Julia Best of Band 206

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EINE MILLION FÜR DIE LIEBE
Der griechische Tycoon Loukas gibt Schönheitschirurgin Jade die Schuld am Tod seiner Verlobten. Um Rache zu üben, verspricht er Jade eine Millionenspende für ihre Stiftung - wenn sie seine Einladung zum Dinner annimmt. Doch der Abend verläuft anders als geplant, und Loukas steht bald vor der schwersten Entscheidung seines Lebens: Rache oder Liebe?

VON LIEBE STEHT NICHTS IM VERTRAG
"Sie kennen mich nicht, aber ich bekomme ein Baby von Ihnen." Der verwitwete Geschäftsmann Dominic ist schockiert, als Angelina ihm von der Verwechslung in der Kinderwunschklinik erzählt. Auch wenn er Angelina misstraut, schließt er einen Vertrag mit ihr: Sie soll bis zur Geburt in seine Luxusvilla einziehen. Doch ständig in Angelinas Nähe, erwachen in Dominic bald ungeahnt zärtliche Gefühle …

NUR DEIN HERZ KENNT DIE ANTWORT
Der Unternehmer James Maverick versteht es einfach nicht: Bis jetzt war Morgan Fielding für ihn nur seine Sekretärin. Aber plötzlich findet er sie einfach umwerfend! Er ahnt nicht, dass Morgan und ihre Zwillingsschwester Tessa ein doppeltes Spiel mit ihm treiben …


  • Erscheinungstag 26.10.2018
  • Bandnummer 0206
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710736
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trish Morey

JULIA BEST OF BAND 206

1. KAPITEL

Das waren die oberen Zehntausend? Loukas Demakis hatte sich auf das Mezzanin begeben, um dem größten Getümmel zu entgehen, und ließ den Blick über die Stars und Sternchen im Ballsaal unter ihm gleiten. Wer sich alles in dieser Prachtvilla in Beverly Hills eingefunden hatte! Er unterdrückte ein abfälliges Lächeln, als er die Megastars, die Möchtegernberühmtheiten und die Reichen und Schönen betrachtete, die sich gegenseitig die Show zu stehlen versuchten mit ihren Designerroben, Designerkörpern und Juwelen, die um die Wette funkelten.

Und nichts davon war echt!

Gelangweilt wandte er sich ab. Das hier war nicht seine Welt. Je eher er gehen konnte, desto besser.

Doch zuerst musste er etwas erledigen. Die Worte seines Vaters hallten in seinem Kopf wider: „Hol sie da raus! Es ist mir egal, wie du es anstellst, aber sie muss da raus!“

Er musste nur daran denken, was mit Zoë passiert war, um aktiv zu werden. Auf gar keinen Fall würde er zulassen, dass einer von diesen Leuten seine Schwester in die Finger bekäme! Das musste unbedingt verhindert werden! Koste es, was es wolle, er würde alles für ihre Sicherheit tun.

Die Menschenmenge teilte sich, um eine Gasse für eine Frau zu bilden, die jetzt zum Podium schritt. Es waren sogar zwei Frauen. Loukas drängte sich an die Balustrade und umfasste angespannt das Geländer.

Das mussten sie sein! Die Zauberin und ihr Lehrmädchen.

Stürmischer Applaus brandete auf, als Dr. Grace Della-Bosca vorgestellt wurde. Eine Frau in goldfarbener Robe ging zum Mikrofon. Er musterte sie. Für jemanden jenseits der fünfzig hatte Tutenchamuns Braut im Designerkleid sich bemerkenswert gut gehalten. Aber die ewige Jugend war ja auch ihr Geschäft.

Er hörte zu, was sie zu sagen hatte, bis die andere Frau sich lächelnd dem Publikum zuwandte. Loukas stockte der Atem.

Jade Ferraro.

Ihretwegen war er hier. Er hatte einige Fragen an sie. Dort unten stand sie also in natura. Und die Natur hatte es wirklich sehr gut mit ihr gemeint.

Della-Boscas Haut war straff, als hätte sie sich liften lassen, wohingegen das Gesicht der jüngeren Frau eben und makellos und von klassischer Schönheit war. Klare blaue mandelförmige Augen, die strahlten, und ein großer, sinnlicher Mund. Honigfarbenes Haar, das sie mit elegantem Schwung hochgesteckt hatte. Die Frisur betonte ihren schlanken Hals.

Und das Kleid! Offensichtlich hatte man sie in den schimmernden wasserblauen Stoff eingenäht, denn das Kleid saß hauteng und schmiegte sich um ihre Brüste, die schmale Taille und den flachen Bauch.

Bei diesem Anblick juckte es Loukas in den Fingern, die Frau aus ihrem Kleid zu schälen. Die Reaktion seines Körpers ärgerte ihn.

Natürlich war die Frau so attraktiv. Zweifellos hatte Dr. Grace Della-Bosca, die Hohepriesterin der Schönheitschirurgie, sie unter dem Messer gehabt und verkörperte die Talente der Hexe mit den magischen Händen.

Das Ende der Rede wurde mit Beifall begrüßt. Die jüngere Frau wandte sich kurz dem Podium zu, zögerte, die Hände zum Klatschen zusammengeführt, dann wandte sie sich um, ließ den Blick über die Menge gleiten und sah direkt in Loukas Augen.

Er bemerkte ihre Überraschung. Offensichtlich versuchte sie, ihn irgendwo unterzubringen. Er bildete sich sogar ein, die Aufregung zu spüren, die sie gerade verspürte. In diesem Moment entschied er sich für eine andere – sehr viel befriedigendere – Taktik. Lächelnd nahm er zur Kenntnis, dass sein Körper von diesem Plan begeistert war.

Zwar hatte er es sich nicht ausgesucht, den Abend unter Leuten zu verbringen, die er verachtete, aber da er nun schon mal hier war, wollte er das Beste draus machen. Warum sollte er sich darauf beschränken, Fragen zu stellen, wenn er viel mehr Spaß haben konnte? Was hielt ihn davon ab herauszufinden, aus welchem Holz Jade Ferraro geschnitzt war?

„Du entkommst mir nicht, Jade Ferraro“, sagte er leise vor sich hin, als sie sich abwandte und hinter den vielen Fans verschwand, von denen die berühmte Schönheitschirurgin umringt wurde.

Als jemand ihr ein Glas Champagner in die Hand drückte, war Jades erster Impuls, sich das Glas kühlend an die erhitzten Wangen zu halten. Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war, doch der intensive dunkle Blick dieses Mannes hatte sie aus der Fassung gebracht.

Kurz darauf begann das Orchester zu spielen, und Paare strömten aufs Parkett, um zu tanzen. Jade wurde es plötzlich zu heiß, zu laut und viel zu eng im Ballsaal.

Sie sah auf, als ihr Name gerufen wurde. „Wie fandest du meine Ansprache?“, fragte Grace ungeduldig, als würde sie die Frage nicht zum ersten Mal stellen.

„Ganz wunderbar“, versicherte Jade ihr und küsste ihre Lehrmeisterin auf beide Wangen. Die Rede der Frau, die sie mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt bewunderte, musste einfach wunderbar gewesen sein, auch wenn Jade sich nur an den Teil erinnerte, in dem Grace sich bei allen für die Teilnahme am Wohltätigkeitsball bedankt hatte. Jade hatte alles um sich her vergessen, als sie plötzlich das Gefühl gehabt hatte, beobachtet zu werden, und dann in die Augen des Mannes gesehen hatte, bei dessen Blick ihr ganz heiß geworden war.

Jetzt atmete sie tief durch, versuchte, sich zusammenzureißen und die Fragen zu ignorieren, die sich ihr stellten: Wer war der Mann? Warum hatte er sie beobachtet?

Vielleicht würde sie später eine Antwort erhalten. Zunächst musste sie sich auf die weltberühmte Dr. Della-Bosca und die neu gegründete Stiftung konzentrieren, die ihren Namen trug.

Jade lächelte herzlich. „Der Abend ist ein überwältigender Erfolg, und du bist der Star. Das Geld, das heute Abend gespendet wird, bildet eine gute Grundlage für die Stiftung.“

„Ja.“ Lächelnd bedankte Grace sich für das Kompliment, zog eine perfekt modellierte Augenbraue hoch und ließ den Blick über den von so vielen Berühmtheiten besuchten Ballsaal gleiten. „Wir müssen eine ganze Menge eingenommen haben.“

„Und das ist allein dir zu verdanken, Grace“, sagte ein Mann mit schroffer Stimme hinter ihnen. „Unsere Stadt könnte mehr solcher Mitbürger brauchen.“

„Guten Abend, Herr Bürgermeister.“ Hocherfreut begrüßte Grace Bürgermeister Goldfinch und ließ sich seine herzliche Umarmung nur zu gern gefallen. „Und ich dachte schon, unser Lieblingskurator hätte heute Abend keine Zeit für uns.“

„Ich musste einfach kommen. Schließlich weiß ich doch, wie sehr Ihnen dieser Wohltätigkeitsball am Herzen liegt.“

Jade zog sich diskret zurück. Die beiden hatten sowieso nur Augen füreinander. Es war kein Geheimnis, dass der verwitwete Bürgermeister wieder auf Freiersfüßen wandelte. Er sah gut aus und hatte es mit Immobiliengeschäften zu erheblichem Reichtum gebracht, an möglichen Kandidatinnen als neue Frau an seiner Seite mangelte es daher nicht. In den Gazetten war Grace am häufigsten an seiner Seite abgebildet. Was auch immer er genau für sie empfinden mochte, Grace erwiderte seine Gefühle.

Grace hat so hart gearbeitet, dachte Jade und tauschte den Champagner gegen ein Glas Mineralwasser, das sie vom Tablett eines Kellners nahm. Sie hat es verdient, einen Partner zu finden und glücklich zu sein.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen Hauch roter Seide und das üppige Dekolleté von Rachel Delaney. Sie war eine einundzwanzigjährige Schönheit aus dem Süden der USA und hatte die Della-Bosca-Klinik schon häufig von innen gesehen. Während der vergangenen zwei Jahre hatte Rachel sich zum Star einer Seifenoper gemausert. Jetzt wollte sie endlich in der ersten Liga spielen und hoffte, der Regisseur, den sie zum Ball begleitet hatte, würde ihr und ihren kürzlich vergrößerten Brüsten, die fast aus dem Ausschnitt des freizügig geschnittenen Kleides quollen, zum ganz großen Ruhm als Filmschauspielerin verhelfen.

Viel Glück, dachte Jade und trank einen Schluck Mineralwasser. Rachel hatte viel Geld in ihr Aussehen investiert – sich die Lippen aufspritzen, den Augenschnitt verändern, die Brüste vergrößern lassen. Jade konnte alle Verschönerungen auswendig nennen.

„Ist Ihnen nicht nach feiern zumute?“

Sie brauchte sich gar nicht umzudrehen. Der heiße, erwartungsvolle Schauer, der ihr über den Rücken lief, sprach für sich. Die tiefe Stimme passte perfekt zu den dunklen Augen, mit denen der Mann sie vorhin so durchdringend angeschaut hatte, dass ihr fast schwindlig geworden war.

Jade bemühte sich um Selbstbeherrschung. Der Mann sollte nicht merken, wie aufgewühlt sie war. „Was geht Sie das an?“, fragte sie kühl, obwohl ihr schon wieder heiß wurde. Sie wusste nicht, wer der Mann war, doch sie hatte keine Eile, sich wieder so durchdringend von ihm anstarren zu lassen.

Sie konzentrierte sich darauf, Rachel zu beobachten, als hinge ihr Leben davon ab. Das Starlet stellte ihre Verbindung zur Wirklichkeit dar, ihre Entschuldigung, sich nicht umzudrehen und ihren instinktiven Schutz vor dem merkwürdigen Gefühl, in der Nähe des Fremden den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Plötzlich wurde ihr der Blick verstellt. Der Mann hatte sich einfach vor ihr aufgebaut!

Jade stockte der Atem. Der breitschultrige Mann stand unmittelbar vor ihr und blickte ihr starr in die Augen. Wieder wurde ihr heiß. Schmetterlinge schienen in ihrem Bauch zu flattern. Sie witterte Gefahr, gleichzeitig fühlte sie sich von dem Blick dieser braunen Augen magisch angezogen.

„Kennen wir uns?“, fragte sie und hob herausfordernd das Kinn. Natürlich hatte sie den Mann noch nie zuvor gesehen, weder in der Klinik noch sonst irgendwo. Da sie selbst die Einladungsliste zusammengestellt hatte, wusste sie auch, dass er nicht darauf stand. Dann hatte er offensichtlich jemanden begleitet.

Die Glückliche!

Der Mann sah phantastisch aus mit seinem dunklen Haar, dem gut geschnittenen Gesicht, das wie gemeißelt schien, dem sinnlichen Mund und einem Körper, der genauso vielversprechend war.

Jetzt lächelte ihr Gegenüber. „Noch nicht, aber es wird Zeit, das zu ändern.“

Vergeblich wartete sie jedoch darauf, dass er sich vorstellte. Er sah sie einfach nur an.

„Wenn Sie mich dann bitte entschuldigen würden, Mr. Unbekannt. Ich muss mich um die geladenen Gäste kümmern. Ich habe keine Zeit für Ihre Spielchen.“

Sie wandte sich zum Gehen, blieb bei seiner nächsten Bemerkung jedoch stehen.

„Und wenn Sie Zeit hätten?“

Jade blinzelte und drehte sich halb um. „Wie bitte?“

„Wenn Sie Zeit hätten, würden Sie dann mit mir spielen?“, fragte er mit samtweicher Stimme.

Warme Wogen durchfluteten sie. Was machte diesen Mann so unwiderstehlich? Seine erotische Stimme oder seine verheißungsvollen Worte? Alles, wenn sie ehrlich war.

„Ich spiele nicht“, behauptete sie und zog eine Augenbraue hoch.

„Schade, das ist eine echte Verschwendung“, sagte er.

„Kaum“, antwortete sie und hob das Kinn, siegesgewiss, dass sie das letzte Wort haben würde. „Wenn ich mit etwas spiele, dann will ich es behalten.“

Mit einem triumphierenden Lächeln wandte sie sich um. Die Begegnung hatte ihr Spaß gemacht. Zuerst hatte er sie aus der Fassung gebracht, doch dann war sie entzückt gewesen, die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich gezogen zu haben, der so ganz anders war als die Männer in Hollywood, die sich nur für Menschen interessierten, die ihnen nützlich sein könnten.

Sie hatte sich kaum zwei Schritte von ihm entfernt, da hörte sie hinter sich sein herzliches Gelächter und wandte sich wieder um.

Selbstbewusst und siegesgewiss sah er sie an. „Wunderbar“, sagte er mit einem atemberaubenden Lächeln. „Dann wollen wir loslegen.“

2. KAPITEL

Bevor Jade reagieren konnte, war er schon an ihrer Seite und hielt ihre Hand. Die sanfte Berührung nahm ihr den Atem. Ein erregendes Prickeln durchlief ihren Körper. Der Griff der perfekt geformten Hand war sanft, doch Jade spürte, dass diese Hände auch zupacken konnten.

Ohne den Blick abzuwenden, führte der schöne Unbekannte ihre Hand an den Mund. Jade erwartete einen kurzen – herrlich altmodischen – Handkuss. Gleichzeitig stellte sie sich vor, wie seine Lippen sie berühren würden, wie der warme Atem sie streicheln würde. Doch in diesem Moment drehte der Mann ihre Hand um und presste einen heißen Kuss auf die Innenseite.

Heiße Wellen durchliefen sie und weckten verschüttet geglaubte Sehnsüchte. Als er nun ihre Hand auch noch mit der Zungenspitze liebkoste, wurde es Jade vor Verlangen schwindlig. Sie schwankte, und hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie zu Boden gesunken.

Sie schmeckte noch besser, als sie aussah. Der Auftrag seines Vaters begann Loukas Spaß zu machen – sehr viel Spaß.

Die Frau war jetzt schon Wachs in seiner Hand. Er hatte Leidenschaft in ihrem Blick gelesen, sie würde eine wunderbare Geliebte sein. Der leicht geöffnete Mund verriet ihm, dass sie sich nach weiteren Zärtlichkeiten sehnte, und die erregten Brustspitzen, die sich unter der engen Robe abzeichneten, sprachen für sich. Noch heute Abend würde er diese Frau besitzen.

Und danach würde sie ihm alles erzählen, was er wissen musste, um seine Schwester zu retten.

Er würde Dr. Della-Bosca vernichten und ihre Klinik dem Erdboden gleichmachen, und wenn er das Gebäude eigenhändig Stein für Stein abtragen musste!

Loukas unterdrückte sein heftiges Verlangen nach Jade und gab langsam und widerstrebend ihre Hand frei.

„Wer sind Sie?“, fragte sie fast flehend.

Lächelnd deutete er eine Verbeugung an und umfasste erneut ihre Hand. „Loukas Demakis. Ich bin entzückt, Sie kennen zu lernen, Dr. Ferraro.“

Gebannt beobachtete er ihr Mienenspiel. Sie zog die Brauen zusammen, dann kam ihr offensichtlich die Erleuchtung. Nun hatte sie wohl die Verbindung zwischen ihm und seiner Schwester Olympia hergestellt, die kürzlich geheiratet hatte. Aber wusste sie auch, weshalb er hier war?

„Demakis?“, wiederholte sie. „Wie der Senator, der sich um die Präsidentschaft bewirbt und ins Weiße Haus will?“

„Das ist mein Vater“, erklärte er. Alle Achtung, sein Opfer schien sich auszukennen! „Sie haben von ihm gehört?“

Sie bedachte ihn mit einem kühlen Blick und zog ihre Hand weg. „Überrascht Sie das? Ich versuche, mir stets einen Überblick über das Tagesgeschehen zu verschaffen. Halten Sie mich für blöd, weil ich den ganzen Arbeitstag mit schönen Menschen zusammen bin?“

„Ganz im Gegenteil! Es wäre dumm von mir, zu so einer Fehleinschätzung zu kommen. Das ist doch klar.“

Sie lächelte triumphierend. „Das ist doch klar.“ Jade ahmte ihn nach. Offensichtlich war ihr bewusst, dass er sie zunächst unterschätzt hatte.

Das darf mir nicht wieder passieren, schwor er sich. Es stand zu viel auf dem Spiel. Er konnte es sich nicht leisten, sich von Della-Boscas Spießgesellinnen austricksen zu lassen.

Sie ist nur eine von Della-Boscas Spießgesellinnen. Das durfte er nicht vergessen. Er zwang sich, ihren perfekten, schimmernden Teint, ihre weiblichen Kurven unter dem hautengen Kleid zu ignorieren. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er darauf brannte, sie zu besitzen. Insgeheim stellte er sich vor, wie es sich anfühlen würde, von ihrem hinreißenden Körper umschlungen zu werden.

Lächelnd ließ er den Blick über sie gleiten. Sie würde eine wunderbare Geliebte sein, das verriet ihm seine eigene körperliche Reaktion. In diesem Punkt habe ich sie jedenfalls nicht unterschätzt, dachte Loukas.

Er atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen, doch als er Jades frischen, würzigen, verführerischen Duft wahrnahm, war es mit der Ruhe dahin.

„Es wird meinen Vater freuen zu hören, dass ihm sein Ruf vorauseilt.“

„Dann richten Sie ihm bitte aus, ich würde mich freuen, ihn im Weißen Haus zu sehen.“

Diese Bemerkung missfiel Loukas. Sein Vater war nicht auf die Unterstützung dieser Leute angewiesen, die sich die Unsicherheit anderer zunutze machten.

„Würden Sie ihn wirklich gern als den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten sehen?“

Sie musterte ihn kühl. „Ist das so schwer zu glauben? Freuen Sie sich nicht, jemanden gefunden zu haben, der die Politik Ihres Vaters unterstützt? Offensichtlich nicht. Ich fände es jedenfalls nur gerecht, wenn Ihr Vater die Wahl gewinnen würde.“

„Wie meinen Sie das?“

Ihre blauen Augen funkelten selbstbewusst. „Griechenland ist schließlich die Wiege der Demokratie. Wenn Ihr Vater Präsident wird, schließt sich der Kreis.“ Sie lächelte herausfordernd.

„Übrigens habe ich einiges über Ihren Vater gelesen. Seine Großeltern kamen als arme Einwanderer in den zwanziger Jahren her und haben aus dem Nichts einen florierenden Schiffswerftkonzern aufgebaut. Wirklich sehr beeindruckend. Sie müssen sehr stolz sein auf Ihre Familie.“

War er das? Darüber hatte er in letzter Zeit nicht nachgedacht, auch die Geschäfte hatte er vernachlässigt, weil er Wichtigeres zu tun hatte. Seine Halbschwester hatte einen unnützen amerikanischen Darsteller einer Reality-Show geheiratet, umgab sich nur noch mit selbsternannten Berühmtheiten und rannte in ihr Unglück. Sein Vater verlangte, dass man ihr Einhalt gebot, bevor sie seine politische Karriere oder ihr Leben gefährdete – oder beides.

Er, Loukas, würde jetzt dafür sorgen, dass nichts passierte.

Jetzt blickte er auf Jade herab, getrieben von Rachegelüsten und tiefer Sorge um seine Schwester. „Wollen Sie es auch auf die Schnelle zur Millionärin bringen?“

Ihr Blick wurde kühl und abweisend. „Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, Mr. Demakis. Ich würde ja gern sagen, es hat mich gefreut, aber …“ Dabei beließ sie es, drehte sich um und mischte sich unter die Gäste.

„Wie fühlt man sich denn als Australierin in Beverly Hills?“, rief er ihr nach.

Jade blieb stehen. Gerade als sie sich entschlossen hatte, ihren Weg zwischen den Spendern hindurch fortzusetzen, fügte Loukas hinzu: „Macht es Ihnen nichts aus, so weit weg von Ihrer Heimat zu sein?“

Erstaunt wandte sie sich wieder um. „Haben Sie meinen Akzent erkannt?“ Sie kam wieder näher. „Den meisten Leuten fällt er gar nicht auf.“

„Man hört ihn heraus.“ Das war eine glatte Lüge. Hätte er nicht Erkundigungen über sie eingeholt, um herauszufinden, welchen Platz sie in der Della-Bosca-Hierarchie einnahm, hätte er sie niemals für eine gebürtige Australierin gehalten.

Die Arbeit an der Klinik hatte sie vor drei Jahren aufgenommen, offensichtlich wegen des Geldes und des Lebens im Rampenlicht. Mit der Stelle bei Della-Bosca war sie auf eine Goldmine getroffen. Zudem konnte Jade sich im Ruhm ihrer Chefin sonnen, als deren Nachfolgerin sie bereits gehandelt wurde. Sie half der Natur nach und leistete dem Schönheitswahn Vorschub.

„Warum wollen Sie Ihren Akzent denn verbergen?“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Er war zu ausgeprägt. Es ist einfacher, akzeptiert zu werden, wenn man nicht dauernd erklären muss, woher man stammt.“

Selbst der Akzent ist unecht, dachte er. Wie alles an ihr.

Sie sah zu ihm auf. „Mr. Demakis …“

„Bitte sagen Sie Loukas“, bat er mit samtweicher Stimme. Er hatte schon zu viel Zeit verschwendet und beschloss, die Unterhaltung fortzusetzen. Noch einmal wollte er Jade nicht entkommen lassen.

Sie schien einen Moment über seine Bitte nachzudenken und biss sich auf die glänzende Lippe. „Also gut, Loukas“, sagte sie schließlich. „Was hat Sie eigentlich auf diese Wohltätigkeitsgala verschlagen? Ich habe Ihren Namen gar nicht auf der Gästeliste gelesen. Haben Sie jemanden begleitet?“

Ihr Interesse amüsierte ihn. Also hatte sie ihm gar nicht entkommen wollen. Sie war neugierig, wollte mehr über ihn erfahren und fühlte sich genauso zu ihm hingezogen wie er sich zu ihr. Das würde die Sache erheblich vereinfachen. „Nein, ich bin ohne Begleitung hier.“

Jade schaute ihn fragend an. „Und was verschafft uns die Ehre?“

„Das ist ganz einfach“, behauptete er, nahm ihr das Glas ab und reichte es einem vorbeieilenden Kellner. Dann nahm er Jades rechte Hand, hob sie auf Schulterhöhe und verschränkte seine Hand mit Jades Hand. Interessiert beobachtete er, wie sie den Blick zu den verschränkten Händen gleiten ließ, bevor sie ihm wieder in die Augen sah. „Aber es ist ein sehr guter Grund.“

„Tatsächlich?“, fragte sie leise und sah ihn fasziniert an. „Verraten Sie ihn mir?“

Ihr leicht würziger Duft verwirrte ihm die Sinne. Verlangend ließ er den Blick über diese erregende Frau gleiten. Blaue Augen, hohe Wangenknochen, eine honigblonde Strähne, die sich aus der eleganten Hochfrisur gelöst hatte, umschmeichelte ihren Hals.

Loukas unterdrückte ein Stöhnen. Er sehnte sich danach, sie zu küssen, den Hals, den süßen, sinnlichen Mund, jeden Zentimeter ihres Körpers, bis sie um Erlösung flehte. Die wollte er ihr nur zu gern geben.

„Kannst du ihn nicht erraten?“, fragte er, legte den Arm um sie und begann, mit ihr zu tanzen. „Ich bin hier, um dich kennen zu lernen.“

Das war die falsche Antwort.

Er hätte behaupten müssen, die Stiftung unterstützen zu wollen, all den Kindern mit Gesichtsverletzungen und verletzten Seelen neuen Lebensmut geben zu wollen. Er hätte auch einfach sagen können, er wolle die ausgezeichnete Arbeit einer hervorragenden Ärztin sowie ihr neues Hilfsprojekt durch seine Anwesenheit anerkennen.

Jedenfalls war es nicht die Antwort, die sie von dem gefährlich, gelegentlich verärgert und herausfordernd wirkenden Mann erwartet hatte. Hinter seinen braunen Augen mit dem undurchdringlichen Blick lauerte etwas anderes. Weshalb ist Loukas Demakis wirklich gekommen?, überlegte Jade.

Als er sie jetzt fest im Arm hielt und sie geschickt übers Tanzparkett führte, konnte sie sich der magischen Anziehungskraft des geheimnisvollen Mannes nicht entziehen. Ihr Körper sehnte sich nach noch mehr Nähe, während der Verstand ihr riet, sich in Sicherheit zu bringen.

Körper und Seele reagierten angeregt auf Loukas’ Worte. Mit jedem Schritt entfernte Jade sich weiter von ihrem gewohnten Leben. Mit jeder Drehung wurde sie weiter von ihrer Arbeit als Ärztin davongewirbelt. In seinen Armen fühlte sie sich übermütig und wild und ausgesprochen gut.

Es war ihr ganz recht, dass Loukas beim Tanzen keine Konversation machte, wahrscheinlich hätte sie sowieso keinen halbwegs vernünftigen Satz herausgebracht. Das hinreißende Gefühl, in den Armen des bestaussehenden Mannes im Saal zu liegen, war überwältigend.

Sein Atem kitzelte sie am Ohr, Loukas zog sie enger an sich. Ihre Körper schienen eins zu sein, der sinnliche Tanz brachte Jade fast um den Verstand. Der erregende Duft des Aftershaves war wie eine Einladung zu erforschen, wo Loukas es überall aufgetragen hatte.

Jade schloss die Augen und gab sich ganz hin. Die Musik, die knisternde Spannung, die Nähe seines Körpers – das alles war berauschend.

Als er zärtlich ihr Ohr liebkoste, legte Jade den Kopf schief, um sich der prickelnden Berührung ganz hinzugeben.

„Du bist wunderschön“, sagte er leise an ihrem Ohr. Eine heiße Woge durchlief sie und nahm ihr den Atem.

Es war ihr nicht verborgen geblieben, wie anziehend er sie fand. Sein Blick mochte undurchdringlich sein, doch sein Körper sprach eine eigene Sprache. Aus Loukas’ Mund Komplimente zu hören war allerdings fast ebenso erregend.

Auf diesem Ball wimmelte es von Schönheiten. Jede Frau hier konnte mit einer Anfrage des „Playboys“ für Nacktaufnahmen rechnen. Jeder Körper war perfekt geformt, die Zähne weiß und ebenmäßig. Und ausgerechnet mir macht er ein solches Kompliment, dachte Jade.

Er ließ die Hand, die locker auf Jades Taille lag, höher gleiten, bis er den tiefen Rückenausschnitt erreicht hatte, und streichelte die nackte Haut. Die heiße Berührung löste heftiges Verlangen bei Jade aus. Ein loderndes Feuer schien in ihr zu brennen.

Dieser Mann ist der geborene Verführer, dachte sie, selbst erstaunt, dass sie überhaupt noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie stand ganz im Bann dieser Verführungskünste.

„Ich möchte mit dir schlafen.“

Jade verschlug es den Atem. Loukas steuerte tatsächlich direkt auf sein Ziel zu. Einerseits schockierte sie das, andererseits war sie hingerissen. Sie war nur zu bereit, sich mit ihm zu vereinen, obwohl sie mit dem Verstand nicht begreifen konnte, was mit ihr geschah.

Was sollte sie tun? Die Beleidigte konnte sie nicht spielen, denn ihr Körper sehnte sich danach, eins mit seinem zu werden. Ein erwartungsvoller Schauer durchlief sie.

Loukas hatte wieder begonnen, ihr Ohr zu liebkosen, bevor er heiße Küsse auf Jades Hals regnen ließ. Sie bog sich ihm entgegen, ihre Brustspitzen drängten sich vor Erregung an den dünnen Stoff ihrer verführerischen Robe.

Verträumt nahm Jade wahr, dass die Musik verstummte und die Pärchen die Tanzfläche verließen.

„Und?“, flüsterte Loukas an ihrem Ohr. Seine tiefe Stimme war die reinste Verführung, eine weitere Liebkosung. „Schlaf mit mir, Jade. Heute Nacht, jetzt gleich.“

Die Art, wie er ihren Namen aussprach, ließ sie dahinschmelzen. Sie war ihm wehrlos ausgeliefert. Das Versprechen, das er ihr zu geben schien, war unwiderstehlich.

Er wollte mit ihr schlafen. Die Worte allein machten sie schwindlig. Es war eine wundervolle Vorstellung, sich mit diesem Mann zu lieben. Sie konnte es kaum erwarten.

Warum sollte sie dieser tiefen Sehnsucht nicht nachgeben? Ihr leidenschaftliches Verlangen wollte gestillt werden. War das ein Fehler?

Wäre sie bei klarem Verstand gewesen, hätte sie tausend Gründe aufzählen können, die gegen ein Liebesabenteuer sprachen. Doch Gefühle hatten den Verstand ausgeschaltet, und so fiel ihr nicht ein einziges Argument ein, nicht mit Loukas zu schlafen. Außerdem fühlte sie sich wie im siebten Himmel. Das sprach doch für sich, oder?

Jade hob den Kopf und sah Loukas tief in die Augen. In seinem Blick spiegelte sich das leidenschaftliche Verlangen, das auch sie empfand. Sie konnte und wollte diesem Mann nichts vormachen. Und doch hielt sie etwas zurück. Ihre gute Erziehung verbot ihr, mit einem Fremden ins Bett zu gehen. So eine war sie nicht. Trotzdem …

„Du hast eine unglaubliche Ausstrahlung“, sagte sie. Und das ist noch untertrieben, fügte sie im Stillen hinzu. „Ich gestehe, dass ich mich zu dir hingezogen fühle.“

„Aber?“

„Aber ich bin nicht geschützt.“ Das war die ehrlichste Antwort, die ihr unter den gegebenen Umständen einfiel.

Seine Augen leuchteten auf. Offensichtlich gefiel ihm diese unschuldige Antwort, ja, sie erregte ihn sogar noch mehr.

Er ließ den Arm über ihren Rücken gleiten, dann umfasste er Jades Hand. „Darum werde ich mich kümmern“, versprach er.

Ihr wurde kalt, als er sie aus seinen Armen entließ, doch das war nur von kurzer Dauer. Bei der Vorstellung, bald mit diesem temperamentvollen Mann eins zu sein, wurde ihr wieder heiß. Alles an ihr bebte in freudiger Erwartung.

Jetzt führte Loukas sie zu einem abgelegenen Raum, wo sie sich lieben konnten.

Das Tempo war atemberaubend. War es richtig gewesen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen und Loukas die Führung zu überlassen?

Geschickt lotste er sie an den vielen Menschen vorbei. Jade, die allen höflich zulächelte, passte sich seinem schnellen Schritt an. Inzwischen hatte sich die Menge etwas verlaufen, die Gäste waren nach draußen gegangen. Zweifellos boten spärlich bekleidete junge Damen ihre Dienste an.

Die Gäste hatten sich dafür geschützte Plätzchen im Garten gesucht, manche waren auch weniger geschützt. Mit dieser Seite des Luxuslebens von Beverly Hills hatte Jade sich nie anfreunden können. Doch war sie selbst ein Deut besser? Auch sie suchte nach einem lauschigen Plätzchen, wo sie sich mit einem Fremden vergnügen konnte. Wollte sie sich wirklich darauf einlassen?

Loukas schien ihre plötzliche Unsicherheit zu spüren, denn er drückte Jade unvermittelt an eine Holztür und begann, sie leidenschaftlich zu küssen.

Seine Lippen waren warm und verführerisch. Bei den sinnlichen Liebkosungen wurde es Jade noch heißer. So einen Gefühlssturm hatte sie noch nie erlebt. Leidenschaftliches Verlangen nie gekannten Ausmaßes durchströmte sie. Dagegen war sie machtlos. Sie hatte nicht einmal geahnt, zu so starken Empfindungen fähig zu sein.

Er umfasste ihren Po und zog sie fest an sich. Es war nur zu offensichtlich, wie erregt er war – und wie groß. Bald würde sie ihn in sich spüren. Sie konnte es kaum erwarten und bog sich ihm entgegen. Sie schmolz einfach dahin. Was er mit seinen Händen, seinen Lippen machte, brachte sie schier um den Verstand.

Jetzt beendete er vorübergehend den Kuss und fragte atemlos: „Wohin führt diese Tür?“ Seine Stimme war rau vor Verlangen.

„Das ist die Tür zur Bibliothek“, erklärte Jade leise. „Aber sie müsste abgeschlossen sein.“

Loukas betätigte probeweise die Türklinke. Die Tür öffnete sich. Trotz der Dunkelheit konnte Jade sehen, dass er triumphierend strahlte, als hätte er einen Preis gewonnen. Dann wurde ihr bewusst, dass sie der Preis war. Er begehrte sie, und bald würde er sie besitzen.

Die Vorstellung, dass er sie mindestens so sehr begehrte wie sie ihn, war ausgesprochen erregend.

Heute Abend werden wir eins, dachte sie.

Wieder küsste er sie, dieses Mal zärtlich und behutsam und sehr einfühlsam. Als er die Zungenspitze über ihre Zähne gleiten ließ, schmiegte Jade sich an ihn. Dieser Mann wusste genau, was sie wollte.

Loukas drehte sie um und schob sie vor sich her in die Bibliothek, wo er sie sanft an eine Wand lehnte und die Tür schloss.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

3. KAPITEL

Jade gab sich ganz dem Gefühl hin, das sein leidenschaftlicher Kuss in ihr entfesselte. Die Liebkosungen seiner Lippen, seiner Zunge waren heiß und überwältigend. Mit gleicher Leidenschaft erwiderte sie den tiefen Kuss. Er schmeckte so gut, alles war so perfekt, sehnsüchtig drängte sie sich an Loukas und erforschte seinen Mund. Sie konnte gar nicht genug bekommen von seinen köstlichen Zärtlichkeiten.

Loukas zog sie noch enger an sich. Die andere Hand ließ er über ihren Rücken gleiten. Das war so erregend, dass sie sich ihm entgegenbog und leise stöhnte, als sie seinen festen Körper spürte.

Auch Loukas stöhnte unterdrückt, als er ihre Reaktion bemerkte, dann ließ er eine Hand über Jades Brüste gleiten, bevor er begann, ihre Brustspitzen zu streicheln, die sich unter dem dünnen Kleiderstoff abzeichneten.

Ihr stockte der Atem. Wie ein elektrischer Schlag traf sie die Erkenntnis, dass sie vor lauter magischer Erregung gar nicht weiter gedacht hatte. Eigentlich hatte sie überhaupt nichts gedacht. Was nun?

Was würde passieren, wenn er es sehen würde?

Niemals hätte sie sich in diese Situation bringen dürfen! Sie könnte es nicht ertragen, noch einmal so erniedrigt zu werden.

Du bist wunderschön, hatte er gesagt. Warum konnte ihr das nicht genügen? Aber nein, sie hatte ja nur an Sex gedacht, war von ihrer eigenen Lust so überwältigt worden, dass sie eins außer Acht gelassen hatte: Niemals würde Loukas sie begehren, wenn er Bescheid wüsste. Und er würde sie nicht mehr für wunderschön halten.

Mit dem Mund liebkoste er ihren Hals, ihren Nacken, und Jades Herz raste. Doch in die Erregung hatte sich jetzt auch Furcht gemischt.

Sie vernahm ein unterdrücktes Stöhnen. Merkwürdig, das war von weiter her gekommen, und Loukas war ihr ganz nah. Als sie das Geräusch wieder hörte, zuckte sie zusammen.

Außer ihnen war noch jemand im Zimmer!

Jade machte die Augen auf und blickte über Loukas’ Schulter. Die große Bibliothek lag im Dunkeln, sie konnte nur die Umrisse der Regale erkennen. Etwas Außergewöhnliches fiel ihr nicht auf. Wahrscheinlich hatte sie sich geirrt. Gerade wollte sie sich wieder Loukas’ leidenschaftlichen Berührungen hingeben, als sie erneut das Geräusch hörte.

Wieder ein unterdrücktes Stöhnen und ein leises Seufzen. Jetzt wurden die Geräusche lauter, das Stöhnen schneller. Sie hörte, wie sich zwei Körper aneinander rieben. Das war unverkennbar. Das Tempo nahm zu.

Entsetzt machte Jade die Augen wieder zu und wünschte, sie könnte die Geräusche verstummen lassen. Sie hatte Angst, auch nur die kleinste Bewegung zu machen. Es waren noch zwei Menschen in der Bibliothek! Zwei Menschen beim Liebesspiel, und Loukas und sie waren in ihr Stelldichein geplatzt!

Wie sollte sie das ignorieren? Die Geräusche erinnerten sie daran, weshalb sie mit Loukas in diesem Raum war. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Eigentlich hätten sie diese Geräusche machen, die gleiche Erfüllung finden sollen.

Loukas beendete den Kuss, lehnte sich zurück und lauschte, als ihm bewusst wurde, was da passierte. Dann legte er Jade einen Finger auf den Mund, zog sie schützend an sich und versuchte, sich zu orientieren. Wir müssen hier raus, dachte er.

Doch bevor sie den Entschluss in die Tat umsetzen konnten, ertönte wieder ein Geräusch, und Jade sah eine Bewegung. Jetzt wusste sie, wo das Liebespaar sich versteckt hatte.

In der Mitte des Raums stand eine lange Couch, und dahinter hatten die beiden Menschen sich ihrer Lust hingegeben. Sie waren zu vertieft gewesen zu merken, dass sie nicht mehr allein waren.

Jade wollte gerade ihr Gesicht abwenden, als der Mann sich halb erhob.

Der Bürgermeister!

Kein Wunder, dass die Tür unverschlossen gewesen war, Grace hatte Mr. Goldfinch offensichtlich hergeführt.

Wir müssen hier so schnell wie möglich raus, dachte Jade verzweifelt. Es wäre undenkbar, Grace in dieser Situation gegenüberzutreten. Diese Peinlichkeit musste sie ihr ersparen. Niemals durfte sie erfahren, dass sie beim Liebesakt beobachtet worden war.

Verzweifelt versuchte Jade, Loukas zur Tür zu ziehen, doch offensichtlich hatte er es nicht eilig. „Warte einen Moment“, flüsterte er.

Aber sie wollte keine Sekunde länger bleiben! Sie wollte nichts mehr hören. Es war ihr schrecklich peinlich, ein anderes Paar beim Liebesspiel überrascht zu haben. Und dass es sich bei der einen Person um Grace handelte, machte die Sache nur noch schlimmer. Trotzdem zwang sie sich, ruhig in Loukas’ Armen zu bleiben, bis das Paar wieder völlig vertieft zu sein schien.

Das immer schnellere und lauter werdende Stöhnen verriet ihr, dass der Bürgermeister Grace genau da hatte, wo er sie kurz zuvor bereits gehabt hatte. Am liebsten hätte Jade sich die Ohren zugehalten. Die Geräusche machten ihr nur zu bewusst, worauf sie sich eingelassen hatte. Eigentlich hätte sie diejenige sein sollen, die jetzt lustvoll stöhnte. Sehnsüchtig schmiegte sie sich an Loukas, während das andere Paar sich vereinigte.

Wenigstens war Loukas jetzt auch bereit, das Zimmer zu verlassen. Er wollte gerade die Tür öffnen, als eine raue Stimme sagte: „Oh, Rachel, mein süßer Engel, du hast mir so gefehlt.“

Im ersten Moment glaubte Jade, sich verhört zu haben, der Bürgermeister hatte doch sicher Grace gesagt, oder? Doch dann bemerkte sie das rote Satinkleid auf dem Sofa und erinnerte sich an die junge Stimme, die so begeistert auf die Ermunterungen des Bürgermeisters reagiert hatte. Das war ja abstoßend!

Denn es handelte sich keineswegs um Grace, die Bürgermeister Goldfinch verwöhnte, sondern um Rachel Delaney!

Hätte Loukas ihr nicht geistesgegenwärtig den Mund zugehalten, hätte Jade schockiert aufgeschrien. Da das Paar wieder geräuschvoll zur Sache ging und abgelenkt war, öffnete er die Tür und schob Jade hinaus, bevor er die Tür leise hinter sich zuzog und tief durchatmete.

Jade befreite sich aus seinem Griff und rannte den Korridor entlang – nur schnell weg von dieser schmutzigen Szene!

„Jade!“, hörte sie ihn rufen. „Jade!“

Doch sie reagierte nicht, rannte einfach nur weiter. Am liebsten hätte sie sich oben in ihrer Suite verkrochen, doch dorthin wäre Loukas ihr gefolgt. Daher suchte sie Zuflucht im Ballsaal, der noch immer gut gefüllt war. Ob Grace ahnte, dass der Mann, von dem sie sich einen Heiratsantrag erhoffte, seine Lust mit einer der jungen Ballbesucherinnen stillte? Wusste sie, dass der Bürgermeister so ein Mistkerl war?

Ich muss hier weg, dachte Jade verzweifelt. Weg von Lug und Trug, weg von der billigen Affäre, auf die sie sich fast eingelassen hätte.

Loukas hatte gesagt, er wolle Liebe mit ihr machen, und sie hatte sich hinreißen lassen, doch das eben Erlebte, dieses heimliche Stelldichein, hatte mit Liebe nichts zu tun. Das war reiner Sex gewesen, pure, animalische Lust. Beinahe hätte sie sich selbst auf diese niedere Stufe begeben.

Diese Vorstellung war abscheulich!

Jemand umfasste ihren Arm und wirbelte sie herum. „Halt!“

Sie sah ihm in die Augen, wich jedoch gleich darauf seinem Blick aus. Es geht nicht, dachte sie. Ich muss an die Luft!

„Bitte lass mich los“, bat sie.

„Eben hat es dir in meinen Armen doch noch gut gefallen.“

„Ja, das war vorhin. Es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte nicht mit dir gehen sollen. Ich hätte dir keine Hoffnungen machen sollen.“

„Hoffnungen? Wir wollten miteinander schlafen. Wir beide wollten und wollen es. Das kannst du doch nicht abstreiten.“

„Nein.“ Heftig schüttelte sie den Kopf, als wolle sie die eben erlebte Szene abschütteln, aus ihrem Gedächtnis vertreiben. Immer wieder spielte sich dieser hässliche Film vor ihrem geistigen Auge ab. „Nein, ich will das nicht. Nicht so. Das war keine Liebe zwischen den beiden da drinnen. Ich kann das nicht. Tut mir leid.“

„Dann komm mit. Wir verschwinden aus dieser Lasterhöhle und unterhalten uns.“

„Nein.“ Abwehrend hob sie eine Hand und wich zurück. Sie schämte sich in Grund und Boden und wollte das Erlebte nicht auch noch analysieren. „Tut mir leid, Mr. Demakis. Ich wüsste nicht, worüber wir uns unterhalten sollten.“ Sie wandte sich um und mischte sich unter die Gäste im Ballsaal.

„Wir sind noch nicht fertig!“, rief Loukas ihr nach.

Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Sie wollte nur noch fort von ihm. Er hatte sich die falsche Frau ausgesucht, das war alles. Weitere Erklärungen waren unnötig.

Wenn es ihm nur um ein schnelles Sexabenteuer ging, würde er im Ballsaal schnell fündig werden. Anderen Frauen machte es vielleicht nichts aus, ein Paar beim Liebesakt zu beobachten.

Bei seinem Aussehen hätte er leichtes Spiel. Schließlich war sie ihm ja auch fast verfallen. Wie hatte er das nur angestellt? Eigentlich mit einem einzigen Satz: „Ich bin hier, um dich kennen zu lernen.“ Von da an war sie Wachs in seinen Händen gewesen. Zum Glück hatte ihr Verstand sich noch rechtzeitig zurückgemeldet, sonst wäre sie jetzt mit Loukas in ihrer Suite.

Er wird sich schnell trösten, dachte sie. Mr. Loukas Demakis ist bereits Vergangenheit.

Die Erleichterung darüber war von kurzer Dauer, denn in diesem Moment kam eine Person auf sie zu, der sie lieber aus dem Weg gegangen wäre.

„Hallo, Jade“, sagte Grace und sah sich suchend im Ballsaal um. „Du hast nicht zufällig den Bürgermeister gesehen, oder?“

Jade hielt den Blick gesenkt.

„Ich wollte ihm die Pläne für den Erweiterungsbau der Klinik zeigen, aber Mr. Goldfinch ist wie vom Erdboden verschluckt.“

Bedauerlicherweise ist er das nicht, dachte Jade. „Tut mir leid, Grace“, erklärte sie stattdessen. Es brach ihr fast das Herz, die ältere Kollegin zu belügen. Doch es wäre grausam gewesen, ihr die Wahrheit zu sagen. Dann wäre nicht nur der schöne Abend, sondern wohl auch das Leben der erfolgreichen Schönheitschirurgin zerstört worden. „Hast du schon im Garten nachgesehen?“, fragte sie, hakte sich bei Grace ein und ging mit ihr zur Veranda – möglichst weit weg von der Bibliothek. Grace würde die betrügerischen Machenschaften des Bürgermeisters noch früh genug entdecken, es musste ja nicht an diesem Abend sein. Einerseits wünschte Jade sich, Grace die Augen zu öffnen, andererseits wollte sie ihre Mentorin aber vor der schmerzlichen Erkenntnis schützen, mit was für einem Mistkerl sie sich eingelassen hatte. „Komm, wir suchen ihn gemeinsam.“

Das junge Mädchen mit dem schwarzen Lidstrich sah hoffnungsvoll auf, als Jade das Sprechzimmer betrat. Höflich begrüßte Jade Grace und deren Patientin und ließ sich ihren Unmut nicht anmerken. Das schwere Make-up konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zierliche Blondine kaum über achtzehn Jahre alt war. Trotz ihres zarten Alters ließ Pia Kovac sich regelmäßig in der Klinik behandeln – viel zu oft für Jades Geschmack.

„Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, Dr. Ferraro“, sagte Grace, die in Anwesenheit von Patienten alle Kollegen siezte. „Pia hat uns gebeten, noch einige Kleinigkeiten an ihr zu korrigieren. Da auch Ihr Geschick mit dem Laser gefragt ist, hielt ich es für angebracht, Sie gleich dazu zu bitten.“

„Gern.“ Jade nahm auf einem der Samtsofas Platz, die um einen niedrigen Tisch herum platziert waren. Viel lieber hätte sie sich allerdings oben in ihrer Suite unterm Dach in einem heißen Schaumbad entspannt.

Wie macht Grace das nur?, überlegte sie, während diese erklärte, was Pia sich gedacht hatte. Grace wirkte taufrisch, heiter und gelassen, als hätte der Arbeitstag erst angefangen, statt sich dem Ende zuzuneigen. Die Frau war wirklich unglaublich!

Ein ausgesprochen anstrengender Tag lag hinter ihnen. Jade wusste kaum noch, wie viele Laseroperationen sie durchgeführt hatte. Der einzige Lichtblick war das einstündige Mittagessen mit Grace gewesen, bei dem sie sich über das finanzielle Ergebnis der Galaveranstaltung unterhalten hatten.

Der Abend war ein voller Erfolg gewesen, sowohl was die Einnahmen betraf als auch das Bekanntmachen der Stiftung. Die monatelange Planung hatte sich ausgezahlt. Langsam ließ die Anspannung der vergangenen Monate nach, in denen Jade den Wohltätigkeitsball bis ins kleinste Detail geplant hatte.

Gleichzeitig war sie enttäuscht. Seit dem Abend hatte sie nichts mehr von dem großen, geheimnisvollen Fremden gehört. Nur die Erinnerungen an die stürmische Begegnung waren ihr geblieben. Eigentlich war ja gar nichts zwischen ihnen passiert. Jedenfalls nichts verglichen mit dem, was hätte geschehen können.

Statt stolz darauf zu sein, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, selbst wenn das nur einem Bürgermeister auf Abwegen zu verdanken gewesen war, hatte Jade das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Sie war schrecklich enttäuscht, dass Loukas Demakis sich nicht bei ihr gemeldet hatte, statt dem Schicksal dankbar zu sein, dem temperamentvollen Mann entgangen zu sein.

Es fiel ihr schwer, sich auf Grace’ Ausführungen zu konzentrieren. Pia hatte eine lange Liste kosmetischer Korrekturen zusammengestellt, die Grace nun mit ihr durchging.

„Was halten Sie davon, Jade? Sollen wir in dieser Reihenfolge vorgehen?“, fragte Grace schließlich. „Sie übernehmen die kleinen Lasereingriffe, bevor ich mich um die Brustvergrößerung kümmere?“

Jade überspielte ihren Unmut und betrachtete das junge Mädchen. Sie sah einen hübschen Teenager mit gut entwickeltem Busen vor sich. Es war eine Sache, Menschen zu helfen, die jünger wirken wollten, als sie waren. Aber eine junge hübsche Frau umzugestalten, die kaum der Pubertät entwachsen war, konnte doch wohl kaum der Auftrag der Klinik sein.

„Sagen Sie mal, Pia, haben Sie sich das auch wirklich gut überlegt?“, fragte sie vorsichtig. „Eine Brustvergrößerung ist kein Spaziergang. Sind Sie sicher, dass Sie die wirklich brauchen?“

Pias Gesicht wurde lang und länger. „Aber ich muss doch etwas tun! Kurt hat gesagt, mir fehlt es an Oberweite, alles andere sei perfekt.“

Jade überflog ihre Notizen. „Und wozu dann die Fettabsaugung?“

„Kurt hasst Fett.“

Was hatte sie denn erwartet? Kurt hatte auch an Pias Nase und an ihren Lippen etwas auszusetzen gehabt. Die frisch gebackene Ehefrau eines Möchtegernpromis hatte einen ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex, als sie vor sechs Monaten das erste Mal die Klinik betreten hatte. Zweifellos hatte der gescheiterte Reality-Show-Kandidat auch darauf bestanden, dass Pia sich die Wangen auspolstern ließ.

„Und was möchten Sie, Pia? Was ist Ihnen wirklich wichtig?“

„Ich will Kurt behalten.“ Sie klang wie ein weinerliches Kind, dem man das Lieblingsspielzeug wegnehmen wollte. Genauso war ihr vermutlich wirklich zumute, denn wenn man Gerüchten glauben wollte, hatte Kurt schon genug von seiner jungen Ehefrau, die er in einer Nacht- und Nebelaktion in Las Vegas geheiratet hatte.

„Keine Sorge, das werden Sie“, sagte Grace beruhigend, warf Jade einen bösen Blick zu, setzte sich zu Pia aufs Sofa und streichelte besänftigend ihre Hand. „Und wir tun alles für Sie, was wir können. Nicht wahr, Jade?“

„Was sollte das eben?“

Jade hatte gerade ihren Blazer übergezogen und nach ihrer Handtasche gegriffen, als Grace ins Büro kam. „Es klang, als wolltest du Pia die Operationen ausreden.“

Müde strich Jade sich über die Stirn und befestigte eine Haarsträhne hinter dem Ohr. „Tut mir leid, Grace, aber ich finde, sie ist zu jung für alle diese Eingriffe. Außerdem hat sie überhaupt keine Schönheitsoperation nötig. Wenn dieser Kurt nicht wäre …“

„Kurt ist ihr Mann. Natürlich möchte sie es ihm recht machen. Unser Job ist es, die Patienten zu beraten und ihnen zu geben, was sie wollen, und nicht, ihnen die Operationen auszureden.“

„Aber sie ist noch so jung!“

„Das wird nicht ewig so bleiben. Wenn wir sie jetzt zufrieden stellen, wird sie unsere Dienste immer wieder in Anspruch nehmen.“ Vielsagend zog Grace eine Augenbraue hoch, was ihre hellen Augen betonte. „Lass dir das mal durch den Kopf gehen. Deine Zukunft hängt von Menschen wie Pia ab. Was du jetzt säst, kannst du dein Leben lang ernten.“

Jade schauderte es bei diesen Worten. War Grace schon immer so zynisch gewesen?

„Braucht die Klinik denn so dringend Geld, dass wir jetzt schon Teenager an Land ziehen müssen?“

„Sie ist freiwillig zu uns gekommen. Natürlich ist das Geld auch nicht zu verachten. Du hast doch sonst nichts dagegen, gut zu verdienen, oder? Ich habe dafür gesorgt, dass du dich hier wohl fühlst, und ich habe dich am Anfang deiner Karriere unterstützt, wo ich konnte. Habe ich dir in meinem Haus nicht sogar eine eigene Wohnung zur Verfügung gestellt? Ich dachte, du arbeitest gern hier, Jade. Wir sind doch ein Team. Aber wenn du dich nicht wohl fühlst …“

Der Blick der älteren Frau verdunkelte sich, und die Anspielung genügte, Jade ein schlechtes Gewissen einzureden.

Grace hatte natürlich recht. Sie war immer fast wie eine Mutter zu ihr gewesen, jedenfalls weit mehr als eine Kollegin. Zweimal hatte sie ihr bereits einen Lebenstraum erfüllt.

Es war nämlich Grace gewesen, die Jade von ihrem hässlichen Feuermal im Gesicht befreit und sie zudem inspiriert hatte, in ihre Fußstapfen zu treten. Jade hatte die Chance nur zu gern ergriffen, denn auch sie wollte anderen Menschen dazu verhelfen, ohne sichtbaren Makel zu leben. Das war sie Grace und sich selbst schuldig. Grace hatte damals ihre Bewerbung befürwortet und Jade eine Stelle an der Klinik verschafft.

Sie verdankte Grace alles – ihren Arbeitsplatz, ihren Erfolg und vor allem die Chance, als ganz normaler Mensch zu leben. Niemand sonst hatte je so viel für sie getan. Erst durch Grace war ihr Leben lebenswert geworden.

Jade konnte und wollte sie also nicht enttäuschen. Schon gar nicht jetzt, nachdem Bürgermeister Goldfinch sein wahres Gesicht gezeigt hatte, von dem Grace wohl allzu bald erfahren würde.

„Entschuldige, Grace“, sagte sie. „Natürlich arbeite ich sehr gern hier.“

„Dann versuch bitte nicht noch einmal, unseren Patienten von Operationen abzuraten. Du bist sehr talentiert, und diese Menschen brauchen dich. Sie würden alles dafür tun, besser auszusehen.“ Grace drückte Jades Arm so fest, dass die künstlichen Fingernägel Abdrücke hinterließen. „Gerade du solltest dir dessen besonders bewusst sein!“

Er hätte sie fast so weit gehabt! Hätte er sie irgendwohin gebracht, wo sie ganz ungestört hätten sein können, wäre sie sein geworden. Selbst jetzt, als er an ihrem champagnerfarbenen Mercedes Coupé lehnte, der auf dem von Palmen gesäumten Parkplatz hinter der Della-Bosca-Klinik stand, meinte er, Jade in seinen Armen zu spüren. Sie war völlig verrückt nach ihm gewesen!

Warm und anschmiegsam hatte sie in seinen Armen gelegen, er hätte sie auf der Stelle nehmen können, wenn der Bürgermeister und seine junge Gespielin ihm nicht dazwischengefunkt hätten. Jade hatte ihn mit ihrem sinnlichen Körper und heißen Küssen so erregt, dass er es kaum erwarten konnte, erneut die Leidenschaft zu entfesseln, die sich hinter ihrem eleganten Äußeren verbarg.

Erwartungsvoll lächelte er vor sich hin, als er seine Sonnenbrille einsteckte. Wenn Jade sich einbildete, ihm entkommen zu können, hatte sie sich gründlich getäuscht. So schnell gab er seine Strategie nicht auf.

Bislang hatte er im Kampf um die Sicherheit seiner Schwester zwar noch nichts erreicht, doch er würde schon etwas finden, was Dr. Della-Bosca das Genick brechen würde, wenn sie auf ihren Manolo-Stilettos unterwegs war. Am einfachsten wäre es, sich das Wissen der jungen Kollegin von Della-Bosca zunutze zu machen.

Bei der nächsten Begegnung würde er schon dafür sorgen, dass Jade es sich nicht wieder anders überlegte. Nächstes Mal gab es kein Entkommen.

Die Aussicht auf die bevorstehende Eroberung erregte ihn. In seinen kühnsten Träumen hatte er nicht erwartet, eine so attraktiv verpackte Informantin präsentiert zu bekommen. Die Vorstellung, das Geschenk auszupacken, erregte ihn nur noch mehr.

Loukas zog eine Hand aus der Hosentasche und sah auf die Uhr. Die Sonne ging auch schon unter. Frau Doktor machte offensichtlich Überstunden. Das Geschäft mit der Schönheit schien zu florieren.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie jemand das Gebäude durch den Seitenausgang verließ. Da war sie ja! Er beobachtete, wie sie einen Clip aus dem Haar zog und den Kopf schüttelte. Die honigfarben schimmernde Pracht fiel ihr bis über die Schultern. Loukas stöhnte unterdrückt. Mit offenem Haar sah sie erst recht zum Anbeißen aus! Da der Clip aus dem Haar verschwunden war, musste Loukas sie von einem Gegenstand weniger befreien.

Jade sehnte sich nach einem Bad. Sollte Grace sich doch die Nächte mit dem Papierkram um die Ohren schlagen, Jade hatte genug für heute. Außerdem hatte Grace es gar nicht nötig, sich selbst um Verwaltungsaufgaben zu kümmern, dafür gab es geschultes Personal. Trotzdem wollte sie alles genau im Auge behalten und erledigte sogar die Buchhaltung selbst. Sie war allen ihren Mitarbeitern ein wirkliches Vorbild.

Erschöpft rieb Jade sich den schmerzenden Nacken, als sie das Gebäude verließ und dem Parkplatz zustrebte. Plötzlich blieb sie stehen.

Er war es. Sie hatte ihn sofort erkannt. Er lehnte an ihrem Wagen und vermittelte den Eindruck, das Auto gehöre ihm. Wusste er, wer die Besitzerin des Sportwagens war? Dumme Frage, natürlich wusste er das! Aber woher? Egal, offensichtlich bekam der Mann sowieso immer, was er wollte – Informationen eingeschlossen.

Und was wollte er hier? Jade musste unwillkürlich daran denken, wie sie sich auf dem Ball aufgeführt hatte. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Am liebsten hätte sie die Erinnerung an den Abend gestrichen. Doch die Gefühle, die Loukas mit seinem durchtrainierten Körper und dem sinnlichen Mund in ihr entfesselt hatte, waren noch sehr präsent.

Sie schluckte. Am liebsten wäre sie in die andere Richtung gegangen, doch warum sollte sie wieder vor ihm weglaufen? Außerdem lehnte er an ihrem Wagen. Also würde dieses Mal Loukas verschwinden müssen.

Jade versuchte, sich ihre Unruhe nicht anmerken zu lassen, und setzte einen Fuß vor den anderen, wobei sie die Blicke des lässig wartenden Mannes auf sich spürte und immer nervöser wurde.

In zwei Metern Entfernung blieb sie schließlich stehen und überlegte, wie sie einsteigen sollte, wenn er an der Autotür lehnte.

Betont höflich nickte sie. „Guten Abend, Mr. Demakis.“

„Wir hatten uns auf Loukas geeinigt. Wie geht es Ihnen, Dr. Ferraro?“

Wenn er glaubte, sie würde ihm erlauben, sie beim Vornamen zu nennen, hatte er sich gründlich getäuscht. „Würden Sie bitte zur Seite gehen? Ich kann nicht in meinen Wagen einsteigen.“

Er tat überrascht. „Ach, das ist Ihr Auto? Nein, so ein Zufall.“

„Ja, wirklich ein unglaublicher Zufall.“ Er sollte ruhig wissen, dass sie sich nichts vormachen ließ.

„Wir scheinen eine gemeinsame Vorliebe für diese Automarke zu haben.“ Loukas wies auf den eleganten Mercedes Sportwagen neben ihrem. Natürlich war er einige Nummern größer und teurer als ihr eigener mit dem Stoffverdeck. „Ich frage mich, was uns noch alles verbindet.“

Sein unverbindliches Geplänkel machte sie nervös, zumal der Blick seiner wunderschönen kastanienfarbenen Augen alles andere als unverbindlich wirkte. Obwohl Loukas sie eher kühl ansah, wurde ihr heiß, und ein erwartungsvoller Schauer durchlief sie. Sofort fiel ihr wieder ein, wie sehr er sie auf der Gala am Sonnabend erregt hatte.

Wie war das möglich? Er wirkte so kühl und unnahbar, und trotzdem wurde ihr heiß unter seinem Blick.

Verzweifelt überspielte Jade ihre Gefühle und suchte in der Handtasche nach ihrem Autoschlüssel.

„Wer weiß“, sagte sie, kam näher und hob vielsagend den Schlüssel hoch. „Würden Sie jetzt bitte Platz machen?“

Er rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle, sondern lehnte noch immer lässig an der Wagentür.

Sie hatte Bedenken, näher zu kommen.

„Sind Sie gar nicht neugierig? Haben Sie keine Lust, es herauszufinden?“

Jade bemerkte das herausfordernde Glitzern in seinen Augen und das freche Lächeln. Was will er hier? Ob er mich für leichte Beute hält? Erwartet er, dass ich mit ihm ins Bett gehe und da weitermache, wo wir am Sonnabend in der Bibliothek aufgehört haben?

Oder interessiert er sich tatsächlich für mich und will mich näher kennenlernen?

Natürlich war sie neugierig. Aber nicht darauf, welche Gemeinsamkeiten sie eventuell verbanden. Es war ihr egal, was er von ihr wollte, jedenfalls würde sie sich nicht wieder von ihm überrumpeln lassen. Das eine Mal war schon zu viel gewesen.

Sollte er tatsächlich ein ehrliches Interesse an ihr haben, dann würde er wohl bald merken, dass es kaum die richtige Methode war, jemanden näher kennen zu lernen, indem man ihn nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag auf dem Parkplatz überfiel.

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin überhaupt nicht neugierig“, log sie. „Und ich muss mich jetzt wirklich auf den Weg machen. Vielleicht könnten Sie sich freundlicherweise an Ihren eigenen Wagen lehnen, dann geht’s bei mir los.“

Loukas lachte laut und richtete sich auf.

Na endlich, dachte sie. Jetzt kann ich gleich von hier verschwinden. Doch er stand noch immer vor der Autotür und war ihr jetzt so nah, dass es zwischen ihnen knisterte. Sofort wurde sie daran erinnert, wie es gewesen war, in seinen Armen zu liegen und ihn zu spüren. Wenn sie die Hand ausstreckte, könnte sie ihn wieder berühren und seinen warmen aufregenden Körper spüren.

„Sind alle Australierinnen so erfrischend direkt?“

Jade blinzelte. Die Phantasie war mit ihr durchgegangen. Wahrscheinlich würde sie sich gleich vorstellen, wie sie mit ihm im Bett landete. Ich muss hier weg, dachte sie verzweifelt und hob herausfordernd das Kinn. „Sind alle Söhne erfolgreicher Griechen so stur wie Sie? Ich habe Sie lediglich sehr höflich gebeten, mir Platz zu machen.“

Loukas ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Lange und ausgiebig betrachtete er Jade. Als sie schließlich fast die Hoffnung aufgegeben hatte, in ihren Wagen steigen zu können, und drauf und dran war, ein Taxi zu rufen, machte Loukas plötzlich einen Schritt nach links. Endlich konnte Jade die breite Wagentür aufziehen. Allerdings hatte Loukas nur so wenig Platz gemacht, dass sie sich an ihm vorbei hinters Steuer zwängen musste. Auch das noch!

Sie wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen, denn sie ahnte, was passieren würde, wenn sie ihm wieder so nah war.

„Sie haben mich noch gar nicht gefragt, warum ich hier bin“, sagte er, als sie sicher auf dem Fahrersitz saß.

„Warum haben Sie es mir nicht erzählt? Immerhin hatten sie lange genug Gelegenheit dazu.“ Sie drehte den Zündschlüssel um und ließ den Motor aufheulen.

Loukas ging neben der Fahrertür in die Hocke und stützte sich mit einem Arm aufs Fenster, den anderen hatte er aufs Verdeck gelegt. Sein Gesicht war Jades bedrohlich nah. Sie atmete seinen erregenden Duft ein. Loukas ignorierte einfach, dass sie es gar nicht erwarten konnte, endlich loszufahren.

Sie fühlte sich plötzlich sehr verletzlich und ausgeliefert.

„Bitte geben Sie mir noch eine Minute“, bat er. „Ich würde Ihnen gern erklären, warum ich hier bin.“

Der Duft wirkte wie eine Droge. Jade konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie wollte nur noch fort. Trotzdem nickte sie. „Also gut, Sie haben eine Minute, mir zu erklären, was Sie hier wollen.“

„Ich möchte Sie zum Abendessen einladen.“

Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken. Abendessen klang gut, solange er nicht sie zu verspeisen gedachte! Erwartete er, dass sie sich ihm nach dem Hauptgang als Nachtisch präsentierte? Sie biss sich auf die Lippe, und ihr war klar, dass dieser Mann ihr gefährlich werden konnte. Vielleicht machte das gerade den Reiz aus. Während der vergangenen Tage hatte sie sich immer wieder vorgestellt, wie es wäre, mit dem Mann Liebe zu machen, wie es sich anfühlen würde, ihn in sich zu spüren. Ob die Realität so überwältigend sein konnte wie die Phantasien der letzten Nächte? Vielleicht würde der richtige Mann den Liebhaber in ihren Träumen sogar in den Schatten stellen.

Die Vorstellung nahm Jade den Atem. Mühsam dämmte sie die Wogen der Erregung ein. Was war nur mit ihr los? Kaum war Loukas ihr nah, ging die Phantasie mit ihr durch. Einmal konnte ich ihm entkommen, dachte Jade. Ein zweites Mal wird mir das nicht gelingen.

„Tut mir leid“, sagte sie daher. „Ich habe heute Abend schon etwas vor.“

„Dann eben morgen Abend.“

Sie schluckte. „Ich halte das für keine gute Idee. Tut mir leid, aber Sie verschwenden nur Ihre Zeit.“

Statt sich endlich geschlagen zu geben und seinerseits wegzufahren, blieb er, wo er war. „Die Minute ist noch nicht um“, behauptete er. „Ich bin überzeugt, dass Sie meine Einladung gern annehmen würden.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte sie ungeduldig.

„Weil sie mit einer Spende in Höhe von einer Million Dollar für die Stiftung verbunden ist.“

4. KAPITEL

Völlig perplex sah sie ihn an. So hohe Spendenbeträge wurden ausgesprochen selten geleistet. Außerdem ließen Wohltäter sich zumeist lange bitten, bevor sie zu so großzügigen Spenden bereit waren. Eine Million Dollar! Die neu gegründete Stiftung zur Unterstützung bedürftiger Kinder im Ausland würde damit umgehend die Arbeit aufnehmen können. Und als Gegenleistung für die Spende muss ich nur mit ihm essen gehen, dachte Jade ungläubig.

Die Sache musste einen Haken haben!

„Lassen Sie mich das noch einmal zusammenfassen. Sie spenden der Stiftung eine Million Dollar und verlangen dafür lediglich, dass ich mit Ihnen zu Abend esse?“

„Ja, so einfach ist das.“

Nichts war so einfach. Schon gar nicht in dieser Stadt. Jade zog eine Augenbraue hoch.

„Versuchen Sie, mich zu kaufen, Mr. Demakis?“

„Bitte sagen Sie doch Loukas.“

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

„Ich versuche lediglich, die hervorragende Arbeit Ihrer Stiftung zu unterstützen. Das ist alles.“

„Es ist also kein Versuch, durch die Hintertür da weiterzukommen, wo Sie Sonnabend aufgehört haben?“

Er betrachtete sie neugierig. „Haben Sie sich das erhofft?“

Ihr wurde ganz heiß, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Sie haben mich falsch verstanden. Ich möchte einfach klare Verhältnisse schaffen. Ich werde Ihre großzügige Spende nicht annehmen, falls Bedingungen daran geknüpft sind.“

Loukas musterte sie nachdenklich. „Glauben Sie wirklich, ich würde eine Million Dollar für etwas bezahlen, was ich gratis hätte haben können?“

Jade machte beschämt die Augen zu. Seine Worte wirkten wie eine kalte Dusche. Natürlich hatte er recht. Wieso sollte er denken, so viel Geld für sie bezahlen zu müssen? Sie hatte ihm in der Bibliothek ja nur zu deutlich gezeigt, dass er sie kostenlos haben konnte.

Sie schlug die Augen wieder auf, als Loukas ihr Kinn umfasste und sie zwang, ihn anzusehen. „Hoffentlich verstehen Sie mich nicht falsch“, meinte er leise.

Ihr Herz begann, aufgeregt zu pochen. Sie versuchte, Loukas’ Blick zu deuten. Wie konnte man den Satz falsch verstehen?

Loukas wusste genau, was in ihr vorging. Leise sagte er mit samtweicher Stimme: „Wenn du mit mir schläfst, dann nicht, weil ich dich dafür bezahle, sondern weil du es willst.“

Sie schluckte. Verzweifelt bemühte sie sich um Haltung.

„Wenn du mit mir schläfst“, hatte er gesagt. Nicht „falls“.

Am liebsten hätte sie ihn in die Schranken gewiesen und ihn gefragt, was ihm eigentlich einfiele. Andererseits musste sie zugeben, dass er recht hatte. Sie fühlte sich ja zu ihm hingezogen wie nie zuvor zu einem Mann. Es war ihr auch gleichgültig, ob es nur Lust oder überwältigende Anziehungskraft oder sonst etwas war, das sie verband, allein die Vorstellung, mit ihm Liebe zu machen, löste ein feuriges Prickeln in ihr aus.

Schließlich hatte sie sich wieder gefasst. „Sie sind wirklich sehr selbstsicher, Mr. Demakis.“

Er hielt noch immer ihr Kinn umfasst und beugte sich vor. „Ich bin nicht nur meiner selbst sicher“, behauptete er, bevor er sie küsste.

Die Berührung seiner Lippen war ganz sanft, kaum wahrnehmbar. Die Liebkosung war eher zu erahnen, als zu spüren. Sein Atem streichelte Jade und vereinte sich mit ihrem. Sehnsüchtig wartete sie auf einen richtigen Kuss.

Die Müdigkeit war wie weggeblasen. Jade war plötzlich hellwach, fühlte sich sehr lebendig und ganz besonders. Als sie endlich richtig geküsst wurde, wurde ihr bewusst, warum sie die erneute Begegnung mit Loukas gefürchtet hatte: weil sie ihm hoffnungslos verfallen war. Sie hatte nicht die Kraft, sich seinen Liebkosungen noch einmal zu entziehen. Das wollte sie auch gar nicht, denn sie fühlte sich wie im siebten Himmel.

Sie hatte das Gefühl, ihre andere Hälfte gefunden zu haben. Loukas’ Küsse waren süß und zärtlich und wie gemacht für sie. Ein merkwürdiges Stöhnen riss sie aus ihrer Hingabe. Überrascht musste sie feststellen, dass sie vor Verlangen gestöhnt hatte. Sie war völlig hin und weg gewesen.

Als Loukas den Kuss beendete, wusste sie, dass es absolut keinen Sinn hatte zu leugnen, wie sehr sie sich danach sehnte, mit diesem sinnlichen Mann zu schlafen. Natürlich war auch er sich dessen bewusst.

Als sie zögernd die Augen öffnete, hatte sie fast Angst, seinem Blick zu begegnen. Was würde sie darin lesen? Triumph?

Loukas hielt noch immer ihr Kinn umfasst. Jade sah ihn an. Was sie in seinem Blick las, war beunruhigend. Nicht nur Arroganz und Siegesgewissheit, sondern auch Verwirrung und Fragen. Fragen, die sie nicht einmal verstand, geschweige denn beantworten konnte.

Eine Frage konnte sie allerdings gleich beantworten. „Ja“, sagte Jade und ließ die Zunge über ihre Lippen gleiten, um Loukas noch einmal zu schmecken.

Er sah sie fragend an. „Was meinst du?“

„Ja.“ Zu allem, was du willst. „Wenn du der Stiftung wirklich eine Million Dollar spendest, dann esse ich mit dir zu Abend.“

„Genau kann ich auch nicht sagen, was mich stört, Grace. Aber irgendwas stimmt da nicht.“ Jade, die nervös im Wohnzimmer hin und her gegangen war, blieb stehen und stützte sich auf die Rückenlehne eines der pfirsichfarbenen Sofas, während Grace, die auf dem Sofa gegenüber Platz genommen hatte, ungerührt eine Tasse Kaffee nach dem Abendessen trank.

Jade hatte Grace’ Rückkehr von der Klinik kaum erwarten können, weil sie ihr unbedingt gleich von Loukas’ Spendenabsichten erzählen wollte. Nach der Meinungsverschiedenheit am Spätnachmittag brannte sie darauf, der Klinikchefin die gute Nachricht mitzuteilen. Inzwischen war sie sich allerdings nicht mehr so sicher, ob es wirklich so eine gute Nachricht war – wenigstens nicht für sie persönlich.

„Du kannst es dir nicht mehr anders überlegen“, sagte Grace. „Du hast seine Einladung doch schon angenommen.“

Jade senkte den Blick und betrachtete die Dellen, die ihre Hände auf dem weichen Leder der Sofarückenlehne hinterlassen hatten. „Ich könnte behaupten, keine Zeit zu haben. Vielleicht spendet er trotzdem.“

„Du willst also tatsächlich riskieren, mich um eine Million Dollar zu bringen? Das kommt überhaupt nicht in Frage! Du wirst, wie vereinbart, zum Abendessen mit ihm gehen.“

Jade sah plötzlich auf. „Das Geld ist nicht für dich, Grace, sondern für die Stiftung.“

„Ja, sicher.“ Grace stellte die leere Tasse zurück auf die Untertasse. „Aber wer unterstützt denn die Stiftung, falls nicht genug Spenden zusammenkommen? Die Klinik.“ Sie zeigte mit dem Finger auf sich. „Und die Klinik bin ich.“

„Aber die Stiftung verfügt über genug Kapital. Die Gala allein müsste so viel eingebracht haben, dass wir zwei Jahre problemlos arbeiten können. Du wirst also in nächster Zukunft kaum Geld zuschießen müssen.“

Grace hob warnend die Hand. „Trotzdem bin ich diejenige, die das Geld aufbringen muss, wenn es nicht so läuft. Eine Million Dollar wären ein gutes Polster. Die Klinik hatte in der letzten Zeit genug unvorhergesehene Ausgaben.“

Jade horchte auf. „Das höre ich zum ersten Mal. Was sind das für Ausgaben?“

„Ach, ich wollte dich damit nicht belasten. Es ist einfach nur ärgerlich. Stell dir vor, da will mich jemand verklagen, weil die Operation nicht so gelaufen ist, wie er sich das vorgestellt hat. In einem anderen Fall soll ich bei einer Operation fahrlässig gehandelt haben. Die Anwälte haben mir zu einem Vergleich geraten.“

„Noch mehr Fälle? Das ist ja schrecklich!“ Jade setzte sich zu Grace aufs Sofa. „Offensichtlich betrachten sie dich als leichte Beute. Vielleicht solltest du dieses Mal wirklich vor Gericht gehen und dich wehren. Wenn du jedes Mal einem Vergleich zustimmst, werden dich noch mehr Leute auszunehmen versuchen.“

Grace klopfte ihr auf die Hand. „Danke. Ich wollte mich auch vor Gericht zur Wehr setzen, aber die Anwälte wollen vermeiden, dass die Öffentlichkeit Wind von der Geschichte bekommt. Der gute Ruf der Klinik könnte Schaden nehmen.“ Sie zuckte die Schultern. „Sie sind die Fachleute. Es hätte wenig Sinn, mit ihnen zu diskutieren.“

„Aber es kann doch nicht gut fürs Geschäft sein, immer zu zahlen, um die Leute ruhig zu halten. Was wird aus dem Anbau für die Klinik? Verläuft alles nach Plan, oder gibt es jetzt Verzögerungen?“

„Der Anbau ist kein Problem – dank des Bürgermeisters. Er hat versprochen, den Bauauftrag zu übernehmen und uns einen guten Preis zu machen. Ein Glück, dass er mir zur Seite steht. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn täte.“

Unwillkürlich zuckte Jade zusammen. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn der Bürgermeister Grace endlich in Ruhe ließe. Es war nicht auszudenken, wie Grace reagieren würde, wenn sie herausfand, was für ein mieses Spiel der Bürgermeister mit ihr trieb. Zu allem Überfluss war sie jetzt auch noch vertraglich für ein Jahr an ihn gebunden – bis zum Ende der Bauarbeiten.

Jade beschloss, ihr Wissen um die Machenschaften des Bürgermeisters für sich zu behalten. Grace sollte die Wahrheit selbst herausfinden. „Vielleicht solltest du die Bauarbeiten verschieben“, schlug sie vorsichtig vor. „Jedenfalls so lange, bis die rechtlichen Auseinandersetzungen geklärt sind, bevor du noch mehr Geld ausgibst.“ Und du den Bürgermeister in die Wüste geschickt hast, fügte sie insgeheim hinzu.

„Das ist nicht nötig. Alles läuft wie geplant. Der Bürgermeister hat dafür gesorgt. Bevor ich jetzt ein heißes Bad nehme und schlafen gehe, möchte ich noch eins wissen: Du wirst doch morgen Abend mit diesem Mann essen gehen, oder?“

Jade seufzte. „Ich weiß es nicht, Grace. Ich weiß nicht mal, ob ich ihm glauben soll. Wenn er der Stiftung eine so großzügige Spende machen will, warum hat er das nicht auf der Gala erwähnt? Wir hätten das ganz groß ankündigen können. Warum rückt er erst jetzt damit heraus?“

Grace stand auf. „Wenn er bereit ist, so viel Geld zu spenden, dann kann er auch die Umstände bestimmen. Und es handelt sich ja nur um ein Abendessen.“ Prüfend blickte sie auf die jüngere Frau herab. „Oder meinst du, er erwartet mehr für sein Geld? Glaubst du, er will mit dir ins Bett?“

Jade senkte verlegen den Blick. Nicht die direkte Frage beschämte sie, sondern das, was Loukas vorhin auf dem Parkplatz gesagt hatte. Glauben Sie wirklich, ich würde eine Million Dollar für etwas bezahlen, was ich gratis hätte haben können?

Sie schluckte. „Er hat mir versichert, es ginge ihm nur um ein Abendessen mit mir.“

„Dann ist ja alles gut. Wir wollen uns doch nichts vormachen, Jade: Du hast erst ein Problem, wenn er erwartet, dass du dich ausziehst. Wenn er deine Narben sieht, will er vielleicht sein Geld zurückhaben. Das wollen wir doch nicht, oder?“

„Hast du manchmal Heimweh?“

Jade nippte an ihrem Margarita und blickte nachdenklich aus dem Fenster des Restaurants. Ihr Blick ruhte auf dem Pier mit seinen Fahrgeschäften und Jahrmarktbuden und den Lichtern entlang der Santa Monica Bay.

Als sie die Einladung zum Abendessen angenommen hatte, hätte sie nie gedacht, dass Loukas sie in dieses schlichte Restaurant führen würde. Sie war angenehm überrascht von der entspannten Atmosphäre, in der es ihr leicht fiel, sich mit ihm zu unterhalten. Jedenfalls bis zu dem Moment, als er nach ihrer Heimat gefragt hatte.

Sie ließ den Blick über die Lichter entlang der Küste gleiten, bis sie vom aufsteigenden Nebel verschluckt wurden. Hier war alles ganz anders als in der ländlichen Kleinstadt Yarrabee, wo sie aufgewachsen war. Nach Sydney und zum Meer fuhr man fünf Stunden und tauchte in eine andere Welt ein. In Yarrabee war alles den Jahreszeiten und dem Wetter unterworfen, die Menschen, das Vieh, die Ernte – einfach alles, sogar das Leben selbst.

Man musste allerdings dazugehören.

Jade hatte nicht dazugehört. Sie hatte stets versucht, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen, und hatte sich manchmal gewünscht, nie das Licht der Welt erblickt zu haben.

Noch heute dachte sie mit Unbehagen an das Leben in Yarrabee zurück, wo sie sich wie eine Ausgestoßene gefühlt hatte. Heimweh empfand sie ganz bestimmt nicht.

Nicht einmal Sydney, wo sie ihr Medizinstudium absolviert hatte, bedeutete ihr etwas. Vielleicht lag es daran, dass niemand dort auf sie wartete.

Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Loukas noch immer auf eine Antwort auf seine Frage wartete.

„Ob ich Heimweh habe? Nein, eigentlich nicht.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich habe lediglich den Sonnenschein in Australien gegen den von Kalifornien getauscht. Mein Zuhause ist jetzt hier, und darüber bin ich ganz glücklich.“

So einfach war das also. War ihr denn gar nicht bewusst, was für einen Eindruck diese Einstellung auf ihn machen musste? Ohne Bedauern hatte sie sich auf einen Geschäftszweig verlegt, der gerade in dieser nordamerikanischen Stadt besonders lukrativ war, wo fast alle dem Schönheitswahn verfallen waren. Jade musste doch Angehörige haben. Bedeuteten die ihr gar nichts? Was für eine Frau war sie überhaupt?

„Und was ist mit deiner Familie?“, fragte er daher und dachte an seinen eigenen Vater, der noch immer Olympias Leben bestimmen und sie behüten wollte, obwohl sie inzwischen verheiratet war. „Wie kommen deine Eltern damit zurecht, dass du so weit fort bist?“

Jade sah ihn an. „In dieser Beziehung habe ich Glück. Ich habe keine Familie mehr.“

Langsam gewann Loukas den Eindruck, dass Jade ihre Gründe gehabt haben musste, Australien zu verlassen. Wie konnte jemand behaupten, sich glücklich zu schätzen, keine Familie mehr zu haben?

„Was ist mit deiner Familie passiert?“

Jade verzog das Gesicht und lehnte sich zurück. „Ach, das willst du doch gar nicht hören. Es ist alles so lange her.“

„Ich würde es wirklich gern wissen.“

Wieder sah sie ihn mit ihren strahlend blauen Augen an. Offensichtlich überlegte sie, ob sie ihm den Gefallen tun sollte. Schließlich holte sie tief Luft. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Ich kenne sie nur von Fotos.“

„Sie muss eine sehr schöne Frau gewesen sein.“

Ein strahlendes Lächeln huschte bei der Erinnerung über ihr Gesicht. „Du wirst es kaum glauben, aber als sie siebzehn war, wurde sie zur Schönheitskönigin von Yarrabee gewählt.“

„Das glaube ich dir aufs Wort.“ Er wusste zwar nicht, welchem Eingriff Jade sich in der Della-Bosca-Klinik unterzogen hatte, war sich jedoch sicher, dass die OP völlig überflüssig gewesen sein musste, denn Jade war von Natur aus schön. „Und jetzt wirst du mir gleich erzählen, dass du in ihre Fußstapfen getreten bist.“

Das Lächeln verschwand, Jade senkte den Blick. Traurig sagte sie schließlich: „Nein, ich habe mich nie beworben.“

Er beobachtete, wie sie ihr Glas hin und her schwenkte, und das Salz am Glasrand sich langsam auflöste. Bevor sie an die Vergangenheit erinnert wurde, war Jade fröhlich und entspannt gewesen. Würde es ihm gelingen, sie noch einmal zu dem umwerfenden Lächeln zu bewegen? Was musste er tun, damit sie ihm ihr hinreißendes Lächeln schenkte? Im Moment war ihr allerdings mehr nach Reden zumute, und diese Stimmung wollte er ausnutzen, vielleicht erhielt er wichtige Informationen.

„Wie alt warst du, als dein Vater starb?“

„Da war ich zum Glück schon fünfzehn.“

„Woran ist er gestorben?“

„Uns gehörte ein Stück Land außerhalb von Yarrabee. Eines Abends kam mein Vater nicht zum Abendessen. Also habe ich ihn gesucht. Vielleicht war der alte Traktor wieder stehen geblieben. Vater hatte schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken gespielt, einen neuen anzuschaffen, aber uns fehlte das Geld dazu.“

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb....
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