Julia Best of Band 228

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EIN UNMORALISCHES ANGEBOT von SARAH MORGAN

Kronprinz Zakour Al-Farisi ist bereit, Amys Bruder die Schulden zu erlassen, wenn sie ihn heiratet. Was nützen ihm sein unendlicher Reichtum und sein umwerfendes Aussehen, wenn diese einzigartige Frau nicht anders zu halten ist? Er muss diesen unmoralischen Versuch wagen ...

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  • Erscheinungstag 03.07.2020
  • Bandnummer 228
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714703
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan

JULIA BEST OF BAND 228

PROLOG

„Die Befehle wurden ausgeführt, Königliche Hoheit – der finanzielle Verlust, den Ihre Untertanen erlitten haben, wurde vollständig ausgeglichen.“

Prinz Zakour drehte sich um. Er stand am Fenster seines Büros und hatte seinen Hengst beobachtet, der unten im Hof für Aufregung unter der Dienerschaft sorgte.

„Nicht ganz.“ Nur die dunklen, fast schwarzen Augen verrieten die Wut des Prinzen. Seine Stimme dagegen klang ruhig, als er mit Sharif sprach, seinem persönlichen Diener und engsten Vertrauten seit nunmehr fast zwanzig Jahren. „Die Schuld an mir ist noch offen. Wurde dem Engländer alles übermittelt?“

Sharif schluckte und verbeugte sich. „Wie Königliche Hoheit es befohlen haben.“

Der Ton seines alten Dieners machte Zakour misstrauisch. „Erscheint Peter Kingston zu dem Treffen?“, fragte er direkt.

Sharif wurde blass. „Wie ich erfahren habe, hat Mr. Kingston seine Schwester mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt“, antwortete er zögernd.

Der Engländer entzog sich also wieder einmal seiner Verantwortung! Zakour dehnte die Muskeln seiner breiten Schultern, um sie zu lockern. Manchmal wünschte er wirklich, er könnte noch nach den alten Stammesgesetzen regieren wie seine Vorfahren. Doch da sich Kazban zu einem modernen Staat entwickelt hatte, würde Peter Kingston nicht die Strafe bekommen, die er zweifellos verdient hatte.

Sharif räusperte sich. „Eine unglaubliche Entscheidung. Was ist das für ein Mann, der seine Ehre von einer Frau verteidigen lässt?“

„Ein Feigling. Aber das wissen wir ja schon.“ Zakour lächelte grimmig. „Deshalb überrascht es auch nicht weiter, dass er jetzt seine Schwester in die Höhle des Löwen schickt! Hoffentlich ist die Dame entsprechend gewappnet.“

„Kingston nimmt wahrscheinlich an, Königliche Hoheit lassen einer Frau gegenüber Gnade vor Recht ergehen.“

Zakour lachte verächtlich.

Hätte Peter Kingston sich besser informiert, wäre ihm dieser Fehler bestimmt nicht unterlaufen. Er, Prinz Zakour Al-Farisi, hatte seine Lektion schon früh gelernt und war dem weiblichen Geschlecht gegenüber alles andere als mild und nachgiebig eingestellt. Frauen, so hatte es die Erfahrung ihn gelehrt, waren von Natur aus raffiniert und egoistisch, und er ließ ihnen die Behandlung angedeihen, die sie verdienten.

„Peter Kingston ist ein gemeiner Dieb und hinterhältiger Betrüger. Er hat ehrliche Bürger um ihre hart erarbeiteten Ersparnisse gebracht. In England mag das ein Kavaliersdelikt sein, in Kazban ist es ein Verbrechen. In seinem Fall bin ich nicht geneigt, Gnade walten zu lassen.“

Sharif verschränkte die Hände vor der Brust und verneigte sich. „Wären Königliche Hoheit nicht eingeschritten, hätte die List dieses Engländers viele Familien die Existenz gekostet. Meiner Ansicht nach sollten alle wissen, dass Königliche Hoheit es waren, die …“

„Das ist unwichtig“, fiel Zakour ihm ins Wort und ging unruhig auf dem kostbaren handgeknüpften Teppich auf und ab. „Mir geht es allein darum, Derartiges in Zukunft zu verhindern. Kingston soll als abschreckendes Beispiel dienen, deshalb werde ich hart gegen ihn vorgehen.“

„Es war ein kluger Zug von Kingston, seine Schwester zu schicken, denn jeder weiß, wie sehr Königliche Hoheit die Gesellschaft von Frauen schätzen“, bemerkte Sharif.

Zakour legte den Kopf zurück und musterte seinen Vertrauten. „Nur im Bett, Sharif“, antwortete er. „Ansonsten haben Frauen in meinem Leben keinen Platz.“

Nie wieder würde er einer Frau sein Vertrauen schenken!

„Und dabei wünscht der König nichts sehnlicher, als seinen Sohn endlich verheiratet zu sehen!“ Erwartungsvoll sah Sharif den Prinzen an.

„Das ist mir bewusst“, erwiderte Zakour kalt.

Sharif zögerte. „Königliche Hoheit werden mir vorwerfen, meine Zuständigkeit zu überschreiten, doch ich kenne Sie von Geburt an und bedauere Ihre Einsamkeit tief. Was Ihnen fehlt, ist die Geborgenheit und Wärme, die ein Mann nur in seiner eigenen Familie finden kann.“

„Wie du sehr richtig erkannt hast, Sharif, steht dir ein Urteil darüber nicht zu.“ Zakours Stimme klang immer noch eisig, doch sein Blick wurde weicher. Sein treuer Berater war einer der wenigen Menschen, denen der Prinz sein Leben anvertraut hätte. „Spar dir dein Mitleid, Sharif, ich liebe mein Leben als Junggeselle. Nur meinem Vater fällt es von Tag zu Tag schwerer, meine Entscheidung zu akzeptieren.“

Zakour machte sich keine Illusionen, über kurz oder lang würde er heiraten müssen. Keinesfalls jedoch würde er die Frau nehmen, die sein Vater für ihn ausgesucht hatte. Wenn eine Ehe unausweichlich war, würde er sich seine Braut selbst wählen, und das frei von jeglichen Sentimentalitäten.

„Wir sprachen gerade über Miss Kingston“, kam der Prinz wieder auf das eigentliche Thema zurück.

Sharif wiegte den Kopf. „Der Engländer scheint sich auf den Edelmut Ihrer Königlichen Hoheit zu verlassen.“

Zakours Lächeln fehlte jede Spur von Humor, und seine Stimme klang gefährlich sanft. „Dann hat er sich getäuscht. Eine Frau, die mit Peter Kingston zu tun hat, ist bestimmt kein unbeschriebenes Blatt. Wenn er sie vorschickt, weil er der Auffassung ist, eine holde Schöne würde meine Ritterlichkeit wecken, hat er einen taktischen Fehler begangen.“

Sein Blick fiel auf das reich verzierte Schwert auf seinem Schreibtisch, und er nahm es auf. Vertraut lag der schwere Griff in seiner Hand, und der Stahl der ziselierten Klinge glänzte matt. Rachegefühle brachten Zakours sonst so eiserne Selbstkontrolle ins Wanken.

Verrat!

Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ er die Klinge durch die Luft sausen, und Sharif trat hastig einen Schritt zurück.

Wie jeder Bürger Kazbans wusste er, was für ein hervorragender Schwertkämpfer der Prinz war. Dem alten Diener tat Miss Kingston plötzlich leid – hoffentlich besaß sie eine starke Persönlichkeit. Heimlich beobachtete er seinen jungen Herrn, wie er beherrscht das Schwert zurück an seinen Platz legte.

Sollte Peter Kingston es auf einen Kampf angelegt haben, hatte er mit Kronprinz Zakour Al-Farisi eine denkbar schlechte Wahl getroffen.

1. KAPITEL

„Seine Königliche Hoheit wird Sie jetzt empfangen, Miss Kingston. Bitte bleiben Sie während der Audienz stehen, und sprechen Sie nur, wenn Sie gefragt werden.“ Der Mann im weißen Kaftan neigte leicht den Kopf, seine Miene war ausdruckslos. „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Seine Hoheit ein viel beschäftigter Mann mit wichtigen Pflichten ist. In Ihrem eigenen Interesse darf ich Ihnen empfehlen, seine Zeit nicht zu verschwenden.“

Amy schluckte mühsam und bereute plötzlich ihren spontanen Entschluss, Peter ihre Unterstützung angeboten zu haben. Doch sie hatte ihrem großen Bruder endlich einmal helfen wollen, statt sich von ihm immer nur beschützen zu lassen.

Peter hat schon so viel für mich getan!

Außerdem war ihr das Abenteuer, nach Kazban zu reisen, als willkommene Abwechslung erschienen, denn sie führte ein streng geregeltes und behütetes Leben. Doch jetzt war alles so ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Ihr kamen Zweifel, ob sie der Lage überhaupt gewachsen war, und sie befürchtete plötzlich, Peter mehr zu schaden als zu nutzen.

Wie sie es auch drehte und wendete, Kronprinz Zakour würde von dem, was sie ihm zu sagen hatte, nicht begeistert sein. Peter schuldete ihm Geld – Geld, das er momentan nicht zurückzahlen konnte.

„Wenn ich nach Kazban fliege, Amy, wird man mich dort ins Gefängnis werfen.“

Diese Äußerung ihres Bruders hatte sie für eine Übertreibung gehalten. Kazban war ein weltoffener Staat, und den für seinen Reichtum berühmten Prinzen um Zahlungsaufschub zu bitten war ihr als einfachste Sache der Welt erschienen.

Doch das war zu Hause in England gewesen. Hier in Kazban war sie sich ihrer Sache plötzlich nicht mehr so sicher, und der Gesichtsausdruck des königlichen Dieners bestärkte ihre Zweifel. Gespielt ruhig stand sie auf. Sie wusste nicht viel über den Prinzen, doch selbst das versuchte sie zu vergessen. Was kümmerte es sie, wenn er einen ungewöhnlich scharfen Verstand besaß, sich mit Dutzenden von Frauen amüsierte und sein Herz aus Stein war?

Als Mann war er uninteressant für sie, er war der Geschäftspartner ihres Bruders, dem sie eine Nachricht zu überbringen hatte, mehr nicht.

Aber wenn ich nun etwas Falsches sage?

Ein Abenteuer war gut und schön, doch welche Voraussetzungen brachte sie mit, es erfolgreich zu bestehen? Sie war Vorschullehrerin, brachte fünfjährigen Kindern die Grundbegriffe des Lesens, Schreibens und Rechnens bei und half ihnen, sich im Schulalltag zurechtzufinden. Davon, wie man mit einem Mann verhandelte, der schon vor dem Frühstück Verträge über Millionen von Dollar abschloss, hatte sie nicht den blassesten Schimmer. Ihr Bruder musste verrückt gewesen sein, sie mit diesem Auftrag zu betrauen.

Oder völlig verzweifelt!

Peter steckte in Schwierigkeiten, davon war sie inzwischen überzeugt. Als sie ihn nach Einzelheiten gefragt hatte, war er ihr ausgewichen. Es handele sich lediglich um einen finanziellen Engpass, hatte er erklärt, und sie brauche sich keine Sorgen zu machen.

Sie vertraute ihrem Bruder uneingeschränkt, dennoch bedauerte sie, sich mit Allgemeinplätzen zufriedengegeben zu haben. Hatte Peter in letzter Zeit nicht auch sehr bedrückt gewirkt?

Nervös ging Amy neben Sharif die ihr endlos erscheinenden, marmorgefliesten Korridore entlang. Wenn sie es auch nicht wahrhaben wollte, der orientalische Prunk des Goldenen Palastes von Kazban schüchterte sie ein. Nahezu vor jeder Tür standen Wachen, und Amy wagte kaum, sich umzublicken.

Mit aller Macht zwang sie sich zur Ruhe. In diesem Palast lebte die königliche Familie, die selbstverständlich eine mit Pistolen und Schwertern bewaffnete Leibgarde besaß. Mit ihr, Amy, die nur eine Nachricht übermitteln sollte, hatte das nichts zu tun.

Trotzdem hätte sie am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre aus dem Palast gelaufen. Nicht nur aus dem Palast, sondern weiter durch die geheimnisvolle, sonnendurchglühte Wüstenlandschaft, durch die man sie auf dem Weg hierhergefahren hatte, bis zum Flughafen. Wie gern wäre sie jetzt wieder in ihrer kleinen Heimatstadt in England – zurück in der Einsamkeit.

Energisch verbot sie sich alle weiteren Gedanken an ihr Zuhause. Sie musste sich auf den Zweck ihrer Reise konzentrieren. Seit dem Tod ihrer Eltern bis zu diesem Tag hatte ihr Bruder, der fünf Jahre älter war als sie, für sie gesorgt wie ein Vater. Ihn jetzt im Stich zu lassen, würde sie sich nie verzeihen.

Amy hatte Mühe, mit Sharif Schritt zu halten. „Könnten Sie vielleicht etwas langsamer gehen?“, bat sie. „Meine Sandaletten sind für einen Spurt auf glattem Boden nicht geeignet, und andere Schuhe habe ich nicht dabei. Dem Prinzen mit einem gebrochenen Knöchel gegenüberzutreten wäre mir sehr peinlich.“

Dass sie den Prinzen nach näherem Überlegen eigentlich überhaupt nicht mehr begegnen wollte, verschwieg sie lieber. Das Mitleid, das sie in den Augen des alten Dieners zu entdecken glaubte, ließ ihren Mut noch weiter sinken. Meine Entscheidung ist falsch gewesen, erkannte sie verzweifelt.

Warum schien jeder Angst vor Zakour Al-Farisi zu haben? War er wirklich so skrupellos, wie man es ihm nachsagte? Jeder Mensch hat auch seine guten Seiten, beruhigte sie sich, als die Panik sie zu überwältigen drohte.

Der Mann blieb vor einer Tür stehen, vor der sich gleich mehrere bewaffnete Wächter befanden, trat ein und bedeutete ihr, ihm zu folgen.

Panik befiel Amy plötzlich.

„Ich glaube, ich bin doch nicht die richtige Ansprechpartnerin für den Prinzen. Wenn er so beschäftigt ist, sollte ich ihn nicht stören und lieber meinen Bruder schicken.“ Hoffnungsvoll sah sie den Mann an. Doch dieser schob sie wortlos ins Zimmer.

Von dem großen, prächtig ausgestatteten Raum tief beeindruckt, blieb Amy staunend stehen. Auf der einen Seite befanden sich durch Säulen getrennte Spitzbogenfenster, die gedämpftes Licht auf die kostbaren Bildteppiche an der gegenüberliegenden Wand fallen ließen.

Alles um sich her vergessend, trat Amy näher, um sie genauer zu betrachten. Die Wildpferde, die darauf zu sehen waren, wirkten so echt, dass man das Donnern der Hufe förmlich zu hören meinte.

In einer Ecke lagen kostbar bestickte Seidenkissen, die zum Sitzen einluden, etwas weiter entfernt stand ein kunstvoll geschnitzter Tisch, auf dem ein Computer in modernstem Design stand.

Der Kontrast zwischen alter arabischer Kultur und neuester westlicher Elektronik verschlug Amy den Atem. Wer immer diesen Raum bewohnte, benutzte ihn offensichtlich als Büro.

Sie blickte sich um und wünschte, sie hätte sich anders angezogen. Ihr braves blaues Leinenkleid war sicherlich praktisch, entbehrte jedoch Schick und Eleganz. Von ihrem Gehalt als Lehrerin konnte sie sich jedoch keine Modellkleider leisten, außerdem war ihr für die Schule bequeme Garderobe die liebste.

Amy besann sich und wandte sich wieder an ihren Begleiter. „Wann werde ich den Prinzen sehen? Sollte ich auf meine Audienz nicht doch lieber verzichten, wenn er so viel zu tun hat? Ich möchte ihm keinesfalls lästig werden.“

Anstatt ihr zu antworten, ließ sich der Diener plötzlich auf die Knie fallen. Überrascht blickte Amy ihn an.

„Sie möchten schon wieder abreisen, Miss Kingston?“, vernahm sie plötzlich eine Stimme hinter sich. „Lässt unser Land es an Gastfreundschaft fehlen, dass Sie uns schon so schnell wieder verlassen wollen? Oder leiden Sie an schlechtem Gewissen und möchten flüchten?“

„Weshalb sollte ausgerechnet ich ein schlechtes Gewissen haben?“ Empört drehte Amy sich um – und sah direkt in die dunklen Augen eines Mannes.

Der herausfordernde Blick des Fremden erregte sie auf seltsame Weise, und ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Noch nie hatte sie sich so als Frau gefühlt. Ihr schwindelte, und sie war weder zu einer Bewegung noch zu einem klaren Gedanken fähig. Erst als der Unbekannte auf sie zukam, gelang es ihr, sich aus seinem Bann zu lösen.

Der Mann musste schon dort gestanden haben, als sie den Raum betreten hatte. Sie hatte ihn nur nicht bemerkt, weil sie von ihrer Umgebung so überwältigt gewesen war.

Aber wie war das möglich? fragte sie sich. Wie hatte sie einen Menschen mit einer solchen Ausstrahlung nicht wahrnehmen können? Wenn ein Mann eine Frau in Versuchung führen konnte, dann er. Selbst in seinem perfekt sitzenden westlichen Anzug wirkte er ungewöhnlich und unkonventionell. Amy hätte ihn nie für einen Geschäftsmann gehalten, vielleicht für einen Piraten – oder eher noch für einen Beduinen.

Er war ein Mann, den die faszinierende Wüstenlandschaft Kazbans geprägt zu haben schien, ein Mann, wie er männlicher nicht hätte sein können. Das glänzende tiefschwarze Haar trug er aus der Stirn gekämmt, und nichts störte die klassische Schönheit seines von der Sonne tief gebräunten Gesichts. Seine Nase war aristokratisch, und seine Haltung zeugte von Stolz und Autorität.

Amy fühlte sich einer Ohnmacht nah, solche Wirkung hatte er auf sie. Sie atmete einige Male tief durch, um wieder klar denken zu können.

Inzwischen hatte der Diener sich erhoben und sah sie beschwörend von der Seite an. „Verbeugen Sie sich vor dem Prinzen“, zischte er ihr zu.

„Dem Prinzen? Natürlich, aber wo …“ Amy verstummte, als ihr die Wahrheit dämmerte. „Wie konnte ich nur!“ Hastig verbeugte sie sich, peinlich bewusst, dass Zakour Al-Farisi sie dabei nicht aus den Augen ließ.

Sie hätte natürlich spüren müssen, dass nur er der Prinz sein konnte, doch er war jünger und anders gekleidet, als sie es sich vorgestellt hatte. Dennoch bestand kein Zweifel: Seine Züge, seine Haltung, sein Blick, alles sprach für seine königliche Abstammung.

„Es … es tut mir leid, Königliche Hoheit“, entschuldigte sie sich unbeholfen und verbeugte sich sicherheitshalber ein zweites Mal. „Aber ein wenig liegt das auch an Ihnen. Sie haben sich nicht vorgestellt, und gekleidet wie ein Prinz sind Sie auch nicht.“

Der Diener, der sie hereingeführt hatte, konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken, Prinz Zakour dagegen zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Und wie sollte ich mich Ihrer Meinung nach kleiden, Miss Kingston?“ Obwohl seine Stimme voll und wohltönend klang, hatte sie einen gefährlichen Unterton. Dieser Mann besaß ganz offensichtlich ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, bestimmt gab es keine Frau in ganz Kazban, die ihn nicht vergötterte.

„Wie ein arabischer Prinz eben … wallende Gewänder und so …“ Amy verstummte betreten. Sie benahm sich wie ein dummes Gänschen!

Prinz Zakour teilte diese Meinung anscheinend, denn er lächelte ironisch. „Halten sie uns für einen Operettenstaat, in dem jeder kostümiert zu sein hat?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich an seinen Diener und befahl ihm etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand. Der verbeugte sich und zog sich sofort zurück, nicht ohne Amy einen letzten, mitleidsvollen Blick zuzuwerfen.

„Das … das Missverständnis tut mir leid“, sagte Amy noch einmal.

„Es lag allein auf Ihrer Seite, Miss Kingston.“ Der Prinz ging zum Fenster und blickte in den Innenhof, wo etwas seine Aufmerksamkeit erregt zu haben schien.

Amy konnte den Blick nicht von ihm wenden. Eine Frau, die von diesem Mann nicht fasziniert war, musste blind sein – oder weise.

Das erste Mal in ihrem bisher ereignislosen und außergewöhnlich behüteten Leben stand sie einem Mann gegenüber, vor dem ihre innere Stimme sie eindringlich warnte. Amy trat einen Schritt zurück und versuchte, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Hoffentlich erriet Prinz Zakour nicht, was in ihr vorging.

„Sie wundern sich bestimmt, mich hier zu sehen“, versuchte sie das Gespräch in Gang zu bringen.

Abrupt drehte er sich zu ihr um. „Ich kann mich nicht erinnern, Sie zum Reden aufgefordert zu haben.“

Amy errötete und fühlte sich erniedrigt. Was gab ihm das Recht, sie derart zu behandeln? Sie traute sich nicht, ihm in die Augen zu sehen, und betrachtete stattdessen seine breiten Schultern. Im Ernstfall würde Zakour bestimmt keine Leibgarde brauchen. Er sah ganz so aus, als könnte er auch mit mehreren Feinden gleichzeitig fertig werden. Unter seinem perfekt sitzenden Anzug verbarg sich ein athletischer Körper.

Zakour verkörperte nicht nur das Idealbild eines Märchenprinzen, er war ein echter Prinz obendrein. Als sie seine Blicke auf sich spürte, musste sie schlucken.

„Treten Sie näher“, befahl er, und Amy gehorchte widerstandslos.

Zu ihrem Leidwesen war sie gut eins achtzig groß und daher gewohnt, sich mit den meisten Männern auf gleicher Augenhöhe zu befinden. Doch um Prinz Zakour ins Gesicht zu sehen, musste sie den Kopf zurücklegen. Zum ersten Mal in ihrem Leben genoss sie das Gefühl, zart, zerbrechlich und unbeschreiblich weiblich zu sein.

„Sie sind also Peter Kingstons Schwester.“ Arrogant musterte er sie von Kopf bis Fuß. „In Ihrem Interesse hoffe ich, Sie sind gekommen, um seine Schulden zu begleichen, denn das war der Sinn dieses Treffens.“

Seine Worte waren eine offene Drohung, und Amy wünschte, niemals nach Kazban gekommen zu sein. Vergeblich suchte sie in den Augen des Prinzen nach Mitgefühl und Wärme.

„Geld habe ich leider nicht dabei – die Angelegenheit ist etwas kompliziert“, antwortete sie zögernd.

„Sie irren, die Sachlage ist so eindeutig, dass sich jede weitere Diskussion erübrigt.“

Wie konnte ein Mann so ruhig und leise sprechen und dabei so unnachgiebig klingen? Prinz Zakour stand in dem Ruf, ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann zu sein – anscheinend trug allein sein Auftreten entscheidend zu seinem Erfolg bei.

„Bestimmt möchten Sie wissen, weshalb ich anstelle meines Bruders vor Ihnen stehe.“ Sie gab sich größte Mühe, möglichst diplomatisch vorzugehen.

Der Prinz reagierte darauf jedoch nur mit Spott. „Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, Miss Kingston. Meinen Sie, ich wüsste nicht, weshalb Ihr Bruder seine bezaubernde Schwester vorgeschickt hat?“

Sein Blick ließ sie erbeben. Was dachte er nur von ihr? „Peter ist verhindert, allein aus diesem Grund bin ich hier“, verteidigte sie sich.

Zakour Al-Farisi zog die Brauen hoch. „Das soll ich Ihnen glauben? Haben Sie nicht viel eher den Auftrag, mich zu umgarnen und gnädig zu stimmen?“

Er verließ seinen Platz am Fenster, ging langsam um Amy herum und begutachtete sie wie eine Ware, die er zu kaufen gedachte. Dann legte er ihr die Hand unters Kinn und drehte ihren Kopf ins Licht. „Sie sollen mich dazu bringen, Ihrem Bruder die Schulden zu erlassen, das ist doch Ihr Ziel, oder?“

Seine Berührung ließ Amy erschauern, und sie konnte sich nur schwer konzentrieren. „Nicht erlassen – nur stunden“, erklärte sie stockend.

„Ehe Sie sich weiter in Lügen verstricken, möchte ich Ihnen etwas sagen: Wenn ich bei einer Frau eines nicht ausstehen kann, dann ist es Unaufrichtigkeit.“

„Was gibt Ihnen das Recht, mich als Lügnerin zu bezeichnen?“ Amy war empört. „Peter will die Schulden bezahlen, so wahr ich hier stehe. Er bittet lediglich um einen Aufschub von zwei Monaten, dann wird er jeden Penny zurückzahlen, das hat er versprochen.“

„Er hat auch versprochen, zum Vorteil von Kazban zu investieren.“

Nervös trat Amy von einem Fuß auf den anderen. Zu diesem Vorwurf konnte sie nichts sagen, denn über Peters Geldgeschäfte war sie nicht informiert. Sie war nach Kazban geflogen, weil sie ihren Bruder liebte und ihm helfen wollte.

„Peter hat keine Einzelheiten genannt“, gab sie widerstrebend zu. „Ich soll lediglich seine Bitte vortragen, nämlich die ihm gegebene Frist um zwei Monate zu verlängern.“

Zakour blickte sie durchdringend an. „Und weshalb sollte ich diesem Wunsch nachkommen?“

Verwirrt sah Amy zu Boden. Auf die Idee, der Prinz könne die Bitte abschlagen, war sie nicht gekommen, denn Zakour Al-Farisi war einer der reichsten Männer der Welt. Er würde es doch bestimmt nicht einmal merken, wenn Peter seinen Verpflichtungen einige Wochen später nachkäme!

„Weshalb?“, wiederholte sie und rang sich ein Lächeln ab. „Weil Sie ein netter Mensch sind, nehme ich an.“

„Dann besitzen Sie keinerlei Menschenkenntnis, Miss Kingston, ich bin nämlich alles andere als ein netter Mensch.“

Mit einer geschickten Bewegung entfernte er ihr die Spange aus dem Haar und warf sie achtlos zu Boden. Extra für diese Begegnung hatte Amy ihre dichten blonden Locken gebändigt und straff zurückgekämmt. Die Mühe hätte sie sich sparen können, denn ohne den künstlichen Halt ringelte sich ihr Haar sofort wieder und fiel ihr seidig auf die Schultern. Schockiert hielt sie den Atem an.

„Warum haben Sie das getan?“, fragte sie dann leise.

„Können Sie sich das nicht denken?“ Der Prinz lächelte zynisch. „Wie ich bereits erwähnte, verabscheue ich jegliche Art von Unaufrichtigkeit. Sie können mir nichts vormachen, Miss Kingston, Ihr Bruder hat Sie geschickt, weil er auf Ihre weiblichen Reize setzt. Daher wäre es ehrlicher gewesen, diese auch zu zeigen, statt im hochgeschlossenen Kleid und mit zusammengestecktem Haar die Unschuld vom Lande zu spielen.“

Amy war fassungslos. Was dachte er nur von ihr? Benommen schüttelte sie den Kopf. „Sie verstehen das völlig falsch.“

„Das glaube ich kaum. Ihr Bruder scheint doch nicht der Dummkopf zu sein, für den ich ihn gehalten habe.“ Er trat einen Schritt zurück. „Sie sind eine außergewöhnlich schöne Frau.“

Erstaunt sah sie ihn an. Außergewöhnlich schön? Stets hatte man ihr eingeredet, sie sei viel zu groß, um Männern zu gefallen. Ein Kompliment, wie der Prinz es ihr eben gemacht hatte, hörte sie zum ersten Mal.

So bewundernd seine Worte auch klangen, seine Augen blickten kalt, was bewies, wie herzlos er war. Er traute ihr zu, den Aufschub, um den Peter bat, durch Liebe erkaufen zu wollen.

Mit beiden Händen strich sie ihr Haar glatt und versuchte, es hinter die Ohren zu stecken. „Ich weiß nicht, was mein Kleid mit meinem Anliegen zu tun hat“, antwortete sie schwach, als sie endlich ihrer Stimme wieder traute. „Ich bin gekommen, um eine Nachricht meines Bruders zu übermitteln.“

Er lächelte herablassend. „Diesen Teil Ihrer Aufgabe dürfen Sie als erledigt betrachten, Miss Kingston, jetzt kommt der nächste.“

Sein anzüglicher Blick ließ sie erröten. „Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen, aber …“

„Meine liebe Miss Kingston!“ Der Prinz kam näher, seine Stimme klang gefährlich sanft, und sein Blick schien sie zu hypnotisieren. Er brauchte sie nicht zu berühren, allein seine Ausstrahlung reichte, um sie in seinen Bann zu ziehen. „Nehmen Sie meine Warnung ernst, für Versteckspiele bin ich nicht zu haben – weder in meinen geschäftlichen noch in meinen amourösen Beziehungen.“

„Ich spiele nicht mit Ihnen!“, widersprach sie empört und fragte sich insgeheim, welcher Kategorie der Prinz sie wohl zuordnen mochte. „Ich weiß mir nur nicht zu helfen, weil Sie so halsstarrig sind!“

„Ich bin lediglich konsequent, Miss Kingston.“

Das war wohl auch seine einzige positive Eigenschaft, denn Freundlichkeit und menschliche Wärme gingen ihm ihrer Meinung nach völlig ab. Noch nie hatte sie einen Mann getroffen, der so kalt und unnahbar war und dessen Nähe derart einschüchternd wirkte.

Wieder bereute sie bitter, sich bei Peter nicht eingehend über seine Finanzgeschäfte mit dem Prinzen erkundigt zu haben. Warum war ihr Bruder nicht selbst nach Kazban geflogen? Hatte er geahnt, wie ungehalten Zakour Al-Farisi reagieren würde?

„Wie ich bereits sagte, lässt sich mein Bruder entschuldigen“, versuchte sie erneut, den Prinzen versöhnlich zu stimmen. „Er hat viel zu tun, deshalb hat er mich gebeten, Ihnen die Lage zu erklären.“

Der Blick seiner dunklen Augen schien sie zu durchbohren, und Amys Puls jagte. Dieser Mann mochte ein Herz aus Stein haben, doch sein Gesicht war einfach faszinierend. Nicht nur das, alles an ihm entsprach ihrem Ideal eines Mannes, und seine Nähe erweckte in ihr eine ungeahnte Sehnsucht.

Sie senkte den Blick. Warum fantasierte sie, von ihm umarmt zu werden? Das war doch sonst nicht ihre Art. Bisher hatte sie stets von einer harmonischen Partnerschaft, von Heirat und Kindern geträumt, wozu selbstverständlich auch körperliche Liebe gehörte. Reiner Sex war für sie bisher unvorstellbar gewesen. Was hatte sich geändert?

Zakour Al-Farisi wirkte so erotisierend auf sie, dass sie sich selbst nicht mehr kannte. Sie blickte sich um. Wo steckte seine Frau, er musste doch eine haben! Eine? Als reicher arabischer Prinz besaß er wahrscheinlich einen ganzen Harem!

Bei der Vorstellung, selbst zu seinen Auserwählten zu gehören, schwindelte ihr. Es musste der Himmel auf Erden sein. Oder vielleicht auch nicht. Die Vorstellung, mit einem so arroganten und gefühlskalten Mann das Bett teilen zu müssen, hatte auch etwas Unheimliches an sich.

Trotzdem, aufregend war es bestimmt …

„Und wie lautet Ihre Erklärung, Miss Kingston? Bitte spannen Sie mich nicht länger auf die Folter.“ Seine sarkastische Bemerkung schreckte sie aus ihren sexuellen Fantasien, und sie seufzte. Für den Harem des Prinzen bestand bestimmt schon eine Warteliste, und ihre Chancen wären sowieso gering, da es ihr an den nötigen Voraussetzungen mangelte: Sie besaß keine Erfahrung in Sachen Sex.

Amy riss sich zusammen und besann sich auf ihre Argumente. „Die Investitionen verzinsen sich im Moment nicht gut“, führte sie aus und musste erschrocken feststellen, wie es in Prinz Zakours Augen wütend aufblitzte. „Das soll ich Ihnen ausrichten“, redete sie mutig weiter. „Mein Bruder ist der festen Überzeugung, dass sich die Lage innerhalb kürzester Zeit wieder stabilisieren wird, deshalb bittet er Sie um einen kleinen Aufschub.“

Zakour blieb unnachgiebig. „Den wird er nicht erhalten, Miss Kingston, das sagte ich bereits. Für einen Kuhhandel bin ich nicht der richtige Mann.“

Amy war seine unbeugsame Haltung unverständlich. „Aber Peter kann doch nichts dafür!“

„So? Hat er seine Entscheidungen nicht selbst getroffen?“

„Natürlich, aber …“

„Da er allein entschieden hat, trägt er auch die alleinige Verantwortung.“

Amys Hände bebten. Der eiskalten Logik des Prinzen war sie nicht gewachsen. Sie war mit dieser Auseinandersetzung eindeutig überfordert und hatte das Gefühl, geradewegs in eine Falle zu tappen. „Anlagen bergen immer ein hohes Risiko“, erwiderte sie und merkte selbst, wie banal das klang.

„Sie sind Fachfrau?“ Er zog die Brauen hoch.

„N… nein, natürlich nicht“, sagte sie kaum hörbar. „Ich … ich bin Vorschullehrerin. Peter hat mir jedoch erklärt, dass die Kurse zeitweise auch einmal fallen können. Es … wird alles wieder in Ordnung kommen. Er braucht wirklich nur etwas Zeit.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten, und ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in die Haut. „Einen Aufschub von zwei Monaten – das ist alles, worum ich Sie bitte!“

„Wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen? Zwei Monate sind lang, wenn man nichts zu essen hat – lang genug, um ganze Familien verhungern zu lassen.“

Ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Verhungern? Welche Familien? Es ging um Aktien, nicht um die Existenz von Menschen! Amy blickte sich in dem mit allem Luxus ausgestatteten Gemach um. Es sah nicht gerade so aus, als ob Zakour Al-Farisi trocken Brot essen müsste. Weshalb redete er dann so?

Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte sie ein letztes Mal, ihn zu überzeugen. „Ich weiß, wie ärgerlich es für Sie ist, doch Peter braucht nur eine kleine Frist. Er wird das Geld bestimmt zurückzahlen.“ Unerschrocken blickte sie ihm in die Augen.

„Ihre schwesterliche Liebe in allen Ehren, Miss Kingston, doch Ihre Ansicht kann ich leider nicht teilen. Allein schon Ihre Anwesenheit beweist, dass Ihr Bruder nicht daran denkt, seine Schulden zu begleichen. Warum sollte er sonst nicht persönlich mit mir verhandeln?“

Amy schluckte, denn das hatte sie sich auch schon gefragt. „Er … er ist sehr beschäftigt.“

„Natürlich. Menschen um ihr Hab und Gut zu bringen erfordert sicherlich viel Zeit.“

„Peter bringt niemanden um sein Hab und Gut!“ In ihrer Empörung vergaß Amy alle Schüchternheit. „Er braucht lediglich einen kurzen Zahlungsaufschub. Warum wollen Sie ihm den nicht gewähren? Was hat Peter Ihnen getan?“

„Allein diese Frage zeigt, dass Sie auch nicht besser sind als Ihr Bruder. Moral ist ein Fremdwort für Sie. Es macht Ihnen nichts aus, wenn Unschuldige für Ihre Fehlentscheidungen leiden müssen.“

Ungläubig schüttelte Amy den Kopf. Wie konnte der Prinz um eine relativ kleine Geldsumme solch ein Aufheben machen? Wie konnte ein so unvorstellbar reicher Mann nur so kleinlich sein! Es war sinnlos, weiter mit ihm zu argumentieren, denn taktisch war sie ihm eindeutig unterlegen. Außerdem war der Einfluss, den er auf ihr Gefühlsleben hatte, katastrophal, schon deshalb wollte sie den Palast möglichst schnell verlassen. Sie straffte sich.

„Also gut, dann fliege ich eben unverrichteter Dinge ab. Ich werde Peter Ihre Entscheidung mitteilen.“

Doch kaum hatte sie einen Schritt in Richtung Tür getan, als er ihr Handgelenk umfasste.

„Sie werden nicht zurückfliegen, Miss Kingston.“ Prinz Zakour lächelte grimmig. „Sie sind an Ihres Bruders Stelle erschienen, deshalb werde ich Sie an Ihres Bruders Stelle hier festhalten, bis die Schulden beglichen sind. Ich behalte Sie sozusagen als Pfand.“

Amy war wie vor den Kopf gestoßen, ungläubig blickte sie zu ihm auf.

„Sie bleiben hier, bis Ihr Bruder persönlich erscheint, um Sie auszulösen“, bekräftigte er seinen Entschluss.

„Sie wollen mich als Gefangene hierbehalten?“

„Sagen wir als Gast, das klingt besser. Auf alle Fälle werden Sie im Palast bleiben, solange mir der Sinn danach steht.“

Solange ihm der Sinn danach stand? Was meinte er damit?

Zwischen ihnen knisterte es vor Spannung, und Amy wurde heiß.

„Ihr Verhalten ist unerhört!“ Amy verschwendete keinen Gedanken an das Protokoll. „Ich werde mich an die Botschaft wenden … oder an den Konsul … oder …“ In Wahrheit hatte sie nicht den blassesten Schimmer, an wen sie sich hätte wenden können.

Emotionslos musterte Zakour sie von oben bis unten. „Sie haben die Gesetze unseres Landes gebrochen und bleiben hier, bis Ihr Bruder erscheint, um mir persönlich Rechenschaft abzulegen.“

Aufreizend langsam ließ er die Hand durch ihre blonden Locken gleiten.

„In der Zwischenzeit finden wir bestimmt ein Mittel, uns zur gegenseitigen Zufriedenheit die Langeweile zu vertreiben. Willkommen in Kazban, Miss Kingston.“

2. KAPITEL

Was für eine hervorragende Schauspielerin! dachte Zakour, als sich Amys Wangen röteten.

Plötzlich wirkte sie verschreckt und ängstlich wie ein scheues Reh. Doch er, Prinz Zakour von Kazban, hatte seine Lektion gelernt. Er wusste, wie überzeugend Frauen sich verstellen konnten, wenn sie ihre Interessen durchsetzen wollten. Hätte er diese schmerzlichen Erfahrungen nicht gemacht, würde er Amy Kingston jetzt bestimmt in die Arme nehmen, sie beruhigen und ihr den Rücken streicheln.

Doch sie war nach Kazban gekommen, um ihren Bruder der gerechten Strafe für sein ungeheuerliches Verbrechen zu entziehen. Sie war die Schwester eines Betrügers und bestimmt keinen Deut besser als er.

Zweifellos waren die züchtige Kleidung und ihr unschuldiges Auftreten Teil des Plans, Peter Kingstons Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Doch darauf würde er nicht hereinfallen. Er würde sie in seiner Gewalt behalten, um seine Verhandlungsposition zu stärken, und Miss Kingston die Gelegenheit geben, über die unbequemen Folgen von Geldgier und Rücksichtslosigkeit nachzudenken.

War es dieser Frau denn gleichgültig, wenn Tausende unschuldiger Bürger Kazbans ihre gesamten Ersparnisse verloren?

Sie hatte um zwei Monate Zahlungsaufschub gebeten, wo sie doch wissen musste, dass zwei Jahre nicht reichen würden, um die ungeheuerliche Summe zurückzuzahlen. Peter Kingston stand kurz vor dem Ruin und war in höchst zweifelhafte Spekulationen verwickelt, das hatten Nachforschungen eindeutig ergeben.

Wie konnte ein so unschuldig aussehendes Mädchen so raffgierig und gewissenlos sein?

Fasziniert betrachtete er ihre strahlenden Augen, die sinnlichen Lippen, ihre zarte Haut und den rosigen Teint. Unkontrolliertes Verlangen stieg in ihm auf, und er biss die Zähne zusammen. Irritiert stellte er fest, dass diese Mischung aus Vamp und Unschuldsengel ihn wie magisch anzog.

Obwohl er wusste, welch verdorbenen Charakter sie besaß, hätte er sie am liebsten entkleidet, über seinen Schreibtisch gelegt und sich an ihrer zarten Schönheit erfreut. Als sie ihn aus ihren großen blauen Augen bittend ansah, unterdrückte er einen Fluch und riss sich mit eiserner Willenskraft von ihr los. Wieder stellte er sich ans Fenster.

Er war sich ganz sicher, dass er auf Amy Kingston ebenso anziehend wirkte wie sie auf ihn. Beide hatten sie vom ersten Augenblick an ein erotisches Prickeln verspürt. Doch die sexuelle Anziehungskraft, so stark sie auch war, würde nichts an seinen Plänen ändern.

Obwohl sie wie die Unschuld in Person wirkte, würde er Amy Kingston nicht freilassen – mochte ihre Unterlippe noch so reizend beben, mochte sein Verlangen noch so stark sein.

„Sie können mich nicht gegen meinen Willen hierbehalten!“, protestierte sie. „Was haben Sie mit mir vor – mich in einem Turm einsperren?“

Herausfordernd hatte sie den Kopf zurückgelegt, dennoch versagte ihr fast die Stimme, was Zakour amüsierte.

„Wir leben nicht im Märchen, Miss Kingston. Als moderner Prinz stehen mir andere Mittel zur Verfügung. Sie werden mein Bett weitaus bequemer finden als eine vergitterte Turmzelle – und in Ketten werde ich Sie nur legen, wenn das Ihren Neigungen entspricht.“

Schockiert sah sie ihn an, und Zakour stellte bewundernd fest, wie sich ihre Wangen röteten und ihr Atem sich beschleunigte. Anscheinend zog sie alle Register, um in ihrer Rolle als jungfräuliche Unschuld glaubhaft zu wirken. Ob ihre Kunst ihr auch noch half, wenn sie ausgestreckt unter ihm lag?

„Das … das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ Die Entrüstung stand ihr wirklich gut. „Ich … Sie können doch nicht annehmen … Ich meine …“

„Ich kann mit Ihnen tun und lassen, was ich will, Miss Kingston, denn Sie befinden sich in meinem Land und damit in meiner Macht. Solange Ihr Bruder seine Schulden nicht beglichen hat, stelle ich die Bedingungen.“

Sie schüttelte den Kopf, und einige ihrer herrlichen blonden Locken fielen ihr in die Stirn.

„Das darf doch nicht wahr sein! Sie müssen mich gehen lassen!“

Zakour war immun gegen weibliche Tränen, und so konnte er Amy Kingstons bühnenreife Vorstellung durchaus genießen. Statt ihren Tränen freien Lauf zu lassen, kämpfte Amy dagegen an und bewahrte Haltung. So wirkte sie nicht schwach und weinerlich, sondern mutig und außerordentlich begehrenswert.

„Wenn Sie das glauben, machen Sie sich etwas vor, Miss Kingston. Sie hätten sich die Sache besser überlegen sollen, anstatt Ihrem Bruder voreilige Versprechungen zu geben. Ich lasse Sie erst gehen, wenn ich ihn an Ihrer Stelle habe.“

Zakour wandte ihr den Rücken zu und blickte aus dem Fenster, weil es ihm gegen seinen Willen zu Herzen ging, als ihr nun doch eine Träne über die Wange lief.

Frauen! dachte er und atmete tief durch, um diese unerwartete Reaktion auf ihr durchsichtiges Spiel im Keim zu ersticken.

„Aber was sind schon zwei Monate?“, beharrte sie. „Warum bauschen Sie die Sache so auf?“

Abrupt drehte er sich wieder zu ihr um. Dass sie jetzt versuchte, ihm, dem Geschädigten, die Schuld zuzuweisen, war unerhört! Mühsam seine Wut beherrschend, ging er langsam auf sie zu.

Er kam ihr so nah, dass er erkennen konnte, wie seidig und lang ihre dichten Wimpern waren, und er sah die kleine Ader, die sich bläulich unter der zarten Haut ihres Halses abzeichnete und aufgeregt pochte.

Er verachtete sich selbst, weil er erneut nach dieser Frau verlangte. Was hatte sie schon zu bieten außer einem schönen Körper?

„Ihr Bruder hat nach dem in Kazban geltenden Recht eine Straftat begangen!“, herrschte er sie an.

„Eine … Straftat? Was kann Peter dafür, wenn die Kurse sinken? Davon sind doch nicht nur Sie betroffen! Es handelt sich um das ganz normale Risiko, das jeder eingeht, der sein Geld in Aktien anlegt. Von einem Verbrechen kann überhaupt keine Rede sein.“

Zakour musterte sie angewidert. Warum gab sie nicht endlich zu, dass ihr Bruder ein Vermögen verspekuliert hatte – mit dem Auf und Ab der Börsenkurse hatte das nicht das Geringste zu tun. Peter Kingston besaß keinen Penny mehr, sogar sein Eigenheim hatte er bis an die Grenze mit Hypotheken belastet. Warum verschwieg sie diese Tatsachen? Bildete sie sich wirklich ein, ihn mit ihrem unschuldigen Getue hinters Licht führen zu können?

„Mein Bruder wird seinen Verpflichtungen in zwei Monaten in vollem Umfang nachkommen.“ Trotzig hob sie das Kinn. „Sie haben keinen Grund, mich hier festzuhalten.“

Amy atmete stoßweise, und unter dem dünnen Stoff ihres Kleides zeichneten sich ihre Brüste deutlich ab. Als sie ihn dann auch noch mit leicht geöffneten Lippen ansah, lächelte Zakour zufrieden. Diese Frau war mit ihren Gedanken bei den Freuden der Liebe und nicht bei Börsenkursen und Zahlungsfristen.

Amy Kingston mochte bestechlich sein, doch sie war die Versuchung in Person. Sie besaß eine erotische Ausstrahlung, der er sich nicht entziehen konnte. Er biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen sein Verlangen.

„Ich werde Sie hierbehalten, solange ich es für nötig erachte“, antwortete er, äußerlich völlig ruhig.

„Das geht nicht! Peter erwartet mich zu Hause.“

„Er weiß, wo Sie sind, und kann Sie jederzeit abholen – wenn er den Mut besitzt, sich in die Höhle des Löwen zu wagen.“

„Peter ist kein Feigling!“

Zakour verstand nicht, weshalb sie ihren Bruder derart leidenschaftlich verteidigte. „Sagen Sie, Miss Kingston“, fragte er höflich interessiert, „warum haben Sie diese Mission eigentlich übernommen?“

„Um Peter zu helfen, weil er momentan keine Zeit hat“, erwiderte sie spontan, errötete dann jedoch leicht und zögerte etwas. „Ehrlich gesagt habe ich mich auch auf ein kleines Abenteuer gefreut. Dass es als Katastrophe enden würde, wäre Peter und mir nicht im Traum eingefallen. Was bringt es Ihnen eigentlich, mich gefangen zu nehmen?“

Es war geradezu lächerlich, wie naiv sich diese Engländerin gab.

„Sie haben sich auf ein Abenteuer gefreut, Miss Kingston, und in diesem Punkt werde ich Sie nicht enttäuschen, das verspreche ich Ihnen. Doch der eigentliche Grund für meine Entscheidung ist ein anderer: Ihr Bruder hat eine Straftat begangen. Erscheint er nicht, um sich vor dem Richter zu verantworten, werden wir Ihnen als seiner Stellvertreterin den Prozess machen.“

„Prozess?“ Amy wurde blass. „Aber ich habe doch gar nichts verbrochen!“

„Sie haben sich als Repräsentantin Ihres Bruders ausgegeben. Damit sind Sie auch für die Verluste verantwortlich und nicht nur berechtigt, die Gewinne einzustreichen. Das nennt man Gerechtigkeit.“

„Das soll Gerechtigkeit sein?“ Ihr Haar wollte einfach nicht hinter den Ohren halten, und wieder strich sie sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. „Sie bezeichnen als Verbrechen, woran er keine Schuld hat, und wollen mich für Dinge haftbar machen, für die ich nicht verantwortlich bin! Sie …“

„Ich kann tun und lassen, was mir gefällt“, unterbrach er sie. „Wir sind hier in Kazban und nicht in England. Bei uns finden Diebe keine Gnade.“ Er verachtete sich dafür, weil er diese infame Lügnerin am liebsten auf der Stelle geküsst hätte – und nicht nur das …

„Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie reden!“ Verzweifelt sah sie ihn an. „Peter hat doch nichts gestohlen! In Aktien zu investieren ist immer ein Risiko, und in Ihrem Fall sind die Kurse leider gefallen.“

Zakour runzelte die Stirn. Wie konnte sie es wagen, ausgerechnet ihm Vorträge über Börsengeschäfte zu halten? Er hatte sein Studium der Wirtschaftswissenschaft an einer amerikanischen Eliteuniversität mit Auszeichnung abgeschlossen, in den letzten Jahren für seinen kranken Vater die Regierungsgeschäfte übernommen und Kazban zu immer größerem materiellem Wohlstand geführt. Es gab sehr wenig, das er über die Risiken von internationalen Wertpapieren nicht wusste.

Glaubten die Kingstons wirklich, er wäre ihnen nicht auf die Schliche gekommen? Er konnte nur raten, in welch dunklen Kanälen das Geld, das man Peter anvertraut hatte, verschwunden war – dass es jedoch niemals an der Börse angelegt worden war, wusste er genau.

Da er jedoch die Absicht hatte, Amy Kingstons Spiel noch ein Weilchen mitzumachen, behielt er sein Wissen für sich und tat so, als glaubte er ihr.

„Dann beten Sie, Miss Kingston, dass die Kurse wieder steigen und wir Ihren Bruder hier bald begrüßen dürfen. Andernfalls müssen Sie leider mit einem längeren Aufenthalt in Kazban rechnen.“

„Aber …“

„Ihre Audienz ist beendet“, unterbrach er sie. „Meine Zeit ist zu kostbar, um sie weiter an Sie zu verschwenden. Sie bleiben im Palast, bis Ihr Bruder kommt, das ist mein letztes Wort.“

Ich muss weg aus Kazban, dachte Amy.

Sie war gekommen, um Peter zu helfen und die Lage zu bereinigen, stattdessen hatte sie alles nur noch komplizierter gemacht.

Sie werden mein Bett weitaus bequemer finden als eine vergitterte Turmzelle …

Amy stockte der Atem, als sie an diese Worte des Prinzen dachte. Schnell stopfte sie die wenigen Dinge, die sie mitgebracht hatte, in ihre große Umhängetasche. Von Zakour Al-Farisi konnte sie keine Hilfe erwarten, ihr Geschick musste sie selbst in die Hand nehmen.

So umwerfend dieser Mann auch aussah, er hatte keinen Charakter. Als Prinz von Kazban schwamm er im Geld und war trotzdem nicht bereit, einem Geschäftspartner einen lächerlich kurzen Zahlungsaufschub zu gewähren! Wie konnte ein so sagenhaft reicher Scheich nur so kleinlich sein?

Materieller Wohlstand war Amy nie besonders wichtig gewesen. Für sie, die mit zwölf Jahren Waise geworden war, bestand das höchste Lebensglück in einer harmonischen Familie – einem liebevollen Ehemann und eigenen Kindern.

Diesen Traum werde ich verwirklichen, schwor sie sich, als sie die Tasche schloss. Und ihr Ehemann würde kameradschaftlich und nett sein, ein ganz anderer Mensch als Prinz Zakour, der seelenlos war wie eine Statue – wenn auch eine äußerst schöne – und nur an Geld dachte.

Als sie sich an die Audienz erinnerte, klopfte ihr Herz aufgeregt, und ihre Hände ruhten plötzlich untätig im Schoß. Wie sehr die Nähe des Prinzen sie körperlich erregt hatte! Er hatte Gefühle in ihr erweckt, wie noch kein Mann zuvor – Gefühle, von denen sie bisher nur in Büchern gelesen hatte und die ihr unheimlich waren, weil sie eine solche Macht besaßen.

Es hatte sie schockiert, wie eindeutig und gleichzeitig emotionslos Zakour sein sexuelles Interesse an ihr bekundet hatte. Sein kalter und doch leidenschaftlicher Blick hatte sie schwindeln lassen. Noch nie hatte jemand sie so angesehen – noch nie hatte sie sich so als Frau gefühlt.

Sie hob die Hand und legte sie an die Wange – hier hatte er sie berührt. Wie sehr hatte sie am ganzen Körper gebebt, als er ihr die Locke zurückstrich!

So flüchtig seine Zärtlichkeiten auch gewesen waren, er hatte Amy damit in seinen Bann gezogen. Doch wunderte sie das? Ein Mann mit seiner Erfahrung musste mit einer unberührten Frau wie ihr leichtes Spiel haben.

Amy setzte sich gerade hin. Ein Mann, der ihr aufgrund seines Charakters unsympathisch war, hatte sie sexuell erregt. Diese Erkenntnis war bitter. Bisher hatte sie sich körperliche Liebe nur in einer von gegenseitiger Achtung geprägten Partnerschaft vorstellen können, doch das war offensichtlich eine Illusion gewesen.

Gib zu, du begehrst diesen Mann, ging sie unbarmherzig mit sich zu Gericht, der Prinz ist zwar arrogant und hartherzig, aber ins Bett gehen würdest du mit ihm …

Verzweifelt schloss sie die Augen. Nein! Einem wie ihm würde sie ihre Unschuld nicht opfern. Sie, Amy Kingston, wollte mehr als Sex, auch wenn sie im Moment ihre Prinzipien am liebsten verraten hätte. Und sollte es noch so langweilig sein, für sie kam nur eine Beziehung infrage, die auf Respekt und Vertrauen basierte.

Entschlossen nahm sie die Tasche in die Hand. Zakour Al-Farisi mochte ein ungemein attraktiver Mann sein, aber das war auch schon alles. Er war rechthaberisch und eingebildet, und keine Minute länger würde sie in seinem Palast bleiben.

Eine unabhängige Frau wie sie ließ sich zu nichts zwingen!

Eigentlich ist es bis zum Flughafen gar nicht so weit, überlegte sie und fühlte sicherheitshalber noch einmal nach, ob ihr Pass auch tief genug in der Rocktasche steckte. Sie musste nur ein Taxi finden, das sie dorthin fuhr.

Das Problem, unbemerkt aus dem Palast zu fliehen, schien ihr viel größer.

Nachdenklich sah sie sich im Zimmer um. Als ihr Blick auf die dicken Kordeln fiel, mit denen die schweren, bestickten Gardinen zurückgehalten wurden, dachte sie sofort an die Seile in der Turnhalle ihrer Schule.

Der Raum, in den man sie geführt hatte, lag im zweiten Stock, also nicht allzu hoch.

Glücklicherweise war sie schon immer sehr sportlich.

„Miss Kingston hat den Palast verlassen, Königliche Hoheit.“

Zakour blickte vom Schreibtisch auf. Er hatte sich gerade mit den Ausgaben seiner Schwägerin beschäftigt und war nicht gerade bester Stimmung.

„Wie konnte das passieren?“

„Sie …“ Sharif räusperte sich verlegen. „Miss Kingston hat sich an der Außenwand des Palastes abgeseilt.“

Zakour legte den Stift beiseite. Hatte er eben noch darüber philosophiert, wie eine Frau Unsummen von Geld für absolute Nichtigkeiten ausgeben konnte, kehrten seine Gedanken nun schlagartig in die Gegenwart zurück. „Was hat sie getan?“

„Sie hat sich abgeseilt, Königliche Hoheit. Eine der Wachen hat beobachtet, wie sie ein Seil aus dem Fenster warf und daran hinunterkletterte. Sie war zu schnell und entwischte.“

„Ein Seil? Hat sie es etwa aus ihren Haaren geflochten?“

Sharif, der das Märchen nicht kannte, blickte verwirrt. „Sie hat die Kordeln der Gardinen aneinandergeknotet, Königliche Hoheit.“

„Was für eine Idee!“ Zakour lehnte sich in seinem Sessel zurück und lachte anerkennend, obwohl ihm ein Fehler unterlaufen war. Er hatte eine Frau unterschätzt, und das war ihm schon seit Jahren nicht mehr passiert.

Sosehr er jedoch ihren Mut und Einfallsreichtum bewunderte, für ihn war es der letzte Beweis, dass Amy Kingston nicht aufrichtig gewesen war. Nach dem Gespräch hatte sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannt und das Weite gesucht.

Was aber erhoffte sie sich von ihrer Flucht? Sie musste doch wissen, dass sie ohne seine Erlaubnis niemals aus dem Land kommen würde. Und wie wollte sie den Flughafen erreichen?

„Ich habe sie natürlich verfolgen lassen“, erklärte Sharif.

Zakour stand auf und ging zum nächsten Fenster. „Gut. Lassen wir sie laufen, und beobachten wir nur, was sie vorhat.“

„Aber Königliche Hoheit! Allein durch die Straßen Kazbans zu laufen ist doch für Miss Kingston viel zu gefährlich, sie …“

„Sie wird den Schreck ihres Lebens erfahren, da dürfen wir uns ganz sicher sein.“ Zakour lächelte spöttisch. „Zwei, drei Stunden allein auf den Straßen Kazbans, und sie wird froh sein, sich wieder unter meinen Schutz begeben zu dürfen.“ Die Vorstellung bereitete ihm Genugtuung.

Sharif dagegen war betroffen. „Für eine Frau, die so schön ist wie Miss Kingston, ist es gefährlich …“

„Diese Frau unterstützt Diebstahl und Korruption“, unterbrach Zakour ihn. „Es kann ihr nicht schaden, auch einmal die weniger schöne Seite Kazbans kennenzulernen.“ Vielleicht wäre ihr das eine Lehre.

„Aber sie lief Richtung Souk“, wandte Sharif zögernd ein. „Es wird bald dunkel, und für eine Europäerin ist es riskant …“

„Ganz meine Meinung, Sharif. Doch Amy Kingston ist kein unbeschriebenes Blatt, sie wird sich zu helfen wissen. Die Erfahrung wird ihr guttun und sie lehren, in Zukunft lieber im Palast zu bleiben.“

Immer noch beunruhigt, verbeugte sich Sharif. „Leider gibt es noch ein weiteres Problem, Königliche Hoheit. Die Nanny wird mit Jamal nicht fertig.“

Zakour schloss gequält die Augen. „Wie lange hat sie es schon ausgehalten?“

„Einen Monat, Königliche Hoheit – und damit länger als die letzten drei Kindermädchen. Es ist mir sehr unangenehm, Königliche Hoheit auch noch mit diesem Problem zu belasten, doch während der Abwesenheit Ihrer Schwägerin …“

Nichts ist so abstoßend wie eine Mutter, die um die Welt jettet und ihren Sohn wahllos irgendwelchen Bediensteten überlässt, dachte Zakour grimmig. Dennoch widerstrebte es ihm, seine Schwägerin in den Palast zurückzubeordern. Danielles Anwesenheit schuf Probleme, die das für ihn erträgliche Maß weit überstiegen.

Zakours fürsorgliche Liebe zu Jamal stand im Widerspruch zu seinem Wunsch, möglichst nichts mit Danielle zu tun zu haben. Nüchtern betrachtet sollte ich wirklich heiraten, überlegte er, dann müsste Danielle wenigstens in diesem Punkt kapitulieren.

„Wir müssen unbedingt eine Nanny finden, die mit Jamal fertig wird, Sharif. Doch solange das nicht geschehen ist, muss ich mich wohl selbst um ihn kümmern.“ Zakour seufzte und musterte seinen Diener eindringlich. „Aber das war noch nicht alles, was du auf dem Herzen hattest, oder?“

Sharif suchte nach Worten. „Seit dem tragischen Tod Ihres Bruders, Königliche Hoheit, sind nun bald fünf Jahre vergangen, und die Witwe …“ Er schluckte nervös. „Gewisse Bilder gelangten an die Öffentlichkeit und … Mit anderen Worten, der König befürchtet einen neuen Skandal. Königliche Hoheit wissen, wie sehr Ihr Vater eine Heirat zwischen Ihnen und Ihrer Schwägerin wünscht.“

Zakours Miene blieb ausdruckslos, nicht die kleinste Gefühlsregung war ihm anzumerken.

Unbestreitbar wurde es allmählich Zeit für ihn, sich eine Frau zu nehmen, doch nicht Danielle – jede andere Frau war ihr vorzuziehen. Allein der Gedanke daran, wie sie ihn …

Die Erinnerung, was für ein dummer Junge er damals gewesen war, berührte ihn peinlich. Er hatte Danielle nie richtig geliebt, das hatte er inzwischen erkannt. Davon ganz abgesehen, kam sie als Braut für ihn nicht infrage. Was sollte er mit einer Frau, die ihre eigenen Interessen über die ihres kleinen Kindes stellte? Auf keinen Fall würde er Danielle heiraten, er konnte jederzeit eine Bessere finden.

Die Pflicht, in absehbarer Zukunft eine Ehe eingehen zu müssen, lastete schwer auf ihm. Durch die Zwänge, die mit seiner Position verbunden waren, fühlte er sich oft eingeengt, auch wenn er sich nichts davon anmerken ließ …

„Ich werde mich um die Sache mit meiner Schwägerin kümmern“, sagte er langsam und bedeutete Sharif mit einem kleinen Wink, den Raum zu verlassen.

Wieder allein, lehnte Zakour sich zurück und dachte nach. Welche Taktik sollte er verfolgen?

Doch sosehr er sich auch bemühte, er konnte sich nicht konzentrieren, seine Gedanken kreisten einzig und allein um Amy Kingston. Er blätterte seine Unterlagen durch, aber die Zahlen verschwammen ihm vor den Augen und formten das Bild einer verführerischen Frau mit sinnlichen Lippen und goldblondem Haar.

Wahrscheinlich hatte sie sich nicht verhüllt, bevor sie geflohen war. Die Vorstellung, dass jeder Mann auf der Straße sie in ihrem figurbetonten Kleid und mit offenen Locken zu sehen bekam, störte ihn beträchtlich.

Er unterdrückte einen Fluch, stand auf und ging zum Fenster, um zum Himmel zu blicken. Sharif hatte recht, bald würde die Dunkelheit hereinbrechen, und Amy Kingston lief ohne Begleitung durch Kazban.

Kurz entschlossen griff er zum Telefon und gab mehrere Anordnungen. Dann verließ er sein Zimmer. Um seinen Neffen würde er sich später kümmern, denn sein vordringlichstes Problem hieß Amy Kingston.

Amy konnte es nicht fassen. Ihre Flucht aus dem Palast schien unbemerkt geblieben zu sein, denn sie wurde nicht verfolgt. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und ihre Handflächen waren feucht, denn noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Angst ausgestanden.

Doch alles war gut gegangen, und jetzt musste sie nur noch ein Taxi finden. Aber wie und wo?

Erst jetzt merkte sie, wie drückend heiß und staubig es außerhalb der Palastmauern war. Obwohl bereits Abend, brannte die Sonne immer noch unbarmherzig vom Himmel, und Amy hätte sonst etwas für einen Hut gegeben. Sie drückte ihre Tasche fest an sich und versuchte, möglichst schnell auf ihren unbequem hohen Absätzen vorwärts zu kommen.

Ihren Blazer konnte sie nicht ausziehen, obwohl sie vor Hitze fast umkam. Das Kleid reichte ihr zwar bis zu den Knöcheln, war jedoch ärmellos, und so freizügig konnte sie sich in einem strengen Land wie Kazban unmöglich sehen lassen. Bis sie im Flugzeug saß, musste sie es wohl oder übel in ihrer Jacke aushalten.

Sie ging durch den Souk und überlegte, welche Richtung sie einschlagen sollte. Für einen Moment lenkte das bunte Treiben sie von ihren Sorgen ab. In den engen Gassen duftete es herrlich nach Gewürzen und Essen, das offen zubereitet wurde, und die bunten Stoffe und traditionellen Gewänder, die überall angeboten wurden, erregten ihr Staunen.

Doch nirgends war ein Taxistand zu entdecken. Die Dunkelheit brach geradezu unheimlich schnell herein, und Amy verlor allmählich die Orientierung. Nur schwer fand sie ihren Weg zurück auf die Straße, die mittlerweile menschenleer war. Nach der lauten Geschäftigkeit des Souks empfand Amy die Stille als beklemmend, doch als plötzlich drei in lange Gewänder gekleidete Männer auf sie zukamen, geriet sie regelrecht in Panik.

Einer von ihnen redete sie in einer ihr unverständlichen Sprache an. Als sie nicht antwortete, kamen alle drei näher und bauten sich drohend vor ihr auf. Amy fasste ihre Tasche fester und war froh, dass sich keine wichtigen Sachen darin befanden.

Der Größte von den dreien sprach erneut und grinste dabei frech. Amy ließ sich ihre Angst nicht anmerken, hielt sich gerade und versuchte, an den Männern vorbeizugehen – doch sie ließen sie nicht durch. Sie schwatzten und lachten, und einer von ihnen streckte die Hand aus, griff nach ihren Locken und begutachtete sie, als wollte er prüfen, ob sie auch echt seien.

„Lassen Sie mich in Ruhe!“ Mit dem Mut der Verzweiflung stieß Amy ihn von sich und versuchte zurückzuweichen. Doch auch dieser Fluchtweg war ihr versperrt, denn die beiden anderen Männer hatten sich während des Gerangels hinter sie gestellt.

Amy wusste nicht, wie sie sich der drei erwehren sollte.

3. KAPITEL

Amy befand sich in höchster Gefahr. Hektisch blickte sie sich um, ob sie nicht doch noch eine Fluchtmöglichkeit fand.

Die Männer nutzten ihre Unschlüssigkeit, einer entwand ihr die Tasche, ein anderer riss ihr den Blazer vom Körper. Hilflos stand sie in ihrem dünnen Kleid und den hochhackigen Sandaletten auf der Straße. Im ersten Moment war sie wie gelähmt, doch schnell regten sich ihre Lebensgeister wieder. Sie war Gast in diesem fremden Land und durfte eine höfliche Behandlung erwarten!

„Ich bin Engländerin“, sagte sie laut und deutlich. „Bitte geben Sie mir mein Eigentum zurück!“

Als die Männer nur unverschämt grinsten, packte sie die Wut. Ohne lange zu überlegen, trat sie den Angreifer, der ihr die Tasche entrissen hatte, mit aller Kraft an seiner empfindlichsten Stelle. Er schrie auf und bog sich vor Schmerz. Absätze wie kleine Dolche haben also durchaus einen praktischen Nutzen, dachte Amy, griff beherzt nach ihrer Tasche und rannte, so schnell sie konnte, davon.

Doch ihr Triumph war nur von kurzer Dauer. Nach einer Schrecksekunde reagierten die beiden Begleiter ihres Opfers, folgten ihr und hielten sie am Kleid fest. Amy hörte noch den Stoff reißen, dann lag sie auch schon am Boden und fühlte einen brennenden Schmerz am Knöchel.

Sie biss die Zähne zusammen und richtete sich auf, um sich notfalls weiter zu verteidigen. Zu ihrem Schrecken musste sie jedoch erkennen, wie sich ein vierter Angreifer näherte. Er war größer und wirkte noch kräftiger als ihre bisherigen Peiniger. Genaues konnte sie nicht erkennen, denn bis auf die Augenpartie war seine ganze Gestalt unter dem lang wallenden, traditionellen Gewand verborgen.

Sie beobachtete, wie er unter den Falten des Überwurfs mit der Rechten zur Waffe griff. Amy hielt den Atem an. Für wen würde der Fremde Partei ergreifen?

Ohne die Waffe zu zücken, äußerte er einige kurze Sätze, und wie durch ein Wunder wichen ihre Angreifer sofort zurück, erst langsam, dann immer schneller, schließlich rannten sie, als wäre eine Heerschar von Verfolgern hinter ihnen her – Tasche und Blazer jedoch hatten sie mitgenommen.

Amy bebte am ganzen Körper. Mit beiden Händen hielt sie ihr zerrissenes Kleid zusammen und sah ihren Retter gebannt an.

Wortlos beugte er sich vor, hob sie auf die Arme und trug sie fort. Ohne auf ihren Protest zu achten, ging er weiter durch das Labyrinth von Straßen und Gassen, bis er in einer versteckten Türnische stehen blieb.

„Sind Sie verletzt?“, fragte er in einwandfreiem Englisch, und Amy spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten.

Das ist die Reaktion auf den Schock, sagte sie sich und kämpfte gegen das Verlangen, sich an der Schulter des Fremden auszuweinen. Erst jetzt wurde sie sich bewusst, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte.

„Mir geht es bestens, Sie können mich ruhig absetzen“, log sie tapfer. „Warum haben Sie mich hierhergebracht? Diese Gegend wirkt ja noch verlassener als die Straße zum Souk.“

„Sie haben genug Aufmerksamkeit erregt“, erwiderte er barsch, ließ sie jedoch erstaunlich sanft zu Boden gleiten.

„Sie bluten ja!“, rief er plötzlich aus.

Amy folgte seinem Blick und erkannte, weshalb ihr Bein so schmerzte: Quer über ihren Knöchel zog sich eine klaffende Wunde.

„Oh! Ich muss wohl auf eine Scherbe gefallen sein“, stellte sie erstaunt fest.

„Das kommt davon, wenn man in dieser Gegend ohne Begleitung herumläuft.“ Er schüttelte den Kopf über ihre Unvorsichtigkeit und kniete sich hin, um ihren Knöchel genauer zu untersuchen. „Kein Wunder, dass Sie sich verletzt haben“, meinte er. „Bei diesen Schuhen musste es ja dazu kommen.“

„Stimmt, doch leider sind es die einzigen, die ich mitgebracht habe. Ich dachte nicht, in Kazban um mein Leben laufen zu müssen. Au!“ Leise schrie sie auf, als er das Fußgelenk abtastete.

„Sie sollten dankbar dafür sein, dass Ihnen nichts Schlimmeres passiert ist, die Wunde braucht wahrscheinlich nicht genäht zu werden. Wenn Sie das nächste Mal ausreißen, legen Sie besser mehr Wert auf vernünftiges Schuhwerk.“

Überrascht runzelte Amy die Stirn. „Woher wissen Sie …“

Er riss ein Stück Stoff von seinem Gewand und bandagierte wortlos ihren Knöchel – dann blickte er zu ihr auf.

„Oh nein! Sie sind es!“

Er stand auf und verbeugte sich übertrieben tief. „Es würde meiner Eitelkeit schmeicheln, wenn Sie bei dieser Gelegenheit mit meiner Kleidung einverstanden wären, Miss Kingston.“

Amy konnte ihn nur sprachlos ansehen. Im Anzug sah Prinz Zakour schon gut aus, aber das traditionelle Gewand seiner Landsleute stand ihm um vieles besser. Wieso hatte sie ihn nicht gleich erkannt?

„Ich hätte Sie tatsächlich in einem Turm einsperren sollen“, bemerkte er und blickte sich prüfend um. „Das wäre für alle Beteiligten besser gewesen. Ist Ihnen eigentlich klar, was für einen Wirbel Sie verursacht haben, Miss Kingston, und wie viele Menschen Ihretwegen Unannehmlichkeiten hatten?“

Unwillig zog er die Brauen zusammen. „Eigentlich hätte ich im Palast eine wichtige Aufgabe zu erledigen gehabt, stattdessen musste ich mich mit Männern anlegen, auf deren Wohlwollen ich angewiesen bin, wenn ich in meinem Land für Frieden und Ordnung sorgen möchte.“

Amy legte den Kopf zurück. „Ich habe niemanden darum gebeten, mir zu folgen!“

Er sagte etwas auf Arabisch, das er nicht zu übersetzen brauchte. Amy wusste auch so, dass es kein Kompliment war.

„Wären wir Ihnen nicht gefolgt, Miss Kingston, wären Sie jetzt in der Gewalt der drei Männer, die ganz offensichtlich sehr interessiert an Ihnen waren. Nachdem Sie sich abgeseilt hatten, hatten die Palastwachen Sie nur kurz aus den Augen verloren. Das ist über zwei Stunden her, und seitdem durchkämmen wir die Straßen. Überall wurde von einer wunderschönen abendländischen Frau gesprochen, die Haar wie gesponnene Seide haben sollte.“

Er lächelte humorlos. „Es gibt Straßen in Kazban, die eine Europäerin ohne entsprechende Begleitung nicht betreten sollte. Für die Zukunft möchte ich Ihnen empfehlen, innerhalb der Palastmauern zu bleiben. Draußen lauern nur Gefahren auf Sie: Hitze, Staub und die Wüste mit feindlichen Stämmen …“

… und ein Prinz, dem ich verfallen bin, setzte Amy im Stillen hinzu. Zakour Al-Farisi war für sie das größte Sicherheitsrisiko überhaupt.

„Ich wollte einfach nur nach Hause“, sagte sie laut.

Gereizt sah er sie an. „Und wie weit glaubten Sie in diesem Aufzug zu kommen?“

Amy blickte an sich herab und erschrak. Die Knopfleiste ihres Kleides war zerrissen und gab mehr von ihrem Dekolleté frei, als ihr lieb war. Errötend raffte sie den Stoff mit beiden Händen über der Brust zusammen.

„Ob Sie es glauben oder nicht, ich hatte einen Blazer an!“, entgegnete sie wütend. „Doch die Männer haben ihn mir gestohlen – meine Tasche übrigens auch.“

„Und dann Ihre Locken!“ Der Prinz ließ sich nicht beirren. „Ihr blondes Haar offen auf die Schultern fallen zu lassen, das kommt einer Einladung gleich!“

Amy musste sich bemühen, damit ihre Stimme sich vor Empörung nicht überschlug. „Und wessen Schuld ist das? Wer hat mir denn die Spange entfernt und sie achtlos zu Boden geworfen? Und nur damit Sie es wissen: Ich wollte im Souk einen Hut kaufen, habe jedoch keinen gefunden.“

„Das glaube ich gern. Hüte sind für Touristen, und Sie waren in einem Teil des Souks, in dem nur Einheimische einkaufen.“ Er machte eine ungeduldige Handbewegung, hob jedoch abrupt den Kopf, als plötzlich laute Rufe erschallten.

Als Amy erschrocken aufschrie, legte er ihr die Hand über den Mund, schob sie in die Türnische und stellte sich schützend vor sie. „Still!“, warnte er sie leise.

Amy schloss die Augen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Prinz Zakour ihr nicht zu Hilfe gekommen wäre! Erst jetzt wurde ihr das Ausmaß der Gefahr, in die sie sich so leichtsinnig begeben hatte, richtig bewusst. Was für eine abwegige Vorstellung von ihr, sich in dieser orientalischen Stadt mit ihren verwirrenden Straßen und Gassen zurechtfinden zu können!

Doch das Denken fiel ihr immer schwerer, und ihr schwindelte. Erregend deutlich fühlte sie seine muskulösen Schenkel, als Prinz Zakour sie eng an sich zog, um sie in den Falten seines weiten Gewandes zu verstecken. Sie spürte seinen Atem und roch den Duft seines Körpers. Gefangen in der für sie bisher unbekannten Welt der Sinnlichkeit, schmiegte sie sich noch dichter an ihn.

Eine angenehme Mattigkeit ergriff sie, und unter dem Druck seiner Hand öffnete sie die Lippen. Das Verlangen, seine Haut zu schmecken, war unwiderstehlich – ohne sich darüber bewusst zu sein, küsste sie seine Finger.

Er hielt den Atem an, murmelte etwas Unverständliches und schob beide Hände in ihre ungebärdigen Locken. Willenlos ließ sie es geschehen, dass er ihren Kopf in die letzten schwachen Strahlen der untergehenden Sonne drehte, damit er ihr Gesicht besser betrachten konnte.

Amy sah Wut und Leidenschaft in seinen Augen, sah, wie sein Mund ihrem immer näherkam, und senkte die Lider. Rückhaltlos gab sie sich seinem stürmischen Kuss hin.

Erregung erfasste sie wie eine mächtige Welle und spülte sie fort. Amy legte ihm die Arme um den Nacken und genoss das erotische Spiel seiner Zunge. Zakour zog sie so eng an sich, als wollte er mit ihr verschmelzen, und deutlich spürte sie sein Verlangen.

Wie eine Ertrinkende versuchte sie, gegen ihr Schicksal anzukämpfen. Doch vergeblich. Der Strudel der Empfindungen, die der Kuss in ihr auslöste, war mächtiger und zog sie immer tiefer. Sie fühlte sich hilflos, schwach und mit der Situation völlig überfordert. Sie wusste nicht mehr, wo ihr Körper aufhörte und seiner begann – Zakour und sie umarmten sich, als könnte nichts sie je wieder trennen.

Abermals ertönte ein lauter Ruf, den beide nur wie durch dichten Nebel wahrnahmen und der sie dennoch schlagartig in die Wirklichkeit zurückholte. Zakour gab Amy frei, und sie taumelte einen Schritt zurück. Warum zeigte er ihr erst, wie unbeschreiblich schön eine Umarmung sein konnte, und ließ sie gleich darauf wieder los?

Ihre Sehnsucht bereitete ihr körperlichen Schmerz. Warum führte Zakour nicht zu Ende, was er begonnen hatte?

Bei näherem Überlegen war sie jedoch entsetzt über ihre mangelnde Selbstkontrolle. So hätte sie nicht auf den Prinzen reagieren dürfen! Wie konnte sie sich einem Mann an den Hals werfen, dessen Charakter sie verurteilte?

Warum hatte sie sich nicht schon viel eher gewehrt und ihn von sich gestoßen? So hatte er die Umarmung beendet und sie gedemütigt.

„Das hätte nicht passieren dürfen!“ Auch Zakour trat einen Schritt zurück. „In Kazban gilt es als unschicklich, Gefühle öffentlich zur Schau zu stellen.“

Amy überlegte, wen von beiden die Entgleisung wohl am tiefsten getroffen hatte. Ihn, weil er die Beherrschung verloren hatte, oder sie, weil sie hatte entdecken müssen, welch wilder Gefühle sie fähig war. Bisher war sie der Meinung gewesen, dass nichts so überbewertet wurde wie Sex. Die Küsse, die sie als Heranwachsende mit gleichaltrigen Jungen ausgetauscht hatte, hatte sie als langweilig empfunden und sich daher nie für eine leidenschaftliche Frau gehalten.

Sie hatte sich falsch eingeschätzt, das war schlimm genug. Doch dass gerade ein Mann, den sie verachtete, diese Selbsterkenntnis bewirkt hatte, war unerträglich.

„Wir sollten gehen, bevor die Situation noch weiter eskaliert“, erklärte er grimmig.

Welche Situation? Amy betrachtete sein schönes, stolzes Gesicht, als könnte sie dort die Antwort finden. Sprach er von der Bedrohung, die von den Banditen ausging, oder von der Gefahr, die sie für ihn verkörperte?

Doch die konnte so groß eigentlich nicht sein. Der Prinz war bestimmt schon seit frühester Jugend von den schönsten Frauen des Landes verwöhnt worden. Ein heimlicher Kuss in einer dunklen Mauernische würde sein Blut wohl kaum sonderlich in Wallung bringen.

„Wo sind die Palastwachen?“, fragte sie ängstlich.

„Wenn ich sie brauche, werden sie zur Stelle sein. Aber momentan benötige ich sie nicht, da ich imstande bin, mich selbst zu verteidigen – was man von Ihnen leider nicht behaupten kann.“

„Das stimmt nicht! Ich wäre durchaus in der Lage gewesen, mir allein zu helfen.“

„Und wie? Mit den Absätzen ihrer Schuhe? Oder hatten Sie Geheimwaffen in ihrer Tasche versteckt? Einen explodierenden Lippenstift zum Beispiel oder einen vergifteten Kamm?“

„Machen Sie sich bitte nicht lustig über mich!“ Zornig blickte sie ihn an.

„Das liegt mir fern. Ich versuche lediglich, Sie zur Einsicht zu bringen. Allein durch die Straßen Kazbans zu laufen ist lebensgefährlich für Sie. Die Männer waren zu allem entschlossen, glauben Sie mir. Aber jetzt schnell weg von hier.“

Er pfiff leise auf zwei Fingern, und im nächsten Moment kam ein Pferd im gestreckten Galopp auf sie zu. Der Rappe, der keinen Sattel, sondern nur eine Decke trug, kam genau vor Zakour zum Stehen, warf den Kopf zurück und stampfte ungeduldig mit den Hufen.

Amy hielt den Atem an, so schön war das Tier. Sie war schon immer eine passionierte Reiterin gewesen und besaß selbst zwei Pferde. Daher konnte sie den Wert dieses herrlichen Vollbluthengstes leicht ermessen.

Zakour griff nach den Zügeln. „Beeilen Sie sich!“, befahl er.

Als sie erkannte, dass er sie zum Palast bringen wollte, schüttelte sie nachdrücklich den Kopf und wich zurück in die Türnische. „Nein, ich komme nicht mit! Ich …“

Noch ehe sie den Satz beendete, hatte er sie hochgehoben, aufs Pferd gesetzt und war hinter ihr aufgesessen. Ein kurzes Kommando, und der Hengst galoppierte aus dem Stand los.

Zu jeder anderen Zeit wäre Amy von dem Pferd und dem Können seines Reiters begeistert gewesen, im Moment jedoch konnte sie nur an ihre missglückte Flucht denken. Eine zweite derart günstige Chance würde sich ihr wohl kaum bieten.

Amy griff in die Mähne des Hengstes, und Zakour hielt Amys Taille umfasst. Der Hengst war schnell wie der Wind, und Amy konnte nur hoffen, dass niemand sich ihm in den Weg stellte.

Statt den Haupteingang zu benutzen, ritt der Prinz um den Palast herum und preschte durch eine schmale Öffnung in der Schlossmauer. Die Wachen wichen zurück und ließen ihn passieren, was Amy wunderte, denn der Prinz war nicht anders gekleidet als jeder andere Mann in Kazban.

Auch im Innenhof zügelte Zakour sein Pferd nicht, sondern brachte es aus vollem Lauf zum Stehen. Sofort eilte eine Dienerschar herbei, doch Zakour saß ab und hob Amy selbst herunter.

Kaum hatte sie mit den Füßen den Boden berührt, schrie sie leise auf, so sehr schmerzte ihr Knöchel. Sie sank in sich zusammen, doch noch bevor sie fallen konnte, hatte Zakour sie aufgefangen und erteilte einige Befehle, die sie nicht verstand. Einige Diener eilten daraufhin auf den Palast zu. Die anderen betrachteten sie mit solch unverhohlener Neugier, dass Amy errötete und Zakour die Stirn runzelte.

„Sie brauchen mich nicht zu tragen“, sagte sie ihm leise.

„Möchten Sie wie ein Häufchen Elend mitten im Hof liegen bleiben?“, fragte er spöttisch. „Damit würden Sie meinen Männern noch mehr Gesprächsstoff liefern, als Sie es ohnehin schon getan haben.“

Amy biss sich auf die Lippe. „Ich möchte überhaupt nicht hierbleiben, ich möchte nach Hause.“

„Das steht leider nicht zur Debatte.“ Über die langen, mit Marmor gefliesten Korridore, die ihr nun schon vertraut erschienen, trug er sie zu dem Zimmer, in dem er sie am Morgen empfangen hatte. Behutsam legte er sie in die weichen Kissen eines flachen Diwans. „Der Arzt wird sich sofort um Sie kümmern.“

Sie versuchte sich aufzurichten. „Ein Arzt? Wozu?“

Ungeduldig blickte er auf sie nieder. „Um nach Ihrer Verletzung zu sehen, natürlich. Sie sollten dankbar sein, dass Sie mit einer kleinen Blessur davongekommen und jetzt in Sicherheit sind.“

Mit Schaudern stellte Amy sich vor, was alles hätte passieren können, und schloss kurz die Augen.

Lange hielt ihre gedrückte Stimmung allerdings nicht vor, und ihr Widerspruchsgeist regte sich erneut. „Ich fühle mich hier, ehrlich gesagt, nicht besonders gut beschützt.“

„Dann haben Sie einen gesunden Instinkt, Miss Kingston, denn vor mir sind Sie in der Tat nicht sicher.“ Er lächelte spöttisch. „Doch das, was Ihnen die drei Straßenräuber angetan hätten, wäre sicherlich sehr viel unangenehmer für Sie gewesen.“ Sein Lächeln schwand. „Sie und Ihr Bruder hätten sich doch ausrechnen können, dass ich Sie nicht einfach ungestraft gehen lasse.“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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