Da jedoch in Camp Pendleton zurzeit eine Menge zu tun war, hatte er keine Zeit, das selbst zu erledigen.

Ein kalter Wind wehte vom Meer herüber. Davis steckte die Hände in die Taschen seiner abgetragenen Jeans. Er sah zu den grauen Wolken hinauf und fragte sich, was aus dem sonnigen Kalifornien geworden war, von dem er so viel gehört hatte. Er war jetzt seit einer Woche hier, und es hatte dauernd entweder geregnet oder so ausgesehen, als würde es gleich regnen.

Eine Tür ging auf, und Davis wandte sich der Werkstatt zu und der Frau, die jetzt auf ihn zuging. Sie hatte schulterlanges schwarzes Haar, das sie hinter die Ohren gesteckt hatte, sodass ihre kleinen silbernen Ohrringe zu sehen waren. Der Saum ihres roten T-Shirts steckte in den alten Jeans. Außerdem trug sie Tennisschuhe und eine blaue, offene Jacke. Als sie vor ihm stehen blieb, stellte er fest, dass sie ihm ungefähr bis zum Kinn reichte.

„Hi“, sagte sie und lächelte freundlich. Der kühle Nachmittag kam ihm gleich etwas wärmer vor.

„Hi“, antwortete er und blickte in die schönsten grünen Augen, die er je gesehen hatte. Okay, er wusste nicht, ob Marie Santini wirklich etwas von Autos verstand, aber es war auf jeden Fall ein kluger Schachzug von ihr, ihre Kunden von dieser Frau begrüßen zu lassen. Sie war keine auffallende Schönheit, hatte aber die Art von Gesicht, bei dem man zwei Mal hinsah. Weniger wegen der äußeren Erscheinung. Aber da war etwas in ihren Augen, was ihn auf Anhieb faszinierte.

Es vergingen ein oder zwei Sekunden, bevor sie fragte: „Kann ich Ihnen helfen?“

Er blinzelte und rief sich ins Gedächtnis, warum er hier war. Um herauszufinden, ob diese „Zauberin“, von der seine Kumpel ihm erzählt hatten, tatsächlich gut genug war, um sein Auto wieder auf Vordermann zu bringen. Das konnte er aber nur, wenn er Marie Santini kennen lernte. Mit der süßen Empfangsdame konnte er sich später immer noch beschäftigen.

„Ich glaube kaum“, meinte er. „Ich möchte zu Marie Santini.“

Sie blies sich ein paar schwarze Locken aus dem Gesicht. „Sie steht vor Ihnen.“

Das konnte nicht sein. „Sie?“ Er musterte ihren schlanken Körper. „Sie sind Automechanikerin?“

Der Wind hatte ihr das Haar wieder ins Gesicht geweht, und sie schob es wieder zurück. „In dieser Gegend bin ich die Automechanikerin.“

„Sie sind Marie Santini?“ Als seine Kameraden ihm von ihr erzählt hatten, hatte er sich spontan eine Walküre vorgestellt – Typ Brunhilde.

Sie blickte nach unten, zog ihre Jacke ein bisschen weiter auseinander und sah dann wieder zu ihm hoch. „Das steht auf meinem Hemd.“

„Sie sehen nicht so aus“, meinte er und überlegte, wie gut sie sein konnte, wenn sie nicht einmal Wagenschmiere unter den Fingernägeln hatte. Trug sie etwa Handschuhe, wenn sie einen Ölwechsel machte?

„Haben Sie ein tonnenschweres Weib voller Wagenschmiere erwartet?“, konterte sie hellsichtig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, und er ermahnte sich, nicht auf ihre Brüste zu starren. Um Himmels willen, er sprach mit einer Automechanikerin! Dabei durften Brüste keine Rolle spielen.

„Tut mir leid, dass ich Ihren Erwartungen nicht entspreche“, sagte sie. „Aber ich bin verdammt gut in meinem Job.“

„Sie klingen jedenfalls ziemlich selbstsicher.“

„Das sollte ich auch“, entgegnete sie. „Schließlich verbringe ich die Hälfte meiner Zeit damit, mich Männern wie Ihnen gegenüber zu beweisen.“

„Was soll das heißen ‚Männern wie Ihnen‘?“

„Männer, die annehmen, dass eine Frau nicht mehr von Autos verstehen kann als ein Mann.“

„He, warten Sie mal.“ Er verschränkte nun auch die Arme und funkelte Marie Santini zornig an. Niemand durfte ihn ungestraft einen Chauvi nennen. Im Camp arbeitete er jeden Tag mit Frauen zusammen. Und sie waren alle sehr gute Soldaten. Deshalb hatte er auch nicht notwendigerweise ein Problem mit einer Automechanikerin. Es war eher so, dass es ihn störte, wenn sich überhaupt ein anderer an seinem Wagen zu schaffen machte.

Kopfschüttelnd hob sie die Hände. „Nun halten Sie mal die Luft an. Sie sind zu mir gekommen. Ich bin nicht hinter Ihnen hergelaufen und habe verlangt, an Ihrem Wagen arbeiten zu dürfen.“

„Ja“, sagte er.

„Also, haben Sie es sich anders überlegt?“

„Ich weiß es noch nicht.“

„Dann helfe ich Ihnen, zu einer Entscheidung zu kommen.“ Sie ging zu seinem am Straßenrand geparkten Mustang.

Er folgte ihr. „Sind Sie zu allen Ihren Kunden so charmant?“

„Nur zu den sturen.“

„Es überrascht mich, dass Sie überhaupt noch im Geschäft sind.“ Er bemühte sich, nicht auf ihren Po zu starren.

„Das wird es nicht mehr, wenn ich Ihr Auto in Ordnung gebracht habe.“

Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er geglaubt, sie wäre ein Marine.

Marie wollte lieber nicht daran denken, wie oft sie solche Unterhaltungen schon geführt hatte. Seit sie vor zwei Jahren die Autowerkstatt ihres Vaters übernommen hatte, hatte jeder neue Kunde sie erst einmal ungläubig gemustert. Das fand sie schon seit langer Zeit nicht mehr amüsant. Deshalb fragte sie sich jetzt, warum sie die Situation diesmal genoss.

Sie blieb neben dem Mustang stehen und sah zu dem Mann mit den blauen Augen hoch. Dabei spürte sie ein verräterisches Kribbeln im Bauch, das sie schrecklich irritierte. Also ehrlich, sie hatte doch schon früher breite Schultern und ein ausgeprägtes Kinn gesehen. Und sie rief sich ins Gedächtnis, dass Garvey hier war, um sie als Automechanikerin kennen zu lernen, nicht als Frau.

„Lassen Sie mich raten. Sie haben noch nie zuvor einen weiblichen Mechaniker gesehen.“

„Nicht in letzter Zeit“, erwiderte er trocken.

Eins musste sie ihm lassen. Er erholte sich wesentlich schneller von seiner Überraschung als die meisten ihrer Kunden. Allerdings bot er auch bei allem Übrigen sehr viel mehr als andere männlichen Kunden. Breitere Schultern, mehr Muskeln, längere Beine, dieses Kinn und scharfe blaue Augen, die wirkten, als würden sie durch sie hindurchblicken.

Ein Eindruck, den sie bei anderen Männern leider auch hatte.

Sie hatte schon vor Jahren begriffen, dass Männer sie nicht als eine Frau betrachteten, mit der man ausgehen könnte. Als einen Kumpel zum Pokern, sicher. Als Kummerkastentante für Liebeskranke, natürlich. Aber als mögliche Geliebte? Als mögliche Ehefrau und Mutter? Auf keinen Fall.

„Es gibt für alles ein erstes Mal, Sergeant“, sagte sie.

Er hob überrascht die Augenbrauen, und sie unterdrückte ein Lächeln. „Woher wissen Sie, dass ich Sergeant bin?“

Das zu wissen war nicht schwierig für jemanden, der in Bayside aufgewachsen war. Da Camp Pendleton nur eine knappe Meile entfernt war, wimmelte es hier gewöhnlich von Marines. Und sie waren leicht zu erkennen, auch in Zivilkleidung.

„Militärhaarschnitt …“ Sie deutete auf seine Haltung. „Und Sie stehen da wie jemand, der gerade ‚Rührt euch!‘ gebrüllt hat.“

Davis verzog das Gesicht, als er merkte, dass er die Füße weit auseinander gestellt und die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte. Rasch veränderte er seine Haltung.

„Und was Ihren Rang angeht …“, Marie lächelte, „Sie sind zu alt, um einfacher Soldat zu sein, zu ehrgeizig und stolz für einen Korporal und nicht arrogant genug für einen Offizier. Also … Sergeant.“

Davis war beeindruckt und unwillkürlich auch amüsiert. „Genau gesagt, First Sergeant.“

„Ich bitte um Verzeihung.“ Marie sah in seine blauen Augen und erkannte in ihnen etwas, das durchaus Interesse sein konnte. Nein, dachte sie dann. Ein Mann wie er flirtete immer. Mit allen Frauen. „Also …“, sie bemühte sich um Gelassenheit, „wo liegt das Problem?“

„Sie sind die Automechanikerin“, forderte er sie heraus. „Sagen Sie es mir.“

Das irritierte sie, obwohl sie eigentlich daran gewöhnt sein müsste. Er war nicht der erste Mann, der sie auf die Probe stellte, bevor er ihr sein „Baby“ anvertraute. Sobald das dann allerdings wieder anstandslos lief, hatte sie einen treuen Kunden gewonnen.

„Woran liegt es, Ihrer Meinung nach, dass Männer Kleider für Frauen entwerfen und dabei respektiert werden, während eine Automechanikerin sich mit irgendwelchen Tricks beweisen muss? Glauben Sie, jemand fordert Calvin Klein auf, erst mal eine Nadel einzufädeln, bevor er ihn engagiert?“

Davis schüttelte den Kopf. „Nein. Aber wenn Mr. Klein einen Fehler macht, fliegt auch nichts in die Luft, oder?“

Nun, da hatte er irgendwie recht.

„Okay.“ Marie schickte sich in das Unvermeidliche. „Dann machen wir eben eine kleine Probefahrt. Bitte geben Sie mir die Schlüssel?“ Sie streckte die Hand aus.

„Wie wäre es, wenn ich fahren würde?“, schlug er vor.

„Keine Chance.“ Sie warf Davis einen mitfühlenden Blick zu, gab aber nicht nach. „Ich muss fahren, um ein Gefühl für den Wagen zu bekommen. Außerdem müssen Sie ihn mir am Ende ja doch anvertrauen.“

Davis fand ihr selbstbewusstes Lächeln viel zu attraktiv, unterdrückte den Gedanken aber wieder. Er reichte ihr die Schlüssel, setzte sich auf den Beifahrersitz und sah zu, wie sie sich anschnallte und dann startete.

Über die Schulter blickte er zu ihrer Werkstatt hinüber. „Wollen Sie nicht …“

„Pst.“ Sie legte den Finger auf die Lippen.

Er war so überrascht, dass er tatsächlich den Mund hielt. Es war sehr lange her, seit ihm zuletzt jemand etwas befohlen hatte.

Marie lauschte mit geschlossenen Augen auf den Klang des Motors und wirkte so konzentriert wie ein Arzt, der einen Patienten abhört.

Gleich darauf öffnete sie die Augen wieder und legte den ersten Gang ein. „Was wollten Sie sagen?“

„Wollen Sie Ihre Werkstatt nicht abschließen?“

„Wir werden nicht lange weg sein.“ Sie grinste, vergewisserte sich, dass die Straße frei war, und gab dann Gas, als wollte sie mit einer Rakete in den Weltraum starten.

Davis knallte gegen die Rückenlehne. Marie fuhr, als nähme sie an einem Rennen teil.

Die Straßen der kleinen Stadt am Meer waren weihnachtlich geschmückt und voller Menschen, die einkauften. Davis zuckte zusammen, als Marie schnell, wenn auch geschickt die Spur wechselte. Sie überholte einen Bus so knapp, dass kaum ein Blatt Papier dazwischen gepasst hätte, und bog dann in eine enge Einbahnstraße ein.

Ein paar Leute winkten ihr zu, während sie vorbeifuhr, und sie lächelte, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Davis stellte fest, dass sie mit Schaltung, Bremse und Gaspedal umging wie ein Konzertpianist mit seinem Flügel, und er starrte unwillkürlich auf ihre langen Beine.

Da das Verdeck des Cabrios offen war, verwandelte der Fahrtwind Maries Haar in eine wilde schwarze Mähne. Es war das erste Mal, dass er mit einer Frau unterwegs war, die nicht über ihre Frisur jammerte und ihn nicht bat, das Verdeck zu schließen.

In der nächsten Kurve berührten zwei der vier Räder kaum noch den Boden, und Marie raste zwischen einem mit Surfbrettern beladenen Kombi und einem alten Lincoln hindurch. Dann schaltete vor ihnen eine Ampel auf Rot um, und Marie trat auf die Bremse. Davis wurde nach vorn geschleudert und dankte dem Schicksal für Sicherheitsgurte. Er biss die Zähne zusammen.

Marie sah ihn an. „Er hat einen Aussetzer.“

„Wer?“

„Der Motor. Wenn man aufs Gaspedal tritt, gibt es erst einen Aussetzer, bevor er reagiert.“

„Sie haben recht.“ Davis rieb sich den verspannten Nacken. „Aber mir ist nicht klar, wie Sie den überhaupt bemerken konnten, so wie Sie rasen.“

Sie lachte, und verdammt noch mal, das gefiel ihm.

Die Ampel sprang auf Grün, und Marie fuhr wieder los.

Davis nahm Menschen, Autos, Häuser und Umgebung nur noch als verschwommene Schemen wahr. Er umklammerte die Armlehne so fest, dass er dachte, die Bespannung würde sich lösen. Ein paar Sekunden später parkte Marie in ihrer Einfahrt, stellte den Motor ab und strich liebevoll über das Armaturenbrett.

„Ein schöner Wagen“, sagte sie.

Davis atmete tief ein und aus, dankbar dafür, dass er überlebt hatte. Zur Hölle, er war in Kampfgebieten zuversichtlicher gewesen, dass er den nächsten Tag noch erleben würde.

Nun da es vorbei war, drehte er sich zu Marie um und sah sie böse an. „Sie fahren wie eine Irre.“

Das beleidigte sie offenbar nicht, denn sie grinste. „Das hat mein Dad auch immer gesagt.“

„Ein kluger Mann“, stieß er hervor. „Wie wäre es, wenn ich stattdessen mit ihm verhandeln würde?“

Sie wurde ernst. „Ich wünschte, das könnten Sie. Aber er ist vor zwei Jahren gestorben.“

„Oh. Tut mir leid.“ Er bemerkte den Schmerz in ihren Augen. Offensichtlich hatte sie sehr an ihrem Vater gehangen.

„Das konnten Sie ja nicht wissen. Also“, fuhr Marie fort, „wollen Sie nun, dass ich Ihr Baby für Sie in Ordnung bringe oder nicht?“

Es waren zwei verschiedene Dinge, ein Problem zu erkennen und es zu beseitigen. Womöglich verschlimmerte sie den Schaden noch, wenn sie die Reparatur ebenso rasant ausführte, wie sie fuhr. „Woher soll ich wissen, dass Sie das können?“

Sie legte einen Arm aufs Lenkrad und drehte sich zu ihm. „Ich schätze, das können Sie nicht wissen, Sergeant. Sie werden das Risiko einfach eingehen müssen.“

„Ich habe gerade genügend Risiken für ein ganzes Leben hinter mir.“

Sie grinste. „Ich dachte, Marines hätten das hin und wieder ganz gern.“

„Lady, ich bin bloß froh, dass Sie keinen Panzer fahren.“

„Ich auch. Allerdings würde ich es irgendwann gern mal versuchen“, fügte sie hinzu.

Er lachte kurz. „Darauf wette ich.“ Wenn er nicht vorsichtig war, würde diese Frau ihm womöglich gut gefallen. Dabei war sie verdammt ungewöhnlich. Sie flirtete nicht, zeigte kein neckisches Lächeln, aber Selbstvertrauen und eine kompromisslose Haltung. Gleichzeitig hatte sie ein großartiges Lachen, bemerkenswerte Augen und eine umwerfende Figur. Zum Teufel, er reagierte ja schon ganz gehörig auf sie.

„Also? Werden Sie mir Ihr Baby anvertrauen?“

Sie sah ihn herausfordernd an, und auch darauf sprang er an. Doch welcher Marine hätte das nicht getan?

„Okay, wir sind im Geschäft.“

Sie nickte. „Kommen Sie mit rein in mein Büro.“

Mit geröteten Wangen und strahlenden Augen stieg Marie aus und ging anmutig in ihr Büro. Und es war Davis, der sie beobachtete, klar, dass er nie wieder das gleiche Bild von Automechanikern haben würde wie vorher.

2. KAPITEL

Marie empfand seinen Blick fast so, als hätte Davis sie berührt. Bei dem Gedanken, dass er das tatsächlich tun könnte, lief ihr vor lauter Vorfreude ein kleiner Schauer über den Rücken, obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass sie das lieber vergessen sollte.

Männer wie er waren nie an Frauen wie ihr interessiert.

Sie hörte ihn die Beifahrertür zuwerfen. Danach verriet ihr das Geräusch seiner Schritte in der Einfahrt, dass Davis näher kam. Ihr Herz klopfte schneller. Das war lächerlich. Sie war viel zu alt, um nervös zu werden, nur weil ein Mann ihr einen zweiten Blick schenkte. Ein umwerfend attraktiver Mann, verbesserte sie sich. Dann trat sie hinter den Ladentisch, griff nach einem Stift und fing an, das Auftragsformular auszufüllen.

Davis kam herein und blieb direkt ihr gegenüber stehen.

„Also …“, sie hoffte, ihre Stimme klang lässig und professionell, „ich brauche Ihren Namen, Ihre Adresse und eine Telefonnummer, unter der ich Sie erreichen kann.“

Er nickte und nahm ihr den Stift ab. Dabei berührten sich ihre Finger. Sofort spürte sie ein Prickeln auf der Haut, tat das aber als statisches Knistern ab. Dass ihr das in diesem Büro noch mit niemand anderem passiert war, spielte keine Rolle.

„Wie lange wird es dauern?“, fragte Davis, noch während er schrieb. „Ich brauche mein Auto.“

„Das tut jeder“, antwortete Marie. „Aber ich bin zur Zeit nicht sehr beschäftigt. Es dürfte nicht länger als zwei Tage dauern.“

Er sah sie an. „Machen Sie die ganze Arbeit selber?“

Hoffte er immer noch, dass es einen Mann gab, der sie beaufsichtigte? Sie ging in Verteidigungsstellung. „Ja, hier gibt es nur mich, abgesehen von Tommy Doyle, der an drei Nachmittagen in der Woche herkommt. Bereitet Ihnen das Sorgen?“

„Wer ist Tommy Doyle? Und wird er an meinem Auto arbeiten?“

„Tommy ist sechzehn, und, nein, er wird nicht an Ihrem Wagen arbeiten.“ Sie deutete auf die offene Tür, die in die Werkstatt führte. „Er macht nur sauber und hilft mir gelegentlich.“

Sein Blick war deutlich. Halten Sie diesen Jungen von meinem Wagen fern, hieß das.

„Schauen Sie, Sergeant …“

„Nennen Sie mich Davis.“

Das wollte sie lieber nicht. Es hatte keinen Sinn, diesen Mann mit dem Vornamen anzureden. Sie sollte sich besser ans Geschäftliche halten. Er mochte ja ihren Po und ihre Beine mustern, aber mehr war nicht drin. Männer waren einfach nicht scharf darauf, mit ihrer Automechanikerin auszugehen.

„Sergeant, ich kann Ihr Auto reparieren.“ Sie betonte die Anrede. „Wenn Sie es hier lassen wollen, kann ich Ihnen für die zwei Tage ein anderes leihen.“

Er hob verblüfft die Augenbrauen. „Ach ja?“

„Ja.“ Offensichtlich dachte er, sie könnte sich das nicht leisten, da ihr Laden so klein war. Aber sie besaß einige Wagen. Natürlich sahen die nicht besonders aus, da sie immer alte Karren kaufte und sie nur sozusagen als Zwischenlösung herrichtete. „Sie können den Käfer dort draußen haben.“

Davis drehte den Kopf und musterte den klapprigen grau-roten VW-Käfer. Er war verbeult und sah aus, als hätte er Pickel.

Marie bemerkte Davis’ Gesichtsausdruck und kämpfte gegen ein Lächeln an. „Ja, er ist keine Schönheit, aber Sie kommen damit zum Camp und wieder zurück.“

„Auch zu einem Restaurant?“, fragte Davis und wandte sich wieder Marie zu.

„Wohin auch immer Sie wollen“, versicherte sie. „Die Angestellten vom ‚Five Crowns‘ werden ihn allerdings nicht für Sie parken wollen.“ Bei dem Gedanken, dass ihr armer kleiner Käfer vor dem eleganten Restaurant vorfahren würde, musste sie nun doch lächeln.

„Ich dachte eher an das kleine Café, an dem ich auf dem Weg hierher vorbeigekommen bin … falls ich Sie zum Essen einladen darf.“

Ihr Herz machte einen Sprung, und das gefiel ihr gar nicht. Sie zog es vor, die Kontrolle über sich zu haben. Und solange sie Marie, die Automechanikerin, war, hatte sie die. Aber ihr Selbstbewusstsein als Frau tendierte gegen null, denn niemand bat sie je um eine Verabredung. Gewöhnlich sahen Männer nur, was sie mit Werkzeugen anstellen konnte, und nahmen sie überhaupt nicht als Frau wahr.

Nun, da das doch geschehen war, war sie nicht sicher, wie sie reagieren sollte. Deshalb tat sie jetzt das, was ihr als das Naheliegendste erschien – sie machte einen Witz daraus, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

„Um drei Uhr nachmittags?“ Sie stieß ein Lachen aus, damit er begriff, dass sie seine Einladung nicht ernst nahm und er sich deshalb keinerlei Gedanken zu machen brauchte. „Ein bisschen spät für Lunch.“

„Richtig“, stimmte er zu, „und zu früh fürs Dinner. Aber sie werden uns wahrscheinlich trotzdem bedienen.“

„Äh … danke.“ Sie nahm ihm das ausgefüllte Formular ab. „Aber ich muss arbeiten, und außerdem treffe ich mich nicht mit …“

„Marines?“, beendete er den Satz.

„Kunden“, verbesserte sie, aber sie hätte auch hinzufügen können, dass sie überhaupt mit niemandem ausging. Tatsächlich konnte sie sich nicht einmal an das letzte Mal erinnern.

Nein, Moment mal. Das stimmte nicht. Sie erinnerte sich sehr wohl. Sie hatte sich bloß bemüht, diese Erfahrung zu vergessen. Wie das jede Frau, die noch ein Fünkchen Verstand besaß, getan hätte.

Es war vor zwei Jahren gewesen, unmittelbar vor dem Tod ihres Vaters. Der Abend war früh zu Ende gegangen. Auf dem Weg mit ihr ins Kino hatte der Mann eine Reifenpanne gehabt, und da er nicht wusste, wie man einen Reifen wechselte, hatte er den Automobilclub anrufen wollen. Doch um nicht zu spät ins Kino zu kommen, hatte sie die Sache selbst erledigt.

Eine Viertelstunde später hatte der Mann sie in einer Weise vor ihrem Haus abgesetzt, die ihr das Gefühl vermittelte, mehr oder weniger aus seinem Wagen geworfen zu werden. Offenbar hatte sie eine Todsünde begangen, ungefähr genauso schlimm, als hätte sie einen Grobian verprügelt, der sich mit ihm anlegen wollte.

„Na ja.“ Davis lächelte. „Dann werden wir eben warten müssen, bis mein Auto repariert ist und ich kein Kunde von Ihnen mehr bin.“

Marie fragte sich, wie er plötzlich darauf kam. Während der Probefahrt hatte er noch so ausgesehen, als wollte er sie am liebsten erwürgen. Warum lächelte er nun und wollte sie einladen?

Und wieso machte dieser Glanz in seinen Augen sie genauso nervös, wie sie es gewesen war, als sie zum ersten Mal allein Bremsen hatte reparieren müssen? Lieber Himmel, es bereitete einen wirklich nicht gerade auf solche Spielchen zwischen Mann und Frau vor, wenn man praktisch in einer Autowerkstatt aufgewachsen war.

„Abgemacht?“, fragte er.

Ein Auto, das in ihre Einfahrt einbog, ersparte es ihr, Davis antworten zu müssen. Sie blickte an seiner Schulter vorbei und hätte vor Erleichterung fast laut aufgeseufzt. Die Kavallerie war da! Ihre kleine Schwester Gina zog immer die gesamte Unterhaltung an sich, wenn ein Mann in der Nähe war.

Gina sprang aus ihrem Kleinwagen, knallte die Tür zu und rannte zur Werkstatt. Sie trug weiße Jeans, ein dunkelgrünes T-Shirt und mädchenhafte Sandaletten mit dünnen Riemchen und Sohlen, die völlig ungeeignet für das Wetter waren. Jetzt in der Weihnachtszeit wirkte sie, als würde sie für Sonnenöl Werbung machen. Ihr kurzes dunkelbraunes Haar umschmeichelte ihren Kopf auf so ungemein lässige Weise, dass sie mindestens eine Stunde gebraucht haben musste, um diesen Effekt zu bewerkstelligen.

Wie zu erwarten, leuchteten Ginas braune Augen interessiert auf, als sie den Sergeant bemerkte.

„Hi, Marie.“ Gina sah sie überhaupt nicht an. „Ich bin hergekommen, um dir zu sagen, dass dir all die guten Einkaufsgelegenheiten entgehen, wenn du den Laden jetzt nicht dicht machst.“

Gerettet! dachte Marie. Sie hatte vergessen, dass sie versprochen hatte, mit ihrem Neffen Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Nun war sie dankbar dafür, eine Ausrede zu haben, Davis Garvey wegzuschicken. „Richtig. Ich bin gleich so weit.“

„Willst du mich nicht vorstellen?“ Gina hatte anscheinend völlig vergessen, wie eilig sie es gerade eben noch gehabt hatte. Und dann wartete sie gar nicht erst darauf, vorgestellt zu werden, sondern trat zu Davis, streckte ihm wie eine Südstaatenschönheit auf einem Debütantinnenball die Hand hin und sagte: „Gina Santini. Und Sie sind …?“

„Davis Garvey.“ Er schüttelte ihr kurz die Hand und lächelte abwesend.

„Sie sind ein Marine, was?“ Gina lächelte ihn an.

„Das ist richtig.“ Es überraschte Davis nun nicht mehr, dass sie das genauso schnell erkannt hatte wie Marie.

Nicht ohne Neid beobachtete Marie, wie Gina ihren Charme sprühen ließ. Also, ehrlich, sie wusste wirklich nicht, wie ihre zwei Jahre jüngere Schwester das machte. Flirten war für Gina genauso leicht wie Atmen. Nun berührte sie den Sergeant leicht am Arm, warf mit einer anmutigen Bewegung ihr Haar zurück und ließ ein perlendes Lachen hören.

Marie war im Lauf der Jahre Hunderte von Malen Zeugin von Ginas Flirterei gewesen, und sie hatte sich immer darüber amüsiert, wenn die hilflosen Opfer plötzlich zu stottern begannen. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie nicht erleben, wie Davis Garvey sich zum Idioten machte. Tatsächlich nahm sie ihrer kleinen Schwester dieses Spielchen zum ersten Mal ein bisschen übel.

Konnte Gina sich nicht ein wenig zusammenreißen? Musste sie wirklich überall Eroberungen machen, wo auch immer sie hinging?

Wenigstens würde der Sergeant nun nicht mehr so tun, als wäre er an ihr, Marie, interessiert. Denn wer wäre das schon, wenn er gleichzeitig Ginas Charme ausgesetzt war?

Aber er überraschte sie schon wieder. Er beachtete Gina nur flüchtig und schaute stattdessen sie, Marie, an. Erfreut darüber, erwiderte sie spontan seinen Blick, und das angenehme Gefühl verstärkte sich noch. Ihr wurde innerlich richtig warm. Lieber Himmel, dieser Mann hatte erstaunliche Augen. Und der Rest von ihm war auch nicht schlecht.

Als Gina sich unterbrechen musste, um einmal Atem zu holen, sagte er: „Wenn Sie mir jetzt die Schlüssel des Leihwagens geben, lasse ich mein Auto hier. Dann können Sie einkaufen gehen.“

„Okay.“ Sie hätte sich schämen sollen. Aber ein bisschen genoss sie es doch, wie verblüfft Gina darüber war, ignoriert zu werden.

Marie lächelte, öffnete eine Schublade und nahm einen Schlüsselbund heraus. Als Davis ihr die Schlüssel abnahm, streiften seine Fingerspitzen ihre Handfläche, und wieder spürte sie dieses Kribbeln auf der Haut. Sie ballte die Hand fest zur Faust, bemüht, dieses Gefühl loszuwerden.

Es war nicht leicht.

Davis lächelte, als wüsste er genau, was sie empfand, und legte nun seine Autoschlüssel auf den Tresen. „Sie werden sich gut um mein Auto kümmern?“

Musste seine Stimme wirklich so verführerisch weich klingen? Oder bildete sie sich das nur ein? Sie entschied sich für die zweite Möglichkeit, kämpfte darum, ihre Phantasie unter Kontrolle zu bringen, und versuchte es wieder mit einem Witz. „Ich werde ihm jeden Abend ein Schlaflied singen und es persönlich zudecken.“

Er hob die Augenbrauen, und einer seiner Mundwinkel zuckte. „Glückliches Auto.“

Ihr Herz schlug schon wieder schneller. Du lieber Himmel, dachte sie.

„Zwei Tage?“, fragte er.

„Äh … ja. Zwei Tage.“

„Gut, bis dann.“ Davis drehte sich um, nickte Gina zu und ging. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sah Marie an. „Denken Sie über das Essen nach.“

Während er langsam zum Käfer hinüberging, trat Gina zu ihrer Schwester. Beide Frauen beobachteten, wie Davis das kleine Auto startete und damit in die Straße einbog, die zur Militärbasis führte.

„Essen?“, fragte Gina.

„Ja.“

„Er hat dich eingeladen?“

Warum klang das, als hätte sie gefragt: Du bist von Außerirdischen entführt worden?

„Ja, er hat mich zum Lunch eingeladen.“ Marie sah Gina böse an. „Ist das so schwer zu glauben?“

„Natürlich nicht.“ Gina tätschelte ihr die Schulter. „Du nimmst doch an, oder?“

„Nein.“

„Warum nicht? Er sieht toll aus.“

„Er ist ein Kunde.“

„Du bist ja so altmodisch.“ Gina ging zum anderen Ende des Tresens, öffnete eine Schublade und nahm einen der Schokoladenriegel heraus, die Marie dort immer aufhob. Während sie ihn auswickelte, murmelte sie: „Du musst wirklich mal anfangen, richtig zu leben.“

„Das tue ich bereits, danke.“ Marie verschloss die Verbindungstür zur Werkstatt. Dann führte sie ihre Schwester nach draußen und ging zu Davis’ Wagen. Sie musste ihn in die Garage fahren und abschließen. Mit dem Auto des Sergeants durfte sie kein Risiko eingehen. Nachdem sie den Mustang neben einem alten Fiat mit kaputter Bremse abgestellt hatte, stieg sie wieder aus und merkte, dass Gina immer noch redete.

„Okay, dann brauchst du jedenfalls eine Brille. Hast du nicht bemerkt, wie er dich angesehen hat?“

„Dass er mich angesehen hat, ist nicht verwunderlich“, erwiderte Marie brüsk. „Schließlich hat er mit mir geredet. Da ist reine Höflichkeit.“

„Höflichkeit hat gar nichts damit zu tun.“

„Hör auf damit, Gina.“

Gina biss ein Stück Schokolade ab und wedelte mit der Hand. „Zum Teufel, ich habe ihn auf die bestmögliche Weise angelächelt und mit den Wimpern geklimpert, aber er hat so getan, als wäre ich gar nicht da.“

Marie lächelte und schüttelte den Kopf. „Bloß weil du nachlässt, heißt das noch nicht, dass er an mir interessiert ist.“

„Schatz, wenn ein Mann dich so ansieht, obwohl du Automechanikerin bist, ist das nicht einfach nur Höflichkeit.“

Dieser Gedanke freute Marie. Aber gleich darauf drängte sie diese Freude wieder zurück. Auf solche Spielchen würde sie sich nicht noch einmal einlassen. Sie würde sich nicht der Illusion hingeben, dass ein Mann an ihr interessiert war. Tagträume und Phantasien führten nur dazu, dass einem das Herz gebrochen wurde, wenn die Wirklichkeit wieder zu Tage trat.

Nein, danke. Das hatte sie hinter sich. Viel zu viele Male. Natürlich nicht in letzter Zeit. Aber ihre Erinnerungen an enttäuschte Hoffnungen und verletzte Gefühle waren noch sehr lebhaft.

„Ehrlich, Marie, magst du eigentlich keine Männer?“

„Was soll man an denen nicht mögen?“ Sie versuchte es wieder mit Humor. Das war sicherer.

„Dann streng dich doch, um Himmels willen, mal ein bisschen an.“

„Was soll ich deiner Meinung nach denn tun, kleine Schwester? Einen Kerl mit einem Steckschlüssel über den Kopf hauen und ihn in die Garage schleppen?“

„Eine Frau muss tun, was eine Frau tun muss.“

„Gina.“ Marie tippte den Code der Alarmanlage ein, schob ihre Schwester nach draußen, machte die Tür der Werkstatt zu und schloss ab. „Lass es sein, okay? Ich bin vollkommen glücklich. Ob du es glaubst oder nicht, eine Frau braucht keinen Mann, um ein befriedigendes Leben zu führen.“

„Es schadet aber auch nicht, einen zu haben“, murmelte Gina, während sie den Rest der Schokolade aufaß und das Papier in ihre Jeanstasche steckte.

Doch, dachte Marie. Es schadet sogar sehr. Es tut weh. Jedes Mal, wenn sie solch ein Risiko eingegangen war, hatte sie einen schmerzlichen Reinfall erlebt.

„Hier ist überhaupt nichts im Gange“, erklärte sie entschieden. „Der Sergeant will bloß, dass ich seinen Wagen repariere.“

Gina wackelte mit den Augenbrauen und grinste ihrer Schwester zu. „Und er hat ein richtig gutes Fahrgestell, was?“

„Gina, Gina!“ Lachend schüttelte Marie den Kopf. „Du solltest lieber etwas dagegen tun. Deine Hormone gehen mit dir durch.“

„Das ist besser, als wenn sie auf Eis liegen.“

„Mit meinen Hormonen ist alles in Ordnung. Danke für deine Sorge.“

„Manchmal frage ich mich, ob du überhaupt welche hast“, meinte Gina nachdenklich, während sie zu ihrem Wagen gingen.

Ich habe durchaus welche, dachte Marie, als sie dann losfuhren. Und zurzeit waren sie richtig in Aufruhr. Aber sie hatte eine Menge Übung darin, sie zu unterdrücken, und zweifellos würde ihr das auch jetzt wieder gelingen. Allerdings musste sie zugeben, dass Davis Garvey eine größere Herausforderung darstellte, als sie es je zuvor erlebt hatte.

„Kopf hoch, Schwesterherz.“ Gina lachte. „Vielleicht steckt dir Santa Claus dieses Jahr einen Marine in den Strumpf.“

Das war wirklich ein reizvoller Gedanke.

Davis fuhr durchs Tor, nickte den Wachleuten zu und ignorierte ihr Lachen. Okay, der Käfer sah scheußlich aus, aber der Motor schnurrte wie ein Kätzchen.

Marie Santini war eine erstaunliche Frau.

Nicht nur seinen Körper brachte sie in Fahrt, sie kannte sich auch mit Autos aus. Er hielt es für immer denkbarer, dass er sie bald sehr mögen würde. Doch noch während er das dachte, ertönten Alarmglocken in seinem Kopf. Es war eine Sache, eine nette, für beide Seiten befriedigende Affäre zu haben, aber etwas ganz anderes, sich gefühlsmäßig zu engagieren. Nein, er wollte Marie Santini nicht mögen. Es genügte, dass er sie einfach wollte. Ihre Hand zu berühren hatte ihn genauso erregt, wie diese Probefahrt ihn aufgeregt hatte.

Marie Santini hatte eindeutig seine Aufmerksamkeit geweckt. Und was war falsch an einer heißen Affäre?

Camp Pendleton würde für die nächsten drei Jahre sein Zuhause sein. Danach würde er versetzt werden. Er achtete darauf, nie jemand so nah an sich heranzulassen, dass er nicht mehr einfach weggehen konnte. Weil er nämlich immer wieder wegging.

Eines der Dinge, die ihm am Militär am besten gefielen, war, dass wurzellose Typen wie er so gut hineinpassten. Bei der Marine ging es nicht darum, Wurzeln zu schlagen. Man trat ein, machte seine Arbeit und zog dann weiter, um an einem anderen Ort die mehr oder weniger gleiche Arbeit zu tun. Alles in allem war das eine gute Art zu leben. Man sah die Welt und blieb nie lange genug an einem Ort, um zu bemerken, dass man dort nicht richtig hingehörte.

Davis schob diesen Gedanken beiseite und bog in die fast leere Straße ein, die zu den Militärbaracken führte. Dabei kam er an einem Schnellrestaurant vorbei, einer kleinen, ordentlich aussehenden Kirche und einem Basketballplatz, wo ungefähr ein Dutzend Kinder herumrannten. In der frühen Winterdämmerung konnte man die bunten Weihnachtslichter auf den Dächern, an den Fenstern und in den kahlen Zweigen der Bäume gut erkennen.

Es war schon wieder Weihnachten, die einzige Zeit im Jahr, in der er seine verheirateten Kameraden fast beneidete. Aber das Fest würde bald wieder vorbei sein, ebenso wie die kurze Sehnsucht nach mehr in seinem Leben.

Er parkte, stieg aus, schloss den Wagen ab und steuerte sein Apartment an, das so ziemlich genauso aussah wie die anderen, in denen er in den letzten fünfzehn Jahren gewohnt hatte.

Aber bevor er die Tür öffnen konnte, kam sein Nachbar, Sergeant Mike Coffey, aus seinem eigenen Apartment und warf einen Blick auf den VW. „Wie ich sehe, hast du ‚Santinis Werkstatt‘ gefunden.“

„Du erkennst den Wagen, was?“

„Zur Hölle, ja.“ Mike grinste. „Ich hab ihn letzten Monat selbst mal gefahren.“

Davis steckte seine Schlüssel ein und musterte seinen Kumpel. „Wie kommt es dann, dass du mir nicht erzählt hast, dass diese tolle Automechanikerin auch noch gut aussieht?“

„Sie sieht gut aus?“ Mike zuckte mit den Schultern. „Um die Wahrheit zu sagen, das ist mir gar nicht aufgefallen.“

Wie kann man diese grünen Augen übersehen? dachte Davis. Und das niedliche Grübchen in der Wange? Und er überlegte, ob Coffey blind war oder er selbst verrückt.

„Spielt es denn überhaupt eine Rolle, wie sie aussieht?“, meinte Mike. „Was Autos angeht, ist sie jedenfalls eine Zauberin.“

Hm. Vielleicht spielte es für Mike tatsächlich keine Rolle, aber er selber sah Marie immer noch vor sich. Aber das wollte er nicht zugeben. „Das sollte sie auch besser sein“, antwortete er.

Mike lachte. „Keine Sorge. Dein Mustang ist bei ihr vollkommen sicher.“

Er sollte sich deswegen keine Sorgen machen? Zur Hölle, er war äußerst wählerisch, wenn es um Leute ging, die an seinem Mustang arbeiten durften. Oder irgendeinem der anderen Autos, die er in verschiedenen Garagen überall im Land untergebracht hatte. Dann erinnerte er sich an Maries selbstbewusstes Lächeln und den konzentrierten Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie auf die Motorengeräusche gelauscht hatte. Ja, Mike hatte wohl recht. Er brauchte sich tatsächlich keine Gedanken zu machen. Jedenfalls soweit es um seinen Wagen ging.

„Vertrau mir“, sagte Mike. „Sobald Marie dein Auto in den Fingern gehabt hat, wirst du nie wieder jemand anderen ranlassen wollen.“ Mike winkte ihm zu und ging dann weiter.

Davis stand noch einen Moment länger in der zunehmenden Dunkelheit und dachte an Marie Santinis Hände, die stark und schlank, zart und tüchtig wirkten. Und er musste zugeben, dass es in seiner Phantasie nicht bloß sein Auto war, das er in ihren Händen gut aufgehoben sah.

3. KAPITEL

Marie dachte daran, ihre Schwester zu ermorden. Allerdings würden es die anderen am Esstisch garantiert merken.

„Das ist ein wirklich attraktiver Kerl“, betonte Gina gerade. „Ich schwöre, wenn er kein Marine wäre, könnte er ein Fotomodell oder so was sein.“

Marie biss die Zähne zusammen, stellte die Salatschüssel auf den Tisch und ging zu ihrem Platz. Sie hätte sich nicht darauf einlassen sollen, heute mit der gesamten Familie zu essen. Ihr hätte klar sein müssen, dass Gina weiter über Davis Garvey reden würde. Das hatte sie schließlich schon den ganzen Nachmittag lang getan, sogar beim Einkaufen in den überfüllten Läden.

Marie seufzte im Stillen und dachte voller Sehnsucht an den Frieden und die Ruhe in ihrem eigenen Apartment.

„Wir haben das verstanden, Liebes.“ Maryann Santini lächelte ihrer jüngsten Tochter zu. „Er ist also attraktiv.“

„Mehr als das“, verbesserte Gina und warf Marie einen schiefen Blick zu. „Würdest du das nicht auch sagen?“

Wenn Marie eine Chance gehabt hätte, auch mal etwas zu sagen – was nicht der Fall war –, hätte sie einiges beisteuern können. Zum Beispiel, dass Davis nicht im traditionellen Sinn gut aussah, aber eine innere Kraft ausstrahlte, die sie ansprach … und Gina anscheinend auch.

Aber nun meinte Marie bloß: „Ich finde, du hast bereits genug zu diesem Thema von dir gegeben.“

Gina war keineswegs beschämt. Sie grinste. „Ich finde ja bloß, dass er ein toller Kerl ist. Und er hat Marie angesehen“, wandte sie sich wieder an die anderen, „als wäre sie das letzte Steak auf dem Grill.“

„Vielen Dank für diesen wundervollen Vergleich.“ Gina hat wohl zu viel Western gesehen, dachte Marie. Obwohl … einerseits wollte sie zwar glauben, dass der Sergeant wirklich an ihr interessiert war, aber ihre Vernunft erinnerte sie daran, dass sie nicht der Typ war, den Männer um ein Date baten. Sie war eher der Typ Frau, mit dem Männer über andere Frauen redeten.

„Er ist also ein netter junger Mann?“ Ihre Mutter hob die Augenbrauen und sah ihre zweitälteste Tochter an.

Marie unterdrückte einen Seufzer. Selbst wenn er wie ein Monster ausgesehen hätte, hätte das ihre Mutter nicht gestört, solange er „nett“ war. Und es würde auch nicht schaden, wenn er Italiener wäre. Es war besser, ihre Mutter jetzt abzulenken. Maryann Santini liebte Romanzen über alles. Und das Einzige, was für sie, Marie, schlimmer war, als mit ihrem enttäuschenden Liebesleben fertig zu werden, war das Wissen, dass ihre Mutter jede Hoffnung auf einen Freund für sie aufgegeben hatte.

Für ihre Mutter war Feminismus gut und schön, konnte aber niemals ein Ersatz sein für eine große Hochzeit und eine Menge Kinder.

„Um Himmels willen“, begann Marie, „woher soll ich denn wissen, ob er nett ist? Ich habe ihn ja gerade erst kennen gelernt.“ Sie warf ihrer kleinen Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu. „Außerdem repariere ich bloß sein Auto. Das ist alles. Ende der Geschichte.“

Gina schnaubte.

„Er scheint dich doch zu mögen“, meinte ihre Mutter.

„Das behauptet Gina.“ Marie musterte ihre kleine Schwester, die ihr gegenübersaß. Ein Mord wäre gerechtfertigt. Keine Jury, die aus älteren Schwestern bestand, würde sie verurteilen.

„Gina ist sehr klug, was diese Dinge angeht.“ Ihre Mutter lächelte ihrer jüngsten Tochter voller Anerkennung zu, weil die es verstand, die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen. Eine Fertigkeit, die sie ihr, Marie, vergeblich beizubringen versucht hatte. Doch anscheinend hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

„Wenn ich auch mal etwas beisteuern darf“, mischte sich nun Angela, die älteste Santini-Tochter, ein. „Was spielt es schon für eine Rolle, ob er Interesse hat? Offensichtlich hat Marie doch keins.“

„Danke.“ Marie war überrascht, freute sich jedoch über diese Unterstützung. „Endlich mal ein vernünftiges Wort.“

„Außerdem …“, Angela goss ihrem Sohn Jeremy Milch ein, „irrt Gina sich wahrscheinlich. Während der Arbeit sieht Marie wohl kaum so aus, wie Männer es mögen. All diese Wagenschmiere und der Dreck … Welcher Mann würde sich schon die Mühe machen, da zwei Mal hinzusehen?“

Herzlichen Dank, dachte Marie spöttisch, aber diesmal sprach sie es nicht aus. „Das kann man ja ändern“, meinte sie stattdessen leichthin. „Nächstes Mal, wenn ich einen Vergaser repariere, werde ich eins deiner alten Ballkleider anziehen und vielleicht eine kleines Diadem dazu tragen. Stell dir bloß mal vor, wie die Diamanten im Neonlicht glänzen werden.“

„Sehr komisch“, murmelte Angela.

„Ich mag Marie, so wie sie ist“, mischte sich Jeremy ein.

Marie zwinkerte ihm zu. „Hab ich dir in letzter Zeit mal gesagt, dass du mein absoluter Liebling unter den Achtjährigen bist?“

„Ja“, antwortete er. „Aber du solltest das Santa Claus auch noch erzählen, nur um sicherzugehen, dass er es weiß.“

„Darauf kannst du dich verlassen, Kumpel.“ Marie fand es zwar ein bisschen deprimierend, dass ihr größter Bewunderer ihr Neffe war, aber besser einer als keiner.

Ihre Mutter und ihre Schwestern fuhren fort, sich zu unterhalten, aber Marie achtete nicht mehr darauf. Sie konzentrierte sich darauf, die Mahlzeit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Aber natürlich war es doch von Bedeutung, was die anderen dachten. Das war es immer gewesen.

Es war gleichzeitig ein Segen und ein Fluch, zu einer Familie zu gehören, in der sich alle nah standen. Marie betrachtete die vertrauten Gesichter an dem Tisch, der schon seit ewigen Zeiten in der Familie war. Die solide Mahagoniplatte glänzte von all der Politur, die jahrelang aufgetragen worden war, wies jedoch auch haufenweise Kratzer auf, die von zahllosen Santinis stammten.

Da war Gina, deren Fröhlichkeit schon immer für drei Cheerleader gereicht hatte. Dann Angela, hübsch, aber ruhiger und trauriger, nachdem sie vor drei Jahren Witwe geworden war. Jeremy, der wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen durchs Leben ging. Und ihre Mutter, geduldig und liebevoll, und immer für alle da.

Marie vermisste ihren Vater. Zwei Jahre war er jetzt tot. Er war der bisher einzige Mann in ihrem Leben gewesen, der sie wirklich zu schätzen gewusst hatte. Sie war mehr oder weniger in seiner Werkstatt aufgewachsen. Für ihren Vater war sie der Sohn gewesen, den er nie gehabt hatte, und sie hatte diese besondere Beziehung zu ihm genossen. Angela, Gina und ihre Mutter hatten sich immer für Dinge interessiert, die man traditionell den Frauen zuordnete. Doch obwohl sie, Marie, selbst ein jungenhafter Typ gewesen war, hatte sie das manchmal etwas wehmütig beobachtet, sich irgendwie aber nie getraut, zu versuchen, daran teilzuhaben.

Aber es hatte keinen Sinn, das jetzt noch zu bedauern. Sie waren ihre Familie, und Familie und Liebe waren ihr das Wichtigste. Sosehr ihre Mutter und ihre Schwestern sie manchmal auch nervten, ohne sie wäre sie verloren gewesen. Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Familie, Tradition, Wurzeln – darin waren die Santinis ganz groß, und das war gut. Konnte es etwas Schöneres geben, als zu wissen, dass es Menschen gab, die einen liebten und unterstützten, egal was geschah?

Mit einem Mal fühlte Marie sich viel großmütiger ihnen allen gegenüber.

„Also …“, Gina sprach extra laut, um ihre Aufmerksamkeit wieder zu erregen, „wenn Marie nicht an ihm interessiert ist, wie sie behauptet, würde ich vorschlagen, dass sie diesen tollen Kerl mal einlädt, damit wir anderen auch eine Chance haben.“

Da hört sich doch alles auf! dachte Marie. „Der Mann ist doch kein Truthahn, den man bei einer Tombola gewinnen kann“, fuhr sie ihre kleine Schwester an.

„Mir scheint, sie protestiert zu sehr“, erwiderte Gina.

„Oh, um Himmels willen“, schimpfte Marie weiter. „Er ist nicht gerade der letzte Mann, den es auf diesem Planeten noch gibt. Warum bist du so scharf auf ihn?“

„Und warum regst du dich derartig auf?“

„Das tu ich doch gar nicht.“ Oder doch? Das war ein unangenehmer Gedanke. Was spielte es schon für eine Rolle für sie, wenn Gina sich an Davis heranmachte? Marie rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum.

„Gut.“ Gina nickte. „Dann ist das abgemacht. Du bringst ihn zum Dinner her. Welcher Tag passt dir, Mama?“, fragte sie. „Samstag?“

„Samstag ist in Ordnung, falls Marie sich sicher ist.“

„Marie hat nicht zugestimmt“, betonte Marie.

„Aber das wirst du“, meinte Angela. „Auch wenn du es nur tust, um Gina zu beweisen, dass er dir egal ist.“

Marie warf ihrer älteren Schwester einen bösen Blick zu, hauptsächlich deshalb, weil diese recht hatte. „Also gut. Samstag. Ich lade ihn ein.“ Und sie würde sich idiotisch fühlen, weil sie einen wildfremden Mann zum Essen einlud. „Seid ihr jetzt glücklich?“

Gina lächelte. Angela nickte. Und ihre Mutter plante bereits das Essen.

Marie lehnte sich zurück und sah alle grimmig an.

Die Familie wurde vielleicht doch manchmal überschätzt.

Davis zappte von einem Kanal zum nächsten und starrte ohne besonderes Interesse auf den Bildschirm. Eigentlich war er überhaupt nicht in der Stimmung zum Fernsehen. Es war nur etwas, das er tun konnte. Die schnell wechselnden Bilder und Töne in der Dunkelheit halfen gegen die Stille in seinem Apartment.

Nicht dass er einsam gewesen wäre. Ganz bestimmt nicht. Er legte die Fernbedienung auf den Tisch und griff nach dem Karton mit dem kalten chinesischen Essen, das sein Dinner war. Dann legte er die Füße auf den Couchtisch und starrte wieder auf den Bildschirm, obwohl er wirklich kein Interesse am Lebenszyklus der Honigbiene hatte.

Er mochte sein Leben. Es gefiel ihm, dass er im Wohnzimmer direkt aus einem Karton essen konnte. Wenn seine Wohnung unordentlich war, gab es niemanden, der sich darüber beschwerte. Es war gut, dass er seine Umzugskartons nicht auspacken musste, solange er keine Lust dazu hatte, und das waren gewöhnlich zwei oder drei Monate. Es gefiel ihm, dass er alle paar Jahre zu einer neuen Militärbasis versetzt wurde und neue Gesichter und neue Orte sah.

Neue Gesichter. Da fiel ihm sofort ein ganz bestimmtes Gesicht ein, das er schon den ganzen Abend immer wieder vor Augen gehabt hatte. Marie Santini.

Er hatte noch nie zuvor so oft an eine Frau gedacht, die er kaum kannte. Ob es nun an ihren großen grünen Augen lag oder an dem Schock, den ihre Fahrkünste in ihm ausgelöst hatten, etwas an ihr berührte ihn tief in seinem Innern. Und zwar so sehr, dass er nun darüber nachdachte, ob die Einladung zum Essen wirklich eine gute Idee gewesen war. Denn wenn diese Frau ihn schon so beschäftigte, nachdem er nur eine knappe halbe Stunde mit ihr verbracht hatte, sollte er es sich doch sehr überlegen, ob er die Sache tatsächlich weiterverfolgen wollte.

Er zog unkomplizierte Beziehungen ohne Verpflichtungen vor. Und Marie Santini erschien ihm eindeutig als eine Frau, die von einem Häuschen mit weißem Gartenzaun träumte. Was sie für ihn zu einer gefährlichen Frau machte.

Andererseits … lag es nicht in der Natur von Marines, die Gefahr zu lieben?

Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken, doch er war dankbar für die Ablenkung. Erleichtert stellte er den Essenskarton weg, durchquerte den Raum und öffnete die Tür.

„He!“, sagte Mike Coffey. „Ein paar von uns gehen zum Essen aus. Willst du mitkommen?“

Davis blickte zurück zu dem flackernden Fernseher und dem halb leeren Karton mit dem chinesischen Gericht. Dann dachte er, dass man auch zu viel allein sein konnte, und plötzlich wollte er raus aus diesem zu ruhigen, zu einsamen Apartment.

„Ja“, antwortete er. „Ich schalte nur schnell den Fernseher aus.“

Marie hatte eine Menge Schreibtischarbeit zu erledigen. Und sie versprach sich selbst, das auch zu tun, gleich nachdem Davis Garvey sein Auto abgeholt haben würde und wieder losgefahren war.

Marie hasste Papierkram. Sie lag viel lieber unter einem Auto, als dass sie am Computer saß. Unglücklicherweise war im Moment kein Wagen mehr zu reparieren. Jim Bester hatte seinen Fiat morgens abgeholt, und Davis Garveys Mustang war ebenfalls fertig. Anscheinend hatten sich alle anderen Autos in Bayside entschlossen, während der Weihnachtssaison keinen Ärger zu machen.

Davis … Sobald er kam, musste sie ihn zum Dinner einladen.

Unwillig warf sie ihren Stift auf den Schreibtisch und stand auf. Niemals hätte sie auf Ginas Herausforderung eingehen dürfen. Wieso, um alles in der Welt, sollte Davis überhaupt zum Dinner zu ihnen kommen wollen? Der Mann würde doch gar keine Lust haben, sich mit wildfremden Leuten zum Essen zu treffen.

Während Marie in die Werkstatt ging und dort das Licht einschaltete, fiel ihr auf, dass die Idee mit dem Dinner doch nicht so abwegig war, wie man hätte denken können. Jedes Jahr zu Weihnachten gab es ein informelles Vermittlungsprogramm, dessen Sinn es war, einen Marine sozusagen zu adoptieren. Dann luden Familien in der Stadt junge Soldaten, die das Fest fern von ihren Leuten verbringen mussten, zu sich ein und bewahrten sie so davor, in der Militärbasis essen zu müssen.

Die Santinis hatten im Lauf der Jahre ein paar Mal an diesem Programm teilgenommen, und es hatte immer gut funktioniert. Die Marines waren dankbar gewesen, mal eine Abwechslung zu haben, und sie hatten es genossen, einen jungen Mann als Gesellschaft zu haben, der sich ohne sie einsam gefühlt hätte. Marie nahm an, dass sie Davis in etwa auch so betrachten konnte.

Sicher. Warum nicht? Man musste sich bloß vorstellen, dass ein Soldat ausgerechnet zum Weihnachtsfest nicht bei seiner Familie sein konnte. Die Tatsache, dass Davis irgendwie überhaupt nicht in dieses Bild passte, spielte doch keine Rolle. Oder?

„Schließlich ist Weihnachten“, sagte sie laut, und ihre Stimme hallte durch die Werkstatt.

„Nach meinem Kalender sind es noch ungefähr drei Wochen bis Weihnachten“, ertönte eine vertraute tiefe Stimme hinter ihr.

Marie zuckte zusammen und drehte sich zu Davis um. „Lernt man bei den Marines auch, sich an ahnungslose Zivilisten heranzuschleichen?“

„Oh ja.“ Er kam auf sie zu und blieb nur Zentimeter von ihr entfernt stehen. „Anschleichen für Anfänger. Ein sehr beliebter Kurs.“

Zu nah, dachte sie. Er stand so nah vor ihr, dass sie den Zitrusduft seines Rasierwassers roch und den kleinen Schnitt sehen konnte, der von der letzten Rasur stammte.

Was war nur mit ihrem Magen los? Der benahm sich, als würde sie gerade Riesenrad fahren. „Na ja.“ Sie versuchte, sich zusammenzureißen. „Ich hoffe, Ihr Ausbilder hat Ihnen eine Eins gegeben.“

„Tatsächlich war es eine Eins plus.“ Er trat noch näher, und sie wich einen halben Schritt zurück. „Wir sollten bei unserer Arbeit in der Lage sein, uns lautlos zu bewegen.“

„Ja“, sagte sie. „Das ist sicher praktisch. Im Dschungel.“

Er lachte, und sie gestand sich widerwillig ein, was für ein angenehmer Laut das war.

„Ist mein Wagen fertig?“, erkundigte er sich nun.

„Ja, das ist er.“ Und je eher er damit davonfuhr, umso besser. Sie hatte schon viel zu viel Zeit damit verbracht, an diesen Mann zu denken. In den letzten zwei Tagen war ihr sein Gesicht immer wieder in den Sinn gekommen, und das störte ihren Seelenfrieden.

„Gut.“ Davis berührte ihren Unterarm, und trotz ihres dicken Pullovers kam es ihr so vor, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Ihr stockte der Atem. Sie löste sich von Davis und führte ihn ins Büro. Um wieder einen klaren Kopf zu kommen, ging sie in Gedanken das kleine Einmaleins durch.

Während sie sich hinter den Tresen zurückzog, stellte sich Davis direkt gegenüber. Er legte die Hände auf die Holzplatte, wartete, bis Marie aufblickte, und fragte dann: „Was ist nun mit unserem Lunch?“

„Nein, danke.“ Marie hörte bei vier mal zwölf auf. Wenn sie mit Davis essen ging, bedeutete das, dass sie an ihm interessiert sein würde. Was sie nicht war. Außerdem war ihr Magen total in Aufruhr. Wie hätte sie da etwas essen können?

„Stimmt, jetzt erinnere ich mich“, sagte Davis. „Sie verabreden sich ja nicht mit Ihren Kunden.“

„Daran liegt es nicht“, erwiderte sie schnell, bevor sie den Mut verlieren würde. Frag ihn einfach, dachte sie. Lad ihn zum Dinner ein, und beweis deinen Schwestern und deiner Mutter, dass du dich nicht zu ihm hingezogen fühlst. Verdammt, vielleicht konnte sie es sogar sich selbst beweisen. „Ich habe mir überlegt, dass Sie vielleicht lieber zu mir zum Dinner kommen möchten.“

Davis sah Marie sprachlos an. Er hatte sich auf dem ganzen Weg zur Werkstatt eingeredet, dass er seine Einladung nicht wiederholen würde. Eine Frau, die so schnell sein Interesse weckte, war eine, von der er sich fern halten musste. Aber dann hatte er sie wieder gesehen. Hatte so dicht bei ihr gestanden, dass er den zarten Duft ihrer Haut hatte riechen können. Hatte in diese grünen Augen geblickt und gewusst, dass er einfach mehr Zeit mit ihr verbringen musste, ganz gleich, ob das ein Risiko darstellte oder nicht.

Trotzdem fragte er sich jetzt, wieso sie ihre Meinung geändert hatte. Vor zwei Tagen hatte sie noch nicht einmal mit ihm zum Lunch gehen wollen, und heute lud sie ihn zu einem intimen Dinner in ihre Wohnung ein?

Marie Santini war eine verwirrende Frau. Aber während er sie erneut betrachtete, sagte er sich, dass es interessant sein würde, ihr rätselhaftes Wesen zu ergründen.

„Nun?“, drängte sie.

„Sicher“, antwortete er. „Das würde mir gefallen.“

Marie atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. „Gut.“

„Um welche Zeit?“, erkundigte er sich und lächelte über ihre offensichtliche Nervosität.

„Oh. Um sechs, denke ich.“ Sie griff nach einem Zettel und schrieb die Adresse auf.

Als er den Zettel nahm, streiften seine Fingerspitzen wieder ihre, und wieder hatte er das Gefühl einer kleinen Explosion.

Marie riss ihre Hand weg, als hätte sie sich verbrannt, und Davis fragte sich erneut, ob er das Richtige tat. Denn wenn bei ihnen so leicht die Funken flogen, würde es dann nicht womöglich bald ein verheerendes Feuer geben?

4. KAPITEL

Es wurde nichts mit dem intimen Dinner zu zweit.

Ich hätte es besser wissen müssen, dachte Davis. Er hätte ahnen müssen, dass Marie etwas anderes vorhatte. Erst lehnte sie seine Luncheinladung ab, dann lud sie ihn zum Dinner bei sich zu Hause ein. Ihm war doch da schon klar gewesen, dass sie nicht der männermordende Typ war.

Aber wer hätte ahnen können, dass sie ihn gleich mit ihrer ganzen Familie konfrontieren würde?

Er betrachtete die Gesichter um den großen Esstisch herum. Gina, die flirtbereite Brünette, die er schon in der Werkstatt getroffen hatte. Angela, die älteste Schwester, eine gut aussehende Witwe mit einem achtjährigen Sohn namens Jeremy, der eines Tages ein Meister der Verhörkunst sein würde. Jedenfalls gingen ihm nie die Fragen aus. Und am Kopfende des Tisches Maryann Santini, die Mutter. Ihre grünen Augen ähnelten denen von Marie und waren in der letzten Stunde fast ständig auf ihn gerichtet gewesen.

Nun sah er Marie an, die rechts neben ihm saß, und fragte sich, warum sie ihm nicht erzählt hatte, dass es sich um ein Familienessen handelte.

Denn wenn sie das getan hätte, wäre er natürlich nicht gekommen. Er hatte sich mit Familien noch nie wohl gefühlt, sondern immer als Außenseiter. Wie ein Kind, das vor einem Bonbonladen steht, die guten Sachen drinnen sieht, sie aber nicht erreichen kann. Nach einer Weile hört es auf hinzusehen.

„Also …“, meldete Jeremy sich wieder zu Wort, „wie kommt es, dass Sie keine Uniform tragen? Und wo ist Ihre Waffe?“

Offensichtlich waren seine Khakihose und das hellblaue Sporthemd eine große Enttäuschung für den Jungen. „Ich trage gewöhnlich keine Uniform, wenn ich die Militärbasis verlasse, und wir nehmen auch keine Waffen mit, wenn wir zum Dinner ausgehen.“

„Mann, was für ein Mist“, murmelte Jeremy.

Davis konnte die Enttäuschung des Jungen gut verstehen. Er hatte ja auch etwas anderes erwartet – Kerzenlicht, eine Flasche Wein, nur er und Marie. Und nun erlebte er so etwas. Wenn das nicht frustrierend war!

„Das reicht“, meinte die Mutter des Jungen und lächelte ihm, dem Gast, zu. „Wie lange sind Sie denn schon in Camp Pendleton, Davis?“

„Ungefähr eine Woche, Ma’am.“ Er konzentrierte sich auf sein Essen und wollte möglichst bald verschwinden.

„Und woher stammen Sie?“

Er aß einen weiteren Bissen Lasagne, schluckte und antwortete dann: „Zuletzt war ich in North Carolina stationiert.“

„Nein.“ Gina warf ihm einen ihrer koketten Blicke zu, mit denen sie ihn schon den ganzen Abend traktierte. Verdammt, das konnte sie wirklich gut. Zu dumm, dass er nicht an ihr interessiert war. Doch aus irgendeinem Grund reizte Ginas offensichtlicher Sex-Appeal ihn nicht annähernd so wie Maries unterschwellige Sinnlichkeit.

Aber Gina ließ nicht locker, und ihm fiel nichts ein, womit er sie hätte bremsen können.

„Meine Schwester hat gemeint, woher Sie ursprünglich stammen.“

Er umfasste seine Gabel fester. Von überall und nirgends, dachte er.

„Wo lebt Ihre Familie?“, wollte Maries Mutter wissen.

„Ich habe keine Familie, Ma’am.“ Er hoffte, sie würden es dabei belassen.

Doch auch das hätte er besser wissen müssen. Seit einer Stunde fragten die Santinis ihn nun schon über die Militärbasis, das Militär im Allgemeinen und ihn selbst im Besonderen aus. Alle außer Marie. Die Frau, wegen der er hergekommen war, sprach kaum mit ihm. Er sah sie wieder an. Ihre Blicke trafen sich kurz, und wieder hatte er das seltsame Gefühl, dass sich zwischen ihnen etwas entspann.

Er hätte heute nicht herkommen sollen. Schließlich war ihm von Anfang an klar gewesen, dass er sich mit dieser Frau nicht treffen sollte. Schon ein Blick auf das Haus hatte es ihm gezeigt.

Es war ein schönes altes Holzhaus mit einer breiten Veranda und einem großen Fenster vorn, durch das Lampenlicht hinausschien. Überall draußen waren bunte elektrische Kerzen befestigt. Jeder Busch strahlte, und um die Pfosten der Veranda waren flackernde Lichterketten gewickelt, wie man das manchmal vor alten Kinos sah. Auf dem Dach stand in einem gefährlichen Winkel der Schlitten von Santa Claus mit den zwei Rentieren.

Das Ganze wirkte wie eine Weihnachtspostkarte – eine Werbung für gemütliche Stunden zu Hause am Kamin. Er war aber nicht daran gewöhnt, mit Frauen zu tun zu haben, die so häuslich waren. Er zog unpersönliche Apartments vor. Und Frauen, die sich nicht mehr wünschten als eine kurze, für beide Seiten befriedigende Affäre.

Also, was hatte er hier verloren? Das Ganze war ein großer Irrtum.

Marie Santini und er stammten aus verschiedenen Welten, und es würde für sie beide leichter sein, das auch nicht zu vergessen.

„Sie haben keine Familie?“ Maryann Santini schüttelte den Kopf. „Das tut mir sehr leid. Sie müssen Ihre Eltern schrecklich vermissen, vor allem in dieser Jahreszeit.“

Er sagte nichts und überlegte, was sie wohl erwidern würde, wenn er ihr erklärte, dass man nicht vermissen konnte, was man nie gehabt hatte. Höchstwahrscheinlich würde sie das nicht verstehen. Keiner von ihnen. Wie sollten sie auch?

„Sie werden Weihnachten doch nicht allein verbringen, oder?“, fragte Gina.

Er wäre fast an seinem Stück Lasagne erstickt und musste es mit einem Schluck Wein herunterspülen. Sollte er Weihnachten etwa mit den Santini-Frauen feiern? Auf keinen Fall! Drei Augenpaare beobachteten ihn, während er sich verzweifelt um eine Ausrede bemühte, mit der er niemanden beleidigen würde.

Marie war den ganzen Abend still gewesen, so als wollte sie ihrer neugierigen Familie beweisen, dass sie nicht im Geringsten an Davis Garvey interessiert war. Sie saß einfach da, während ihre Mutter und Angela ihn aushorchten und Gina mit den Wimpern klimperte und neckisch lächelte. Und während Jeremy Fragen über alles stellte, was mit der Marine zu tun hatte.

Aber Davis’ Gesichtsausdruck verriet ihr nun, dass ihre Familie zu weit gegangen war. Sie wusste nicht, was ihn so irritiert hatte, aber mit Sicherheit ging es sie und ihre Schwestern und ihre Mutter nichts an.

„Wisst ihr was?“, meldete Marie sich zu Wort, und die anderen drei Frauen sahen sie an. „Es ist schon ziemlich spät. Ich muss Jeremy zum Baseballplatz fahren.“

„Cool!“, rief ihr Neffe und sprang auf.

„Ja“, rief seine Mutter ihm nach. „Du darfst aufstehen.“

„Sie wollen zum Baseballplatz?“ Davis war wirklich dankbar für diesen Themenwechsel. „Im Dezember?“

„Im Februar werden die Junior-Mannschaften aufgestellt.“ Marie stand auf. „Er muss trainieren.“

Wie erwartet, ergriff Davis die Gelegenheit, die sie ihm bot. Er erhob sich ebenfalls und trat zu ihr. „Ich denke, dann werde ich auch gehen. Danke für das Dinner, Mrs. Santini.“

„Nennen Sie mich Mama“, erwiderte sie. „Das tut jeder.“

Ihm wurde heiß und kalt. Wenn sie sich zusammentaten, konnten die Santini-Frauen sogar einen Marine in die Knie zwingen.

Marie und Davis flüchteten zusammen aus dem Esszimmer in den Flur. Hinter ihnen fingen die anderen drei Frauen zu flüstern an. Oben waren Jeremys schnelle Schritte zu hören, und Marie wusste, dass sie nur ein oder zwei Minuten Zeit hatte, um Davis loszuwerden. Und du willst ihn loswerden, rief sie sich ins Gedächtnis.

Also ging sie mit ihm zur Haustür und öffnete sie. „Danke, dass Sie gekommen sind.“

Aber er ging nicht. Er stand da und blickte auf sie hinunter. „Warum haben Sie es mir nicht gesagt?“, fragte er.

„Was?“

„Dass Ihre gesamte Familie hier sein würde.“

„Oh.“ Sie hoffte, dass ihre Stimme unschuldig klang. „Habe ich das nicht erwähnt?“

„Nein.“

„Okay.“ Marie umklammerte mit der rechten Hand den Türknauf. Sie hatte sich etwas schuldig gefühlt, während sie Davis am Esstisch beobachtet hatte. Er hatte so unbehaglich gewirkt, und als die anderen ihn regelrecht verhörten, hatte er ihr fast leidgetan. „Ich hätte Sie wohl warnen sollen, aber Gina wollte Sie wieder sehen, und ich dachte …“

Er riss die Augen auf und lachte leise. Dieser Laut übte eine seltsame Wirkung auf sie aus. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, der dann ihren ganzen Körper erfasste. Sie atmete tief ein und ermahnte sich einmal mehr, sich zusammenzureißen.

„Sie haben also versucht, mich mit Ihrer Schwester zu verkuppeln?“

„Was ist verkehrt an meiner Schwester?“, konterte sie und ging instinktiv in Verteidigungsstellung, obwohl sie Gina noch vor ein paar Minuten am liebsten ermordet hätte, weil sie sich so auf diesen Mann gestürzt hatte.

„Nichts, wogegen zwei Dutzend Beruhigungstabletten nicht helfen würden“, murmelte er. „Ist sie immer so munter?“

Sie senkte den Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen. Ginas ständiges Cheerleader-Benehmen konnte wirklich etwas ermüdend sein. „Sie hat eben eine positive Einstellung zum Leben.“

„So kann man es auch ausdrücken.“ Davis trat ein bisschen näher. „Aber ich hatte nicht Gina zum Essen eingeladen, sondern Sie.“

„Und ich habe Sie zum Dinner eingeladen. Also sind wir quitt.“

„Noch nicht“, erwiderte er.

Übte er das vor dem Spiegel, Frauen solche langen, seelenvollen Blicke zuzuwerfen? Oder war er darin ein Naturtalent? Wie auch immer, ihr stockte der Atem. Davis erschien ihr geradezu überwältigend männlich, dabei war sie bestimmt nicht der Typ kleines Weibchen. Aber Sergeant Garvey war nicht nur ein großer und breitschultriger Mann, er hatte etwas an sich, was sie als Frau ansprach und gleichzeitig sehr irritierte.

„Warum machen Sie das?“, fragte sie.

„Was?“ Er klang ehrlich verwirrt.

„Warum tun Sie so, als wären Sie an mir interessiert.“

„Ich tue doch nicht nur so.“ Er hob eine Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Schon diese kleine Berührung brachte sie völlig durcheinander, und hastig trat sie einen Schritt zurück. Den ganzen Abend hatte sie ihn beobachtet, ihm zugehört und versucht, nicht zu vergessen, dass sie sich nicht zu ihm hingezogen fühlte. Dass sie nicht an ihm interessiert war. Warum musste er sie jetzt berühren und damit alle ihre Bemühungen um Distanz zunichtemachen?

„Bist du so weit, Marie?“, rief Jeremy, kam die Treppe heruntergerast und rannte an ihnen vorbei und zur Tür hinaus.

„Ja!“, brüllte sie ihm dankbar hinterher. Dann rief sie ihrer Mutter und ihren Schwestern zu: „Wir sind in etwa einer Stunde zurück!“

Davis folgte ihr auf die Veranda. „Wo ist denn der Baseballplatz?“, erkundigte er sich, als sie nun im Schein der Weihnachtsbeleuchtung standen.

„Wieso?“, erwiderte sie vorsichtig.

Er zuckte mit den Schultern. „Es ist lange her, seit ich zuletzt gespielt habe. Es könnte Spaß machen.“

Um Himmels willen! dachte sie.

Wenn Marie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband, sah sie wie siebzehn aus. Und ungeheuer unschuldig und hübsch.

Davis stand hinter dem Drahtzaun und beobachtete, wie Marie ihrem Neffen die richtige Schlagtechnik beibrachte. Er bemerkte jede Bewegung ihrer Hüften, und der Anblick ihres Pos in den engen schwarzen Jeans brachte sein Herz fast zum Stillstand.

Marie dagegen beachtete ihn überhaupt nicht, seit sie hier angekommen waren. Sie konzentrierte sich voll auf ihren Neffen, der sie offensichtlich sehr liebte. Sie war geduldig, entschlossen und verstand überraschend viel vom Baseballspielen.

In den anderen umzäunten Übungsbereichen schlugen Bälle gegen das Drahtgeflecht und die Holzwände hinten. Aus Lautsprechern über ihnen ertönten Weihnachtslieder, und die kalte Luft, die vom Ozean herüberkam, passte zur Jahreszeit.

Dutzende von Kindern rannten herum, und ihre leicht gestressten Eltern gaben ihnen Geldstücke für die Automaten, die dann Bälle ausspuckten, die man treffen musste. Es war Jahre her, seit Davis an so einem Ort gewesen war, und er stellte fest, dass es ihm hier gefiel. Er trank den letzten Schluck von einem wirklich schlechten Kaffee, zerdrückte den leeren Becher, warf ihn in den Mülleimer und wandte sich wieder Marie zu.

Er war machtlos dagegen, dass sie ihn faszinierte, und das war ein schlechtes Zeichen. Eigentlich hätte er längst nach Hause fahren und diese sexy Automechanikerin vergessen sollen. Aber er konnte einfach noch nicht gehen. Verdammt! Er fühlte sich, als befände er sich mitten in einem Kampf. Man weiß, dass es gefährlich ist, und der Instinkt rät einem, so schnell wie möglich davonzulaufen. Aber ein anderer Instinkt, der nicht minder stark ist, ergreift von einem Besitz und sorgt dafür, dass man bleibt.

Und sein männlicher Instinkt riet Davis jetzt, sich Marie zu schnappen und sie so lange tief und verlangend zu küssen, dass keiner von ihnen sich mehr Gedanken wegen der Konsequenzen machte.

Gerade setzte sie Jeremy den Schutzhelm auf, klopfte noch einmal darauf und verließ dann den eingezäunten Bereich, wobei sie die Tür hinter sich zuzog.

„Okay, Jeremy!“, rief sie. „Los. Der erste Ball kommt hart und schnell.“

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete der Junge in diesem halb nachsichtigen, halb ungeduldigen Ton, den Kinder anschlagen, wenn sie die Erwachsenen für zu langsam halten.

„Sie können gut mit ihm umgehen.“ Davis warf Marie einen Blick zu.

„Er ist ein großartiger Junge.“ Sie zuckte mit den Schultern und beobachtete Jeremy. Der erste Ball sauste an ihm vorbei. „Ganz gleichmäßig schlagen“, rief sie.

„Wo haben Sie so viel über Baseball gelernt?“, fragte Davis, hauptsächlich, um das Gespräch in Gang zu halten.

„Mein Dad hat es mir beigebracht. Du musst den Schläger mit beiden Händen halten“, schrie sie Jeremy zu.

„Ich dachte nicht, dass kleine Mädchen Baseball spielen.“

Marie drehte sich zu ihm und grinste. „Willkommen im zwanzigsten Jahrhundert.“

„Baseball und Autoreparaturen, ja?“

„Was soll ich sagen? Ich bin eben vielseitig.“

Das war sie wirklich. „Haben Ihre Schwestern auch Baseball gespielt?“ Ihre Schwestern waren ihm egal. Er wollte einfach nur Maries leicht rauchige Stimme hören.

Marie lachte und schüttelte den Kopf, ohne Jeremy aus den Augen zu lassen. Als der Junge einen weiteren Ball verfehlte, schnalzte sie mit der Zunge. „Angela und Gina? Baseball spielen? Garantiert nicht.“

„Also waren Sie der Junge in der Familie?“

„War?“ Sie schüttelte den Kopf. „Der bin ich immer noch.“ Sie zuckte zusammen, als Jeremy von einem Ball am Arm getroffen wurde. „Reib dir den Arm, Jeremy, und dann ran an den nächsten Ball.“

Davis fand Marie immer faszinierender. Er hatte noch nie eine Frau wie sie gekannt. Die, mit denen er bisher ausgegangen war, hätten nie im Leben mit Kindern Baseball gespielt. Marie dagegen schien das sehr zu genießen. Sie wirkte entspannt und begeistert.

„Sie sind ja auch geduldig“, sagte er.

Verwirrt gab sie zurück: „Haben Sie erwartet, dass ich Jeremy schlagen würde?“

„Nein.“ Er lächelte. „Aber gewöhnlich fahren Erwachsene in solchen Situationen leicht mal aus der Haut. Sie fangen an zu brüllen, wenn ein Kind nicht schnell genug lernt.“

„Da sprechen Sie wohl aus Erfahrung, was?“

Als Davis nicht antwortete, blickte Marie ihn fragend an, und für einen Augenblick war ihm, als würde sie bis in sein Innerstes sehen. Dorthin, wo er seine Geheimnisse verbarg. Und das gefiel ihm gar nicht. Er trat von einem Fuß auf den anderen und schottete sich ab. Über seine Vergangenheit wollte er weder reden, noch wollte er daran denken. Er wollte mit Marie über die Gegenwart sprechen.

„He, Santini“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihnen.

Ein großer, breiter Kerl trat neben Marie und gab ihr einen Klaps auf den Po. Sie schrie auf, und Davis rückte näher, wollte sich zwischen sie und diesen unverschämten Kerl stellen. Unwillkürlich ballte er die rechte Hand zur Faust, doch da drehte Marie sich um, rieb ihren Po und grinste dem Mann zu.

„Nicky, hi! Ich wusste gar nicht, dass du schon wieder in der Stadt bist.“

Davis’ Finger entspannten sich wieder, aber das bedeutete nicht, dass er sich beruhigt hätte. Wer, zum Teufel, war dieser Mann, und wieso hatte er das Recht, Marie einen Klaps auf den Po zu geben?

„Davis, das ist Nick Cassaccio, ein alter Freund.“

„Hi“, sagte Nick und reichte Davis die Hand.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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