Julia Best of Band 232

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HAND IN HAND INS GLÜCK von LIZ FIELDING

Das normale Leben in London ist Prinz Alexander Orsino völlig fremd. Die junge Journalistin Laura besteht aber darauf, dass er es kennenlernt, bevor er Regent des Fürstentums Montorino wird. Sieben Tage und sieben Nächte der Leidenschaft sind ihnen vergönnt - bis Lauras Plan auffliegt …

1000 KÜSSE WÜNSCH ICH MIR von LIZ FIELDING

Mit seinen heißen Küssen entfacht der blendend aussehende James Fitzpatrick in Bronte lodernde Begierde. Fast vergisst sie, dass er sie für ihre Schwester hält. Doch diese ist verschwunden, deshalb musste Bronte in ihre Rolle schlüpfen. Wie mag das Verwirrspiel enden?

WO DAS GLÜCK AUF UNS WARTET von LIZ FIELDING

Der erfolgreiche Unternehmer Patrick Ravenscar traut seinen Augen kaum, als er im Garten seines Anwesens auf die süße Kay trifft. Sofort erwachen heiße Gefühle in ihm - doch denen darf er auf keinen Fall nachgeben, denn eins weiß er seit dem Tod seiner Frau: Liebe bedeutet Schmerz …


  • Erscheinungstag 23.10.2020
  • Bandnummer 232
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714741
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding

JULIA BEST OF BAND 232

1. KAPITEL

„Gefeuert? Was soll das heißen, du bist gefeuert?“

„Rausgeschmissen, entlassen, vor die Tür gesetzt. Freigestellt, mich nach alternativen Jobangeboten umzusehen.“

Schon wieder. „Ich weiß, was das Wort bedeutet, Laura. Meine Frage zielte nach dem Grund.“

„Der übliche Grund, Jay. Ich bin mit dieser hoffnungslosen Unfähigkeit gesegnet, mich auf die mir zugewiesene Aufgabe zu konzentrieren. Ich lasse mich zu leicht ablenken. Kurz gesagt, mein Exboss ist zu dem Schluss gelangt, dass ich eher eine Belastung als einen Gewinn darstelle.“ Laura Varndell hob ironisch ihr Weinglas. „Auf das Ende meiner Karriere, die heute mit der Realität kollidiert und sang- und klanglos untergegangen ist.“ Sie trank das Glas mit wenigen Schlucken aus. Allein die Tatsache, dass die Wohnung ihrer Großtante keinen offenen Kamin besaß, hinderte sie daran, es in einer dramatischen Geste hinter sich zu werfen.

Lauras Großtante Jenny, die von allen nur „Jay“ genannt wurde, schob ihr tröstend eine große Schüssel mit Pistazien hin. Dass Laura die Verlockung ignorierte, bewies, wie schlimm es um sie stand. „Also schön, was hast du diesmal gemacht?“ Jay Varndells Ton ließ ahnen, dass sie diese neuerliche Verfehlung keinesfalls begeisterte, nachdem sie mehr als einmal ihre Beziehungen hatte spielen lassen, um ihrer jungen Großnichte in dem gewählten Beruf auf die Beine zu helfen.

„Nichts“, antwortete Laura. Und genau das war der Grund gewesen, warum ihr Boss ihr die Tür gewiesen hatte. „Na ja, ‚nichts‘ stimmt so natürlich nicht. Ich habe schon etwas getan.“

„Nur nicht das, was du hättest machen sollen, richtig?“

„Nur das, was jeder mitfühlende Mensch an meiner Stelle getan hätte“, antwortete Laura gekränkt.

„Ich verstehe.“ Ihre Großtante seufzte und schenkte sich Wein nach, als könnte sie diese Stärkung brauchen. „Am besten, du erzählst mir alles von Anfang an.“

„Also, ich war zur Demonstration einer Senioreninitiative geschickt worden. Der Nachrichtenredakteur …“

„Trevor McCarthy? Den kannte ich schon, als er das Wort Redakteur noch nicht einmal buchstabieren konnte!“, warf Jay Varndell verächtlich ein.

Laura gönnte sich für einen Moment die Genugtuung, sich vorzustellen, wie der aufgeblasene Redakteur als blutjunger Anfänger bei der Zeitung von ihrer Tante genauso zusammengestaucht worden war wie sie, Laura, heute von ihm. Bevor er ihr die Tür gewiesen hatte. „Ja, schön, Trevor meinte also, mit einigen Grandpas und Grandmas könnte nicht einmal ich Probleme bekommen.“

„Mit anderen Worten, er ist noch genauso begriffsstutzig wie früher. Denn du ziehst Probleme wie ein Magnet an. Eines Tages wirst du dadurch auf die Story stoßen, die dich weltbekannt machen wird.“

„Nicht wenn ich keinen Job mehr habe. Und fairerweise muss man sagen, der Auftrag war wirklich einfach genug.“ Wie hatte Trevor es ausgedrückt? „Jedes Kind könnte das erledigen.“ Was ungefähr zeigte, wie viel er von ihr hielt. „Ich sollte ein paar zitierfähige Stellungnahmen einfangen und einige Fotos von den aufmüpfigen Oldies schießen … seine Worte, nicht meine“, fügte sie rasch hinzu, als ihr Lieblingsoldie ihr einen missbilligenden Blick zuwarf.

„Aber?“

„Ich war wirklich nicht auf Schwierigkeiten aus“, schickte Laura beschwörend voraus. „Im Gegenteil, ich sprach mit diesem reizenden Ehepaar und versuchte zu ergründen, warum die beiden alten Leutchen sich da draußen in einer Demo einreihten, anstatt zu Hause bei einer Tasse Tee und einem Milchbrötchen gemütlich vor dem Fernseher zu sitzen …“

„Haben die beiden dich mit ihrem Transparent verprügelt?“, erkundigte sich Jay Varndell trocken.

„Aber nein! Wir unterhielten uns sehr angeregt über die dümmlichen Vorurteile, die viele Menschen gegenüber alten Leuten hegen. Du betonst doch auch immer, dass du deinen Verstand nicht gegen den Rentenbescheid eintauschen willst.“ Laura lächelte liebevoll. „Wenn du nicht gerade durch einen Dschungel trampst oder deinen Wildwasserfluss hinunterpaddelst.“

„Aber?“ Ihre Großtante ließ sich nicht ablenken.

„Der alte Herr sackte plötzlich zusammen und fiel mir sozusagen vor die Füße. Das konnte ich doch nicht einfach ignorieren, oder?“

Ihre Großtante hielt sich mit ihrem Urteil sichtlich zurück. „Was verursachte diesen Schwächeanfall?“, fragte sie stattdessen vorsichtig.

„Nun, seine Frau war genauso wie ich überzeugt, dass es ein Herzanfall ist.“

„Aber es war keiner.“

„Na ja, der Arzt – es dauerte Stunden, bevor er schließlich zu einem Arzt kam – meinte, es sei vielleicht einfach nur zu viel Aufregung für ihn gewesen. Das konnten wir natürlich nicht wissen, und ich hätte die beiden mitten auf der Straße doch nicht allein lassen können, oder?“

Jay Varndell hatte als Fotojournalistin in vielen Krisengebieten gearbeitet und oft vor diesem Dilemma gestanden. Aber sie war Profi genug gewesen, nie zu vergessen, warum sie dort war. Sie hatte immer ihre Story bekommen. „Ich kann mir gut vorstellen“, sagte sie nach kurzem Zögern, „dass dich McCarthy an diesem Punkt deiner Geschichte gefragt hat, warum du nicht einfach einen Krankenwagen gerufen, einen Polizisten um Hilfe gebeten und dir dann einen anderen Interviewpartner gesucht hast.“

„Wie du es darstellst, klingt es ganz vernünftig.“

„Mag sein. Aber ich vermute, du musstest dich persönlich um die beiden kümmern?“

„Ehrlich gesagt, es herrschte ein ziemliches Durcheinander, und die Schlange in der Notfallstation war endlos. Das lag wohl an dem Unfall auf dieser Baustelle. Eine Wand war eingestürzt und …“ Tatsächlich hatte die Nachrichtenredaktion versucht, sie deswegen zu erreichen. Man hatte sie von der Seniorendemonstration abziehen und zu dem Unglücksort schicken wollen, doch sie hatte in dem Krankenhaus natürlich ihr Handy abgeschaltet und in der Hektik nicht daran gedacht, vorher in der Redaktion anzurufen. „Die alte Dame war völlig in Panik. Ich konnte sie nicht alleinlassen. Das verstehst du doch, oder?“

„Ja“, sagte Jay Varndell langsam. „Ich verstehe.“ Ihrem Ton nach zu schließen, hielt sie ihre Großnichte für eine Närrin. Aber für eine liebenswerte Närrin.

„Als sich endlich ein Arzt um den alten Mann gekümmert hatte und ich zu der Demo zurückkam, hatte ich einen Miniaufstand verpasst, verbunden mit der Verhaftung von zweiunddreißig Senioren wegen öffentlicher Ruhestörung.“

„Du hattest doch zumindest die anrührende Story über einen alten Mann, der vor Aufregung einen Schwächeanfall erlitten hatte“, warf Jay Varndell ein.

„Nun … nein, nicht wirklich.“

„Nicht? Du hast den beiden als Dank für deine Hilfe nicht wenigstens irgendeine herzzerreißende Geschichte entlockt?“

Laura zuckte hilflos die Schultern. „Wie sich herausstellte, ist ihr Sohn irgendein höheres Tier in der Stadtverwaltung. Er wäre ausgerastet, wenn er die Namen seiner Eltern in der Zeitung entdeckt hätte.“

„Du willst sagen, er ist ein aufgeblasener Wichtigtuer, dem es peinlich ist, dass seine Eltern noch eine eigene Meinung haben?“

„Mag sein … aber vielleicht kannst du ja nachvollziehen …?“ Laura wich dem gnadenlosen Blick ihrer Großtante aus. „Vielleicht auch nicht.“

„Du bist einfach zu gutmütig, Laura.“ Jay Varndell betrachtete sie kopfschüttelnd. „Und was hast du jetzt vor?“

Laura seufzte. „Ich weiß es nicht. Trevor meint, ich solle eine Karriere als Journalistin besser vergessen. Und wahrscheinlich hat er recht. Bisher habe ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Eine unverbesserliche, weichherzige Liberale wie ich sollte sich wahrscheinlich etwas suchen, was besser zu ihr passt. Trevor hat mir vorgeschlagen, es doch als Kindermädchen zu versuchen“, fügte sie zerknirscht hinzu.

„Mit anderen Worten, er hat den Vorfall noch nicht vergessen, wo dich die Frau einfach mit ihrem Baby hat stehen lassen“, meinte Jay Varndell trocken.

Laura schloss die Augen. „Ich bin ein hoffnungsloser Fall und werde wohl nie eine gute Journalistin werden.“

Jay Varndell schien eine Antwort auf der Zunge zu haben, besann sich aber anders. „Du bist noch sehr jung“, sagte sie stattdessen. „Und etwas weich.“

„Trevor hat es etwas deutlicher ausgedrückt, als er meinte, ich solle verschwinden und ihn erst dann wieder belästigen, wenn ich mit einer Titelstory aufwarten könne, mit der seine Zeitung nicht zum Gespött gemacht würde.“

„So hat er es formuliert?“ Jay Varndell beugte sich interessiert vor. „Das klingt mir nicht wie eine fristlose Kündigung.“

„Oh, meine Großtante ist eine enge Freundin des Mannes, dem die Zeitung gehört, deshalb hält er sich sicherheitshalber den Rücken frei. Aber uns ist doch beiden klar, dass sein Risiko in meinem Fall ziemlich gering ist.“

„Du brauchst nur die richtige Story.“

„Wie ich schon sagte, ich bin ein hoffnungsloser Fall.“

„He.“ Ihre Großtante umfasste sanft ihr Kinn und zwang sie aufzublicken. „Was ist mit deinem Traum passiert, eine große, leidenschaftliche Journalistin zu werden?“

Ja, seit sie denken konnte, war es ihr Traum gewesen, ihrer Großtante nachzueifern und ihren Namen unter Storys zu lesen, die die Welt bewegten. Doch jetzt schüttelte sie den Kopf. „Es ist höchste Zeit, der Wahrheit ins Auge zu sehen, Jay. Ich lasse mich immer wieder vom Eigentlichen ablenken. Heute hätte ich da sein und über die Menschen berichten müssen, die es leid sind, dass man ihnen nie zuhört. Ich hätte auf dieser Baustelle sein und kritische Fragen über die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften stellen müssen. Ich hätte …“

„Wenn dir das alles klar ist, dann war dieser Tag nicht völlig vergeudet. Es sei denn, du willst aufgeben und in Selbstmitleid versinken.“

Laura rang sich ein Lächeln ab. „Lass mir einen Moment Zeit, ja? Ich fange mich wieder.“

„Weißt du was, Mädchen? Du brauchst einfach einen richtigen Knüller. So etwas wie die Insiderstory über irgendeine berühmte Persönlichkeit.“

„Aber natürlich! Die schüttele ich leicht aus dem Handgelenk!“

„Von leicht war nie die Rede. Wenn du dich erinnerst, habe ich dir geraten, den Journalismus zu vergessen und dir lieber einen vernünftigen Beruf zu suchen.“

Laura verzog das Gesicht. „Mein Vater war Bergsteiger, meine Mutter eine Reiseautorin, und du hast viel Zeit deines Lebens in den Krisengebieten überall auf der Welt verbracht. Wie es aussieht, liegt die Fähigkeit zu einem vernünftigen Beruf nicht in meinen Genen.“

Ihre Großtante drückte ihr aufmunternd den Arm. Laura schluckte, rang sich aber erneut ein Lächeln ab. „Trotzdem verzichte ich doch lieber auf eine Enthüllungsstory über irgendeinen VIP. Das ist nicht mein Ding.“

„Du kannst es dir nicht leisten, wählerisch zu sein, Laura. Wichtig ist nur, bei deinem Boss Punkte zu sammeln. Falls du wirklich immer noch Journalistin werden möchtest …?“

Laura las im Blick ihrer Großtante die unausgesprochene Frage, ob jetzt nicht doch der Zeitpunkt gekommen wäre, aufzugeben und sich einen „vernünftigen“ Beruf zu suchen. „Natürlich will ich es immer noch werden!“, sagte sie entschieden. Schön, Klatschspaltenjournalismus war wirklich nicht ihr Ding, aber ihre Tante hatte recht: Sie konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein, wenn sie ihren Job zurückhaben wollte. „Eine Enthüllungsstory, also?“ Sie verzog das Gesicht. „Es müsste sich schon um einen völlig unsympathischen Menschen handeln, der nicht sofort wieder mein Mitgefühl und meine Beschützerinstinkte weckt.“

„Ja, das wäre hilfreich“, pflichte Jay Varndell ihr lächelnd bei. „Jemand mit Macht und Einfluss. Jemand, der nie Interviews gibt.“ Sie nahm ein Boulevardmagazin zur Hand, das vor ihr auf dem Tisch lag. „Jemand wie er.“

Laura betrachtete das Titelfoto. Es zeigte einen Mann im Abendanzug, offenbar hoch dekoriert, denn ein dunkelblaues Ordensband zierte seine sowieso schon eindrucksvolle Gestalt. „Wer ist das?“

„Seine Fürstliche Hoheit Prinz Alexander Michael George Orsino, Kronprinz von Montorino.“

Er mochte schätzungsweise Mitte dreißig sein. Dichte schwarze Locken und dunkle Brauen verliehen ihm etwas Verwegenes. Anscheinend war er groß … das Foto zeigte ihn bei der Ankunft zu irgendeiner Abendgala, und er überragte seine Begleiter deutlich. Nicht die Spur eines Lächelns. Stattdessen trug er einen derart arroganten, überheblichen Ausdruck zur Schau, dass nicht einmal Laura Sympathie für ihn aufbrachte. „Montorino? Ist das nicht eines dieser steinreichen, autokratischen Fürstentümer? Berge, Seen, romantische Landschaft und mittelalterliche Burgen?“

„Genau. Und er ist der Autokrat, der dort eines Tages herrschen wird. Also keine Gefahr, dass er Sympathien in dir wecken könnte.“

„Nein“, bekräftigte Laura. Auf dem Foto schritt er über den für ihn ausgelegten roten Teppich in der sicheren Gewissheit, dass er herrschen würde, wie sein Großvater gegenwärtig noch herrschte und seine Vorfahren schon tausend Jahre vor ihm geherrscht hatten. Absolut. Die dunklen Augen schienen sie aus dem Foto geradezu herausfordernd anzusehen. Laura jagte ein Schauer über den Rücken, und sie warf das Magazin auf den Tisch zurück. „Das ist doch sowieso alles Spinnerei, Jay. Ich werde niemals ein Interview mit einem Typen wie ihm bekommen.“ Glücklicherweise.

„Ach nein?“, erwiderte Jay Varndell betont harmlos. „Na ja, vielleicht hat Trevor ja doch recht. Es gibt sowieso schon zu viele Journalisten. Und ein gutes Kindermädchen verdient auch nicht schlecht.“

„Exzellenz …“

„Was ist, Karl?“

„Ich möchte Sie nicht beunruhigen, Sir, aber Ihre Fürstliche Hoheit, Prinzessin Katerina, ist anscheinend nicht in der Residenz.“

„Ich bin nicht beunruhigt, Karl. Ihre Fürstliche Hoheit schmollt, weil ich ihr die Erlaubnis verweigert habe, heute Abend mit irgendwelchen Klassenkameradinnen einen Club zu besuchen. Sicher hat sie sich versteckt, um uns Angst einzujagen. Sobald sich keiner mehr darum kümmert, wird sie wieder auftauchen“, antwortete der Kronprinz gleichmütig und wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu.

Doch es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Zwar war er wirklich nicht beunruhigt, aber durchaus besorgt. Mit siebzehn war Katerina noch zu jung, um zu heiraten oder irgendwelche Nachtclubs zu besuchen, andererseits jedoch schon zu erwachsen, um mit einer Strafpredigt ins Bett geschickt zu werden. Mit anderen Worten, sie war genau im richtigen Alter, um nichts als Schwierigkeiten zu machen.

Er hatte Verständnis. Schließlich war er auch einmal siebzehn gewesen, selbst wenn das schon eine Ewigkeit her zu sein schien. Aber er hatte seine Verantwortung akzeptiert, auch wenn er sich nicht danach gedrängt und sie nicht geliebt hatte, und seine Pflichten auf sich genommen. Wenn Katerina nicht lernte, ihren Aufgaben nachzukommen, blieb ihm keine andere Wahl, als sie nach Montorino zurückzuschicken, damit sie fernab der Verlockungen der Großstadt London lernte, was man von einer fürstlichen Prinzessin erwartete. Ihrer Mutter war es offensichtlich bislang nicht gelungen, ihr das beizubringen, doch er gab die Hoffnung nicht auf. So wie er gehofft hatte, seiner jungen Nichte eine kurze Zeit relativer Freiheit gönnen zu können. Aber wenn sie sich nicht angemessen verhielt …

Karl räusperte sich diskret. Er war lang genug in fürstlichen Diensten, um die Ungeduld des Prinzen nicht zu fürchten. „Wir haben die Residenz vom Keller bis zum Dachboden abgesucht, Sir. Prinzessin Katerina ist nirgendwo zu finden.“

„Weil sie nicht gefunden werden will, Karl.“ Das Haus war ein wahres Labyrinth, schon gar der riesige Dachboden. Ein schmollender Teenager mit etwas Grips konnte sich da oben eine ganze Woche erfolgreich verstecken. Es gab wirklich wichtigere Dinge. „Sie wäre nicht so dumm, die Residenz ohne ihren Bodyguard zu verlassen …“ Er bemerkte Karls zweifelnden Blick und fügte hinzu: „Und selbst wenn, hätte sie aus dem Haus nicht ungesehen verschwinden können, oder?“

„Nein, Sir“, antwortete Karl nach einem kaum merklichen Zögern.

Laura hatte unruhig geschlafen und war sehr früh aufgewacht, das Bild des Kronprinzen Alexander vor Augen. Sein herausfordernder Blick ging ihr nicht aus dem Kopf.

Sie ignorierte es. Schließlich hatte sie Wichtigeres zu tun, als ihre Zeit an jemand zu vergeuden, der die Welt von oben herab betrachtete. Da allerdings keine Arbeit mehr auf sie wartete, zog sie sich Sweatshirt und Jogginghose an und ging laufen. Danach duschte sie, machte Kaffee, aß dazu das Croissant, das sie sich in der Bäckerei auf dem Weg mitgenommen hatte, und überflog die Stellenanzeigen in der Zeitung.

Es war nichts dabei. Jedenfalls nichts für sie. Es war immer ihr Herzenswunsch gewesen, Journalistin zu werden. Etwas anderes kam nicht ernsthaft infrage.

Jay hatte recht. Sie, Laura, brauchte eine Story, die groß genug war, um Trevor zu überzeugen, es noch einmal mit ihr zu versuchen. Vielleicht eine Hintergrundstory zu diesem Baustellenunglück? Kurz entschlossen schaltete sie ihren Laptop ein und begann, im Internet über die beteiligte Baufirma zu recherchieren.

Aber das Bild Seiner Durchlaucht tauchte weiterhin penetrant vor ihr auf. Unverändert arrogant. Unverändert herausfordernd. Woran natürlich wieder ihre Tante schuld war, die darauf bestanden hatte, ihr das Magazin mitzugeben. Resigniert kramte Laura es jetzt unter ihrem Bett hervor und trug es in die Küche.

Dort goss sie sich eine frische Tasse Kaffee ein und betrachtete den Mann auf dem Titelblatt. Er blickte ihr immer noch entgegen, unbewegt und ungerührt. Und je länger sie ihn ansah, desto mehr reizte es sie, seine aristokratische Überheblichkeit zu untergraben. Diese Selbstsicherheit zu unterminieren. Ihn genauso aus der Ruhe zu bringen, wie er sie aus der Ruhe brachte.

Was hinderte sie daran?

Der Bauunternehmer, an dem sie dran war. Eine wirkliche Story. Ihre Recherche im Internet hatte nicht viel erbracht. Sie musste es im Archiv der Zeitung versuchen. Was möglicherweise Zeitverschwendung war, aber wenigstens ein Grund, die Jobsuche noch etwas aufzuschieben.

Doch auch im Archiv schweiften Lauras Gedanken immer wieder zu Prinz Alexander. Schließlich gab sie ihre Nachforschungen über den Bauunternehmer auf und tippte Montorino als Suchbegriff in den Archivcomputer ein.

Das Ergebnis war nicht sehr hilfreich. Zwar hatte die fürstliche Familie in der Vergangenheit ausreichend Stoff für die Klatschspalten der Zeitungen geliefert, und Prinz Alexander hatte zunächst auch Ansätze gezeigt, diesem Beispiel nachzueifern. Heutzutage aber war er das Musterbeispiel eines modernen Prinzen. Fleißig. Arbeitsam. Langweilig.

Fein, damit konnte sie, Laura, sich wieder auf wichtigere Dinge konzentrieren, richtig?

Falsch. Langweilig? Das kaufte sie ihm nicht ab. Dieses markante Gesicht gehörte nicht zu einem Langweiler.

Laura vertiefte ihre Nachforschungen und hatte am Ende des Tages ein beeindruckendes Dossier beisammen. Es enthielt die offizielle Version der Geschichte des Fürstenhauses von Montorino, den Familienstammbaum der Orsinos, der bis ins Mittelalter zurückreichte, und genügend Fotos für ein ganzes Familienalbum.

Eines dieser Fotos, das Alexander als kleinen Jungen verloren an der Hand seines Großvaters auf der Beerdigung seiner Eltern zeigte, berührte sie tief. Laura schluckte. Und notierte sich dann, dass Alexanders Mutter und sein Vater bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen waren, als der Junge sechs Jahre alt gewesen war. Damals war er in der Thronfolge an die erste Stelle gerückt, vor seinen Tanten und seiner älteren Schwester, weil Frauen in Montorino von der Thronfolge ausgeschlossen waren. Vermutlich hätten sie sich an den Europäischen Gerichtshof wenden und ihre Gleichberechtigung einklagen können, aber die Damen waren offenbar zu sehr damit beschäftigt, die Klatschspalten der Presse zu füllen.

Nicht so Alexander. Zumindest in den letzten acht Jahren gab es nur noch sehr offizielle, formelle Fotos von ihm, die nichts Privates preisgaben. Und die Artikel über ihn waren nicht besser. Sie lasen sich wie Werbepamphlete seiner Presseabteilung. Der unverheiratete Kronprinz, der seit der schweren Beipassoperation seines Großvaters de facto das Staatsoberhaupt von Montorino war, tat offensichtlich nichts anderes, als Krankenhäuser zu eröffnen, für wohltätige Zwecke zu werben und sich für das Wohl seines Landes einzusetzen. Wobei er es sicher ganz wörtlich meinte, wenn er von „seinem“ Land sprach.

In Montorino war nicht nur die Architektur mittelalterlich, was Laura als eingefleischte Demokratin unweigerlich aufbrachte. In einem Punkt hatte Jay recht gehabt: Trotz seiner faszinierenden Augen würde dieser Mann niemals ihre, Lauras, Sympathie gewinnen.

Umso besser. Sie würde kein Problem damit haben, seinen wunden Punkt aufzudecken … vorausgesetzt er besaß überhaupt so etwas. Und sie würde es ganz sicher genießen, ihn im einundzwanzigsten Jahrhundert willkommen zu heißen. Verdammt, es war buchstäblich ihre Pflicht!

Leider hatte sie jedoch noch keine Ahnung, wie sie es anstellen sollte. Selbst wenn sie zu den wenigen Journalisten gehört hätte, die das Privileg genossen, regelmäßig die gekrönten Häupter Europas interviewen zu dürfen, hätte es ihr nichts genutzt. Seine Hoheit gab keine Interviews. Man hörte nicht einmal Klatschgeschichten über ihn, jedenfalls keine neuen. Zwar war er Junggeselle, aber offensichtlich kein Playboy. Es war Jahre her, seit er zuletzt regelmäßig in Begleitung weiblicher Schönheiten in Kasinos gesichtet worden war und sich mit den Paparazzi angelegt hatte.

All das war mit einem Schlag zu Ende gewesen, als sein Großvater den schweren Herzanfall erlitten und Alexander die Geschäfte des Staatsoberhaupts übernommen hatte.

Oberflächlich betrachtet hatte es also den Anschein, dass es keine Story gab. Andererseits bekam man immer eine Story, wenn man wusste, wo man danach suchen musste. Prinz Alexander war schließlich auch nur ein Mensch mit Hoffnungen, Wünschen, Träumen … wie seine Untertanen. Und Laura konnte sich nicht vorstellen, dass er wie ein Mönch lebte. Diese faszinierenden Augen verrieten etwas anderes. Doch sosehr sie sich auch bemühte, mehr herauszufinden, sie stieß jedes Mal auf eine undurchdringliche Mauer des Schweigens. Es machte sie geradezu wütend, dass jemand, der derart in der Öffentlichkeit stand, es schaffte, sein Privatleben geheim zu halten.

Anstatt weiterzukommen, hatten ihre Nachforschungen nur neue Fragen aufgeworfen. Ihre Neugier war geweckt.

Was wünschte sich ein Mann, der bereits alles hatte? Welche Rolle spielte die Liebe in seinem Leben? War es nicht seltsam, dass er, der seine Pflichten doch offensichtlich so ernst nahm, in diesem einen Punkt noch nicht die Erwartungen erfüllt und eine geeignete Frau adeliger Abstammung geheiratet hatte, um die Thronfolge zu sichern? Oder hatte er noch niemanden gefunden, der so perfekt war wie er?

Schließlich war es dieses scheinbare Fehlen einer interessanten Geschichte, das Laura reizte, sich ernsthaft reinzuhängen. Und natürlich das Wissen, dass es für jede Zeitung der Knüller sein würde, wenn es jemandem gelang, die glatte Fassade dieses Musterprinzen zu durchdringen. Damit würde sie zum Liebling des Redakteurs aufsteigen. Alle Fehler der Vergangenheit würden vergeben und vergessen sein.

Es musste eine Fassade sein, oder? Kein Mensch konnte so perfekt sein! Sie, Laura, hatte einen Bock nach dem anderen geschossen und damit ihre Karriere als Journalistin aufs Spiel gesetzt. Sie hatte nur noch diese eine Chance, sich zu rehabilitieren. Sie schuldete es Jay, die immer wieder ihre Beziehungen für sie hatte spielen lassen.

Der Blick seiner faszinierenden Augen auf diesem Foto schien sie herauszufordern. Was natürlich Unsinn war. Prinz Alexander kannte sie gar nicht und war letztendlich unangreifbar für sie.

Unsinn oder nicht, an diesem Abend stand Laura vor der offiziellen Londoner Residenz des Prinzen, blickte zu den hohen, hell erleuchteten Fenstern im ersten Stock des imposanten Gebäudes hoch und fragte sich, was er da oben wohl gerade tue.

Wurde er vielleicht seinem Bild in der Öffentlichkeit gerecht und arbeitete noch spät an wichtigen Staatsgeschäften? Oder legte er einfach nach dem anstrengenden Arbeitstag eines autokratischen Herrschers die Beine hoch und entspannte sich bei einer Sportübertragung im Fernsehen?

Besser noch … für ihre, Lauras, Karriere … wäre es natürlich, wenn er höchst diskret irgendeine schöne junge Frau bei sich empfing. Eine fürstliche Romanze war immer eine begehrte Neuigkeit. Wenn sie mit der Story herauskam, würde sie über Nacht in der Presse zur Heldin werden.

Allerdings war es nicht sehr wahrscheinlich, dass eine Mätresse einfach durch den Haupteingang der Residenz spazierte. Viel eher würde sie abseits neugieriger Blicke über die einsamen Alleen auf der Rückseite der Residenz vorfahren.

Laura überquerte die Straße. Sollte ein Wachmann sie überraschen, würde sie vorgeben, ihre entlaufene Katze zu suchen. Noch etwas unschlüssig blieb sie an einem schmalen Weg stehen, als plötzlich nicht weit von ihr entfernt etwas zu Boden fiel.

Eine kleine Tasche. Laura blickte hoch. Etwas Dunkles bewegte sich über das helle Mauerwerk des Gebäudes. Nicht etwas … jemand. Eine dunkle Gestalt. Es war wohl kaum die Geliebte des Prinzen, die da hinunterkletterte! Zweifellos ein Einbrecher, der sich gewiss mit Schmuck oder wichtigen Staatspapieren davonmachte. Ohne zu überlegen, sprang Laura vor und riss die schattenhafte Gestalt von den Füßen, als diese den Boden berührten.

Gemeinsam stürzten sie aufs Straßenpflaster. Laura brachte im ersten Moment keinen Laut heraus, aber der „Einbrecher“ machte Lärm für zwei. Und seine hellen, ängstlichen Schreie verrieten, dass es kein gewöhnlicher Dieb war.

Es war ein Mädchen, zierlich und noch sehr jung. Und als die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos sein Gesicht erhellten, stellte Laura fest, dass es sich auch nicht um irgendein gewöhnliches Mädchen handelte. Laura hatte dieses Gesicht bei ihren Recherchen über Prinz Alexander gesehen. Es war seine Nichte, die jüngste Tochter seiner Schwester … Prinzessin Katerina Victoria Elizabeth.

„Ach du liebe Güte“, sagte sie verblüfft.

Die junge Prinzessin war nicht so zurückhaltend und machte ihren Gefühlen mit einigen Kraftausdrücken Luft. „Ich nehme an, Sie sind einer von Alexanders Wachhunden?“, fragte sie daraufhin.

„Oh, Sie meinen Seine Fürstliche Durchlaucht …? Nun ja, ich …“

„Es würde mich nicht wundern, wenn er Ihnen dafür den Verdienstorden verleiht. Zweiter Klasse.“

Laura verkniff sich die Frage, in wie vielen Klassen der Verdienstorden wohl zu haben war, und stellte sich stattdessen dumm. „Wie bitte?“

„Aus Dankbarkeit dafür, dass Sie mir den Knöchel gebrochen haben.“ Prinzessin Katerina stöhnte. „Denn damit steht fest, dass ich so etwas so bald nicht wieder versuchen werde.“

„Sie haben sich den Knöchel gebrochen?“

„Nein.“ Die Prinzessin stöhnte noch lauter. „Das haben Sie getan … als Sie mich platt gewalzt haben.“

„Das tut mir wirklich leid. Aber ich habe Sie für einen Einbrecher gehalten.“ Laura rappelte sich auf und blickte genauer hin. Prinzessin Katerina trug ziemlich schwere, halbhohe Schnürstiefel, die ihren verletzten Knöchel gut stützten, aber eine nähere Untersuchung zunächst einmal unmöglich machten. „Sind Sie sicher, dass er gebrochen ist? Welcher ist es denn?“

„Ist das so wichtig?“, gab die Prinzessin zurück. „Der rechte, okay? Und natürlich bin ich mir sicher. Ich habe gespürt, wie er knackte.“ Sie versuchte, sich aufzusetzen, sank aber mit einem Aufschrei zurück.

Laura wurde es ganz elend zumute. „Können Sie aufstehen? Sie sollten wirklich so schnell wie möglich ins Haus zurück …“

„Ich kann natürlich nicht aufstehen!“, beharrte die Prinzessin empört.

„Und wenn ich Ihnen helfe und Sie stütze?“

„Meinen Sie nicht, dass Sie schon genug Schaden angerichtet haben? Holen Sie einfach Hilfe, ja?“

Laura seufzte. Warum musste ihr ständig so etwas passieren? Resigniert kramte sie ihr Handy aus der Tasche. „Ich rufe einen Krankenwagen.“

„Nein!“ Prinzessin Katerina hob den Kopf. „Klingeln Sie am Eingang der Residenz, und fragen Sie nach Karl. Sagen Sie ihm, Katie habe Sie geschickt. Und sagen Sie niemandem sonst, was passiert ist.“

Laura zog ihre Jacke aus, faltete sie zusammen und legte sie dem Mädchen unter den Kopf. „Ich lasse Sie nur ungern hier allein.“

„Keine Sorge. Vertrauen Sie mir. Ich laufe Ihnen schon nicht weg.“

„Natürlich nicht, aber …“ Laura verstummte, als die Prinzessin laut aufstöhnte. „Schon gut. Ich beeile mich.“

Prinzessin Katerina fasste ihre Hand. „Bringen Sie nur Karl, niemanden sonst“, flüsterte sie mit schmerzverzerrter Miene. „Er kennt mich seit meiner Geburt, und ich kann ihn sicher überreden, meinem Onkel zu sagen, ich sei die Treppe hinuntergefallen.“ Sie blickte Laura beschwörend an. „Ich hätte heute Abend eigentlich nicht ausgehen dürfen, wissen Sie.“

Eine Nachricht, die Laura nicht wirklich überraschte. Wenn der Ausflug der Prinzessin erlaubt gewesen wäre, hätte sie die Residenz sicher auf einem bequemeren Weg und in Begleitung eines Bodyguards verlassen. Da sie, Laura, jedoch nicht vorhatte, Seiner Durchlaucht zu beichten, dass sie seiner Nichte den Knöchel gebrochen hatte, kam sie dem Wunsch des Mädchens bereitwillig nach. „Ich werde Karl holen“, versicherte sie und lächelte plötzlich. „Aber nur, wenn Sie mir versprechen, auch niemandem die Wahrheit zu sagen. Denn ich habe keine Lust, wegen Körperverletzung verklagt zu werden.“

„Abgemacht.“ Prinzessin Katerina lachte, stöhnte jedoch im nächsten Moment wieder auf. „Bitte … gehen Sie.“

Laura blickte sich um. Niemand war zu sehen. Sicher konnte sie es wagen, die Prinzessin für wenige Minuten allein zu lassen. „Ich bin gleich zurück“, versicherte sie. Die Prinzessin stöhnte nur, und Laura eilte um die Ecke zu dem gewaltigen Hauptportal der Residenz. Dort klingelte sie Sturm, bis die Tür von einem Lakaien geöffnet wurde.

Ein Lakai!

„Ja, Miss?“ Er blickte sie in einer herablassenden Weise an, die er sich von Seiner Durchlaucht abgeschaut haben musste.

„Könnte ich Karl sprechen?“, fragte Laura höflich und kam sich plötzlich schrecklich dumm vor. Sie wusste ja nicht einmal, wer dieser Karl war! Warum hatte sie sich bei der Prinzessin nicht genauer erkundigt? Trevor hatte recht, sie würde nie eine richtige Journalistin werden.

„Wen soll ich melden?“, erkundigte sich der Lakai ungerührt.

„Das tut nichts zur Sache. Holen Sie ihn einfach, ja? Es ist wirklich dringend“, fügte sie beschwörend hinzu, als er sie unbewegt musterte und keine Anstalten machte, ihrem Wunsch zu folgen. „Sagen Sie ihm, Katie schickt mich.“

Das waren offensichtlich die Zauberworte. Zwar blieb die Miene des Lakaien unverändert herablassend, doch er öffnete sofort die Tür und wich zur Seite, um Laura hereinzulassen.

„Folgen Sie mir.“ Es klang wie ein Befehl. Laura konnte ihr Glück kaum fassen, tatsächlich Zutritt zu der fürstlichen Residenz in London zu erhalten … wenngleich nur bis zur Portierloge. Denn der Lakai trat ihr sofort gnadenlos in den Weg. „Warten Sie hier.“

In ihrer Sorge um die Prinzessin hatte Laura kaum einen Blick für die Eleganz des schwarz-weißen Marmorbodens und des mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Treppenhauses der riesigen Empfangshalle, wie sie sich jenseits der Türen auftat, durch die der Lakai nun verschwand. Schön, so weit war sie also gekommen. Eigentlich musste sie sich gratulieren, dass sie es in weniger als vierundzwanzig Stunden geschafft hatte, immerhin in die Privatresidenz dieses so verschlossenen Fürstensohnes vorzudringen, und möglicherweise sogar eine Verbündete in seinem Haushalt besaß.

Sie hatte kaum dreißig Sekunden gewartet, als die Tür wieder aufflog. Doch Laura sah sich keineswegs irgendeinem alten Familienfaktotum gegenüber, sondern genau dem Mann, dessen Bild sie während der letzten vierundzwanzig Stunden nicht losgelassen hatte. Der Grund, warum sie sich überhaupt vor der Residenz herumgetrieben hatte.

Auch ohne Fliege, Frack und Ordensband vermittelte er den Eindruck eines Mannes, der es gewohnt war zu herrschen. Eine Leinenhose, ein Hemd mit offenem Kragen und ein Kaschmirpullover waren für ihn sicher eine „zwanglose Bekleidung“. Dessen ungeachtet strahlte er jedoch eine derart zwingende Autorität aus, dass Laura sich inständig wünschte, sie wäre ihrer ersten Eingebung gefolgt und hätte einfach einen Krankenwagen gerufen.

„Wo ist Prinzessin Katerina?“

Jeder normale Mensch hätte gefragt: „Wo ist meine Nichte?“ Oder: „Wo ist Katie?“ Aber ein fürstlicher Prinz wahrte eben immer die Form. Laura hatte tiefstes Mitgefühl für die Prinzessin und konnte gut verstehen, warum sie gehofft hatte, ihre kleine Eskapade vor ihrem Onkel geheim zu halten. Eine Hoffnung, die sich nun zerschlagen hatte. Der Lakai hatte seine Pflicht getan, und die Prinzessin brauchte jetzt vor allem so schnell wie möglich medizinische Versorgung.

„Sie ist draußen“, antwortete Laura deshalb ehrlich. „Ich fürchte, sie hat sich den Knöchel gebrochen.“

„Ich verstehe.“ Der Mann war wirklich ein Eisberg. „Führen Sie mich hin“, sagte er seelenruhig und ohne die Miene zu verziehen.

Der Lakai hielt ihnen die Tür auf, und Laura blieb nichts anderes übrig, als vorauszugehen und Prinz Alexander den Weg zu zeigen. Insgeheim bat sie Katie um Verzeihung. Damit hatte sich das mit der Verbündeten in der fürstlichen Residenz wohl erledigt.

„Sie liegt da vorne links …“

Nur, da lag niemand. Der gepflasterte Weg war menschenleer. Prinzessin Katie war verschwunden … zusammen mit Lauras Lieblingsjacke.

2. KAPITEL

Laura blieb wie angewurzelt stehen und blickte sich verwirrt um. „Sie war hier. Ich habe sie genau hier zurückgelassen“, wiederholte sie fassungslos und deutete auf das Kopfsteinpflaster zu ihren Füßen.

„Mit einem gebrochenen Knöchel?“ Prinz Alexander klang nicht sehr überzeugt. Er spähte das Regenrohr empor. „Wo ist sie gefallen?“, fragte er ohne Umschweife, was bewies, wie gut er seine Nichte offensichtlich kannte.

„Nun, sie ist eigentlich nicht gefallen“, erwiderte Laura unbedacht, bevor sie sich besann. Es lag nicht in ihrem Interesse, im Detail zu erörtern, was … oder wer … die Verletzung verursacht hatte. Im Moment gab es auch wirklich Wichtigeres. Was war mit der Prinzessin geschehen? Noch vor zwei Minuten hatte sie genau an dieser Stelle gelegen, unfähig, sich zu rühren, geschweige denn, ins Haus zu humpeln … und nun hatte sie sich anscheinend in Luft aufgelöst. „Sie lag genau hier“, wiederholte Laura. „Ich hatte ihr den Kopf auf meine Jacke gebettet und …“

„Eine Jacke ist auch nirgendwo zu sehen“, fiel Prinz Alexander ihr ins Wort.

„Genau das wollte ich sagen!“ Laura kam ein schrecklicher Gedanke. „Oh nein!“ Entsetzt blickte sie den Kronprinzen an. „Sie ist entführt worden! Und es ist meine Schuld!“

„Das bezweifele ich“, widersprach Prinz Alexander ungerührt.

Hatte er denn nicht begriffen, was sie ihm zu verstehen gab? Es hatte keinen Sinn. Sie musste ihm alles erzählen. „Schauen Sie, ich habe beobachtet, wie sie am Regenrohr heruntergeklettert ist, und sie für einen Einbrecher gehalten. Deshalb bin ich auf sie zugestürzt und habe sie zu Boden gerissen.“ Jetzt hatte sie Prinz Alexanders Aufmerksamkeit. Kaum merklich zog er die dunklen Brauen hoch. Laura wurde sich plötzlich bewusst, wie fragwürdig ihre Geschichte klang, aber nun gab es kein Zurück mehr. „Dabei hat sie sich den Knöchel gebrochen“, vollendete sie ihr Geständnis. „Wie ich schon sagte, es ist meine Schuld. Ich wollte sie nicht allein lassen, aber …“

„Aber sie hat darauf bestanden?“, fiel Prinz Alexander ihr erneut ins Wort und fügte hinzu: „Ich habe im Übrigen nicht Ihre Unschuld bei dieser Angelegenheit, sondern Ihre Schlussfolgerung angezweifelt.“

Wie bitte? Laura sah ihn entgeistert an. „Hören Sie, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Prinzessin Katerina sagte mir, sie habe keine Erlaubnis auszugehen. Sie sind jetzt also sicher sehr wütend auf Ihre Nichte, aber unter den gegebenen Umständen ist das doch wohl nicht so wichtig. Immerhin ist sie verschwunden, und Sie müssen etwas unternehmen. Sofort!“

„Verzeihung, Miss …?“ Er verstummte fragend.

„Varndell“, antwortete sie rasch. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieser Mann erst in die Gänge kommen würde, wenn der Förmlichkeiten Genüge getan war. „Laura Varndell. Aber dies ist wirklich nicht der Zeitpunkt für …“

„Alexander Orsino.“ Er reichte ihr die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Das war nun wirklich der Gipfel! „Wir sind doch nicht auf einer Cocktailparty!“, protestierte sie wütend und ignorierte die dargebotene Rechte. „Außerdem weiß ich natürlich, wer Sie sind. Aber ich möchte endlich wissen, was Sie unternehmen werden, um Ihre Nichte zu finden!“

„Nichts, solange ich hier draußen stehe“, erwiderte er kühl. „Wenn Sie mich ins Haus begleiten würden …?“

Dieser Mann war wirklich eiskalt! „Ich will aber nicht ins Haus!“ War sie völlig von Sinnen? Hatte sie nicht eben noch auf der Straße vor der Residenz gestanden und sich den Kopf zerbrochen, wie sie es schaffen könnte, hineingebeten zu werden? Ihre berufliche Karriere hing davon ab … möglicherweise. Doch im Moment war Prinzessin Katerinas Verschwinden wichtiger. „Rufen Sie die Polizei … sofort!“

„Meinen Sie rufen im wörtlichen Sinn … oder wie soll ich das hier draußen tun?“, erkundigte sich Seine Hoheit gelassen.

„Oh! Tut mir leid“, flüsterte Laura verlegen. Sie musste wider Willen lachen. „Anscheinend kann ich nicht mehr klar denken. Ich … bin solche Sachen nicht gewöhnt.“

„Sie haben einen Schock, Miss Varndell, wofür sich meine Nichte zu gegebener Zeit bei Ihnen entschuldigen wird. Inzwischen schlage ich vor, dass Sie wirklich einen Moment ins Haus kommen, um sich zu erholen.“

Es war verrückt. Die Nichte dieses Mannes war gekidnappt worden, und seine einzige Sorge war es, dass eine ihm völlig Fremde einen kleinen Schock erlitten haben könnte. Doch warum sollte sie sich beklagen? Sie bekam, was sie wollte: Prinz Alexander Michael George Orsino lud sie in seine Residenz ein und servierte ihr damit die Insiderstory, mit der sie sich bei Trevor McCarthy rehabilitieren konnte, auf einem Silbertablett. Ihr blieb jetzt nur, sich artig zu bedanken und sich von Seiner Durchlaucht in die Residenz geleiten zu lassen, um ihre Recherchen in aller Ruhe weiterzuführen.

„Danke“, sagte sie so artig, wie es ihr möglich war, wenn auch ein wenig atemlos. „Mir zittern tatsächlich etwas die Knie.“

Was im nächsten Moment der reinen Wahrheit entsprach, als Prinz Alexander sie beim Arm fasste und sanft, aber bestimmt zum Haupteingang der Residenz führte. Laura wurde von dem unangenehmen Gefühl beschlichen, dass er sie nirgendwohin gehen lassen würde, bevor er sie nicht gründlich über ihre Beteiligung am Verschwinden seiner Nichte ins Verhör genommen hatte.

Sie schluckte. Diese Story wird die Auflage der Zeitung immens erhöhen, rief sie sich ins Gedächtnis.

Im Licht des eleganten Eingangsportals blieb Prinz Alexander stehen und blickte nachdenklich auf Laura hinab. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, der Blick seiner faszinierenden dunklen Augen würde bis auf den Grund ihrer Seele gehen.

„Sie haben sich die Wange aufgeschürft, Miss Varndell“, sagte er. Als sie unwillkürlich eine Hand hob, um nach ihrer Wange zu tasten, umfasste Prinz Alexander ihr Handgelenk. „Und die Knöchel.“

„Es ist nichts“, wehrte Laura ab. Wenn ihre teure Internatserziehung ihr eines eingebläut hatte, dann, dass eine wahre Lady niemals Aufhebens von sich machte.

„Ich werde jemand rufen, der sich darum kümmert“, erklärte Alexander Orsino in einem Herrscherton, der keinen Widerspruch duldete. Kurz wandte er sich an den Lakaien, der sofort mit einer Verbeugung verschwand. Wortlos führte Prinz Alexander Laura die große Treppe hinauf.

Der Mann hatte recht. Sie musste unter Schock stehen. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür gewesen, warum sie das seltsame Gefühl hatte, eine Operettenbühne zu betreten … mit einer imposanten Freitreppe, Kristalllüstern und Lakaien im Frack. Dazu ein kaltherziger Prinz, ein armes Bauernmädchen und eine verschwundene Prinzessin … und alle Zutaten für ein frivoles Bühnenmärchen waren beisammen.

Die Kostüme stimmten allerdings nicht. Arme Bauernmädchen trugen Folkloreröcke und bestickte Blusen, zumindest in der Operette. Sie, Laura, dagegen war mit einer sehr praktischen Cargohose und einem ausgeblichenen Sweatshirt bekleidet. Aber auch der Prinz entsprach mit Kaschmirpullover und offenem Hemdkragen nicht gerade der gängigen Vorstellung von einem Märchenprinzen. Hatte er denn nichts Eleganteres zum Anziehen?

Laura zwang sich auf den Boden der Realität zurück, als Prinz Alexander vor ihr eine Tür öffnete und sie in einen bibliotheksähnlichen Raum führte, der offensichtlich als Wohn- und Arbeitszimmer diente. Hier verflüchtigte sich schlagartig der Barock, und Laura fand sich im einundzwanzigsten Jahrhundert wieder. Mehrere bequeme Sofas, ein funktioneller Schreibtisch, auf dem ein Computer stand und Berge von Papieren lagen. Anscheinend war er ein viel beschäftigter Mann. Vermutlich war die Verwaltung eines kleinen Landes äußerst arbeitsaufwendig. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand Laura tatsächlich eine Spur von Mitgefühl für den Prinzen. Wie es aussah, hatte er keine Zeit, die Beine vor dem Fernseher hochzulegen oder in seinen Privatgemächern ein hübsches Mädchen zu empfangen.

„Brandy?“, schlug er vor.

„Wie bitte?“ Laura wandte sich ihm entgeistert zu. „Ich denke, das Wohl der Prinzessin ist im Moment wichtiger. Was werden Sie unternehmen, um Ihre Nichte zu finden?“, erkundigte sie sich, allerdings in möglichst höflichem Ton, denn sie hatte plötzlich das Gefühl, schon ein wenig zu weit gegangen zu sein.

„Nichts. Ich weiß, wo sie ist. Bitte, machen Sie es sich doch bequem, Miss Varndell.“ Prinz Alexander deutete auf eines der Sofas.

„Sie wissen, wo sie ist?“

„Um ganz genau zu sein, ich weiß, wohin sie geht. Meine Nichte wollte heute Abend mit einigen Freunden einen bestimmten Club besuchen. Ich habe es ihr nicht erlaubt. Immerhin ist sie noch minderjährig.“ Er zuckte die Schultern. „Jetzt habe ich ihren Bodyguard losgeschickt, sie nach Hause zu holen.“

Laura sah ihn verwundert an. „Was reden Sie da? Haben Sie mir denn nicht zugehört? Sie hat einen gebrochenen Knöchel!“

„Sind Sie sich dessen ganz sicher?“ Prinz Alexander drückte ihr ein elegantes Kristallglas in die Hand und umschloss sanft ihre Finger, bis er sicher war, dass sie es auch wirklich festhielt. An seinem Ringfinger blitzte ein goldener Siegelring mit dem Wappen der Fürstenfamilie auf. „Ich meine, haben Sie ihn persönlich in Augenschein genommen?“

„In Augenschein genommen?“, wiederholte sie verständnislos.

„Prinzessin Katerinas Knöchel“, half er geduldig nach.

„Nun … nein. Sie trug Schnürstiefel, aber sie sagte …“ Dieses kleine Biest! Sie hatte so überzeugend gestöhnt! Laura sank resigniert auf das Sofa. Wie es aussah, war sie wieder einmal die Dumme gewesen! „Ich verstehe. Sie wollen andeuten, dass Ihre Nichte nur die Verletzte gespielt hat, um mich loszuwerden und selbst zu entkommen.“

„Das halte ich für wahrscheinlicher als eine Entführung. Meinen Sie nicht?“

Es wäre zumindest eine Erklärung dafür gewesen, warum Prinzessin Katerina darauf bestanden hatte, allein draußen liegen zu bleiben, anstatt zu versuchen, mit ihrer, Lauras, Hilfe ins Haus zu humpeln. Laura nippte vorsichtig an dem Brandy. Die Kleine war so überzeugend gewesen! „Sind Sie ganz sicher?“, fragte sie zweifelnd.

Prinz Alexander zog nur vielsagend die Brauen hoch, während er sich einen zweiten Brandy einschenkte.

„Ich verstehe. Sie hat das schon einmal getan.“

„Katerina nicht. Oh nein, zweimal wäre ihr das nicht gelungen“, versicherte der Kronprinz.

„Wie können Sie dann …?“ Laura dämmerte es. Prinzessin Katerina war nicht das erste Mitglied des Fürstenhauses, das versucht hatte, seine Fesseln abzustreifen. Prinz Alexander hatte als junger Mann einen gewissen Ruf genossen und war selber nur auf den Spuren seiner älteren Schwester gewandelt.

„Sie sieht nicht nur aus wie ihre Mutter, sondern hat auch deren legere Einstellung geerbt, was angemessenes Verhalten betrifft“, räumte Prinz Alexander nun ein, als hätte er Lauras Gedanken gelesen. „Ich möchte mich aufrichtig bei Ihnen entschuldigen, dass man Sie derart geängstigt hat, Miss Varndell. Meine Nichte wird Sie zur gegebenen Zeit persönlich um Verzeihung bitten.“

„Das ist nicht so wichtig. Ich bin ja nur froh, dass sie nicht in Gefahr ist.“ Laura zögerte. „Dieser Bodyguard … er wird sie doch nicht vor aller Augen aus dem Club zerren, oder? Wissen Sie, das würde Ihre Nichte nur noch widerspenstiger machen …“ Sie verstummte und räusperte sich. „Tut mir leid. Das geht mich wirklich nichts an.“

„Nein, da haben Sie recht.“ Seine dunklen Augen blitzten amüsiert auf. „Aber verzeihen Sie mir die Bemerkung … es ist reichlich sexistisch von Ihnen, anzunehmen, dass der Bodyguard meiner Nichte männlich ist.“

Brach das Eis? Auf jeden Fall sah der Kronprinz viel attraktiver aus, wenn er lächelte. Fast menschlich.

„Trauen Sie mir wirklich zu, einen uniformierten Muskelprotz loszuschicken, der sie gewaltsam aus dem Club zerrt?“ Sein Lächeln vertiefte sich, als Laura verlegen errötete. „Ich mag zwar ein Monster sein, Miss Varndell, und meine Nichte ist sicher der Ansicht, doch ich war auch einmal ein junges Monster und hatte Probleme, mich an die Regeln zu halten.“

„Dennoch lassen Sie sie zurückholen.“

„Ohne Frage. Haben Sie etwas dagegen?“

„Kritik an Ihrer Handlungsweise steht mir nicht zu. Ich meine nur, dass es die Sache nicht verbessert, wenn man das Mädchen öffentlich bloßstellt.“

„Sie schlagen also vor, ihr zu erlauben, in Begleitung einer Anstandsdame eine Weile in dem Club zu bleiben?“

„Eine Anstandsdame? Gott bewahre! Ich bin sicher, da würde sie noch lieber nach Hause gehen“, wehrte Laura ab, um zu testen, wie tief der Riss im Eis war. „Armes Mädchen.“

„Das ist sie wohl kaum.“ Das Lächeln verschwand auf der Stelle. Nicht sehr tief also.

„Man kann auf unterschiedliche Weise arm sein“, rutschte es Laura heraus, ehe sie es verhindern konnte.

Der Kronprinz horchte auf. Ganz offensichtlich war er es nicht gewohnt, dass sein Handeln infrage gestellt wurde. „Wollen Sie etwa eine gefühlsmäßige Verarmung andeuten?“

„So etwas Impertinentes käme mir nie in den Sinn.“

„Da bin ich anderer Ansicht.“ Er wandte sich ab, ging zum Telefon und gab einige kurze Anweisungen. Dann drehte er sich wieder zu Laura um, die mit angehaltenem Atem dagesessen hatte. Fast erwartete sie, Seine Fürstliche Hoheit würde sie für ihre Unverschämtheit hinauswerfen lassen. Aber seine Miene verriet nichts dergleichen. Noch nicht.

„Also“, knüpfte er ohne Umschweife an ihr Gespräch an, „klären Sie mich auf. Was genau meinen Sie denn, Miss Varndell?“

Laura schluckte. Wenn sie ihm einen Vortrag darüber hielt, wie er seine Nichte zu erziehen habe, würde ihr das wohl kaum das ersehnte Interview einbringen. Andererseits vielleicht einige denkwürdige Zitate. Wenn sie den Kronprinzen von Montorino nur genug provozierte, würde die Story vielleicht so in ihrem Wert steigen, dass Trevor McCarthy vor ihr zu Kreuze kriechen würde!

„Nun?“, drängte Prinz Alexander.

Warum eigentlich nicht? Er bat ja förmlich darum. Und als Dank dafür, dass er unwissentlich ihre Karriere förderte, konnte sie doch wenigstens ihren Erfahrungsschatz mit ihm teilen. „Junge Menschen müssen ihre Kräfte gegen die Regeln der Welt messen, damit sie aus ihren Erfahrungen lernen können. Sie müssen sozusagen sichere Grenzen entdecken. Wenn man sie ständig in Watte einpackt, bleiben sie verletzlich.“ Die Miene des Kronprinzen blieb unbewegt. Nicht die Spur eines Lächelns zeigte sich. Laura schluckte nervös.

„Sie sprechen aus persönlicher Erfahrung?“

„Nun, ich bin selber jung …“ Ihr kam in den Sinn, dass Prinzessin Katerina sie mit vierundzwanzig vermutlich schon als alt betrachten würde. „Zumindest ziemlich jung … jedenfalls jung genug, um mich noch gut an meine Teenagerzeit zu erinnern.“ Wobei sie keine Eltern gehabt hatte, die ihr Grenzen gesetzt hatten. Aber die Schule war schlimmer gewesen. Mit einer Institution konnte man nicht streiten, und es war sinnlos, die Tür hinter sich zuzuschlagen. Man bekam kein Verständnis, sondern lediglich einen Vortrag über rücksichtsvolles Betragen, gefolgt von einer Woche Nachsitzen.

„Schön, vielen Dank für Ihren Rat, aber es wäre mir lieber, meine Nichte würde ihre Fehler nicht während der Zeit machen, in der ich für sie verantwortlich bin. Sie kann nach Montorino zurückkehren, um ihre Erziehung abzuschließen.“

„Ist das nicht ein bisschen hart?“

Prinz Alexander presste die Lippen zusammen, als wollte er Laura warnen, sich nicht zu viel herauszunehmen. Dann nickte er und schien ihr zuzugestehen, dass sie als Außenseiterin unmöglich Verständnis für seinen Standpunkt aufbringen könne. „Mag sein, dass es hart ist“, räumte er ein. „Aber meine Familie hat der Boulevardpresse schon genügend Skandalgeschichten geliefert. Ich möchte nicht, dass ein fragwürdiges Foto meiner noch minderjährigen Nichte in Ihren Zeitungen erscheint.“

Laura zuckte schuldbewusst zusammen.

„Die britische Presse ist nicht schlimmer als anderswo auf der Welt, doch auf eine solche Story würde man sich natürlich stürzen“, fügte er hinzu.

„Ja, natürlich. Ich verstehe.“ Laura atmete auf. Der Prinz hatte ganz allgemein von „Zeitungen“ gesprochen und keinesfalls Verdacht geschöpft. „Dann ist es ja nur gut, dass vor der Residenz kein Zeitungsfotograf herumgelungert hat, als Prinzessin Katerina ausgebüxt ist.“

Prinz Alexander verriet mit keiner Miene, ob er den Anflug von Sarkasmus in ihren Worten bemerkt hatte. „Solche Fotografen lungern nur herum, wo sie Beute wittern. Wenn die heutige Eskapade meiner Nichte bekannt wird, werden sie sich darauf stürzen.“

„Aber warum sollte sie bekannt werden? Es sei denn, Prinzessin Katerina macht einen Aufstand, wenn an der Leine gezogen wird.“

„Soll das heißen, wenn ich nicht an der Leine ziehe, wird keiner auf sie aufmerksam?“

„Nun, die Prinzessin hatte kein Diadem im Haar.“

„Sie haben sie doch auch erkannt“, gab er zu bedenken.

Verdammt! Streng deinen Kopf an! „Nur weil sie direkt aus Ihrer offiziellen Residenz kam.“ Sie bemerkte den fragenden Blick und fügte rasch hinzu: „Ich habe die Flagge gesehen. Wenn ich der Prinzessin einfach so auf der Straße begegnet wäre, hätte ich sie bestimmt nicht erkannt.“

„Nicht?“

„Nein. Ganz in Schwarz und mit einer gewagten Stachelfrisur sah sie nicht so aus, wie man sich eine Prinzessin vorstellt.“

„Trotzdem, siebzehn ist ein gefährliches Alter“, erklärte der Kronprinz, als wüsste er ganz genau, wovon er spräche. „Und genau deshalb werde ich sie nach Hause schicken.“

„Dieses Alter ist gefährlich, egal, wo man lebt“, beharrte Laura. Und da sie nichts zu verlieren hatte, fügte sie hinzu: „Oder sind die Jungen in Montorino anders? Vielleicht weniger testosteronbestimmt?“ Sie hielt seinem kühlen Blick unbewegt stand. „Sir?“

„Nicht nennenswert“, räumte er nach einer bedeutsamen Pause ein. „Aber ich kann wenigstens sicher sein, dass ihr dort der gebührende Respekt entgegengebracht wird.“

„Sie ist siebzehn! Sie will keinen Respekt, sondern Spaß haben … und Sie können sie nicht ewig in einem Elfenbeinturm einsperren. Versuchen Sie es, und Katie wird mit dem ersten gut aussehenden Schurken durchbrennen, der wagemutig genug ist, zu ihr vorzudringen …“ Zu spät fiel ihr ein, dass seine Schwester etwas ganz Ähnliches getan hatte.

Es klopfte an der Tür. Laura, der plötzlich bewusst wurde, dass sie im Begriff stand, sich um Kopf und Kragen zu reden, verstummte, froh über die Störung.

Prinz Alexander wandte sich mit versteinerter Miene ab. „Herein“, sagte er barsch.

Die Tür ging auf, und ein junges Dienstmädchen trug auf einem Silbertablett eine Erste-Hilfe-Box herein. Das Mädchen machte einen Hofknicks vor dem Prinzen und stellte das Tablett dann vor Laura auf den Tisch. „Entschuldigen Sie“, stammelte es nervös. „Wollen Sie …? Soll ich …?“

Laura lächelte aufmunternd, aber das Mädchen war zu nervös, um darauf einzugehen. Stattdessen griff es nach der Box und versuchte, sie zu öffnen. Der Deckel klemmte und gab dann so unerwartet nach, dass sich der Inhalt der Box über den Tisch und den Fußboden verteilte.

Für Sekundenbruchteile hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Dann flüchtete das Hausmädchen panikartig aus dem Zimmer.

„Warum, in aller Welt, tun diese dummen Dinger so, als müssten sie ständig mit Prügel rechnen?“, fragte Prinz Alexander gereizt.

„Es ist mir wirklich ein Rätsel“, erwiderte Laura spöttisch, wobei sie sich bückte, um die Verbandsutensilien aufzusammeln. „Am besten schicken Sie das Mädchen zusammen mit Prinzessin Katerina nach Hause.“

„Lassen Sie das doch!“

Sie blickte überrascht auf. Er hob sofort entschuldigend die Hände. „Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht so anfahren.“

Schlagartig begriff Laura, dass er sich tatsächlich um Katerina sorgte, wie sich jeder normale Mensch um einen leichtsinnigen Teenager, der ihm anvertraut war, gesorgt hätte. Prinz Alexander versteckte diese Gefühle lediglich hinter seiner kühlen Fassade. Laura dachte an ihre eigenen wilden Jahre und verspürte unwillkürlich ein gefährliches Aufwallen von Mitgefühl. Doch sie erstickte es gnadenlos. Dieser Mann brauchte ihr Mitgefühl nicht. Gerade deshalb hatte Jay ihn ja als Ziel für sie, Laura, ausgeguckt.

„Ich bin sicher, Ihrer Nichte geht es gut“, sagte sie ruhig, wobei sie entgegen seiner Aufforderung weiter die Utensilien in die Box sammelte.

„Meinen Sie?“ Prinz Alexander bückte sich ebenfalls, um ihr zu helfen. „Es ist nicht leicht.“

„Für sie verantwortlich zu sein?“ Laura stockte der Atem, als er sie mit der Schulter berührte.

„So jung zu sein“, korrigierte er, ohne aufzublicken. „Und so öffentlich … dass jeder Fehler, den man macht, sofort Anlass zu weitverbreitetem Klatsch gibt.“ Zerstreut und ein wenig unschlüssig blickte er auf einen in Plastik eingeschweißten antiseptischen Tupfer in seiner Hand.

„Soll ich Ihnen das abnehmen?“ Laura streckte eine Hand aus.

Alexander Orsino blickte auf und bemerkte, dass Laura ihn aufmerksam betrachtete. Ihre ausdrucksvollen Augen blickten ernst und mitfühlend.

Er brauchte ihr Mitgefühl nicht. Er brauchte überhaupt von niemandem Hilfe. Und zum Beweis würde er sich jetzt ganz allein um ihre Schürfwunden kümmern. „Setzen Sie sich“, sagte er, riss das Plastiktütchen mit dem Tupfer auf und setzte sich neben Laura. „Geben Sie mir Ihre Hand.“

Laura sah ihn ungläubig an. Vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben hatte es ihr die Sprache verschlagen. Zögernd hielt sie ihm die Hand hin, zart und feingliedrig, wie geschaffen für funkelnden Diamantschmuck. Alexander fasste sie sanft und tupfte die aufgeschürften Knöchel behutsam mit dem Antiseptikum ab. Er spürte, wie sie kaum merklich zitterte. Zweifellos litt sie immer noch unter den Nachwirkungen ihres unüberlegten Verhaltens, und er hätte gern ihre Hand in seine genommen und sie beruhigend gedrückt.

„Sagen Sie, Miss Varndell, überwältigen Sie öfter irgendwelche Einbrecher?“, fragte er, um sich abzulenken.

„Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt war ich noch nie zuvor in einer ähnlichen Lage. Ich habe gar nicht überlegt.“

„Nun, diesmal bin ich froh darum …“ Er blickte auf, geradewegs in ihre ausdrucksvollen Augen, und hielt den Atem an. „Aber versprechen Sie mir, dass Sie, wenn Sie das nächste Mal ein Verbrechen zu beobachten glauben, einfach davonlaufen und die Polizei rufen?“

„Wenn ich heute so reagiert hätte, hätten Sie nicht erfahren, dass Ihre Nichte ausgebüxt ist“, wandte Laura ein.

„Trotzdem. Versprechen Sie es mir.“

„Also schön, ich werde es versuchen.“ Laura strich sich eine hellblonde Haarsträhne hinters Ohr, an dem ein kleiner goldener Stern als Ohrschmuck funkelte. „Aber nur, wenn Sie aufhören, mich Miss Varndell zu nennen. Ich ziehe das weniger förmliche Laura vor.“

Er dagegen zog die förmliche Anrede vor, weil sie ihm half, Distanz zu wahren. Wobei Laura Varndell allerdings längst entscheidende Schutzmauern durchbrochen hatte. Nur wenige Außenstehende waren bisher in diesen Raum vorgedrungen.

Um Zeit zu gewinnen, suchte Alexander in der Box umständlich nach einem weiteren Tupfer und riss die Schutzhülle auf. Dann umfasste er sacht Lauras Kinn und drehte ihr Gesicht ins Licht. Er sah klare blaue Augen, einen makellosen, fast durchscheinend hellen Teint, umrahmt von seidigem flachsblonden Haar, eine Kombination, wie sie nur die kühleren, nördlichen Gefilde hervorbrachten. Alexander malte sich unwillkürlich aus, wie das breite Perlenkollier, das einst seiner Mutter gehört hatte, diesen anmutigen Hals zieren würde.

Das brachte ihn schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Er räusperte sich verlegen, weil er sich ertappt fühlte, und sagte: „Es ist nur eine Kleinigkeit. Kaum zu sehen.“ Vorsichtig tupfte er die kleine, oberflächliche Hautabschürfung auf ihrer Wange ab. „Wie waren Sie denn so?“

Sie blickte überrascht auf. „Ich?“

„Nun ja, Sie scheinen so viel über die fatalen Folgen zu wissen, wenn man halbwüchsige Mädchen zu stark einschränkt. Waren Sie selber mit siebzehn leichtsinnig?“

Laura lachte. „Ich glaube, das sollte ich Ihnen besser nicht erzählen. Ich bin in dieser Sache auf Prinzessin Katerinas Seite und möchte ihr nicht schaden.“

„Mit anderen Worten, ja.“ Er sah sie forschend an, aber sie schwieg. „Sind Sie auch Regenrohre hinuntergeklettert? Oder in Nachtclubs und auf Partys gegangen, deren Besuche Ihre Eltern Ihnen verboten hatten?“

Ihr Lächeln verschwand. „Ich hatte keine Eltern, die es mir hätten verbieten können. Sie sind ums Leben gekommen, als ich noch ein Kind war.“

Er wirkte betroffen. „Das tut mir leid, Laura.“ Dass sie das gleiche Schicksal wie er gehabt hatte, berührte ihn aufrichtig. Für einen Moment fühlte er sich versucht, ihr zu sagen, wie gut er ihren Verlust, ihren Schmerz nachempfinden konnte.

„Das liegt schon lange zurück, und im Grunde habe ich sie kaum gekannt“, fuhr Laura rasch fort, ehe er etwas sagen konnte, und Alexander erkannte auch diesen Schutzmechanismus. „Sie waren immer viel unterwegs, sodass ich die meiste Zeit sowieso im Internat untergebracht war. Um aber Ihre Frage zu beantworten … ja, Eure Hoheit, ich war des Öfteren leichtsinnig, obwohl ich nie ein Regenrohr hinuntergeklettert bin.“ Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über ihr zartes Gesicht. „Ich habe Angst vor der Höhe.“

„Aber sonst vor nichts, wette ich“, meinte Alexander.

„Sie irren sich.“ Laura hatte sich wieder gefasst und lächelte. „Im Augenblick habe ich zum Beispiel fürchterliche Angst.“

Er betrachtete sie forschend. Äußerlich wirkte sie völlig kühl und gefasst, doch er hatte ja wirklich das leichte Zittern gespürt, als er ihre Hand gehalten hatte. „Warum? Sie sind doch nicht wie das dumme Ding vorhin, das Angst vor mir hat.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Ein wenig schon“, widersprach Laura. „Allerdings nur, weil ich weiß, dass Sie gleich sehr wütend auf mich sein werden.“

„Warum sollte ich?“, fragte er erstaunt.

„Weil ich Sie bitten werde, Katerina eine zweite Chance zu geben. Erteilen Sie ihr Hausarrest, wenn es unbedingt nötig ist. Sie hat sich natürlich dumm und leichtsinnig verhalten. Aber auch eine Prinzessin braucht hin und wieder einen freien Tag … eine Möglichkeit, ganz gewöhnlich zu sein.“

„Gewöhnlich?“

„Na ja, Sie wissen schon. Wie ein ganz normaler Mensch.“

„Ach, hören Sie auf!“

„Ist sie je mit einem Bus oder der U-Bahn gefahren?“, erkundigte sich Laura unbeirrt und fügte, einer plötzlichen Eingebung folgend, hinzu: „Haben Sie das schon getan?“

Alexander wusste nicht, ob er amüsiert oder irritiert sein sollte. „Ich habe es nie für nötig erachtet.“

„Der Chauffeur steht rund um die Uhr auf Abruf bereit, richtig?“

„Nicht derselbe“, versicherte er und entschied sich, die Sache humorvoll zu betrachten. „Ansonsten, ja, natürlich. Das ist Teil dieses Jobs. Ich bin auch vierundzwanzig Stunden im Dienst. Sieben Tage die Woche. Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr.“

„Sie haben nie einen Tag frei?“

„Ich flüchte gelegentlich.“ Dann zog er Arbeitssachen an und ging in seinen Weinberg, um sich körperlich zu verausgaben. „Aber mein Piepser ist nie ausgeschaltet.“

„Dann sind Sie auch zu bedauern“, sagte Laura, und es klang aufrichtig.

„Sie sagen das, als wäre ich benachteiligt.“ Das fand er nun überhaupt nicht mehr witzig. „Wissen Sie, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie eine Limousine mit Chauffeur gegen den alltäglichen Kampf mit den Massen in der überfüllten U-Bahn tauschen würden.“

„Mag sein, aber Sie verlieren etwas, wenn Sie den Kontakt zur Welt aufgeben. Die U-Bahn mag ja schmutzig und überfüllt sein, doch sie ist eine Realität. In unserer heutigen Zeit gehört es zu den lebensnotwendigen Fähigkeiten, sie benutzen zu können. Genauso wie man lernen muss, ein öffentliches Telefon zu benutzen …“

„Meine Nichte besitzt ein Handy“, unterbrach er sie ungehalten. „Und ich kann Ihnen versichern, dass sie genau weiß, wie man es benutzt …“

„Und wenn sie es verliert?“, fiel Laura ihm respektlos ins Wort, was Prinz Alexander gewiss nicht gewöhnt war. „Oder wenn es ihr gestohlen wird? Heute Abend zum Beispiel, auf dem Weg in den Club. Wüsste sie, wie man von einer Telefonzelle anruft, wenn sie in Schwierigkeiten geriete?“

Allmählich wurde es lächerlich. „Das kann doch nicht so schwierig sein!“

„Wenn man weiß, wie es funktioniert. Aber angenommen, sie ist verängstigt, in Panik? Angenommen, es ist eine jener Telefonzellen, die nur mit Telefonkarte funktionieren, und die Prinzessin besitzt gar keine?“

Telefonkarte? Was, in aller Welt, war eine Telefonkarte?

Laura bemerkte sein Zögern und nickte voller Genugtuung. „Vielleicht sollten Sie es selber ausprobieren.“

„Sie machen es mir nicht gerade schmackhaft, Katerina noch mehr Freiheiten einzuräumen, Laura.“

„Geben Sie sie ihr, oder sie wird sie sich nehmen“, warnte Laura. „Heute Abend hätte sie es fast geschafft. Und wenn Sie sich in der Welt da draußen auskennt, wird sie sicherer sein.“

„In Montorino wird sie noch sicherer sein.“ Alexander stand auf und beendete damit den Vortrag dieser jungen Frau, die keine Ahnung hatte, wie Katerinas … oder sein … Leben wirklich aussah. Er war sehr geduldig mit ihr gewesen. Laura Varndell hatte ihn immerhin auf Katerinas Flucht aufmerksam gemacht. Aber jetzt reichte es.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er immer noch den Tupfer in der Hand hielt, der ihn an den Moment ungewohnter Vertrautheit mit einer Fremden erinnerte, und er warf ihn hastig auf das Tablett. „Sie haben großzügig Ihre Zeit und Ihre interessanten Ansichten mit mir geteilt. Dafür bedanke ich mich, Miss Varndell“, sagte er förmlich. „Aber ich möchte Sie nun nicht länger aufhalten. Mein Chauffeur wird Sie nach Hause fahren.“

Laura sah ihn einen Moment mit einem Ausdruck an, als wollte sie ihm sagen, wohin er sich sein Angebot schieben könne. Doch stattdessen nahm sie sich zusammen und stand auf. „Danke, Eure Hoheit, doch das wird nicht nötig sein. Ich bin bestens versorgt.“ Seine Durchlaucht sollte ganz bestimmt nicht erfahren, wo sie wohnte. „Werden Sie mich anrufen und es mich wissen lassen, wenn Prinzessin Katerina heil nach Hause zurückgekommen ist? Egal, wie spät es ist. Ich werde vorher sowieso nicht schlafen können.“

„Selbstverständlich.“

„Ich hinterlasse meine Telefonnummer bei dem Lakaien.“

Alexander verkniff es sich, ihr zu widersprechen. Er war nun einmal kein Sekretär und nahm keine Telefonnummern entgegen! „Er wird Sie zu Ihrem Wagen begleiten.“

„Das wird nicht nötig sein“, wehrte Laura entschieden ab. „Ich bin keine Prinzessin, Eure Hoheit. Ich komme allein klar.“

3. KAPITEL

Laura saß an ihrem Schreibtisch vor ihrem Laptop. Sie brauchte Trevor nur eine Mail zu schicken, ob er an einer Exklusivstory über eine verwöhnte, launische Prinzessin interessiert sei, die bislang der Aufmerksamkeit der Presse entgangen war. Und an ihrer, Lauras, Begegnung mit dem wenig charmanten Märchenprinzen. Trevor würde bestimmt nicht widerstehen können.

Laura versuchte, die Stimme ihres Gewissens zu ignorieren, die ihr Prinz Alexanders Wunsch ins Gedächtnis rief, Katerinas Foto möge nicht in den Zeitungen erscheinen. Hier ging es ja gar nicht um ein Foto. Und sie, Laura, würde in ihrem Artikel keine Namen nennen. Dennoch würde es kaum einen Zweifel an der Identität der Prinzessin geben. Die Tage, an denen Katie Regenrohre hinunterrutschen konnte, ohne von Paparazzi dabei überrascht zu werden, würden endgültig vorbei sein.

Doch das waren sie sowieso. Ein Artikel würde Seiner Durchlaucht gute Gründe an die Hand geben, um das Mädchen nach Montorino zurückzuschicken. Sie, Laura, tat ihm also im Grunde einen Gefallen. Er sollte ihr dankbar sein. Wobei sie auf seine Dankbarkeit gut und gern verzichten konnte.

Sie wartete lediglich auf den Anruf, dass das Mädchen wieder heil im Haus seines Onkels angekommen war. Dann konnte sie „Senden“ anklicken und in dem beruhigenden Wissen ins Bett gehen, dass Trevor sie morgen früh anrufen und ihr ihren Job zurückgeben würde.

Alexander telefonierte mit Katies weiblichem Bodyguard und vergewisserte sich, dass es seiner Nichte gut ging. Dann gab er Anweisung, Katie in Ruhe zu lassen und nicht sofort nach Hause zu begleiten.

Das hatte natürlich nichts mit Laura Varndells Fürsprache zu tun. Im Gegenteil. Katie war immerhin schon siebzehn, zwar noch nicht alt genug für einen Nachtclub, aber auch kein Kind mehr. Und vielleicht hatte ihre ungebetene Fürsprecherin recht, dass das Problem nicht zuletzt dadurch entstanden war, weil er seine Nichte wie ein Kind behandelt hatte. Alexander hatte sich überlegt, dass es vermutlich weniger Schaden anrichtete, wenn er ihr ein, zwei Stunden Ausgang erlaubte, als ihr in der Öffentlichkeit eine Szene zu machen.

Nachdem dies entschieden war, versuchte er, sich wieder seiner Arbeit am Schreibtisch zuzuwenden, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Immer wieder tauchte Laura Varndells Gesicht vor ihm auf … und lächelte ihm beifällig zu. Da er ihre Anerkennung nicht brauchte, gab er sich alle Mühe, ihr Gesicht auszublenden. Er kämpfte auf verlorenem Posten, doch unermüdlich, bis schließlich Katie nach Mitternacht nach Hause kam und mit leuchtenden Augen bei ihm hereinschaute.

„Tut mir leid, Alexander“, sagte sie fröhlich und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf, als wäre er ihr Urgroßvater. Und ungefähr genauso alt fühlte er sich in diesem Moment.

„Nein, Katerina, das stimmt nicht“, widersprach er betont streng. „Es tut dir kein bisschen leid.“

Katie warf sich auf eines der Sofas und legte die Füße auf den Tisch. „Wenn du mich Katerina nennst, stecke ich in ernsthaften Schwierigkeiten. Werde ich mit dem ersten Flug morgen früh nach Hause geschickt?“

„Heute“, verbesserte Alexander sie. „Nachdem du dich bei Miss Varndell entschuldigt hast für die Angst, die du ihr mit deinem Verschwinden bereitet hast.“

„Miss Varndell?“

„Die junge Frau, die dich für einen Einbrecher gehalten hat.“

„Ich habe ihr Angst gemacht? Das ist nicht dein Ernst! Die hat mir einen riesigen Schrecken eingejagt!“

„Dann hat sie sich nicht nur eine Entschuldigung, sondern auch meinen aufrichtigen Dank verdient.“

„Aber klar. Ich habe ihr prophezeit, dass du ihr dafür den Verdienstorden verleihen würdest … zweiter Klasse, aber immerhin … als Dank, weil sie mir die Flügel gestutzt hat.“

„Leider ist es ihr nicht besser gelungen. Das hätte mir viel Ärger erspart.“

„Ich hoffe, du hast ihre Erwartungen nicht enttäuscht?“

„Ich habe mich bedankt, ihre Schürfwunden versorgt und ihr einen Brandy gegen den Schock angeboten. Das war’s.“

„Wie konntest du so geizig sein!“ Katie schwieg einen Moment. „Du schickst mich doch nicht wirklich nach Hause, oder?“

„Gute Nacht, Katerina.“

„Ich verstehe. Ich soll darüber brüten.“ Gelassen schwang sie die Füße vom Tisch und stand auf. „Gute Nacht, Eure Durchlaucht.“ Sie brachte trotz der klobigen Schnürstiefel einen erstaunlich anmutigen Hofknicks zustande und bemerkte zufrieden das belustigte Funkeln in den Augen ihres Onkels.

Alexander verkniff sich das Lächeln, bis Katie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Dann griff er zum Telefon.

Laura hatte das Boulevardmagazin vor sich auf dem Schreibtisch, während sie auf den Anruf wartete, und versuchte, das Foto von Prinz Alexander mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Er hatte tatsächlich faszinierende Augen, dunkel und unergründlich wie die Bergseen Montorinos. Und genauso kalt vermutlich.

Abgesehen von dem einen Moment, als er ihr Gesicht umfasst und die kleine Wunde auf ihrer Wange so behutsam desinfiziert hatte. Da hatte sie sich sogar vorstellen können, dass er richtig menschlich sein konnte, wenn er sich nur bemühte.

Doch sie war froh, dass er sich nicht bemüht hatte. Denn sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sich hinter der unnahbaren Fassade ein Mann versteckte, der sehr sympathisch war. Und sie wollte ihn nicht sympathisch finden. Ihre ganze Zukunft hing davon ab, ihn nicht sympathisch zu finden.

Sie wandte sich ab und blickte beschwörend auf ihr Handy, das griffbereit dalag. „Läute!“, befahl sie. „Läute endlich!“

Laura zuckte zusammen, als wie auf ein Stichwort die Rufmelodie des Geräts unerwartet laut die spätabendliche Stille durchschnitt. Deshalb, und nur deshalb, schoss ihr das Blut heiß in die Wangen und zitterte ihre Hand, als sie ihr Handy aufnahm und die Antworttaste drückte. Laura atmete tief ein. „Laura Varndell“, meldete sie sich dann.

„Miss Varndell, Seine Fürstliche Hoheit Prinz Alexander hat mich gebeten, Sie in Kenntnis zu setzen, dass Ihre Hoheit Prinzessin Katerina unversehrt nach Hause zurückgekehrt ist.“

Im ersten Moment verschlug es Laura die Sprache. Sie wollte es einfach nicht glauben. Der Lakai! Er hatte diesen aufgeblasenen Wichtigtuer im Frack aufgetragen, sie anzurufen! So viel zu ihrer Vermutung, unter der unnahbaren Schale würde sich ein wirklicher Mensch verbergen! Aber was hatte sie sich eingebildet? Er war ein Prinz. Sein Leben fand fernab von jeder Wirklichkeit statt.

„Bitte danken Sie Seiner Durchlaucht für seine Freundlichkeit“, antwortete sie kühl. Kurz darauf wandte sie sich ihrem Laptop zu und schickte die Mail an Trevor McCarthy.

Alexander lehnte sich zurück und vergaß für einen Moment den Stapel Papiere, den er noch durchsehen musste, bevor er ans Bett denken konnte. Er bedauerte, Laura Varndell nicht persönlich angerufen zu haben, um ihr zu sagen, dass Katie wieder zu Hause war.

Gereizt winkte er ab. Allein die Tatsache, dass er es gern getan hätte, war Grund genug gewesen, es zu unterlassen, das wusste er genau. Aber er musste zugeben, dass diese Frau ihn mit ihrer offenen Art sehr beeindruckt hatte. Sie hatte eine eigene Meinung und scheute sich nicht, sie auch zu äußern.

Er hatte die Nase so voll von Menschen, die ihm immer nur nach dem Mund redeten. Von Dienstmädchen, die vor Angst alles fallen ließen, wenn er sie nur ansah. Laura hatte keine Angst vor ihm gehabt. Und sie hatte nicht einmal versucht, ihn zu beeindrucken. Wenn sich die Gelegenheit ergeben hätte, hätte sie ihm sicher sogar gesagt, dass es seine Schuld sei, wenn seine Angestellten ihn fürchteten.

Seufzend massierte er sich den verspannten Nacken. Sie hatte eben keine Ahnung von seinem Leben. Die Glückliche.

Doch egal, was sie sagte, egal, wie verrückt ihre Gedanken auch waren, er hatte es in jeden Fall genossen, ihr zuzuhören. Sogar ihre vehemente Fürsprache für Katie, ihr dieselben Freiheiten wie jedem anderen Mädchen in diesem Alter einzuräumen, hatte ihm Spaß gemacht.

Was nichts an der Tatsache änderte, dass Katie ausschließlich zur Abrundung ihrer Ausbildung in London war und nicht zum Vergnügen. Die Medien würden sich ohnedies bald auf sie stürzen und jeden ihrer Schritte mit Argusaugen verfolgen. „Gewöhnliche“ Mädchen durften dann und wann ungestraft die Regeln brechen. Aber Katie war nicht „gewöhnlich“, und er wünschte sich, dass sie reif genug sein würde, um dem Druck gewachsen zu sein, wenn sie ins Rampenlicht trat. Laura meinte es zweifellos gut, doch allein der Gedanke einer „Auszeit“ für eine Prinzessin war lächerlich. Es gab keine Auszeit von derartigen Pflichten. Man war ein Leben lang daran gebunden.

Genug. Er musste sich nicht vor einer Wildfremden rechtfertigen. Auch wenn ihre Stimme, ihr Lachen, ihre ganze Art eine ansteckende Lebensfreude verraten hatten. Für einen Moment, als er dicht neben ihr gesessen hatte, hatte er geglaubt, sie nur in die Arme nehmen zu müssen, um es auch zu fühlen.

Lächerlich. Er griff nach der nächsten Akte. Katie würde sie morgen anrufen und sich entschuldigen. Man würde Laura Varndell ein angemessenes Dankeschön senden. Es gab zu solchen Zwecken eine Auswahl an kleinen Schmuckstücken mit dem Wappen von Montorino. Eine Brosche vielleicht.

Alexander rieb sich erneut müde den Nacken. Nicht Katie, er hatte dringend eine Auszeit nötig. Aber das war natürlich undenkbar. Er war in London, um die Interessen seines Landes zu fördern, sollte Handelsabkommen unterzeichnen, sein Land bei großen gesellschaftlichen Ereignissen vertreten und als Schirmherr bei Wohltätigkeitsveranstaltungen erscheinen. Und das alles war so terminiert, dass er ein Auge auf Katie werfen konnte, während sie an einem dreimonatigen Schüleraustauschprogramm in London teilnahm.

Ein toller Aufpasser! Seine Nichte war gut eine Woche hier, und schon wuchsen ihm die Schwierigkeiten über den Kopf. Allein Laura Varndells Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass er ihre Eskapade bemerkt hatte. Er wagte sich gar nicht vorzustellen, wie Katie das Regenrohr hinuntergeklettert war. Wenn sie tatsächlich abgestürzt wäre!

Alexander schlug die Akte ungelesen wieder zu und trank seinen Brandy aus. Laura hatte ihren kaum angerührt, wie er feststellte. Unwillkürlich überlegte er, warum sie wohl Höhenangst hatte. Nachdenklich stellte er ihr Glas neben seines auf das Tablett und entschloss sich, ins Bett zu gehen.

Keine Brosche entschied er, als er das Licht ausknipste. Junge Frauen trugen keine Broschen. Sie würde sie in eine Schublade legen und vergessen.

Vielleicht kein so schlechter Gedanke. Er sollte es besser auch tun.

„Laura?“

Laura warf einen Blick auf den Wecker und sank mit dem Telefon ins Kissen zurück. Sie hatte vergessen, den Wecker zu stellen, und gründlich verschlafen, nachdem sie die halbe Nacht wach gelegen hatte, verfolgt von beunruhigenden Träumen, in denen glühende dunkle Augen und zärtliche Hände eine erregende Rolle spielten.

Trevor McCarthys Stimme drang zu ihr und holte sie auf den Boden der Wirklichkeit zurück. „Habe ich Sie geweckt?“

„Trevor!“ Sie lachte, um ein Gähnen zu überspielen. „Aber nein, natürlich nicht! Ich bin schon seit Stunden auf.“

„Ich habe Ihre Mail bekommen.“

„Toll.“ Warum freute sie sich nicht wirklich über seinen prompten Rückruf?

„Also? Was haben Sie anzubieten?“

Sie war zwar müde, aber keinesfalls dumm. „Netter Versuch, Trevor. Warum sollten Sie mir meinen Job wiedergeben, wenn ich Ihnen das einfach so verrate?“

„Dazu besteht überhaupt kein Grund. Ich nehme an, wir sprechen über Prinzessin Katerina?“

Schlagartig war sie hellwach und setzte sich auf. „Woher wissen Sie das?“

„Schlechte Nachrichten. Die Konkurrenz war schneller. Der ‚Courier‘ hat heute früh ein Foto gebracht, wie Ihre Hoheit irgendeinen Nachtclub besucht.“

Na super! Katerina hatte die Regel ausgerechnet an einem Ort gebrochen, der von Paparazzi belagert wurde, und jetzt konnte sie, Laura, sich ihre Exklusivstory abschminken. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben und ihr klarmachen zu wollen, dass sie einfach nicht zur Journalistin geboren war!

„Sie hätten Ihre Story gestern Abend abliefern sollen, anstatt sich zu zieren. Schön, wenn Sie weiter nichts anzubieten haben …“

„Natürlich habe ich noch mehr“, fiel Laura ihm ins Wort. „Das Foto ist nichts im Vergleich zu meiner Story.“

„Möchten Sie mich einweihen?“

Sein gelangweilter Ton konnte Laura nicht täuschen. Geschichten über gekrönte Häupter waren Gold wert. „Prinz Alexander“, sagte sie nur.

Autor

Liz Fielding
<p>In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding in Wales. Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die inzwischen...
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