Julia Best of Band 226

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VERTRAU MIR, TARA
Bei herrlichem Wetter macht Adam seine Jacht am Anleger seines Hauses fest. Dort jedoch erwartet ihn ein wahrer Wirbelsturm! Tara, die überaus reizende Bewohnerin des Nachbarcottages, reagiert mit wilder Ablehnung auf sein Erscheinen! Ob ihre Zuneigung genauso temperamentvoll sein kann?

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  • Erscheinungstag 08.05.2020
  • Bandnummer 226
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714680
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

SaraCraven

JULIA BEST OF BAND 226

1. KAPITEL

Als der Summton der Gegensprechanlage ertönte, drückte Tara Lyndon auf die Taste, ohne den Blick vom Text auf dem Bildschirm ihres Computers zu wenden.

„Janet?“ Ihre Stimme klang freundlich, wenn auch leicht angespannt. „Ich hatte Sie doch gebeten, mich nicht zu stören.“

„Es tut mir leid, Miss Lyndon“, antwortete ihre Sekretärin reumütig. „Aber Ihre Schwester ist am Apparat. Sie lässt sich nicht abwimmeln.“

Ja, das kenne ich, dachte Tara und seufzte. Sie ahnte, was Becky wollte.

„Okay, Janet, stellen Sie sie durch.“

„Liebes“, begrüßte Becky sie munter. „Wie geht es dir? Ist das nicht ein herrliches Wetter?“

„Mir und dem Wetter geht es gut“, erwiderte Tara spöttisch. „Becky, ich habe überhaupt keine Zeit. Kannst du dich kurzfassen, bitte?“

„Kein Problem. Ich wollte mich nur wegen des Wochenendes vergewissern. Ich weiß nicht mehr genau, was wir abgemacht haben.“

„Die Sache ist doch völlig klar“, stellte Tara geduldig fest. „Du hast mich nach Hartside eingeladen, und ich kann nicht kommen.“

„Und ich habe dich gebeten, es dir noch einmal zu überlegen. Hast du es getan?“

Tara schloss sekundenlang die Augen. „Becky, es ist nett von dir, dass du dich so bemühst. Ich habe jedoch etwas anderes vor.“

„Ach wirklich? Musst du Bewerber interviewen?“

„Nein“, antwortete Tara. „Ich will ausspannen und fahre weg.“

„Bei uns kannst du dich auch entspannen“, wandte Becky ein. „Die Kinder fragen ständig nach dir.“

„Unsinn“, entgegnete Tara ziemlich schroff. „Giles und Emma würden mich sowieso nicht mehr erkennen.“

„Genau das meine ich ja. Du bist so sehr mit deinem Beruf und deiner Karriere beschäftigt, dass du keine Zeit mehr für deine Familie hast. Gerade jetzt, da Mam und Dad am anderen Ende der Welt sind, vermisse ich dich ganz besonders.“

Becky seufzte so pathetisch, dass Tara beinahe darauf hereingefallen wäre. Doch dann erinnerte sie sich an Beckys Mann Harry, der seine Frau liebevoll umsorgte. Außerdem hatte sie ihre lebhaften Kinder und ihre Schwiegereltern. Wenn ihre Schwester sich auch nur einen einzigen Moment einsam fühlte, war sie selbst schuld.

„Liebes, du bist schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr bei uns gewesen. Zwei Tage hast du doch sicher Zeit für mich“, fuhr Becky eindringlich fort.

„Wenn ich euch wirklich besuchen würde“, erwiderte Tara langsam, „könntest du mir dann versprechen, dass du nicht wieder so einen armen Kerl einlädst, mit dem du mich verkuppeln willst?“

„Du liebe Zeit, ich habe dich längst als hoffnungslosen Fall abgeschrieben. Du bist viel zu misstrauisch.“

„Dafür habe ich gute Gründe. Wer ist es denn dieses Mal?“

„Es kommt noch so weit, dass ich keinen neuen Nachbarn mehr auf einen Drink einladen kann, ohne dass du gleich Verdacht schöpfst“, beschwerte Becky sich.

„Wer ist es?“, wiederholte Tara.

Becky seufzte. „Er ist gerade ins Glebe-Cottage neben der Kirche eingezogen. Er ist Steuerberater, Mitte dreißig und sehr attraktiv.“

„Und immer noch Single? Welchen Haken hat die Sache?“

„Gar keinen. Es sind sehr nette Leute.“

„Er lebt nicht allein?“

„Na ja“, gab Becky zögernd zu, „seine Mutter wohnt momentan bei ihm und hilft ihm beim Einrichten.“

„Ah ja.“ Tara schmunzelte. „Er ist Mitte dreißig und lebt immer noch mit seiner Mutter zusammen.“

„Nein, nur vorübergehend. Sie hat selbst ein schönes Haus und wünscht sich, dass er endlich die richtige Frau kennenlernt.“

„Das kann ich mir vorstellen. Wahrscheinlich hat sie den vergifteten Dolch schon bereitliegen und wartet nur noch auf den richtigen Moment, um zuzustoßen.“

„Deine Arbeit tut dir offenbar nicht gut. Du bist ja richtig zynisch geworden“, stellte Becky fest.

„Jedenfalls habe ich dadurch gelernt, hinter die Fassaden der Menschen zu blicken“, räumte Tara ein. „Aber egal, ich ändere meine Pläne nicht und verbringe das Wochenende so, wie ich es mir vorgestellt habe.“ Und die beiden nächsten Wochen auch, fügte sie insgeheim hinzu.

„Allein?“

Die Frage traf Tara an ihrer empfindlichen Stelle. „Nicht unbedingt“, erwiderte sie deshalb ausweichend.

„Tara“, rief Becky aus, „hast du wirklich jemand kennengelernt? Erzähl mal!“

„Nein.“ Tara bereute die Notlüge schon wieder. „Es gibt nichts zu erzählen. Zumindest jetzt noch nicht.“ Das stimmt ja auch, sagte sie sich, wie um ihr Gewissen zu beruhigen.

„Na, das klingt geheimnisvoll. Ist er groß? Wie sieht er aus?“

„Kein Kommentar.“

„Er ist bestimmt sehr attraktiv.“ So leicht gab Becky nicht auf. „Hat er Geld?“

Tara seufzte. „Du bist viel zu neugierig.“

„Natürlich interessiert es mich“, antwortete ihre Schwester würdevoll. „Weißt du, wie lange du dich schon mit keinem Mann mehr eingelassen hast?“

„Oh ja“, erwiderte Tara sanft. „Und ich weiß auch, warum nicht.“

„Du solltest endlich vergessen, was damals passiert ist. Nicht alle Männer sind schlecht und gemein, das sage ich dir immer wieder. Hoffentlich machst du am Wochenende den ersten Schritt in die richtige Richtung.“

Plötzlich hatte Tara eine Vision: Sie sah den Fluss vor sich, und auf dem im Sonnenschein glitzernden Wasser segelte ein Boot mit einem hohen Mast. In der Nähe des Ufers, halb verdeckt von Bäumen, stand ein weißes Haus, und kein Lärm durchbrach die Stille ringsumher.

Unwillkürlich verzog sie die Lippen. „Oh, das kann ich dir versprechen. Ich muss Schluss machen, Becky. Der Bericht soll fertig werden.“

„Willst du mir keinen Hinweis geben, wie der neue Mann in deinem Leben aussieht oder wer er ist, damit ich es Harry erzählen kann?“

„Sag einfach, es sei noch zu früh. Harry wird es verstehen.“

„Na ja“, antwortete Becky leicht gereizt, „wahrscheinlich hast du recht.“

Tara lachte, nachdem das Gespräch beendet war, obwohl die Sache eigentlich gar nicht lustig war, wie sie sich reumütig eingestand. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich über Beckys Vermutung geärgert, dass sie das Wochenende allein verbringen würde. Trotzdem hätte sie sich nicht beirren lassen und etwas erfinden dürfen. Aber dann hätte ihre Schwester noch beharrlicher versucht, sie zu einem Besuch zu überreden.

Ich darf nicht zulassen, dass Becky sich in mein Leben einmischt und mir weiterhin Junggesellen, Geschiedene oder Witwer vorstellt, mit denen sie mich verkuppeln will, sagte Tara sich.

Dennoch war es keine gute Lösung, so zu tun, als hätte sie einen neuen Freund. Jetzt würde Becky ihr keine Ruhe mehr lassen und alles wissen wollen. Glücklicherweise ahnte sie nicht, wohin sie, Tara, fahren wollte. Wahrscheinlich vermutete ihre Schwester, sie würde in die Sonne jetten und Sangria und Sex genießen – so wie damals mit Jack.

Bei der Erinnerung an diese Zeit schien sich etwas in Tara zu verschließen, als wollte sie sich vor dem Schmerz schützen.

Becky hat recht, ich muss endlich über die Vergangenheit hinwegkommen, mahnte Tara sich. Vielleicht wäre eine neue Beziehung genau das Richtige, um alles zu vergessen.

Aber wie ein gebranntes Kind das Feuer scheute, war sie neuen Freundschaften aus dem Weg gegangen. Stattdessen hatte sie sich in die Arbeit gestürzt, um die Einsamkeit und Leere nicht wahrzunehmen. Und vielleicht war es jetzt zu spät, sich noch zu ändern.

Sie stand auf und stellte sich an das Panoramafenster. Nachdenklich betrachtete sie die Bürogebäude ihr gegenüber. Meine Karriere ist am wichtigsten, alles andere bedeutet mir nichts, redete sie sich ein. Sie war Mitinhaberin eines Personalvermittlungsbüros, das sich auf Führungskräfte spezialisiert hatte. Sie war gut in ihrem Beruf, ein weiblicher Headhunter, und viel zu sehr damit beschäftigt, die besten Leute ausfindig zu machen, um selbst anderen in die Falle zu gehen.

Während sie sich umdrehte, sah sie ihr Spiegelbild im Fenster und hielt inne. Kritisch betrachtete sie das mittelbraune, perfekt geschnittene schulterlange Haar, das weiße Seidenshirt und den engen dunklen Rock, der ihr bis zum Knie reichte. Sie wirkte unaufdringlich elegant und strahlte Sachlichkeit und Professionalität aus.

Obwohl sie sich dieses Image gewünscht und daran gebastelt hatte, fand sie es plötzlich seltsam unbefriedigend.

Du liebe Zeit, wahrscheinlich habe ich den Urlaub nötiger, als ich mir eingestehen will, sagte sie sich ungeduldig und setzte sich wieder hin. Entschlossen machte sie sich an die Arbeit und las auf dem Bildschirm den Bericht noch einmal durch.

Tom Fortescue war im richtigen Augenblick gekommen, er war qualifiziert und ehrgeizig. Dennoch …

Tara schüttelte den Kopf. Normalerweise konnte sie sich auf ihr Gespür, ihre Intuition verlassen, und irgendetwas in ihr schien sie vor dem Mann zu warnen. Sie wusste jedoch nicht, weshalb sie so irritiert war.

Sein Lebenslauf war lückenlos, und beim Gespräch hatte er einen guten Eindruck gemacht. Es war nichts Konkretes, was sie beunruhigte, sondern rein gefühlsmäßig wollte sie Mr. Fortescue lieber nicht für die hoch dotierte Stelle bei Bearcroft Holdings vorschlagen, für die er der richtige Kandidat zu sein schien.

In ihrem Bericht klangen die Zweifel durch. Oberflächlich betrachtet, war es eine sachliche, objektive Zusammenfassung, aber Tara merkte, wie unverbindlich sie sich ausgedrückt hatte, statt den Mann zu loben und begeistert seine Fähigkeiten zu betonen. Sie seufzte und speicherte die Datei auf Diskette.

Natürlich würden ihre Geschäftspartner die endgültige Entscheidung treffen. Tara war sogar froh, dass sie jetzt in Urlaub fuhr und ihre Beurteilung nicht zu rechtfertigen brauchte. Und sie war auch erleichtert, dass sie Tom Fortescue nicht mit irgendwelchen Worten des Bedauerns die Absage persönlich erteilen musste. Er war hart und zielstrebig und hatte sich nur bei Marchant Southern beworben, um den Job bei Bearcroft zu bekommen. Und er ging davon aus, es könne nichts schiefgehen, dessen war Tara sich sicher.

Wenn ich zurückkomme, ist alles erledigt, beruhigte Tara sich. Dann zog sie die Diskette aus dem Computer, um sie Janet zu geben. Doch im Büro ihrer Sekretärin saß zu Taras Entsetzen ausgerechnet Tom Fortescue.

„Guten Tag“, begrüßte er sie und stand auf. „Ich hatte in der Nähe zu tun und wollte die Gelegenheit nutzen, Sie zum Lunch einzuladen.“ Er kam auf sie zu und reichte ihr die Hand.

Tara hatte sich ihm gegenüber sehr korrekt und professionell verhalten. Er hatte keinen Grund zu vermuten, sie würde sich mit ihm privat treffen wollen. Aber das hielt ihn offenbar nicht davon ab, es zumindest zu versuchen. Wahrscheinlich wollte er sie in einer schummrigen Weinbar mehr oder weniger diskret auf seine Seite ziehen.

Mit mir nicht, mein Junge, sagte sie sich und lächelte kühl. „Es tut mir leid, das ist unmöglich. Da ich heute Nachmittag in Urlaub fahre, will ich meinen Schreibtisch noch aufräumen. Ich werde nur ein Sandwich essen.“

„Das tut mir auch leid.“ Er verzog das Gesicht. „Wir können es ja nachholen.“

Eher wird er in der Hölle schmoren, dachte sie und begleitete ihn höflich hinaus und zum Lift. Er ist viel zu selbstsicher, überlegte sie, während sie zurückging. Wieso glaubte er, er habe leichtes Spiel mit ihr?

Janet blickte sie wehmütig an. „Ist er nicht wunderbar? Ich habe ihm erklärt, Sie seien beschäftigt, und er hat gesagt, er würde gern warten.“

„Hoffentlich bleibt er noch länger so ruhig und gelassen“, erwiderte Tara leicht spöttisch und reichte Janet die Diskette. „Unterschreiben Sie bitte die Briefe während meiner Abwesenheit selbst, Jan. Und der Bericht hier ist streng vertraulich und darf nur den Gesellschaftern vorgelegt werden. Beim Meeting am Dienstag wird er gebraucht.“

„Okay, wird erledigt. Um wie viel Uhr gehen Sie nach Hause?“

„Am liebsten schon um zwei, ich muss noch packen.“

„Wo verbringen Sie dieses Mal den Urlaub? Haben Sie sich wieder so ein exotisches Ziel ausgesucht?“

„Ich glaube, so kann man es nennen. Und wissen Sie, was das Beste daran ist?“

„Was?“ Janet sah sie mit großen Augen erwartungsvoll an.

Tara lehnte sich über den Schreibtisch zu ihr hinüber. „Es gibt dort kein Telefon“, flüsterte sie, als würde sie ein Geheimnis verraten.

„Politur“, sagte Tara vor sich hin, während sie den Inhalt des Kartons prüfte, der vor ihr stand. „Silberputzzeug, Ofenreiniger, Putzmittel und Gummihandschuhe.“ Sie nickte zufrieden und machte den Karton zu.

Melusine, die schwarze Katze, saß auf dem Tisch und beobachtete Tara interessiert mit ihren grünen Augen. Plötzlich schlug sie mit der Pfote auf den Karton ein.

„Ist ja gut.“ Tara streichelte ihr liebevoll das seidige Fell. „Du kommst mit.“ Wenn ich dich überreden kann, dich in deine Box zu setzen, fügte sie insgeheim hinzu.

Katzenfutter, Trink- und Futternapf und Schlafdecke waren schon im Kofferraum verstaut. Die Transportbox hatte Tara hinter dem Sofa im Wohnzimmer versteckt und wollte sie erst hervorholen, sobald der Moment günstig und Melusine abgelenkt war.

Tara wurde bewusst, dass sie die Sachen für ihre Katze viel sorgfältiger zusammengepackt hatte als die eigenen. Außer den zahlreichen Dessous zum Wechseln hatte sie vor allem Jeans, Shorts, T-Shirts, Pullover und Freizeitschuhe in der Reisetasche. Für das, was sie vorhatte, brauchte sie eher zweckmäßige Kleidung.

Becky würde mich umbringen, wenn sie wüsste, was ich machen will, dachte sie, während sie das Putzzeug ins Auto brachte. Ihre Eltern würden nächsten Monat von der Südafrikareise zurückkommen, und bis dahin sollte das Haus in vollem Glanz erstrahlen.

Es war ziemlich einfach und bescheiden, hatte weder Telefon noch Fernsehen noch Zentralheizung. Der große Gastank für den Betrieb des Küchenherds und der Warmwasserversorgung lag hinter dem Haus. Es hatte Tara nie etwas ausgemacht, die Kamine im Wohnzimmer und Esszimmer auszuräumen und zu säubern oder die Holzscheite in Körben hereinzuholen. Sie liebte das Haus, mit dem viele Erinnerungen an glückliche Stunden im Kreis der Familie verbunden waren.

Im Winter kümmerten sich die Pritchards um das Haus. Mrs. Pritchard arbeitete halbtags im Supermarkt im Dorf, und Mr. Pritchard im kleinen Jachthafen flussaufwärts, wo auch die Naiad, die Jacht von Taras Eltern, überwinterte.

Natürlich hätte auch Mrs. Pritchard gern ausgeholfen, aber Tara wollte alles selbst erledigen. Sie liebte es geradezu, sich körperlich zu betätigen, auch wenn andere es nicht nachvollziehen konnten.

Vor Jahren hatte es so ausgesehen, als wäre Becky diejenige, die Karriere machen würde. Sie hatte einen gut bezahlten Job und führte ein abwechslungsreiches Leben, während Tara viel ruhiger und eher häuslich war.

Deshalb waren alle überrascht gewesen, als Becky sich plötzlich entschied, Harry zu heiraten, den Beruf aufzugeben und stattdessen Hausfrau und Mutter zu sein. Sie hatte es nie bereut.

Aber die Hausarbeit ist bestimmt nicht Beckys Stärke, dachte Tara liebevoll. Mit ihrem organisatorischen Geschick hatte Becky gleich nach der Hochzeit dafür gesorgt, dass sie selbst nie irgendwelche Arbeiten im Haushalt erledigen musste.

Für Becky war es schlichtweg unvorstellbar, dass jemand im Urlaub putzen, polieren und ein altes, schäbiges Haus auf Hochglanz bringen wollte. Und noch viel weniger würde sie verstehen, dass es für ihre Schwester eine Art Therapie war und dass sie sich darauf freute.

Als Tara schließlich fertig war und mit der Katzenbox in der Hand zur Tür ging, warf sie noch einen Blick in den Spiegel. Melusine war höchst unzufrieden in ihrem Käfig und protestierte lautstark. Wenn mich die Leute von Marchant Southern in dem Jeansrock und dem uralten Sweatshirt sehen würden, wären sie schockiert, schoss es Tara durch den Kopf. Das Haar hatte sie unter einer Baseballmütze versteckt, und die bloßen Füße steckten in Leinenschuhen, deren beste Zeit vorbei war.

Was soll’s? fragte sie sich, während sie die Tür hinter sich abschloss und zum Auto eilte. Sie würde sowieso kaum jemandem begegnen, denn weit und breit wohnte sonst niemand.

Bis vor drei Jahren hatte noch der alte Ambrose Dean in Dean’s Mooring, dem ungefähr hundert Yards entfernten Nachbarcottage, gelebt. Er hatte keinen Menschen an sich herangelassen und seine Einsamkeit wie einen Schatz verteidigt. Aber seit seinem Tod stand das Haus leer und verfiel immer mehr.

Ambrose war Junggeselle gewesen und hatte offenbar keine Verwandten. Jedenfalls hatte ihn nie jemand besucht. Jim Lyndon, Taras Vater, hatte einmal angedeutet, er wolle mit dem Rechtsanwalt, der das Erbe des alten Mannes verwaltete, über den Kauf des Cottage verhandeln. Doch bis jetzt hatte er noch nichts unternommen.

Vielleicht kaufe ich das Cottage selbst, überlegte Tara, als sie losfuhr. Sie hatte Zeit und konnte sich zumindest erkundigen.

Der Weg ins Paradies war mit Steinen gepflastert, wie sie rasch merkte. Außer ihr hatten sich offenbar noch viele andere Leute entschlossen, übers Wochenende wegzufahren, denn die Ausfallstraßen waren verstopft.

Als Tara schließlich auf den ausgefahrenen Weg einbog, der zum Haus führte, hatte sie heftige Kopfschmerzen, und Melusine miaute laut und ungeduldig in ihrer Box auf dem Rücksitz.

Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz neben dem Haus ab. Dann stieg sie aus, reckte und streckte sich und atmete die kühle Abendluft tief ein, ehe sie aufschloss und hineinging.

In der Küche war es ungemütlich feucht, und es roch irgendwie muffig. Ja, der Geruch ist typisch für ein unbewohntes Haus, aber das wird sich rasch ändern, dachte Tara und sah sich um.

Auf dem gescheuerten Holztisch stand ein Karton mit Lebensmitteln, die Mrs. Pritchard freundlicherweise besorgt hatte, und daneben in einem großen Topf einer ihrer berühmten Eintöpfe. Darunter lag ein Zettel mit der Mitteilung, dass der Gastank voll und vor einer Woche eine Ladung Brennholz geliefert worden sei. Außerdem entdeckte sie im Kühlschrank eine Flasche Chablis, ihren Lieblingswein.

Sie seufzte zufrieden auf und spürte, wie sich die Anspannung der vergangenen Wochen langsam löste. Mrs. Pritchard war ein Engel.

Schließlich holte sie Melusine aus dem Auto und befreite sie aus der Box. Die Katze warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, ehe sie am Spalier mit den Klematis hinauf aufs Dach des Schuppens kletterte.

„Mach doch, was du willst“, sagte Tara in ihre Richtung, während sie die Sachen aus dem Wagen ins Haus trug. Bis zum Abendessen würde Melusine schmollen, das war immer so nach einer längeren Fahrt. Dann würde sie ihr wieder um die Beine streichen, als wäre nichts geschehen.

Da sie dieses Mal das ganze Haus für sich allein hatte, entschloss Tara sich, in dem großen Zimmer mit Blick auf den Fluss zu schlafen. Es war herrlich, nachts das sanfte Rauschen des Wassers zu hören.

Nachdem sie die Reisetasche aufs Bett geworfen hatte, zog sie die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und blickte hinaus. Plötzlich runzelte sie überrascht und ärgerlich die Stirn. Sie hatte erwartet, außer Teichhühnern und Enten und der Naiad weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen lag an dem Landungssteg, der zum Grundstück ihrer Eltern gehörte, noch eine andere Jacht, ein großer, luxuriöser Kabinenkreuzer.

„Was, zum Teufel …“, begann sie ärgerlich. Doch dann verstummte sie, denn es fing ein Hund an zu bellen, und Melusine miaute laut und ängstlich.

„Nein!“, rief Tara aus und eilte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Als sie den Riegel an der Küchentür zurückschob, zitterten ihre Hände vor Aufregung und Zorn.

Hastig lief sie hinaus und stieß prompt mit jemandem zusammen, der viel größer und kräftiger war als sie – und sehr muskulös. Schockiert wurde ihr bewusst, dass sie an ihrer Wange nackte, behaarte Haut spürte.

„Autsch“, ertönte dann auch eine tiefe männliche Stimme, und Tara wurde von starken Armen festgehalten.

„Lassen Sie mich los.“ Sie befreite sich aus dem Griff. „Meine Katze … Wo ist sie überhaupt?“

„In Sicherheit. Sie sitzt auf dem Baum da drüben.“

Tara wirbelte herum und sah Melusine, die auf einem Ast in ungefähr zehn Meter Höhe hockte. Darunter sprang fröhlich ein junger Golden Retriever hin und her und bellte.

„Oh, wie beruhigend“, fuhr sie den Mann zornig an. „Rufen Sie Ihren verdammten Hund zurück! Und dann verschwinden Sie mit ihm. Das hier ist ein Privatgrundstück. Und die Anlegestelle ist auch auf privatem Grund.“

„Na, besonders glücklich sind die Leute hier offenbar nicht.“ Die Stimme des Fremden klang leicht belustigt.

Da sie dicht vor ihm stand und ihr die untergehende Sonne ins Gesicht schien, nahm sie ihn nur als dunkle Gestalt wahr. Deshalb trat sie einige Schritte zurück und beschattete die Augen mit der Hand.

Er hatte dunkelblondes Haar, das etwas zu lang war, und kühl blickende blaue Augen. Seine Gesichtszüge waren markant, die Nase gerade, das Kinn wirkte energisch, und seine Lippen schien ein humorvolles Lächeln zu umspielen. Obwohl man ihn nicht als schön hätte bezeichnen können, wirkte der Mann ungemein attraktiv, wie Tara sich eingestand. Seine Haut war sonnengebräunt, er war schlank, aber kräftig und muskulös, und er hatte nichts an außer verwaschenen Jeans, die so eng waren, dass sie seine langen Beine und die schmalen Hüften betonten.

Plötzlich verspürte Tara ein Kribbeln im Bauch, was ihr seit der Trennung von Jack nicht mehr passiert war. Es gefiel ihr nicht. Nein, schlimmer noch, es beunruhigte sie zutiefst.

Ihr wurde der Mund ganz trocken. „Im Moment gibt es nicht viel, worüber ich glücklich sein könnte. Sie sind hier eingedrungen, und Ihr Hund hat versucht, meine Katze zu töten“, erklärte sie rasch.

„Hunde jagen nun mal Katzen, das weiß doch jeder. Aber nur selten vergreifen sie sich an ihnen, das ist auch bekannt. Es wäre ihm schlecht gegangen, wenn er Ihrer Katze zu nahe gekommen wäre“, antwortete er so spöttisch, dass Tara noch zorniger wurde.

Dann steckte er zwei Finger in den Mund, pfiff und rief: „Buster!“ Sogleich kam der Hund und wedelte vor Aufregung fröhlich mit dem Schwanz.

Tara blickte die beiden an. „Was wird aus meiner Katze? Sie sitzt jetzt auf dem Baum fest.“

„Wirklich?“, fragte er freundlich. „Das lässt sich ändern. Ich helfe Ihnen.“

Sie atmete tief ein. „Sie verlassen das Grundstück, sonst nichts. Wenn Sie nicht widerrechtlich hier eingedrungen wären, wäre das alles nicht passiert.“

„Welches Recht haben Sie denn, sich hier aufzuhalten?“

„Das ist zufällig mein Haus.“ Tara wies auf das Gebäude.

„Ach ja?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Ich hätte schwören können, dass es Jim und Barbara Lyndon gehört, die beide über fünfzig sind und momentan durch Südafrika reisen. Vielleicht hat man mich falsch informiert.“

„Es sind meine Eltern.“ Seine Selbstsicherheit machte sie nervös. „Wer hat Ihnen das überhaupt gesagt?“

Er zuckte die Schultern. „Die Leute im Dorf sind sehr hilfsbereit.“ Er machte eine Pause. „Dann ist es eigentlich gar nicht Ihr Haus“, stellte er ruhig fest.

„Wenn Sie es so genau nehmen wollen …“, stieß sie gereizt hervor.

„Gute Idee“, unterbrach er sie freundlich. „Man hat mir auch mitgeteilt, dass der Anlegeplatz Ihren Eltern und dem Besitzer von Dean’s Mooring gemeinsam gehört.“

„Vielleicht vor langer Zeit einmal.“ Sie ärgerte sich, weil sie das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen. „Mr. Dean hat ihn nie benutzt. Er hatte kein Boot.“

„Ah ja“, antwortete der Fremde sanft. „Aber ich habe eins. Und weil offenbar momentan niemand die zu Dean’s Mooring gehörende Hälfte beansprucht, habe ich sie mir ausgeliehen.“

„Ohne die Erlaubnis des Besitzers dürfen Sie es gar nicht“, wandte sie hitzig ein.

„Wissen Sie, wie ich ihn erreichen kann?“ Er lächelte.

„Natürlich kann man ihn nicht fragen. Bestimmt hat man Ihnen mitgeteilt, dass Mr. Dean vor einiger Zeit gestorben ist.“

„Ja. Und da sonst niemand Anspruch auf sein Eigentum erhebt, ist es gut möglich, dass wir Nachbarn werden.“

„Sie können nicht einfach alles übernehmen, was Mr. Dean gehört hat!“

„Doch, das kann ich, wie ich schon bewiesen habe. Warum können wir nicht friedlich miteinander umgehen?“

Weil ich nicht will, dass er hier ist und in die Ruhe und Stille dieses Fleckchens Erde eindringt, gestand sie sich insgeheim ein. Außerdem beunruhigte er sie viel zu sehr, was sie selbst nicht verstand.

„Das ist unmöglich“, erklärte sie rasch. „Sie können wer weiß wer sein.“

„Vielleicht ein entflohener Sträfling, ein Vergewaltiger oder Mörder zum Beispiel.“ Er blickte sie irgendwie erschöpft an. „Soll ich Ihnen meinen Führerschein oder meine Kreditkarte zeigen?“

„Nein. Tun Sie mir den Gefallen, und verschwinden Sie mit Ihrer Jacht, alles andere ist mir egal“, forderte sie ihn feindselig auf. „Wenige Meilen flussaufwärts ist ein Jachthafen. Dort finden Sie alles, was Sie brauchen.“

„Ist es nicht verfrüht, dass wir uns darüber unterhalten, was ich brauche? Außerdem bin ich hier sehr zufrieden. Und da ich zuerst hier war, wäre es vielleicht besser, Sie würden verschwinden. Aber darüber will ich jetzt nicht mit Ihnen streiten“, fügte er freundlich hinzu. „Sie sind mir willkommen, solange Sie keine laute Musik spielen und keine wüsten Partys feiern. Ich liebe die Ruhe und Stille.“

Sekundenlang stand Tara reglos da und sah ihn nur zornig an. Ungerührt erwiderte er ihren Blick. Schließlich drehte sie sich um und ging ins Haus zurück. Sie schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass einer der blau-weißen Teller, mit denen die Wände geschmückt waren, auf den Boden fiel und zerbrach.

„Ach verdammt!“, sagte sie und fing zu ihrem Entsetzen an zu weinen.

2. KAPITEL

„Melusine, komm mein Liebling.“ Tara stand auf einer alten Leiter und versuchte, ihre Katze mit einem Futterhäppchen zu locken.

Aber Melusine sah sie nur kläglich an und blieb vorsichtshalber auf dem Ast sitzen.

Tara hatte gehofft, die Katze würde von selbst herunterkommen, sie dachte jedoch gar nicht daran. Und Tara bekam sie einfach nicht zu fassen.

Wahrscheinlich muss ich ins Dorf fahren und die Feuerwehr oder den Tierschutzverein um Hilfe bitten, überlegte sie leicht verzweifelt.

Alles schien momentan schiefzugehen. Das erklärt jedoch noch lange nicht, warum ich vorhin in Tränen ausgebrochen bin, sagte sie sich. Normalerweise lief sie vor Schwierigkeiten nicht davon und war auch nicht weinerlich.

Ich bin mit der Situation so ungeschickt umgegangen, als hätte ich keine Ahnung von Menschenführung und wäre zum ersten Mal mit einem Problem konfrontiert, schalt sie sich. Aber dieser Fremde hatte sie völlig überrumpelt und aus dem Gleichgewicht gebracht. Nachdem sie sich das Gesicht und die geröteten Augen gewaschen und etwas Make-up aufgetragen hatte, fühlte sie sich wieder stark und selbstsicher. Wenn sie nur endlich Melusine vom Baum locken könnte!

„Haben Sie ein Problem?“, ertönte plötzlich die Stimme des Mannes, der an allem schuld war, hinter ihr.

Tara fuhr zusammen und schrie auf, als die Leiter gefährlich schwankte.

„Müssen Sie mich unbedingt so erschrecken?“, fragte sie ihn ärgerlich und hielt sich am Baumstamm fest.

„Das war keine Absicht. Ich habe nur gesehen, dass die Katze sich nicht von der Stelle rührt, und wollte Ihnen helfen. Sie brauchen eine längere Leiter.“

„Gut beobachtet“, stieß sie gereizt hervor, während sie die Sprossen hinunterkletterte. „Leider gib es hier keine andere“, fügte sie hinzu und bemerkte, dass er sich ein kariertes Hemd übergezogen hatte.

„Vielleicht doch.“

Tara warf ihm einen ironischen Blick zu. „Haben Sie etwa eine Leiter an Bord? Was für ein Zufall!“

„Nicht an Bord. Aber ich habe vorhin eine im Schuppen hinter dem Cottage gesehen.“

„Sie verschwenden wirklich keine Zeit.“ Tara fröstelte auf einmal. „Haben Sie sich auch schon einen Überblick über das Inventar verschafft?“

„Ich habe alles geprüft.“ Er nickte. „Wollen Sie etwa behaupten, Sie seien noch nie im Nachbarhaus gewesen? Angeblich haben Sie sogar einen Schlüssel.“

Sie errötete und verwünschte insgeheim die geschwätzigen Dorfbewohner. „Nur für Notfälle. Ich kümmere mich nicht um die Angelegenheiten anderer.“ Sie hob das Kinn, gestand sich jedoch insgeheim ein, dass sie nach Mr. Deans Tod im Cottage gewesen war.

Mit ihrer Mutter zusammen hatte sie den Kühlschrank ausgeräumt und das Bettzeug verbrannt. Dabei waren ihr einige wertvolle Möbelstücke aufgefallen, für die sich jemand, der etwas davon verstand und es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nahm, sicher interessierte.

„Dann sind Sie die große Ausnahme.“ Er zögerte kurz. „Soll ich jetzt die Leiter holen?“

Am liebsten hätte Tara ihn aufgefordert, sich zum Teufel zu scheren. Aber sie wollte es sich mit ihm nicht verderben, denn sie hatte keine Lust, die Nacht unter dem Baum zu verbringen und ihrer Katze zuzureden.

„Ja, das wäre nett“, erwiderte sie deshalb gereizt.

„Du liebe Zeit, das ist Ihnen aber schwergefallen“, sagte er spöttisch, ehe er sich umdrehte und wegging.

Tara beobachtete ihn und betrachtete seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und die geschmeidigen Bewegungen. Egal, was sie von ihm hielt, er war jedenfalls umwerfend attraktiv. Doch weshalb ließ sie sich überhaupt auf solche Gedanken ein? Was war mit ihr los?

Ich sollte meine Sachen zusammenpacken und sogleich nach London zurückfahren, das wäre sicherer, überlegte sie.

Nein, solange der Fremde da war, wollte sie das Haus ihrer Eltern und Dean’s Mooring lieber nicht unbeaufsichtigt lassen. Wenn er wirklich vorhatte, etwas mitzunehmen, würde ihn ihre Anwesenheit davon abhalten.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich rein zufällig hier in der Gegend aufhielt. Im Gegenteil, er schien sich gut auszukennen.

Aber die einfache Kleidung und seine irgendwie lässige Erscheinung – er hatte sich mindestens zwei Tage nicht rasiert – schienen so gar nicht zu der Luxusjacht zu passen. Oder es war nicht seine eigene. Der Mann war ihr ein Rätsel. Aber er war da und nicht zu ignorieren.

Schließlich kam er mit einer Leiter zurück und stellte sie an den Baum.

„Lassen Sie mich hinaufklettern. Meine Katze mag Fremde nicht.“ Tara ging auf ihn zu.

„Na, von wem sie das wohl hat“, antwortete er leise und verzog die Lippen, ehe er die Sprossen hinaufstieg.

Melusine machte einen Buckel und beobachtete den Mann. Entweder zerkratzt sie ihm die Hände, oder sie beachtet ihn nicht, und das geschieht ihm recht, dachte Tara. Sie ärgerte sich über seine arrogante Art.

Plötzlich traute sie ihren Augen nicht. Der Mann streckte die Hand aus und schnalzte beruhigend mit der Zunge. Und was machte Melusine? Sie stand auf, balancierte behutsam über den Ast und sprang dem Fremden auf die Schulter.

Er redete liebevoll auf sie ein und kletterte dann die Leiter wieder hinunter. Vor Tara blieb er stehen, sodass sie ihm das schnurrende Kätzchen von der Schulter nehmen konnte.

„Danke“, sagte sie steif.

„Sie ist viel freundlicher, als Sie behauptet haben.“

„Meist aber nicht.“

Er lächelte und musterte Tara bewundernd. „Dann ist sie wie die meisten Frauen – völlig unberechenbar.“

„Und Sie sind unglaublich sexistisch“, fuhr Tara ihn an.

„Ja, ich bekenne mich schuldig“, antwortete er belustigt. „Wie heißt Ihre Katze eigentlich?“

„Melusine“, erwiderte Tara kurz angebunden.

„Klar, so heißen Hexen oft. Es passt zu Ihnen.“ Er lachte sanft auf und streichelte mit dem Zeigefinger das Köpfchen der Katze. „Wie geht es dir, meine stolze Schöne? Ich bin Adam Barnard, und ich hoffe, du hast die Aufregung gut überstanden.“

Adam Barnard, der Name gefällt mir, überlegte Tara. Doch sogleich ärgerte sie sich über ihre seltsame Reaktion und forderte ihn gereizt auf: „Lassen Sie die Leiter hier. Falls Ihr Hund öfter frei herumläuft, wird Melusine bestimmt wieder auf den Baum flüchten.“

„Vielleicht schließe ich mich ihr an.“ Er blickte Tara streng an. „Wissen Sie nicht, dass der Kalte Krieg vorbei ist?“

„Weshalb sollte ich so tun, als freute ich mich über neue Nachbarn?“

„Wie Sie wollen.“ Er zuckte die Schultern und blickte Tara fragend an. „Aber warum suchen Sie eigentlich die Einsamkeit? Verstecken Sie sich vor etwas oder jemandem?“

„Nein, ganz und gar nicht.“ Ruhig erwiderte sie seinen Blick. „Ich will im Haus einige Arbeiten erledigen, solange meine Eltern nicht da sind. Es soll nicht so verwahrlosen wie …“ Sie unterbrach sich.

„Wie Dean’s Mooring?“, half er ihr weiter.

„Genau. Es ist sehr schade, dass das Cottage einfach verfällt, ohne dass sich jemand darum kümmert.“

„Hat der ehemalige Besitzer sich denn darum gekümmert?“ Adams Stimme klang irgendwie seltsam.

„Das weiß ich nicht. Ich habe Mr. Dean nicht gut genug gekannt. Er hat sehr zurückgezogen gelebt, ging nie weg und bekam keinen Besuch. Sogar als er krank war, wollte er keinen Arzt sehen. Aber ich glaube, er war auf seine Art glücklich.“

„Indem er ganz für sich allein lebte.“ Adam Barnard nickte nachdenklich. „Das ist offenbar ansteckend.“

Tara biss sich ärgerlich auf die Lippe. „Danke für Ihre Hilfe. Ich habe noch etwas im Haus zu erledigen“, erklärte sie rasch.

„Ist das alles?“

„Wie bitte?“

„Ich dachte, Sie würden mir Ihre Dankbarkeit auf andere Art zeigen.“ Er schien viel zu lange ihre Lippen zu betrachten.

Sie erbebte und spürte, wie angespannt sie war. Es war ein Fehler, hier draußen herumzustehen und mich mit ihm zu unterhalten, statt ihn sofort wegzuschicken und mich auf nichts einzulassen, dachte sie.

„Mehr Dankbarkeit können Sie von mir nicht erwarten“, erwiderte sie betont gleichgültig und trat einen Schritt zurück.

„Sind Sie sich ganz sicher?“, fragte er leicht belustigt.

„Oh ja, absolut.“ Sie wünschte sich plötzlich, sie hätte ihr Handy mitgenommen, das in ihrer Wohnung in London in einer Schublade lag.

Ich lade gleich alles wieder ins Auto und fahre mit Melusine weg, ohne jemandem zu sagen, wohin, nahm sie sich vor.

„Schade“, antwortete er sanft. „Seit ungefähr einer Stunde habe ich die seltsamsten Wünsche, die nur Sie erfüllen können. Sonst ist ja niemand da.“

Sie stand wie erstarrt da und brachte kein Wort heraus.

„Was meinen Sie, Miss Tara Lyndon“, sagte er leise, „wollen Sie mir meine sehnlichsten Wünsche erfüllen?“

„Eher werden Sie in der Hölle schmoren.“ Ihre Stimme klang rau und unsicher, aber Tara hob das Kinn und sah Adam verächtlich und feindselig an. Vielleicht würde er sich ja zurückziehen, wenn sie ihm bewies, dass sie sich nichts gefallen ließ.

Er seufzte. „Das habe ich befürchtet. Mrs. Pritchard wird enttäuscht sein.“

Auf einmal hatte Tara das eigenartige Gefühl, sich in einer anderen Wirklichkeit zu befinden.

„Was hat Mrs. Pritchard denn damit zu tun? Woher kennen Sie überhaupt meinen Namen?“, fragte sie heiser.

„Becky können Sie nicht sein, denn Sie tragen keinen Ehering.“

Er redet absichtlich so vernünftig, als würde es für alles eine simple Erklärung geben, überlegte Tara zornig. Gab es irgendetwas, das Mrs. Pritchard ihm nicht anvertraut hatte?

„Sie hat mir erzählt, sie hätte Ihnen Ihr Lieblingsgericht, Bohneneintopf mit Steaks, hingestellt“, fuhr er fort. „Ich hatte den Eindruck, sie hoffte, dass Sie mich dazu einladen würden. Das könnten Sie auch tun, denn ich habe immerhin Ihre Katze gerettet.“

Sekundenlang war Tara sprachlos. Schließlich sagte sie langsam: „Sie wollen mit mir essen? Haben Sie das gemeint?“

„Ja, was denn sonst?“ Seine Miene war ernst, beinah feierlich, während es in seinen blauen Augen herausfordernd aufblitzte.

Er hat sich die ganze Zeit über mich lustig gemacht und mich ganz bewusst verunsichert, dachte sie und errötete vor Zorn. Sie schluckte und rang sich ein Lächeln ab.

„Das ist natürlich in Ordnung.“ Sie sah auf die Uhr. „Wenn Mrs. Pritchard so eine gute Meinung von mir hat, will ich sie nicht enttäuschen. Ist Ihnen acht Uhr recht?“

„Du liebe Zeit, unter der rauen Schale steckt ja doch ein guter Kern! Ich werde die Minuten zählen!“

Na, er wird sich noch wundern, um halb sieben bin ich schon längst unterwegs nach London, sagte sie sich. Sie würde erst zurückkommen, sobald er weg wäre. Offenbar war es ihm gelungen, die Pritchards mit seinem Charme einzuwickeln, aber sie würde nicht auf ihn hereinfallen. Nur einmal im Leben war ihr so etwas passiert.

Sie lächelte betont liebenswürdig. „Dann bis später.“

Ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, ging sie langsam ins Haus. Ihr war klar, dass er sie beobachtete. Das störte sie jedoch nicht, denn es war sowieso das letzte Mal, dass er dazu Gelegenheit hatte.

Nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte, merkte sie, dass sie am ganzen Körper bebte. Sie blieb stehen und versuchte, sich zu beruhigen. Sogleich sprang Melusine von ihrem Arm hinunter auf den Boden, miaute und verschwand in die Küche.

Schließlich eilte Tara die Treppe hinauf, um ihre Reisetasche zu holen. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen und blickte aus dem Fenster. Aber Adam Barnard war nirgendwo zu sehen. Auch die Leiter war nicht mehr da. Sie konnte ihn nicht daran hindern, in Dean’s Mooring herumzuschnüffeln, aber vielleicht sollte sie der Ortspolizei einen entsprechenden Hinweis geben.

Und sie könnte sich erkundigen, welcher Makler mit dem Verkauf des Cottage beauftragt war, und erklären, dass sie und ihre Eltern sich dafür interessierten. Dann durfte sowieso niemand mehr unberechtigt dort eindringen.

Nachdenklich betrachtete sie die Luxusjacht und fragte sich unbehaglich, wie so jemand wie Adam Barnard zu einem solchen Prachtstück kam. Die Jacht gehörte ihm bestimmt nicht. Aber wem sonst?

Was wollte er überhaupt hier? Noch dazu ganz allein? Er wirkte nicht so, als liebte er die Einsamkeit. Es gibt sicher genug Frauen, die ihn attraktiv finden, ich habe mich seinem Charme ja auch nicht entziehen können, überlegte sie.

Das war nur eine Art Reflex und bedeutet überhaupt nichts, redete sie sich sogleich ein. Damit ließ sich jedoch nicht erklären, warum sie sich so überstürzt zurückgezogen hatte.

Tara biss sich auf die Lippe. Indem sie davongelaufen war, hatte sie unfreiwillig zugegeben, dass sie ihn gefährlich fand und seine scherzhaften Bemerkungen ernst genommen hatte. Und daraus konnte man schließen, sie reagiere zu heftig und habe keinen Sinn für Humor.

Aber weshalb interessierte es sie überhaupt, was er dachte? Weil ich ihn nicht einschätzen kann, weil er mir überlegen ist und weil er irgendwie rätselhaft wirkt, sagte ihr eine innere Stimme.

Er hatte sie gefragt, ob sie sich vor jemandem verstecke. Dasselbe hätte sie ihn auch fragen können. Warum hatte er ausgerechnet hier angelegt? Vielleicht hatte er die Jacht gestohlen und war ein Krimineller.

Plötzlich überlief es sie wieder kalt. Doch dann gestand Tara sich ein, dass er kein Geheimnis aus seiner Anwesenheit machte. Er hatte sich mit Mrs. Pritchard unterhalten, und das bedeutete, dass alle im Dorf Bescheid wussten.

Das konnte natürlich Absicht sein, denn nachdem er sich überall beliebt gemacht hatte, war niemand mehr misstrauisch.

Tara war beunruhigt, dass er so viel über ihre Familie erfahren hatte. Wenn er wirklich nur zufällig hier war, hätte er sich bestimmt nicht dafür interessiert. Nein, sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte, Adam Barnard hatte bestimmt nicht hier angelegt, um einige Tage Urlaub zu machen.

Aber was mochte er für Gründe haben? Und wenn er etwas im Schilde führte, durfte sie dann einfach wegfahren und das Haus unbeaufsichtigt lassen? Es war immerhin möglich, dass er sie nur geärgert hatte, um sie in die Flucht zu schlagen.

Na, dann hat er sich getäuscht, sagte sie sich energisch. So leicht ließ sie sich nicht einschüchtern. Erst wollte sie herausfinden, was der attraktive Mr. Barnard, der sich offenbar für sehr clever hielt, vorhatte.

Unten in der Küche saß Melusine mürrisch vor dem Kühlschrank.

„Meine arme Kleine.“ Tara streichelte ihr den Rücken. „Das war heute nicht dein Tag. Ich mache es wieder gut.“ Während sie Milch ins Töpfchen tat, gestand sie sich ein, dass das, was sie momentan erlebte, außergewöhnlich und faszinierend war. Sie musste nur aufpassen, dass sie der Situation gewachsen war. Und das traute sie sich zu, damit hatte sie kein Problem.

Doch plötzlich tauchte Adam Barnards Bild vor ihr auf. Sie erinnerte sich an seine sonnengebräunte Haut, die spöttisch verzogenen Lippen und seine blauen Augen, in denen es aufblitzte, als tanzten kleine Teufelchen darin. Vielleicht hatte sie sich doch zu viel vorgenommen und überschätzte sich.

Um kurz vor acht waren Taras Nerven zum Zerreißen gespannt. Mehr als einmal war sie nahe daran gewesen, so viel Distanz wie möglich zwischen sich und den geheimnisvollen Mr. Barnard zu legen.

Zugleich hatte sie sich dabei ertappt, dass sie den Eintopf zum Aufwärmen in den Backofen stellte und Gedecke für zwei Personen auflegte.

Und als es dann endlich läutete, atmete sie tief ein, wischte sich die feuchten Hände an den Jeans ab und öffnete die Tür.

Erst erkannte sie ihn nicht. Er hatte sich rasiert, das Haar gekämmt und statt Jeans und Baumwollhemd trug er einen schwarzen Kaschmirpullover zur hellgrauen Hose. In der Hand hielt er eine Flasche Wein.

Er war nicht allein. Buster sprang sie fröhlich bellend an, dann lief er an ihr vorbei in die Küche.

„Oh nein“, rief Tara entsetzt aus und wollte hinter ihm hereilen, „er bringt meine Katze um!“

Adam Barnard hielt sie am Arm fest. „Er ist noch jung und verspielt.“

„Warum, zum Teufel, haben Sie ihn dann mitgebracht?“ Sie blickte ihn empört an.

„Damit die beiden sich anfreunden. Wenn sie Nachbarn werden, müssen sie sich aneinander gewöhnen.“

Das klingt so, als hätte er vor, noch länger hier herumzuhängen, dachte sie schockiert und befreite sich aus seinem Griff. Sie ging rasch in die Küche, wo Buster aufgeregt bellte und Melusine zornig fauchte.

„Mein armes Kleines!“

Melusine hatte sich in dem schmalen Spalt zwischen Waschmaschine und der Wand versteckt, und Buster stand davor.

„Jetzt sehen Sie selbst, was Sie angerichtet haben. Rufen Sie den Hund zurück.“

„Das ist nicht nötig“, antwortete Adam Barnard, der ihr gefolgt war. „Verlassen Sie sich darauf.“

Als Buster versuchte, an die Katze heranzukommen, streckte sie ihr schwarzes Pfötchen aus und fuhr ihm damit über die Schnauze. Sogleich heulte Buster auf und sprang zurück. Dann schüttelte er sich.

„Verstehen Sie jetzt, was ich meinte?“, fragte Adam Barnard leicht spöttisch. „Die weiblichen Wesen sind den männlichen immer überlegen, sie haben schärfere Krallen.“

„Ihre chauvinistischen Bemerkungen können Sie sich sparen. Meine Katze hätte auch verletzt sein können.“

„Das ist eher unwahrscheinlich. Stattdessen hat Buster eine blutige Nase.“ Er holte Melusine aus dem Spalt hervor und setzte sie sich auf die Schulter. „Du kleiner Raufbold“, schalt er sie sanft. „Lass meinen Hund in Ruhe.“

Erst jetzt bemerkte Tara die blutende Wunde auf Busters Schnauze.

„Oh nein.“ Sie schluckte. „Ich kümmere mich darum.“

Der Hund sah Tara mit seinen braunen Augen so traurig an, als wollte er sich beschweren, dass man ihn völlig missverstanden hatte.

„Hoffentlich ziehst du daraus eine Lehre“, sagte Tara leise, während sie die Wunde desinfizierte. Melusine hatte sich auf die Anrichte zurückgezogen und reinigte sich sorgsam die Pfote.

„Vielleicht sollte ich sie in ein anderes Zimmer sperren“, schlug Tara vor und wusch sich die Hände.

„Nein, die beiden regeln das untereinander. Nachdem die Fronten geklärt sind, passiert sowieso nichts mehr.“ Er verzog belustigt die Lippen. „Sie sehen mich an, als würden Sie mich auch am liebsten in einen anderen Raum sperren.“

„Ehrlich gesagt, daran habe ich gedacht.“ Tara warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Ich weiß immer noch nicht, warum ich mich überhaupt auf das alles eingelassen habe.“

„Wahrscheinlich hatten Sie einen guten Grund“, antwortete er liebenswürdig. „Aber wenn Sie es sich anders überlegt haben, können Sie mir das Essen einfach einpacken. Ich nehme es mit und lasse Sie allein.“

„Ach, ich komme mit der Situation zurecht.“ Sie deutete zum Küchentisch. „Setzen Sie sich, dann können wir anfangen.“

„Wenn Sie mir einen Korkenzieher geben, öffne ich die hier.“ Er hielt die Flasche Wein hoch, die er mitgebracht hatte.

„In der Schrankschublade liegt einer.“ Sie drehte sich um und beschäftigte sich am Herd. Sie war ziemlich nervös, denn seit der Trennung von Jack hatte sie keinen Mann mehr zum Dinner eingeladen.

In dem teuren Outfit wirkte Adam Barnard noch attraktiver als am Nachmittag, wie Tara sich eingestand, obwohl sie sich nicht beeindrucken lassen wollte. Das konnte sie sich nicht erlauben, und es war auch nicht Sinn der Sache.

Sie war sich sehr bewusst, wie flüchtig sie sich auf den Abend vorbereitet hatte. Sie hatte sich nicht umgezogen und kein Make-up aufgetragen, sondern sich nur gewaschen und das Haar gebürstet.

Als sie das Essen servierte, sah sie, dass Adam offenbar irgendwo Kerzen gefunden hatte. Sie steckten in dem Kerzenhalter, der sonst immer auf der Anrichte stand, und er hatte sie angezündet.

„Ich hoffe, es ist Ihnen recht“, sagte er. „Es wirkt ein bisschen festlicher.“

Tara war es überhaupt nicht recht. Es war ihr viel zu intim, mit ihm im Kerzenlicht am Tisch zu sitzen. Sie schwieg jedoch.

Adam schien ihr Zögern nicht zu bemerken. Er atmete anerkennend den Essensduft ein. „Sie haben sich viel Arbeit gemacht.“

„Mrs. Pritchard hat das meiste vorbereitet“, wandte Tara kühl ein und lud seinen Teller voll.

„Halt! Sie brauchen selbst auch etwas!“

„Es ist noch genug da. Außerdem bin ich nicht hungrig.“

„Wirklich nicht?“ Er zog die Augenbrauen hoch und betrachtete Tara. „Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen, Ihren Appetit zu wecken.“

So zweideutige Bemerkungen waren nicht gerade hilfreich. Oder war sie einfach nur gereizt und sah Probleme, wo es gar keine gab?

Nimm dich zusammen, wenigstens den einen Abend, mahnte sie sich angespannt.

Wider Erwarten kehrte ihr Appetit zurück, nachdem sie die ersten Bissen von Mrs. Pritchards herrlichem Eintopf probiert hatte. Tara aß genüsslich den ganzen Teller leer. Auch der Wein war gut, er schien ihre Kehle wie Samt hinunterzurinnen.

Als Adam ihr jedoch noch einmal einschenken wollte, bedeckte sie das Glas mit der Hand.

„Ich sollte nicht noch mehr trinken.“

„Warum nicht? Sie brauchen doch morgen nicht zu arbeiten und wollen auch nicht wegfahren, oder? Zumindest heute Abend nicht.“

Ihr entging nicht, wie belustigt seine Stimme klang, und sie presste die Lippen zusammen. Es hört sich an, als hätte er die ganze Zeit auf der Lauer gelegen und beobachtet, welche inneren Kämpfe ich hier ausfechte, überlegte sie.

„Nein“, erwiderte sie. „Aber ich kenne meine Grenzen.“

„Gut, solange Sie sich nicht selbst einengen.“

„Du liebe Zeit. Schreiben Sie etwa Bücher über Lebensberatung oder dergleichen?“

„Ich schreibe überhaupt keine Bücher. Es tut mir leid, wenn es so geklungen hat, als wollte ich Sie belehren.“

Tara errötete. „Nein … ich meine …“ Sie ärgerte sich über ihr hilfloses Geplapper und sprach nicht weiter.

„Manchmal ist es am besten, man fragt einfach“, stellte er nachdenklich fest.

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Sie möchten doch gern wissen, womit ich mein Geld verdiene.“ Seine Stimme klang unbeteiligt. „Warum fragen Sie mich nicht?“

„Weil es mich nichts angeht“, erwiderte sie.

„Stimmt. Aber trotzdem waren Sie vom ersten Moment an neugierig, was ich gut verstehen kann.“ Er machte eine Pause. „Sind Sie oft allein hier?“

„Das hat Mrs. Pritchard Ihnen bestimmt schon erzählt“, fuhr Tara ihn ziemlich unfreundlich an.

„Sind Sie deshalb so gereizt?“

„Natürlich nicht. Kochen und klatschen sind ihre Hobbys. Das weiß hier jeder.“ Tara errötete schon wieder. „Du liebe Zeit, das klingt richtig gehässig!“

„Nur etwas.“

Sie warf ihm einen zornigen Blick zu. „Normalerweise bin ich nicht so.“

„Dann liegt es vielleicht an meinem schlechten Einfluss“, antwortete er liebenswürdig. „Kann ich noch etwas von dem Eintopf haben? Sie können mir die Schüssel auch zuwerfen, wenn Sie wollen.“

Gegen ihren Willen musste sie lachen und schob ihm die Schüssel hin. „Bedienen Sie sich. Zum Dessert gibt es noch Käse und Obst.“

„Und das alles für einen Gast, der Ihnen nicht willkommen ist“, sagte er leise. „Sie sind sehr großzügig. Übrigens, ich bin technischer Zeichner.“

„Oh.“ Tara war verblüfft.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Sind Sie überrascht, dass ich einen ordentlichen Beruf habe?“

„Nein“, entgegnete sie viel zu schnell.

Er lächelte sie an. „Sind Sie jetzt beruhigt?“

Nein, aber ich weiß nicht, warum nicht, dachte sie. Laut sagte sie jedoch nur: „Wollten Sie mich denn beruhigen?“

„Vermutlich, denn ob es uns gefällt oder nicht, eine Zeit lang müssen wir miteinander auskommen.“ Er beugte sich über den Tisch und schenkte ihr noch ein Glas Wein ein. „Lassen Sie uns auf gute Nachbarschaft anstoßen.“

Ich müsste ganz rasch eine Ausrede erfinden und ihm erklären, dass ich morgen wieder wegfahre, überlegte sie. Aber ihr fiel beim besten Willen nichts ein. Deshalb schwieg sie und hob gehorsam ihr Glas, als Adam ihr zuprostete.

Einen kurzen Moment, der ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkam, sah er sie an. Die Flammen der Kerzen schienen in seinen blauen Augen zu tanzen, und der Tisch zwischen ihnen wirkte plötzlich viel schmaler.

Wie gebannt erwiderte Tara seinen Blick. In diesen wenigen Sekunden wurde ihr klar, dass sie sich wünschte, er würde sie küssen. Sie sehnte sich danach, seine Lippen auf ihren und seine Hände auf ihrer nackten Haut zu spüren. Der Wunsch und das Verlangen waren so stark, dass es beinahe körperlich schmerzte.

„Auf uns“, sagte er sanft und trank.

Tara saß reglos da. Sie war viel zu schockiert, um zu reagieren. Die Lippen hatte sie leicht geöffnet, und mit den Fingern hielt sie das Glas krampfhaft fest.

3. KAPITEL

Offenbar merkte Adam nicht, was in Tara vorging. Er trank einen Schluck Wein und aß unbekümmert weiter.

Taras Hände zitterten, als sie das Glas hinstellte. Ich reagiere viel zu übertrieben, das tue ich schon, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, überlegte sie. Sich wegen einer harmlosen Bemerkung, die keinen tieferen Sinn hatte, so aufzuregen war geradezu lächerlich.

Dennoch war Tara überzeugt, dass es ein Fehler gewesen war, Adam zum Dinner einzuladen. Sie wollte das gemütliche Beisammensein unbedingt beenden, denn bei Kerzenlicht und Wein war die Atmosphäre viel zu intim.

„Ich hole den Käse“, erklärte sie und stand auf.

„Okay.“ Adam erhob sich ebenfalls. „Wenn Sie mir zeigen, wo Sie ihn aufbewahren, mache ich uns einen Kaffee.“

Das war ein vernünftiger Vorschlag. Ich muss mich zusammennehmen und mich völlig normal verhalten, dachte Tara, während sie das Geschirr vom Tisch räumte und die Kaffeedose aus dem Schrank holte. Dann reckte sie sich, um die Kanne aus dem oberen Regal zu nehmen.

„Lassen Sie mich das machen“, sagte er unmittelbar hinter ihr.

„Oh … danke.“ Hastig trat sie einen Schritt zur Seite und nahm flüchtig den dezenten Duft seines exklusiven Herrenparfüms wahr. Bei ihrer Begegnung draußen war ihr nur der frische, männliche Duft seiner Haut aufgefallen. Unwillkürlich stöhnte sie auf.

„Ist etwas?“

Du liebe Zeit, er darf nicht ahnen, wie nervös ich bin, mahnte sie sich entsetzt.

„Nein, es ist alles in Ordnung.“ Sie lächelte betont unbekümmert und legte den Käse, Weintrauben und Äpfel auf einen großen Holzteller.

„Sie kommen mir vor wie die Katze auf dem heißen Blechdach.“ Adam setzte den Kessel mit Wasser auf und blickte dann an ihr vorbei. „Nehmen Sie sich doch ein Beispiel an ihr.“

Tara drehte sich um und sah, dass Melusine in dem Schaukelstuhl in der Ecke lag und alles, was um sie her geschah, mit ihren grünen Augen aufmerksam beobachtete. Buster lag völlig entspannt davor auf dem Teppich und schlief.

„Da haben Sie den Beweis, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist, sobald die anfänglichen Differenzen beigelegt sind“, stellte er fest.

„Man kann seine Persönlichkeit nicht grundlegend verändern“, wandte Tara ein. „Melusine und ich lieben unseren Freiraum.“

„Davon haben Sie hier genug.“ Er blickte sich in dem Raum um. „Es ist ein entzückendes Haus. Dadurch wird einem erst bewusst, welches Potenzial in Dean’s Mooring steckt.“

Sie blickte ihn verblüfft an. „Das Cottage ist doch schon halb verfallen“, sagte sie langsam. „Man müsste viel investieren, um es wieder bewohnbar zu machen.“

„Richtig. Aber es findet sich bestimmt jemand, der bereit ist, die Mühe auf sich zu nehmen.“

„Sie zum Beispiel?“, fragte sie scharf. Mit Dean’s Mooring hatte sie ganz andere Pläne. Es sollte ihrer Familie gehören, damit niemand die Ruhe und den Frieden hier am Silver Creek störte.

Oh Dad, warum hast du dich nicht früher darum gekümmert? dachte sie. Vielleicht war es jetzt zu spät.

„Endlich einmal eine direkte Frage.“ Langsam und geschickt löffelte Adam Kaffee in den Filter, den er auf die Kanne gesetzt hatte. „Wir machen Fortschritte.“

Er fühlt sich offenbar schon ganz wie zu Hause, dachte sie unbehaglich. „Eine Antwort wollen Sie offenbar nicht geben, oder?“

„Die Nacht ist ja noch jung.“ Sein Lächeln wirkte so offen und aufrichtig, dass Tara ganz warm ums Herz wurde.

Ehe die Nacht beginnt, sollte er schon wieder weg sein, sagte sie sich beunruhigt, während sie Haferkekse auf dem Holzteller verteilte.

„Es wird noch ein richtiges Festessen.“ Adam stellte die Kaffeekanne auf den Tisch. „Vielleicht sollten Sie einmal zu mir auf die Caroline zum Dinner kommen, damit ich mich revanchieren kann.“

„Laden Sie lieber Mrs. Pritchard ein“, erwiderte sie kühl. „Sie hat das Essen vorbereitet, nicht ich. Sonst hätte es nur Spiegeleier auf Toast gegeben.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Na, das klingt irgendwie nach alter Jungfer. Sehen Sie sich so?“

„Ich unterhalte mich mit Ihnen nicht darüber, wie ich mich sehe. Wir sind hier nicht in einer Sitzung beim Therapeuten.“ Sie schob ihm den Holzteller hin. „Bedienen Sie sich. Es ist Cheddar, Brie und Roquefort.“

„Betreten bei Strafe verboten“, stellte er sachlich fest und schnitt sich ein Stück Käse ab.

Er hat schöne, kräftige Hände, lange Finger und gepflegte Nägel, schoss es Tara durch den Kopf. Sogleich ärgerte sie sich wieder über ihre Reaktion.

„Da wir gerade beim Thema sind“, sagte sie und ignorierte seine rätselhafte Bemerkung. „Was hat Sie in diese abgelegene Gegend geführt?“

„Ich hatte mir schon immer vorgenommen, diesen Teil des Flusses einmal zu erforschen“, antwortete er langsam. „Da ich sowieso Urlaub machen wollte, war es eine günstige Gelegenheit.“

„Es gibt hier keine besonderen Sehenswürdigkeiten, und man kann hier auch nicht viel erleben.“

„Stimmt. Aber ich kann mich gut beschäftigen, abgesehen davon, dass ich Entwürfe anfertige und mit Buster spazieren gehe. Und weshalb sind Sie hier?“

Tara zuckte die Schultern. „Wie ich schon erwähnte, ich hüte das Haus während der Abwesenheit meiner Eltern.“

„Hoffentlich wissen sie Ihre Fürsorge zu schätzen.“

„Ja, ganz bestimmt.“

„Ich nehme an, Ihre Eltern sind oft hier.“ Er schälte sich einen Apfel und schnitt ihn in Stücke. „Haben sie nie daran gedacht, das Haus zu verkaufen?“

„Natürlich nicht.“ Sie war entsetzt.

„Auch nicht, wenn der Preis stimmt?“

„Niemals.“ Tara errötete vor Empörung. „Mit dem Haus sind viel zu viele persönliche Erinnerungen verbunden.“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Ist das ein Hindernis?“

„Auf jeden Fall.“

„Dann sind Sie eine Ausnahme. Die meisten Menschen nehmen keine Rücksicht auf Sentimentalitäten, wenn es ums Geld geht.“

„Es hat nichts mit Sentimentalitäten zu tun“, entgegnete Tara. „Das Haus ist so etwas wie ein Zufluchtsort für meine Eltern. Als mein Vater noch berufstätig war und wir in der Stadt leben mussten, konnte er sich hier entspannen. Beinahe jedes Wochenende waren wir hier, sind spazieren gegangen und haben im Sommer gesegelt. Mein Vater würde das Haus nie verkaufen.“ Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. „Wenn Sie an so einem Objekt interessiert sind, müssen Sie woanders suchen“, fügte sie nachdrücklich hinzu.

„Sie können es kaum erwarten, dass ich verschwinde.“ Er lächelte belustigt. „Wenn ich ein sensibler Typ wäre, würde ich Minderwertigkeitskomplexe bekommen.“

„Na, Sie doch nicht.“ Tara nahm sich einige Weintrauben und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Sie müssen noch lernen, dass man mit Geld nicht alles kaufen kann.“

„Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern“, antwortete er so nachsichtig und sanft, dass Tara sich richtig großspurig und schulmeisterlich vorkam.

Sie hatte es zugelassen, dass ihr dieser Fremde unter die Haut ging. Wir spielen ein Spiel, dessen Regeln nur er kennt, überlegte sie, während sie Kaffee einschenkte und ihm eine Tasse über den Tisch schob.

„Sind Sie schon lange hier?“, fragte sie und trank einen Schluck des heißen, starken Gebräus.

„Zehn Tage insgesamt.“

Dann macht er vielleicht wirklich nur Urlaub und muss bald wieder zurück nach Hause, dachte Tara. Ihre Stimmung hellte sich auf.

„Hatten Sie gutes Wetter?“

„Sonnenschein und Regen. So ungefähr alles, was man zu dieser Jahreszeit erwarten kann.“ Er lächelte sie an. „Ich habe das Gefühl, ausgefragt zu werden.“

Tara stellte die Tasse auf die Untertasse. „Das wollten Sie doch. Oder haben Sie es sich anders überlegt?“

„Na ja, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, ist es okay. Aber es gefällt mir nicht, dass Sie sich dahinter verstecken.“

„Sie haben eine lebhafte Fantasie“, erwiderte sie kühl. „Weshalb sollte ich mich hinter irgendetwas verstecken?“

„Wenn ich das wüsste“, sagte er leise.

„Es tut mir leid, dass Sie meine Gesellschaft nicht besonders anregend finden“, fuhr sie fort und ignorierte seine Bemerkung. „Aber ich habe einen langen und anstrengenden Tag hinter mir.“

„Wobei ich wahrscheinlich am anstrengendsten für Sie war“, vermutete er leicht belustigt. Dann trank er den Kaffee aus und schob den Stuhl zurück. „Damit Sie begreifen, dass ich kein Unmensch bin, lasse ich Sie allein. Aber erst helfe ich Ihnen noch beim Abwaschen.“

Tara war erleichtert. Sie hatte nicht zu hoffen gewagt, dass sie ihn so leicht loswerden würde.

„Das brauchen Sie nicht, ich schaffe es allein. Danke“, erwiderte sie etwas zu hastig.

„Dann bedanke ich mich für den angenehmen Abend und wünsche mir, dass Sie das nächste Mal entspannter sind.“ Er stand auf.

Sie rang sich ein Lächeln ab und stand auch auf. „Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Ich bin nicht hier, um mich auszuruhen.“

„Aber ich darf ja hoffen.“ Er betrachtete sie nachdenklich. Schließlich forderte er Buster auf, mit ihm zu kommen.

„Und bei Gelegenheit“, fügte er hinzu, während er aus der Küche ging, „können Sie mir alles erzählen.“

„Was denn?“ Tara zog die Augenbrauen zusammen und begleitete ihn zur Haustür.

„Über den Mann, der Sie so ängstlich und misstrauisch gemacht hat“, antwortete er sanft. „Gute Nacht, Tara.“

Er senkte den Kopf, und sekundenlang glaubte sie, er würde sie küssen. Sogleich versteifte sie sich. Doch Adam legte ihr nur die Hand unters Kinn, zwang sie, ihn anzusehen, und berührte flüchtig ihre Wange mit den Lippen.

Dann öffnete er die Tür und verschwand in der kühlen Luft, die vom Fluss her in den Flur drang.

Während Melusine draußen umherstreifte, wusch Tara ab und räumte die Küche auf. Danach ging sie durch alle Zimmer und schrieb sich auf, was gemacht werden musste, bis sie die Katze vor der Tür miauen hörte und sie wieder hereinließ.

Sie war so müde, dass sie eigentlich sogleich hätte einschlafen müssen. Aber sie warf sich ruhelos im Bett hin und her und schüttelte zum x-ten Mal das Kopfkissen auf.

Das liegt nur daran, dass ich noch den ganzen Kaffee ausgetrunken habe, nachdem Adam weg war, versuchte sie sich einzureden. Sie wusste jedoch selbst, dass es nicht stimmte. Nicht das viele Koffein, sondern etwas sehr Fundamentales, was sie lieber nicht genauer analysieren wollte, raubte ihr den Schlaf.

Zu Hause wäre sie jetzt aufgestanden und hätte sich irgendwie beschäftigt, statt sich mit den Gedanken herumzuquälen. Unter normalen Umständen wäre es auch hier kein Problem gewesen, mitten in der Nacht anzufangen, die Wände im Esszimmer zu dekorieren. Doch Tara wollte kein Licht machen, um nicht Adams Aufmerksamkeit zu erregen. Sonst würde er noch zurückkommen und sich erkundigen, ob alles in Ordnung sei.

Als sie die Lampen im Schlafzimmer und im Bad angeknipst hatte, hatte sie sich sehr unsicher gefühlt. Sie war sich bewusst gewesen, dass er dort draußen auf dem Wasser war und sie beobachten konnte, wenn er wollte. Es gelang ihr einfach nicht, mit seiner Nähe, die man ihr irgendwie aufgezwungen hatte, zurechtzukommen.

Ihre Wange schien immer noch von der flüchtigen Berührung seiner Lippen zu brennen. Tara hatte lange vor dem Badezimmerspiegel gestanden und ihr blasses Gesicht betrachtet. Danach hatte sie noch länger in ihrem dünnen Seidennachthemd angespannt am Fenster gestanden und durch den Spalt zwischen den Vorhängen zur Caroline hinübergeblickt. Die ganze Zeit hatte sie darauf gewartet, dass auf der Jacht endlich die Lichter ausgingen.

Taras Nerven war so überreizt, dass sie beinahe aufgeschrien hätte, als Melusine plötzlich aufs Bett sprang, wie jeden Abend. Was für ein heilloses Durcheinander habe ich angerichtet, überlegte sie, während sie der Katze den Kopf streichelte.

Sie war immer noch bestürzt über ihr seltsames Benehmen. Nachdem sie die Einladung ausgesprochen hatte, hätte sie sich beim Dinner zusammennehmen und beherrschen müssen, so wie sie es sich vorgenommen hatte.

Immerhin war es ihr Beruf, geschickt mit Menschen umzugehen. Sie hätten sich zwanglos über irgendetwas unterhalten können. Außerdem hätte sie sicher viel mehr erfahren, wenn sie ihm zugehört hätte.

Doch stattdessen hatte sie selbst viel zu viel geredet. Sie wusste nicht genau, wie es passiert war. Aber es war ihm gelungen, dass sie sich ungeschickt und richtig steif vorgekommen war. Sie hatte sich von ihm in die Defensive drängen lassen.

Sie drehte sich auf die Seite und blickte zum Fenster, während Melusine, der offenbar das ewige Hin und Her zu viel wurde, vorwurfsvoll miaute und auf den Boden sprang.

Es war jetzt beinahe drei Jahre her, dass Tara sich so heftig zu einem Mann hingezogen gefühlt hatte. Seitdem hatte sie sich nicht mehr erlaubt, sich nach menschlicher Wärme und Zuneigung zu sehnen. Und sie hatte auch die ganz normalen Bedürfnisse ihres Körpers ignoriert.

Es war ihr sicherer vorgekommen nach dem Schmerz über das, was Jack ihr angetan hatte, und der Verzweiflung, in die sie nach der Trennung gestürzt war.

„Jack“, sagte sie laut vor sich hin und schlang die Arme um sich. Die Erinnerungen quälten sie immer noch viel zu sehr.

Sie hatte versucht, nicht mehr an ihn zu denken und ihn aus dem Gedächtnis zu verdrängen. Aber plötzlich stürzte alles wieder auf sie ein.

Mit dreiundzwanzig hatte sie ihn kennengelernt, nachdem sie einige flüchtige Bekanntschaften hinter sich gehabt hatte.

Sie war noch nicht lange bei Marchant Southern und hatte gerade erst angefangen, an ihrer Karriere zu basteln. Eines Tages wurde sie in die Firma ihres Vaters zur Geburtstagsparty von Gordon Fairclough, einem der Manager, eingeladen. Unter den Gästen fiel ihr sogleich Jack auf. Er stand mit anderen zusammen, die alle in seinem Alter waren, Mitte bis Ende zwanzig. Sie unterhielten sich und lachten, während er den Blick immer wieder durch den Raum gleiten ließ. Als er Tara sah, musterte er sie bewundernd, bis sie sich abwandte.

„Wer ist dieser große Mann mit dem dunklen Haar und der gebräunten Haut in dem Nadelstreifenanzug?“, fragte sie Anna Fairclough, mit der sie zur Schule gegangen war.

Anna blickte sich um. „Oh, ich glaube, er ist einer dieser cleveren Wirtschaftsprüfer. Jack … ach, ich habe den Nachnamen vergessen. Mein Dad sagt …“ Sie unterbrach sich, um andere Bekannte zu begrüßen.

Tara ging weiter und ließ sich am Buffet noch ein Glas Wein einschenken. Plötzlich berührte sie jemand am Arm.

„Ich heiße Jack Halston“, erklärte er lächelnd. „Anna kann sich einfach keine Namen merken.“

„Ja, damit hatte sie schon immer Schwierigkeiten.“ Tara lächelte auch und errötete leicht.

„Arbeiten Sie auch bei Grainger Associates? Ich bin neu hier und habe Sie zuvor noch nicht gesehen.“

„Es ist eine große Firma. Viele Leute arbeiten hier“, erwiderte sie ausweichend.

„Richtig. Aber Sie wären mir aufgefallen.“ Er blickte sie unverwandt an. „Das wissen Sie, stimmt’s?“

„Ja“, hörte sie sich wie aus weiter Ferne sagen. Sie hatte es ihm von Anfang an zu leicht gemacht.

Danach verabredeten sie sich regelmäßig, und innerhalb eines Monats waren sie ein Liebespaar. Tara fühlte sich wie verzaubert und entdeckte, wie aufregend es war, sich ihren leidenschaftlichen Gefühlen hinzugeben. Sie hatte keine Bedenken, seine Geliebte zu werden.

Jack war erfahren und ein geschickter Liebhaber. Er schien begeistert zu sein über ihre Naivität und irgendwie auch belustigt darüber, dass sie zuvor noch nie mit einem Mann geschlafen hatte.

„Du bist mein altmodisches Mädchen“, neckte er sie und lockte sie immer mehr aus der Reserve.

Allzu gern zog sie zu ihm, als er sie darum bat. Ihren Eltern war es jedoch gar nicht recht.

„Ich liebe ihn“, erklärte Tara und wünschte sich, ihre Eltern würden sie verstehen. „Wenn es der Richtige ist, spürt man es genau.“

„Und was ist mit Mark Roberts, mit dem du befreundet warst?“

„Mark?“, wiederholte Tara überrascht. „Das ist schon seit einigen Monaten vorbei. Außerdem gefiel er euch auch nicht“, fügte sie vorwurfsvoll hinzu. „Dad, du hast doch immer behauptet, er habe keinen Ehrgeiz. Davon kann ja bei Jack keine Rede sein.“

„Nein, bestimmt nicht“, antwortete Jim Lyndon leicht ironisch und sah seine Frau resigniert und warnend zugleich an.

Tara fühlte sich wie im Paradies. Ihr Job war ihr plötzlich nicht mehr so wichtig. Stattdessen kümmerte sich vor allem darum, Jack glücklich zu machen. Sie sorgte dafür, dass das Apartment immer aufgeräumt und sauber war, kochte ihm seine Lieblingsgerichte und hielt seine Sachen in Ordnung. Wenn Jack ihr einen Heiratsantrag machte, wollte sie die ideale Frau für ihn sein. Ein anderes Ziel hatte sie nicht mehr.

Ich habe wahnsinnig viel Glück gehabt, Jack und ich sind füreinander bestimmt, sagte sie sich immer wieder, wenn sie hörte, in was für schwierigen Partnerschaften ihre Freundinnen und Kollegen lebten.

Einmal wollte sie mit Anna über Jack reden. Aber ihre Freundin reagierte seltsam zurückhaltend, sodass Tara das Thema fallen ließ.

Nach einer Party eines frisch verheirateten Ehepaars, das gerade ins eigene Haus gezogen war, bemerkte Tara zum ersten Mal, dass Jack offenbar andere Vorstellungen hatte als sie.

Man saß auf Umzugskartons und trank den Wein aus Plastikbechern. Es wurde viel gelacht, alle hatten Spaß.

Als Tara später im Bett lag und voller Vorfreude beobachtete, wie er sich auszog, sagte sie: „Das war lustig heute Abend.“

Jack zuckte die Schultern. „Mir kam es eher wie ein komplettes Chaos vor. Es ist mir unverständlich, warum man Leute in so ein Durcheinander einlädt.“

Tara stützte sich auf den Ellbogen. „Das meinst du nicht ernst.“

„Oh doch.“ Sein Blick wirkte hart. „Das Haus ist vielleicht eines Tages ordentlich eingerichtet, falls Fiona nicht anfängt, Kinder in die Welt zu setzen. Sie haben viel zu überstürzt geheiratet, und das ist einfach lächerlich.“

„Aber sie lieben sich“, wandte Tara ein, während sich eisige Kälte in ihr ausbreitete.

„Natürlich, sonst hätten sie überhaupt nicht geheiratet. Sie hätten jedoch warten müssen, bis Colin Karriere gemacht hat.“

War das etwa seine Überzeugung? Am liebsten hätte Tara ihn gefragt, aber irgendetwas hinderte sie daran. Dann wurde ihr bewusst, dass sie Angst vor der Antwort hatte.

Als er schließlich zu ihr ins Bett kam und sie sich liebten, waren alle Zweifel wieder ausgeräumt.

Sechs Wochen später lud er sie zum Dinner ein, weil er etwas mit ihr besprechen wolle, wie er sagte. Tara war ganz aufgeregt und glaubte, er hätte seine Meinung geändert.

Es war ein wunderbares Essen, Jack war jedoch seltsam gereizt. Er ist nur nervös, dachte Tara liebevoll. Aber warum? Er konnte sich doch denken, wie sie reagieren würde.

„Du wolltest mich etwas fragen“, half Tara ihm lächelnd, während sie den Kaffee tranken.

Er nickte und schien sich unbehaglich zu fühlen. „Ja. Weißt du, Liebling, es wird gemunkelt, dass Cadham, unser Abteilungsleiter, ausscheidet.“ Er lachte auf. „Ehrlich gesagt, es ist kein großer Verlust. Seine Ideen sind überholt. Alle wünschen sich einen jungen, ehrgeizigen Vorgesetzten, der Schwung in den Laden bringt.“

Plötzlich fühlte sich Tara sehr angespannt. „Hast du an jemand Bestimmten gedacht?“, fragte sie ruhig.

Jack lachte wieder. „Natürlich, Liebes. Ich hoffe, man bietet mir den Job an.“

„Dir?“ Sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen.

Ärgerlich blickte er sie an. „Okay, ich weiß, dass ich eigentlich noch nicht an der Reihe bin. Aber was macht das schon? Ich bin für die Stelle qualifiziert, und ich will sie haben.“

Sie zuckte die Schultern und sah ihn nicht an. „Dann musst du dich darum bewerben, falls Peter Cadham wirklich ausscheidet. Ich hoffe nur, du bist nicht enttäuscht, wenn es nicht so läuft, wie du es dir vorstellst.“

„Es wird aber so laufen“, antwortete er sanft und nahm ihre Hand. „Du, mein Liebling, wirst mir dabei helfen.“

„Glaubst du, man wird Marchant Southern einschalten, um einen geeigneten Kandidaten zu finden?“ Sie war verblüfft. „Das ist sehr unwahrscheinlich. Außerdem würde man mir den Auftrag nicht übertragen. Ich bin noch nicht lange genug bei der Firma.“

Er kniff die Lippen zusammen. „Zum Teufel mit Marchant Southern“, stieß er ungeduldig hervor. „Ich rede von deinem Vater. Du weißt genau, dass er ein Mitspracherecht und viel Einfluss hat.“ Seine Stimme wurde betont weich und klang irgendwie flehentlich. „Ich dachte, du könntest deinen Vater überreden, ein gutes Wort für mich einzulegen.“

Nur das war Sinn und Zweck des intimen Dinners, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war enttäuscht und hatte plötzlich Angst.

„Das kann ich nicht. Warum sollte er auf mich hören?“

„Weil du Daddys kleines Mädchen bist. Er will, dass du glücklich wirst.“ Jack drückte ihr so fest die Hand, dass es schmerzte. „Denk darüber nach, Liebes. Du willst doch heiraten, oder? Es wäre ein erster Schritt in die Richtung. Bei meinem jetzigen Gehalt müssten wir noch jahrelang warten. Aber wenn ich Cadhams Stelle hätte, könnten wir uns schon bald alles erlauben.“

Er blickte sie beschwörend an und lächelte betont liebevoll. „Ich möchte dich verwöhnen und alles für dich tun. Und wenn ich sein Schwiegersohn wäre, könnte dein Vater sicher sein, dass ich der Firma gegenüber immer völlig loyal bin“, fügte er eindringlich hinzu.

„Jack“, erwiderte sie rau, „es würde mir nichts ausmachen, ganz bescheiden anzufangen. Wir könnten heiraten und vorerst in deinem Apartment wohnen. Irgendwann wirst du sowieso befördert, das weiß ich. Vielleicht findest du sogar noch einen besseren Job bei einer anderen Firma.“

„Liebes, ich will Cadhams Stelle, sonst nichts.“ Er lächelte immer noch, war jedoch gereizt. „Ich weiß nicht, warum du so eine große Sache daraus machst. Ich habe geglaubt, du würdest dich freuen und mir den kleinen Gefallen gern tun.“

Tara senkte den Blick. „Momentan bin ich ziemlich irritiert, werde aber mit meinem Vater reden, wenn du darauf bestehst. Natürlich kann ich für nichts garantieren, das sollte dir klar sein.“

„Du liebe Zeit, Tara. Dein alter Herr hat für dich und deine Schwester doch immer alles getan, was ihr wolltet. Das weiß jeder.“

„Dann wissen die Leute mehr als ich“, erklärte sie wie erstarrt. „Ich möchte jetzt nach Hause.“

Die nächsten zehn Tage kamen ihr wie ein einziger Albtraum vor. Jack übte ständig Druck auf sie aus, während sie immer noch zögerte.

Erschöpft, wie sie war, wollte sie den ersten ernsthaften Streit unter allen Umständen vermeiden. Deshalb willigte sie ein, ihre Eltern anzurufen und ihnen vorzuschlagen, das Wochenende mit ihnen am Silver Creek zu verbringen.

Jack würde nicht mitkommen, das war ihr klar. Ein einziges Mal hatte er sie begleitet, kurz, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Doch er hatte sich ganz offensichtlich dort nicht wohlgefühlt.

Erst viel später hatte Tara begriffen, warum nicht. Er hatte sich vorgestellt, ins luxuriöse Ferienhaus eines Millionärs eingeladen worden zu sein. Stattdessen hatte er nur ein einfaches Cottage und eine ziemlich alte Jacht vorgefunden.

Tara war die ganze Zeit gereizt und überlegte, wie sie das Gespräch auf das heikle Thema bringen sollte. Schließlich erwähnte ihr Vater selbst eher beiläufig, dass Peter Cadhams Job neu zu besetzen sei.

„Du wirst ihn vermissen“, sagte seine Frau und runzelte die Stirn.

„Ja, ganz bestimmt. Er ist so etwas wie ein Fels in der Brandung. Aber Ritchie arbeitet schon seit einigen Jahren eng mit ihm zusammen. Deshalb ist er unser Wunschkandidat.“

Nachdem ihre Mutter ins Bett gegangen war, sagte Tara: „Dad, ist es schon endgültig mit Ritchie? Hat man ihm die Stelle schon angeboten?“

„Nein, noch nicht. Warum fragst du? Kannst du einen besseren Kandidaten empfehlen?“ Jim Lyndons Stimme klang leicht spöttisch.

Autor

Sara Craven
Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis. In ihren Romanen entführt sie...
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