Julia Best of Band 214

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Miranda Lee
Du schenkst mir neues Glück

Fünf Jahre Trauer sind genug: Sharni will endlich wieder leben und lieben! Als sie in Sydney dem smarten Adrian begegnet, scheint der ersehnte Moment gekommen. Doch liebt Sharni Adrian wirklich - oder ist sie geblendet von seiner Ähnlichkeit mit ihrem verstorbenen Mann?

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  • Erscheinungstag 07.06.2019
  • Bandnummer 214
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712723
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Miranda Lee

JULIA BEST OF BAND 214

1. KAPITEL

Gerade als Sharni in einem der angesagtesten Restaurants Sydneys Platz genommen hatte, kam ihr verstorbener Mann zur Tür herein. Zumindest glaubte sie das.

Mit zitternden Händen hielt sie die Speisekarte umklammert und starrte Ray entsetzt an. Ihr Herz raste.

Erst geraume Zeit später setzte ihr gesunder Menschenverstand wieder ein.

Natürlich war das nicht Ray. Sondern irgendein Mann, der ihm ähnlich sah. Nein, das war untertrieben. Dieser Mann sah nicht einfach nur wie Ray aus, er war sein perfektes Ebenbild. Hätte sie selbst nicht damals seinen leblosen Körper identifiziert, würde sie jetzt glauben, er wäre gar nicht bei jenem schrecklichen Zugunglück ums Leben gekommen.

Mein Gott, er bewegte sich sogar wie Ray.

Ihr Blick folgte dem Fremden, als er zu einem der Tische am Fenster geführt wurde – nicht weit von ihrem Sitzplatz entfernt. In ihrem Gedächtnis kramte sie nach Kleinigkeiten, die ihn von ihrem Ehemann unterschieden.

Da war nichts.

Vielleicht war der Unbekannte eine Idee größer. Und ein bisschen besser gekleidet. Das rotbraune Wildlederjackett, das er trug, sah teuer aus. Genau wie das cremefarbene Seidenhemd und die elegant geschnittene, hellbraune Hose.

Abgesehen davon, war alles gleich. Der gleiche Körperbau. Das gleiche Gesicht. Die gleiche Haarfarbe, der gleiche Schnitt.

Ray hatte wundervolles Haar gehabt: dick und wellig, dunkelbraun mit einem Hauch ins Rötliche und lang, bis knapp über den Hemdkragen.

Rays Doppelgänger besaß genau dieselben Haare.

Mit trockenem Mund wartete Sharni, dass der Mann sich setzte und die Haare aus der Stirn strich, wie Ray es immer getan hatte.

Als er genau diese Geste vollführte, gelang es ihr nur mit Mühe, einen Aufschrei zu unterdrücken.

Was für einen grausamen Streich spielte ihr das Schicksal da?

Dabei war sie in letzter Zeit ganz gut zurechtgekommen. Ja allmählich bekam sie das Gefühl, ihr Leben wieder im Griff zu haben. Sie arbeitete sogar wieder, zwar nur halbtags, aber das war besser, als den ganzen Tag zu Hause zu sitzen.

Diese Reise nach Sydney bedeutete einen weiteren großen Schritt für sie. Vor einigen Monaten hatte ihre Schwester ihr den Wochenendausflug zum dreißigsten Geburtstag geschenkt. Zuerst hatte Sharni geradezu panisch reagiert.

„Ich kann Mozart unmöglich ein Wochenende alleine lassen, Janice“, sagte sie sofort, obwohl sie natürlich genau wusste, dass das nur eine dumme Ausrede war.

Zugegeben, Mozart war nicht der umgänglichste Hund. Er trauerte immer noch um Ray und schnappte deswegen schnell nach anderen Menschen. Doch John, der örtliche Tierarzt und Sharnis Chef, ging auf seine ganz eigene Art mit dem unglücklichen kleinen Terrier um und hatte nichts dagegen, sich für zwei Tage um ihn zu kümmern.

Janice durchschaute ihre Notlüge und bearbeitete ihre Schwester unerbittlich. Auch die Therapeutin, zu der Sharni seit Rays Tod ging, drängte sie zu der Fahrt.

Schließlich stimmte Sharni zu.

Gestern in den Zug einzusteigen, war ihr schwergefallen, aber sie schaffte es. Kaum setzte der Zug sich in Bewegung, griff sie schutzsuchend nach ihrem Handy und rief ihre Schwester an, weil sie eine Panikattacke befürchtete. Beruhigend redete Janice auf sie ein. Doch erst als der Zug in den Bahnhof von Sydney einfuhr, fühlte Sharni sich wieder sicher. Sicher genug, um heute Morgen den Friseursalon im Hotel aufzusuchen und sich die Haare schneiden zu lassen. Anschließend stand Shopping auf dem Plan.

Geld war kein Problem. Die drei Millionen Dollar, die die Bahngesellschaft ihr als Entschädigung für Rays Tod ausgezahlt hatte, hatte sie bisher kaum angerührt.

Als sie um kurz nach eins in ihren neuen Kleidern das Café betrat, fühlte sie sich optimistisch und hatte keine Angst mehr.

Doch nun war auf einmal alles wieder ganz anders.

Sie konnte einfach nicht aufhören, den gut aussehenden Fremden mit den so schmerzhaft bekannten Gesichtszügen anzustarren.

Irgendwo hatte Sharni gelesen, dass jeder Mensch auf dieser Welt einen Doppelgänger besaß. Aber dieser Mann war mehr als ein Doppelgänger. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie ihn für Rays Zwillingsbruder gehalten.

Der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Vielleicht war er das ja! Schließlich war Ray adoptiert worden.

Und schließlich gab es immer wieder Geschichten von Zwillingen, die bei einer Adoption getrennt wurden. War das des Rätsels Lösung?

Sie musste es herausfinden.

2. KAPITEL

Adrian bemerkte die attraktive Brünette schon, bevor er das Café betrat. Trotz seiner Vorliebe für Brünette hatte sein Eintreten nichts mit ihrer Gegenwart zu tun. Seit er vor einem Monat in sein Luxusapartment im Bortelli Tower gezogen war, gehörte er zu den regelmäßigen Besuchern des Cafés im Erdgeschoss. Zum Teil, weil es einfach praktisch war, aber vor allem, weil das Essen sehr gut schmeckte.

Die Brünette sah auf, als er hereinkam. Sie sah ihm direkt in die Augen.

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Adrian sie vielleicht ermutigt, indem er den Blickkontakt erwidert hätte. Heute jedoch senkte er nur den Kopf und tat so, als habe er ihr Interesse nicht bemerkt.

Er war nicht in der richtigen Stimmung für weibliche Gesellschaft. Noch immer grübelte er über die Worte nach, die Felicity ihm gestern Abend an den Kopf geworfen hatte.

„Du solltest überhaupt keine Freundin haben“, hatte sie ihm vorgeworfen, als er viel zu spät zu ihrer Verabredung zum Dinner gekommen war. „Was du brauchst, ist eine Geliebte! Jemand, der nur für den Sex da ist. Jemand, um den du dich nicht ernsthaft kümmern musst. Wohingegen ich einen Mann will, der mich von ganzem Herzen liebt. Das Einzige, was du liebst, Adrian Palmer, bist du selbst – und deine verdammten Häuser. Ich habe es satt, auf dich oder deine Anrufe zu warten. Dabei wusste ich, dass du ein Workaholic und Schürzenjäger bist. Wie dumm von mir zu glauben, ich könnte dich ändern! Mir reicht es, Adrian. Ich mag nicht mehr. Vielleicht triffst du eines Tages eine Frau, die dein Herz brechen wird. Zumindest hoffe ich das für dich.“

Dass er den Ruf eines Workaholics und Schürzenjägers besaß, entsetzte Adrian. Ebenso wie die Erkenntnis, dass er Felicitys Gefühle verletzt hatte. Dabei hatte er sie immer für genauso karriereorientiert wie sich selbst gehalten. Aber offensichtlich hatte sie sich gefühlsmäßig weitaus mehr auf ihn eingelassen als er sich auf sie.

Vermutlich hätte er das bemerken müssen.

Gestern Abend hatte er sich geschworen, in Zukunft nicht mehr so selbstsüchtig zu sein. Und genau aus diesem Grund ignorierte er jetzt die Brünette. Obwohl es seinem männlichen Ego durchaus schmeichelte, wie ihre Blicke ihm durch den Raum folgten.

Als er sich setzte und die Haare aus der Stirn strich, betrachtete er unauffällig ihr Spiegelbild im Fenster.

Wow, sie war wirklich sehr attraktiv. Die langen glänzenden Haare umrahmten ein hübsches Gesicht mit großen braunen Augen, die fest auf ihn gerichtet blieben.

Als er die Karte aufnahm, warf er ihr einen raschen Seitenblick zu. Sofort wandte sie den Kopf ab … verlegen, wie ihm schien.

Zum Glück ist sie nicht der draufgängerische Typ, dachte er. Sonst wäre er versucht gewesen, zu ihr zu gehen und sie zum Lunch an seinen Tisch einzuladen – so viel zu seinem Entschluss, sich hinsichtlich seiner Frauengeschichten zu bessern.

Dass die Brünette nun aufstand und auf ihn zuging, überraschte ihn völlig.

„Entschuldigen Sie“, sagte sie zögernd.

Er schaute von der Karte auf, die er nicht wirklich gelesen hatte.

Aus der Nähe sah sie noch hübscher aus. Ein herzförmiges Gesicht, klare Haut, eine süße kleine Stupsnase und sehr sinnliche Lippen. Auch ihre Figur gefiel ihm sehr. Die perfekt sitzende schwarze Hose und der pinkfarbene Pullover betonten die schmale Taille und die vollen Brüste.

„Es tut mir leid“, fuhr sie fort, „aber ich muss Ihnen diese Frage einfach stellen. Wahrscheinlich halten Sie mich für sehr unhöflich, doch ich … ich muss es wissen.“

„Was denn wissen?“

„Sind Sie vielleicht adoptiert worden?“

Überrascht blinzelte Adrian. Das war der originellste und wirksamste Anmachspruch, den er seit Langem gehört hatte. Viel besser als der Klassiker: „Hey, haben wir uns nicht schon einmal irgendwo getroffen?“

Möglicherweise hatte er sie vorhin falsch eingeschätzt. Vielleicht war sie doch der draufgängerische Typ, besaß jedoch genug weibliche List, um äußerst subtil vorzugehen.

Darin lag einer der Gründe, warum er sich zu Brünetten hingezogen fühlte. Er empfand sie stets als besonders interessant. Und herausfordernd.

Adrian mochte Herausforderungen.

„Nein, das bin ich nicht“, erwiderte er. Wie würde sie jetzt wohl weitermachen?

Sie runzelte die Stirn.

„Sind Sie absolut sicher?“, hakte sie dann verwirrt nach. „Ich meine … Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber manche Eltern erzählen ihren Kindern nicht, dass sie adoptiert wurden. Besteht irgendeine Möglichkeit, dass dies der Fall ist?“

Endlich erkannte Adrian, dass sie nicht versuchte, mit ihm zu flirten. Ihre Frage klang aufrichtig. Zumindest bestätigte der traurige Ausdruck in ihren braunen Augen das.

„Ich versichere Ihnen, dass ich das leibliche Kind meiner Eltern bin. Ich besitze Fotos, die das beweisen. Außerdem hätte mein Vater mir etwas so Wichtiges nie verschwiegen. Er nahm es mit der Wahrheit sehr genau.“

„Dann ist es unglaublich“, staunte sie. „Einfach unglaublich.“

„Was denn eigentlich?“

Doch sie schüttelte den Kopf. „Das spielt keine Rolle. Es tut mir leid, Sie belästigt zu haben.“

„Nein, gehen Sie nicht“, meinte er schnell, als sie sich umwandte. Dieses Rätsel musste gelöst werden.

Denn Rätsel mochte er fast ebenso sehr wie Herausforderungen.

„Sie können mich doch nicht so in der Luft hängen lassen. Ich will wissen, warum Sie glauben, ich sei adoptiert worden. Setzen Sie sich und erzählen mir die Geschichte.“

Besorgt blickte sie zu ihrem Tisch, an dem ihre Handtasche und einige Einkaufstüten standen.

„Warum holen Sie nicht Ihre Sachen und essen mit mir zusammen zu Mittag?“, schlug er vor.

Einen langen Moment musterte sie ihn eindringlich. „Ich glaube nicht, dass ich das tun kann.“

„Warum nicht?“

Als Antwort hob sie in einer fahrigen Geste beide Hände, was seine Aufmerksamkeit auf ihre Ringe lenkte. Ein Verlobungsring und ein Ehering.

Die Erkenntnis, dass sie verheiratet war, enttäuschte Adrian mehr als jedes andere Ereignis der letzten Monate.

„Weil es ihrem Ehemann nicht gefallen würde?“

Diese Frage machte sie noch nervöser.

„Ich … ich habe keinen Mann mehr“, stieß sie hervor. „Ich bin verwitwet.“

„Das tut mir leid“, sagte er.

„Er starb bei einem Unfall. Ich musste seine Leiche identifizieren. Ich … Oh mein Gott … Ich muss mich hinsetzen.“

Damit sank sie auf den Stuhl ihm gegenüber. Ihre helle Haut hatte plötzlich einen ungesunden grauen Ton.

Eilig schenkte Adrian ihr ein Glas Wasser ein. Sie stürzte den Inhalt hinunter, danach schüttelte sie wieder den Kopf.

„Sie müssen mich für verrückt halten. Es ist nur … Sie sehen genauso aus wie er.“

„Wie wer?“, fragte er, bevor der Groschen fiel.

„Wie Ray.“

„Ihr verstorbener Ehemann“, stellte er fest.

„Ja. Diese Ähnlichkeit ist unheimlich. Sie … Sie könnten Zwillinge sein.“

„Ich verstehe. Deshalb wollten Sie wissen, ob ich adoptiert worden bin.“

„Das schien mir die einzige Erklärung zu sein.“

„Man sagt ja, jeder Mensch besitze einen Doppelgänger.“

„Ja, das habe ich auch gehört. Genau dieses Phänomen muss hier vorliegen. Trotzdem war es ein Schock für mich.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

Sie neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn nachdenklich.

„Wie lange ist es her, dass Ihr Mann ums Leben gekommen ist?“, fragte er.

„Fünf Jahre.“

Fünf Jahre! Und sie trauerte immer noch. Sie musste ihn wirklich geliebt haben. Dennoch war es Zeit, nach vorn zu blicken. Sie war immer noch jung und hübsch. Sehr, sehr hübsch, korrigierte er sich und verspürte ein vertrautes Prickeln in den Lenden.

„Ray ist bei einem Zugunglück in den Blue Mountains gestorben“, erklärte sie traurig. „Viele Menschen haben dabei ihr Leben verloren.“

„Ich erinnere mich. Es war eine Tragödie. Und sie wäre vermeidbar gewesen, nicht wahr?“

„Ja. Der Zug fuhr viel zu schnell.“

„Ihr Verlust tut mir aufrichtig leid. Hatten Sie und Ihr Mann Kinder?“ Sie sah alt genug für Kinder aus. Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig.

„Nein“, erwiderte sie brüsk. „Nein, hatten wir nicht. Ich sollte mich wieder an meinen Tisch setzen. Entschuldigen Sie die Störung und danke für das Wasser.“

Bevor sie flüchten konnte, reichte Adrian ihr seine rechte Hand.

„Mein Name ist Adrian Palmer“, stellte er sich vor. „Ich bin ein Einzelkind. Sohn von Dr. Arthur Palmer, praktischer Arzt, leider verstorben, und May Palmer, ehemalige Krankenschwester, heute pensioniert. Ich bin sechsunddreißig, unverheiratet und ein recht erfolgreicher Architekt. Dieses Gebäude habe ich entworfen.“

Die Frau starrte auf seine Hand und dann in sein Gesicht. „Warum erzählen Sie mir das?“

„Damit ich kein Fremder mehr für Sie bin. Das ist doch der Grund, warum Sie nicht mit mir zu Mittag essen wollen, oder?“

3. KAPITEL

Sharni wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich hatte ihre Weigerung, ihm Gesellschaft zu leisten, nichts damit zu tun, dass er ein Fremder war.

„Oh, ich verstehe“, meinte er und ließ seine Hand sinken. „Ich erinnere Sie zu sehr an Ihren Mann.“

„Ja“, stieß sie hervor. Und es lag nicht nur an seinem Aussehen. Sie dachte daran, wie er sich die Haare aus der Stirn gestrichen hatte. Ganz zu schweigen von seiner Art zu gehen und sich zu bewegen. Genau wie Ray.

„Ist das denn etwas Schlimmes?“, fragte er.

„Nun, nein, ich denke nicht …“

„Da Sie nun den ersten Schock über unsere Ähnlichkeit überwunden haben, bin ich sicher, Sie werden sehr viele Unterschiede feststellen.“

Ihre Art zu sprechen war auf jeden Fall verschieden. Ray hatte mit starkem, australischem Akzent gesprochen. Die Stimme von Adrian Palmer verriet die Erziehung in einer Privatschule. Sie klang kultiviert und gebildet.

Außerdem strahlte er ein Selbstvertrauen aus, das Ray niemals besessen hatte. Ihr Ehemann war ein ruhiger schüchterner Mann gewesen, dessen emotionale Bedürftigkeit Sharnis soziale Natur angesprochen hatte.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass sein Doppelgänger Architekt geworden war, ein Beruf, den Ray sich immer gewünscht, aber nicht zugetraut hatte. Stattdessen hatte er als technischer Zeichner gearbeitet.

„Bitte, sagen Sie nicht Nein“, fuhr der Doppelgänger fort und lächelte ein Lächeln, das so ganz anders aussah als Rays Lächeln. Verführerisch, mit aufblitzenden weißen Zähnen und fast unwiderstehlich charmant.

Dass ihre Entschlossenheit tatsächlich ins Wanken geriet, überraschte Sharni. Denn plötzlich erinnerte er sie überhaupt nicht mehr an Ray.

„Es ist doch nur ein Lunch“, fügte er hinzu. Seine blauen Augen funkelten.

In Rays Augen hatte nur selten ein Funkeln gelegen. Sie waren eher wie ruhige Seen gewesen. Wohingegen ihr seine Augen wie das im Sonnenlicht glitzernde Meer vorkamen.

„Na gut“, stimmte sie zu, bevor sie es sich anders überlegte.

Ihr blieb kaum Zeit, um Luft zu holen, da stand er auch schon auf und holte die Sachen von ihrem Tisch. „Haben Sie eine kleine Shoppingtour gemacht?“, tippte er, als er die Tüten auf den freien Stuhl neben sie legte.

„Was? Oh ja. Heute Nachmittag folgt der zweite Teil.“

Als er sich setzte, strich er sich wieder auf die ihr so vertraute Weise die Haare aus der Stirn. Abermals war Sharni sprachlos.

Er lächelte. „Sie sollten sich auch vorstellen.“

„Wie bitte?“, haspelte sie verwirrt.

„Ihr Name. Oder möchten Sie die geheimnisvolle Frau bleiben?“

Sharni riss sich zusammen. „An mir gibt es nicht viel Geheimnisvolles“, erklärte sie mit einem kleinen Lachen. „Ich heiße Sharni. Sharni Johnson.“

„Sharni“, wiederholte er. „Was für ein ungewöhnlicher Name. Er passt zu Ihnen. Wissen Sie, was Sie bestellen möchten, Sharni? Oder wollen Sie das Risiko eingehen und mich etwas für Sie aussuchen lassen? So groß ist das Wagnis allerdings nicht. Ich habe schon etliche Mal hier gegessen, nicht wahr, Roland?“, wandte Adrian sich an den Kellner, der an ihren Tisch getreten war.

„In der Tat, das haben Sie, Mr. Palmer“, entgegnete Roland.

„In Ordnung“, willigte sie ein und dachte, dass Adrian Palmers Selbstvertrauen an Arroganz grenzte.

„Mögen Sie Fisch?“, fragte er, während er die Karte studierte.

„Ja.“

„Wie steht es mit Wein? Trinken Sie Weißwein?“

„Gern.“

„In diesem Fall nehmen wir die gedämpften Zanderfilets mit Salat und zum Nachtisch die Mandel-Pflaumentorte. Mit Sahne. Und bringen Sie uns bitte eine Flasche von dem Wein, den ich gestern bestellt habe. Sie wissen schon, den Sauvignon Blanc vom Margaret River.“

„Kommt sofort, Mr. Palmer.“

Seine Gewandtheit musste Sharni einfach bewundern. Es lag lange Zeit zurück, dass ein Mann mit solchem Elan ein Essen für sie bestellt hatte. Ray war dabei immer ziemlich unsicher gewesen. Entscheidungen zu treffen, war nicht seine Stärke. Das war ihre Spezialität.

Zumindest war sie das einmal gewesen. Kurz nachdem Sharni den Prozess um die Entschädigung gewonnen hatte, verschwand diese Fähigkeit auf einmal. Fast so, als wäre sie so lange stark geblieben, wie sie Gerechtigkeit gesucht hatte. Und kaum erhielt sie sie, wurde sie schwach.

Die drei Millionen Dollar erwiesen sich jedoch als leerer Sieg. Denn alles Geld der Welt konnte ihren geliebten Mann und das wunderschöne kleine Baby nicht ersetzen.

Trotzdem ging das Leben weiter, wie Janice nicht müde wurde zu betonen.

Ihre Schwester wäre stolz auf sie, weil sie in dieser Situation nicht wegrannte. Allerdings wäre sie misstrauisch, was Sharnis Motive, mit Rays Doppelgänger zu Mittag zu essen, anging. Möglicherweise würde sie befürchten, ihre Schwester könnte sich einreden, Ray wäre noch am Leben und nichts hätte sich geändert.

Doch das stimmte nicht. Auch wenn dieser Mann wie Ray aussah. Ihre Persönlichkeit war völlig verschieden. Nur solange er nicht sprach, konnte sie ihn für Ray halten.

„Haben Sie wirklich dieses Gebäude entworfen?“, fragte sie, nachdem der Kellner gegangen war.

„Ja. Gefällt es ihnen?“

„Um ehrlich zu sein, habe ich es mir noch gar nicht richtig angesehen. Ich bin vorbeigegangen, habe den Duft von leckerem Essen gerochen, festgestellt, dass es bereits Mittag ist und bin hineingegangen.“

„Nach dem Essen machen wir eine Besichtigungstour. Übrigens wohne ich in einem der oberen Stockwerke.“

Du meine Güte, dachte sie. Der geht aber schnell ans Werk!

„Nein, danke, Mr. Palmer“, lehnte sie ab.

„Adrian“, berichtigte er sie und schenkte ihr ein verführerisches Lächeln.

Seine Aufmerksamkeit schmeichelte ihr, das musste Sharni zugeben. Außerdem fand sie ihn ziemlich attraktiv. Was ja nur logisch war. Als Erstes war ihr an Ray sein Aussehen aufgefallen. Körperlich stach er aus der Menge hervor. Erst als sie ihn angesprochen hatte, bemerkte sie, wie schüchtern er war.

Damals hatte sie das als anziehend empfunden. Heute jedoch würde sie sich vielleicht eher in einen selbstbewussteren kontaktfreudigeren Mann verlieben.

Aber sie war noch nicht bereit, in die Welt der Verabredungen zurückzukehren, vor allem nicht mit dem Ebenbild ihres verstorbenen Ehemannes. Und ganz sicher nicht mit einem so versierten Casanova.

Sharni erkannte einen Schürzenjäger, wenn sie ihn sah.

„Danke, nein, Adrian“, wiederholte sie also kühl. „Etwas anderem als dem Mittagessen habe ich nicht zugestimmt.“

Er seufzte. Doch es klang nicht, als würde er sich geschlagen geben. Sharni vermutete, er plante bereits seinen nächsten Schachzug.

Mit dem Wein kehrte auch sein selbstbewusstes Lächeln zurück, was sie daran erinnerte, nicht zu viel zu trinken. Vor einem Jahr hatte sie eine Zeit lang viel zu viel getrunken. Mittlerweile achtete sie sehr darauf, Alkohol in Maßen zu genießen. Alkohol, das hatte die Therapeutin ihr klargemacht, verstärkte nur die Depressionen. Der Gedanke an das, was sie alles verloren hatte, war einfach zu viel gewesen. Erst ihren Ehemann, dann ihr Baby. Oh Gott …

„Einen Penny für Ihre Gedanken“, unterbrach er ihre Erinnerung leise.

Da biss Sharni die Zähne zusammen, schaute auf und griff nach dem Weinglas. Zum Teufel mit der Vernunft, dachte sie.

Adrian beobachtete, wie sie das Glas an die Lippen hob und einen großen Schluck trank.

„Die sind viel mehr wert als das“, entgegnete sie.

Irgendwie klang sie bitter, schoss es ihm durch den Kopf.

„Ich bin mir nicht sicher, was Sie damit meinen.“

Bevor sie antwortete, nahm sie noch einen Schluck Wein. „Ich habe an die Entschädigung gedacht, die mir die Eisenbahn gezahlt hat.“

„Ich hoffe, man hat Ihnen eine anständige Summe ausgezahlt.“

Jetzt war ihr Lachen definitiv bitter. „Anfangs nicht. Darum habe ich mir einen Anwalt genommen und die Gesellschaft verklagt.“

„Gut für Sie.“

„Ich hatte Glück. Meine Anwältin war brillant. Mein Fall hat sie so wütend gemacht, dass sie mich kostenlos vertreten hat.“

„Das passiert nicht oft.“

„Jordan war sehr freundlich zu mir.“

Überrascht zog Adrian eine Augenbraue hoch. „Jordan, wie in Jordan Gray von Stedley & Parkinsons?“

„Ja, warum? Kennen Sie Jordan?“

„Sie ist mit Gino Bortelli verheiratet. Das ist der italienische Geschäftsmann, der mich beauftragt hat, dieses Gebäude zu entwerfen. Deshalb heißt es Bortelli Tower.“

„Ach herrje! Wann ist denn das alles passiert? Als sie meinen Fall übernommen hat, war Jordan noch nicht verheiratet.“

„Vor ungefähr einem Jahr. Ich glaube, sie und Gino kannten einander schon länger und haben sich zufällig wiedergetroffen, als er geschäftlich in Sydney zu tun hatte. Gerade noch rechtzeitig, da Jordan kurz davor stand, sich mit einem anderen Mann zu verloben. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Die wahre Liebe hat gesiegt. Erst kürzlich sind sie von ihren ausgedehnten Flitterwochen in Italien zurückgekommen. Aber sie leben nicht in Sydney, sondern in Melbourne.“

„Schade! Ich hätte Jordan gerne wiedergesehen.“

„Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen ihre Telefonnummer.“

„Oh nein. Nein, ich möchte mich ihr auf keinen Fall aufdrängen. Schließlich war ich nur eine Klientin unter vielen, keine enge Freundin. Aber es freut mich zu hören, dass Jordan glücklich verheiratet ist. Ich nehme doch an, sie ist glücklich?“

„Sehr. Sie und Gino haben vor Kurzem ein Baby bekommen. Einen kleinen Jungen namens Joe.“

„Wie wundervoll“, erwiderte sie. Für einen Moment umwölkten sich ihre Augen.

„Wie viel Entschädigung haben Sie bekommen?“, wollte Adrian wissen. „Oder ist die Frage zu unhöflich?“

„Nein, damit habe ich kein Problem. Drei Millionen.“

Er pfiff leise. „Das ist ein ansehnlicher Betrag. Ich hoffe, Sie haben ihn klug angelegt.“

„Er ist sicher.“ Sicher auf einem Bankkonto, das bei absolut keinem Risiko ordentliche Zinsen abwarf.

„Leben Sie noch in den Blue Mountains?“

„Ja. Am Stadtrand von Katoomba.“

„Dann sind Sie heute nur zum Shopping nach Sydney gekommen?“

„Nicht direkt. Meine Schwester war der Meinung, ich könnte einen kleinen Urlaub gebrauchen. Zu meinem Geburtstag hat sie mir ein Wochenende im Hotel geschenkt.“

„Heißt das, heute ist Ihr Geburtstag?“ Was für ein wunderbarer Vorwand, um sie gleich auch noch zum Abendessen einzuladen! Falls er sie dazu überreden konnte.

„Nein. Mein Geburtstag ist schon einige Wochen her.“

„Und wie alt sind Sie geworden?“

Dafür erntete er einen scharfen Blick. „Das ist eine unhöfliche Frage. Sie sollten eine Frau nie nach ihrem Alter fragen.“

„Ich dachte, das gilt erst, wenn die Dame vierzig geworden ist“, verteidigte er sich lächelnd.

„Das sehe ich anders.“

„In Ordnung. Also, was tun Sie? Oder arbeiten Sie nicht mehr?“

„Ich bin Assistentin bei einem Tierarzt. Allerdings nur halbtags.“

Warum nur, fragte er sich. Weil sie das Geld nicht braucht? Oder weil sie immer noch von dem tragischen Unfalltod ihres Mannes traumatisiert ist?

Ihre traurige Aura berührte ihn. Ebenso wie ihre unschuldige Schönheit. Die gesamte Wirkung, die Sharni auf ihn ausübte, faszinierte Adrian. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so empfunden zu haben. Sie weckte den Kavalier in ihm. Mehr als alles in der Welt verspürte er den Wunsch, sie zum Lächeln zu bringen und ihr eine Freude zu bereiten.

Viel eher willst du dir doch selbst eine Freude bereiten, flüsterte eine sarkastische Stimme in seinem Inneren. Du willst sie ins Bett bekommen. Darum geht es doch hier! Darum geht es dir doch immer, mein lieber Adrian.

Normalerweise würde er der Stimme recht geben. Aber diesmal nicht. Dieses Mal war alles anders. Er wollte Sharni nicht verführen, sondern Zeit mit ihr verbringen. Er wollte sie kennenlernen. Wirklich kennenlernen. Und zwar nicht nur im Bett.

„Früher wollte ich Tierärztin werden“, fuhr sie fort. „Aber meine Noten in der Schule reichten nicht aus. Mit Theorie konnte ich noch nie etwas anfangen. Ich bin eher ein praktischer Mensch.“

„Ich halte es nicht für wichtig, was jemand tut, solange ihn seine Arbeit glücklich macht.“

„Architekt zu sein, macht Sie offensichtlich glücklich“, erwiderte sie, und Adrian lächelte.

„Sieht man das?“

„Sie wirken wie ein zufriedener Mann.“

„Ich liebe meine Arbeit“, gab er zu. „Zu sehr, wie manche Menschen meinen.“

Sogar seine eigene Mutter hielt ihn für besessen. Doch es lag nun einmal in seiner Natur. Es widerstrebte ihm zutiefst, Dinge nur zur Hälfte zu erledigen. Wenn ihn etwas interessierte, dann gab er sich ihm mit Leib und Seele hin.

Und diese Frau interessierte ihn wie noch kein weibliches Wesen zuvor. Was hatte sie nur an sich, dass sein Interesse so sehr weckte? Sicher, sie war hübsch, aber er hatte schon viele hübsche Frauen getroffen. Sie war weder extrem intelligent noch extrem elegant oder extrem sexy … wie Felicity.

Abgesehen von der brünetten Haarfarbe unterschied Sharni sich von allen anderen Frauen, mit denen er ausgegangen war. Bisher waren es immer Karrierefrauen gewesen, die er durch seine Arbeit kennengelernt hatte. Felicity galt als eine der besten Innenarchitektinnen des Landes. Davor hatte es ein oder zwei andere Architektinnen gegeben, eine Anwältin, eine Computerexpertin, eine Vertriebsleiterin.

Unter allen Dates war niemals eine Tierarztassistentin gewesen, die im Hinterland lebte und errötete, wenn man sie ertappte, wie sie einen Mann ansah.

„Sie starren mich an“, murmelte sie leise.

„Nun, dann sind wir jetzt quitt“, erwiderte Adrian lächelnd. „Sie haben mich heute schon ziemlich lange angestarrt.“

Offensichtlich machte seine Antwort sie verlegen. „Ja, aber Sie wissen, warum.“

„Wollen Sie damit sagen, Sie finden mich nur attraktiv, weil ich Sie an Ihren Ehemann erinnere?“

Wieder überraschte sie seine Direktheit. „Wer hat gesagt, dass ich Sie attraktiv finde?“

„Das verraten mir Ihre Augen. Wohingegen Sie aus meinen lesen können, dass ich Sie sehr attraktiv finde.“

Jetzt breitete sich dunkle Röte auf ihren Wangen aus. „Bitte, flirten Sie nicht mit mir, Adrian.“

„Warum nicht?“

„Weil ich … Ich kann damit nicht umgehen.“

„Bin ich der erste Mann, der Ihnen seit dem Tod Ihres Mannes diese Aufmerksamkeit schenkt? Das kann ich mir kaum vorstellen.“

„Seit Rays Tod war ich mit keinem anderen Mann zusammen, wenn Sie das meinen. Ich gehe nicht aus. Und ich habe auch keine Verabredungen.“

Ihr Geständnis verblüffte Adrian. Fünf Jahre, in denen sie ganz allein gelebt hatte. Fünf Jahre ohne männliche Gesellschaft oder Sex. Das war nicht gesund.

„Ich finde das unglaublich traurig, Sharni.“

„Das Leben ist traurig“, entgegnete sie und trank noch einen Schluck Wein.

„Sie gehen heute Abend mit mir aus“, verkündete er mit fester Stimme.

Ihre Augen weiteten sich, dann trafen sich ihre Blicke über den Rand des Weinglases hinweg.

„Tue ich das?“

In den zwei Worten lag genug Unsicherheit, um Adrian zufriedenzustellen.

„Selbstverständlich“, sagte er in dem Moment, in dem ihr Essen serviert wurde.

4. KAPITEL

„Kaffee oder Tee?“, fragte Adrian.

Sharni blickte von ihrem leeren Teller auf. Gerade hatte sie das letzte Stückchen der wirklich köstlichen Mandel-Pflaumentorte aufgegessen.

Roland stand neben ihrem Tisch und wartete nur noch auf eine Antwort.

„Einen Cappuccino, bitte“, erwiderte sie, nachdem sie sich den Mund mit der weißen Leinenserviette abgetupft hatte.

„Für mich einen Kaffee“, bat Adrian.

Mittlerweile verstand Sharni, warum Adrian so oft hierherkam. Das Essen schmeckte ausgezeichnet, und der Service war hervorragend.

„Wohin soll ich Sie heute Abend ausführen?“, fragte er.

Sharni seufzte. Sie hätte wissen müssen, dass er früher oder später auf das Thema zurückkam. Während des Essens hatte er sie in falscher Sicherheit gewogen, indem er aufhörte, mit ihr zu flirten, und das Gespräch in unpersönlichere Bereiche wie Politik und Wetter lenkte.

Jetzt richtete Adrian seinen Blick wieder fest auf sie. In seinen Augen lag das verstörende Funkeln von vorhin.

Natürlich hatte er recht. Sie fand ihn attraktiv. Wie könnte es auch anders sein? Aber seine Anziehungskraft war nicht nur rein körperlich. Er gab ihr das Gefühl, die faszinierendste Frau der Welt zu sein.

Zu behaupten, heute Abend nicht mit ihm ausgehen zu wollen, machte keinen Sinn. Dennoch begleitete diese verlockende Aussicht eine gehörige Portion Furcht. Wenn er nun versuchte, sie zu verführen? Und wenn er dabei erfolgreich war?

In den letzten fünf Jahren hatte Sharni ein Leben ohne Sex geführt. Seit dem Tod ihres Babys blieb ihre Periode aus. Die Ärzte machten dafür den Schock und die Trauer verantwortlich. Um bei der Wahrheit zu bleiben, hatte sie seit damals einfach keinen Gedanken mehr an Sex verschwendet.

Nun dachte sie plötzlich sehr intensiv daran.

Lag das an dem Wein oder an der unglaublichen Ähnlichkeit des Mannes vor ihr mit Ray?

Erotisch hatte Ray sie vom ersten Moment an angezogen. Trotzdem waren sie erst einige Wochen ausgegangen, bevor sie miteinander geschlafen hatten. Selbst dann hatte er es ihr überlassen, den ersten Schritt zu tun. Auch im Schlafzimmer war Ray überaus schüchtern gewesen.

Dieser Mann ist nicht so, dachte Sharni und blickte Adrian an. Er würde wissen, was er tun musste.

„Wie wäre es mit einem frühen Dinner? Danach könnten wir noch zu einer Show gehen“, platzte Adrian in das Schweigen hinein. „Oder zuerst die Show und dann das Essen? Kennen Sie Das Phantom der Oper? Das Musical, nicht den Film, meine ich. Ich habe gehört, die aktuelle Inszenierung sei besser als alle vorherigen.“

Die Geschichte um das Phantom hatte Sharni schon immer geliebt. Vor allem die romantischen Momente darin liebte sie. Und dazu die wunderbare Musik von Andrew Lloyd Webber, die die Zerrissenheit und unkontrollierbaren Leidenschaften des Helden so perfekt zum Ausdruck brachte.

„Nein, noch nicht“, gab sie zu. „Aber …“

„Kein Aber, Sharni“, unterbrach er sie. „Ihre Schwester hat Ihnen das Wochenende in Sydney geschenkt, damit Sie mal wieder etwas Spaß haben. Allein an einem Samstagabend in einem Hotelzimmer zu sitzen, macht definitiv keinen Spaß. Falls Sie immer noch besorgt sind, weil ich ein Fremder bin, rufe ich auf der Stelle Jordan an, damit sie ein gutes Wort für mich einlegt.“ Um zu zeigen, dass es ihm ernst war, zog er ein silbernes Mobiltelefon aus der Tasche und öffnete es.

„Nein, nein, das brauchen Sie nicht“, beeilte sie sich zu versichern.

„Dann kommen Sie also mit?“

„Sie haben mich überredet.“

„Fantastisch“, entgegnete er lächelnd.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Er war wirklich absolut unwiderstehlich, wenn er auf diese Art lächelte.

„Was ist mit dem Phantom? Gehen wir dorthin, oder möchten Sie lieber eine andere Show besuchen? Vielleicht ein Theaterstück?“

„Nein, ich mag Musicals.“

„Und darf ich Sie vorher oder nachher zum Dinner ausführen?“

„Danach.“

„Großartig“, rief er mit einem fröhlichen Glitzern in den Augen. „Nach unserem Kaffee führe ich Sie auf die andere Straßenseite, von wo aus Sie einen guten Blick auf meinen ganzen Stolz werfen können. Und nachdem Sie meine Brillanz im Entwerfen von Gebäudeaußenseiten gebührlich beeindruckt hat, zeige ich Ihnen noch rasch das Innere.“

„Wir müssen uns jetzt aber beeilen“, warf Sharni ein. „Vor Ladenschluss muss ich noch ein passendes Kleid für heute Abend kaufen. Bisher habe ich mich nur nach Freizeitkleidung umgesehen.“

„Ich könnte Sie begleiten.“

„Haben Sie heute Nachmittag denn nichts zu tun?“

„Nicht wirklich“, erwiderte er. „Mit dem Plan, den ich gestern Abend gezeichnet habe, bin ich überaus zufrieden. Zwischen zwei Projekten gönne ich mir immer eine Pause.“

„Wie lange dauert sie?“

„Mindestens einen Tag“, erklärte er lachend. „Also, wie lautet Ihre Antwort? Ich habe einen guten Geschmack, was Frauenkleider angeht.“

„Ich hasse es, jemanden zum Einkaufen mitzunehmen“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich ziehe es vor, mich auf mein eigenes Urteil zu verlassen.“

„Und Ihr Urteilsvermögen ist ausgezeichnet“, lobte er und ließ seinen Blick langsam über ihren Körper wandern.

Sharni musste einfach lächeln. „Ich glaube, Sie sind ein unverbesserlicher Charmeur.“

„Und ich glaube, Sie können ein paar Komplimente vertragen. Ah, da kommt unser Kaffee.“

„Sehr gut. Ich muss wieder nüchtern werden. Ich fürchte, ich bin ein bisschen beschwipst.“ Es sah ihr gar nicht ähnlich, ein so unbeschwertes Verhalten an den Tag zu legen. Oder sich so glücklich zu fühlen.

Nachdem sie ihren Kaffee getrunken hatten, kümmerte Adrian sich um die Rechnung, während Sharni ihre Einkaufstüten einsammelte.

Oje, dachte sie, als sich ihr Kopf beim Aufstehen alarmierend drehte. Jetzt bestand kein Zweifel mehr. Sie hatte viel zu viel getrunken.

5. KAPITEL

„Das ist wirklich ein beeindruckendes Gebäude“, rief Sharni fasziniert.

Sie standen auf dem Bürgersteig auf der anderen Straßenseite. Adrian hielt die Einkaufstüten, und Sharni schirmte die Sonnenstrahlen mit den Händen ab, während ihr Blick an der Fassade des Bortelli Towers hinaufwanderte.

„Etwas so Großartiges habe ich noch nie gesehen“, sagte sie ehrfürchtig. „Mir gefällt die gräuliche Färbung der Fenster. Und die achteckige Form ist so ungewöhnlich. Wie viele Stockwerke gibt es in dem Gebäude?“

„Fünfundzwanzig. In den ersten zehn sind Büroräume untergebracht. Im elften Stock gibt es einen Fitnessclub und ein Schwimmbad. Danach kommen ausschließlich private Apartments. Jedes besitzt einen Balkon.“

„Ich wette, sie sind sehr teuer.“

„Ja. Aber Gino hat alle problemlos verkaufen können.“

„Unglaublich. In welcher Etage wohnen Sie?“

„In der fünfundzwanzigsten.“

Sie runzelte die Stirn. „Sie leben im Penthouse?“

„Das war Teil meines Vertrags mit Gino.“ Adrian gefiel ihre verwirrte Überraschung.

„Aber ein Penthouse mitten in der Innenstadt von Sydney muss Millionen wert sein! Mir war nicht klar, dass Architekten so gut bezahlt werden.“

„Manche schon“, erklärte er und dachte an die siebenstellige Rechnung, die er für eine solche Arbeit normalerweise verlangte. „Gino hat mich gebeten, auch die Bauarbeiten zu beaufsichtigen. Das Penthouse war so etwas wie ein Bonus.“

„Haben Sie oft solche Aufträge?“

„Manchmal. Es ist schön zu sehen, wie ein Entwurf Form annimmt. Projekte in dieser Größenordnung erfordern eine ganz besondere Hingabe. Kommen Sie, gehen wir wieder zurück. Dann zeige ich Ihnen das Dach. An einem klaren Wintertag ist der Blick von dort oben einfach unvergleichlich.“

„Wird das lange dauern?“, fragte sie. „Es ist schon halb drei.“

„Wir könnten in fünf Minuten oben sein. Und wieder unten in fünfzehn. Die Aufzüge sind sehr schnell.“

Noch immer zögerte sie.

Adrian verstand auch, warum. Sharni war ein nettes Mädchen. Und nette Mädchen gingen nicht mit einem Mann in sein Apartment, wenn sie ihn erst vor wenigen Stunden kennengelernt hatten. Nicht einmal, wenn das Apartment sich als millionenschweres Penthouse entpuppte.

„Ich verspreche, ich werde keinen unsittlichen Annäherungsversuch unternehmen“, versicherte er ihr. „Ich möchte Ihnen nur die Aussicht zeigen.“

Das stimmte nur zur Hälfte. Was er mehr als alles andere wollte, war die Chance, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Sie begeisterte ihn mehr als jede andere Frau zuvor. Zu schade, dass sie ihm nicht erlaubte, sie beim Shoppen zu begleiten. Ihr das richtige Kleid für den heutigen Abend auszusuchen, hätte ihm gefallen. Vielleicht ein sexy schwarzes Kleid? Mit langen Ärmeln, einem kurzen, eng anliegendem Rock und einem tiefen Ausschnitt. Sehr tief. Ein Ausschnitt, der nur an einer Frau mit den richtigen Brüsten gut aussah. Wie Sharnis.

Als die Bilder vor seinem inneren Auge anfingen, hochgradig erregende Botschaften an seinen Unterleib zu senden, rief Adrian seine Gedanken zur Ordnung.

Glücklicherweise herrschte Winter, und er trug ein Jackett.

Der unvermittelte Testosteronschub veranlasste ihn jedoch, die Kontrolle über die Situation zu übernehmen.

„Kommen Sie“, sagte er und umfasste mit der freien Hand ihren Ellenbogen.

Sie protestierte nicht, sondern folgte seinem sanften Druck – wie eine Frau es manchmal tat, wenn ein Mann das Ruder in die Hand nahm.

„Hier entlang“, meinte er und führte sie zum Haupteingang. Auf dem Weg kamen sie an zwei Geschäften vorbei, eines davon war eine exklusive Modeboutique.

Wie es der Zufall wollte, präsentierte eine der Schaufensterpuppen das perfekte Kleid für einen Theaterbesuch. Der schwarze Rock fiel in weichen Falten bis zur Wade. Das Oberteil war violett und mit einer Perlenstickerei verziert. Dreiviertel­lange Ärmel und ein auf subtile Weise sexy Ausschnitt ergaben ein harmonisches Gesamtbild.

Nicht ganz so subtil waren die Schuhe mit zehn Zentimeter Absätzen, auf die die Dekorateurin die Puppe gestellt hatte.

„Oh!“, rief Sharni und blieb bewundernd vor dem Schaufenster stehen.

„Sie würden sehr gut darin aussehen“, bemerkte Adrian sofort. Mehr als gut, aber er wollte sie nicht bedrängen. Frauen mochten keine Männer, die sie bedrängten.

„Glauben Sie wirklich?“

„Ja“, erwiderte er. „Gehen wir hinein, dann können Sie es anprobieren.“

6. KAPITEL

Sharni betrachtete sich im Spiegel der Umkleidekabine. Wow, ich sehe wirklich gut aus, genau wie Adrian vorhergesagt hat, dachte sie.

Nicht nur gut, korrigierte sie sich, während sie sich hin und her drehte, sodass der schwarze Rock um ihre Beine schwang. Ich sehe sexy aus.

Und ich fühle mich sexy.

Ob das an dem Wein lag? Oder daran, dass die Verkäuferin vorgeschlagen hatte, sie solle den BH ausziehen?

Sharni verzichtete nur selten auf dieses Accessoire, obwohl sie es eigentlich gar nicht brauchte. Und Ray hatte ihre konservative Art, sich zu kleiden, gemocht.

Was würde er wohl denken, wenn er sie in diesem Kleid sah?

Garantiert wäre er schockiert. Und billigen würde er es auch nicht.

Sie war selbst ein bisschen entsetzt. Nicht über ihr Aussehen, sondern darüber, wie sie sich fühlte.

Plötzlich klopfte es an der Kabinentür.

„Ja?“

„Ihr Mann möchte, dass Sie ihm das Kleid vorführen“, sagte die Verkäuferin durch die Tür.

Natürlich hätte Sharni sie berichtigen sollen, dass Adrian nicht ihr Mann war. Doch das tat sie nicht.

Stattdessen schluckte sie und öffnete die Kabinentür.

„Oh nein“, hielt die Verkäuferin sie zurück. „So können Sie nicht gehen. Ich hole Ihnen ein Paar Schuhe. Welche Größe tragen Sie?“

„Sieben.“

„Dann passen Ihnen die, die im Schaufenster stehen. Warten Sie, ich bin sofort wieder da.“

Kurz darauf kehrte die Frau mit den Sandalen zurück. Sie kamen Sharni absurd hoch und sündhaft sexy vor. Ein schmales Band führte über die Zehen, zwei weitere dünne Bänder wurden um die Knöchel geschlungen und zu einer Schleife gebunden. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie im Leben getragen.

Als sie aufstand, schwankte sie zunächst ein wenig. Mit kleinen langsamen Schritten ging sie zurück in den großen Verkaufsraum, wo Adrian auf sie wartete.

Er lehnte lässig am Verkaufstresen, richtete sich aber sofort auf, als er sie sah. Sehr bedächtig ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern.

Noch nie hatte ein Mann sie so eindringlich gemustert, nicht einmal Ray. Die Intensität dieses Blicks überwältigte sie.

„Gehen Sie ein paar Mal auf und ab“, wies Adrian sie auf jene gebieterische Weise an, die ein flaues Gefühl in Sharnis Magen zauberte.

Unbekannt war ihr diese Empfindung nicht. Aber normalerweise war der Grund für ihren nervösen Magen Angst, nicht Aufregung.

Sobald sie auf den hohen Schuhen die Balance halten konnte, stellte sie fest, dass sie instinktiv mit einem sexy Hüftschwung ging. Plötzlich war sie eine femme fatale. Eine verführerische Göttin, die alle männlichen Blick auf sich zog.

Im Moment gab es allerdings nur einen Mann, dessen ungeteilte Aufmerksamkeit sie interessierte. Und tatsächlich betrachtete er sie mit funkelnden blauen Augen.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie großartig aussehen werden.“ Seine Stimme klang samtig und tief. „Sie nimmt das Kleid“, erklärte er der Verkäuferin, bevor Sharni eine Entscheidung treffen konnte.

„Die Schuhe auch?“, fragte die Frau.

„Selbstverständlich.“

„Sie … Ihnen ist doch bewusst, dass ich die Schuhe vielleicht nie wieder anziehe?“, warf Sharni ein.

„Natürlich werden Sie das“, entgegnete er. „Jedes Mal, wenn Sie das Kleid tragen. Und jetzt ziehen Sie sich wieder um, während ich mich um die Rechnung kümmere.“

In einer wilden Mischung aus Freude und Verlegenheit errötete Sharni. „Ich kann Sie das unmöglich zahlen lassen, Adrian“, protestierte sie. „Das wäre nicht richtig.“

„Was soll daran falsch sein? Ein paar hundert Dollar kann ich mir schon leisten.“

„Darum geht es gar nicht!“

Lächelnd streckte er die Hand aus und fuhr mit einem Finger sanft über ihre Nase. „Na gut, süße Sharni“, sagte er. „Aber das ist das letzte Mal, dass Sie in meiner Gegenwart Geld benötigen. Und jetzt ab mit Ihnen in die Kabine. Lassen Sie mich nicht zu lange warten. Nun, da Sie ein Kleid für heute Abend gefunden haben, brauchen Sie den Nachmittag nicht mehr mit Shopping zu verschwenden. Wir können die Zeit gemeinsam verbringen und etwas Interessantes unternehmen.“

Er erinnert mich an eine Dampfwalze, ging es Sharni durch den Kopf, als sie in der Umkleidekabine wieder in ihren Pullover und die schwarze Hose schlüpfte.

Doch es war ein aufregendes Gefühl, sich mitreißen zu lassen.

Was hat er wohl für den Nachmittag geplant, überlegte sie. Dann beschloss sie, sich keine Gedanken mehr zu machen. Und keine Sorgen. Über gar nichts. Nicht einmal über die Frage, was ihn an ihr interessierte.

Denn ein Mann wie Adrian litt sicher nie an Frauenmangel. Weitaus hübschere Frauen als sie würden sich ihm an den Hals werfen.

Der letzte Gedanke weckte eine gewisse Besorgnis in Sharni. Bestimmt hatte Adrian eine Freundin!

Sollte sie ihn danach fragen und ein abruptes Ende ihrer gemeinsamen Zeit riskieren? Oder jede Frage in diese Richtung vermeiden?

Als Sharni die Kabine verließ, hatte sie noch keine Lösung für ihr Dilemma gefunden.

Adrians Zufriedenheit über den Ablauf der Ereignisse erhielt einen leichten Dämpfer, als er den Gesichtsausdruck sah, mit dem Sharni aus der Kabine trat.

Was auch immer sie dachte, es gefiel ihm nicht. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, die Gedanken einer Frau niemals infrage zu stellen. Frauen konnten wie Mienenfelder sein, die völlig unerwartet explodierten.

„Geben Sie mir ein paar von den Tüten“, meinte sie, als sie das Geschäft verließen.

„Wenn Sie darauf bestehen.“ Das war ihm nur recht – schließlich brauchte er eine freie Hand, um die Schlüsselkarte für den Lift aus der Hosentasche zu ziehen.

„Das tue ich“, entgegnete sie und nahm die beiden Tragetaschen aus der Boutique.

Schweigend gingen sie auf den Haupteingang des Gebäudes zu.

„Hier entlang“, sagte Adrian, nachdem die automatischen Türen sich vor ihnen geöffnet hatten.

Die Spiegelung im Glas verriet ihm, dass Sharni stehen geblieben war. Noch immer zeigte ihre Miene diesen besorgten Ausdruck.

Er biss die Zähne zusammen, um seine Verärgerung zu zügeln, und gesellte sich neben sie. „Was ist los?“

„Ich … ich muss Sie etwas fragen.“

„Was denn?“

„Gibt es jemanden in Ihrem Leben, den es stören könnte, dass Sie mich heute Abend ausführen?“

„Sie meinen eine Freundin?“

„Ja“, erwiderte sie und sah ihm fest in die Augen.

Glücklicherweise brauchte er nicht zu lügen. Felicity hatte ja mit ihm Schluss gemacht.

„Nein, niemand.“

Seine Antwort schien ihre Verwirrung zu vergrößern. „Ich … das zu glauben, fällt mir schwer.“

Das verborgene Kompliment besänftigte Adrian. „Bis vor Kurzem gab es tatsächlich jemand“, erklärte er – ohne die konkretere Zeitangabe, nämlich gestern Abend, zu machen.

Endlich stieß sie ein erleichtertes Seufzen aus. „Dann ist alles in Ordnung.“

„Und wenn ich gesagt hätte, dass ich mit einer Frau zusammen bin?“, musste er einfach fragen.

Adrian konnte die Unschlüssigkeit, die über ihr Gesicht huschte, gut nachvollziehen, weil sie letztlich seine eigenen Gefühle widerspiegelte. Noch nie hatte er so viel für eine Frau empfunden, die er gerade erst kennengelernt hatte. In der Vergangenheit hatte er sich durchaus auf den ersten Blick zu einer Frau hingezogen gefühlt. Aber dies hier war etwas völlig anderes.

Hätte es einen Mann in Sharnis Leben gegeben, hätte er trotzdem versucht, mit ihr auszugehen.

„Darauf brauchen Sie nicht zu antworten“, fuhr er fort, bevor sie ihr offensichtliches Unbehagen in Worte fasste. „Das war eine dumme Frage. Kommen Sie. Ich möchte Ihnen die Aussicht zeigen, solange die Sonne noch scheint.“

7. KAPITEL

Auf dem Weg in den fünfundzwanzigsten Stock versuchte Sharni, sich zu entspannen. Womit sie auf der ganzen Linie scheiterte. Seit sie sich Adrian in dem sexy Kleid präsentiert hatte, kam es ihr vor, als habe eine höhere Macht von ihr Besitz ergriffen. Es war ihr zwar gelungen, jenes Etwas zurückzudrängen, als sie wieder in ihre alten Kleider geschlüpft war. Doch seit sie wusste, dass Adrian keine Freundin hatte, brodelte das seltsame Gefühl wieder mit unveränderter Stärke in ihr.

Dieses Gefühl hieß Sehnsucht oder der Wunsch, geküsst, berührt, geliebt zu werden.

Seit Ray hatte Sharni keinen Mann mehr getroffen, der solche Empfindungen in ihr weckte. Natürlich sah Adrian genau wie Ray aus, was die Hitze erklären könnte, die sich in ihrem Körper ausbreitete. Vielleicht reagierte ihr Körper nur auf Altbekanntes.

Aber aus irgendeinem Grund fand Sharni diese Erklärung wenig überzeugend. Das sexuelle Verlangen, das sie im Moment durchströmte, war intensiver als alles, was sie bei Ray verspürt hatte. Die Antwort auf Adrians Frage, was sie getan hätte, wenn es eine Freundin in seinem Leben geben würde, schockierte sie selbst. Sie wäre nämlich trotzdem mit ihm gekommen.

Er hatte versprochen, keinen Annäherungsversuch zu unternehmen. Dabei wünschte sie, er würde es tun. Sehr sogar.

In Rekordzeit erreichte der Aufzug die fünfundzwanzigste Etage. Sharni gelang es nur sehr unzureichend, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen.

Angespannt folgte sie Adrian in ein elegantes, mit Marmor ausgelegtes Foyer. Von einem kuppelförmigen Dach hing ein moderner, spektakulärer Lüster. Vor ihnen konnte sie durch eine Glastür in ein großes und ebenfalls sehr elegant eingerichtetes Wohnzimmer sehen.

„Ihre Einkäufe können Sie hierlassen“, schlug Adrian vor und stellte die Tüten, die er trug, unter einem Glastisch zu seiner Rechten ab.

Sharni folgte seinem Beispiel und fragte dann nach dem Bade­zimmer.

„Dort drüben ist das Gäste-WC“, antwortete er und deutete auf eine Tür weiter links. „Ich warte im Wohnzimmer auf Sie.“

In dem kleinen Bad gab es alles, was ein millionenteures Penthouse zu bieten haben sollte: Marmor an Fußboden und Wänden, ein ultramodernes Heizsystem und goldene Wasserhähne.

Nachdem sie ihre Hände gewaschen hatte, investierte Sharni einige weitere Minuten, um die Haare zu kämmen und den Lippenstift aufzufrischen.

„Ich sehe immer noch wie die Frau aus, die heute Morgen aus dem Friseursalon gekommen ist“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Allerdings fühle ich mich anders.“

Adrian zu treffen, hatte sie verändert. Auf eine Weise, die ihr zwar gefiel, die sie aber nicht verstand.

Alles, was Sharni wusste, war, dass sie Adrian mehr begehrte, als sie Ray jemals begehrt hatte.

Diesem Eingeständnis folgte eine Woge der Schuld. Ray war ein zärtlicher und rücksichtsvoller Liebhaber gewesen und ihr Sexleben ganz wundervoll. Hinzu kam, dass sie ihn von ganzem Herzen geliebt hatte.

Adrian liebte sie nicht. Sie kannte ihn ja nicht einmal. Nicht wirklich.

Man lernte keinen Menschen in wenigen Stunden richtig kennen.

Zweifellos zeigte er sich ihr von seiner besten Seite, beeindruckte sie mit seiner Entschlussfreudigkeit, seinem Charme und seinem materiellen Erfolg. Welche Frau wäre nicht begeistert von einem Penthouse in Downtown Sydney?

Aber erklärte all das dieses unheimliche sexuelle Verlangen, das sie durchströmte?

Während sie ihre viel zu leuchtenden Augen und die geröteten Wangen im Spiegel betrachtete, erschauerte Sharni.

„Was passiert nur mit mir?“, flüsterte sie.

Ungeduldig wartete Adrian im Wohnzimmer darauf, dass Sharni zurückkehrte. Schließlich zog er ungeduldig sein Jackett aus und hängte es über eine Stuhllehne. Dann begann er, im Raum auf und ab zu gehen.

Endlich ging die Tür auf. Nur sehr zögerlich verließ Sharni das Bad. Bedächtig ging sie zu dem Glastisch im Foyer, auf dem sie ihre Handtasche hatte stehen lassen. Der Tür zum Wohnzimmer näherte sie sich noch langsamer.

Quer durch den Raum trafen sich ihre Blicke. In diesem Augenblick bereute Adrian sein Versprechen, sie auf keinen Fall zu verführen.

Verdammt! Warum musste er sich ausgerechnet heute entschließen, den Gentleman zu spielen?

Zumal Sharni sich ganz offensichtlich ebenso zu ihm hingezogen fühlte wie er sich zu ihr. Eigentlich sollten sie jetzt ihren Trieben nachgeben und der prickelnden Elektrizität gehorchen, die sie seit dem ersten Moment umflirrte. Immerhin waren sie beide erwachsene Menschen – und frei, um zu tun, was auch immer sie wollten … im Bett und außerhalb.

Diese Gedanken entfachten die Leidenschaft noch weiter, die unter Adrians kühler Fassade brodelte.

Der Hüftschwung, mit dem sie auf ihn zuschlenderte, ließ seine Hormone einen wilden Tanz aufführen. Schmerzhaft zog sich sein Magen zusammen, während er versuchte, das Verlangen unter Kontrolle zu bringen. Zumindest, fiel ihm ein, bezog sich sein Versprechen nur auf das Apartment und nicht auf den heutigen Abend. Also müsste er lediglich ein paar Stunden warten, dann konnte er sie in seine Arme ziehen und küssen, ohne dass er sich wie ein Schuft vorkam.

„Sie haben eine wunderschöne Wohnung“, meinte sie, als sie endlich den Blick abwandte und sich umsah. „Ist das das Werk eines professionellen Innenarchitekten?“

„Das war ebenfalls Teil des Vertrags.“ In Gestalt von Felicity. So hatte er sie kennengelernt.

Ehrlich gesagt, begeisterte ihn Felicitys Arbeit nicht sonderlich. Ihre Farbpalette fand er langweilig: blasse neutrale Schattierungen, die nur hin und wieder durch ein Gelb oder Grün akzentuiert wurden.

Trotzdem hatte er ihr freie Hand gelassen, da er zu diesem Zeitpunkt bereits vollauf mit dem nächsten Projekt beschäftigt war. Jetzt musste er mit dem Ergebnis leben.

„Es ist wunderschön.“

„Es ist okay“, erwiderte er gleichgültig. „Kommen Sie, gehen wir auf die Terrasse hinaus.“ Bevor ich meine edle Zurückhaltung aufgebe und zum Angriff übergehe!

Adrian schob die Glastür zurück, trat einen Schritt beiseite und winkte Sharni zu sich.

Durch lange Wimpern hindurch warf sie ihm einen Blick zu, als sie an ihm vorbeiging. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht kam ihm wie eine betörende Mischung aus Weiblichkeit und Furcht vor.

Zu seinem Entsetzen reagierte seine Männlichkeit auf beides. Warum sollte ihre Furcht ihn erregen? Es sei denn natürlich, es war nicht er, vor dem sie Angst hatte. Fürchtete sie sich vielleicht vor sich selbst? Wenn sie nun auch dieses fast unkontrollierbare Verlangen verspürte?

Er folgte ihr auf die Terrasse. In seinen Gedanken herrschte eine heilloser Aufruhr, als sein frustrierter Körper begann, ihm erotische Trugbilder vorzugaukeln.

„Du meine Güte“, rief sie atemlos, als sie zuerst den Pool und den Spa-Bereich unter sich betrachtete und dann den Blick in die Ferne schweifen ließ.

Das Penthouse bot eine wirklich herrliche Aussicht auf Sydney mit all seinen Wahrzeichen. Die Nachmittagssonne tauchte die Harbour Bridge, das Opernhaus und die botanischen Gärten in weiches Licht.

Doch Adrian hatte nur Augen für Sharni.

Es hatte keinen Zweck. Die Sehnsucht war zu stark. Zur Hölle mit seinem Versprechen! Zur Hölle mit allem!

Als er hinter sie trat und seine Hände auf ihre Schultern legte, drehte sie hastig den Kopf und sah ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an.

„Es tut mir leid“, erklärte er mit belegter Stimme. „Aber ich muss das tun.“

Sharni erstarrte, als er sie in seinen Armen umdrehte.

Das Wissen, dass er sie gleich küssen würde, löste Panik in ihr aus. Denn dann, das wusste sie genau, war sie verloren.

Mit ihren Augen flehte sie um Gnade. Doch Adrian ignorierte ihre Bitte. Stattdessen legte er eine Hand in ihren Nacken und die andere unter ihr Kinn.

Sein Kuss war alles andere als zärtlich und mit Rays Küssen nicht zu vergleichen. Adrian presste seine Lippen auf ihre und ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten. Der Tanz seiner Zungenspitze war aggressiv und sinnlich zugleich. Schon bald drehte sich alles in Sharnis Kopf, und das Herz pochte wild in ihrer Brust.

Ein Kuss ging nahtlos in einen zweiten über und dann in noch einen. Mit einer Hand fuhr Adrian über ihren Rücken, zog sie enger an sich. Als besäßen sie einen eigenen Willen, legten sich Sharnis Arme um seinen Nacken. Sie verschränkte die Finger, damit Adrian den Kopf nicht heben und die leidenschaftliche Liebkosung beenden konnte.

Sie wollte nicht, dass er aufhörte sie zu küssen. Nie wieder!

Und er hörte nicht auf. Irgendwie gelang es ihm, ohne den Kuss zu unterbrechen, sie hochzuheben und nach drinnen zu tragen. Als er sie im Schlafzimmer wieder auf die Füße stellte, sehnte Sharni sich nach viel, viel mehr als nur Küssen. Ihr Körper sandte glühende Botschaften an ihr Gehirn, die von hemmungsloser Erotik und ungezügelter Lust sprachen.

Jetzt war sie es, die den Kuss unterbrach. Ihr Blick fiel auf den schwarzen Ledergürtel um seine Taille. Es kam ihr nicht schamlos vor, die Schnalle zu öffnen, nur notwendig.

Das überwältigende Verlangen machte ihre Bewegungen ein wenig ungelenk. Ihm erging es nicht anders. Gleichzeitig zogen sie einander die Hosen aus. Ihr Begehren war so intensiv, dass sie nicht die Geduld aufbrachten, sich weiter als absolut notwendig zu entkleiden.

Keiner von ihnen hielt auch nur einen Moment inne, um nachzudenken, als sie sich auf die Mitte des Betts fallen ließen. Adrian schob sich auf sie. Lustvoll schrie Sharni auf, als er stürmisch in sie eindrang. Es kümmerte sie nicht, ob er zärtlich oder rücksichtslos war. Sie wollte ihn, wollte ihn in sich spüren, wollte, dass er wieder und wieder zu ihr kam.

Und er folgte ihren Wünschen. Leidenschaftlich und wild.

Gemeinsam erreichten sie den Höhepunkt – eine Erfahrung, die Sharni bislang nicht kannte.

Eine endlose Zeitspanne durchlebte ihr Körper zwei berauschende Empfindungen gleichzeitig: Sie erbebte in nie gekannter Ekstase und spürte, wie auch Adrian Erfüllung fand.

Diese beiden Gefühle empfand sie als absolut wunderbar. Unglaublich und atemberaubend. Sharni schwebte im siebten Himmel.

Bis Adrian ein sehr hässliches Wort murmelte.

Wie mit einem Peitschenhieb kehrte die Realität zurück. Was er gesagt hatte, entsprach genau dem, was sie gerade getan hatten.

Sie schlug die Augen auf und blickte ihn erschrocken an.

„Entschuldigung“, stieß er hervor.

Vor Scham verzog sie das Gesicht und wandte den Kopf ab.

„Bitte, nicht“, flüsterte er. „Was wir gerade getan haben, war nicht falsch. Vielleicht tollkühn, weil ich kein Kondom benutzt habe. Aber nicht falsch.“

Entsetzt schaute sie ihn wieder an.

„Oh Gott“, sagte sie mit erstickter Stimme und presste eine Faust gegen den Mund.

„Ich versichere dir, dass ich normalerweise Kondome verwende. Ich habe keine Ahnung, was hier gerade passiert ist. So etwas habe ich noch nie erlebt. Die Dinge sind einfach aus dem Ruder gelaufen. Aber ich bedaure nichts. Und das solltest du auch nicht, Sharni. Fünf Jahre ohne Sex zu leben, ist nicht gesund. Das einzige Problem ist, dass du vielleicht schwanger geworden bist. Besteht diese Möglichkeit?“

Worte kamen ihr nicht über die Lippen. Darum schüttelte sie nur den Kopf.

„Bist du sicher?“, fragte er. „Du hast gesagt, du hättest seit fünf Jahren nicht mehr mit einem Mann geschlafen. Bestimmt nimmst du nicht die Pille. Es sei denn, aus medizinischen Gründen. Ist das so?“

Noch ein Kopfschütteln.

„Wie lange ist deine letzte Periode her?“

„F…fünf Jahre“, krächzte sie.

Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Fünf Jahre?“

Nun war wohl dieser Zeitpunkt gekommen, um ihm einiges zu erklären.

„Ich … ich muss mal ins Bad“, stammelte sie und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien.

„Lügnerin“, tadelte er. Sein Gewicht hielt sie unter ihm gefangen. „Dort bist du erst vor zehn Minuten gewesen. Das Einzige, was du tun musst, ist zu bleiben, wo du bist, bis ich wieder in der Lage bin, das nächste Mal mit dir zu schlafen. Und dann wird es länger als dreißig Sekunden dauern.“

Das nächste Mal? Er glaubte wirklich, dass es eine Wiederholung geben würde?

„Aber zuerst möchte ich mehr darüber erfahren, warum deine Periode fünf Jahre ausgeblieben ist“, erklärte er mit fester Stimme. „Ich vermute, es gibt eine Verbindung zu dem tragischen Tod deines Mannes. Ist es eine posttraumatische Störung?“

Seine intuitive Schlussfolgerung überraschte Sharni, auch wenn sie nur der halben Wahrheit entsprach. Jedoch bedeutete es eine ungeheure Erleichterung, ihm keine langwierige Erklärung abgeben zu müssen.

„Etwas in der Art“, stimmte sie zu.

„Was haben die Ärzte denn gesagt? Wird alles wieder in Ordnung kommen?“

„Hoffentlich. Möglicherweise.“

Er runzelte die Stirn. „Das ist wirklich traurig, Sharni. Vielleicht liegt genau hier dein Problem. Deine Trauer dauert schon viel zu lange. Du brauchst ein bisschen Spaß in deinem Leben. Wieder Sex zu haben, war ein guter Anfang. Allerdings be­nötigst du noch viel mehr davon“, meinte er mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. „Ziehen wir uns aus.“

Im nächsten Moment zog er ihr den Pullover über den Kopf.

„Mmm“, murmelte er, als sein Blick auf den weißen BH fiel – bequem, aber sicherlich nicht sexy. „Der muss weg. Könntest du den ausziehen?“

Seine Frage markierte einen entscheidenden Moment. Wenn sie gehorchte, akzeptierte sie seine Sichtweise: Mit ihm zu schlafen, war nicht falsch. Plus: Es war gut für sie.

Doch Adrian nahm ihr die Entscheidung ab, indem er sie ungeduldig ansah, mit den Händen hinter ihren Rücken fuhr und den Haken am Verschluss löste.

Sharni atmete scharf ein, als er ihre Brüste entblößte. Wie voll und rund sie sich anfühlten, mit Knospen, die ihn bereits hart aufgerichtet erwarteten.

Sein sengender Blick sandte eine Hitzewelle durch ihren Körper. Mit demselben hungrigen Verlangen, mit dem sie ihn vorhin hatte in sich spüren wollen, wünschte sie sich nun zärtliche Berührungen.

„Leg deine Beine um meine Taille“, wies er sie an.

Unmöglich, sich von dem Vergnügen abzuwenden, das dieser Mann versprach.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie seinem Wunsch gehorchte. Voller aufgeregter Vorfreude sah sie zu, wie er die Knöpfe an seinem Hemd öffnete und es über die Schultern streifte. Adrian war ein bisschen größer als Ray und besaß mehr Muskeln an Armen und Bauch.

Er schien in allen Bereichen ein wenig größer zu sein.

Als er ihr die Hose ausgezogen hatte, hatte sie nur einen kurzen Blick auf seine Männlichkeit geworfen. Doch das hatte gereicht, um zu erkennen, dass er beschnitten war.

Die vielen kleinen Unterschiede empfand sie als seltsam beruhigend. Sie ließ ihren Blick über seinen Körper wandern und verharrte an der Stellte, an der sie miteinander verbunden waren.

„Genau das habe ich mir gewünscht“, meinte er mit samtiger Stimme, streckte die Hand aus und streichelte über die Spitzen ihrer Brüste.

Sharni biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschreien. Wie konnte eine so simple Berührung sich so gut anfühlen?

„Komm her, du sexy Wesen“, flüsterte er verführerisch.

Als sie seine Zunge an ihren Knospen spürte, schrie sie doch auf. Und als er sanft an den Spitzen saugte, zogen sich die Muskeln tief in ihrem Inneren zusammen.

Adrian hob den Kopf. Seine Augen glänzten dunkel. Vorsichtig ließ er sie auf das Bett zurückgleiten und betrachtete sie nachdenklich. Erst danach begann er, den Punkt, an dem sich ihre Lust bündelte, sehr zärtlich zu verwöhnen.

Sharni überließ sich ganz dem elektrisierenden Gefühl, das seine talentierten Liebkosungen in ihr weckten. Schon bald kreisten ihre Gedanken allein um die brennende Lust und die wachsende Spannung in ihrem Körper.

Da hörte er unvermittelt auf. Frustriert und verwirrt sah sie ihn an.

„Warum etwas überstürzen? Wir haben den ganzen Nachmittag Zeit“, erklärte Adrian gelassen und hob sie in die Arme. „Nehmen wir eine schöne heiße Dusche zusammen.“

8. KAPITEL

Janice sah zu der Uhr an der Küchenwand.

Zehn nach sechs.

Dann starrte sie auf das Telefon, das den ganzen Tag so unheilvoll stumm geblieben war.

„Ich werde meine Schwester eigenhändig umbringen“, grummelte sie laut, während sie die Zwiebeln auf dem Schneidebrett attackierte. „Dieses undankbare Stück.“

„Ich hoffe, du sprichst nicht von mir“, bemerkte ihr Ehemann trocken, der gerade zur Hintertür hereinkam.

„Man sollte doch meinen, sie würde wenigstens anrufen, oder?“

„Ich nehme an, es geht um Sharni?“, seufzte Pete.

„Um wen denn sonst?“

„Du machst dir viel zu viele Sorgen um sie.“

„Ich weiß. Ich kann nichts dafür.“

Pete trat hinter seine Frau und massierte ihre angespannten Schultern. „Hast du es auf ihrem Handy versucht?“

„Mehrfach. Ich erreiche nur die Mailbox.“

„Was ist mit dem Hotel?“

„Die sagen, sie sei nicht da.“

„Dann wird sie sich in der Stadt amüsieren.“

„Ich hoffe, du hast recht.“

Das Klingeln des Telefons ließ beide zusammenzucken.

„Das wird sie sein“, sagte Pete.

„Hoffentlich.“ Janice ließ das Messer fallen und hastete zum Telefon. „Hallo?“, rief sie besorgt in den Hörer.

„Hi. Ich bin’s. Sharni.“

„Sharni!“ Sie warf ihrem Ehemann einen erleichterten Blick zu, der lächelnd aus der Küche ging. „Ich war gerade dabei, dir die Pest an den Hals zu wünschen“, fuhr sie fröhlich fort. „Weil du nicht angerufen hast!“

„Es tut mir leid. Ich … Oh, Janice! Du hast ja keine Ahnung, was mir heute passiert ist!“

Wie sie den Tonfall ihrer Schwester einordnen sollte, wusste Janice nicht genau. Aufregung? Oder Schock? Vielleicht ein bisschen von beidem.

„Warum erzählst du es mir nicht?“

„Ich habe den ganzen Nachmittag mit einem Mann im Bett verbracht“, sprudelte es aus Sharni hervor.

Die ohrenbetäubende Stille, die Sharni aus dem Hörer vernahm, spiegelte ihre eigene Verwirrung über dieses so untypisches Verhalten wider.

Janice wusste, dass sie nicht leichtfertig mit irgendjemandem ins Bett sprang. Vor Ray hatte es nur einen ernsten Freund gegeben und nach ihm keinen mehr.

„Wirklich?“, erwiderte Janice endlich und überraschte Sharni damit, nicht allzu entrüstet zu klingen. „Nun, ich habe dir doch geraten, dich in Sydney zu amüsieren. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mit so etwas nicht gerechnet habe. Wer ist denn der Casanova? Und wie hast du ihn getroffen?“

Ein erleichterter Seufzer entrang sich ihrer Kehle, weil ihre Schwester die Neuigkeiten so gut aufnahm. „Sein Name ist Adrian Palmer“, erklärte sie schnell. „Er ist Architekt und ein Freund von Jordan. Erinnerst du dich an meine Anwältin Jordan?“

„Natürlich. Dann kanntest du diesen Adrian schon?“

„N…nein. Oh, verflixt, es ist ziemlich schwierig zu erklären.“

„Versuch es einfach.“

„Ich hatte mich gerade zum Mittagessen in ein Restaurant gesetzt, als er hereinkam.“

„Und?“, drängte Janice, während Sharni noch überlegte, ob sie ihrer Schwester erzählen sollte, dass Adrian Rays Doppelgänger war.

„Er … er hat mich zum Lunch eingeladen.“

„Du meinst, er hat mit dir geflirtet?“

„Na ja, ja.“ Herrje, war das kompliziert. „Aber am Anfang hat er sich mir ganz höflich vorgestellt. Und er hat angeboten, Jordan anzurufen, damit sie sich für seinen Charakter verbürgt.“

„Mmm. Cleverer Schachzug. Wie viel Wein hast du zum Essen getrunken?“

Vor Unbehagen biss Sharni sich auf die Unterlippe. „Ungefähr zwei Drittel einer Flasche.“

„Das ist eine ganze Menge.“

„Ich glaube nicht, dass es an dem Wein lag, Janice. Sondern an dem Mann.“

„Wow! Er muss wirklich dieses gewisse Etwas besitzen, wenn es ihm so schnell gelungen ist, dich zu verführen. Und nach dem Essen seid ihr wohin gegangen? Zurück in dein Hotel­zimmer?“

„Nein. In seine Wohnung. Allerdings nicht sofort“, beeilte sie sich hinzuzufügen, um nicht zu sehr wie ein Flittchen zu wirken. „Zuerst sind wir einkaufen gegangen. Wir haben ein Kleid für mich gesucht, das ich heute Abend anziehen kann. Er führt mich nämlich ins Theater aus. Ins Phantom der Oper.“

„Der geht aber ran! Und nach dem Einkaufen?“

„Wir sind in das oberste Stockwerk von dem Gebäude gefahren, das er entworfen hat, dem Bortelli Tower. Adrian wohnt in dem Penthouse.“

„Im Penthouse! Das wird ja immer besser!“

Verwundert zog Sharni die Augenbrauen hoch. Janice hörte sich überhaupt nicht abgestoßen an. Im Gegenteil … sie klang regelrecht erfreut.

„Ich nehme an, er sieht auch noch gut aus?“, fragte ihre Schwester gut gelaunt.

„Ja … sehr sogar.“

„Warum in aller Welt machst du dir dann Sorgen?“

„Das ist noch etwas, Janice. Er sieht Ray zum Verwechseln ähnlich.“

Janice stöhnte enttäuscht auf. Gerade hatte sie allen Ernstes geglaubt, Sharni sei endlich über ihren verstorbenen Mann hinweg.

Sie hätte es besser wissen sollen.

„Bitte, sag mir nicht, dass du nur mit ihm ins Bett gegangen bist, um dir einzureden, Ray lebe noch.“

„Nein!“, widersprach Sharni energisch. „Nein! So war es nicht. Gut, er sieht wie Ray aus. Aber was den Charakter angeht, sind die beiden wie Feuer und Wasser. Das Gefühl, als Adrian mich geküsst hat … so etwas habe ich bei Ray nie empfunden. Wahrscheinlich stehe ich immer noch unter Schock. Die Dinge, die ich mit ihm getan habe … Allein wenn ich daran denke, werde ich schon rot.“

Janice musste lächeln. Ray war ein überaus netter Mann gewesen, nur sehr schüchtern und nicht sonderlich selbstbewusst. Offensichtlich besaß sein Doppelgänger mehr als genug Selbstvertrauen.

„Wo bist du denn jetzt?“

„In meinem Hotel. Ich habe behauptet, ich brauche mindestens zwei Stunden, um mich für unsere Verabredung heute Abend fertig zu machen. In Wahrheit wollte ich ein wenig Zeit haben, um nachzudenken und dich anzurufen.“

„Ich bin froh über das, was dir da passiert ist.“

„Ich dachte, du würdest mich vielleicht verachten.“

„Unsinn. Ich bin nur ein bisschen überrascht, das ist alles.“

„Bestimmt nicht so überrascht wie ich. Ich verstehe das alles immer noch nicht ganz. Es war fast, als hätte ich jede Kontrolle über mich verloren. Das Verlangen nach ihm hat mich einfach überwältigt. Und ich will ihn immer noch. Was geschieht da nur mit mir, Janice?“

„Vielleicht verliebst du dich wieder?“

Autor

Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney. Miranda ging auf eine Klosterschule....
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