Julia Best of Band 203

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Drakon Lyonedes glaubt, ein Engel wäre in sein Büro getreten. Leider hat Gemini sehr weltliche Wünsche: Sie verlangt ein wertvolles Haus von ihm zurück. Ob Blumen und eine romantische Reise nach Verona sie davon abbringen können?

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  • Erscheinungstag 03.08.2018
  • Bandnummer 0203
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710705
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carole Mortimer

JULIA BEST OF BAND 203

1. KAPITEL

„Wer ist das?“, fragte Markos, der eben aus seinem Büro in das weitläufige Penthouse im dreißigsten Stock des Lyonedes Towers heraufgekommen war. Hier residierte Drakon Lyonedes, wenn er die Londoner Niederlassung seines Unternehmens besuchte, während sein Cousin Markos es vorzog, nicht in der Nähe seines Arbeitsplatzes zu wohnen.

Auf einem von mehreren Überwachungsmonitoren beobachtete Drakon eine junge Frau, die nervös in dem Raum auf und ab lief, in den sie vor wenigen Minuten von Max Stanford, dem Sicherheitschef von Lyonedes Enterprises, gebracht worden war. Die große, gertenschlanke Frau trug ein dunkles, eng anliegendes Oberteil, unter dem sich kleine feste Brüste abzeichneten, kombiniert mit auf den Hüften sitzenden, hautengen Jeans, die einen flachen Bauch, einen knackigen Po und aufregend lange Beine vorteilhaft zur Geltung brachten. Altersmäßig schätzte Drakon die Frau auf Mitte bis Ende zwanzig. Das schulterlange Haar schien blond zu sein, aber genau war das auf dem Schwarz-Weiß-Monitor nicht auszumachen. Ihr herzförmiges Gesicht mit den großen hellen Augen, der kleinen geraden Nase und den vollen sinnlichen Lippen war atemberaubend schön.

Nachdem Markos sich zu ihm gesellt hatte, warf Drakon seinem Cousin einen kurzen Blick zu. Die Familienähnlichkeit zwischen den beiden konnte man ebenso wenig übersehen wie ihre griechische Abstammung, die sich in ihren wie gemeißelt wirkenden südländischen Gesichtszügen und dem olivfarbenen Teint ausdrückte. Beide Männer – dunkelhaarig, hochgewachsen und schlank – waren Mitte dreißig, wobei Drakon mit seinen sechsunddreißig Jahren zwei Jahre älter als Markos war.

„Ich weiß nicht genau“, erwiderte Drakon. „Max hat sich vor ein paar Minuten gemeldet und gefragt, was er mit ihr machen soll“, fuhr er fort. „Sie sagt nur, dass sie Bartholomew heißt und nicht bereit ist, das Gebäude zu verlassen, bevor sie mit einem von uns beiden gesprochen hat … vorzugsweise mit mir“, fügte er trocken hinzu.

Markos schaute überrascht. „Bartholomew? Meinst du, es gibt da eine irgendwie geartete Verbindung?“

„Könnte Miles Bartholomews Tochter sein.“ Drakon hatte den Mann im Lauf der Jahre immer mal wieder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen getroffen, bevor dieser vor einem halben Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Tatsächlich glaubte er jetzt definitiv, eine Ähnlichkeit zu erkennen.

„Kannst du dir vorstellen, was sie will?“, fragte Markos.

„Bis jetzt noch nicht.“

„Du willst selbst mit ihr reden?“

Drakon lächelte dünn. „Ich habe Max gebeten, sie in zehn Minuten raufzubringen. Da kann man nur hoffen, dass sie bis dahin nicht den teuren Teppich durchgelaufen hat.“

Markos wirkte nachdenklich. „Glaubst du, dass das eine gute Idee ist, wo wir doch im Moment mit Bartholomews Witwe in Verhandlungen stehen?“

Drakon riss den Blick von dem Monitor los. „Hast du eine bessere? Sollen wir vielleicht die Polizei rufen? Das käme mir ziemlich übertrieben vor. Und wenn wir sie einfach da sitzen lassen, sitzt sie womöglich morgen noch dort.“

„Stimmt“, räumte Markos ein. „Aber besteht nicht die Gefahr, dass man so eine Art Präzedenzfall schafft?“

Drakon zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Präzedenzfall wofür? Was meinst du wohl, wie viele junge Frauen es in London gibt, die finster entschlossen sind, sich auf so unkonventionelle Art und Weise Gehör zu verschaffen?“

„Eher weniger. Allerdings nur, weil du dich erst seit zwei Tagen in England aufhältst. In so kurzer Zeit schaffst nicht mal du es, den Frauen so den Kopf zu verdrehen, dass sie jede Zurückhaltung aufgeben“, gab Markos grinsend zu bedenken.

Drakons Gesicht blieb ausdruckslos. „Ich kann nichts dafür, dass es immer wieder Frauen gibt, die in mir den Mann ihres Lebens sehen. Ich mache nie ein Hehl daraus, dass ich nicht die geringste Lust verspüre, mich auch nur annäherungsweise zu binden.“

„Aber Miss Bartholomew lässt dich offenbar nicht kalt“, stichelte Markos übermütig. Es gab nur zwei Menschen auf der Welt, die es wagten, auf so vertraute Art mit Drakon zu reden, und das waren sein Cousin und seine Mutter. Markos war mit acht Jahren in Drakons Elternhaus gekommen, nachdem Markos’ Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren.

„Ich möchte einfach nur wissen, was sie will.“

Markos schaute auf den Monitor. „Schön ist sie jedenfalls …“

„Zweifellos.“

Markos warf Drakon einen abschätzenden Blick zu. „Vielleicht könnte ich dir bei dem Meeting ja eine Hilfe sein?“

„Wohl kaum, Markos“, erwiderte Drakon trocken. „Um gewisse Dinge kümmere ich mich lieber persönlich.“

Markos grinste unbeeindruckt. „Das ist wieder mal typisch. Ich frage mich nur, warum du mir eigentlich immer den Spaß verderben musst?“

„Das sagt genau der Richtige.“ Drakon warf einen Blick auf seine elegante goldene Armbanduhr. „Am besten gehst du schon mal vor, Thompson müsste eigentlich gleich da sein. Ich komme in zehn Minuten nach.“

„Glaubst du, dass das genug Zeit für die schöne Miss Bartholomew ist?“

„Verlass dich drauf.“ Drakon schaute ein letztes Mal auf den Monitor, bevor er mit langen Schritten zu einem der großen Panoramafenster ging, von denen aus man die morgendliche Londoner Rushhour beobachten konnte. Dabei hörte er, in Gedanken schon wieder bei Miss Bartholomew, wie sein Cousin hinter ihm die Treppe hinunterging.

Drakon, der nach dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren die Leitung von Lyonedes Enterprises übernommen hatte, war nicht leicht zu überraschen. Und einschüchtern ließ er sich erst recht nicht. Das würde auch Miss Bartholomew zu spüren bekommen, was immer der Grund für ihr inakzeptables Benehmen sein mochte.

Gemini blieb stehen und wandte sich zu dem Mann um, der sich ihr als der Sicherheitschef von Lyonedes Enterprises vorgestellt hatte, bevor er sie vor fünfzehn Minuten in ihrem luxuriösen Gefängnis allein gelassen hatte. Zweifellos war er verschwunden, um sich sagen zu lassen, wie er mit ihr verfahren sollte. Sie versuchte nun schon seit Tagen, einen Termin bei Drakon Lyonedes zu bekommen, doch vergebens. Man hatte sie stets höflich, aber entschieden abgewimmelt.

Als kleines Zugeständnis hatte man ihr angeboten, dass sie gern ihre Bewerbungsunterlagen an die Personalabteilung schicken könnte … als ob sie jemals für einen Hai wie Drakon Lyonedes arbeiten würde! Ein persönlicher Termin bei ihm oder auch bei seinem Cousin, dem Vize des Unternehmens, der die Londoner Niederlassung leitete, war jedoch abgelehnt worden. Deshalb hatte Gemini schließlich beschlossen, mit einem Sitzstreik in der Empfangshalle des Lyonedes Towers auf sich aufmerksam zu machen. Eine Aktion, die allerdings nur von kurzer Dauer gewesen war, weil sie schon wenige Minuten später abgeführt und in einem Raum gesperrt worden war, wo sie jetzt auf ihre Auslieferung wartete!

„Kommen Sie mit.“ Der hart wirkende, ganz in Schwarz gekleidete Sicherheitschef mit den militärisch kurz geschorenen grauen Haaren ließ ihr den Vortritt.

„Ich hätte ja wenigstens Handschellen erwartet“, bemerkte sie spöttisch, während sie neben dem Mann den Marmorflur hinunterging.

Stahlgraue Augenbrauen schnellten nach oben. „Wie darf ich das verstehen?“

War das Belustigung, was da in diesen harten blauen Augen aufblitzte? Wohl kaum. „Bestimmt nicht so, wie Sie denken, glauben Sie mir“, versicherte Gemini trocken.

„Das dachte ich mir.“ Er nickte, während er ihren Ellbogen in einen Zangengriff nahm. „Es ist einfach so, dass Handschellen auf unsere Besucher eher abschreckend wirken.“

„Wohin bringen Sie mich?“, verlangte sie zu wissen, nachdem sie erfolglos versucht hatte, sich aus diesem stählernen Griff herauszuwinden. „Ich will sofort Auskunft …“

„Ich habe Sie gehört.“ Er blieb vor einem Aufzug stehen und gab einen Sicherheitscode ein.

Er hatte sie gehört. Gut. Dann wollte er also nicht antworten. „Dieses Gebäude ist viel zu modern, um einen Kerker zu haben“, bemerkte sie.

„Aber es gibt einen Keller.“ Als die Türen des Aufzugs auseinanderglitten, warf ihr der Sicherheitschef aus zusammengekniffenen Augen einen scharfen Blick zu. Gleich darauf zog er sie an seine Seite, bevor er einen der Knöpfe drückte, doch sie konnte nicht sehen, ob der Pfeil nach oben oder nach unten zeigte. Und der Aufzug bewegte sich so schnell, dass sie fast Angst bekam. Oder lag das an ihrem ramponierten Nervenkostüm? Sie war schließlich nicht zu ihrem Vergnügen hier, und der stumme Mann an ihrer Seite wirkte definitiv einschüchternd.

Vielleicht war es ja doch keine so gute Idee gewesen, zu derart extremen Mitteln zu greifen. Obwohl Drakon Lyonedes sich das letzten Endes selbst zuzuschreiben hatte. Sie plante schließlich kein Attentat auf ihn, sondern wollte nur mit ihm reden, nichts weiter. Sie reckte trotzig das Kinn und warf dem Mann an ihrer Seite einen Blick zu. „Freiheitsberaubung ist eine Straftat, falls Sie das nicht wissen.“

„Hausfriedensbruch auch“, knurrte er.

„Ich verlange trotzdem, dass Sie mich auf der Stelle loslassen. Was fällt Ihnen eigentlich …?“ Sie verstummte abrupt, als der Aufzug weich federnd zum Stehen kam und sich die Türen geräuschlos öffneten. Nicht in einen Keller. Oder in ein Verlies. Dafür in das ungewöhnlichste Büro, das sie je gesehen hatte. Nein, wohl eher kein Büro, überlegte sie, als Mr. Grimmig sie in einen riesengroßen eleganten Wohnraum zog. Der elfenbeinfarbene dicke Teppich schluckte jedes Geräusch. Sie sah einen Marmorkamin mit einer Sitzgarnitur aus dunkelbraunem Leder davor, bestehend aus mehreren Sesseln und einer L-förmigen Couch. In einer Ecke des Raums stand ein wunderschöner elfenbeinfarbener Flügel, in einer anderen war eine Bar. An den ebenfalls elfenbeinfarbenen Wänden hingen die Werke zahlloser berühmter längst verblichener Künstler, von denen Gemini einige auf Anhieb erkannte. Direkt vor ihr war eine Fensterwand, die einen atemberaubenden Blick auf London bot. Also, ein Keller war das hier jedenfalls nicht!

„Ich sage Ihnen Bescheid, wenn Miss Bartholomew gehen möchte, Max.“

„Sir.“

Gemini bekam nur am Rande mit, dass sich der Sicherheitschef zurückzog, weil sie sich spontan in die Richtung umdrehte, aus der diese tiefe, befehlsgewohnte Stimme kam. Und als ihr Blick auf den Mann vor einer zweiten Fensterfront fiel, wusste sie sofort, dass das nur Drakon Lyonedes sein konnte.

Dass er nicht amüsiert war, ließ sich kaum übersehen. Genau gesagt wirkte er sogar noch verärgerter als sein Sicherheitschef. Drakon Lyonedes war groß, hatte breite Schultern, schmale Hüften und lange Beine. Der dunkelgraue Anzug war garantiert maßgeschneidert, dazu trug er ein weißes Seidenhemd und eine perlgraue Krawatte. Er hatte kurz geschnittenes dunkles Haar und ein kantiges, wie aus Granit gehauenes Gesicht mit eindringlichen schwarzen Augen. Das Auffallendste an ihm aber war die Aura von Autorität und Macht, in die er eingehüllt war, eine Aura, die keines der vielen Fotos, die Gemini im Lauf der Jahre von ihm gesehen hatte, einzufangen vermocht hatte.

Drakon verzog keine Miene, während er jetzt die Farbversion der eigensinnigen Miss Bartholomew eingehend musterte. Das schulterlange glatte Haar war hell und schimmerte golden – wie die langen Sandstrände auf seiner Insel in der Ägäis. Ihr sehr heller Teint stand in einem aufregenden Kontrast zu ihren schwarzen Wimpern und meergrünen Augen. Die sinnlichen hellrosa Lippen waren ungeschminkt. Soweit er es beurteilen konnte, schien sie überhaupt ungeschminkt zu sein, was für eine Frau in seiner Welt einigermaßen ungewöhnlich war.

„Mr. Lyonedes, nehme ich an?“, fragte sie mit leiser Stimme, während sie graziös wie eine Ballerina auf ihn zukam.

„Miss Bartholomew. Max hat mich informiert, dass Sie Ihrem Wunsch, mich zu sprechen, auf eine etwas unorthodoxe Art und Weise Ausdruck verliehen haben.“

„Finden Sie?“ Sie fixierte ihn.

„Sich auf den Boden in der Empfangshalle zu setzen und zu drohen, dort sitzen zu bleiben, bis ein Gespräch mit mir oder meinem Cousin zustande kommt, ist nun einmal nicht die Regel“, gab er zurück.

„Ach, das meinen Sie.“ Gemini verzog das Gesicht, während sie ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bringen versuchte. Was im Augenblick alles andere als einfach war, wie sie zugeben musste. „Aber Sie haben ja zum Glück Max“, sagte sie.

Er zog irritiert die Augenbrauen hoch. „Sie nennen meinen Sicherheitschef beim Vornamen?“

„Nun, es ist der einzige Name, den ich von ihm kenne. Er hat sich mir nicht mit Namen vorgestellt, und dass er Max heißt, weiß ich nur, weil Sie ihn eben so angesprochen haben.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber Sie sind selbst schuld, dass sich die Situation so zugespitzt hat“, fuhr sie fort, jetzt schon bedeutend selbstsicherer, weil es ihr immerhin gelungen war, ins Allerheiligste vorzudringen. „Wenn Sie sich so unerreichbar machen.“

„Ja nun. Was meinen Sie denn, warum ich das tue?“

„Weil … egal.“ Gemini schüttelte den Kopf.

Drakon beobachtete, wie bei der Bewegung in diesem hellen Haar die Sonnenstrahlen tanzten, wobei er sich unwillkürlich fragte, ob das ihre natürliche Haarfarbe war. „Ihnen ist doch sicher klar, dass Hausfriedensbruch …“

„Eine Straftat ist.“ Sie atmete schwer. „Ja, daran hat mich Ihr Sicherheitschef bereits mit Nachdruck erinnert … und daran, dass es Ihr gutes Recht gewesen wäre, die Polizei zu rufen und mich festnehmen zu lassen.“

Drakon lächelte humorlos. „Diese Möglichkeit besteht nach wie vor, glauben Sie mir.“

„Oh.“ In ihren Augen flackerte für einen Moment Unsicherheit auf, dann straffte sie die Schultern. Das T-Shirt, das sich äußerst vorteilhaft an ihre kleinen hohen Brüste und den flachen Bauch schmiegte, war schwarz, und die Jeans, die sich über diesem aufregenden Po spannten, waren hellblau. „Aber das war doch nur, weil ich unbedingt mit Ihnen reden muss …“

„Möchten Sie Kaffee?“

Sie stutzte. „Wie bitte?“

„Kaffee?“ Drakon deutete zur Bar, wo eine Kanne mit frischem Kaffee stand, die man ihm vor Kurzem gebracht hatte.

„Koffeinfrei?“

Er zog dunkle Augenbrauen hoch. „Soweit ich weiß, ist das ganz normaler brasilianischer, meine Lieblingssorte …“

„Dann danke nein“, lehnte sie höflich ab. „Von Kaffee bekomme ich oft Kopfschmerzen, außer er ist koffeinfrei.“

„Aber Sie gestatten doch, dass ich eine Tasse trinke?“, fragte er mit leisem Spott, bevor er, ohne ihre Antwort abzuwarten, an die Bar ging und sich Kaffee einschenkte, den er wie üblich schwarz und ohne Zucker nahm. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, musterte er sie über den Rand seines Kaffeebechers hinweg.

Falls diese junge Frau tatsächlich die Person war, für die sie sich ausgab, wirkte sie jedenfalls nicht so. Schwer vorstellbar, dass sie eine reiche Erbin sein sollte. Gekleidet war sie jedenfalls nicht anders als zahllose ihrer Altersgenossinnen heutzutage. Und als sie eine lange, elegante Hand hob, um sich eine weißgoldene Haarsträhne über die Schulter zu schnippen, sah er, dass ihre Fingernägel praktisch kurz und unlackiert waren. Ihr Besuch kam in der Tat überraschend. Noch überraschender allerdings war ihre ungezwungene Art, ja, fast eine gewisse Respektlosigkeit, mit der sie ihm begegnete.

Er stellte den schwarzen Becher behutsam auf der Bar ab, bevor er mit federnden Schritten und ohne Eile den Raum durchquerte und nur wenige Zentimeter vor ihr stehen blieb. Da sie großgewachsen war und Stiefel mit hohen Absätzen trug, begegneten sie sich praktisch auf Augenhöhe.

„Vielleicht sollten wir uns erst einmal vorstellen. Ich bin, wie Sie ja sicher bereits erraten haben, Drakon Lyonedes. Und Sie sind …?“

„Gemini“, entfuhr es ihr spontan. „Äh … Gemini Bartholomew. Ich bin Miles Bartholomews Tochter.“ Sie streckte ihm die Hand hin. Ihre Wangen waren jetzt genauso rosa wie ihr aufregender Mund.

Gemini … Ein ungewöhnlicher, hübscher Name. „Und was, glauben Sie, kann nur ich und sonst niemand für Sie tun, Miss Bartholomew?“

Gemini spürte, wie ihr bei seinen Worten ein leiser Schauer über den Rücken rieselte, während er weiterhin ihre Hand hielt. Seine Haut war kühl, aber seine gedämpfte, leicht heisere Stimme klang fast wie eine Liebkosung. Wie war das denn nun wieder gemeint? Er versuchte ja wohl nicht, mit ihr zu flirten, oder? Wohl kaum, wo sie doch guten Grund hatte anzunehmen, dass er derzeit eine Affäre mit ihrer verabscheuten Stiefmutter hatte.

2. KAPITEL

Allein der Gedanke an ihre Stiefmutter veranlasste Gemini, Drakon abrupt ihre Hand zu entziehen. Zweifellos hatte er mit dieser Hand die verhasste Angela schon auf eine Art und Weise berührt, wie sie es sich nicht einmal vorstellen wollte. Erschauernd brachte sie ihre Hand hinter ihrem Rücken in Sicherheit, bevor sie einen Schritt zurücktrat. „Ich möchte Sie bitten, das Angebot zurückzuziehen, das Sie der Witwe meines Vaters gemacht haben“, gab sie auf seine Frage unumwunden zurück.

Drakon registrierte, wie aufgeregt Gemini Bartholomew jetzt war. Ihre Wangen glühten, die schönen Augen glitzerten. „Warum sollte ich? Die Vertragsverhandlungen für Bartholomew House dürften in etwa zwei Wochen abgeschlossen sein.“

Zwischen den meergrünen Augen mit den langen Wimpern bildete sich eine steile Falte. „Ich weiß. Aber Angela hat kein Recht, das Haus zu verkaufen, das sich seit Generationen im Besitz meiner Familie befindet.“

„Ich gehe fest davon aus, dass unsere Rechtsabteilung alle erforderlichen Unterlagen gründlich geprüft hat“, erwiderte Drakon ungerührt, auch wenn sich in seinem Innern ein leises Unbehagen breitmachte.

„Natürlich gibt es aus rechtlicher Sicht nichts zu beanstanden.“ Sie schüttelte so ungeduldig den Kopf, dass die weißgoldenen Haare flogen. „Ich meine es eher moralisch.“

Die Anspannung in Drakons Schultern ließ etwas nach. „Ich verstehe“, murmelte er.

Wohl kaum, dachte Gemini, als sie sah, dass er sie skeptisch musterte. Wahrscheinlich hielt er sie für völlig überspannt. Aber das änderte nichts daran, dass Angela absolut kein Recht hatte, Bartholomew House einfach zu verkaufen. So eine weitreichende Entscheidung stand der Frau, die nur die letzten drei Jahre mit Geminis Vater verheiratet gewesen war, nicht zu. Aber Angela war nicht bereit, mit sich reden zu lassen.

Auf Geminis Gesicht spiegelte sich ihre ganze Frustration wider. „Ich weiß, dass Sie … dass Sie jetzt mit Angela … zusammen sind, aber …“

„Dass ich was bin?“, fragte Drakon perplex.

„Oh, keine Sorge“, winkte sie eilig ab. „Natürlich geht mich das nichts an, das ist mir bewusst, auch wenn der Tod meines Vaters noch nicht lange zurückliegt.“

„Besten Dank, das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen“, entgegnete Drakon mit beißendem Spott.

„Nein, ich meine es wirklich“, beteuerte Gemini, wobei sie zu ergründen versuchte, was ein Mann wie er wohl an einer Frau wie Angela finden mochte. Geminis Vater, der nach dem Tod ihrer Mutter einsam gewesen war, hatte sich von der Aufmerksamkeit einer fünfundzwanzig Jahre jüngeren, zugegebenermaßen attraktiven Frau geschmeichelt gefühlt. Aber Drakon Lyonedes war jung und charismatisch, reich wie Krösus und schön wie ein griechischer Gott! Ein Mann wie er konnte jede Frau haben. Warum also sollte er sich ausgerechnet von einer Frau wie Angela, die nichts Eigenes vorzuweisen hatte, angezogen fühlen?

„Bitte fahren Sie fort“, forderte Drakon sie kühl auf.

„Ich bin mir nicht sicher, ob das klug ist“, erwiderte sie verunsichert.

Er zuckte die breiten Schultern. „Offensichtlich hatten Sie etwas dagegen, dass Ihr Vater ein zweites Mal geheiratet hat?“

„Nein, das stimmt so nicht.“ Gemini fühlte sich plötzlich ziemlich unwohl in ihrer Haut. „Er hätte sich einfach nur etwas mehr Zeit lassen sollen mit seiner Entscheidung. Als er Angela kennenlernte, war er immer noch sehr deprimiert, weil er den Tod meiner Mutter nach dreißig Jahren Ehe noch längst nicht verkraftet hatte. Damals war meine Mutter erst ungefähr ein Jahr tot, und er fühlte sich einsam.“

„Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?“

Gemini schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte mich nicht einmischen, außerdem wirkte er mit Angela ja auch glücklich. Was ich ihm nach dieser dunklen Zeit von ganzem Herzen gegönnt habe.“

„Ihr Vater stand Ihnen sehr nah?“

„Ja“, sagte sie leise. „Ich habe mein Bestes versucht, um die riesige Lücke zu füllen, die meine Mutter hinterlassen hat. Aber ihm die Lebensgefährtin zu ersetzen war mir als Tochter natürlich nicht möglich.“.

„Er fehlt Ihnen?“, fragte er behutsam.

„Sehr.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Verzeihen Sie. Ich wollte keine alten Wunden …“

„Schon gut.“ Sie blinzelte die Tränen weg und fuhr entschlossen fort: „Unser Verhältnis veränderte sich … es gestaltete sich etwas … schwierig, nachdem Daddy Angela geheiratet hatte.“

„War er in seiner zweiten Ehe unglücklich?“

Gemini hatte ohnehin bereits mehr gesagt, als sie hatte sagen wollen, und es gab nicht den geringsten Grund, ihm jetzt auch noch von der Desillusionierung zu erzählen, die bei ihrem Vater bereits wenige Monate nach der Hochzeit eingesetzt hatte. „Ich habe Sie schon mit genug Einzelheiten über meine Familie gelangweilt, Mr. Lyonedes“, sagte sie heiser. „Aber vielleicht verstehen Sie jetzt etwas besser, wie … wie heikel diese Situation ist.“

„Schön, aber ich weiß immer noch nicht, was ich für Sie tun kann.“

Gemini kam nicht umhin, sich plötzlich dasselbe zu fragen. Zu Hause hatte sie sich die Situation immer wieder ausgemalt und sich genau übergelegt, was sie sagen wollte, doch in Wirklichkeit war alles anders. Und dass der Mann so unverschämt gut aussah, machte die Sache nicht einfacher. Besonders, weil Gemini sich auf seltsame Weise von ihm angezogen fühlte, obwohl sie wusste, dass ihre Stiefmutter ein Verhältnis mit ihm hatte.

Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, bevor sie sagte: „Nun, wie schon erwähnt, möchte ich Sie bitten, Ihr Angebot für Bartholomew House zurückzuziehen.“

„Ich bitte Sie, das kann nicht Ihr Ernst sein“, protestierte Drakon kopfschüttelnd. „Immerhin ist Angela Bartholomew die rechtmäßige Erbin des Hauses.“

„Ja, aber nur, weil mein Vater so plötzlich verstorben ist“, beharrte Gemini. „Er hat mich wenige Wochen vor seinem Tod informiert, dass er vorhat, ein neues Testament zu machen … in dem er mich als Erbin von Bartholomew House einsetzt.“

„Und der Tod hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht?“

Sie zuckte gepeinigt zusammen. „Ja.“

„Aber Sie sind doch sicher nicht leer ausgegangen?“

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie. „Meine Eltern haben für mich bereits vor Jahren einen Vermögensfonds eingerichtet. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass mein Vater die feste Absicht hatte, mich als Erbin für Bartholomew House einzusetzen.“

„Dafür gibt es bedauerlicherweise nur Ihr Wort.“

„Ich pflege nicht zu lügen, Mr. Lyonedes!“

„Das wollte ich damit auch nicht sagen.“ Drakon seufzte ungehalten. Was sollte das alles? Natürlich war das Pech für sie, falls ihre Geschichte stimmte, aber was hatte er damit zu tun? Kein Mensch konnte schließlich von ihm verlangen, dass er nur aufgrund eines mündlich überlieferten angeblichen Testaments ein ungemein lukratives Geschäft platzen ließ! „Vielleicht sollten Sie das alles mit den Anwälten Ihres Vaters klären statt mit mir.“

„Das habe ich bereits versucht“, antwortete sie.

„Und …?“

Sie seufzte. „Man hat mir bestätigt, dass mein Vater wenige Wochen vor seinem Tod angekündigt hat, sein Testament zu ändern, aber etwas Schriftliches liegt nicht vor.“

„Tja, dann ist da nichts zu machen.“ Drakon zuckte bedauernd die Schultern. „Gesetz ist Gesetz. Und selbst wenn ich jetzt Ihnen zuliebe von den Vertragsverhandlungen mit Ihrer Stiefmutter zurückträte, würde sie zweifellos sehr schnell einen anderen Käufer finden“, erklärte er.

„Das ist mir klar, deshalb würde ich Ihnen gern einen Vorschlag machen, wenn Sie erlauben.“ Das Glitzern in diesen meergrünen Augen hatte sich noch verstärkt. Drakon musterte sie unauffällig.

„Allerdings müssen Sie mir versprechen, dass Sie Angela gegenüber vorerst nichts davon sagen“, führte sie weiter aus. „Weil ich weiß, dass sie alles tun würde, um meine Pläne zu durchkreuzen.“

„Miss Bartholomew …“

„Bitte nennen Sie mich Gemini“, bat sie sanft.

„Gemini“, wiederholte Drakon so schroff, als würde er befürchten, allein durch das Aussprechen des ungewöhnlichen Namens dieser nicht weniger ungewöhnlichen Situation noch eine intime Ebene hinzuzufügen. „Also, mir scheint, Sie haben da etwas missverstanden, was mein Verhältnis zu …“ Er verstummte, als auf dem obersten Absatz der Wendeltreppe, die direkt in die ein Stockwerk tiefer gelegenen Büros führte, erneut Markos auftauchte.

Gemini, die nicht sah, was sich hinter ihrem Rücken abspielte, und nur spürte, dass er abgelenkt war, runzelte die Stirn. Als sie sich umdrehte, fiel ihr Blick auf einen dunkelhaarigen, gut aussehenden Mann, der so große Ähnlichkeit mit Drakon hatte, dass er niemand anders als Drakons Cousin Markos sein konnte. Musste der Mann ausgerechnet jetzt hier auftauchen?

„Entschuldige die Störung, Drakon.“ Bevor der Mann das Wort an seinen Cousin gerichtet hatte, hatte er Gemini höflich zugenickt, und jetzt musterte er sie mit unverhohlener Neugier. „Aber wir warten!“

Drakon stutzte und blickte auf seine Armbanduhr, wobei er überrascht feststellte, dass er nun schon seit fast einer halben Stunde mit Gemini Bartholomew redete, obwohl er nur zehn Minuten eingeplant hatte. Die Zeit war wie im Flug vergangen!

„Ich glaube, Miss Bartholomew ist auch alles losgeworden, was sie hat loswerden wollen, richtig?“, fragte Drakon an sie gewandt.

Aber Gemini hatte nicht vor, sich einfach so abschieben zu lassen. Deshalb versuchte sie es jetzt anders und ging auf Markos zu, der immer noch auf dem obersten Treppenabsatz stand. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mr. Lyonedes.“ Bei diesen Worten reichte sie ihm lächelnd die Hand.

Markos warf Drakon einen erstaunten Blick zu, bevor er ihre Hand nahm. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Miss Bartholomew.“ Markos’ Stimme war tief und leicht heiser geworden.

„Gemini“, sagte sie mit einem charmanten Lächeln.

„Markos“, erwiderte er.

Ihr Lächeln wurde breiter. „Ich muss mich entschuldigen, dass ich die wertvolle Zeit Ihres Cousins so lange in Anspruch genommen habe.“

„Das geht schon in Ordnung.“ Markos hielt immer noch diese schlanke Hand in seiner, während er sie bewundernd anschaute. „An Drakons Stelle hätte ich mich auch nicht sonderlich beeilt, Sie loszuwerden, nur um an einer langweiligen Sitzung teilnehmen zu können.“

Drakon spürte Verärgerung in sich aufsteigen. Was sollte das denn jetzt? Flirteten die beiden etwa miteinander? Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Gemini lachte heiser auf, bevor sie Markos mit einem entschiedenen Ruck ihre Hand entzog.

„Ich bin sofort da, Markos“, verkündete Drakon schroff.

Sein Cousin warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Ich hätte nichts dagegen, hier deinen Platz einzunehmen und Gemini Gesellschaft zu leisten, bis du von dem Meeting mit Bob Thompson zurück bist.“

Drakon presste die Lippen zusammen. „Das wird nicht nötig sein. Miss Bartholomew und ich haben uns eben darauf verständigt, dass wir alle noch offenen Fragen heute Abend beim Essen klären.“

Sie riss erstaunt die Augen auf. „Wirklich?“

Drakon schluckte peinlich berührt. Wieso hatte er das denn jetzt gesagt? Nur weil er sich darüber geärgert hatte, dass Markos Geminis Hand viel zu lange gehalten hatte? Sehr seltsam, wirklich … Immerhin hatte sich diese Frau heute hier fast gewaltsam Zutritt verschafft und darüber hinaus auch noch völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen aufgestellt. Und für dieses bizarre Benehmen wollte er sie jetzt auch noch belohnen, indem er sie zum Abendessen einlud?

Nun, in dem Sinn „eingeladen“ hatte er sie ja nicht. Er hatte nur gesagt, dass sie heute Abend beim Essen die noch strittigen Fragen klären wollten. Was etwas völlig anderes war …

„Ja, wirklich“, bestätigte Drakon mit unbewegtem Gesicht. „Ich sage meinem Fahrer, dass er Sie um halb acht von Bartholomew House abholen …“

„Da wohne ich schon seit Jahren nicht mehr.“ Sie rümpfte die Nase. „Meine Stiefmutter hat mich recht bald nach der Heirat mit meinem Vater diskret darauf hingewiesen, dass es wohl besser ist, wenn ich ausziehe.“

Drakons Miene verfinsterte sich. Himmel, in was war er denn da hineingeraten? Da Bartholomew House ein riesiges Anwesen war, in dem eine Person mehr oder weniger gar nicht auffiel, roch das schwer nach Familienfehde.

„Dann hinterlassen Sie am besten unten an der Rezeption Ihre aktuelle Adresse“, schlug er vor.

„Ich bringe Gemini nach unten“, bot Markos an.

Drakon musterte seinen Cousin argwöhnisch. „Ich bin mir sicher, dass Miss Bartholomew ihren Weg auch allein findet, nachdem sie es heute schon so erfolgreich geschafft hat, auf sich aufmerksam zu machen“, bemerkte er säuerlich und verspürte einen leisen Triumph, als er sah, dass Gemini rot wurde.

Markos grinste. „Stimmt. Aber sollte sich nicht wenigstens einer von uns beiden mit eigenen Augen davon überzeugen, dass sie das Gebäude auch tatsächlich verlässt?“

Die Röte auf Geminis Wangen vertiefte sich. „Das klingt ja fast, als ob ich eine Kriminelle wäre“, sagte sie empört.

„Verzeihung, aber so etwas zu behaupten würde mir nie im Leben einfallen“, beteuerte Markos mit Unschuldsmiene.

„Geschenkt“, gab sie großzügig zurück. „Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen, um auf mein Anliegen aufmerksam zu machen.“

„Nun, wie man sieht, solltest du die junge Dame also unbedingt nach unten begleiten, sonst kommt sie womöglich noch mal auf dumme Gedanken, Markos“, mischte sich Drakon in spöttischem Ton ein, während er ebenfalls zur Treppe ging. „Wir sehen uns dann heute Abend“, fügte er mit Blick auf Gemini hinzu, bevor er nach unten verschwand.

„Habe ich einen Schmutzfleck auf der Nase, oder warum starren Sie mich so an?“ Gemini schaute den Mann, der neben ihr im Aufzug stand, fragend an.

„Oh, entschuldigen Sie.“ Markos schüttelte den Kopf. „Ich wundere mich nur … Drakon hat gar nicht erwähnt, dass Sie sich kennen.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Wir kannten uns ja bis heute auch nicht!“

„Ach so?“

„Mr. Lyonedes …“

„Markos“, sagte er.

Ein echter Charmeur, dachte Gemini. Sie zweifelte jedoch keine Sekunde daran, dass sich unter dieser liebenswürdigen Oberfläche ein ebenso stahlharter Wille verbarg wie bei seinem Cousin. „Warum sagen Sie nicht einfach offen, was Sie denken, Markos?“

Er zuckte die breiten Schultern. „Ich wüsste einfach nur gern, warum Sie hier sind.“

Gemini lächelte. „Das braucht Sie nicht weiter zu kümmern.“

„Nicht?“

„Nein“, verkündete sie entschieden.

„Aber es stimmt, dass Sie Miles Bartholomews Tochter sind, richtig?“

„Ja …“

„Das dachte ich mir. Mich würde trotzdem interessieren …“

Aber Gemini dachte gar nicht daran, sich aushorchen zu lassen. Sollte er doch seinen Cousin fragen. „Auf jeden Fall war es mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Markos“, fiel sie ihm ins Wort, weil der Aufzug eben stehen geblieben war. Während sie ausstieg, fuhr sie mit einem strahlenden Lächeln fort: „Und ich vergesse auch ganz bestimmt nicht, an der Rezeption meine Adresse zu hinterlassen.“

Markos begriff, dass mehr für ihn hier nicht drin war, deshalb blieb er gleich im Lift. „Na, dann viel Spaß heute Abend mit Drakon.“ Er nickte ihr zum Abschied zu, während sich die Aufzugtüren langsam schlossen.

Als Gemini das belustigte Funkeln in seinen Augen sah, fragte sie sich, ob er sich über sie oder über seinen Cousin lustig machte.

3. KAPITEL

„Eigentlich bin ich ja davon ausgegangen, dass wir uns in einem Restaurant treffen“, meinte Gemini erstaunt.

Drakon, der nach unten gekommen war, um Gemini vor dem Lyonedes Tower in Empfang zu nehmen, verzog keine Miene, während er beobachtete, wie sie aus dem Fond der silbergrauen Limousine kletterte. Dabei gewährte das tiefe Dekolletee ihres schwarzen ärmellosen Kleides, das in einem perfekten Kontrast zu ihrem weißblonden Haar und ihrer hellen Haut stand, verführerische Einblicke. Heute Abend verlieh ein Hauch Rouge ihren blassen Wangen etwas Farbe, und ein zarter pfirsichfarbener Lipgloss betonte die vollen Lippen. Sie sah wirklich bezaubernd aus.

Drakon entließ den Fahrer mit einem kurzen Nicken und wartete, bis der Wagen davongefahren war, bevor er sich Gemini wieder zuwandte. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn wir bei mir essen?“

Nicht wirklich. Es kam ihr nur nicht besonders … geschäftsmäßig vor, mit Drakon Lyonedes in der Intimität dieses beeindruckenden Penthouse-Apartments mit der herrlichen Panoramaaussicht zu Abend zu essen. Er hatte sich ebenfalls umgezogen und trug wieder einen dieser teuren Maßanzüge, diesmal in einem dunkleren Grau, dazu ein weißes Seidenhemd und eine taubenblaue, sorgfältig geknotete Krawatte. Dieses energische Kinn war frisch rasiert, und sein dunkles Haar wirkte feucht … als ob er eben noch nackt unter der Dusche gestanden hätte …

Stopp! Sich Drakon nackt vorzustellen war keine gute Idee. Als sie nicht gleich antwortete, zog er seine dunklen Brauen hoch und sagte: „Aber es ist doch ein Geschäftsessen, oder?“

Nun, wenn er es so sah … „Natürlich“, stimmte Gemini dankbar zu, während sie mit ihm zusammen das nur teilweise beleuchtete Hochhaus betrat, in dem es fast gespenstisch ruhig war. In dieser unnatürlichen Stille klapperten die Absätze ihrer Riemchensandaletten übermäßig laut auf dem Marmorboden. Als sie neben ihm im Aufzug stand, für den nur er einen Schlüssel besaß, fühlte sie sich noch einsamer als sonst in letzter Zeit.

„Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, dass Sie bereit sind, sich noch einmal mit meinen Problemen zu beschäftigen“, bemerkte Gemini, verzweifelt bemüht, ihre steigende Nervosität unter Kontrolle zu halten. Obwohl sie normalerweise eigentlich nur selten nervös war. Aber die nachdenkliche Intensität, die von diesem Mann ausging, hatte etwas Beunruhigendes.

Drakon lächelte gezwungen. „Trotz Ihres eher suboptimalen Auftritts heute Morgen, meinen Sie?“

Sie spürte ihre Wangen heiß werden. „So könnte man es auch sagen, ja.“

Er nickte. „Es gibt da gewisse Aspekte unseres Gesprächs, die ich gern vertiefen würde.“

Sie blinzelte überrascht. „Ach ja?“

„Ja“, bestätigte er brummig.

Gemini lächelte ihn an. „Natürlich! Immerhin habe ich Ihnen meinen Vorschlag noch gar nicht erläutert.“

„Das auch.“

Auch? Was denn sonst noch? Gemini konnte den Gedanken nicht weiterverfolgen, weil sich die Aufzugstüren schon wieder öffneten und Drakon ihr bedeutete auszusteigen. Der Raum, der nur schummrig beleuchtet war und ansonsten von der Londoner Skyline vor den Fenstern erhellt wurde, wirkte sehr intim. An einem Fenster stand ein kleiner runder Tisch, der für zwei gedeckt war, mit einem Kerzenleuchter in der Mitte, dessen Kerzen jedoch noch nicht brannten.

„Was trinken Sie? Wein?“

Gemini löste ihren Blick von dem Tisch und schaute zu Drakon, der an der Bar stand. „Ich … ja, danke“, sagte sie, während sie ihre schmale Abendhandtasche auf der Armlehne eines Sessels deponierte. „Weißwein, wenn Sie haben.“

„Hatten Sie einen angenehmen Tag?“, erkundigte er sich höflich und kam dabei mit einem gefüllten Glas auf sie zu.

Überrascht von seiner Frage nahm sie das Glas entgegen. „Äh ja … ziemlich hektisch. Aber das ist normal.“ Das war hier ja fast wie bei einem Date. Was natürlich ein völlig abwegiger Gedanke war.

„Am Tag vor einer großen Hochzeit geht es bei uns meistens hoch her“, fügte sie erklärend hinzu. „Die Kirche muss geschmückt werden und der Brautstrauß gebunden, außerdem müssen viele andere organisatorische Vorbereitungen getroffen werden, und morgen früh muss der Raum für den Empfang dekoriert werden.“ Sie zuckte die Schultern. „Das bedeutet, dass ich morgen schon sehr zeitig aufstehen muss.“ Und warum genau hatte sie jetzt gemeint, diesen letzten Satz noch hinzufügen zu müssen?

Allem Anschein nach schien sich Drakon dasselbe zu fragen. „Tut mir leid, aber ich weiß gar nicht, wovon Sie reden.“

„Oh, Entschuldigung.“ Sie verzog leicht verlegen das Gesicht, bevor sie eilig einen Schluck von ihrem Weißwein trank. Der selbstredend hervorragend schmeckte. „Sehr gut, der Wein.“ Mit einem anerkennenden Nicken stellte sie ihr Glas auf einem Beistelltisch ab. Dabei ermahnte sie sich, sich mit dem Trinken zurückzuhalten, denn immerhin hatte sie den ganzen Tag über kaum etwas gegessen. Erst recht, nachdem sie sich bereits ausgemalt hatte, wie es sich wohl anfühlen mochte, von Drakon geküsst zu werden!

„Freut mich, dass er Ihnen schmeckt.“ Drakon fragte sich, warum Gemini plötzlich rot geworden war. „Sie wollten mir erklären, was es mit dieser großen Hochzeit für eine Bewandtnis hat“, erinnerte er sie.

„Ach so, ja. Nun, ich habe einen Blumenladen.“

„Tatsächlich?“, fragte er überrascht. „Das wusste ich gar nicht.“

Gemini zuckte die Schultern. „Woher auch? Außerdem wüsste ich auch nicht, warum Sie das interessieren sollte.“

Das sah er anders. Vielleicht hätte er Max ja bitten sollen, ein Profil von ihr zu erstellen? Dass eine reiche Erbin wie sie überhaupt berufstätig war, war schließlich keine Selbstverständlichkeit. Miles Bartholomew entstammte dem alten Geldadel und war so reich gewesen, dass Gemini mit Sicherheit nicht darauf angewiesen war, sich mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es sei denn …

Er presste die Kiefer aufeinander. „Aber Sie sind doch nicht gezwungen zu arbeiten, oder?“

„Nein, selbstverständlich nicht.“ Beim Lächeln blitzten ihre weißen Zähne auf. „Ich beziehe, wie bereits gesagt, monatliche Zinsen aus einem Anlagenfonds. Den Blumenladen habe ich vor fünf Jahren aufgemacht, weil … nun, ich bin einfach nicht der Typ, der die Hände in den Schoß legt und auf den Märchenprinzen wartet“, erklärte sie.

„Und Ihre Arbeit macht Ihnen Freude?“

„Ja, sehr!“ Diese meergrünen Augen leuchteten, als sie ihn wieder anlächelte.

„Und der Laden läuft gut?“

„Ja, erfreulich gut sogar, wirklich.“

„Das bezweifle ich nicht. Aber ich weiß, dass man wirtschaftlichen Erfolg nicht geschenkt bekommt, sondern hart dafür arbeiten muss.“

Sie warf ihm einen forschenden Blick zu. „Das klingt fast, als sprächen Sie aus Erfahrung.“

Er zuckte die Schultern. „Mein Vater und mein Onkel haben Lyonedes Enterprises gegründet. Markos und ich haben diesen Erfolg nur noch etwas vergrößert.“

„Etwas vergrößert“ war stark untertrieben. Gemini wusste, dass Lyonedes Enterprises inzwischen ein weltumspannendes Imperium war, und daran hatten er und sein Cousin maßgeblichen Anteil.

„Mein Vater hat das Unternehmen, das er aufgebaut und viele Jahre geführt hat, verkauft, als er mit sechzig in den Ruhestand ging“, erzählte sie.

„Hatten Sie kein Interesse, seine Nachfolge anzutreten? Oder hätte sich Ihr Vater einen männlichen Nachfolger gewünscht?“, erkundigte sich Drakon interessiert.

Ihr Lächeln verrutschte leicht. „Ich nehme an, beides.“

War das ein trauriger Unterton, der da in ihrer Stimme mitschwang, oder bildete er sich das nur ein? War sie vielleicht ein Einzelkind und hatte darunter gelitten? Drakon, der selbst keine Geschwister hatte, war seinem Schicksal immer dankbar gewesen, dass er mit seinem Cousin aufgewachsen war.

„Ich habe mich schon sehr früh für Blumen, Pflanzen und die Natur überhaupt interessiert.“ Sie lachte. „Als Kind habe ich den halben Garten umgegraben, bis meine Mutter meinen Vater überredet hat, mir ein eigenes Beet zu geben, weil sie Angst hatte, dass ich sonst womöglich irgendwann seine wertvollen Rosen ausbuddele“, fügte sie mit einem melancholischen Lächeln hinzu.

Wenn sie von ihren Eltern sprach, spürte man die Liebe, die sie für diese empfunden hatte und offenbar bis über den Tod hinaus empfand. Vielleicht hatte sie ja deshalb die zweite Ehefrau ihres Vaters, die kaum älter war als sie selbst, nicht wirklich akzeptieren können.

„Auf jeden Fall dürfte es für einen Mann nicht so einfach werden, Ihnen Blumen zu schenken, wo Sie doch selbst einen Blumenladen haben.“

„Oh, das sehe ich überhaupt nicht so“, widersprach Gemini munter. „Meine Lieblingsblumen sind gelbe Rosen, falls Sie jemals in die Verlegenheit …“ Sie schwieg plötzlich, während ihr eine leise Röte in die Wangen stieg. „Was rede ich denn da? Warum sollten ausgerechnet Sie mir Blumen schenken?“ Sie rümpfte peinlich berührt die Nase, bevor sie sich abwandte und zu einem der Fenster schlenderte, um auf die hell erleuchtete Londoner Skyline hinauszuschauen. „Was für ein herrlicher Anblick.“

Ja, das stimmte. Nur dass Drakon nicht die Londoner Skyline meinte, sondern Gemini. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau wie sie getroffen zu haben. Schön, intelligent, tüchtig, und darüber hinaus war sie ihrem Vater immer eine liebevolle und loyale Tochter gewesen, trotz des unerfreulichen Verhältnisses zu ihrer Stiefmutter. Und jetzt gab sie sich alle Mühe, das Haus zu retten, das ihrer Familie über viele Generationen hinweg ein Zuhause gewesen war.

„Spielen Sie?“

Er lächelte leicht, als er sah, dass ihr Blick auf dem Flügel ruhte.

„Manchmal.“

„Gut?“

„Ganz passabel.“ Er zuckte die Schultern.

„Schwindeln Sie nicht“, rügte sie scherzhaft. „Ich bin mir sicher, dass Sie ausgezeichnet spielen, auch wenn Sie nur selten dazu kommen.“

Drakon gesellte sich zu ihr ans Fenster. Ihr Parfüm war eine faszinierende Mischung aus Blumen und Hölzern. „Warum sagen Sie das?“, fragte er.

Sie verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. „Nun, ich kenne Sie zwar erst seit ein paar Stunden, aber ich wage trotzdem zu behaupten, dass Sie kein Mensch sind, der sich damit zufriedengibt, etwas nur ‚ganz passabel‘ zu können, sondern dass Sie stets perfekt sein wollen.“ Ihr Lächeln verblasste langsam und erstarb ganz, als ob ihr erst nach und nach bewusst wurde, was sie da eben gesagt hatte.

Drakon lachte heiser auf, wobei er beobachtete, wie ihr wieder diese kleidsame Röte in die Wangen stieg. „Wenn das ein Kompliment sein soll …“

Gemini war diese plötzliche Vertrautheit, die sich da unbemerkt zwischen ihnen breitgemacht hatte, alles andere als geheuer. Eine seltsame Nähe, der unter anderem ihre distanzlose Bemerkung von eben entsprungen war. Lag das daran, dass es ihr nicht vollständig gelungen war, die Bilder von einem nackt unter der Dusche stehenden Drakon Lyonedes aus ihrem Kopf zu vertreiben? Gut möglich. So wie es überhaupt recht schwierig war, klar zu denken, solange er so dicht neben ihr stand. Derart dunkel und gefährlich …

Sie leckte sich über die Lippen. „Vielleicht sollten wir die Privatgeschichten außen vor lassen und uns jetzt lieber auf das Geschäftliche konzentrieren.“

Diese dunklen Augen wurden schmal, der Mund war plötzlich wieder ein kompromissloser Strich. „In diesem Fall müssen wir als Erstes mit der Fehlinformation aufräumen, ich hätte eine intime Beziehung mit Ihrer Stiefmutter.“

Gemini machte große Augen. „Fehlinformation? Wieso?“

„Wieso, weiß ich nicht.“ Drakon runzelte die Stirn. „Soweit es mich betrifft, kann ich Ihnen nur sagen, dass es einer meiner obersten Grundsätze ist, Arbeit und Privatleben zu trennen.“

„Aber …“ Sie schüttelte irritiert den Kopf. „Ich verstehe nicht.“

„Ist doch ganz einfach. Ich weiß zwar nicht, aus welcher Quelle Ihre Informationen stammen, aber ich kann Ihnen reinen Gewissens versichern, dass meine Verbindungen zu Ihrer Stiefmutter rein geschäftlicher Natur sind. Es geht allein um den Kauf von Bartholomew House, um sonst gar nichts“, bekräftigte er noch einmal, um auch ja kein Missverständnis aufkommen zu lassen.

Gemini versuchte in seinem Gesicht zu lesen. Er wirkte aufrichtig und offensichtlich wenig erfreut über das, was er als Fehlinformation bezeichnete. Aber Angela hatte doch behauptet … hatte sie gelogen? Doch was für einen Grund sollte sie haben, so ein Märchen in die Welt zu setzen?

Die Antwort auf diese Frage lag auf der Hand. Nachdem Geminis Vater angekündigt hatte, Angela heiraten zu wollen, hatte sich Gemini alle Mühe gegeben, die Frau zu mögen. Trotz des gewaltigen Altersunterschieds zwischen Angela und ihrem Vater. Und obwohl Gemini der Meinung gewesen war, dass ihr Vater sich überstürzt in eine zweite Ehe flüchtete. Und trotz der Tatsache, dass Gemini befürchtete, Angela könnte sich mehr für das Geld ihres Vaters als für den Mann selbst interessieren. Aber ihrem Vater zuliebe hatte Gemini alle Bedenken beiseitegeschoben und sich bemüht, mit der anderen Frau auszukommen.

Allerdings mit wenig Erfolg, wie sie zugeben musste. Warum das so war, wusste sie nicht – irgendwie hatte die Chemie zwischen ihnen nie gestimmt. Angela und Gemini waren immer Konkurrentinnen geblieben. Deshalb brauchte Gemini auch nicht allzu viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, dass ihre Stiefmutter sich irgendwelche Geschichten aus den Fingern saugte, um Gemini unter die Nase zu reiben, wie begehrt sie, Angela, immer noch war. Und wahrscheinlich hoffte sie, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis aus der erfundenen Affäre eine reale wurde.

„Ich nehme doch sehr an, dass diese Information von Ihrer Stiefmutter stammt?“, fragte er schroff.

Der Widerwille, der in seinem Tonfall mitschwang, war so stark, dass Gemini sich innerlich wand. „Vielleicht war es ja ein Missverständnis“, versuchte sie trotz allem, Angela in Schutz zu nehmen. „Ich … Angela erwähnte, wie … nett Sie sind und so …“ Atemberaubend sexy, waren Angelas exakte Worte gewesen, aber das behielt Gemini lieber für sich. „Vielleicht habe ich ja etwas falsch verstanden …“

„Ich dachte, Sie sagen stets nur die Wahrheit“, erwiderte Drakon.

Sie zuckte zusammen. „Na ja … ich versuche es zumindest.“

„Dann versuchen Sie es weiter“, riet er ihr kühl.

„Ich habe von einem möglichen Missverständnis gesprochen“, entgegnete sie. „Und wenn Sie mir versichern, dass das nicht stimmt …“

Er schnaubte verächtlich. „Das tue ich hiermit.“

„Gut, dann muss ich mich vielmals entschuldigen. Ich gehöre normalerweise nicht zu den Menschen, die irgendwelche Geschichten erfinden, das müssen Sie mir glauben.“

„Jetzt regen Sie sich nicht auf, trinken Sie lieber noch einen Schluck“, sagte er, inzwischen schon versöhnlicher, obwohl er immer noch wütend war, und reichte Gemini ihr Glas. Diese Angela Bartholomew! Wer war sie eigentlich, dass sie es sich erlaubte, solche Märchen in die Welt zu setzen?

„Obwohl natürlich nicht alles frei erfunden war, was Ihre Stiefmutter Ihnen erzählt hat, die Sache mit dem Kauf von Bartholomew House stimmt“, schränkte er ein.

Gemini verzog schmerzlich berührt das Gesicht. „Das ist mir klar.“ Sie schluckte schwer, bevor sie stockend fortfuhr: „Und … und können Sie mir schon sagen, was Sie … was Sie mit dem Anwesen vorhaben?“

„Vielleicht sollten wir erst mal essen.“

„Sagen Sie das jetzt, weil Sie hungrig sind? Oder weil Sie befürchten, dass mir der Appetit vergehen könnte, wenn Sie mir auf meine Frage eine ehrliche Antwort geben?“, konterte Gemini.

„Eher Letzteres“, erwiderte er mit finsterem Gesicht.

Jetzt reckte sie entschlossen das Kinn. „Dann will ich es lieber gleich wissen. Bitte sagen Sie mir, welche Pläne Sie für Bartholomew House haben, Drakon.“

Er holte tief Luft. „Für das Haus eigentlich gar keine.“ Wieder zuckte er diese breiten Schultern. „Aber für den Grund und Boden, auf dem es steht, eine ganze Menge.“

Gemini starrte ihn immer noch an, ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Bartholomew House war eine wunderschöne dreihundert Jahre alte Villa, die auf einem riesigen Grundstück in bester Innenstadtlage von London stand. Dann war es offenbar das wertvolle Bauland, auf das es Drakon Lyonedes in erster Linie abgesehen hatte. Und was bedeutete das für das Haus?

Sie spürte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. „Oh mein Gott!“, keuchte sie. „Sie wollen das Haus doch nicht etwa abreißen?“

Drakons Gesicht verdüsterte sich, als er das Entsetzen in ihrer Stimme hörte. Entsetzen über eine Vermutung, die natürlich nicht aus der Luft gegriffen war …

4. KAPITEL

„Setzen Sie sich lieber, sonst klappen Sie mir noch zusammen“, riet Drakon schroff, während er Gemini behutsam am Arm nahm und zu einem Sessel führte. Nachdem sie sich gesetzt hatte, drückte er ihr eine Hand in den Nacken und veranlasste sie, sich vorzubeugen und den Kopf zwischen ihre Knie zu legen, um zu verhindern, dass sie ohnmächtig wurde. Das hätte ihm gerade noch gefehlt.

„Tief durchatmen“, befahl er und spürte, wie sie unter seiner Hand zitterte.

Tief durchatmen? Gemini wusste ja nicht einmal, wie sie überhaupt atmen sollte, nachdem er ihr soeben praktisch bestätigt hatte, dass er plante, das Haus plattzumachen, in dem ihre Familie über drei Jahrhunderte gelebt hatte. Das Haus, in dem sie geboren und aufgewachsen und glücklich gewesen war.

„Trinken Sie das!“

Als Gemini leicht den Kopf hob, sah sie durch den Vorhang ihrer Haare, dass Drakon ihr ein volles Glas Weißwein hinhielt. Sie griff danach und trank das Glas in einem Zug aus. „Könnte ich bitte noch etwas bekommen?“, fragte sie, immer noch zitternd.

„Ich glaube nicht …“

„Drakon, bitte!“

Er gehorchte mit einem Schulterzucken und ging wieder an die Bar, um ihr nachzuschenken. „Ich möchte nur darauf hinweisen, dass sich dadurch, dass Sie zu viel trinken, auch nichts ändert.“

Gemini schüttelte sich das Haar zurück, bevor sie die Hand nach dem Glas ausstreckte, das er ihr hinhielt. „Das ist mir im Moment ehrlich gesagt völlig egal.“

Er zog seine dunklen Brauen hoch. „Auch das wird nicht verhindern, dass Sie morgen früh mit einem Kater aufwachen.“

Sie ließ den Kopf gegen das Lederpolster sinken und atmete tief durch. „Was morgen ist, ist mir egal. Im Moment jedenfalls.“ Plötzlich runzelte sie die Stirn. „Dürfen Sie das überhaupt? Ich meine rein rechtlich? Ich könnte mir vorstellen, dass es aus Denkmalschutzgründen gar nicht erlaubt ist, so ein altes Haus wie Bartholomew House einfach abzureißen.“

Er biss die Zähne zusammen. „Nicht vollständig, nein.“

„Soll heißen?“

Er schien seine Worte sorgfältig zu wählen. „Es heißt, dass wir das Originalhaus irgendwie in unsere Baupläne miteinbeziehen müssen.“

Gemini wurde das Herz wieder schwer. „Und was genau meinen Sie mit ‚miteinbeziehen‘?“

Er zuckte die Schultern. „Die Pläne für eine Hotelanlage und ein Kongresszentrum sind bereits genehmigt.“

Gemini legte ihre Hand fester um ihr Weinglas, als sie von einem plötzlichen Schwindel erfasst wurde. „Und Angela wusste von Anfang an Bescheid über das, was Sie da planen?“

Drakon holte tief Luft, bevor er sich von ihr ab- und wieder dem Fenster zuwandte. „Ich denke schon.“

„Wenn ich von diesen Plänen gewusst hätte, hätte ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie zu torpedieren!“, rief sie aus.

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, erwiderte er trocken.

„Das ist jetzt meine letzte Chance, Sie zu veranlassen, Ihre Meinung vielleicht doch noch zu ändern. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass Sie mir die Gelegenheit geben, Ihnen mein Angebot zu unterbreiten.“

Drakon drehte sich langsam um. Als er sah, wie blass und fassungslos Gemini war, bekam er ein ziemlich mulmiges Gefühl, aber er ließ sich nichts anmerken und setzte ein undurchdringliches Gesicht auf. Auch wenn er Angela Bartholomew am liebsten erwürgt hätte, weil sie ihm das alles eingebrockt hatte! Woher hätte er denn ahnen sollen, was da in dieser Familie offenbar schon seit Jahren gärte?

„Um was für ein Angebot handelt es sich?“, fragte er schließlich.

Als sie aufstand, fühlte sie sich leicht unsicher auf den Beinen, was vielleicht auch dem Alkohol geschuldet war. „Haben Sie vielleicht einen Happen zu essen für mich?“, bat sie verlegen.

Drakon seufzte ungeduldig. „Wir wollten ja sowieso erst einmal in aller Ruhe zu Abend essen. Und später erzählen Sie mir dann von Ihrem Angebot.“

„Ich fürchte, von Ruhe kann nicht mehr die Rede sein“, erklärte sie dumpf.

„Dann essen wir eben nicht in Ruhe, aber wir brauchen beide etwas im Magen.“ Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und schaute sie auffordernd an.

Sie lächelte matt, während sie langsam den Raum durchquerte und sich abrupt auf den angebotenen Stuhl fallen ließ. „Aber um Himmels willen keine Kerzen“, murmelte sie.

Er nickte und ging um den Tisch herum zu dem Servierwagen, wo er nach einem gefüllten Teller griff, den er vor sie hinstellte. „Erst wird gegessen, dann reden wir“, befand er schroff, während er sich ihr gegenübersetzte.

Doch Gemini rührte von den gereichten Speisen – Räucherlachs, Beef Wellington mit Röstkartoffeln und zum Abschluss ein raffiniertes Schokoladendessert – nichts an, sondern kaute nur lustlos auf einem Brötchen herum. Dabei hatte sie regelrechte Zwangsvorstellungen davon, wie die Schönheit von Bartholomew House durch einen modernen Hotelkomplex verschandelt wurde. So weit durfte sie es unter keinen Umständen kommen lassen!

Drakon hielt sich an sein Versprechen und ergriff erst wieder das Wort, als er nach dem Essen eine Tasse Kaffee vor sie hinstellte.

„Koffeinfrei“, versicherte er ihr.

Unter anderen Umständen hätte Gemini sich fast ein wenig geschmeichelt gefühlt, dass sich so ein einflussreicher Mann wie Drakon Lyonedes gemerkt hatte, was für eine Art Kaffee sie trank. Unter sehr anderen Umständen! „Danke“, sagte sie steif, bevor sie einen Schluck nahm.

„Bitte“, brummte er, während er auf seinen Platz zurückkehrte. „Zum Glück kann uns der Küchenchef meines Londoner Lieblingsrestaurants nicht sehen, sonst wäre er wahrscheinlich tödlich beleidigt, weil Sie nichts gegessen haben.“

„Ja, tut mir leid.“ Gemini überlegte einen Moment und fuhr dann fort: „Ich hätte mir natürlich gleich denken können, dass Angela irgendetwas plant, nachdem sie mein Angebot abgelehnt hat.“

„Sie haben angeboten, ihr das Haus abzukaufen?“, fragte Drakon überrascht.

„Ja“, antwortete sie. „Aber sie hat mich ausgelacht.“

Je mehr Drakon über Angela Bartholomew erfuhr, desto unangenehmer fand er die Frau, allerdings hinderte ihn das jetzt nicht daran zu sagen: „Ihr Engagement in allen Ehren, aber ich möchte doch stark bezweifeln, dass Sie Ihrer Stiefmutter so ein attraktives Angebot machen konnten wie Lyonedes Enterprises.“

„Da irren Sie sich. Ich habe sogar großen Wert darauf gelegt, Lyonedes Enterprises geringfügig zu überbieten“, versicherte Gemini entschieden.

Drakon stutzte. „Das ist aber eine Menge Geld für eine Privatperson.“

„Ja, schon.“

„Und wo ist der Haken?“

Gemini erhob sich nervös. „Es gibt keinen Haken. Ich habe das Geld“, beteuerte sie.

Drakon versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, wobei er das Glitzern in diesen meergrünen Augen ebenso registrierte wie die geröteten Wangen. Und diesen störrisch zusammengepressten sinnlichen Mund. Plötzlich stellte er sich vor, wie es wäre, mit ihr zu schlafen, wie es sich anfühlen mochte, sie zu erregen, bis sich diese meergrünen Augen verschleierten vor Verlangen, bis sich ihre Wangen vor Lust röteten und dieser aufreizende Schmollmund geschwollen war von seinen Küssen. Aber die Umstände waren nicht so.

Drakon konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal – falls überhaupt – so spontan und total von einer Frau fasziniert gewesen war wie jetzt von Gemini. Und zwar von der ersten Sekunde an. Bereits heute Morgen hatte ihn ihr Anblick auf diesem Überwachungsmonitor elektrisiert. Und was sollte er mit dieser Erkenntnis jetzt anfangen? Gar nichts natürlich. Er war schließlich ein zivilisierter Mensch, und was sie von ihm wollte, war bestimmt kein Sex, so viel stand fest.

„Sie haben das Geld, aber …?“, hakte er nach.

Gemini warf ihm einen finsteren Blick zu. „Wie kommen Sie darauf, dass es ein Aber gibt?“

„Irre ich?“

Nein, er irrte nicht. Und es war ein großes Aber. Ein Aber, das aus dem Weg zu räumen Gemini letzten Monat verzweifelt versucht hatte, doch ohne Erfolg. Sie seufzte. „Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich seit Jahren Geld aus einem Aktienfonds beziehe, den meine Eltern für mich eingerichtet haben. Das heißt, ich erhalte seit meinem achtzehnten Lebensjahr die monatlich anfallenden Zinsen, doch über den Fonds an sich kann ich erst an meinem dreißigsten Geburtstag verfügen.“ Sie verzog das Gesicht. „Ich suche nun schon seit Wochen nach einem gangbaren Weg, bereits jetzt an das Geld heranzukommen, damit ich Bartholomew House kaufen kann.“

„Und?“

Sie runzelte genervt die Stirn. „Den Anwälten meines Vaters sind die Hände gebunden. Der Fonds darf bis zu meinem dreißigsten Geburtstag nicht angetastet werden. Obwohl, wenn Daddy wie versprochen sein Testament geändert hätte, wäre natürlich …“ Sie unterbrach sich und schüttelte frustriert den Kopf. „Aber das hat er offensichtlich nicht, und deshalb ist die Lage so, wie sie ist.“

„Und wann genau können Sie über den Fonds verfügen … ich meine, wann werden Sie dreißig?“, fragte er.

„In zwei Jahren … und vier Monaten, um ganz genau zu sein“, präzisierte sie widerwillig.

Drakon lächelte matt. „Genauigkeit ist …“ Er unterbrach sich und schaute sie an, während sich zwischen seinen Augen eine steile Falte bildete. „Heißt das, Sie sind im Oktober geboren?“

Sie nickte, sofort wachsam geworden. „Ja, am zweiundzwanzigsten.“

„Aber dann sind Sie ja gar kein Zwilling, wie Ihr Name vermuten lässt.“

Ihre Vorsicht erwies sich als berechtigt. Sie schwieg.

„Ich dachte, Ihr ungewöhnlicher Name erklärt sich aus Ihrem Sternzeichen“, fuhr er fort.

Gemini flüchtete sich in ein aufgesetztes, durch und durch unaufrichtiges Lächeln. „Da haben Sie falsch gedacht.“

Als Drakon sie anschaute, registrierte er dieses angestrengte Lächeln und den leeren Blick. „Gemini, Sie kneifen!“

„Wirklich? Wieso?“

„Sie wissen, dass es so ist.“

Jetzt verblasste ihr Lächeln, über ihr Gesicht huschte ein schmerzlicher Ausdruck. Nervös begann sie auf und ab zu laufen, schlank und langbeinig und atemberaubend anmutig, ihr Haar, das sich in der Fensterscheibe hinter ihr spiegelte, umwehte ihre Schultern wie ein goldener Vorhang.

„Ich weiß nicht, was mein Geburtstag mit meinem Angebot zu tun haben …“

„Sie haben mir noch gar kein Angebot gemacht, und ich will es auch erst wissen, wenn Sie mir auf meine Frage geantwortet haben“, fiel Drakon ihr entschieden ins Wort. „Ich dachte, Gemini steht für das Sternzeichen Zwilling“, wiederholte er.

Die Furche zwischen diesen meergrünen Augen vertiefte sich. „Die meisten Menschen hätten inzwischen verstanden – und akzeptiert –, dass ich über dieses Thema nicht reden möchte“, sagte sie pikiert.

Er nickte. „Ich habe es auch verstanden.“

„Aber Sie fragen trotzdem weiter?“

„Ja.“

„Warum?“

Weil Drakon es wissen wollte – er musste es einfach wissen –, egal wie schmerzlich es für sie auch sein mochte. Sie hatte ihm bereits einiges von sich erzählt und doch längst nicht genug. Drakon ertappte sich dabei, dass er sich wünschte, alles über Gemini Bartholomew in Erfahrung zu bringen, was es in Erfahrung zu bringen gab. Das wünschte er sich fast so sehr, wie er sich wünschte, mit ihr zu schlafen …

„Also gut, wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ich bin ein Zwilling“, erklärte sie schroff, und er sah erschrocken, dass in ihren Augen Tränen glitzerten. „Ich hatte einen Bruder, der nur drei Stunden alt wurde“, fuhr sie mit leiser Stimme fort. „Darum hat mich meine Mutter Gemini genannt, aber nicht aus Trauer über den Verlust ihres Sohnes, sondern weil sie dankbar war, dass sie ihn überhaupt kennenlernen durfte. Und damit wir ihn nie vergessen …“ Gemini schwieg, so aufgewühlt war sie plötzlich. Sie hatte sich abgewandt, ihre Stimme klang belegt.

Drakon schnaubte, angewidert davon, dass es ihm so an Fingerspitzengefühl mangelte, und ging rasch auf sie zu. Er zog Gemini an sich, drückte ihren Kopf behutsam an seine Schulter und legte seine Arme fest um ihre schlanke Taille. Die körperliche Nähe erlaubte es ihm, den zarten Duft ihres Haars in sich aufzunehmen. „Es tut mir so leid, Gemini“, murmelte er. „Bitte verzeihen Sie, das war sehr unsensibel von mir.“

„Ist schon okay.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich … es ist einfach nur so, dass zusammen mit Dad auch die Erinnerung an Gabriel wieder ein bisschen mehr gestorben ist. Gabriel war der Name meines Bruders.“ Sie holte zitternd Atem. „Obwohl ich ihn nicht kannte, habe ich mich seltsamerweise mein ganzes Leben irgendwie … unvollständig gefühlt. Als würde ein Teil von mir fehlen.“ Sie hob den Kopf und lächelte mit Tränen in den Augen. „Klingt ziemlich verrückt, hm?“

Eigentlich gar nicht, wenn man bedachte, dass Gemini mit ihrem Zwillingsbruder ganz am Anfang ihres Lebens neun Monate im Bauch ihrer Mutter verbracht hatte. Und nachdem ihre Eltern jetzt beide tot waren, hatte Gemini überhaupt keine Familie mehr. Sie war ganz allein auf der Welt … Ohne dass ihm wirklich bewusst geworden wäre, was er tat, streckte er die Hand aus und berührte sehr sacht ihr Haar. „Wahrscheinlich ist das unter diesen Umständen ganz normal.“

„Finden Sie?“, fragte sie leise.

„Ich denke schon“, erwiderte Drakon, während er mit den Fingern einige seidenweiche Strähnen entwirrte.

Gemini fragte sich, warum sie ausgerechnet Drakon Lyonedes derart private Dinge anvertraute. Wo sie ihn doch erst seit heute Morgen kannte und er ihr – zumindest am Anfang – einigermaßen suspekt erschienen war. Noch alarmierender jedoch erschien es ihr, wie bewusst sie sich im Moment seiner körperlichen Nähe war. Nicht dass sie ihn vorher übersehen hätte. Welche Frau könnte einen Mann wie ihn schon übersehen? Aber jetzt, wo er ihr so nah war, befanden sich alle ihre Sinne in Aufruhr. Er roch so gut, würzig frisch und atemberaubend männlich und beunruhigend betörend. Sein Körper an ihrem war herrlich warm, Schultern und Brustkorb erschienen stark und solide, hart und durchtrainiert der Bauch, die langen schlanken Beine waren wie fest im Boden verankerte Säulen, mit muskulösen Oberschenkeln …

Und jetzt … oh Himmel …!

Gemini, die Drakon aus halb geschlossenen Augen beobachtete, stockte der Atem, als sie den untrüglichen Beweis seines Verlangens an ihrem Bauch spürte. Mit ihren hohen Absätzen war sie nur wenige Zentimeter kleiner als er, und ihre Gesichter waren sich so nah, dass sein warmer Atem ihre Wange streifte. Knisternde Spannung lag in der Luft. Er presste die Kiefer fest aufeinander, wobei sein Mund schmal wurde wie ein Strich und sich die Haut über den hohen Wangenknochen spannte. Und diese dunklen Augen …

In diesen dunklen Augen loderte dasselbe Verlangen, das sie an ihrem Bauch spürte! Was nun? Sollte sie ihrem eigenen Verlangen nachgeben, diesem verzehrenden Wunsch, ihre Lippen auf seine zu pressen? Aber das würde nur zu Problemen führen. Sich losreißen und weglaufen war ebenfalls keine Option, weil sie mit ihrem Anliegen noch keinen Schritt weitergekommen war.

Glücklicherweise erlöste Drakon sie gleich darauf aus ihrem Dilemma, indem er sie entschlossen von sich wegschob und einen Schritt zurücktrat.

„Geht’s wieder?“, fragte er so unbewegt, als ob nichts gewesen wäre. Und als er nach seinem Glas griff, um von seinem Wein zu trinken, war die Glut in seinen Augen erloschen.

Gut, wenigstens konnte Gemini jetzt wieder atmen, doch ob es ihr gelingen würde, den Schalter ebenso problemlos umzulegen wie er, blieb abzuwarten. „Ja“, erwiderte sie heiser. „Danke.“

Drakon war nicht klar, wofür Gemini sich bedankte. Dafür, dass er sich ihre familiären Probleme anhörte, vielleicht? Oder weil er darauf verzichtet hatte, die unerträgliche sexuelle Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, zu seinem Vorteil auszunutzen? Ausgerechnet er, der so gar nicht zur Selbstverleugnung taugte und der vertanen Chance wahrscheinlich sein ganzes Leben lang nachtrauern würde?

Er drehte sich langsam zu ihr um und fragte mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen: „Danke wofür?“

Gemini zuckte die Achseln. „Dafür, dass Sie mir für einen Moment Ihre Schulter geliehen haben.“

„Keine Ursache“, sagte er schroff und trat an den Tisch, um sein leeres Weinglas abzustellen. „Aber jetzt will ich endlich Ihr Angebot hören. Ist es dasselbe, das Sie Ihrer Stiefmutter gemacht haben?

„Ja, ich möchte Bartholomew House von Ihnen zurückkaufen.“ Sie holte tief Atem. „Da ich jedoch erst an meinem dreißigsten Geburtstag über mein gesamtes Vermögen verfügen kann, wollte ich Ihnen anbieten, in den nächsten zwei Jahren die monatlichen Zinsausschüttungen an Sie weiterzugeben, und den Rest der Kaufsumme erhalten Sie dann an meinem dreißigsten Geburtstag. Gut verzinst selbstverständlich. Dasselbe Angebot habe ich Angela gemacht, aber sie wollte nicht.“

Drakon war nicht überrascht. Mit etwas Ähnlichem hatte er schon gerechnet. Es war ein Angebot, das er im Interesse von Lyonedes Enterprises allerdings ablehnen musste.

5. KAPITEL

Drakon brauchte nichts zu sagen, Gemini konnte die Antwort in seinen Augen lesen. „Tja … nun … offenbar nicht.“ Nach diesen Worten ging sie zu dem Sessel, auf dessen Armlehne sie ihre Handtasche deponiert hatte. „Dann gehe ich jetzt. Tut mir leid, dass ich Ihre wertvolle Zeit in Anspruch genommen habe, aber trotzdem danke, dass Sie mich wenigstens angehört haben.“ Nach diesen Worten ging sie in Richtung Tür.

„Gemini!“

Sie blieb stehen und drehte sich langsam um. „Ja?“

Drakons Gesicht verfinsterte sich, als er den Hoffnungsschimmer in ihren Augen sah. „So kann ich Sie unmöglich gehen lassen.“

„Ich wüsste nicht, wie Sie mich aufhalten sollten. Hören Sie, Drakon.“ Sie seufzte müde, während er sie noch immer unbehaglich musterte. „Es ist offensichtlich, dass Sie an meinem Angebot genauso wenig interessiert sind wie Angela, deshalb sollten wir es jetzt einfach dabei belassen. Vielleicht sind Ihnen ja die Hände gebunden.“

Genauso war es. Drakon war für das Wohlergehen seines Unternehmens verantwortlich und hatte kein Recht, sich ein so gutes Geschäft entgehen zu lassen. Erstklassiges Bauland in bester Innenstadtlage! Wirtschaftlich gesehen wäre ein Verzicht nicht bloß sentimental und lächerlich, sondern purer Wahnsinn.

Und persönlich?

Drakon zog die Augenbrauen zusammen, als er sah, dass Gemini kapituliert hatte. In ihren Augen stand blanke Verzweiflung. Weil jetzt kein Zweifel mehr möglich war, dass sie das Haus ihrer Kindheit, den Sitz ihrer Familie über drei Jahrhunderte hinweg, verloren geben musste. Das letzte Bindeglied zwischen ihr und den verstorbenen Eltern.

Er schüttelte ungeduldig den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Sinne Ihres Vaters wäre, wenn Sie den Vermögensfonds für den Rückkauf des Hauses verwenden.“

Sie lächelte bitter. „Da mein Vater tot ist, werden wir es nie erfahren. Aber Sie können wahrscheinlich am wenigsten beurteilen, was er wollte und was nicht. Sie kannten ihn ja nicht einmal.“

Drakon, der sah, wie aufgewühlt sie war, fühlte sich furchtbar. „Das stimmt nicht ganz. Ich bin ihm mehrmals bei Wohltätigkeitsveranstaltungen begegnet.“

„Aha. Und?“

Er zuckte die Schultern. „Und er machte auf mich immer den Eindruck eines durch und durch vernünftigen Menschen.“

Gemini lächelte traurig. „Das muss noch vor Angela gewesen sein.“

„Kann sein“, räumte Drakon ein. „Aber was hätten Sie denn mit so einem riesigen Haus überhaupt vorgehabt? Sie wollten doch wohl kaum allein dort wohnen, oder?“

Sie reckte trotzig das Kinn. „Allein ganz bestimmt nicht!“

„Ah ja … dann … dann sind Sie also verlobt. Haben Sie vor, bald zu heiraten?“

„Nicht dass ich wüsste.“ Sie schaute betont auf ihre unberingte linke Hand, bevor sie fortfuhr: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jetzt allein hier wäre, wenn ich verlobt wäre.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber natürlich werde ich irgendwann heiraten, und bis vor Kurzem bin ich selbstverständlich davon ausgegangen, dass meine Kinder in Bartholomew House aufwachsen. Doch damit ist es jetzt leider vorbei“, fügte sie, leicht heiser, hinzu.

Schuldgefühle hatten in Drakons Leben bisher kaum einen Platz gehabt, aber jetzt lasteten sie schwer auf ihm. Und das in Verbindung mit einer jungen Frau, die er weit anziehender fand, als gut für ihn war. Nicht weniger alarmierend war die Tatsache, dass er einen unübersehbaren Anflug von Genugtuung verspürte, weil es zumindest aktuell keinen Mann in Geminis Leben gab. Obwohl es wenig wahrscheinlich war, dass sie sich ausgerechnet mit ihm auf ein Abenteuer einlassen könnte, nachdem er ihren Vorschlag abgelehnt hatte.

Er warf ihr einen Blick zu. „Ich kann nicht erkennen, warum Sie nicht allein hier sein sollten, wo wir doch nur über geschäftliche Angelegenheiten reden.“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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