Julia Best of Band 208

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BELLA UND DER GEHEIMNISVOLLE WÜSTENPRINZ
Endloser Sand und mörderische Hitze: Wenn kein Wunder geschieht, ist Bella Balfour verloren. Hoffnungslos hat sie sich in der Wüste verirrt - als plötzlich ein Reiter heransprengt und sie in eine Oase bringt. Doch die Gefahr ist noch lange nicht vorbei. Denn ihr Retter, Scheich Zafid Hadad, erwartet von Bella, was er selbst jeden Tag leben muss: allen Menschen mit Würde zu begegnen. Und das ist schwierig für die verwöhnte Society-Prinzessin! Wenn sie sich jemals fügt, dann nur aus unsterblicher Liebe und glühender Leidenschaft - wie sie der Scheich in ihr geweckt hat …

WIE EIN STERN IM DUNKEL DER NACHT
Glamouröse Partys, betörende Frauen - nichts kann die Eiseskälte vertreiben, die den berühmten Architekten Lucas Jackson erfüllt, seit sein kleiner Sohn sterben musste. Gequält von Schuldgefühlen zieht er sich auf seinen einsamen Landsitz zurück. Da taucht überraschend seine Assistentin Emma auf. Ein Unwetter zwingt sie zum Bleiben - die ganze Nacht. Und während der Schneesturm draußen vor den Fenstern tobt, existieren für Lucas plötzlich nur noch Emmas schöne braune Augen, ihre sinnlichen zarten Lippen. Kann Emmas Wärme die Erstarrung in Lucas lösen?

DR. SANTINIS GEHEIMNIS
Vom ersten Moment an ist Dr. Carlo Santini von der jungen Suzannah bezaubert! So hingerissen ist er von ihr, dass er ihre Einladung zu einem romantischen Weihnachtsabend annimmt. Dabei weiß Carlo genau, dass ihnen nur ein Glück auf Zeit vergönnt ist. Denn er hat ein Geheimnis, das Suzannah niemals erfahren darf...


  • Erscheinungstag 21.12.2018
  • Bandnummer 0208
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710750
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan

JULIA BEST OF BAND 208

1. KAPITEL

Sand, Sand und noch mehr Sand …

Ihr Vater hätte sich keinen entlegeneren Ort ausdenken können als diesen, höchstens den Mond. Und wäre das wirklich möglich gewesen, hätte er ganz sicher einen entsprechenden Scheck ausgefüllt! dachte Bella wütend. Während sie gelangweilt mit den nackten Zehen im grobkörnigen Wüstensand spielte, sah sie missmutig um sich.

Wahrscheinlich hätte er mich am liebsten auf den Roten Planeten geschossen … den Mars. Warum nur musste es ausgerechnet die Verbannung in die Wüste sein? Warum nicht eine Strafexpedition in ein schickes Spa in der Fifth Avenue?

„Bella?“

Als sie ihren Namen hörte, stöhnte Bella verhalten auf. Jetzt schon? So früh? Der Morgen dämmerte doch gerade erst. Widerstrebend wandte sie sich in Richtung der Stimme. Er trägt nicht die leiseste Schuld an diesem Desaster, ermahnte sie sich. Es ist also nicht fair, meinen Frust und meine Wut an ihm auszulassen.

Also zwang sie sich zu einem Lächeln. „Ziemlich früher Start, oder?“

„Ich habe schon lange vor Sonnenaufgang meditiert.“ Erste vorwitzige Strahlen der heißen arabischen Sonne zauberten gleißende Lichtreflexe auf das weiße Gewebe seiner schlichten, langen Robe.

Nur mit Mühe unterdrückte Bella ein Gähnen. „Ich persönlich starte lieber mit einem schwarzen Kaffee.“

„Um den neuen Tag recht zu beginnen, sollten Sie sich an dem erfreuen, was Sie hier umgibt“, riet der alte Mann sanft. „Es gibt nichts Beruhigenderes, als einen Sonnenaufgang in der Wüste zu beobachten. Umgeben von Erhabenheit und Stille. Empfinden Sie diesen Frieden nicht auch als sehr wohltuend?“

„Ganz ehrlich?“ Bella schnitt eine kleine Grimasse. „Das Ganze hier treibt mich in den Wahnsinn!“

Instinktiv wollte sie ihr Handy hervorziehen und erinnerte sich erst verspätet daran, dass es zusammen mit allen anderen Dingen, die ihr den Kontakt zur Außenwelt ermöglicht hätten, konfisziert worden war. Entnervt starrte Bella zunächst auf ihre leere Handfläche, dann auf die ramponierten Fingernägel. Hätte sie jetzt die Wahl zwischen einem Kaffee und einer Maniküre gehabt, würde sie sich unbedingt für Letztere entscheiden.

„Leben Sie eigentlich immer hier?“, fragte sie den alten Mann mit einem bezeichnenden Rundumblick.

„Nein, ich halte mich nur vorübergehend an diesem wunderschönen Ort auf. Sobald unser gemeinsamer Weg endet, ziehe ich weiter.“

„Ich wäre schon nach einer Minute wieder verschwunden, wenn ich die Chance dazu bekommen hätte! Seit zwei Wochen bin ich jetzt hier, und für mich fühlt es sich an wie eine Ewigkeit.“

Wie konnte ihr Vater nur so grausam sein und ihr das antun? Seinetwegen war sie von allem abgeschnitten, was ihr Leben ausgemacht hatte. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie nichts dringender brauchte als Trost und menschliche Nähe …

Die schockierende Entdeckung, die gerade erst zwei Wochen zurücklag, hatte sie zutiefst verstört. Bella fühlte sich wie benommen und emotional ausgelaugt. Die Person, die sie vor jenem katastrophalen Abend gewesen war, gab es nicht mehr. Ebenso wenig wie die naiven Kleinmädchenvorstellungen von Glück und Familie, die sie ein Leben lang genährt und bewahrt hatte.

Du hättest einfach nicht hinschauen dürfen, Bella, warf sie sich jetzt nachträglich vor. Doch es war zu spät. Sie hatte die Büchse der Pandora geöffnet, und jetzt zahlte sie den Preis dafür.

„Sie erlauben Ihren Emotionen, Sie in die Fänge zu nehmen, wie der Falke seine Beute ergreift“, sagte Atif, der sie die ganze Zeit über mit der gleichen unbeirrbaren Ruhe und Gelassenheit betrachtet hatte, die er auch während ihrer gemeinsamen Sitzungen ausstrahlte. „Sie sind verärgert und trotzig, doch Ihr Vater hat Sie nur zu Ihrem Besten hierher geschickt.“

„Er will mich bestrafen, weil ich ihn bloßgestellt habe“, widersprach Bella, schlang die Arme schützend um ihren Oberkörper und fragte sich, wie man in brütender Hitze frösteln konnte. „Ich habe die Familie bloßgestellt und damit den Namen Balfour in Misskredit gebracht. Mal wieder!“

Doch was die skandalöse Entdeckung in ihr angerichtet hatte, dafür interessierte sich natürlich niemand! Dabei stand jedes winzige Detail des furchtbaren Ballabends immer noch lebendig vor ihrem inneren Auge. Wieder spürte Bella den dicken Kloß im Hals, der ihr schon seit zwei Wochen das Atmen schwer machte. Wenn sie nur wüsste, was ihre Schwester Olivia von all dem hielt … wie sie dachte und fühlte.

Sie hätte so gern wieder gutgemacht, was sie angerichtet hatte!

Ihr Benehmen war abscheulich und unverzeihlich gewesen, das wusste Bella. Doch sie hatte sich so unglaublich verletzt und betrogen gefühlt – regelrecht am Boden zerstört. Außerdem hatte Olivia sich auch nicht gerade zurückgehalten …

„Darf ich ganz kurz mein Handy haben, um eine SMS zu verschicken?“ Plötzlich erschien es ihr extrem wichtig, ihrer Zwillingsschwester eine Nachricht zukommen zu lassen. „Oder darf ich wenigstens Ihren Computer benutzen? Seit zwei Wochen habe ich meine E-Mails nicht gelesen!“

„Das ist nicht möglich, Bella.“

„Ich werde langsam verrückt, Atif! Tonnen von Sand und Totenstille sind eine furchtbare Kombination!“ Mit einer verzweifelten Geste drehte sie sich im Kreis und wies anklagend auf die karge Landschaft, bis ihr Blick an einigen niedrigen weißen Gebäuden hängen blieb. Sie waren Bella schon kurz nach ihrer Ankunft aufgefallen. „Was ist mit diesen Stallungen da hinten? Kann ich nicht wenigstens einmal dorthin ausreiten? Nur für eine Stunde?“

„Sie gehören nicht zu unserer Oase der Einkehr. Die Ställe sind Privatbesitz.“

„Was für ein seltsamer Platz, um Pferde zu halten“, stellte Bella mehr für sich fest und betrachtete die Wachen am Eingang der Anlage. „Wenn ich also kein Pferd ausleihen darf, kann ich dann wenigstens meinen iPod haben? Mit Musik würde ich mich auf jeden Fall besser entspannen.“

Atif lächelte sanft. „Silence is golden … sagt man das nicht so in Ihrer Sprache?“

„Hier ist alles irgendwie golden!“ Das klang wie ein Vorwurf. Frustriert stieß Bella die nackten Zehen in den Wüstensand. Dann kam ihr plötzlich eine verwegene Idee.

Eine ungeheuerliche, wagemutige Idee!

„Diese Stadt, durch die wir auf dem Weg hierher gefahren sind … wie ist sie so?“

„Al-Rafid ist ein Scheichtum, das für sein außerordentlich reiches Kulturerbe berühmt ist“, gab Atif bereitwillig Auskunft.

„Gibt es dort Öl?“ Bella musste sich regelrecht zwingen, einen leichten Konversationston anzuschlagen, um sich nicht zu verraten. Sie konnte Atif schließlich nicht freiheraus nach dem fragen, was sie wirklich interessierte.

Zum Beispiel: Wie weit ist es von hier bis dorthin? Und: Gibt es dort eine High-Speed-Internetverbindung?

„Sogar riesige Ölvorkommen“, klärte Atif sie auf. „Der regierende Scheich gilt als kluger, wenn nicht gerissener Geschäftsmann. Er hat die einst verschlafene, altertümliche Wüstensiedlung in ein internationales Handelszentrum verwandelt. Die Bauwerke entlang der Küste sind ebenso modern und spektakulär wie in Manhattan oder Canary Wharf. Nur ein paar Straßen weiter gelangt man in die Altstadt, die gespickt ist mit wundervollen Beispielen persischer Architektur. Der Al-Rafid-Palast ist das beeindruckendste unter den antiken Bauwerken. Er ist allerdings nur selten für den Publikumsverkehr geöffnet, da der Scheich und seine Familie ihn meistens selbst als Wohnsitz nutzen.“

Bella seufzte theatralisch. „Der Glückliche! Er darf wenigstens in der Stadt leben! Wahrscheinlich hasst er die Wüste genauso wie ich.“

„Im Gegenteil. Scheich Zafid liebt die Wüste sehr. Gleichzeitig ist er ein hochgebildeter, ernsthafter und entschlossener Mann, dem es gelungen ist, in diesem traditionellen Scheichtum, speziell im wirtschaftlichen Bereich, einen westlichen Führungsstil zu etablieren. Doch seine Wurzeln hat er nicht vergessen. Eine Woche im Jahr erlaubt er sich eine Auszeit in der Wüste. Er ist ein mächtiger Herrscher. Manche bezeichnen ihn als hart und skrupellos. Aber er ist auch ein Mann, der sich seiner großen Verantwortung und seiner Würde sehr bewusst ist.“

Würde!

Das war das letzte Wort gewesen, das sie von ihrem Vater zu hören bekam, bevor er sie in die Verbannung geschickt hatte! Unbehaglich trat Bella von einem Fuß auf den anderen.

„Dieser Scheich … wahrscheinlich ist er mit acht Frauen verheiratet und hat hundert Kinder?“, fragte sie, um das vage Schuldgefühl zu verdrängen, das sich in ihr meldete.

„Seine Hoheit hat noch keine Gemahlin auserwählt“, informierte Atif sie steif. „Sein Familienhintergrund ist ziemlich kompliziert.“

Bella lachte hohl. „Ich wette, nicht halb so chaotisch wie meiner!“

Der alte Mann neigte leicht den Kopf. „Seine Mutter war eine Prinzessin, die von allen sehr verehrt wurde. Unglücklicherweise starb sie, als er noch im Säuglingsalter war.“

Plötzlich hatte Bella das Gefühl, unversehens einen Fausthieb in den Magen zu bekommen. „Seine Mutter ist tot?“, echote sie.

Was für eine seltsame Parallele. Genau wie sie selbst hatte der Scheich offenbar seine Mutter verloren, als er noch sehr klein gewesen war. Bella wollte mehr von diesem mächtigen, skrupellosen Scheich hören. Längst hatte sie vergessen, dass es ihr ursprünglich nur um die Entfernung von hier zur nächsten Stadt gegangen war.

„Hat sein Vater wieder geheiratet?“, fragte sie neugierig.

„Ja, aber tragischerweise sind er und seine zweite Frau bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen, als Seine Hoheit im Teenageralter war.“

Also hatte der Arme sogar zwei Mütter und einen Vater verloren!

Stumm beobachtete Bella, wie die aufgehende Sonne den Dünenkamm erklomm und alles in Brand zu setzen schien. Nur Minuten später verwandelten sich die Farben ringsherum von rötlichen Orangetönen zu einem strahlenden Gold.

Sie konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie verspürte sie eine starke Zugehörigkeit zu diesem mysteriösen Scheich, der dort irgendwo hinter diesen endlosen Sandbergen lebte.

Ob er manchmal an seine Mutter dachte, die er nie wirklich hatte kennenlernen dürfen? Ob er auch zufällig Geheimnisse über sie herausgefunden hatte, die besser für alle Ewigkeit im Dunkel geblieben wären?

Waren seine Erinnerungen möglicherweise ebenso verstörend und belastend wie ihre?

Bella zog die Schultern hoch, vergrub die Hände in den Taschen ihrer hellen Leinenhose und sagte sich, wie nutzlos es war, Vergangenes wieder und immer wieder hervorzukramen. Sie konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, so sehr sie es sich auch wünschte.

In den verordneten Stunden der Einkehr und Meditation gab es immer noch ein Thema, das zu betrachten sie sich rundheraus weigerte: ihre Mutter!

Später, sagte sie sich. Später, wenn sie es ertragen konnte, darüber nachzudenken. Jetzt war alles noch zu frisch und schmerzhaft.

Erfolglos versuchte Bella, sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn zu pusten. Doch der fehlende Conditioner hatte dazu geführt, dass ihr seidenweiches Haar inzwischen wie trockenes Stroh aussah. Und sich auch so anfühlte!

„Dann muss dieser … Scheich ja ganz schön jung gewesen sein, als er plötzlich die Zügel in die Hand nehmen musste“, überlegte sie laut.

„Gerade mal achtzehn“, erwiderte Atif und nickte. „Er ist allerdings sein Leben lang auf diese Rolle vorbereitet worden.“

„Armer Kerl. Seine Kindheit war sicher wenig beneidenswert. Aber mit dem ganzen Öl im Hintergrund muss er ziemlich reich sein. Warum hat er dann bis jetzt noch nicht geheiratet? Ist er so alt und hässlich, dass er sich nicht einmal eine Frau kaufen kann?“

„Seine Hoheit ist Anfang dreißig und wird von Menschen, die so etwas weit besser beurteilen können als ich, für ausnehmend attraktiv gehalten. Irgendwann wird er sich eine passende Gefährtin suchen und sie heiraten“, entgegnete Atif. „Aber wie es heißt, hat er damit keine Eile.“

„Wer wollte ihm das vorwerfen?“, seufzte Bella verständnisvoll. „Die Ehe kann ein wahrer Albtraum sein! Mein Vater hat sich gleich dreimal hineingestürzt. Er ist ein Verfechter der These: Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, musst du es wieder und wieder versuchen!“ Die letzten Worte hatte sie fast ausgespien.

Atif betrachtete sie einen Moment gedankenvoll, sagte aber nichts.

„So ein Durchhaltevermögen ist doch zu bewundern, oder nicht?“, fuhr sie fort.

Der alte Mann ignorierte auch das. „Ihr Vater war also dreimal verheiratet?“, erkundigte er sich.

„So ist es. Denken Sie nicht auch, dass er nach so viel Praxis inzwischen ein Experte in Sachen Ehe sein müsste?“

„Sie müssen Ihren Groll loslassen, Bella, sonst vergiften Sie Ihr Inneres nur noch mehr. Sie sind zu leidenschaftlich, zu vehement.“

Sie lachte. „So bin ich eben … zu leidenschaftlich, zu laut, zu viel von allem! Wären Sie mit einer Horde Schwestern und Halbschwestern, drei Müttern und einem despotischen Vater geschlagen, würden Sie mich vielleicht besser verstehen. Nichts kann einen mehr aufregen und kostet mehr Nerven als die eigene Familie. Höchstens der Umstand, dass gleichzeitig dein Handy, dein Notebook und dein iPod konfisziert werden!“

„Gerade wenn die Wogen des Lebens am höchsten schlagen, ist es unabdingbar, seinen Seelenfrieden in Ruhe und Abgeschiedenheit zu suchen“, belehrte Atif sie.

„Gegen ein paar Tage Erholung in einer hübschen Oase hätte ich ja gar nichts einzuwenden gehabt“, schmollte Bella anscheinend unbeeindruckt von den philosophischen Gedankengängen des alten Mannes. Dabei bewunderte sie ihn insgeheim um seine Seelenruhe und – stärke, die das Leben so viel einfacher erscheinen ließen. Leider hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie es anstellen sollte, selbst einen ähnlich beneidenswerten Zustand zu erlangen.

„Sonne, Palmen … Wasser, um darin zu baden“, schwärmte sie weiter. „Ich habe nicht einmal etwas gegen den Sand, solange ich von meiner Liege auf ihn hinunterschauen kann – natürlich mit einem kühlen Drink in der Hand!“

Ohne eine Miene zu verziehen, verbeugte Atif sich vor ihr. „Ich überlasse Sie jetzt Ihren eigenen Gedanken, Bella. Wir sehen uns dann um neun beim Yoga.“

Yoga! Hurra! Hoffentlich platze ich bis dahin nicht vor Aufregung!“

Ihr Sarkasmus ging ins Leere. Atif schien sie nicht zu hören. Die Grimasse, die Bella hinter seinem Rücken schnitt, bekam er ohnehin nicht mit, während er langsam davonging und im Zelt verschwand. Irgendwie brachte sie das noch mehr auf.

Es reichte! Schluss mit Yoga, Schluss mit Meditation und Wüstensand!

Sie musste den Schlüssel für den Jeep finden und von hier verschwinden. Selbst wenn das bedeutete, irgendjemanden gefesselt und geknebelt im Zelt zurücklassen zu müssen!

Bella wollte ihren verwegenen Plan gerade in die Tat umsetzen, als ihr auffiel, dass sich die Wachen vom Eingang der entfernt liegenden Stallungen zurückgezogen hatten. Neugierig beschattete sie die Augen mit einer Hand, während es hinter ihrer Stirn arbeitete und ihr Fluchtplan immer konkretere Formen annahm.

Niemand dort drüben kennt mich, richtig? Wenn ich also mit der nötigen Entschlossenheit vorgehe, kann ich durchaus Erfolg haben.

Während Bella den Weg Richtung der weißen Gebäude einschlug, tauchten vor ihrem inneren Auge verlockende Bilder auf. Versteckt in einem Pferdehänger, auf der Flucht aus der Wüste …

Irgendwann passierte sie ein Schild mit der Aufschrift: Zutritt strengstens verboten! und marschierte weiter einen Schotterpfad entlang, der zu den Ställen führte. In der Mitte eines großzügig angelegten Vorplatzes sprudelte ein steinerner Brunnen, und erst jetzt sah sie, wie riesig und luxuriös die Stallungen tatsächlich waren.

„Wer auch immer der Besitzer dieser Anlage ist, er muss steinreich sein“, murmelte sie beeindruckt und spähte sichernd über die Schulter, um zu prüfen, ob jemand ihr unbefugtes Eindringen bemerkt hatte. Doch alles um sie herum wirkte verlassen. Es waren keine Wachen zu sehen und auch sonst niemand.

Seltsam! dachte Bella mit zunehmendem Unbehagen. Wo sind alle hin?

Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie lebhaft es normalerweise in Pferdeställen zuging. Aus einer der Halbtüren streckte plötzlich ein Pferd seinen Kopf heraus und begrüßte sie mit einem Nicken. Sofort steuerte Bella auf das hübsche Tier zu.

„Wenigstens einer, der mich hier willkommen heißt!“, sagte sie erleichtert, strich sanft über das weiche Maul des Tiers und tätschelte seinen Hals. „Na, du Schönheit, wie war dein Morgen denn bisher? Hast du schon meditiert? Oder deine zierlichen Hufe zum Lotussitz verknotet? Oder wenigstens einen erleuchtenden Kräutertee getrunken?“

Das Pferd blies ihr freundlich warme Luft in den Nacken und schnaubte leise. Bella fühlte sich so gut wie seit Wochen nicht mehr.

„Möchtest du vielleicht mit mir kommen und in meinem Zelt schlafen?“, schlug sie ihrem neuen Freund vor.

Der vertraute Stallgeruch und die dazugehörigen Geräusche beruhigten ihre aufgekratzten Nerven auf eine Weise, wie es die intensivsten Yogaübungen und Meditationsversuche nicht vermocht hatten. Bella beugte sich mit dem Oberkörper über die Stalltür und begutachtete das Tier genauer.

„Du bist wirklich eine bemerkenswerte Schönheit“, stellte sie anerkennend fest. „Reines Araberblut. Aber warum versteckt man so ein Prachtexemplar wie dich hier mitten in der Wüste?“

Zunehmend irritiert über die Totenstille außerhalb der Stallungen trat Bella einen Schritt zurück und schaute sich unbehaglich um. Irgendetwas stimmte hier nicht, das sagten ihr zumindest die steil aufgerichteten Härchen in ihrem Nacken. Es fühlte sich so an, als könnte jeden Moment eine Katastrophe ausbrechen.

„Ach was!“, beruhigte sie sich selbst und wandte sich wieder dem Pferd zu. „Ich bin nur schon viel zu lange in dieser Einöde weggesperrt, darum fange ich an, Gespenster zu sehen. Aber wenn ich überhaupt etwas in den letzten zwei Wochen gelernt habe, dann das: In der Wüste passiert gar nichts!“

Das Tier bewegte sich unruhig in seiner Box. Diese spürbare Nervosität, die Bella selbst so gut kannte, ließ ihre Sympathie zu dem Pferd nur noch wachsen. Am liebsten hätte sie sich einfach auf seinen Rücken geschwungen und wäre so lange drauflos galoppiert, bis alles Belastende von ihr abgefallen wäre.

Warum eigentlich nicht? dachte sie im nächsten Moment. Warum muss es überhaupt der Jeep oder ein Pferdehänger sein, wenn ich auf eine viel erfreulichere Weise in die nächste Stadt gelangen kann?

So weit war der Weg nicht. Immerhin erinnerte Bella sich noch vage an die Anreise. Und sobald sie in Al-Rafid ankäme, würde ihr schon ein Weg einfallen, wie sie das Tier zusammen mit einer angemessenen Entschuldigung und Entschädigung an seinen Besitzer zurückschicken konnte.

Vielleicht ist Atif nach dieser Eskapade auch so sauer auf mich, dass er sich weigern wird, seine ungehorsame Schülerin weiter zu betreuen? überlegte sie weiter. Und da ohnehin jeder bereit ist, das Schlechteste von mir zu denken, will ich auch niemanden enttäuschen!

Leise öffnete sie die Pferdebox und trat ein.

„Da du tatsächlich fest entschlossen zu sein scheinst, eine ganze Woche allein in der Wüste zu verbringen, erlaube wenigstens deiner Leibgarde, dich zu begleiten.“

„Wenn ich das täte, wäre ich ja nicht mehr allein“, führte Zafid trocken an. „Dies ist die einzige Auszeit, in der ich mir gestatte, ein ganz normaler Mann und kein Herrscher zu sein. Ich setze dich als meinen offiziellen Vertreter ein, Rachid.“

Offensichtlich eingeschüchtert von der großen Verantwortung, die er tragen sollte, erblasste sein jüngerer Bruder. „Findest du nicht, du solltest deinen Wüstentrip lieber verschieben? Die Verhandlungen wegen des Ölpreises haben ein entscheidendes Stadium erreicht. Man erwartet von dir, dass du mit einem niedrigeren Angebot Entgegenkommen zeigst.“

„Dann hat man sich eben getäuscht.“

Rachid schluckte. „Es ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für einen Rückzug, auf dem Gipfel der …“

„Irrtum, Bruder“, schnitt Zafid ihm das Wort mit einem kühlen Lächeln ab. „Es ist sogar der denkbar beste Zeitpunkt.“

„Sie werden ihr Öl woanders kaufen.“

„Das werden sie nicht.“

„Woher willst du das wissen, Zafid?“, fragte Rachid. „Wie kannst du dir so sicher sein? Warum zweifelst du nie an deinen Entscheidungen?“ In den leidenschaftlich hervorgestoßenen Worten stritten Bewunderung und Frustration miteinander. Während sie Seite an Seite zu den Stallungen schlenderten, musterte Rachid seinen älteren Bruder mit widerwilligem Respekt. „Ich wünschte, ich wäre ebenso undurchschaubar wie du“, bekannte er offenherzig. „Du zeigst nie irgendwelche Emotionen.“

Da genau in diesem Moment das ärgerliche Wiehern seines Hengstes an Zafids Ohr drang, wechselte er spontan die Laufrichtung. „Was man von meinem Pferd nicht behaupten kann“, murmelte er, dankbar für die Ablenkung. „Der Bursche lässt seinen Emotionen ungehindert freien Lauf.“

„Kein Wunder, dass jeder eine Heidenangst vor dem Vieh hat“, erwiderte Rachid und schloss sich selbst dabei nicht aus.

Zafid beobachtete mit schmalen Augen, wie sein Oberstallmeister das halbwilde, prachtvolle Tier auf den Hof hinausführte. Als er sah, wie der Hengst nervös mit den Ohren spielte, seufzte er unterdrückt. „Sieht aus, als würde Batal die Pause mindestens so sehr brauchen wie ich.“ Ohne zu zögern, lief er auf das tänzelnde Tier zu, während sein Bruder ihm im sicheren Abstand folgte.

„Hast du eigentlich vor gar nichts Angst?“, fragte Rachid. „Gab es nie eine Zeit, in der du dich gefühlt hast wie … ich?“

Während Zafid sich bemühte, ernsthaft darüber nachzudenken, verzog sich sein Mund zu einem grimmigen Lächeln. Was sollte er seinem jüngeren Bruder antworten? Dass er seine gesamte Kindheit als eine Art Trainingscamp erlebt hatte, in dem er darauf gedrillt worden war, Begriffe wie Pflicht und Verantwortung anstelle von Gefühl an oberste Stelle zu setzen?

„Selbstvertrauen wächst mit zunehmender Erfahrung“, antwortete er. „Und ich habe inzwischen eine Menge Erfahrung.“ Damit wandte er sich dem Hengst zu, den der Oberstallmeister kaum noch bändigen konnte. „Lass ihn los“, befahl er mit veränderter Stimme.

Nach kurzem Zögern gehorchte der Mann und sprang sofort zur Seite, um sich in Sicherheit zu bringen. Blitzschnell war Zafid an Batals Seite und legte eine Hand auf den Hals des Tieres. Der Hengst schauderte und beruhigte sich sofort.

„Pferde und Frauen!“ Rachid grinste anerkennend. „Wie machst du das nur?“

Zafid ignorierte die Frage und schwang sich mit einem eleganten Satz auf den Rücken des Hengstes. „In wenigen Tagen bin ich zurück. Und, Rachid …“, seine Hände schlossen sich um die Zügel, „… dies ist die beste Gelegenheit für dich, deine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Sei klug und nutze die Gelegenheit. Aber fang nicht gleich einen Krieg an …“

Ohne seinem Bruder Zeit für eine Antwort zu lassen, erlaubte Zafid dem vor Anspannung zitternden Tier endlich, seinem Temperament freien Lauf zu lassen. Nachlässig ließ er die Zügel schleifen, während der Hengst wie ein geölter Blitz durch das weit offene Tor stob, das vom Palastgrund direkt in die offene Wüste führte. Als Batal beim Galoppieren mehrfach buckelte, blieb sein Reiter wie angewachsen im Sattel sitzen und lachte befreit auf.

„Du bist offensichtlich ebenso begierig darauf, die Zivilisation hinter dir zu lassen wie ich, alter Bursche“, murmelte er und gab sich ganz dem Adrenalinschub hin, der seine breite Brust zu sprengen drohte.

Die Wüste lag karg und offen vor ihm. Sie war seine Zufluchtsstätte vor den mörderischen Anforderungen, die untrennbar mit seiner Stellung als Herrscher eines immens reichen Scheichtums verbunden waren. Ganz zu schweigen von dem ewig währenden Druck der Verantwortung für seine jüngeren Geschwister, der ebenfalls auf ihm lastete. Und je älter sie wurden, desto mehr schienen sie seiner Fürsorge und Leitung zu bedürfen.

Nach elf kräftezehrenden Monaten voller Regierungsverantwortung und Familienpflichten konnte er das einengende Leben als Scheich endlich hinter sich lassen, um von Herzen und mit allen Sinnen seine jährliche Auszeit zu genießen.

Keine Probleme. Kein Druck. Keine Verantwortung für irgendjemanden oder irgendetwas!

Nur die Wüste, Batal und er.

Hitze, Durst, Sand … Hitze, Durst, Sand …

Müsste sie nicht längst angekommen sein?

Bella ritt Stunde um Stunde, doch alles sah gleich aus. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Ihr Mund war trockener als die verdammte Wüste selbst, ihr Kopf schmerzte wie verrückt, und die Augen brannten geradezu höllisch!

Benommen blinzelte sie gegen die sengende Sonne an. Wann immer sie versuchte, sich auf einen festen Punkt zu konzentrieren, schien er sich in der brütenden Hitze aufzulösen. Was sie unbedingt brauchte, war eine Oase mit Schatten spendenden Palmen, kühlem Wasser und irgendetwas, das ihr frische Kräfte verlieh.

Doch hier gab es nur Sand, Hitze und quälenden Durst, der von Minute zu Minute unerträglicher wurde. In diesem Moment hätte sie sogar klaglos den verhassten Kräutertee akzeptiert, mit dem Atif sie seit vierzehn Tagen quälte.

Bella war so erschöpft, dass sie die Zügel aus der Hand gleiten ließ und nur vage mitbekam, wie sich die Stute auch ohne ihre Führung brav weiterbewegte.

„Tut mir leid“, flüsterte sie heiser, beugte sich vor und barg ihr Gesicht in der Mähne des Tieres. „Was mit mir geschieht, ist egal, aber dir hätte ich das nicht antun dürfen. Warum bist du auch nicht mit einem Navi ausgestattet. Hör auf zu laufen, das führt doch zu nichts. Lass uns einfach aufgeben …“

Doch die Stute schnaubte zum Protest und setzte tapfer weiter einen Huf vor den andern. Und Bella war viel zu erledigt, um sie daran zu hindern.

Sie würden beide sterben …

Heißer Wüstensand würde ihren ausgemergelten Körper bedecken, damit Jahrhunderte später eifrige Archäologen ihre bleichen Gebeine wieder ausgraben konnten. Trotz ihres bedenklich angeschlagenen, dehydrierten Zustands sah sie die Schlagzeile wie eine Neonreklame am Wüstenhimmel aufleuchten: Bad Bella Balfour – spurlos aus Wüstenenklave verschwunden!

Ob sich überhaupt irgendjemand darum scherte?

Bella seufzte leise auf und raunte der Stute etwas zu, das sie selbst nicht verstand, da ihr Mund inzwischen völlig ausgetrocknet war. Der hämmernde Schmerz in ihrem Kopf wurde immer unerträglicher, und vor ihren Augen verschwamm alles.

Das Letzte, was sie sah, bevor sie kraftlos vom Pferd rutschte, war ein schwarzer Schatten, der sich aus der golden flirrenden Hitze löste.

Der Tod! dachte sie benommen, als sie bewusstlos auf den heißen Sand fiel.

2. KAPITEL

Zafid sprang von seinem Hengst und gab ihm ein leises Kommando. Wie zur Antwort warf Batal den Kopf auf und blieb mit erhobenem Schweif stocksteif stehen.

Kaum hatte Zafid die unerwartete Szene in Gänze erfasst und das andere Pferd identifiziert, verwandelte sich sein anfänglicher Schock in kalte Wut.

„Amira.“ Mit sanfter Stimme sprach er seine Lieblingsstute an und näherte sich dem verschreckten Tier mit ausgestreckter Hand. Seine Wut und Empörung steigerten sich von Sekunde zu Sekunde. „Was hast du denn hier draußen zu suchen?“

Ruhig befestigte er die Zügel der Stute an Batals Sattel.

Später! sagte er sich mit eisern erzwungener Ruhe. Später wird jemand dafür bezahlen müssen!

Nachdem Amira in Sicherheit war, hatte die Rettung ihres Entführers zumindest vorläufige Priorität. Schließlich war er kein Unmensch. Zafid trat näher und stutzte. Nie zuvor hatte er einen untypischeren Pferdedieb gesehen.

Ein Blick auf das leichte Leinenensemble der bewusstlosen Frau zu seinen Füßen sagte ihm, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie man in der unwirtlichen Wüste überlebte. Ein Stück entfernt lag ein pinkfarbenes Baseball-Cap. Offenbar war das ihr einziger unzulänglicher Schutz gegen die sengende Hitze gewesen.

Während er die Fremde sinnend betrachtete, zog er die Mundwinkel verächtlich nach unten. Nach allen Warnungen und Drohungen schickten sie ausgerechnet so jemanden, um seine kostbarste Stute zu stehlen?

Zu seinem Groll gesellte sich Ungeduld, während er sich nach einem Rucksack oder anderen Behältnissen umschaute, in dem die Diebin Wasser transportiert haben könnte. Doch da war nichts.

Leise vor sich hin fluchend beugte er sich hinab, schob einen Arm unter den Nacken der Bewusstlosen und hob sie sacht an. Als ihre helle Haarflut wie ein goldener Wasserfall über eine Schulter herabfiel, holte er scharf Atem.

Während Zafid in ihr gerötetes Gesicht schaute, vergaß er alles um sich herum, bis auf die Frau in seinem Arm. Er konnte den Blick einfach nicht von den weichen Konturen ihres großzügigen Mundes abwenden und spürte ein gefährliches Feuer in seinem Innern auflodern. Plötzlich flatterten ihre Lider, und als sie die Augen öffnete, starrte er wie betäubt in das faszinierendste Blau, das er je gesehen hatte.

Es war ein ungewöhnlich leuchtendes Blau, das an einen klaren Sommerhimmel erinnerte … oder an das Azurblau des Arabischen Meeres und die kostbare kobaltblaue Seide, die die Stoffhändler auf den Basaren von Al-Rafid verkauften.

Abgesehen von ihrer wundervollen Farbe wirkten sie allerdings verschleiert und seltsam leer. Als sich die spröden Lippen teilten und die Fremde etwas murmelte, beugte er sich weiter vor, konnte aber nichts verstehen. Erst jetzt wurde Zafid bewusst, dass er sie immer noch wie in Trance anstarrte. Mit einem unterdrückten Schimpfwort schob er auch den zweiten Arm unter die reglose Gestalt und hob sie mühelos wie eine Feder auf seine Arme.

Was bin ich nur für ein Mann? Die Frau ist bewusstlos … halb tot!

Und er verzehrte sich nach ihr wie sie sich nach belebendem Wasser.

Dehydriert! schoss es ihm durch den Kopf. Natürlich sah er so etwas nicht zum ersten Mal, doch noch nie zuvor hatte ihn jemand in diesem Zustand derart aus der Fassung gebracht wie diese Fremde. Mit raschen Schritten lief er zu seinem Pferd hinüber und zog eine Wasserflasche aus der Satteltasche.

„Trink!“, befahl er, doch sie gab kein Zeichen, dass sie ihn überhaupt gehört hatte.

Während Zafid sich fragte, womit er all das verdiente, da er doch nur seine lang ersehnte Einsamkeit hatte genießen wollen, spritzte er der bewusstlosen Schönheit ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht. Mit grimmiger Genugtuung beobachtete er, wie sich eine rosige Zungenspitze zwischen den rissigen Lippen zeigte.

Denn immerhin musste er sie noch dafür zur Verantwortung ziehen, dass sie die Frechheit besessen hatte, seine wertvollste Stute zu stehlen!

Doch damit es überhaupt dazu kommen konnte, musste er sie endlich aus der Sonne bringen und ihr Abkühlung verschaffen. Und der einzige Platz, der sich dafür anbot, war sein geheimes Wüstencamp. Mit einem tiefen Seufzer schickte sich Zafid ins Unvermeidliche, hob den leblosen Körper in den Sattel, schwang sich dicht dahinter und stützte den zusammengesunkenen Frauenkörper, indem er ihn mit einem Arm fest an seine muskulöse Brust zog.

Mit einem leisen Zungenschnalzen und sanftem Druck in die Flanken trieb Zafid seinen Hengst zu einem leichten Galopp an und überzeugte sich mit einem Blick über die Schulter davon, dass auch mit Amira alles in Ordnung war.

In weniger als zwanzig Minuten erreichten sie das Wüstencamp. Zwanzig Minuten, in denen Zafid versuchte, seine Frustration darüber, dass eine bewusstlose Frau ihn derart sexuell erregen konnte, in den Griff zu bekommen.

In einer geschmeidigen Bewegung glitt er vom Pferd und fing die Fremde geschickt in seinen Armen auf, als sie seitlich aus dem Sattel rutschte. Bevor er seine kostbare Last ins Zelt trug, ließ er die Pferde frei, damit sie Wasser und Schatten in der kleinen Oase genießen konnten. Behutsam legte er die Frau auf der Matte ab, die ihm als Bett diente, und runzelte die Stirn, weil sie sich immer noch nicht rührte.

Warum habe ich sie nicht einfach in der Wüste liegen lassen? Dann hätte sich das Problem von allein gelöst.

Hin und hergerissen zwischen Besorgnis und Ärger beugte Zafid sich über die reglose Gestalt und legte eine Hand auf ihre Stirn. Angesichts ihrer trockenen, sengenden Haut erkannte er, dass ihm bald ein deutlich größeres Problem bevorstand, wenn es ihm nicht gelang, sie abzukühlen.

„Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber auf jeden Fall besitzt du weitaus mehr Schönheit als Verstand!“, knurrte er gereizt und verließ das Zelt, um eine Schüssel mit lauwarmem Wasser und ein Tuch zu besorgen.

So viel zu einer Woche voller Ruhe, Frieden und Besinnung …

Zafid tunkte den Lappen ins Wasser, wrang ihn aus und kühlte damit Stirn und Nacken der Pferdediebin. Dann knöpfte er widerstrebend die langärmlige Leinenbluse auf, befeuchtete ihre brennenden Arme und versuchte, den zarten Spitzen-BH zu ignorieren, der jetzt die einzige Barriere zwischen ihm und ihren nackten Brüsten bildete. Entschlossen befeuchtete er den gesamten Oberkörper und ließ die Wassertropfen ungehindert über ihre zarte, helle Haut perlen.

Inzwischen hatte Zafid das Gefühl, eine Abkühlung dringender zu brauchen als sein bewusstloser Gast. Der Effekt, den diese Frau auf ihn ausübte, nahm langsam Ausmaße an, die ihn ernsthaft beunruhigten. Hastig und ohne hinzuschauen, befreite er sie nun auch noch von ihrer hellen Leinenhose.

„Atif?“, murmelte sie fast unhörbar.

Augenblicklich versteifte Zafid sich. Natürlich! Wie konnte er nur so hirnlos sein? Sie hatte einen Komplizen. Einen Coup wie diesen konnte eine Frau unmöglich selbst ausgeheckt haben und erst recht nicht allein ausführen.

Wütend über sich selbst, warf er den Lappen in die Wasserschüssel und fuhr sich mit allen Fingern durchs Haar. Ungeduldig musterte er ihre geröteten Wangen und geschlossenen Lider, doch diesmal richtete sich die Ungeduld hauptsächlich gegen ihn selbst. Wo hatte er nur seinen gesunden Menschenverstand gelassen?

Begierig, endlich Aufklärung zu bekommen, umfasste er ihre Oberarme, richtete die Bewusstlose auf, schüttelte sie leicht und hielt ihr einen Becher mit Wasser an die Lippen.

„Trink!“, forderte er kalt und knurrte triumphierend, als ihre Lippen sich tatsächlich teilten und sie schluckte. „Mehr“, drängte Zafid und lehnte sie erst in die weichen Kissen zurück, als der Becher halb leer war. Gleich darauf fuhr er damit fort, ihren überhitzten Körper mit dem feuchten Lappen zu kühlen.

Als er glaubte, dass die schöne Fremde wieder so weit bei sich war, dass sie ihm Rede und Antwort stehen konnte, richtete er ihren Oberkörper erneut auf, und stützte sie im Rücken mit seinem starken Arm.

Zuallererst stellte er die Frage, die ihn am meisten beschäftigte. „Wer war noch bei dir?“ Seine Stimme klang rau und ziemlich barsch. Eine Antwort bekam er allerdings nicht.

Sobald sie die Augen geöffnet hatte, suchte sie Zafids Blick. Und wieder überwältigte ihn das unglaublich intensive Blau ihrer Augen, und er dachte, dass sie damit jeden Mann um den Verstand bringen konnte.

„Pferd …“, krächzte sie heiser.

„Ich weiß von dem Pferd“, erwiderte er grimmig. „Was ist mit deinem Komplizen?“

Die Frau verzog das Gesicht und befeuchtete die trockenen Lippen mit der Zungenspitze. „Ist … alles okay mit dem … Pferd?“ Sie würgte die wenigen Worte hervor, als wären sie das Schwerste, was sie in ihrem Leben vollbracht hatte.

Was ist das nur für ein sonderbares Geschöpf? dachte Zafid. Selbst kaum dem Hitzetod in der Wüste entkommen, interessierte sie sich nur für den Zustand seiner Stute.

Doch bevor sich allzu große Rührung in ihm breitmachen konnte, dämmerte ihm, dass ihr Interesse wahrscheinlich rein geschäftlicher Natur war. Oder, besser gesagt, nichts weiter als Profitgier!

„Der Stute geht es gut. Das hat sie aber keinesfalls dir zu verdanken!“ Obwohl sie das Teenageralter ganz offensichtlich hinter sich hatte, kam ihm gar nicht in den Sinn, die dreiste Diebin als Erwachsene anzusprechen. „Wenn du glaubst, aus deinem verpatzten Coup immer noch Kapital schlagen zu können, hast du dich gründlich geschnitten!“

„Coup …? Kapital …“, stammelte Bella verwirrt.

„Oh, nein! Du bist es, die mir noch eine ganze Reihe von Fragen beantworten wird“, sagte Zafid hart. „Aber zunächst will ich wissen, wer Atif ist.“

Ihre Lider senkten sich wieder, doch nicht, bevor er die Hoffnungslosigkeit in den wundervollen blauen Augen bemerkte. „Bitte schicken Sie mich nicht zurück.“

„Zurück? Wohin?“ Gewohnt, sofort Antworten auf seine Fragen zu bekommen, begann dieses Katz- und Mausspiel Zafid gewaltig zu nerven. Er musste einfach wissen, wer dieser ominöse Atif war!

Welcher Mann überließ es einer Frau, ein wertvolles Pferd zu stehlen? Oder hatte dieses schamlose Geschöpf den armen Kerl derart bezirzt, dass er jetzt ihretwegen in Schwierigkeiten steckte?

Irritiert von diesem Gedanken presste Zafid ihr erneut den Wasserbecher an die Lippen. Instinktiv umfasste Bella sein Handgelenk, während sie trank. Der Druck ihrer warmen, schlanken Finger schien seine Haut zu versengen, sodass Zafid den Becher fast fallen gelassen hätte.

„Du kannst das nicht ohne Hilfe durchgeführt haben“, versuchte er es noch einmal. „Jemand muss dir geholfen haben.“

„Nein“, flüsterte sie schwach. „Ich … es war ganz allein meine Idee.“

Frustriert presste er die Lippen zusammen und ließ die Diebin in die Kissen zurücksinken. Nach dem, was sein Geheimdienst über eine mögliche Entführung seiner unbezahlbaren Araberstute recherchiert hatte, schien es sich bei den potenziellen Drahtziehern eher um eine ganze Gruppe von Kriminellen zu handeln.

„Schlaf jetzt.“ Es hörte sich wie ein Befehl an. Zafid richtete sich auf. Er brauchte unbedingt Abstand, um seine Selbstkontrolle zurückzuerlangen. „Ich muss nach den Tieren schauen.“

„Warten Sie …“, hielt sie ihn mit heiserer Stimme zurück. „Wer sind Sie?“

Mit einem zynischen Lächeln wandte er sich um und betrachtete gedankenvoll ihr blondes Haar und die helle Haut. So etwas Absurdes hatte ihn noch niemand gefragt. War es möglich, dass dieses naive Geschöpf, das tatsächlich geglaubt hatte, unbemerkt sein Pferd stehlen zu können, nicht wusste, wer vor ihr stand?

Im Grunde genommen wäre das ideal.

Die exakte Lage seines Wüstencamps war geheim, und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben. Besonders jetzt, da er auch noch an Amiras Sicherheit denken musste.

„Ich bin deine Nemesis … oder dein Rachegott, wenn dir das lieber ist.“ Seine Stimme war gefährlich leise und gleichzeitig hart wie Stahl. „Und du wirst den Tag noch bereuen, an dem du dich erdreistet hast, mein Pferd zu stehlen.“

Mit diesen Worten verließ er das Zelt.

Alles hatte sich von sanftem Gold zu blendendem Weiß gewandelt.

Bin ich vielleicht schon im Himmel?

Bella blinzelte verwirrt, bis ihr klar wurde, dass sie gegen eine helle Leinwand starrte. Sie war im Inneren eines Zelts. Es war heiß hier drinnen. Geradezu erstickend, als würde man in einem Ofen schmoren, dessen Klappe geschlossen war. Ihr Kopf hämmerte schmerzhaft, der Mund fühlte sich trocken an, und sie hatte keine Ahnung, wie sie hierhergekommen war und was sie hier sollte.

Gedankenfetzen und flüchtige Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf. Eine männliche Stimme, die sie aufforderte zu trinken … feste, entschlossene Hände, die sie von ihrer Kleidung befreiten …

Von meiner Kleidung befreit?

Erst jetzt realisierte Bella, dass sie bis auf ihre Unterwäsche nackt war. Irritiert schaute sie sich nach etwas um, womit sie ihre Blöße bedecken konnte. Im selben Moment wurde die Zeltplane am Eingang zurückgeschlagen und ein hochgewachsener Mann trat ein. Bis auf ein Handtuch, das er lässig um die schmalen Hüften geschlungen trug, war er völlig nackt. Auf den breiten, bronzefarbenen Schultern und der muskulösen Brust glitzerten Wassertropfen.

Sekundenlang glaubte Bella zu halluzinieren, denn der dunkle Adonis war so umwerfend attraktiv und sexy, dass er unmöglich echt sein konnte.

„Okay, vielleicht bin ich ja schon tot und im Himmel?“, scherzte sie, wartete aber vergeblich auf ein entgegenkommendes Lächeln. In seinen tiefschwarzen Augen konnte sie keinen Funken Humor entdecken, nur eisige Ablehnung und unverhohlene Verachtung.

„Entweder du hast eine sehr seltsame Vorstellung vom Himmel, oder du begreifst immer noch nicht, in welchen Schwierigkeiten du steckst!“, grollte Zafid.

„Männer wie Sie sind grundsätzlich verantwortlich für meine Schwierigkeiten“, entfuhr es Bella in einem Anfall von Koketterie. Ihr war schwindelig, und sie fühlte sich immer noch schrecklich schwach. Trotzdem zwang sie sich zu einem Lachen. „Aber was wirklich lustig ist … wenn ich all die Stunden bedenke, die ich in der Hoffnung, endlich einen wirklich spektakulären Mann zu treffen, auf den angesagtesten Partys zugebracht habe. Und dann begegnet er mir mitten in der Wüste.“

Der schockierte Ausdruck auf dem markanten Gesicht ihres Retters und ihre langsam zurückkehrende Erinnerung an die verworrenen Umstände ihrer Flucht entlockten Bella einen unterdrückten Seufzer.

„Hören Sie, ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich hier bin und … und warum Sie mich andauernd duzen …“, platzte sie unvermutet und ehrlich empört heraus, „… denn ich kann mich nicht erinnern, dass wir einander überhaupt vorgestellt wurden.“

Da ihr Gegenüber verbissen schwieg und sie schon wieder von Schwäche und Schwindel überwältigt zu werden drohte, verlor Bella den Faden. „Aber ich wäre schon damit zufrieden, wenn Sie mir versichern könnten, dass Sie mich nicht zwingen werden, Kräutertee zu trinken oder nach dem Sinn des Lebens zu suchen“, murmelte sie und suchte den Blick des stummen Adonis.

Und plötzlich drängte sich ihr der Kontrast zwischen seiner frischen, kraftvollen Erscheinung und ihrem erbarmungswürdigen Zustand auf. Instinktiv hob sie die Arme, um wenigstens ihr Haar etwas aufzulockern, stieß aber einen entsetzten Laut aus, als sie nur eine verfilzte Matte unter ihren Fingern spürte.

„Sand! Sand! Überall Sand!“, rief sie fast hysterisch.

„Das ist für eine Wüste ganz normal“, informierte Zafid sie trocken, nachdem er seine Fassung zurückgewonnen hatte.

„Ja, aber doch nicht in meinem Haar!“

Die seidige, blonde Mähne – ihr Markenzeichen – war ein einziges Desaster! Kein Wunder, dass ihr attraktiver Retter die gewohnte Aufmerksamkeit und Huldigung vermissen ließ, die sie von der Männerwelt gewohnt war.

„Vor wenigen Stunden hast du noch dem Tod ins Gesicht geschaut, und jetzt machst du dir Sorgen um deine Haare?“

Der angewiderte Ton in seiner Stimme gab Bella den Rest.

„Mr. … haben Sie überhaupt die leiseste Idee, wie es sich anfühlt, inmitten dieser sandigen Einöde festzusitzen? Und das auch noch ohne einen Tropfen Hair-Conditioner?“, fauchte sie gereizt und tippte sich mit der Fingerspitze auf die trockenen Lippen. „Hier! Meine Lippen sind völlig ausgedörrt und spröde und …“

„Das passiert nun einmal, wenn man dumm genug ist, ohne die notwendigsten Vorkehrungen durch die Wüste zu reiten“, unterbrach Zafid sie kalt.

„Das hört sich ja an, als hätte ich mich absichtlich verirrt!“, empörte sich Bella.

„Und genau das geschieht, wenn man sein Pferd in die falsche Richtung lenkt.“ Zafids dunkle Stimme troff förmlich vor Sarkasmus.

„Ihre Manieren sind absolut beklagenswert!“, stellte sie tadelnd fest, errötete und warf ihm einen feindseligen Blick zu.

„Das kommt immer auf mein Gegenüber an.“

Da sie einen derartigen Ton von Männern in ihrer Umgebung einfach nicht gewohnt war, schob Bella schmollend die Unterlippe vor und überlegte, ob sein mangelndes Interesse an ihr allein dem verfilzten Haar oder möglicherweise auch ihren geröteten, sandverkrusteten Augen zuzuschreiben war.

Dabei bot sie einen Anblick, der Zafid fast seine eben zurückgewonnene Beherrschung kostete. Ihr schien gar nicht bewusst zu sein, dass sie nichts als einen hauchdünnen Spitzen-BH und das dazugehörige Nichts von einem Slip trug, während sie ihn mit ihren knallblauen Augen fixierte.

Eine halbe Stunde im Pool, in dem du dich offensichtlich gerade erfrischt hast, und ich habe dich unter Garantie am Haken … auch ohne Spiegel! dachte Bella während ihrer stummen Musterung.

„Sind Sie eigentlich immer derart auf Ihre äußere Erscheinung fixiert?“, fragte Zafid heiser. Dass er automatisch wieder zum Sie gewechselt war, merkte er nicht einmal. Bella hingegen war es keineswegs entgangen, doch sie kam nicht zu Wort, da er sofort weitersprach. „Gibt es nichts Wichtigeres für Sie, worüber es sich wenigstens lohnen würde nachzudenken? So wie über die Lektion, die die Wüste Sie heute gelehrt hat?“

„Zum Beispiel, dass ich besser nie wieder im Leben die Stadt verlasse?“, erwiderte sie schnippisch und wand sich innerlich unter seinem Blick.

Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie fast nackt war. Sie spürte, wie sich die Röte auf ihren Wangen vertiefte, setzte sich auf, zog bewusst langsam die Knie ans Kinn und umschlang sie mit beiden Armen. So fühlte sie sich zumindest ein wenig geschützter. „Sie mögen mich nicht besonders, oder?“, fragte sie ruhig. „Wahrscheinlich sind Sie nicht einmal froh darüber, dass ich überlebt habe.“

Wenn möglich, verdüsterte sich Zafids Miene nur noch mehr. „Zumindest habe ich nicht erwartet, meine erste Nacht in der Wüste mit einer halb toten Frau verbringen zu müssen!“, knurrte er.

„Sie bevorzugen also komplett tote Frauen?“, fragte Bella im Plauderton. „Wahrscheinlich, weil die nicht antworten oder widersprechen können.“ Ein weiterer Blick in sein Gesicht hielt sie jedoch davon ab, ihn zu fragen, ob er ihr vielleicht mit einem Kosmetikspiegel aushelfen könne. „Hören Sie, es tut mir wirklich leid, wenn ich Ihre Pläne sabotiert habe. Geben Sie mir einfach meine Kleider zurück und irgendetwas gegen Kopfschmerzen. Dann zeigen Sie mir den Weg in die nächste Stadt, und schon bin ich auf Nimmerwiedersehen verschwunden.“

Diesmal war sein Blick eindeutig verächtlich und geradezu vernichtend, während er irgendetwas in seiner Muttersprache sagte, das sie nicht verstand.

„Haben Sie denn rein gar nichts aus diesem Tag gelernt? Dies ist die Wüste und nicht das englische Landleben. Hier unternimmt man nicht so einfach einen Spaziergang oder einen Ausritt.“

Plötzlich erinnerte sich Bella an den riesigen schwarzen Schatten, der ihr aus der gleißenden Sonne entgegengekommen war. „Sie tun es“, erinnerte sie ihn spröde.

„Ich bin hier geboren. Ich kann jeden Sonnenstand und jede Sandbewegung interpretieren und würde trotzdem niemals so schlecht … beziehungsweise gar nicht ausgerüstet durch die Wüste reiten wie Sie. Sollten Sie noch einmal ein Verbrechen planen, kann ich Ihnen nur empfehlen, mehr Zeit und Sorgfalt in die Vorbereitung zu investieren“, entgegnete er zynisch.

Als Bella ihn nur stumm aus großen Augen anstarrte, fluchte er unterdrückt.

„Keine Landkarte, keine passende Kleidung, kein Proviant, kein Wasser!“, hielt er ihr vor. „Was haben Sie sich nur dabei gedacht?“

„Ich … ich glaube, ich habe überhaupt nicht nachgedacht“, gestand sie nun doch etwas eingeschüchtert von den vehementen Vorwürfen und besonders von dem Wort Verbrechen. „Ich wollte einfach nur in die Stadt und habe offenbar die Entfernung unterschätzt.“

„Und dieser kleine Irrtum hätte fast zwei Leben gekostet, wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre!“

„Zwei …“ Als sie begriff, was er damit andeuten wollte, stockte Bella der Atem. „Was … was ist mit dem wunderschönen Pferd?“, fragte sie ängstlich. „Ist es …“

„Die Stute wird überleben. Dass sie unendlich wertvoll und nahezu unersetzbar ist, wissen Sie ja wohl selbst. Darum haben Sie sie schließlich gestohlen.“

Bella blinzelte verwirrt. „Ich habe sie ausgesucht, weil sie mir besonders zahm und freundlich erschien“, murmelte sie abwesend, immer noch in dem Albtraum gefangen, fast am Tod eines Lebewesens schuldig geworden zu sein. Wieder einmal hatte sie alles verpatzt! Das hätte wohl niemanden, der sie kannte, besonders überrascht.

„Sie hat reines Araberblut in den Adern, nicht?“, fragte sie fast schüchtern. „Man kann es an ihren feinen Zügen erkennen.“

„Die Ihnen doch höchst vertraut sein müssen! Wie sonst hätten Sie sicherstellen sollen, dass Sie auch das richtige Tier erwischen?“

„Sie haben jedes Recht, wütend auf mich zu sein. Ich bin es ja selbst, obwohl ich nie vorhatte, die Stute absichtlich in Gefahr zu bringen. Ich liebe Pferde nämlich über alles … sogar mehr als Menschen …“ Ihre Stimme drohte zu versagen, aber Bella riss sich zusammen. „Ich habe ernsthaft geglaubt, weniger als eine Stunde bis in die Stadt zu brauchen.“

„Wo Sie natürlich erwartet wurden.“

„Erwartet?“, echote sie verblüfft. „Von wem?“

„Von Ihren Komplizen natürlich! Halten Sie mich eigentlich für beschränkt?“

„Nein“, versicherte sie völlig aufrichtig. „Aber ich habe wirklich keine Komplizen.“

„Dann wollten Sie den Verkauf der Stute allein abwickeln?“

Jetzt reichte es ihr. „Ich wollte das arme Tier doch nicht verkaufen!“, empörte sie sich. „Ich wollte sie zusammen mit einer Entschuldigung und einer Entschädigung für den Besitzer zurück in die Stallungen schicken!“

„Sie wollen mir ernsthaft weismachen, dass Sie die Stute gestohlen haben, um sie wieder zurückzuschicken?“

„Ich stehle keine Pferde!“ Inzwischen war Bella so erregt, dass ihre Stimme fast kippte. „Ich … ich habe mir das Pferd nur geliehen – für eine kurze Zeit! Will das denn nicht in Ihren Kopf hinein?“

Ihre Erbitterung stand seiner in nichts nach.

„War die Stute ausgebrochen?“, fragte Zafid nach einer langen Pause mit erzwungener Ruhe.

„Nein.“

„Haben Sie sie mit eigener Hand aus dem Stall geführt?“

Bella seufzte theatralisch. „Ich habe sie mir geborgt!“

Allmählich war sie ernsthaft beunruhigt, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. Wenn sie wenigstens eine Waffe hätte! Doch dann erinnerte sie sich glücklicherweise daran, dass dieser finstere Geselle vor ihr eben auch nur ein Mann war. Und sie hatte bemerkenswerte blaue Augen, wie man ihr immer wieder versicherte.

„Ich kann das erklären …“ Ihre Stimme klang plötzlich sanft und unterwürfig. Zafids verblüfftem Blick begegnete sie offen und mit einem weichen Lächeln auf den vollen Lippen.

„Da bin ich aber gespannt“, murmelte er mit erhobenen Brauen und vor der Brust verschränkten Armen.

Vielleicht habe ich noch nicht den richtigen Blick drauf? überlegte Bella und ließ ihre Augen wie blaue Sterne leuchten. Doch seine Haltung veränderte sich kein bisschen. Ihr Haar! Bisher war es neben den Augen immer ihre wirkungsvollste Waffe gewesen. Bella versuchte, die lange blonde Mähne mit einer herausfordernden Kopfbewegung über eine Schulter nach vorn zu holen. Die Haare waren aber so sandig und spröde, dass nichts passierte.

Was nun? Wenn alle äußeren weiblichen Waffen versagten, blieben nur noch ihr Mutterwitz und ihr Faible fürs Dramatische.

„Ich wurde an diesem Platz im Nirgendwo gefangen gehalten“, begann sie mit bebender Stimme.

„Wie heißt der Platz?“, unterbrach Zafid sie unbeeindruckt.

„Die Zuflucht oder so ähnlich.“ Bella schauderte. „Es ist so ein alternatives Yoga-Camp-Dingsda … wo man völlig irre wird und …“

„Sie reden von einem renommierten Zentrum für kontemplative Meditation, das weltberühmt ist“, informierte er sie kalt.

„Das natürlich auch“, beeilte Bella sich zu versichern. „Aber wie auch immer, dort gab es eigentlich nur Sand, Sand und noch mehr …“

„Während Sie hier jammern, hat die Wüste ihr Gesicht für immer verändert.“

Ein paar Sekunden betrachtete Bella ihren sonderbaren Retter stumm, dann schüttelte sie den Kopf. „Schade, anfangs hielt ich Sie direkt für sympathisch. Als Nächstes werden Sie noch behaupten, den verflixten Sand zu lieben.“

„So ist es. Leider habe ich zu wenig Zeit, um die Wüste ausreichend zu genießen.“

„Wie viel ist zu wenig?“, fragte sie spöttisch. „Eine Nanosekunde? Ich für meinen Teil hoffe, nie wieder mit Sand in Berührung kommen zu müssen. Und allein darum habe ich mir das Pferd ausgeborgt“, schlug sie geschickt den Bogen zu ihrem aktuellen Problem.

„Wahrscheinlich hätte ich sogar gefragt, ob ich es mir kurz leihen kann, wenn jemand in den Ställen gewesen wäre“, fabulierte sie gleich darauf munter weiter. „Aber leider war alles verwaist. Es war richtig unheimlich, als wenn irgendetwas Bedrohliches in der Luft lag. Vielleicht hat meine Fantasie mir aber auch nur einen Streich gespielt.“

Zafid sah aus, als hätte er ihr gar nicht wirklich zugehört. „Alles war verlassen, sagen Sie? Sie konnten tatsächlich einfach so das Gelände betreten und die Stute aus ihrer Box holen, ohne aufgehalten zu werden?“

„Ja …“ Angesichts seines milderen Tons fühlte Bella sich sofort deutlich sicherer. „Wem immer der Stall gehört, er sollte sein Personal feuern. Ich meine, was ist denn, wenn eines der Pferde plötzlich krank wird oder so?“

„In der Tat.“

Das klang schon wieder weniger ermutigend. „Auf jeden Fall bin ich in die Richtung geritten, in der ich die Stadt vermutet habe. Aber offensichtlich habe ich mich vertan, doch als mir das bewusst wurde, war es zu spät. Wenn Sie nicht vorbeigekommen wären …“

„Lägen Sie jetzt tot mitten in der Wüste.“

Die ungeschminkte Wahrheit ließ Bella schaudern. „Ja, wahrscheinlich … also, noch einmal besten Dank. Ich bin ehrlich froh, dass Sie mich gefunden haben.“

Zafid betrachtete sie nachdenklich, als müsse er sich über etwas klar werden. Dann wandte er sich ab, lief durchs Zelt und zog eine weiße Robe aus einem Segeltuchsack, der neben dem Eingang lag. Bella verfolgte jede seiner Bewegungen mit einer Faszination, derer sie sich gar nicht bewusst war.

„Vielleicht möchten Sie sich lieber umdrehen?“, fragte er steif.

Augenblicklich fühlte sich ihr boshaftes Ich herausgefordert. Auf diesem Territorium war sie zu Hause! „Warum sollte ich das wollen?“, entgegnete sie betont harmlos. „Sie haben einen fantastischen Körper.“

Geschockt hielt Zafid für eine Sekunde den Atem an. Der Bronzeton auf seinen schmalen Wangen vertiefte sich. „Und du spielst ein gefährliches Spiel für eine Frau, die allein und schutzlos herumreist. Vielleicht bin ich gar nicht der edle Retter, für den du mich offensichtlich hältst. Fühl dich also nicht zu sicher, habibati.“

Seine Stimme war plötzlich überraschend sanft und einschmeichelnd, aber in den dunklen Augen blitzte ein gefährliches Feuer. Mit einer fließenden Bewegung zog er die Robe über den Kopf, während es ihm irgendwie gelang, gleichzeitig das Handtuch von den Hüften zu entfernen.

„Wie heißt es noch in einem Sprichwort?“, fuhr er im Plauderton fort, während er lässig einen Krummdolch zwischen den Falten seiner Robe verschwinden ließ. „Vom Regen in die Traufe.“

Bella schluckte und überlegte ernsthaft, ob vielleicht die Hitze daran schuld war, dass sie sich in einer Situation wie dieser so weit aus dem Fenster lehnen musste. „Klingt gar nicht mal so schlecht nach der Wüstenhitze …“, konnte sie sich aber doch nicht verkneifen. Die Vorlage war einfach zu gut gewesen.

Als Zafid jedoch gelassen auf sie zu schlenderte, zog sie sich hastig bis ans äußerste Ende der Matte zurück. „Schon gut! Ich habe verstanden … Humor ist nicht erlaubt. Aber in England ist es üblich, einen Scherz wenigstens mit einem höflichen Lächeln zu quittieren, selbst wenn er einem nicht zusagt.“

Eigentlich hatte sie ihn nur fragen wollen, wofür er einen Dolch brauchte. Doch das wagte Bella jetzt nicht mehr. Er hatte so gar nichts mit den Typen gemein, mit denen sie sich normalerweise umgab. Aber ihr gefiel diese brisante Mischung aus ungezähmtem Mann und purer Sexualität …

3. KAPITEL

Das ist ein Mann, der mir ernsthaft gefährlich werden könnte, überlegte Bella und betrachtete fasziniert die markanten Gesichtszüge, die innere Stärke, Souveränität und ein gesundes, wenn nicht gnadenloses Selbstbewusstsein demonstrierten.

„Könnte ich jetzt vielleicht auch meine Kleider zurückbekommen?“, fragte sie bewusst forsch. „Sonst fühle ich mich Ihnen gegenüber noch mehr im Nachteil als ohnehin schon.“

An das Ehrgefühl eines Mannes zu appellieren, war immer ein geschickter Schachzug, und er zeigte auch diesmal den gewünschten Erfolg. Ihr Retter hatte sogar den Anstand, sich ungefragt abzuwenden, während Bella noch etwas wackelig auf den Beinen in ihr Leinenensemble schlüpfte. Sie war froh, als sie endlich wieder saß, und betrachtete sinnend den breiten Männerrücken vor ihr. Seltsam, in der traditionellen arabischen Robe wirkte er fast noch männlicher als halb nackt.

Zumindest konnte sie ihn sich eher im Ringkampf mit einer wilden Bestie vorstellen als an einem Schreibtisch in einem modernen Wolkenkratzer. Entsetzt von ihrer überschäumenden Fantasie und frustriert über die unrühmlichen Umstände, in denen sie dieses Prachtexemplar von Mann kennengelernt hatte, legte Bella die Hände vor die Augen und lachte hilflos.

Zafid wandte sich um und betrachtete mit gerunzelter Stirn seinen ungebetenen Gast. Wahrscheinlich hatte ihr die Hitze mehr zugesetzt, als er bisher vermutet hatte. „Ich bin überrascht, dass Sie in Ihrer Situation noch lachen können.“

Damit sind wir wieder beim Sie! konstatierte Bella enttäuscht. Gerade jetzt, wo …

„Sie haben sich wohl verirrt und nicht die leiseste Ahnung, wo Sie sich befinden.“

„Halb so wild“, wiegelte sie ab, „ich bin doch bei Ihnen.“

„Das sollte Ihnen eher Angst machen, als Sie zu beruhigen“, erwiderte er. „Ich könnte für Sie eine größere Bedrohung sein als die Wüste. Hier ist niemand außer uns. Keiner hört Ihr Schreien und …“

Bella konnte nicht anders als laut zu lachen. „Sie hören sich an, als wollten Sie einen Horrorfilm synchronisieren!“

„Ich versuche nur, Ihnen zu vermitteln, dass eine gesunde Dosis Angst und Vorsicht Ihr Leben um ein Beträchtliches verlängern könnte.“

„Ich habe abwechselnd in London und New York gelebt und kann ganz gut auf mich aufpassen“, behauptete Bella kess. Sein wölfisches Lächeln ließ sie dennoch erschaudern.

„Hier sind Sie aber weder in London noch in New York, sondern inmitten der arabischen Wüste, mit einem Mann, den Sie nicht kennen. Und außerhalb dieses Zelts gibt es Schlangen, Skorpione und genügend Sand, um Ihren Körper zu verschlingen, bevor Sie wissen, wie Ihnen geschieht.“

Bei seinen Worten stellten sich zwar ihre Nackenhaare auf, doch so leicht ließ Bella sich nicht einschüchtern. „Hören Sie lieber auf damit“, warnte sie. „Oder möchten Sie Ihr Zelt mit einer hysterischen Frau teilen?“

„Ich will es mit gar keiner Frau teilen“, kam es kalt zurück.

„Oh …“ Bella brauchte einen Moment, um das zu verdauen. „Verstehe, Sie sind schwul.“

Ungläubige Wut flammte in Zafids schwarzen Augen auf. „Ich bin weder schwul noch bin ich auf sonst eine Gesellschaft aus. Was ich suche, ist Einsamkeit!“

„Wirklich?“ Fasziniert schaute Bella zu ihm auf. „Sie meinen … Sie wollen wirklich ganz allein sein?“

„Allein zu sein und Zeit zum Nachdenken zu haben, ist ein Geschenk.“

Sie zog ein Gesicht. „Was mich betrifft, ist Nachdenken ein völlig überbewerteter, langweiliger Zeitvertreib. Ich bin lieber unter Menschen.“

„Was haben Sie dann in dem Einkehr-Zentrum verloren?“

„Ich bin quasi dorthin strafversetzt worden!“

„Von wem?“

Bella seufzte. „Haben wir nicht schon genug über dieses Camp diskutiert? Schlimm genug, dass ich zwei Wochen dort festgesessen habe. Jetzt will ich es nur noch so schnell wie möglich vergessen. Mein Hirn ist schon völlig lahm vor lauter Selbstreflektion! Und gegen Meditation bin ich regelrecht allergisch. Das Leben ist auch ohne all das schon schwer genug …“

Stumm beobachtete sie, wie Zafid einen Becher Wasser einschenkte. Seine Bewegungen waren exakt abgezirkelt und wirkten irgendwie zuversichtlich. Abgesehen davon, dass er geradezu unverschämt gut aussah, war er auf jeden Fall viel zu ernst für sie. Und als er sich jetzt zu ihr umwandte, begegnete er ihrem Blick mit der gleichen grimmigen Missbilligung, die Bella von ihrem Vater kannte.

Entnervt schloss sie die Augen und presste eine Hand gegen ihren schmerzenden Schädel, der ihr mehr und mehr zu schaffen machte.

„Wie schlimm sind Ihre Kopfschmerzen?“

„Welche Kopfschmerzen?“ Lieber würde sie tot zu Boden sinken, als sich vor diesem Adonis mit der steinernen Miene eine Blöße zu geben! „Mir ging es nie besser in meinem Leben …“

„Sie leiden immer noch unter dem Wasserverlust. Hier, trinken Sie.“

Am liebsten hätte sie ihn ignoriert, doch ihr Schädel hämmerte derart, dass sie mühsam die Lider hob und nach dem Becher griff, den er ihr hinhielt. „Wie kommt es, dass Sie so viel Wasser bei sich haben?“, fragte Bella, nachdem sie ein paar Schlucke genommen hatte.

„Anders als Sie bin ich gut vorbereitet hierhergekommen“, gab er arrogant zurück. „Außerdem bin ich es nicht gewohnt, eine Frage wiederholen zu müssen. Also … wer hat Sie ins Einkehr-Zentrum geschickt?“

„Mein Vater.“ Sie trank noch mehr Wasser. „Hier soll ich mich selbst finden.“

„Stattdessen sind Sie verloren gegangen …“

Das spöttische Lächeln hellte seine dunklen Züge derart auf, dass es Bella den Atem verschlug. Ihre Augen weiteten sich, und da plötzlich auch noch ihre Hände zu zittern begannen, stellte sie den Becher vorsichtig zur Seite.

„Nochmals danke, dass Sie mich gerettet haben.“

„Was blieb mir anderes übrig? Sie sind mitten auf meinem Reitpfad kollabiert“, erwiderte er wenig charmant.

Bella öffnete schon den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Zafid hatte sie nicht aus den Augen gelassen. „Also … wer sind Sie?“, fragte er herrisch.

Erneut weiteten sich ihre Augen, diesmal aber nicht vor Bewunderung. Noch nie war sie gefragt worden, wer sie war. Jeder kannte sie! Einfach jeder! Egal, ob in London, New York, Mailand, Paris oder sonst wo. Auf Schritt und Tritt wurde sie verfolgt, fotografiert und kritisiert. Menschen, die sie nie zuvor gesehen hatte, benahmen sich ihr gegenüber wie alte Freunde. Oder Feinde. Jeder hatte eine Meinung über sie.

Meistens keine gute …

Doch hier, mitten in der arabischen Wüste, zählte weder ihr Gesicht noch ihr Name. Und erst jetzt kam Bella richtig zu Bewusstsein, dass auch niemand ihren derzeitigen Aufenthaltsort kannte. Niemand beobachtete sie, und keiner wartete darauf, dass der skandalträchtige Balfour-Zwilling wieder einmal auf dem gesellschaftlichen Parkett ausglitt. Wahrscheinlich langweilten sich die sensationslüsternen Reporter schon zu Tode!

Ein ungewohntes und ungeheuer belebendes Gefühl von Freiheit machte sich in ihr breit. Strahlend lächelte sie ihrem Retter zu. „Ich bin Kate“, behauptete sie aus einem verrückten Impuls heraus. „Und Sie sind …?“

„Wer ist Olivia?“, fragte er inquisitorisch, anstatt ihr zu antworten. „Und was soll sie auf keinen Fall tun?“

Als Bella an die Situation zurückdachte, die sie hierher gebracht hatte, verblasste ihr Lächeln. „Was wissen Sie von Olivia?“

„Während Ihres Deliriums haben Sie immer wieder diesen Namen genannt: Nein, Olivia, das darfst du nicht tun! Bitte tu es nicht! Wer ist sie?“

„Jemand, den ich kenne …“, flüsterte Bella und begann am ganzen Körper zu zittern. Was hatte sie ihm noch offenbart, ohne dass sie es wusste? Plötzlich fühlte sie sich schrecklich unsicher und verletzlich. „Habe ich noch etwas gesagt?“

Vielleicht auch etwas über Zoe? Oder über diesen grauenhaften Abend?

„Nicht viel. Weiß überhaupt jemand, dass sie heimlich das Zentrum verlassen haben?“

„Nein.“ Bella dachte an ihr Gespräch mit Atif. „Aber ich denke, sie werden ahnen, was ich vorhatte …“

„Und eine Suchmannschaft ausschicken!“, mutmaßte Zafid grimmig. „Was nun wirklich das Letzte ist, was ich gebrauchen kann.“

„Darin stimme ich völlig mit Ihnen überein“, verkündete Bella schon mit festerer Stimme. „Wenn sie mich finden, werden sie bestimmt versuchen, mich wieder dorthin zurückzuschleppen, mir nur noch mehr Torturen auferlegen und …“ Sie brach ab, als ihr zu Bewusstsein kam, was er eben gesagt hatte. „Warum wollen Sie eigentlich nicht, dass man nach mir sucht?“, fragte sie misstrauisch. „Ihnen könnte es doch egal sein, es sei denn …“

Ihre Augen wurden riesengroß. Zafid sah förmlich, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.

„Es sei denn, Sie haben auch einen Grund, sich zu verstecken! Wenn man normalerweise darüber informiert ist, wo Sie sich aufhalten, müssen Sie … ein Mörder sein, oder sonst irgendwas Wichtiges“, überlegte sie laut.

„Bisher hat mich noch niemand zum Mord getrieben“, knirschte Zafid, „aber die Versuchung wird langsam unwiderstehlich. Sie haben offensichtlich eine sehr lebhafte Fantasie, und für jemanden, der vor Kurzem noch bewusstlos war, reden Sie auch ganz schön viel.“

„Ja, ich bin ein richtiges Stehaufmännchen“, bestätigte Bella sonnig. „Wenn Sie also nicht kriminell sind, müssen Sie berühmt sein.“

Wie vorher zog sie die Beine an, umfasste sie mit den Armen und stützte das Kinn auf die Knie. Auf keinen Fall sollte er sehen, wie schwach und zitterig sie sich immer noch fühlte.

„Bestimmt sind Sie dieser Scheich“, sinnierte sie. „Darum wollen Sie auch nicht, dass irgendjemand weiß, wo Sie sind, oder?“

Als sie den Blick hob, sah sie ihn zurückzucken und erschrak fast vor dem angespannten Ausdruck in seinem Gesicht.

„Was wissen Sie über den Scheich?“

„Sehr wenig. Aber Atif hat mir erzählt, dass Sie hier jedes Jahr eine Woche allein verbringen.“ Ihr Blick zeugte ebenso von Verständnis wie ihr Lächeln. „Darum wollen Sie auch nicht, dass uns der Suchtrupp findet, nicht wahr? Dies ist Ihre Woche in der Wüste, die Sie sich von niemand kaputt machen lassen wollen.“

„Sie stellen eine Menge wilder Mutmaßungen an.“

„Die alle mitten ins Schwarze treffen“, erwiderte Bella gelassen. „Kein Grund, mir gegenüber so feindselig zu sein. Ich weiß alles über den Drang, vor Menschen flüchten und sich verstecken zu wollen. Und ich kann Geheimnisse für mich behalten.“

Sie rieb ihre Wange am Knie und schnitt eine Grimasse, als der unvermeidliche Sand ihre trockene Haut zerkratzte.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag … ich werde behaupten, Sie nie gesehen zu haben, wenn Sie für mich dasselbe tun.“

„Das hier ist kein Kinderspiel!“, stieß Zafid erbittert hervor.

Bella zuckte zusammen. „Meine Kopfschmerzen auch nicht!“ Erschöpft von dem fruchtlosen Gespräch ließ sie sich nach hinten auf die Matte fallen und schloss die Augen. „Hören Sie auf, mich so anzustarren. Sie sollten lieber meditieren, dann müssen Sie nicht so viel denken und grübeln.“

„Und Sie sollten vielleicht etwas mehr nachdenken, dann würden Sie nicht in derartige Schwierigkeiten geraten.“

An diesem Punkt entschied Bella spontan, dass es an der Zeit war, ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Entschlossen kam sie auf die Beine, nur um in der nächsten Sekunde mit einem erstickten Laut auf die Matte zurückzufallen.

„Wow! Noch keinen einzigen Drink gehabt, und schon wieder in der Horizontalen!“

Lieber blieb sie ihrem schlechten Ruf treu, als sich anmerken zu lassen, wie schwach sie immer noch war. „Hören Sie … Scheich, zeigen Sie mir nur den Weg nach Al … wie immer das auch heißt, dann geh ich meiner Wege, und Sie können zurück in Ihr altes Leben.“

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, sah sich Bella auf die Füße gestellt. „Wenn Sie noch nicht einmal bis zum Zeltausgang kommen, wie wollen Sie dann die Reise nach Al-Rafid schaffen?“

„Leihen Sie mir einfach noch einmal das Pferd, dann komme ich schon zurecht …“

Während sie sprach, begann das Zelt sich um sie zu drehen, sodass Bella instinktiv etwas zum Anlehnen suchte. Das einzig solide Objekt in ihrer Nähe schien seine breite Brust zu sein, also nutzte sie die willkommene Stütze. Die harten Muskeln fühlten sich fantastisch an und der maskuline Duft seiner sonnengebräunten Haut berauschte sie förmlich.

„Mmm … Sie riechen ausnehmend gut“, murmelte Bella wie in Trance. „Aber das hören Sie bestimmt von allen Frauen.“

Er zischte irgendetwas in seiner Sprache, das sie nicht verstand, und im nächsten Moment ließ er sie abrupt los, sodass sie erneut kraftlos zu Boden glitt.

Er hat mich von sich gestoßen!

Kein Mann hatte das je getan. Stets war es umgekehrt gewesen …

Immer noch kämpfte Bella mit ihrem Schwindel, riskierte aber einen vorsichtigen Blick nach oben und kollidierte mit einem schwarzen, wütend funkelnden Augenpaar.

„Sie haben absolut kein Benehmen!“

Sie seufzte. „Das stimmt leider …“

Ganz tief krallte sie die Fingernägel in ihren Oberschenkel, um sich von der Übelkeit abzulenken, die sie plötzlich zu überwältigen drohte. Himmel war ihr schlecht! „Geben Sie mir doch einfach das Pferd, dann sind Sie mich los …“

„Sie werden die Stute nicht bekommen!“

„Warum nicht?“ Sie schaffte es kaum noch, ihren Blick auf sein finsteres Gesicht zu richten. „Sie brauchen doch nicht zwei Pferde. Das ist ausgesprochen egoistisch.“

„Mein Hengst würde sie in fünf Sekunden töten, und die Stute ist zu wertvoll, um von einer Anfängerin verdorben zu werden. Außerdem würden Sie ohne Eskorte nirgendwohin gelangen.“

Gekränkt von seinem rüden Ton war Bella drauf und dran, ihm unter die Nase zu reiben, dass sie sogar eine Menge von Pferden verstand. Aber je weniger er über sie wusste, desto besser. Obwohl ihr Zustand sich spürbar verschlechterte, kam sie ziemlich zitterig erneut auf die Beine und baute sich leicht schwankend vor Zafid auf.

„Wollen Sie meine Eskorte sein?“, fragte sie mit belegter Stimme und legte bittend ihre Hand auf seinen Unterarm. Als sie hörte, wie er zischend den Atem einsog, regte sich gleich wieder die alte Bella in ihr. Auf ihren Lippen erschien ein kleines, triumphierendes Lächeln – eine instinktive, typisch weibliche Reaktion auf männliche Bewunderung. Hatte sie es nicht gewusst, dass er längst nicht so immun gegen sie war, wie er es vorgab?

Es war wie Balsam für ihr angeschlagenes Ego festzustellen, dass sie selbst ohne Conditioner, Make-up und Designerklamotten immer noch in der Lage war, einen Mann um den kleinen Finger zu wickeln.

Gib mir noch fünf Minuten, dann wirst du mir die Stute schenken!

Zutiefst erleichtert und voll neu gewonnenem Selbstvertrauen warf sie Zafid einen verruchten Blick zu, der noch nie seine Wirkung verfehlt hatte. „Ich weiß, Sie werden mir helfen“, hauchte sie. „Ich … ich glaube, allein bin ich verloren …“

„Das waren Sie schon, als ich Ihnen das erste Mal zu Hilfe kommen musste“, erinnerte er sie kühl.

Verlegenheit und Ärger über so viel Gefühllosigkeit färbten ihre Wangen tiefrot. Jetzt saß sie wirklich in der Falle! Frustriert suchte sie nach einem anderen Ausweg aus der Klemme. Liebten Männer es nicht besonders, wenn man ihnen zustimmte?

Ohne zu zögern, schlüpfte Bella in den Klein-Weibchen-Modus, obwohl sie diesem arroganten Scheich am liebsten einen Kinnhaken verpasst hätte. Der hilflos unterwürfige Blick aus schwimmenden blauen Augen allerdings war wirklich eine Meisterleistung der Schauspielkunst.

„Sie haben recht“, bekannte sie mit bebender Stimme. „Allein auf mich gestellt, bin ich verloren …“

Zafid kniff die Brauen zusammen und betrachtete sie sehr eingehend. „Haben Sie ein Problem mit Ihren Augen?“, fragte er nüchtern. „Ist es der Sand? Wenn ja, sollten Sie sie mit etwas Wasser ausspülen.“

Dieser …

Trotz ihrer Empörung musste Bella lachen. „Da hat sich also doch noch ein Funke Humor unter der harten, düsteren Schale versteckt, ja?“

Ich lache nicht.“

„Sollten Sie aber! Es wirkt befreiend und würde Ihnen sicher guttun. Sie sind viel zu miesepetrig … ach, vergessen Sie das“, riet sie ihm im nächsten Moment angesichts seiner unverändert steinernen Miene. „Mit Ihnen zu flirten, ist ohnehin Schwerstarbeit und führt offensichtlich zu nichts …“ Wie ein gefangener Vogel ließ sie die Flügel hängen und schüttelte kraftlos den Kopf. „Dann werde ich mir wohl doch selbst helfen müssen … aber wie?“

„Sie sind eine äußerst manipulative Frau und lernen nur sehr langsam“, stellte Zafid tadelnd fest.

„Ich bin nicht langsam!“

In seinen dunklen Augen blitzte es kurz auf. „Wenigstens geben Sie zu, dass Sie versuchen zu manipulieren. Interessant …“ Er betrachtete sie wie ein seltenes Insekt unter einem Mikroskop. „Verraten Sie mir noch eines. Wirkt Ihre Methode bei anderen Männern? Tun die, was Sie verlangen, und sagen Ja, wenn Sie sie so anschauen?“

„Erst kommt das Ja, und dann tun sie, was ich will!“, erwiderte Bella verstimmt.

Verflixt! Nicht nur, dass ihr Leben völlig aus den Fugen geraten war, jetzt hatte sie auch noch ihr einziges Talent verloren, dessen sie sich wirklich sicher gefühlt hatte: Ihre Fähigkeit, Männer anzuziehen und sie zu ihren ergebenen Sklaven zu machen!

Was blieb ihr jetzt noch? Sie war nicht so klug wie ihre Schwester Annie, nicht so liebenswert und freundlich wie Emily oder so praktisch veranlagt wie Olivia.

Sie hatte blaue Augen und blondes, langes Haar. Aber diese Kombination zog offensichtlich nicht mehr!

Bella fühlte sich plötzlich unglaublich verletzlich und wandte den Blick ab. „Sie hassen mich, und das ist auch okay“, sagte sie heiser. „Ein Grund mehr, mich so schnell wie möglich loszuwerden, oder? Bringen Sie mich doch bitte in die nächstliegende Stadt, und ich schwöre, ich mache Ihnen nie wieder Ärger.“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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