Julia Best of Band 215

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HERZKLOPFEN AUF SIZILIANISCH von MARTON, SANDRA
Was für ein Flug! Als Anna in Rom landet, hat sie heiße Stunden in der First Class hinter sich; Haut an Haut mit einem Fremden. Nun soll sie die sizilianischen Ländereien ihrer Familie vor den Valentis retten. Doch als sie Prinz Draco Valenti trifft, fällt Anna aus allen Wolken …

HEIß WIE EINE SOMMERNACHT von MARTON, SANDRA
Hitzig sind ihre Auseinandersetzungen - noch heißer die Versöhnungen: Der feurige Adlige Lucas Reyes und die junge Amerikanerin Alyssa sind wie Feuer und Wasser. Sie begehren einander, aber der arrangierten Heirat, die ihre Großväter beschlossen haben, wollen sie niemals zustimmen ...

ZARTE LIEBE - GEFÄHRLICHES SPIEL von MARTON, SANDRA
Unfassbar! Erst behauptet Jake Wilde, sie hätte ihre Ranch dank ihrer weiblichen Reize geerbt, und dann wagt dieser verbohrte Cowboy es auch noch, seine Stiefel auf ihren Grund zu setzen. Am liebsten würde Addison ihn gleich wieder ohrfeigen. Oder sich in seine Arme werfen.


  • Erscheinungstag 05.07.2019
  • Bandnummer 0215
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712730
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton

JULIA BEST OF BAND 215

1. KAPITEL

Zum ersten Mal fiel sie ihm in der VIP-Lounge der Air Italy auf. Auffallen? Nein, sie platzte in sein Leben wie ein paar Knallfrösche – mit angezündeter Lunte, wohl bemerkt. Einen Unterschied gab es allerdings: Knallfrösche waren weniger gefährlich.

Draco saß in einem Sessel beim Fenster und gab sich den Anschein eines Mannes, der etwas auf seinem Laptop las. In Wahrheit war er zu müde und zu gereizt, um mehr zu tun, als die Augen auf den Bildschirm zu richten. Seine Kopfschmerzen brachten ihn halb um.

Sechs Stunden von Maui nach Los Angeles, zwei Stunden Zwischenstopp, dann noch mal sechs Stunden bis nach New York. Und hier nun ein weiterer zweistündiger Zwischenstopp, aus dem inzwischen fast drei Stunden geworden waren. Niemand wäre darüber glücklich, aber für einen Mann, der es gewohnt war, in der eigenen 737 zu fliegen, war es schlicht inakzeptabel.

Aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Sein Privatjet stand für die planmäßige Wartung im Hangar, und so kurzfristig hatte sich keine andere Lösung arrangieren lassen, um nach Rom zu gelangen. Nicht einmal für Prinz Draco Marcellus Valenti. Er war sicher, dass seine überaus effiziente Assistentin seinen vollen Titel – so lächerlich der auch sein mochte – erwähnt hatte, um Druck zu machen. Vergeblich. Eine Maschine für Intercontinentalflüge war auf die Schnelle nirgendwo aufzutreiben gewesen.

Von Maui nach L. A. hatte er in der Touristenklasse gesessen, eingepfercht zwischen einem korpulenten Mann, dessen gewaltige Körpermasse über die Armlehne quoll, und einer zermürbend munteren Frau, die während des ganzen Flugs über den Pazifik nicht aufgehört hatte zu reden. Irgendwann hatte Draco die höflichen „Mmhs“, und „Ahas“, eingestellt, doch selbst sein Schweigen hatte die ältere Dame nicht davon abgehalten, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

Beim Inlandsflug von L. A. zum Kennedy Airport hatte er Glück gehabt und noch einen Platz in der Ersten Klasse ergattert. Doch auch hier hatte er neben jemandem gesessen, der unbedingt hatte reden wollen. Sein eisiges Schweigen hatte keinerlei Wirkung auf den Mann gezeigt.

Für den letzten Abschnitt seiner Reise, für die viertausend Meilen, die ihn nach Hause bringen würden, hatte er – Wunder über Wunder – am Flugschalter zwei Sitze in der Ersten Klasse buchen können. Einen für sich und einen, der ihm garantierte, dass auf dem Flug niemand neben ihm sitzen würde.

Zumindest blieb ihm jetzt die tröstende Aussicht, dass er vielleicht ein wenig dösen konnte, bevor er sich der Konfrontation stellte, die ihn zu Hause erwartete.

Leicht würde es nicht werden. Aber wenn das Leben ihn etwas gelehrt hatte, dann, dass es nichts einbrachte, die Beherrschung zu verlieren. Darum hatte er sich diesen Satz immer und immer wieder gesagt … bis die Tür der VIP-Lounge aufflog und mit einem lauten Knall gegen die Wand schlug.

Cristo! Genau, was er jetzt brauchte! Das Pochen hinter seinen Schläfen wurde stärker. Grimmig sah er auf – und sah sie.

Er mochte sie auf Anhieb nicht.

Eigentlich sah sie gut aus. Groß, schlank, blond. Sie trug ein anthrazitfarbenes Kostüm, wahrscheinlich Armani. Das Haar war zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengebunden. Über ihrer Schulter hing eine Reisetasche. In der Hand trug sie eine ledernde Aktentasche, die so voll war, dass die Seiten sich auswölbten.

Und dann waren da noch die Schuhe: schwarze Pumps, eigentlich unauffällig … wären da nicht die zentimeterhohen Pfennigabsätze.

Draco kniff die Augen zusammen. Er kannte diese Kombination – strenge Frisur, Businesskostüm, Stilettos. Der typische Aufzug einer Frau, die die Privilegien für sich in Anspruch nahm, die Frauen zustanden, und gleichzeitig die gleichen Rechte einforderte, die Männer hatten.

Wenn man ihn wegen dieser Meinung als Chauvinisten bezeichnen wollte, auch gut.

Er sah, wie ihr Blick durch die Lounge glitt. Es saßen nur drei Reisende hier: ein älteres Ehepaar und er. Ihr Blick blieb auf ihm haften.

Ein nicht zu deutender Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. Er musste zugeben, dass es ein attraktives Gesicht war. Große Augen, hohe Wangenknochen, ein voller Mund und ein Kinn, das Entschlossenheit signalisierte. Draco wartete ab, er hatte das Gefühl, dass sie etwas sagen wollte. Dann wandte sie den Blick ab, und er dachte: Bene.

Momentan konnte er getrost darauf verzichten, von einer Frau angesprochen zu werden. Er wollte nur seine Ruhe haben, nach Rom fahren und die unangenehme Angelegenheit erledigen, die dort auf ihn wartete.

Ihre Absätze klapperten auf den Marmorfliesen, als sie zu dem unbesetzten Empfangsschalter ging.

„Hallo?“ Ihre Stimme klang ungeduldig. „Ist hier denn niemand?“

Draco hob den Kopf. Sie war also nicht nur ungeduldig, sondern auch unbeherrscht.

„Verdammt!“

Ungeduldig, unbeherrscht und Amerikanerin. Das Auftreten, die Stimme, die Überheblichkeit – sie hätte ihren Pass genauso gut auf die Stirn geklebt tragen können.

Draco hatte ständig mit Amerikanern zu tun, sein Hauptbüro lag in San Francisco. Und während er die Direktheit der Männer schätzte, missfiel ihm die häufig mangelnde Weiblichkeit der Frauen. Sicher, sie sahen alle gut aus, aber er mochte weiche und anschmiegsame Frauen. Weibliche eben – so wie seine aktuelle Gespielin.

„Oh Draco, ich liebe es, wenn der Mann die Führung übernimmt“, hatte sie letzte Nacht gehaucht, als er zu ihr in die Dusche gekommen war und sie an sich gerissen hatte.

Die Frau, die dort am Schalter stand und ungeduldig mit einer Fußspitze wippte, würde niemandem die Führung überlassen. Andererseits … welcher Mann wäre dumm genug, es zu versuchen?

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sie sich um und starrte ihn an. Der Blick dauerte nur ein paar Sekunden, aber er war intensiv. So intensiv, dass Draco spürte, wie sich sein Interesse regte.

„Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten.“ Die gehetzte Lounge-Hostess erschien hinter dem Schalter. „Was kann ich für Sie tun?“

Die Amerikanerin drehte sich wieder um. „Ich habe ein Problem“, hörte Draco die Frau sagen. Anschließend senkte sie die Stimme, sodass er nichts mehr verstehen konnte.

Dass er auf diese Frau reagiert hatte, wenn auch nur kurz, bewies, wie geschafft er war. Dabei musste er in Rom im Vollbesitz seiner Kräfte sein.

Sich um Probleme zu kümmern, war Draco gewöhnt, und es machte ihm Spaß, sie zu lösen. Doch das, was ihn in Rom erwartete, könnte sich zu einer öffentlichen Schlammschlacht ausweiten. Er hielt grundsätzlich nicht viel von Öffentlichkeit und mied das Rampenlicht – sehr zum Bedauern der Medien.

Aus den Ruinen seines über fünfhundert Jahre alten Familienerbes hatte er ein Finanzimperium aufgebaut. Allein. Keine Aktionäre, keine Außenseiter. Dieser Grundsatz galt nicht für seine Geschäfte, sondern generell auch für sein Privatleben.

Die zweite große Lektion des Lebens hieß: Nur Narren verließen sich auf andere.

Darum war er jetzt ja auch auf dem Weg nach Italien. Nach dem nächtlichen Anruf seiner Assistentin hatte er das angenehm warme Bett mit dem noch angenehmeren warmen Körper an seiner Seite verlassen und sich auf den Rückweg gemacht, um sich mit dem Repräsentanten eines Mannes zu treffen, dessen Lebensstil er verabscheute.

Dabei war Draco überzeugt gewesen, das Problem schon vor Wochen geregelt zu haben. Den ersten absolut lächerlichen Brief eines gewissen Cesare Orsini hatte er ignoriert. Ein zweiter folgte, mit dem dritten war er schließlich in das Büro eines seiner Assistenten marschiert.

„Finden Sie alles heraus, was es über einen Amerikaner namens Cesare Orsini zu wissen gibt“, hatte er verlangt.

Die Informationen hatten nicht lange auf sich warten lassen.

Cesare Orsini, geboren in Sizilien, war vor über einem halben Jahrhundert mit seiner Ehefrau in die Vereinigten Staaten emigriert und inzwischen amerikanischer Staatsbürger. Die Gastfreundschaft hatte der Mann seiner neuen Heimat zurückgezahlt, indem er Gangster geworden war, ein Mafioso. Einschüchterungen, Gewalt und Geld galten als seine Türöffner. Und momentan legte er es offensichtlich darauf an, sich etwas anzueignen, das seit Jahrhunderten dem Haus Valenti gehörte und somit Draco Marcellus Valenti, Prinz von Sizilien und Rom.

Dieser pompöse Titel. Draco benutzte ihn nie. In der heutigen Welt war ein solcher Titel völlig absurd. Doch in der Antwort an den amerikanischen don hatte er den Titel verwendet und in dem bewusst aristokratischen Ton seines Schreibens eindeutig durchblicken lassen, was er von der ganzen Sache hielt. Weißt du überhaupt, mit wem du es hier zu tun hast, alter Mann? Lass mich gefälligst in Ruhe und verzieh dich!

Geholfen hatte es nichts, im Gegenteil. Der don hatte mit einer Drohung gekontert, aber leider nicht mit einer Bedrohung für Leib und Leben. Denn Draco, dessen Jugendjahre keineswegs von königlichen Privilegien versüßt gewesen waren, hätte sich zu gern darauf eingelassen, die Angelegenheit auf diese Weise zu regeln.

Doch Orsinis Herausforderung war wesentlich gerissener gewesen.

Ich werde meinen Repräsentanten zu Ihnen schicken, Hoheit. Sollten Sie und mein Anwalt sich auf keinen Kompromiss einigen können, sehe ich mich leider gezwungen, ein Gericht anzurufen und den Richter entscheiden zu lassen.

Ein Gerichtsprozess? Wegen eines völlig aberwitzigen Anspruchs? So weit würde es nicht kommen. Schließlich hatte Orsini keine legitime Forderung vorzubringen. Allerdings würden die Medien einen internationalen Zirkus daraus veranstalten.

„Entschuldigen Sie, Sir.“

Draco blickte auf. Die Hostess und die Amerikanerin standen vor ihm. Die Augen der Amerikanerin funkelten, die Miene der Hostess konnte nur als maßlos verlegen beschrieben werden.

„Bitte verzeihen Sie, Sir, aber die Lady …“

„Sie haben etwas, das ich brauche.“ Die Stimme der Amerikanerin klang gehetzt. Leicht heiser.

„Habe ich also, ja?“, erwiderte Draco und hob eine Augenbraue.

Ein rosa Hauch überzog ihre Wangen, und das sollte auch so sein. Er hatte eine absichtlich zweideutige Betonung gewählt. Warum konnte er allerdings nicht sagen. Vielleicht, weil er müde und gelangweilt war und weil die Blondine mit ihrer Forschheit, die an Unverschämtheit grenzte, ihm maßlos gegen den Strich ging.

„Ja. Sie haben zwei Sitze für den Flug 630 nach Rom.“

Draco klappte seinen Laptop zu, legte ihn beiseite und stand auf. Die Frau war groß, vor allem mit diesen Absätzen, aber er war größer. Es befriedigte ihn, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen.

„Und?“, fragte er gedehnt.

„Und ich brauche einen davon.“

Während des darauf folgenden Schweigens sah Draco die Hostess an. „Ist es übliche Praxis, die Flugdaten der Passagiere an jeden Dahergelaufenen weiterzugeben?“, erkundigte er sich dann kalt.

Die junge Frau lief puterrot an. „Nein, natürlich nicht, Sir. Ich weiß nicht einmal, wie die Lady herausfinden konnte, dass Sie …“

„Beim Einchecken wollte ich mein Ticket aufstocken, doch die Angestellte deutete auf Sie und meinte, Sie hätten soeben die letzten beiden Plätze in der Ersten Klasse gebucht. Als ich nachfragte, bestätigte sie mir, dass Sie allein fliegen. Darum bin ich Ihnen hierher gefolgt, habe mich aber vorher bei der Hostess versichern wollen, ob Sie wirklich der Richtige sind, bevor ich …“

Draco hob die Hand, um den hektischen Redefluss zu unterbrechen. „Nur, damit ich es richtig verstehe … Zuerst haben Sie die Angestellte am Flugschalter bedrängt und dann die Lounge-Hostess.“

Die Frau blinzelte irritiert. „Ich habe niemanden bedrängt, sondern lediglich gefragt, ob ich einen der Sitze haben kann.“

„Sie meinen, Sie haben gesagt, dass Sie einen der Sitze haben wollen.“

„Haben können, haben wollen – was macht das für einen Unterschied? Sie haben zwei Sitze und können nur in einem sitzen.“

Sie war sich ihrer selbst so sicher und glaubte, das Recht auf alles zu haben, was sie haben wollte. Wusste sie nicht, dass ein solches Recht nicht existierte?

„Und warum genau brauchen Sie den Sitz?“ Dracos Frage klang fast freundlich.

„Weil es nur in der Ersten Klasse Computeranschlüsse gibt.“

„Ah.“ Er lächelte. „Sie haben einen Computer dabei?“

„Natürlich.“ Ihre Augen blitzten.

„Sind Sie süchtig nach Solitaire?“

„Süchtig nach …“

„Solitaire“, wiederholte er ruhig. „Sie wissen schon, das Kartenspiel.“

„Nein, ich bin nicht spielsüchtig“, erwiderte sie kühl und trat einen Schritt vor. Jetzt stand sie so nah vor ihm, dass Draco ihre blauen Augen erkennen konnte. Die Hostess dagegen, ein cleveres Mädchen, zog sich unauffällig Stück für Stück zurück.

„Ich bin geschäftlich unterwegs … Eine Geschäftsreise, die unerwartet notwendig wurde. Die Erste Klasse war ausgebucht. Ich muss zu einem sehr wichtigen Treffen.“

Draco hatte sich nicht die Zeit genommen, um sich zu rasieren, sondern nur schnell geduscht, ausgewaschene Jeans und ein Hemd übergeworfen und die Ärmel hochgekrempelt. Er trug bequeme Mokassins. An seinem Handgelenk blitzte eine Patek Phillipe, die er sich als Belohnung für seine erste Million gekauft hatte.

Mit anderen Worten: Er war lässig, aber teuer angezogen. Und er hatte zwei kostspielige Sitze für sich reserviert. Eine Frau im Armani-Kostüm würde ihn als einen Mann mit viel Geld, viel Zeit und wenig zu tun abstempeln, während sie sich selbst als gestressten Wirtschaftskapitän ansah.

„Verstehen Sie jetzt, warum dieser Sitz so wichtig für mich ist?“

Draco nickte. „Sicher. Weil Sie ihn wollen.“

Sie verdrehte die Augen. „Mein Gott, ist das wichtig? Der Sitz ist leer, oder nicht?“

„Eher oder nicht.“

Da zögerte sie. Zum ersten Mal. Plötzlich schien sie irgendwie verletzlich und wirkte eher wie eine Frau und nicht wie ein Automat.

Auch Draco zögerte. Er hatte zwei Sitze gebucht, um Ruhe zu haben. Er brauchte seine Privatsphäre. Aber er würde es schon irgendwie überleben. Sicher, er mochte die Frau nicht. Doch war das wichtig? Sie hatte ein Problem, er hatte die Lösung. Er könnte einfach sagen: Va bene, signorina, Sie bekommen den Sitz …

„Wissen Sie“, hob die Frau vor ihm an, „das Widerlichste an Männern wie Ihnen ist, dass Sie sich für so viel besser als alle anderen halten.“

Die Hostess, die sich inzwischen einen guten Meter entfernt hatte, stieß einen Laut aus, der sich verdächtig nach einem Stöhnen anhörte. Und in Draco spannte sich jeder Muskel an. Wärst du doch nur ein Mann, dachte er. Dann hätte ich das Vergnügen, meine Faust auf dieses arrogant gereckte Kinn zu pflanzen.

Aber sie war kein Mann, und darum tat er das einzig Richtige. Er drehte sich um, verstaute seinen Laptop und hängte sich die Tasche über die Schulter. Als er sich wieder umwandte, wich die Frau einen Schritt zurück. Offensichtlich hatte sie erkannt, dass sie zu weit gegangen war. Gut!

„Mit einem anderen Benehmen hätten Sie sicherlich mehr Erfolg gehabt“, bemerkte er in einem Tonfall, der seine Konkurrenten immer in die Knie zwang. „Hätten Sie sich einfach um Hilfe an mich gewandt, wäre ich sicherlich galant …“

„Das habe ich doch getan!“

„Nein, haben Sie nicht. Sie haben gesagt, was Sie wollen, und mir vorgeschrieben, was ich zu tun habe. Unglücklicherweise, signorina, war das der falsche Ansatz. Mir ist völlig egal, was Sie wollen, und daher werden Sie den Sitz auch nicht bekommen.“

Ihr Mund stand offen, und er konnte es ihr nicht verübeln. Hatte er gerade wirklich einen so kleingeistigen Satz von sich gegeben? Mach, dass du wegkommst, Valenti, sagte er sich. Und er wäre auch gegangen, wenn nicht …

Sie lachte! Lachte doch tatsächlich! Auf eine solche Beleidigung gab es nur eine Erwiderung.

Draco baute sich vor ihr auf. Sie musste etwas in seinen Augen erkannt haben, denn ihr Lachen brach abrupt ab.

Er streckte die Hand aus und strich mit einem Finger über ihre Lippen. „Oder vielleicht … wenn Sie mir ein interessantes Gegenangebot gemacht hätten.“

Nach diesem Satz legte er die Arme um sie, zog sie an sich und küsste sie, als hätte er das Recht dazu. Als wäre er ein römischer Herrscher, der die ganze Welt sein Eigen nannte. Er hörte den erstickten Aufschrei der Frau, hörte die Hostess nach Luft schnappen … und dann hörte er nichts mehr außer dem donnernden Rauschen des eigenen Bluts in den Ohren und schmeckte nur noch ihren süßen heißen Mund.

Sie versetzte ihm einen erstaunlich harten Faustschlag in die Rippen. Es war den Schmerz wert, als er die lodernde Wut in ihren Augen sah, sobald er den Kopf hob.

„Angenehmen Flug wünsche ich, signorina“, sagte er noch, bevor er sich mit seinem Gepäck an ihr vorbei schob und die Lounge verließ.

Anna Orsini starrte ihm hasserfüllt hinterher und wünschte, sie hätte ihn dort getroffen, wo es wirklich wehtat.

2. KAPITEL

Anna stapfte durch das überfüllte Terminal. Die Wut raubte ihr fast die Sicht.

Macho! Vollidiot!

Sie hätte die Cops rufen und ihn wegen sexueller Belästigung anzeigen sollen. Sie hatte ihn nicht freiwillig geküsst, also war es ein Vergehen. Obwohl … niemand konnte das nur als Kuss bezeichnen.

Dieser feste warme Mund. Dieser muskulöse Körper. Der starke Arm, der sich um sie geschlungen hatte, als hätte er Besitzansprüche.

Ein Schauer ließ sie erbeben. Vor Wut natürlich!

Natürlich war es Wut!

Wo war dieses verdammte Gate? Ihr tat die Schulter weh vom Gewicht der Reisetasche, und ihre Füße brachten sie schier um. Warum hatte sie die Stilettos nach dem Gerichtstermin nicht gegen bequeme Schuhe ausgetauscht? Im Gericht trug sie immer Stilettos und Kostüm, das war ihre Uniform. Das half gegen die hochnäsigen Staatsanwälte, die meinten, einen weiblichen Strafverteidiger leicht über den Tisch ziehen zu können. Vor allem, wenn der weibliche Strafverteidiger auch noch Orsini hieß.

Niemand zog Anna Orsini über den Tisch! Trotzdem, die Schuhe waren eindeutig ein Fehler und gänzlich ungeeignet, um durch einen Flughafen voller Menschen zu hetzen.

Bis sie beim richtigen Gate ankam, stand ihr der Schweiß auf der Stirn, und lange Strähnen, die sich aus der Haarspange gelöst hatten, hingen ihr ins Gesicht. Die Schlange der Passagiere schob sich langsam vorwärts in das Flugzeug.

Anna holte ihre Bordkarte hervor. Ihr Sitz lag am hinteren Ende des Flugzeugs, bis sie dort angekommen war, wären alle Gepäckfächer längst belegt.

Vielen Dank auch, Mr. Macho.

Er würde natürlich keine solchen Probleme haben. In der Ersten Klasse gab es immer genügend Stauraum fürs Handgepäck. Vermutlich saß er längst mit einem Glas Wein in der Hand gemütlich auf seinen zwei Sitzen, während die Stewardessen ihn anhimmelten.

Viele Frauen würden einen Mann mit seinem Aussehen anhimmeln. Groß, dunkel, unmöglich lange Wimpern, das Gesicht und die Statur eines römischen Imperators. Und das dazu passende Benehmen.

Deshalb hatte er auch einen Computeranschluss, während sie …

Nein, denk jetzt nicht daran. Erinnere dich lieber daran, was auf diesen uralten vergilbten Seiten gestanden hat. Schließlich war es ja nicht so, als hätte sie sie nicht gelesen.

Na schön, sie hatte sie nicht gelesen. Zumindest nicht genau. Sie hatte sie durchgeblättert und eingescannt. Die meisten waren von Hand geschrieben. Auf Italienisch. Ihre Italienischkenntnisse beschränkten sich auf ciao, va bene und einige andere Wörter, die man in zivilisierter Gesellschaft nicht benutzen sollte.

Mit etwas mehr Zeit hätte sie nicht nur die Dokumente durcharbeiten können, sondern auch einen Flug in der Ersten Klasse buchen können. Ihr Vater hätte das Ticket bezahlt. Schließlich war Cesare der Grund, weshalb sie dieses Himmelfahrtskommando unternahm. Und im Gegensatz zu ihr hatte Cesare genug Geld.

Man reiste nicht bequem, wenn man mittellose Klienten verteidigte. Ein Mal war Anna bisher Erster Klasse geflogen. Nachdem ihre Brüder ihr einen zweiwöchigen Urlaub in Paris zum bestandenen Anwaltsexamen geschenkt hatten. Und natürlich war sie auch schon in dem Privatjet ihrer Brüder geflogen.

„Die Bordkarte, bitte.“

Anna reichte der Stewardess die Karte und erntete dafür ein strahlendes „Danke“.

Sieben Stunden, eingequetscht wie Sardinen in der Dose, waren kein Grund zum Strahlen. Nicht, dass sie grundsätzlich etwas gegen die Touristenklasse hatte. Die Zweite Klasse war die Realität, hier saßen die echten Menschen. Und schon ihr ganzes Leben lang, alle sechsundzwanzig Jahre, hatte Anna ihr Bestes getan, um ein echtes Leben zu führen.

Das war kein leichtes Unterfangen, wenn der Vater ein don in la famiglia war.

Ihr Vater, der sein Problem vor vierundzwanzig Stunden bei ihr abgeladen hatte. Seitdem hatte sie keine freie Minute mehr gehabt: Ein lang geplanter Gastvortrag vor einer Examensklasse ihrer ehemaligen Universität, der Columbia University, zwei endlos zähe Besprechungen und ein Gerichtstermin. Dann die Fahrt mit dem Taxi durch den New Yorker Berufsverkehr zum Flughafen, nur um festzustellen, dass der Flug Verspätung hatte und sie ihr Ticket nicht aufstocken konnte. Obwohl es dringend nötig wäre, um nicht mehr oder weniger ahnungslos in das Meeting in Rom hineinzumarschieren.

Anna hoffte inständig, dass ihr alter Laptop mitspielte und ihr genug Zeit ließ, um sich die Dokumente noch einmal anzusehen.

Der Zusammenprall mit diesem unmöglichen Mann hatte dem Ganzen schließlich die Krone aufgesetzt.

Da war er auch schon.

Das Flugzeug war ein älteres Modell, was bedeutete, dass das einfache Volk sich durch die Erste und die Businessklasse schieben musste, um zu den niederen Plätzen zu gelangen. So sah sie ihren Widersacher auf Sitz 5A sitzen, lässig zurückgelehnt, die Beine lang vor sich ausgestreckt, während Platz 5B sie mit gähnender Leere verhöhnte.

Zu gern hätte sie ihm die Meinung gesagt und ihm klargemacht, was sie von ihm hielt. Was sie von Männern hielt, die sich einbildeten, ihnen gehöre die Welt. Die meinten, jede Frau müsse automatisch vor ihnen auf die Füße sinken. Aber das hatte sie bereits versucht – ohne jeden Erfolg.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drehte er den Kopf und sah sie an. Seine Augen wurden dunkler, sein Blick ruhte auf ihrem Mund, und ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen. Erinnerst du dich an mich und an den Kuss? schienen Blick und Lächeln zu fragen.

Annas Wangen brannten. Könnte sie ihm diese arrogante Miene doch nur aus dem Gesicht schlagen!

Sie riss den Blick los und ließ sich von der Menge weiter durch den Mittelgang schieben. Endlich war sie bei ihrem Sitz angekommen, und wie vorausgesehen gab es keinen Stauraum mehr für ihre Reisetasche.

Zu allem Überfluss sah der Typ in ihrer Sitzreihe, der den Fensterplatz besetzte, wie Hannibal Lector aus, und die Frau, die am Gang saß, summte konstant wie eine Biene.

Mit einem „Entschuldigen Sie“, quetschte Anna sich an den Knien der Summerin vorbei, setzte sich und versuchte zu ignorieren, dass Hannibals Schenkel ein Drittel ihres Sitzes einnahm. Sie schob die dicke Aktentasche unter den Sitz, lehnte sich zurück, verschränkte die Finger im Schoß und stellte sich auf eine lange Nacht ein.

In zehntausend Meter Höhe kam die Durchsage, dass elektronische Geräte jetzt wieder benutzt werden durften. Darauf hievte Anna die Aktentasche auf ihren Schoß, holte den Laptop heraus, stellte ihn auf den kleinen Klapptisch am Sitz vor sich und schaltete ihn ein.

Der Computer summte, das war schon mal ein gutes Zeichen. Obwohl … das Summen könnte auch von der Frau auf dem Nebensitz kommen.

Doch der Computer lief tatsächlich. Anna vergeudete keine Zeit, sondern rief sofort das aktuellste Dokument auf – das Antwortschreiben von Prinz Draco Marcellus Valenti an ihren Vater.

Bei dem Namen schnaubte sie – und bei dem Brief erst recht. Sein Ton war ebenso lächerlich steif wie der Name des Absenders. Eine so geschraubte Wortwahl hätte eher ins siebzehnte Jahrhundert gepasst. Während sie den Brief las, konnte Anna sich den Prinzen genau vorstellen.

Alt war er. Nein, nicht nur alt, sondern ein Greis mit schütterem weißem Haar, das aus rosiger Kopfhaut stach. Vermutlich wuchsen ihm auch Haare aus den Ohren. Fast sah sie seine dürren, mit Altersflecken übersäten Finger vor sich, die sich um eine Gehhilfe klammerten.

Nur würde der Prinz es niemals Gehhilfe nennen, sondern Spazierstock. Mit anderen Worten: Er war ein Mann, der sich aus dem Leben, aus der modernen Welt und der Realität zurückgezogen hatte.

Anna lächelte vor sich hin. Das könnte interessant werden. Anna und der Aristokrat. Was für ein großartiger Titel für einen Kinofilm!

Biep.

Der Computer stürzte ab.

„Nein“, wisperte sie. „Oh bitte nicht …“

„Doch“, ließ sich da Hannibal neben ihr fröhlich vernehmen. „Sieht aus, als hätten Sie keinen Saft mehr, kleine Lady.“

Kleine Lady?! Anna funkelte den Mann wütend an. Wenn sie eines nicht mehr hatte, dann war es Geduld mit dem männlichen Geschlecht. Aber Hannibal sprach nur die Wahrheit aus. Warum sollte sie also ihren Ärger an ihm auslassen?

Zumal der Ärger ja nicht erst vorhin in der Lounge begonnen hatte, sondern schon am Sonntag nach dem Familiendinner in der Orsini-Stadtvilla in Greenwich Village, ehemals Little Italy. Annas Mutter hatte angerufen, um sie einzuladen.

„Ich kann nicht kommen, Mom“, hatte Anna versucht abzuwiegeln. „Ich habe noch einen Termin.“

„Seit Wochen warst du nicht mehr hier.“ Der vorwurfsvolle Ton versetzte Anna sofort in die Kindheit zurück. „Immer hast du eine Ausrede.“

Das stimmte. Also sagte Anna mit einem Seufzer zu und fuhr am Sonntag zu ihren Eltern. Nach dem Essen bestand ihr Vater darauf, sie zur Tür zu geleiten. Als sie dabei jedoch an seinem Arbeitszimmer vorbeikamen, bedeutete er Felipe, seinem capo und ständig präsentem Schatten, mit einem kurzen Kopfrucken, sich zurückzuziehen.

„Ich würde gern noch etwas mit dir besprechen, mia figlia“, sagte er und schob die Tür des Arbeitszimmers auf.

Argwöhnisch folgte Anna ihm in den stickigen dunklen Raum. Cesare setzte sich hinter den wuchtigen Schreibtisch, forderte sie mit einer stummen Geste auf, sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch zu setzen, musterte sie eine Weile schweigend und räusperte sich dann.

„Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust, Anna.“

„Was für einen Gefallen?“ Sie wurde sofort hellhörig. Einen Gefallen? Für ihren Vater, den sie einzig und allein ihrer Mutter zuliebe nach außen hin respektierte, in Wahrheit aber verachtete? Er war ein Gangsterboss, der don der gefürchteten famiglia an der Ostküste.

Cesare ahnte nicht, dass sie das wusste, dass sie und ihre Schwester es schon herausgefunden hatten, als sie vierzehn und Izzy dreizehn gewesen waren.

Weder Anna noch Isabella konnten sich heute erinnern, wie es passiert war. Vielleicht hatten sie einen Zeitungsartikel gelesen und zwei und zwei zusammengezählt. Vielleicht hatte das Geflüster der Schulkameradinnen irgendwann Sinn ergeben. Vielleicht hatten sie aber auch einfach nur bemerkt, dass ihre großen Brüder Rafe, Dante, Falco und Nick sich so schnell wie möglich ein eigenes Leben aufgebaut hatten und ihren Vater mit nur mühsam verhohlener Verachtung behandelten, wann immer sie in die Villa kamen.

Anna und Izzy wussten nur, dass sie eines Tages begriffen hatten, dass ihr Vater nicht einfach der Chef eines florierenden Sanitär­betriebs war, sondern ein Gangster.

Um ihre Mutter nicht zu beunruhigen, hatten sie sich jedoch nicht anmerken lassen, dass sie die Wahrheit kannten. In letzter Zeit fiel es Anna allerdings immer schwerer, die Unwissende zu spielen und so zu tun, als hätte ihr Vater kein Blut an den Händen.

Einem solchen Mann konnte sie keinen Gefallen tun.

„Ich fürchte, ich habe im Moment zu viel zu tun, Vater. Außerdem …“, erwiderte sie darum auch.

Doch er schnitt ihr mit einer herrischen Geste das Wort ab. „Lass uns wenigstens ein Mal offen und ehrlich sein, Anna. Ich weiß, wie du über mich denkst. Schon seit Langem. Du kannst deine Mutter und deine Brüder zum Narren halten, aber mich nicht.“

„Dann weißt du auch, dass du die Falsche um einen Gefallen bittest“, erwiderte Anna und erhob sich.

Cesare schüttelte den Kopf. „Ich frage genau die Richtige. Du bist meine Tochter, und du hast mehr von mir, als du zugeben willst.“

„Ich bin nicht wie du! Ich glaube an das Gesetz und an Gerechtigkeit. Daran, das Richtige zu tun, wie schwierig es auch sein mag.“

„Genau wie ich“, warf Cesare ein. „Wir setzen nur von verschiedenen Blickwinkeln aus an.“

Sie lachte trocken auf. „Auf Wiedersehen, Vater. Und nein, es war mir kein Vergnügen.“

„Anna, hör mir zu, per favore.“

Es war das per favore, das Anna sich wieder setzen ließ.

„Ich will, dass Gerechtigkeit geübt wird. Nach dem Gesetz. Auf deine Art, nicht auf meine. Du bist Anwältin, mia figlia, oder nicht? Und mein Blut fließt in deinen Adern.“

„Dass ich deine Tochter bin, kann ich nicht ändern. Aber wenn du einen Anwalt brauchst … Mindestens ein halbes Dutzend Anwälte stehen auf deiner Gehaltsliste.“

„Das ist eine persönliche Angelegenheit. Es geht um die Familie. Um unsere Familie. Um deine Mutter, deine Schwester und deine Brüder.“

Zu gern hätte sie gesagt, dass es sie nicht interessierte, doch Cesare war es gelungen, ihre Neugier zu wecken.

„Fünf Minuten …“ Sie sah auf ihre Armbanduhr. „Dann bin ich weg.“

Da zog ihr Vater einen Aktenordner aus der Schublade und legte ihn auf den Tisch. Annas Neugier wuchs, als sie die vergilbten Dokumente sah.

„Briefe, Verträge, Erlasse“, zählte Cesare auf. „Die meisten gehen Jahrhunderte zurück. Sie gehören deiner Mutter. Diese Schriftstücke waren immer im Besitz ihrer Familie.“

„Hier geht es um Mom?“

Sì. Um sie und um das, was ihr gehört.“

„Ich höre.“ Anna verschränkte die Arme vor der Brust.

Ihr Vater erzählte ihr eine Geschichte von Königen, von Besatzern und Bauern. Er erzählte von Intrigen, von Lügen und von noch mehr Intrigen – und von viel Land, das einst der Familie ihrer Mutter gehört hatte, bis ein Herrscher aus dem Haus Valenti es gestohlen hatte.

„Wann war das?“

Cesare zuckte mit den Schultern. „Wer kann das schon sagen? Das alles liegt Jahrhunderte zurück.“

„Und wann genau hast du dich da eingemischt?“

„Als ich erfahren habe, dass der jetzige Prinz auf dem Land deiner Mutter bauen will.“

„Wie hast du davon erfahren?“

Wieder hob Cesare nur die Schultern. „Ich habe viele Kontakte in Sizilien.“

Dessen war Anna sicher. „Was hast du unternommen?“

„Ich habe ihm geschrieben, dass er kein Recht auf das Land hat. Er sagt, er hat.“

„Es ist schwer, etwas zu beweisen, was Jahrhunderte zurückliegt.“

„Es ist nur schwer, wenn ein Prinz sich weigert, es zuzugeben.“

„Das ist eine interessante Geschichte, Vater. Ich sehe nur nicht, was ich da ausrichten kann. Kontaktiere eine Kanzlei in Italien, am besten eine sizilianische.“

Ihr Vater lächelte grimmig. „Die haben alle Angst vor dem Prinzen. Draco Valenti ist reich und besitzt enormen Einfluss.“

„Während du nur ein armer Bauer bist.“ Sie lächelte kühl.

„Du machst dich lustig, aber glaube mir, trotz des Reichtums, den ich angesammelt habe, und trotz meines Einflusses werde ich im Vergleich zum Prinzen immer der Bauer bleiben.“

„Nun, das war’s dann wohl, oder?“

„Noch nicht ganz. Ich habe nämlich etwas, das er nicht hat.“

Ihr Lächeln wurde noch kühler. „Blut an den Händen?“

„Nicht mehr als er, das kann ich dir versichern. Nein, ich habe dich. Die Anwälte des Prinzen sind gewieft, wofür sie gut bezahlt werden. Aber du, mia figlia, bist Idealistin.“

Sie blinzelte. „Wie bitte?“

„Du warst die Beste deines Jahrgangs. Du hast Angebote der renommiertesten Anwaltsfirmen ausgeschlagen, um Fälle anzunehmen, die jeder andere ablehnt. Und warum? Weil du an Ideale glaubst. An die Gerechtigkeit. An gleiche Rechte für alle Menschen, ob sie nun als Könige oder Bauern geboren wurden!“

Er hatte recht. Und sosehr es sie auch wurmte – der väterliche Stolz in seiner Stimme wärmte ihr Herz. Vermutlich applaudierte sie deshalb voller Ironie.

„Bravo! Welch Vorführung! Solltest du jemals die Verbrechen aufgeben, könntest du am Theater …“

„Anna, ich bin vielleicht nicht der Vater, den du dir wünschst, aber ich habe dich immer geliebt. Und ist da nicht irgendwo auch ein kleiner Teil in dir, der deinen Vater liebt?“

Es waren diese schlichten Worte, die alles änderten. Denn in Anna steckte tatsächlich noch das kleine Mädchen, das den Mann, für den sie ihren Vater einst gehalten hatte, liebte. Nur deshalb hörte sie Cesare weiter zu und ließ sich Kopien von Cesares Briefen zeigen, die der Prinz ignoriert hatte. Cesare hatte Anwälte in Sizilien kontaktiert, wo besagtes Land lag, und in Rom, wo der Prinz lebte. Niemand wollte sich die Finger an dem Fall verbrennen.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass Valenti damit durchkommt, nur weil er sich einbildet, etwas Besseres zu sein als wir“, schloss Cesare. „Das siehst du doch auch so, oder? Und du tust es nicht für mich, sondern für deine Mutter. Tu es, weil es das Richtige ist.“

Jetzt, zehn Kilometer über der Erde, fragte Anna sich wohl zum hundertsten Mal, ob sie sich nicht hatte übertölpeln lassen. Ihr Vater wusste, dass sie nicht mit ansehen konnte, wie die Reichen und Mächtigen auf den Armen herumtrampelten. Sicher, Cesare war ganz bestimmt nicht arm, aber das Haus Valenti hatte sich das Land von der Familie ihrer Mutter angeeignet.

Sie hatte ihr Wort gegeben, sich mit dem Prinzen zu treffen, und deshalb würde sie es auch tun.

Dumm nur, dass sie nicht vorbereitet war. Aber auch da hatte ihr Vater recht – sie war eine gute Anwältin und exzellent bei Verhandlungen. Selbst wenn sie nicht alle Details kannte, würde sie zurechtkommen. Dieser Prinz, dieser Draco Marcellus Valenti, war ein einziger Anachronismus. Er lebte in einer Zeit, die nichts mit dem einundzwanzigsten Jahrhundert zu tun hatte.

Genau wie der Typ aus der VIP-Lounge, der sich einbildete, ihm gehöre die ganze Welt … und dass er jede Frau haben konnte, die er haben wollte.

Vermutlich stimmte das sogar. Frauen waren leider empfänglich für gutes Aussehen und würden sich garantiert überschlagen, um ihm zu gefallen.

Aber sie nicht! Auch wenn sie noch immer seinen Mund auf ihren Lippen spüren konnte.

Lächerlich! Schließlich hatte er sie nur aus einem einzigen Grund geküsst – um ihr seine männliche Macht zu beweisen. Er hatte ihr zeigen wollen, wie sexy er war. Und hatte sie das etwa beeindruckt?

Pah! Was war schon sexy an einem Mann mit einer tiefen samtenen Stimme? Oder an Augen, weder braun noch gold, mit verboten langen Wimpern? Oder an einem Gesicht, das einen an Skulpturen römischer Herrscher denken ließ? Oder an einem großen muskulösen Mann, in dessen Armen sie sich regelrecht zerbrechlich vorgekommen war? Und das wollte etwas heißen bei einer Frau, die selbst fast einen Meter achtzig groß war.

Was wäre wohl passiert, wenn sie, statt ihm die Faust in die Rippen zu jagen, die Arme um den Nacken geschlungen und die Lippen geöffnet hätte? Was hätte er dann wohl getan?

Hätte er zu ihr gesagt: Vergiss das Flugzeug, lass uns irgendwo hingehen, wo wir allein sind, wo ich dich ausziehen und dir Dinge ins Ohr flüstern kann. Wo ich Dinge mit dir tun kann …

Ein kleiner Laut entstieg ihrer Kehle. Fast konnte sie sie fühlen – die Küsse, die Liebkosungen, bevor er sie richtig nehmen würde. Sie war mit Männern zusammen gewesen. Sex machte Frauen genauso viel Spaß wie Männern. Doch das würde anders sein.

Er würde ihr Seufzer entlocken, würde sie sich vor Vergnügen winden lassen, würde sie vor Lust aufschreien lassen …

Signorina? Verzeihen Sie, wenn ich störe …“

Anna riss die Lider auf.

Der Mann aus der Lounge stand vor ihr. Der Mann, der sie geküsst hatte. Er stand auf dem Gang und sah auf sie herunter, und das kleine Lächeln um seinen Mund raubte ihr den Atem.

3. KAPITEL

Blau. Draco erinnerte sich wieder daran, dass die Frau blaue Augen hatte. Doch genauso gut könnte man sagen, dass das Meer blau war. Es war eine ungenügende Beschreibung. Die Farben des Tyrrhenischen, des Ionischen und des Mittelmeers um Sizilien waren mehr als nur blau. Die Augen der Frau auch.

Nicht hell, nicht dunkel. Die Farbe erinnerte ihn an die Vergissmeinnicht, die auf den Klippen in Sizilien wuchsen.

Und dann ihr Mund. Es war ein hübscher Mund. Rosige volle Lippen, vor Überraschung geöffnet … verführerisch.

Draco runzelte die Stirn. Das war völlig unwichtig. Sie könnte aussehen wie die Hexe bei Hänsel und Gretel, er hatte seine Entscheidung getroffen, weil er wusste, was richtig und was falsch war. Ein Mann, der nicht über sein Ego hinausschauen konnte, hatte die Vorzüge eines guten Lebens nicht verdient. Das war noch eine Lektion, die er als Kind gelernt hatte. Er hatte viele Männer beobachtet, die so überzeugt von ihrer enormen Bedeutung waren, dass sie sich nichts dabei dachten, andere niederzutrampeln.

Nach der Durchsage, die das Benutzen elektronischer Geräte wieder erlaubte, hatte er seinen Laptop ausgepackt, dankend die Speisekarte von der Stewardess angenommen … und an die Frau denken müssen.

Du wärst auch mit einem Sitz ausgekommen.

Den zweiten Sitz hatte er schließlich nur gebucht, um niemanden als Sitznachbarn zu bekommen, der während des Flugs auf ihn einredete. Die Blondine aber hatte den Sitz gewollt, weil sie arbeiten musste. Sie hatte andere Sachen zu tun, als ihm ein Gespräch aufzuzwingen.

Also kein Problem.

Nachdem er das erkannt hatte, war Draco aufgestanden, hatte den Luxus der Ersten Klasse hinter sich gelassen, war durch die praktische Businessklasse gelaufen und immer weiter, bis er in der Sardinenbüchse ankam, die sich Zweite Klasse nannte.

Als er sie ausfindig gemacht hatte und auf sie zusteuerte, stellte er sich vor, wie begeistert und dankbar sie auf seinen Vorschlag reagieren würde.

Nun, vielleicht auch nicht.

Sie starrte ihn an, als wäre er ein Geist. Natürlich hatte er sich denken können, dass sie verdutzt und überrumpelt sein würde. Aber der völlige Schock auf ihrem Gesicht verriet ihm, dass sie sich nur selten überraschen ließ. Das war ein angenehmer Bonus.

Er sah zu, wie sie nach Worten suchte. Auch ein netter Anblick. Schließlich war sie bei ihrer ersten Begegnung nicht um Worte verlegen gewesen. Nur, als er sie geküsst hatte.

Aber um den Kuss ging es hier nicht, sondern um Menschlichkeit und Anstand.

„Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe“, entschuldigte er sich höflich.

Sie setzte sich auf und zog an ihrem Rock, der an ihren Schenkeln hinaufgerutscht war. Nebenbei bemerkt waren es ganz großartige Schenkel: fest, wohlgeformt und leicht gebräunt. Ob ihre Haut überall so golden ist? überlegte Draco.

„Ich habe nicht geschlafen. Was tun Sie hier?“

Das lief nicht so, wie er sich vorgestellt hatte. Er räusperte sich. „Ich habe es mir überlegt.“

„Was?“

Dio, machte sie es absichtlich so kompliziert? „Das mit dem Sitz. Sie können ihn haben.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Warum?“, fragte sie misstrauisch.

Ihre Sitznachbarn verfolgten die Szene inzwischen mit der Neugier, mit der Schaulustige einen Autounfall begafften. So viel also dazu, das Richtige zu tun!

„Warum?“, knurrte er. „Weil ich Trottel annahm, Sie hätten noch immer lieber einen Sitz in der Ersten Klasse als … als das hier!“

„Was ist verkehrt an dem hier?“, fragte die Sitznachbarin der Blondine lauernd.

Da warf Draco entnervt die Hände in die Höhe und wandte sich zum Gehen.

„Warten Sie!“

Ein kluger Mann wäre einfach gegangen. Aber Draco hatte inzwischen mehrfach bewiesen, dass er sich heute nicht besonders klug verhielt. Er blieb stehen, drehte sich mit vor der Brust verschränkten Armen um und sah, wie sie auf ihn zueilte.

Er konnte nicht anders, er musste lächeln. Wo war ihre amerikanische Perfektion geblieben? Giorgio Armani wäre entsetzt, wenn er gesehen hätte, wie die schwere Aktentasche auf ihrer Schulter die Kostümjacke verzog. Die blonden Strähnen hatten sich aus dem Clip gelöst, und beim Aufstehen hatte sie wohl einen Schuh verloren, der ihr jetzt von einem Finger baumelte.

Einer von diesen enorm sexy Stilettos.

„Ja? Was ist denn?“

„Ich … ich …“

Er taxierte sie mit einem Blick, der so eisig war wie ein kalter Januarmorgen, und wiederholte: „Ja?“

Wie gab man zu, einen Fehler gemacht zu haben? Nicht beim Urteil über diesen Mann, das nicht. Er war aufgeblasen und unverschämt, aber das war kein Grund, sein Angebot auszuschlagen. Nur ein Idiot würde den Zugang zu einem Computeranschluss ablehnen – und gleichzeitig die Chance, von diesen beiden Neurotikern wegzukommen.

„Ich warte.“

Anna schluckte. Sie würde wohl oder übel in den sauren Apfel beißen müssen. „Ich … ich nehme Ihre Entschuldigung an.“

Er lachte doch tatsächlich! Und nicht nur er. Anna sah sich um und lief rot an. Die kleine Szene hatte scheinbar mehr Unterhaltungswert als Zeitschriften oder Bücher, denn gut die Hälfte der Passagiere hatte sich zu ihnen umgedreht.

„Ich habe mich nicht entschuldigt. Und ich werde mich auch nicht entschuldigen. Ich habe Ihnen lediglich den freien Sitz angeboten.“ Er verzog den Mund. „Den, um den Sie vorhin noch gebettelt haben.“

„Ich bettle nie. Ich …“ Anna verstummte.

„Mein Gott, Lady! Sind Sie beschränkt? Entweder Sie nehmen den Sitz, oder ich nehme ihn!“, rief jemand aus irgendeiner Reihe.

Anna wusste nicht, auf wen sie wütender war – auf ihren Vater, der sie in diese Situation gebracht hatte, oder auf den Mann, der ihr gegenüberstand. „Sie sind unmöglich.“

Draco blinzelte kurz. „Das soll wohl ein Ja sein.“ Er drehte sich um und ging den Gang entlang.

Und Anna tat das einzig Vernünftige: Sie folgte ihm.

Eine Stunde später stellte Anna ihren Laptop ab und verstaute ihn wieder. Sie war die Dokumente durchgegangen, hatte gelesen, was sie entziffern konnte, und sich Notizen gemacht. Eine genaue Vorstellung, worum es eigentlich ging, hatte sie dennoch nicht.

Irgendwo in Sizilien gab es ein Stück Land, das entweder ihrer Mutter oder einem Prinzen gehörte. Keines der Dokumente, die Anna gelesen hatte, bewies einen Besitzanspruch, nicht einmal andeutungsweise. Es sei denn, die handgeschriebenen Seiten auf Italienisch besagten etwas anderes.

Den Papieren, die ihr Vater ihr überlassen hatte, entnahm sie lediglich, dass Cesare mehrere Briefe geschrieben hatte. Auf die der Prinz mit einem Schreiben auf teurem Bütten geantwortet hatte. Ein halbes Dutzend Paragrafen für eine einzige unmissverständliche Aussage: Verzieh dich.

Klar war nur, dass ihr Vater darauf beharrte, das Haus Valenti hätte sich dieses Land unrechtmäßig angeeignet. Anna wusste nicht viel über das, was ihr Vater die „alte Heimat“, nannte, aber sie wusste genug, um sicher zu sein, dass Bauern sich nicht mit Prinzen anlegten.

Bei dem, was sie bei Durchsicht der Papiere erfahren hatte, hätte sie genauso gut in der Touristenklasse sitzen bleiben können, ohne Computerzugang und vor allem ohne diesen Mann.

Anna warf ihrem Sitznachbarn einen verstohlenen Seitenblick zu. Seit sie hier saß, hatte er keinen Ton gesagt. Der Laptop auf seinem Schoß beanspruchte seine gesamte Aufmerksamkeit.

Das sollte ihr recht sein.

War es aber nicht.

Jetzt, da sie wieder ruhiger geworden war, musste sie zugeben, dass er ziemlich gut aussah. Er hatte ein schönes, sehr männliches Gesicht, einen durchtrainierten Körper, starke Hände mit langen schlanken Fingern …

Sie wusste, wie diese Hände sich anfühlten. In der Lounge hatte er sie an der Schulter gehalten. Hier in der Ersten Klasse hatte er seine Hand an ihren Rücken gelegt, um ihr auf den Sitz zu helfen. Es war eine höfliche und unpersönliche Geste gewesen.

Und wenn er sie nicht nur unpersönlich berühren würde?

Anna runzelte die Stirn und richtete sich leicht auf. Blödsinn! Er war nicht ihr Typ und sie nicht seiner!

Also wieder zurück zu Bauern und Prinzen.

Andererseits … würde ein schlichtes „Danke“, sie umbringen? Wohl kaum. Und war es zu spät, um sich jetzt noch zu bedanken? Es ist nie zu spät, etwas Nettes zu tun, konnte sie Izzy fast sagen hören. Sie war nicht so liebenswürdig und gutmütig wie ihre Schwester und würde es nie sein. Aber sie konnte es zumindest versuchen, oder?

„Schon fertig?“ Er schaute sie an, die Andeutung eines Lächelns lag auf seinen Lippen.

Sie räusperte sich. „Ja.“

„Nicht gefunden, was Sie brauchten?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich auch nicht.“ Er klappte seinen Laptop zu. „Ich gehe in ein Meeting, bei dem ich von vornherein weiß, dass es reine Zeitverschwendung ist.“

„Ähnelt meiner Story.“ Sie lachte leise. „Hassen Sie so etwas nicht auch?“

„Und wie. Es gibt nichts Schlimmeres, als jemandem gegenüberzusitzen, der nicht begreift, dass es nichts zu holen gibt.“

„Es ist so sinnlos“, seufzte Anna. „Am liebsten würde ich in mein Meeting marschieren, verkünden, dass es keinen Zweck hat, mich umdrehen und wieder gehen. Wenn mein Verhandlungspartner auch nur einen Funken Verstand besitzt, macht er es ebenso.“

Draco lachte. „Hätte er einen Funken Verstand, würde er erst gar nicht erscheinen.“

„Stimmt.“

„Aber so ist das Leben, nicht wahr? Man kann nicht immer haben, was man will.“

Das war die perfekte Überleitung. „Was mich daran erinnert … Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt. Ich hätte schon früher …“

„Hätten Sie“, fiel er ihr ins Wort.

„Also …“ Sie schnaubte empört.

Er lachte. „Ich wollte Sie nur ein wenig ärgern. Ich habe überreagiert, als Sie mich zuerst ansprachen. Sagen wir doch einfach, dass wir quitt sind.“

Jetzt lachte sie auch. „Sie sind nicht zufällig Anwalt?“

Dio, nein. Wie kommen Sie darauf?“

„Weil Sie gut mit Worten umgehen.“

„Das ist es, was ich tue – ich bin ein Mittler“, erwiderte er mit einem Lächeln. Gab es eine bessere Beschreibung für die Verhandlungen, die er ständig führte und die ihm dann Millionen von Dollar und Euro einbrachten? „Waffenstillstand?“

Er bot ihr die Hand, Anna schlug ein – und zuckte zurück, als ein Stromschlag sie traf.

„Statische Elektrizität“, murmelte sie hastig.

„Muss wohl …“

Ihre Blicke verhakten sich ineinander. Seine Augen waren dunkel und undurchdringlich, und Annas Herz setzte einen Schlag lang aus.

„Möchten Sie die Weinkarte haben?“ Die Stewardess stand plötzlich neben ihnen, ein freundliches Lächeln auf den perfekt geschminkten Lippen.

„Champagner“, sagte Draco, ohne Annas Hand loszulassen oder die Augen von ihrem Gesicht zu wenden. „Oder möchten Sie etwas anderes trinken?“

„Nein, Champagner wäre großartig.“

„Großartig“, wiederholte er. Anna fragte sich, warum sie ihn je für kalt und arrogant gehalten hatte.

Er bestellte außerdem Dinner für sie beide. Normalerweise hätte Anna lautstark dagegen protestiert, dass ein Mann bestimmte, was sie aß, doch heute erschien es ihr richtig.

Überhaupt schien alles richtig zu sein. Sie tranken Champagner aus Kristallkelchen und aßen von Porzellantellern, die Servietten waren aus echtem Leinen. Nein, die Erste Klasse war wirklich nicht übel. Und es war auch nicht übel, neben einem fantastisch aussehenden Fremden zu sitzen.

Ihre Konversation floss entspannt und anregend dahin, ohne dass sie dem anderen ihren Namen genannt hätten. Auch das fühlte sich richtig an. Es war aufregend, hoch am Himmel durch die Nacht zu fliegen und bei einem gemeinsamen Dinner zu reden und zu lachen.

Alles ist möglich mit einem Mann, den ich nicht kenne und den ich nie wiedersehen werde, dachte Anna.

Als das Geschirr abgeräumt und die Kabine verdunkelt wurde, überlief sie ein kleiner Schauer.

„Ist Ihnen kalt?“, erkundigte Draco sich.

„Nein“, sagte sie hastig.

„Dann müssen Sie müde sein.“

„Nein, nicht wirklich.“

„Natürlich sind Sie müde. Ihr Tag war bestimmt genauso lang wie meiner. Also, ich werde jetzt meinen Sitz nach hinten stellen. Tun Sie das auch.“

Die so leicht dahingesagte Anweisung ließ sie auflachen. „Fragen Sie auch manchmal, was eine Frau möchte, oder sagen Sie es ihr einfach?“

Ihre Blicke trafen aufeinander. Annas Herzschlag stolperte.

„Manchmal braucht man nicht zu fragen“, antwortete er leise.

Steh auf und geh zu deinem Platz zurück, dachte sie. Und tat es doch nicht.

Er lehnte sich über sie, um den Knopf zu drücken, der ihren Sitz nach hinten gleiten ließ. „Schließen Sie die Augen, bellissima“, flüsterte er, „und schlafen Sie ein wenig.“

Sie nickte stumm. Warum sich die Mühe machen und ihm erklären, dass sie im Flugzeug nie schlafen konnte?

Anna wachte auf. In der Kabine war es fast komplett dunkel. Sie war eingehüllt in männliche Wärme und lag in den Armen des Fremden, den Kopf an seine Schulter gebettet. Jemand hatte eine weiche Decke über sie beide gebreitet. Er schlief, sie hörte es an seinen regelmäßigen Atemzügen.

Beweg dich! Herrgott, Anna, rück von ihm ab!

Doch stattdessen schmiegte sie sich noch enger an ihn. Sie sog seinen Duft ein – nach Mann, herb, sauber … Ihre Hand hob sich wie von allein und fuhr über die Stoppeln an seiner Wange.

Seine Atemzüge änderten sich, wurden schneller. Ihr Herzschlag auch.

„Hallo“, flüsterte er.

„Hallo“, flüsterte sie zurück.

Seine Arme hielten sie fester. Er drehte den Kopf und drückte einen Kuss in ihre Handfläche. „Ich habe geträumt, dass ich dich in meinen Armen halte.“ Ganz leicht knabberte er an ihrem Daumenballen. „Und als ich aufgewacht bin, habe ich dich tatsächlich umarmt.“

Anna hörte ein leises Stöhnen und merkte, dass es von ihr gekommen war. Im nächsten Moment spürte sie ein leichtes Beben und wusste nicht, ob sie zitterte oder er. Unwichtig. Wichtig war nur, dass sie beide einander begehrten. Sein Herzschlag beschleunigte sich, genau wie ihrer, und als sie ihr Bein über ihn schob, spürte sie seine Erregung.

Er küsste sie und murmelte etwas auf Italienisch. Die Worte verstand sie nicht, aber der Sinn war klar. Seine Finger verfingen sich in ihrem Haar, er bog ihren Kopf zurück. In dem dämmrigen Licht konnte sie sein Gesicht kaum sehen, doch was sie sah, erregte sie. Seine Augen glühten, und seine Wangenknochen traten scharf unter seiner angespannten Haut hervor.

„Du spielst mit dem Feuer, cara“, murmelte er heiser.

„Ich liebe Feuer.“ Sie legte die Hände an seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich herunter.

„Ich auch. Ich wollte dich schon vor Stunden, gleich in der Lounge.“

Anna erbebte. So war es bei ihr auch gewesen. Deshalb hatte sie so kratzbürstig reagiert und Streit mit ihm gesucht. Weil sie ihn begehrt hatte, von Anfang an.

Sie stöhnte auf, als er seine Hand unter ihre Bluse schob. Und wahrscheinlich hätte sie lustvoll aufgeschrien, als er die harte Knospe reizte, doch er presste seine Lippen auf ihren Mund und erstickte jeden Laut. Gierig drängte Anna sich der Liebkosung entgegen. Sie spürte seine Hand an ihrem Schenkel, ließ zu, dass er ihr Bein über seine Hüfte zog, schmiegte sich an seine Erregung.

Das Licht wurde heller. „Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten wird das Frühstück serviert …“

Cristo! Draco hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Die Frau in seinen Armen erstarrte und riss die Augen auf. Augen, zuerst verhangen vor Verlangen und dann vor Schock.

Er selbst konnte kaum glauben, was gerade passiert war beziehungsweise was fast passiert wäre. Natürlich hatte er schon Sex im Flugzeug gehabt, aber in seinem Privatjet, nicht in einer voll besetzten Linienmaschine!

Das war absolut verrückt! Ein solcher Kontrollverlust war völlig inakzeptabel. Und unerklärlich.

„Lass mich los“, fauchte die Frau. Sie war bleich wie ein Laken.

„He, langsam …“, hob er an, doch er kam nicht weit.

„Bist du taub? Ich hab gesagt, du sollst mich loslassen!“

„Hör zu, bella, ich weiß, du bist aufgeregt.“

„Verdammt! Lass mich los!“

Wollte sie ihm etwa die Schurkenrolle in ihrem kleinen Drama zuschieben? „Mit Vergnügen. Sobald ich sicher sein kann, dass du dich unter Kontrolle hast.“ Er musterte sie durchdringend. „Und? Hast du?“

„Das solltest du besser glauben.“

Von Hysterie oder Panik war in ihrer Stimme nichts mehr zu hören, jetzt lag darin nur noch eine eiskalte Warnung. Draco knirschte mit den Zähnen und ließ sie los.

Innerhalb von Sekunden warf sie die Decke zurück, stellte den Sitz auf, griff ihre Aktentasche und floh in den hinteren Teil der Maschine.

4. KAPITEL

Am Aeroporto Fiumicino stieg Draco mit dem Handy am Ohr aus dem Flugzeug.

„Sagen Sie Ihrem Chef, dass ich mich erst in zwei Stunden mit seinem Repräsentanten treffen werde, eher geht es nicht. Wenn Sie nicht wissen, wie Sie den Repräsentanten erreichen, ist das Ihr Problem, nicht meines.“

„Il mio principe!“, rief eine laute Stimme.

Köpfe drehten sich. Draco erblickte seinen Maserati mitsamt Chauffeur und steuerte darauf zu.

Der Mann strahlte. „Buon giorno, il mio principe. Willkommen zu Hause. Hatten Sie einen angenehmen Flug?“

„Der Flug war ein Albtraum“, knurrte Draco. „Und müssen Sie meinen Titel unbedingt vor der ganzen Welt herausposaunen?“

Das Lächeln des Chauffeurs erstarb. Merda. Der Mann arbeitete erst ein paar Wochen für ihn. Er hatte nur nett sein wollen.

Draco atmete tief durch. „Mi dispiace, es tut mir leid. Der Jetlag …“

Der Chauffeur hielt die Tür auf. „Bitte Sir, Sie müssen sich nicht entschuldigen.“

Das Meeting mit dem Mann des Sizilianers war also um eine Stunde verschoben. Das ließ Draco gerade noch Zeit für eine Dusche und zum Umziehen. Außerdem musste er sich zusammennehmen und seinen Kopf klären. Und das lag nicht am Jetlag, das musste ein Anflug von geistiger Verwirrung sein. Anders war das, was im Flugzeug passiert war, nicht zu erklären.

„In die Firma oder zu Ihnen nach Hause, il mio principe?“, erkundigte sich sein Fahrer.

„Nach Hause, Benno. So schnell wie möglich.“ Draco lehnte sich in die Lederpolster zurück und schloss die Augen. Die Bilder aus dem Flugzeug stürmten auf ihn ein. Diese Frau …

Was genau war eigentlich geschehen? Er wusste genau, was geschehen war. Er hätte fast mit ihr geschlafen. Und sie hätte bereitwillig mitgemacht, wenn diese verdammten Lichter nicht plötzlich angegangen wären. Miteinander schlafen konnte man es aber nicht nennen.

Es war Sex gewesen. Unglaublicher, wahnsinnig heißer Sex. Diese wenigen Momente waren die aufregendsten gewesen, die er je mit einer Frau verbracht hatte.

Er hatte alles vergessen. Vergessen, wo er sich befand, vergessen, dass jede Menge anderer Leute um sie herum saßen. Nur noch sie war in seinem Kopf gewesen. Ihr Geschmack, ihr Duft, ihre Hitze.

Es musste eine logische Erklärung geben. Es gab immer eine logische Erklärung. In diesem Falle war es wohl die Gefahr, entdeckt zu werden, die ihre Erregung angestachelt hatte. Die Vorstellung, mit einer schönen Fremden an einem öffentlichen Ort …

Sie hatte ebenso komplett die Kontrolle über sich verloren wie er. Und als das Licht angegangen war, hatte sie ihm die Schuld zuschieben wollen.

Nein, so nicht! Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Er hatte lediglich seine Decke über sie beide gebreitet, als sie eingeschlafen war – weil sie auf ihrer eigenen Decke gesessen hatte. Also war es völlig logisch gewesen, seine zu benutzen.

Wie hätte er auch ahnen können, dass sie seufzend den Arm über seine Brust legen und den Kopf an seine Schulter schmiegen würde? Er war ein Mann, kein Roboter, und sie hatte sich praktisch in seine Arme genestelt. Hätte er sie etwa wegschieben sollen? Und als sie dann die meerblauen Augen geöffnet und ihre Hand an seine Wange gelegt hatte …

Alles war völlig spontan gekommen, nichts war geplant gewesen. Der Kuss. Ihr Stöhnen, als er ihre Brust umfasst hatte. Wie ihr Herz zu rasen begonnen hatte, als er die Hand unter ihre Bluse geschoben hatte …

Verdammt. Allein wenn er daran dachte, kehrte seine Erregung zurück.

Das reichte jetzt. Er hatte einen Fehler gemacht, und aus seinen Fehlern sollte man lernen, damit man sie nicht wiederholte.

Da bestand wohl kein Risiko. Er würde die Frau nicht wiedersehen.

Außerdem musste er sich um ein anderes Problem kümmern: das Meeting mit dem Winkeladvokaten dieses New Yorker Gangsters. Reine Zeitverschwendung. Aber zumindest würde er den Orsini-Handlanger mit zwischen den Beinen eingeklemmtem Schwanz zurück nach Hause schicken.

Der Tag, an dem Draco Valenti nicht mit einem sizilianischen Laufburschen fertig wurde, musste erst noch kommen.

Sein Zuhause war eine Villa im Regionalpark um die Via Appia Antica, ockerfarben wie alle alten römischen Gebäude, weit genug von der Straße entfernt und geschützt durch massive schmiedeeiserne Tore.

Die Villa hatte Draco auf Anhieb fasziniert, warum wusste er allerdings bis heute nicht genau. Das Haus war eine Katastrophe gewesen, teilweise völlig verfallen und insgesamt dringend renovierungsbedürftig. Trotzdem hatte es ihn angezogen, vermutlich lag das an dem Alter des Gebäudes. Wenn die Steine erzählen könnten, was sie über die Jahrhunderte alles miterlebt hatten.

Albern, dass ein Mann mit seiner Verantwortung sich von solchen Sentimentalitäten hinreißen ließ. Er hatte einen befreundeten Architekten um eine Einschätzung gebeten. Das Gutachten war nicht sehr ermutigend ausgefallen.

„Sicher, wenn du es machen willst, dann machen wir es“, hatte sein Freund gesagt. „Aber das ist eine Bruchbude, es wird Millionen kosten, sie wieder herzurichten. Wozu, wenn du den palazzo direkt am Tiber hast?“

Der Mann hatte recht. Vor langer Zeit hatte er sich versprochen, dass er die alte Pracht des Palazzo Valenti wiederherstellen würde, und er hatte es getan. Seine Eltern – und vor ihnen seine Großeltern – hatten alles aus dem palazzo verschachert, was sich zu Bargeld machen ließ, und das Gebäude praktisch zusammenfallen lassen.

Also hatte er den Palast restaurieren lassen, und jeder hatte sich vor Lob und Bewunderung überschlagen. Dracos Gedanken zu dem Thema waren wesentlich weniger schmeichelhaft, aber er behielt seine Meinung für sich.

Man konnte einem Gebäude zu neuer Pracht verhelfen, doch die Erinnerungen blieben die gleichen. Darum hatte er die Villa gekauft, restauriert und war eingezogen. Hier lebte zumindest Ehrlichkeit in den Räumen und Gärten. Die Geister, die hier wandelten, trugen alle Togas.

Die Erinnerungen der Villa hatten nichts mit ihm zu tun.

Der Maserati hielt vor einem schweren Holzportal. Draco war bereits ausgestiegen und die marmorne Außentreppe halb hinauf, bevor der Chauffeur um den Wagen herumkam.

Die Türen schwangen auf, und die Haushälterin begrüßte ihn mit einem herzlichen Lächeln.

Buon giorno, signore. Möchten Sie etwas essen? Frühstück? Oder vielleicht Käse und Obst?“

„Nur Kaffee, bitte. Eine große Kanne Espresso, per favore. Und bitte in den Salon meiner Suite“, erwiderte er.

Es war warm in seinen Räumen, vermutlich waren die Fenster seit seiner Abreise nach San Francisco vor drei Wochen nicht geöffnet worden. Jetzt riss Draco sie alle auf, streifte die Mokassins von den Füßen und hinterließ auf dem Weg zum Bad eine Spur aus Jeans, Hemd und Unterwäsche.

Er konnte gar nicht schnell genug unter die Dusche kommen, um die lange Reise von sich abzuwaschen.

Bei der Restaurierung der Villa hatte das Badezimmer absolute Priorität gehabt. Es hatte einen marmornen Whirlpool, marmorne Sanitäreinrichtungen und in der Mitte des Raums die Haupt­attraktion: eine riesige begehbare Dusche mit verschiedenen Sprühvorrichtungen.

Sein Freund, der Architekt, hatte bei diesen Wünschen eine Augenbraue hochgezogen, doch Draco hatte nur gelacht. Das Leben in Amerika mit all den übergroßen Standards habe ihn nun mal verwöhnt, hatte seine Rechtfertigung gelautet.

Vermutlich stimmte das sogar. Das Bad in seiner Maisonettewohnung in Kalifornien war so groß wie ein Schlafzimmer. Oft stand er am Ende eines langen Tages in der riesigen Glaskabine unter den prasselnden Wasserstrahlen und genoss das Gefühl, sich den ganzen Stress einfach abzuspülen.

Jetzt wartete er in der Dusche in der Via Appia darauf, dass die Entspannung sich endlich einstellte. Doch stattdessen stürzten Bilder auf ihn ein.

Die Blondine mit ihm hier in der Dusche. Das Haar fiel ihr nass über den Rücken, das Wasser perlte ihr über die Brüste, die rosigen Knospen warteten vorwitzig aufgerichtet auf seine Liebkosungen.

Er sah vor sich, wie er die Lippen um die harten Brustwarzen schloss und an ihnen saugte … sah seine Hand zwischen ihre Schenkel gleiten … sah ihre Hand an seinem harten Schaft.

Draco stöhnte auf.

Er würde sie mit dem Rücken gegen die Glaswand drücken und ihren Mund gierig in Besitz nehmen, während er sie auf sich hob und tief in ihr versank.

Das nächste Stöhnen war noch rauer als das erste, und mit einem wilden Erschauern tat sein Körper etwas, das Draco nicht mehr erlebt hatte, seit er mit siebzehn zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen hatte.

Das ist allein ihre Schuld, dachte er wütend. Die Schuld der Blondine. Sie hatte schon wieder einen Narren aus ihm gemacht.

Er wünschte, er könnte sie wiedersehen, um sie dafür bezahlen zu lassen.

Draco hob das Gesicht in den Wasserstrahl. Er musste seine Gedanken ordnen und einen klaren Kopf für das bevorstehende Meeting bekommen.

Das Land in Sizilien gehörte ihm. Er war geschäftlich in Palermo gewesen und hatte sich, um zu entspannen, die Gegend angesehen. Dabei war er in der Nähe von Taormina auf eine schmale Straße abgebogen. Nach einigen Haarnadelkurven hatte sich vor ihm ein absolut fantastischer Blick auf das Meer aufgetan.

Und auf ein Stück Land, das ihm seltsam vertraut vorkam.

Er hatte die notwendigen Schritte unternommen, um seinen Besitzanspruch zu sichern, hatte einen Architekten kommen lassen … und dann war dieser Brief eines gewissen Cesare Orsini eingetrudelt, eines Mannes, von dem er noch nie gehört hatte. Die Behauptungen darin waren nicht nur irrig, sondern schlichtweg erfunden.

Das Land gehörte ihm. Und es würde seines bleiben.

Schon vor Langem hatte Draco gelernt, dass man Rüpeln und Strolchen nicht nachgab. Das war die Lektion gewesen, die sein Leben verändert hatte – eine Lektion, die er nie vergessen würde.

Das Hotel war alt. Unter anderen Umständen wäre es wohl in Ordnung gewesen, schließlich war Rom eine alte Stadt. Eine grandiose Stadt.

Aber von Grandiosität war dem Hotel nichts anzumerken.

Anna hatte das Zimmer online gebucht, auf einer Website, die sich BilligeHotels.com nannte. Nun, „billig“ war es wirklich, allerdings auch hart an der Grenze zu „schäbig“. Hätte sie doch nur die Geistes­gegenwart besessen, die Kreditkarte ihres Vaters zu verlangen.

Was soll’s, sagte sie sich. Schließlich war sie als Studentin immer billig gereist. Und wie schlimm konnte es schon werden? Schlimm, gestand sie ein, als sie sich von dem tattrigen Pagen in ihr Zimmer führen ließ.

Viel größer als eine Briefmarke war es nicht, dafür prangten Stockflecken an der Zimmerdecke, und der Teppich … Anna wollte lieber nicht darüber nachdenken, woher die Flecken auf dem Teppich stammen mochten. Vor dem Fenster stand ein durchgesessener Sessel, aber vom Fenster aus hatte man bestimmt einen großartigen Blick auf … einen Lüftungsschacht.

Tausende von Meilen bis nach Rom, um auf einen Lüftungsschacht zu starren?

Auch gut. Sie würde nicht lange genug hier sein, dass es wichtig wäre. Im Moment kam sie sich so oder so vor, als würde sie schlafwandeln. Der Page erklärte ihr lang und ausführlich die Handhabung der Zimmerheizung, zog die Vorhänge auf und zu, zeigte ihr die Minibar und das Bad.

In der Hoffnung, er würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen, gähnte Anna relativ ungeniert. Vergeblich. Er ging zu dem winzigen Schreibtisch, zog die Schublade auf und schob sie wieder zu, schaltete den Fernseher ein und wieder aus, erklärte, wie der Digitalwecker eingestellt wurde …

Fast hätte Anna sich mit der Hand auf die Stirn geschlagen: Der Mann wartete auf sein Trinkgeld! Sie kramte in ihrem Portemonnaie, holte ein paar Münzen hervor und drückte sie ihm hastig in die Hand. Er bedankte sich mit einem knappen Lächeln, wünschte ihr einen schönen Tag und verschwand.

„Endlich!“ Ausgelaugt ließ Anna sich vornüber auf das Bett fallen.

Alles tat ihr weh. Die Arme, weil sie in den letzten Stunden des Flugs unentwegt die Ellbogen fest an die Seiten gepresst hatte. Dementsprechend verspannt waren ihre Schultern und ihr Nacken. Selbst der Hintern tat ihr weh, weil sie die ganze Zeit über die Knie zusammengepresst hatte, um Körperkontakt mit Hannibal und der Summerin zu vermeiden. Und ihre Kopfschmerzen waren unerträglich.

Eine Reihe hinter ihr hatte sich ein Baby dazu entschlossen, seinen Protest über die Unwegsamkeiten des Lebens lautstark kundzutun. Anna hatte es dem Kleinen nicht einmal verübeln können. Sie selbst hätte auch zu gern geschrien, wenn es denn etwas bewirkt hätte.

Doch selbst die Qual auf dem Mittelsitz hatte das überwäl­tigende Gefühl von Scham nicht abschwächen können. Dabei beschrieb Scham es nicht einmal annähernd. Erniedrigung passte schon eher. Entsetzen war noch besser. Viel besser. Sie war absolut, komplett, durch und durch entsetzt über das, was sie getan hatte. Oder fast getan hätte.

Das war allein seine Schuld. Die Schuld des Fremden. Zuerst hatte er sie provoziert, dann verwirrt und schließlich bezaubert.

Blödsinn. Er hatte sie nicht bezaubert. Er war nicht der charmante Typ. Er hatte ihr nur vorgemacht, menschlich zu sein. Sogar interessant.

Angenehme Gespräche, ein Lächeln hier, ein Lächeln da … Zugegeben, er sah gut aus, das hatte wohl auch dazu beigetragen.

Und dann war sie aufgewacht und hatte praktisch auf ihm gelegen.

Anna rappelte sich auf und begann, ihre Tasche auszupacken. Wen interessierte es schon, ob er gut aussah oder nicht? Er hatte sie angetatscht, hatte sich ihr aufgedrängt …

Mit einem Stöhnen sank sie auf die Bettkante zurück. „Lügnerin.“

Sie schob ihm die Schuld zu, obwohl er in Wahrheit doch nur getan hatte, wozu sie ihn ermutigt hatte.

„Wie konntest du nur?“, flüsterte sie entsetzt. „Anna, wie konntest du nur?!“

Das war eine müßige Frage, auf die sie keine Antwort hatte. Und schließlich war sie kein Kind mehr. Der Fremde hatte nichts getan, was sie ihm nicht erlaubt hätte.

Sie schloss die Augen. Er hatte es ganz großartig gemacht. Dieser feste Mund, dieser großartige Körper, diese erfahrenen Finger an ihren Brüsten …

„Das reicht jetzt“, sagte sie laut in den Raum hinein und stand auf.

Vor dem Meeting hatte sie noch jede Menge zu tun. Das Schicksal hatte ihr eine zusätzliche Stunde gewährt. Der capo ihres Vaters hatte nämlich angerufen, um ihr mitzuteilen, dass der Prinz das Meeting um eine Stunde verschoben hatte.

Endlich einmal eine gute Nachricht. Damit blieb ihr Zeit für eine Dusche, um sich umzuziehen und noch einen Blick auf die Dokumente zu werfen. Vor allem aber gab ihr das gegenüber dem Prinzen die Oberhand, da er es gewesen war, der das Treffen verschoben hatte. Sie würde ihm unmissverständlich klarmachen, welche „inakzeptablen Umstände“, er ihr damit bereitet hatte.

Was nun die unergiebigen Dokumente ihres Vaters anbelangte … Sie war schon mit weniger Informationen im Gerichtssaal erschienen und dennoch als Siegerin wieder herausgegangen. Sie war eine gute Anwältin. Der Anwalt des Prinzen sicherlich auch, aber damit konnte sie umgehen – und mit einem senilen und weltfremden Prinzen erst recht. Sie musste sich nur auf die Sache konzentrieren.

Niemand und erst recht kein tattriger Greis mit einer anachronistischen Krone auf dem kahlen Schädel und einer ganzen Armee von Rechtsanwälten im Rücken würde ihrer Mutter Land stehlen!

Der Plan als solcher war gut. Und vielleicht wäre Anna damit auch durchgekommen, wäre sie nicht eine Viertelstunde zu spät und völlig abgehetzt durch die Glastüren eines eleganten Gebäudes an der Via Condotti gerauscht. So musterte die Empfangsdame sie lediglich hochmütig, nachdem sie der Frau gesagt hatte, sie habe einen Termin mit Prinz Draco Valenti.

„Und Sie sind?“

„Ich …“, es wurde Zeit, sich auf ihre Ressourcen zu besinnen, „… vertrete Signore Cesare Orsini.“

Die Empfangsdame nickte und griff nach dem Telefon. „Vierter Stock, den Korridor nach rechts, letzte Tür.“

Auch der Aufzug war elegant. Genau wie der Mann, der sie erwartete. Nur ein Mann, keine Armee von Anwälten. Ein Mann, der vor dem Fenster stand und ihr den Rücken zuwandte.

Alles an ihm strahlte Macht aus. Macht und Stärke, Männlichkeit und Jugend. Eine große schlanke Statur im grauen Armani-Anzug mit breiten Schultern und langen Beinen. Er stand da, die Arme offensichtlich vor der Brust verschränkt, die Beine leicht gespreizt. Seine Haltung signalisierte Ungeduld und Arroganz.

Seltsam, aber irgendetwas an diesem Mann kam ihr bekannt vor. Plötzlich klopfte Anna das Herz bis in den Hals hinauf. Nein, das durfte einfach nicht sein! Ihr entfuhr ein erstickter Laut. Der Mann hörte es.

„Ich schätze es nicht, wenn man mich warten lässt“, sagte er klirrend kalt und drehte sich um. „Sie!“

Mehr brachte Draco Marcellus Valenti, Prinz von Rom und Sizilien, nicht hervor. Annas einziger Trost war, dass das schockierte Erstaunen auf seinem klassisch schönen Gesicht von ihrer Miene widergespiegelt wurde.

5. KAPITEL

Draco starrte auf die Frau mit dem goldenen Haar und den meerblauen Augen, die im Türrahmen stand. Wider besseres Wissen hoffte er, dass es nicht die Frau aus dem Flugzeug war. Doch sie war es, eindeutig. Was wollte sie hier? Natürlich war sie in Rom, doch sie war garantiert nicht Cesare Orsinis Repräsentantin.

Hatte sie ihm vielleicht nachgestellt? Hatte sie die Episode nicht vergessen können und wollte die aufregende Reise in die Sphären der Sinnlichkeit nun zu Ende bringen, weil …

Unsinn. Seine Empfangssekretärin hatte sie als Cesare Orsinis Rechtsvertretung bei ihm angemeldet, und an seiner Empfangssekretärin kam niemand vorbei, ohne sich nicht entsprechend auszuweisen. Also musste die Frau wirklich …

„Ach du lieber Himmel“, stammelte sie. „Sie sind Draco Valenti?“

Draco holte tief Luft. „Und Sie sind …“

Sie lachte. Nein, eigentlich klang es wie ein Laut, der ein verzweifeltes Kreischen kaschieren wollte. „Der Orsini-Anwalt.“

„Wie klein die Welt doch ist“, meinte er trocken.

„Allerdings.“ Völlig abrupt verschwand der schockierte Ausdruck aus ihrem Gesicht. „Moment mal …“ Sie kniff die Augen zusammen. „Das war geplant.“

„Wie bitte?“

Jetzt kam wieder Farbe in ihr Gesicht. „Ich fasse es nicht! Dass jemand so weit sinken kann!“

„Vielleicht könnten Sie mich aufklären, Miss …“

„Sie haben mir eine Falle gestellt!“

„Was?“

„Sie hinterhältiger, mieser kleiner …“

„Überlegen Sie sich, wie Sie mit mir reden“, wies Draco sie scharf zurecht.

„Sie halten mich wohl für einen Einfaltspinsel?“

Was sollte das nun wieder heißen? Die Frau machte ihn wahnsinnig!

„Sie haben mich benutzt!“

„Wir sind wieder da?“ Draco lachte bitter. Mit abschätzigem Blick musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Glauben Sie mir, zu gern würde ich diesen Anfall geistiger Umnachtung ungeschehen machen.“

So also nannte er das, was im Flugzeug passiert war – oder besser, fast passiert wäre? Einen Anfall geistiger Umnachtung? Anna kniff die Augen zusammen.

„Mir scheint es eher ein genau ausgeklügelter Plan gewesen zu sein. Nur hat der Plan nicht geklappt, nicht wahr? Weil ich nicht eine … eine von Ihren willigen Gespielinnen bin. Ein Mann, wie Sie glaubt, er braucht nur mit den Fingern zu schnippen und schon sinken ihm sämtliche Angehörige des weiblichen Geschlechts zu Füßen.“

„Was für eine höchst abstruse Auslegung physikalischer Gesetze“, kommentierte er kühl. „Und was hat das jetzt mit Ihnen und mir und dem Flugzeug zu tun?“

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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