Julia Best of Band 251

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DU BIST DAS LICHT IN MEINEM LEBEN
Für Delia ist der sympathische Craig Locksley, Besitzer einer Werbeagentur, der Mann ihres Lebens. Und als sie in seinen Armen liegt, glaubt sie an ein Glück für immer. Doch Craig behauptet, dass es keine gemeinsame Zukunft geben kann. Hält er sie etwa für zu oberflächlich?

IN DEINEN ARMEN WILL ICH TRÄUMEN
Der heißblütige Italiener Luca Montese wünscht sich nur eines: ein Kind, das später sein Erbe antritt. Und wer käme als Mutter anderes infrage als seine große Liebe Rebecca, die er nie vergessen konnte? Das Wiedersehen mit ihr weckt jedoch noch ganz andere Wünsche in ihm!

SINNLICHE REISE NACH ÄGYPTEN
Welche Demütigung: Vor dem Altar wird Freya stehen gelassen. Nie wieder wird sie sich verlieben, schwört sie sich. Während einer Reise nach Ägypten stellt ihr bester Freund Jackson Falcon ihren Vorsatz jedoch auf eine verlockende Bewährungsprobe …


  • Erscheinungstag 14.04.2022
  • Bandnummer 251
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511674
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Gordon

JULIA BEST OF BAND 251

1. KAPITEL

„Delia, Darling!“ Der Fotograf kam strahlend auf sie zu. „Du wirst von Tag zu Tag schöner! Wenn ich bloß dich als Model hätte!“

Delia lachte vergnügt und warf ihr langes schwarzes Haar zurück. „Mein lieber Max, das sagst du jedes Mal, wenn wir uns treffen.“

Max lächelte schalkhaft. „Aber da bin ich bestimmt nicht der Einzige, oder?“

Max hatte recht. Delia bekam ständig Komplimente wegen ihres guten Aussehens zu hören. Als Direktionsassistentin von Orchid Cosmetics hatte sie die ganze Produktpalette des Kosmetikunternehmens zur Verfügung, um ihre Schönheit zu betonen, doch das hatte Delia eigentlich gar nicht nötig, denn sie war von Natur aus schön. Sie besaß große dunkle Augen, ebenmäßige Züge, eine makellose Haut, volles schwarzes Haar, und ihre Figur war ebenso perfekt wie ihr Gesicht.

Obwohl Delia nicht eingebildet war, war sie sich dennoch dessen bewusst, wie andere Leute auf ihre Schönheit reagierten, ganz besonders Männer. Es fiel ihr leicht, sie um den Finger zu wickeln, und diese Tatsache nutzte Delia, wenn auch unbewusst, häufig aus.

Max schoss eifrig Fotos von den Models, die für Orchids neue Produktwerbung engagiert worden waren. „Unser neues Sortiment wird einschlagen wie ’ne Bombe, das garantiere ich dir“, rief er begeistert.

„Wollen wir’s hoffen, Max.“

„Eure letzte Werbekampagne war ja der größte Reinfall. Allem Anschein nach ist die Firma, mit der ihr zusammenarbeitet, nicht unbedingt das Gelbe vom Ei.“

„Pst, nicht so laut!“, ermahnte Delia ihn. „Du weißt doch, dass ich nicht aus dem Nähkästchen plaudern darf.“

„Sweetie, was bei euch los ist, weiß doch schon ganz London. Lombard taugt nichts, und Brian will es nicht zugeben, weil er die Firma engagiert hat. Ich könnte wetten, dass er nun versucht, dir die Schuld für die ganze Misere in die Schuhe zu schieben.“

Delia sagte dazu nichts, obwohl Max recht hatte. Brian Gorham, Werbeleiter von Orchid Cosmetics, hatte darauf bestanden, dass die Firma Lombard die letzte Werbekampagne übernehmen sollte. Und nun versuchte er, Delia für diese Fehlentscheidung verantwortlich zu machen. Doch Delia war entschlossen, ihm die Stirn zu bieten. Brian würde bald in Rente gehen, und sie wollte seinen Job. Delia wusste, dass sie für eine solche Position noch etwas jung war. Doch sie war bereit, hart dafür zu arbeiten.

Endlich war die Fotosession vorbei, und Models, Visagisten und Hairstylisten packten eilig ihre Sachen zusammen und verließen das Studio.

„Darf ich dich nach Hause fahren?“, bot Max an.

„Nein, danke.“ Delia lehnte lächelnd ab. „Ich habe mir gerade einen neuen Wagen gekauft – meine große Liebe.“

Max lachte. „Wie melodramatisch! Hast du denn nicht manchmal Sehnsucht nach der, sagen wir mal, wahren Liebe?“

„Du meinst nach einem Mann?“ Delia lachte vergnügt. „Glaub mir, Max, Autos sind mir zehn Mal lieber als Männer. Sie streiten nicht mit mir und machen immer alles, was ich will. Bis morgen, Max.“

Es war schon dunkel, als Delia das Bürogebäude verließ. Ihr neues Auto, ein feuerroter Sportwagen, sah wirklich toll aus. Er hatte Delia zwar ein Vermögen gekostet – mehr, als sie sich leisten konnte –, aber er gab ihr das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

Delia setzte sich ans Steuer und fuhr los. Dass Autos ihr lieber waren als Männer, wie sie vorhin zu Max gesagt hatte, entsprach nicht ganz der Wahrheit. Delia traf sich seit drei Monaten mit Laurence Davison, einem gut aussehenden jungen Banker. Sie mochte Laurence, aber sie war nicht verliebt in ihn. Offensichtlich war ihm ihr Äußeres erheblich wichtiger als ihr Charakter, und Delia hatte sich schon oft gefragt, ob Laurence nur mit ihr ausging, um vor anderen Männern mit ihr anzugeben.

Delia fiel ein Gespräch ein, das sie vor Kurzem mit ihrer besten Freundin Maggie gehabt hatte, einer jungen Frau mit goldenem Herzen, aber unscheinbarem Äußeren.

„Delia“, hatte sie gesagt, „wenn ich eines an dir nicht mag, dann ist es dein ewiges Gejammere.“

„Mein ewiges Gejammere?“, hatte Delia verständnislos gefragt. „Wie meinst du das?“

„Wenn ich so aussehen würde wie du, wäre ich wunschlos glücklich und würde mich nicht ständig darüber beklagen, dass mich angeblich keiner wirklich liebt.“

In diesem Moment läutete das mobile Telefon, das Delia immer bei sich trug, und sie nahm ab.

„Hi, Delia“, erklang Laurence’ Stimme. „Wollen wir nachher zusammen essen gehen?“

„Heute geht es leider nicht“, lehnte Delia bedauernd ab. „Ich muss noch einen Bericht schreiben, wenn ich zu Hause bin.“

„Musstest du denn unbedingt bei dieser Fotosession dabei sein?“, warf Laurence ihr leicht ärgerlich vor. „Diese Zeit hättest du dir sparen und stattdessen lieber an deinem Bericht arbeiten können.“

„Das stimmt, aber ich wollte sichergehen, dass die Fotos etwas werden. Schließlich muss ich Orchid beweisen, dass ich gut genug bin für Brians Job.“

„Und deshalb hast du heute Abend keine Zeit für mich“, schlussfolgerte Laurence gereizt.

„Tut mir leid, Laurence, heute geht es wirklich nicht. Aber morgen, ja?“

„Das weiß ich noch nicht. Ich ruf dich morgen noch mal an“, erwiderte Laurence kurz angebunden und legte auf.

Durch Laurence’ Anruf war Delia eingefallen, dass sie noch mehrere Telefonanrufe zu erledigen hatte. Sie parkte den Wagen am Straßenrand und ging in ein Schnellrestaurant um die nächste Ecke, wo sie bei einer Tasse Tee in Ruhe telefonieren konnte. Als sie eine halbe Stunde später wieder herauskam, sah sie schon von der Ecke aus, dass ein Streifenwagen neben ihrem Auto stand und ein Polizist auf einen sichtlich wütenden Lastwagenfahrer einredete. Beide drehten sich um, als Delia an sie herantrat.

„Gehört Ihnen dieser Wagen, Miss?“, fragte der Polizist.

„Ja, warum?“

„Er blockiert die Einfahrt dieses Fabrikgeländes.“

„Ich hätte schon längst zu Hause sein können!“, schimpfte der Lastwagenfahrer verärgert. „Ich habe nur noch diese eine Fuhre abzuladen, aber ich kann nicht rein, weil Ihr Wagen vor dem Tor steht.“

„Oh, das tut mir aber schrecklich leid.“ Delia schenkte ihm ihr charmantestes Lächeln. „Wie konnte ich nur so gedankenlos sein? Ich werde sofort wegfahren.“

Der Fahrer schien sichtlich beeindruckt zu sein von Delias atemberaubendem Lächeln und ihrem wunderschönen Gesicht. „Also, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Miss“, meinte er verunsichert.

„Kommen Sie aber wieder zurück“, forderte der Polizist Delia auf. „Ich muss noch ein Wörtchen mit Ihnen reden.“

Delia fuhr ihren Wagen einige Meter weit weg, kam zum Tor zurück und blickte lächelnd zu dem LKW-Fahrer auf, der inzwischen wieder hinterm Steuer saß. „Können Sie mir noch einmal verzeihen?“

„Nun, also, ich war vielleicht ein bisschen voreilig“, erwiderte der Mann verlegen. „So unhöflich bin ich zu jungen Damen normalerweise nicht.“

Delia neigte den Kopf zur Seite und sah ihn mit ihren großen dunklen Augen an. Sie wusste genau, welche Wirkung diese Pose auf Männer hatte. „Ach, das macht doch nichts. Ich an Ihrer Stelle hätte mich bestimmt auch geärgert.“

Der Fahrer sah sie sekundenlang fasziniert an, dann nickte er ihr freundlich zu und fuhr aufs Firmengelände.

„Jetzt hören Sie mal zu, Miss Summers …“, begann der Polizist, doch Delia ließ ihn gar nicht ausreden.

„Woher kennen Sie denn meinen Namen? Oh, Sergeant Jones! Jetzt weiß ich’s wieder, wir sind uns schon einmal begegnet.“

„Schon mehr als einmal“, korrigierte er sie trocken.

„Nun seien Sie nicht unfair“, versuchte Delia ihn zu besänftigen. „Ich habe noch nie jemandem einen Schaden zugefügt und bin vollkommen nüchtern. Soll ich es Ihnen beweisen? Ich kann gleich ins Röhrchen blasen, wenn Sie …“

„Miss Summers“, unterbrach der gutmütige Sergeant sie geduldig. „Ob Sie ins Röhrchen blasen oder nicht, bestimme immer noch ich. Eigentlich sollte ich Ihnen jetzt einen saftigen Strafzettel verpassen, weil Sie über eine halbe Stunde die Einfahrt blockiert haben.“

Delia lächelte ihn nun genauso gewinnend an wie vorhin den Lastwagenfahrer. „Aber das werden Sie doch nicht tun, oder?“

Der Sergeant seufzte tief. „Nun machen Sie schon, dass Sie nach Hause kommen, bevor ich mir’s anders überlege. Und ich hoffe, wir sehen uns nicht so bald wieder.“

„Sie sind wirklich ein Schatz, Mr. Jones!“ Delia hauchte ihm noch einen Kuss zu, dann stieg sie in ihren Wagen.

„Miss Summers?“

„Ja, Sergeant?“

„Noch ein kleiner Tipp von mir: Das Spielchen mit dem Unschuldslächeln wirkt nicht bei jedem Mann. Sie sollten ganz genau aufpassen, wen Sie um Ihren hübschen kleinen Finger zu wickeln versuchen. Eines Tages treffen Sie vielleicht jemanden, der immun gegen Ihren Charme ist.“

Delia lachte unbekümmert. „Das glaube ich kaum, denn solche Männer gibt’s nicht viele.“

„Sie werden ihn schon treffen, verlassen Sie sich drauf. Nur schade, dass ich dann nicht dabei sein kann.“ Der Sergeant grüßte nochmals kurz, dann setzte er sich in seinen Wagen.

Sergeant Jones’ Worte erinnerten Delia an ihre Mutter, die schon oft etwas Ähnliches zu ihr gesagt hatte. Schon als ganz kleines Mädchen hatte Delia ihren Vater verzaubert. Delia erinnerte sich noch genau daran, wie er sie immer hochgehoben und voller Bewunderung angesehen hatte. „Warte nur, bist du erst erwachsen bist“, hatte er gesagt. „Dann wirst du allen Jungs den Kopf verdrehen!“

Und ihr Vater hatte recht behalten. Es fiel Delia nicht schwer, Männern den Kopf zu verdrehen, und weshalb sollte sie es auch nicht tun? Es hatte ihr bisher immer nur Vorteile gebracht.

Delia wäre bestimmt ein verwöhntes und verzogenes Mädchen geworden, hätte sie nicht ein weiches Herz und viel Sinn für Humor gehabt. Mit ihren vierundzwanzig Jahren waren ihr Glück und Erfolg durch ihre Schönheit bisher stets in den Schoß gefallen. Nach der Schule hatte Delia Kosmetik- und Wirtschaftskurse belegt und schließlich in einer kleinen Kosmetikfirma zu arbeiten begonnen. Nach zwei Jahren war sie zu Orchid gewechselt, einem Unternehmen, das früher den Kosmetikmarkt beherrscht hatte, in den letzten Monaten jedoch von der Konkurrenz von seiner Spitzenstellung verdrängt worden war.

Nun sollte die gesamte Firmenpolitik umorganisiert werden. Eine neue Produktpalette war entwickelt worden, und als stellvertretende Werbeleiterin hatte Delia hart daran mitgearbeitet. Nun konnte man nur hoffen, dass die Werbekampagne einschlagen und die neuen Produkte sich gut verkaufen würden.

Delia war mit ihren Gedanken so weit abgeschweift, dass ihr erst jetzt auffiel, wie schnell sie fuhr. Sie blickte erschrocken auf den Tachometer, und dieser kurze Moment genügte, dass sie die herannahende, scharfe Kurve nicht rechtzeitig erkannte.

Delia trat voll auf die Bremse und riss das Lenkrad herum, doch der Wagen kam dadurch derart ins Schleudern, dass er den Bürgersteig erfasste. Delia hörte einen dumpfen Schlag und wusste, dass sie etwas getroffen haben musste.

Endlich gelang es ihr, den Wagen zum Stehen zu bringen. Sie stieg hastig aus und lief zurück zu der Stelle, wo sie auf den Gehweg gefahren war. Delias Magen krampfte sich zusammen, als sie sah, was passiert war: Ein Mann kniete neben einer Gestalt auf dem Boden, die regungslos vor ihm lag.

„Sind Sie verletzt?“, fragte Delia atemlos und ging neben ihm in die Hocke.

„Nein, aber Jenny!“

Delia blickte aufgeregt zu Boden. Vor ihr lag ein wunderschöner Labrador mit goldfarbenem seidigem Fell, doch er rührte sich nicht.

„Um Himmels willen!“, rief Delia entsetzt. „Er bewegt sich nicht!“

„Ist sie tot? Nun sagen Sie schon – ist sie tot?“

Delia legte dem Tier die Hand aufs Herz und merkte erst jetzt, dass es das Geschirr eines Blindenhundes trug. Verwirrt sah sie in das Gesicht des Mannes. Er war tatsächlich blind.

Zu ihrer Erleichterung konnte Delia einen Herzschlag spüren. „Sie lebt! Wenn wir sie sofort zum Tierarzt bringen, wird sie es schaffen!“ Doch so ganz glaubte Delia selbst nicht daran. Der Hund lag immer noch bewegungslos da.

„Bleiben Sie hier“, forderte Delia den Mann auf. „Ich hole meinen Wagen.“

Sie parkte das Auto direkt neben ihm und öffnete eine Hintertür. Der Fremde stand auf und hob den Hund dabei vorsichtig hoch.

„Kommen Sie. Ein bisschen mehr nach rechts.“ Delia führte ihn zur Wagentür. „Lassen Sie mich den Hund halten, während Sie einsteigen.“

„Nein!“

Delia verstand sofort. Nach dem, was sie getan hatte, wollte der Mann nicht, dass sie Jenny berührte. Als er mit seinem Hund im Wagen saß, schloss Delia die Tür und setzte sich ans Steuer.

„Wohin?“

Der Mann nannte den Namen eines Tierarztes und dessen Telefonnummer, und Delia zog ihr Handy hervor. „Wir sind in zehn Minuten da“, informierte sie den Arzt, nachdem sie kurz geschildert hatte, was passiert war.

„Ihren Namen bitte?“, wollte der Veterinär wissen.

„Wie heißen Sie?“, fragte Delia den Fremden.

„Craig Locksley.“

Delia nannte dem Tierarzt den Namen und fuhr wie mechanisch weiter. Sie war viel zu schnell gefahren und hatte einen Blindenhund schwer verletzt. Wenn er sterben würde, war es ihre Schuld. Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Wenn sie Mr. Locksley und seinem Hund helfen wollte, durfte sie nicht in Panik geraten.

Der Tierarzt wartete bereits vor dem Haus mit einem Rollwagen, auf den er Jenny mithilfe seiner Assistentin legte.

„Darf ich Sie hineinführen?“, bot Delia Craig Locksley verunsichert an.

„Danke, das ist nicht nötig“, lehnte er schroff ab. „Ich kenne dieses Haus. Wenn Sie mir helfen wollen, dann gehen Sie jetzt. Sie können nichts mehr für mich tun.“

Er ging zielstrebig auf das Haus zu, doch Delia brachte es nicht fertig, einfach fortzufahren. Sie folgte Craig Locksley in einen hellen Raum, wo Jenny bereits auf dem Behandlungstisch lag.

„Bitte warten Sie draußen“, forderte der Tierarzt Delia und Craig Locksley auf. „Ich werde mein Möglichstes tun.“

Craig streichelte Jenny sanft, und sie leckte ihm die Hand und wedelte dabei schwach mit dem Schwanz. „Es wird alles wieder gut, altes Mädchen“, sprach Craig beruhigend auf sie ein.

Die tiefe Zuneigung und das Vertrauen, das die beiden miteinander verband, berührte Delia so stark, dass ihr die Tränen kamen. Sie wandte sich rasch ab und fragte die Assistentin, ob sie sich irgendwo frisch machen dürfe.

Die junge Frau nickte und führte Delia zu einem kleinen Waschraum. Als Delia sich die Hände wusch, merkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie hatte etwas Schreckliches getan, aber noch schlimmer war die Verachtung, die Craig Locksley ihr so offen entgegenbrachte. Sie musste mit ihm reden und ihm klarmachen, wie leid ihr alles tat.

Als sie aus dem Waschraum kam, saß er im Wartezimmer, hatte den Kopf an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen. Craig Locksley war jünger, als Delia zuerst angenommen hatte – etwa Anfang dreißig. Er besaß ein schmales, gut geschnittenes Gesicht, das deutlich Schmerz und Verzweiflung verriet. Als er Delia kommen hörte, richtete er sich sofort auf.

„Sie sind ja immer noch da. Wollten Sie nicht schon längst gehen?“

„Das … das kann ich nicht, Mr. Locksley“, erwiderte Delia stockend. „Ich habe einen Unfall verursacht, durch den Sie zu Schaden gekommen sind. Wenigstens meinen Namen und meine Versicherungsnummer muss ich Ihnen geben.“

„Und was wird Ihre Versicherung tun, wenn Jenny stirbt? Mir einen Ersatzhund stellen?“ Craig Locksley lachte hart auf. „Aber was wissen Sie schon von solchen Dingen? Jenny und ich sind seit sieben Jahren unzertrennlich. Sie ist Tag und Nacht an meiner Seite und sorgt für meine Sicherheit. Was das für mich bedeutet, kann eine Frau wie Sie sich wahrscheinlich nicht vorstellen.“

„Es tut mir so leid, Mr. …“

„Scheren Sie sich zum Teufel mit Ihrem Mitleid! Sie haben die Kurve viel zu schnell genommen. Wenn Jenny sich nicht zwischen mich und Ihren Wagen geworfen hätte …“ Craig atmete tief durch. „Sie wird wahrscheinlich sterben. Und Sie sagen, es tut Ihnen leid.“

Delia schwieg betroffen. Sie wusste einfach nicht mehr, was sie darauf antworten sollte.

„Warum sagen Sie nichts mehr?“, fragte Craig Locksley zynisch. „Eine so wohlhabende Frau wie Sie braucht sich doch über solche Dinge keine Gedanken zu machen. Sie bezahlen die Tierarztrechnung, und Ihr Gewissen ist beruhigt.“

„So ist es nicht!“, widersprach Delia empört. „Das heißt, natürlich werde ich die Rechnung bezahlen, aber nicht, um mein Gewissen zu beruhigen, sondern weil das meine Pflicht ist. Und weil ich …“

„Ihre verdammte Pflicht interessiert mich nicht“, unterbrach er sie schroff. „Gehen Sie nach Hause.“

„Nein, das werde ich nicht tun! Ich bleibe so lange hier, bis ich weiß, wie es um Jenny steht.“

Da schüttelte Craig den Kopf und lachte spöttisch auf. „Sie sind es gewohnt, Ihren Kopf durchzusetzen, stimmt’s? Sie gehören zu den Frauen, die immer das tun, was sie für richtig halten, ohne Rücksicht auf die anderen.“

„Woher wollen Sie wissen, was für eine Frau ich bin?“

„Ich weiß eine ganze Menge über Sie, aber nichts davon spricht für Sie. Sie glauben, etwas Besonderes zu sein, und nehmen sich das Recht, so schnell zu fahren, weil Sie erwarten, dass alle Welt Ihnen Platz macht. Und Ihre Gesichtszüge drücken Nervosität und Ungeduld aus.“

Zorn stieg in Delia auf, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Mr. Locksley, ich möchte Sie nicht beleidigen, aber Sie können nicht wissen, wie meine Gesichtszüge aussehen.“

„Oh doch, das weiß ich. Die Stimme eines Menschen verrät alles.“

Schon lange hatte niemand mehr so mit Delia gesprochen. Sie war es gewohnt, dass man ihr nie etwas übel nahm. Doch bei diesem Mann biss sie offensichtlich auf Granit. Ihre Schönheit, die Glückswaffe, auf die sie sich sonst immer verlassen konnte, war bei Craig Locksley wirkungslos.

„Ich verstehe ja, dass Sie wütend auf mich sind“, versuchte Delia erneut, ihn zu besänftigen. „Aber ich habe mein Möglichstes getan, um Ihnen zu helfen.“

„Ja, das haben Sie“, gab er unbeeindruckt zu. „Sicher gibt es viele Leute, die einfach weitergefahren wären. Aber die meisten hätten Jenny erst gar nicht angefahren.“

Nun hatte Delia genug. Sie konnte sich die Beleidigungen und Schuldzuweisungen dieses Mannes nicht länger anhören. Wütend stand Delia auf und ging ins Freie, um dort zu warten, bis der Arzt aus dem Behandlungszimmer kam.

Draußen war es empfindlich kalt, doch Delia nahm die Kälte kaum wahr. Sie hatte etwas Schreckliches getan und hoffte nun verzweifelt, dass der Arzt Jenny retten konnte.

Plötzlich ging die Tür auf, und Craig Locksley kam heraus. „Was tun Sie hier draußen?“

„Was ich hier tue?“, wiederholte Delia spitz. „Ich wollte Sie nur von meiner unerträglichen Gegenwart befreien. Woher wussten Sie überhaupt, dass ich hier draußen bin?“

„Machen Sie keinen Unsinn, und kommen Sie wieder rein“, forderte Craig sie auf, ohne ihre Frage zu beantworten. „Hier draußen ist es viel zu kalt.“

Delia zögerte zuerst, dann gab sie schließlich nach und ging mit Craig zurück ins Wartezimmer, wo er sich wieder auf seinen Platz setzte und beharrlich schwieg. Delia konnte nicht umhin, ihn verstohlen zu betrachten. Dieser Mann schien alles, was um ihn her geschah, ganz genau wahrzunehmen. Vielleicht spürte er sogar, dass sie ihn gerade ansah.

Je länger Delia Craig Locksley betrachtete, desto mehr fiel ihr auf, wie gut er eigentlich aussah. Er war groß, besaß eine athletische Figur und schöne dunkle Augen, denen man auf den ersten Blick nicht ansah, dass sie blind waren. Er besaß einen sinnlichen Mund, den ein Zug von Bitterkeit umspielte. Delia fragte sich, wie Craig Locksley wohl aussehen mochte, wenn er lachte. Oder lachte er niemals? War er so verbittert, dass es keinen Platz für Freude und Glück in seinem Leben gab?

Das Läuten eines mobilen Telefons riss Delia aus ihren Gedanken. Es war Craigs Handy, und er zog es aus der Jackentasche.

„Hallo?“, meldete er sich kühl, und Delia beobachtete gespannt, wie seine Züge plötzlich weich wurden. „Hallo, Liebes. Wie geht es dir?“

Delia wusste zwar, dass es unhöflich war mitzuhören, doch in diesem kleinen Raum blieb ihr nichts anderes übrig.

„Ich weiß, normalerweise sind wir um diese Zeit schon zu Hause“, hörte sie Craig sagen. „Aber Jenny und ich sind heute etwas später dran … Ja, ihr geht es gut und mir auch … Nein, natürlich kannst du noch ein bisschen bleiben … Grüß sie beide von mir. Bis bald.“

Nachdem Craig das Gespräch beendet hatte, wurde seine Miene so finster wie zuvor. Delia fragte sich, mit wem er wohl gesprochen und weshalb er nicht die Wahrheit gesagt hatte. In diesem Moment ging die Tür zum Operationsraum auf, und der Tierarzt kam heraus.

2. KAPITEL

„Es war nicht leicht“, meinte Dr. Hendricks ernst. „Aber Jenny ist stark, und das Schlimmste hat sie überstanden. Jetzt können wir nur noch abwarten.“

Craig nickte und gab dem Arzt die Hand. „Danke, dass Sie uns so schnell geholfen haben, Dr. Hendricks.“

„Sie können ruhig nach Hause gehen, Mr. Locksley. Jenny ist hier gut aufgehoben. Soll ich ein Taxi bestellen?“

„Danke, aber das ist nicht nötig“, mischte sich Delia ein. „Ich werde Mr. Locksley nach Hause fahren.“

Sie verabschiedeten sich von Dr. Hendricks, und als sie draußen waren, sagte Craig kühl: „Danke für Ihr Angebot, aber ich komme allein zurecht. Gute Nacht.“

„Aber Mr. Locksley, seien Sie doch vernünftig. Sie können unmöglich ganz allein nach Hause gehen.“

„Das lassen Sie nur meine Sorge sein.“

Craig begann so zielstrebig loszugehen, dass Delia im ersten Moment tatsächlich glaubte, er würde es schaffen. Doch dann blieb er unvermittelt stehen und streckte die linke Hand nach der Hecke aus, die sich neben ihm befand, und tastete mit der anderen nach dem Laternenmast zu seiner Rechten. Es war offensichtlich, dass Craig die Orientierung verloren hatte.

Delia fuhr los und hielt neben ihm an. „Mr. Locksley, ich werde Sie nicht allein nach Hause gehen lassen. Ich erwarte nicht, dass Sie mir verzeihen, aber erlauben Sie mir bitte, dass ich Sie nach Hause bringe. Ein Unglück am Tag ist meiner Meinung nach genug.“ Sie stieg aus und öffnete die Hintertür, doch Craig reagierte nicht. Seine ganze Körperhaltung strahlte Abneigung und Widerwillen aus. „Das Auto steht direkt neben Ihnen, Mr. Locksley. Sie brauchen nur noch einzusteigen.“

Kaum hatte Delia die Worte ausgesprochen, bereute sie es auch schon. Nun war sie genau das, wofür Craig Locksley sie hielt: eine nervöse, ungeduldige Frau, die es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Kein Wunder, dass er eine so schlechte Meinung von ihr hatte. Zuerst schien er ewig so stehen bleiben zu wollen, doch dann gab er endlich nach und stieg ein.

„Würden Sie mir bitte Ihre Adresse sagen?“, bat Delia, und als er sie genannt hatte, fragte sie vorsichtig: „Soll ich bei Ihnen zu Hause anrufen, falls Ihre Familie sich Sorgen um Sie macht?“

„Es ist niemand da.“

„Leben Sie allein?“, fragte Delia verwundert.

„Nein, mit meiner Tochter“, antwortete Craig schroff. „Zum Glück ist sie gerade bei ihren Großeltern.“

Delia bog in eine schöne Allee mit großen viktorianischen Häusern ein. Delia war überrascht. Sie hatte sich Craigs Zuhause eher als eine kleine, ordentliche Wohnung vorgestellt, die auf die Bedürfnisse eines Blinden zugeschnitten war. Allem Anschein nach wohnte er jedoch in einem dieser prachtvollen Häuser, die von großen Gärten umschlossen waren.

„Danke fürs Mitnehmen“, sagte er schließlich kurz angebunden und stieg aus. „Gute Nacht.“

„Darf ich Sie hineinbegleiten?“, bat Delia. „Ich würde Ihnen gern noch einen Drink mixen.“

Craig seufzte entnervt auf. „Wird man Sie denn überhaupt nicht mehr los?“

„Doch. Indem Sie mich ins Haus bitten, damit ich mich davon überzeugen kann, dass es Ihnen gut geht. Und wenn Sie sich dann noch ein bisschen mit mir unterhalten, bin ich zufrieden und gehe.“

„Also gut“, gab Craig schließlich nach. „Dann kommen Sie eben mit.“

Er ging sicher die vier Stufen zur Haustür hoch, schloss auf und ließ Delia eintreten. Dann knipste er das Licht an und führte sie in einen geräumigen Raum, der offensichtlich sein Arbeitszimmer war. Hohe Bücherregale nahmen zwei Wände ein, in einer Ecke stand eine hochmoderne Computeranlage, und in der Mitte des Raumes befanden sich ein breites Ledersofa und mehrere Sessel.

Craig ging an den Getränkeschrank und goss sich einen Brandy ein. „Sie müssen noch fahren, deshalb kann ich Ihnen nur Tee oder Kaffee anbieten. Was möchten Sie trinken?“

„Einen Kaffee, bitte. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“

„Danke, das ist nicht nötig. In meiner Küche kenne ich mich bestens aus.“

Delia folgte ihm in die mit allen erdenklichen modernen Geräten ausgestattete Küche. Craig bewegte sich hier so sicher, als könnte er sehen. Delia sah sich verwundert die Behälter an, die er von einem Regal nahm. Alle stellten verschiedene Walt-Disney-Figuren dar, was eigentlich gar nicht zu diesem ernsten Mann passte.

„Die hat meine Tochter gekauft“, erklärte Craig, als hätte er Delias Gedanken gelesen. „Es war ihre Idee, diese Tierbehälter zu verwenden. So weiß ich immer sofort, was ich gerade in der Hand halte. Im Bär ist Zucker, im Eichhörnchen Tee und im Pinguin Kaffee. Hier, nehmen Sie das Tablett mit, stellen Sie es auf den kleinen Tisch, und setzen Sie sich in den Sessel neben der Lampe.“

Delia nahm das Tablett und ging voraus ins Arbeitszimmer. „Was spielt es für eine Rolle, wo ich sitze?“

„Eine große“, erklärte Craig und setzte sich aufs Sofa. „Auf diesem Platz ist die Akustik am besten.“

„Sie meinen, es ist genauso, als würden Sie mir mit einer Lampe ins Gesicht leuchten?“, fragte Delia herausfordernd.

Da lächelte Craig unvermittelt, und sein Gesicht wirkte sofort viel attraktiver. „Ganz genau. Aber diese kleinen Vorteile müssen Sie mir schon zugestehen.“

Gleich darauf bewies Craig ihr, wie scharf sein Gehör war. Delia war ein kleines Foto aufgefallen, das auf dem Tisch lag. Sie drehte es zu sich herum, und Craig nahm dieses kaum hörbare Geräusch wahr.

„Das ist meine Tochter Alison“, erklärte er. „Sie ist zehn.“

Delia gefiel das schalkhaft lächelnde kleine Mädchen, das die Arme um einen wunderschönen Labrador gelegt hatte, auf Anhieb. „Dieser Hund auf dem Bild …“

„Das ist Jenny. Alison liebt sie über alles. Deshalb habe ich ihr auch nichts von dem Unfall erzählt, als sie vorhin angerufen hat.“

„Alison ist bestimmt ein liebes Mädchen“, sagte Delia schnell, um vom Thema abzulenken. Weshalb musste er sie ständig daran erinnern, dass sie den Unfall verursacht hatte?

Alison war zwar nicht unbedingt das, was man als Schönheit bezeichnete, aber sie besaß ein aufgewecktes, intelligentes Gesicht und schien eine richtige kleine Persönlichkeit zu sein.

„Ja, das ist sie“, bestätigte Craig. „Aber woher wollen Sie das wissen?“

„Das … das sieht man ihr einfach an.“

„Sie können es sehen, aber ich nicht“, erwiderte Craig bitter. „Ich bin seit sieben Jahren blind. Aber ich weiß, dass Alison ein goldenes Herz hat. Sie ist ein fürsorgliches und mitfühlendes Mädchen.“

„Eigenschaften, die Sie mir nicht zutrauen, nicht wahr?“, fragte Delia spitz, doch Craig antwortete darauf nicht. „Was ist mit Ihrer Frau?“, fragte Delia schließlich, weil ihr sein Schweigen unangenehm wurde.

„Wir sind geschieden.“

„Und nun kümmert Alison sich um Sie?“

„Ich kümmere mich um meine Tochter“, berichtigte Craig sie schroff. „So wie jeder andere Vater auch.“

Delia biss sich auf die Lippe. „Es tut mir leid, Mr. Locksley. Heute sage ich anscheinend dauernd etwas Falsches.“

„Das tun Sie nur, weil Sie die Dinge aus der falschen Perspektive sehen.“

„So wie Sie kann ich die Dinge ja nicht betrachten“, rechtfertigte Delia sich. „Weil ich ein ganz anderes Leben führe.“

„Das stimmt nicht ganz. Die Welt, in der wir leben, ist immer dieselbe. Aber mich berührt sie anders als Sie. Trinken Sie Ihren Kaffee, bevor er kalt wird.“

Der plötzliche Themenwechsel verwirrte Delia, doch sie folgte Craigs Aufforderung. Der Kaffee schmeckte sehr gut.

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Craig unvermittelt.

„Delia Summers.“

„Ihrer Stimme nach müssten Sie etwa Anfang zwanzig sein, stimmt’s?“

„Stimmt.“

„Gehört der Wagen, mit dem Sie hier sind, Ihnen?“

„Wenn ich die Raten abbezahlt habe, ja.“

„Dann müssen Sie sehr erfolgreich in Ihrem Beruf sein. Was machen Sie?“

„Ich bin stellvertretende Werbeleiterin bei Orchid Cosmetics.“

„Und Sie sind scharf auf den Job Ihres Chefs, nicht wahr?“

„Hören Sie das auch aus meiner Stimme heraus?“, fragte Delia leicht verärgert, weil ihr das Verhör allmählich unangenehm wurde.

„Natürlich. Man merkt sofort, wenn ein Mensch ehrgeizig ist. Sie sind sehr tüchtig und wissen genau, was Sie wollen. Wie sehen Sie aus?“, fragte Craig weiter, ehe Delia etwas dazu sagen konnte.

„Ich bin groß, schlank, habe lange Beine, langes schwarzes Haar und dunkelblaue Augen.“

Craig lächelte spöttisch. „Und Sie sind es gewohnt, von Männern umschwärmt zu werden, hab’ ich Recht?“

„Das haben Sie gesagt.“

„Wissen Sie, Delia, wenn eine Frau Ihre Vorzüge so stolz beschreibt wie Sie, dann weiß sie genau, wo sie in der Männerwelt steht. Ich könnte wetten, Sie tragen hohe Absätze und einen superkurzen Rock, damit die ganze Welt Ihre schönen, langen Beine bewundern kann.“

„In meinem Job ist das äußere Erscheinungsbild absolut wichtig“, rechtfertigte Delia sich ärgerlich. „Sonst wäre ich ein schlechtes Beispiel für Orchid Cosmetics.“

Während sie sprach, neigte sie unwillkürlich den Kopf zur Seite, so wie sie es bei dem wütenden LKW-Fahrer getan hatte. Mit einem charmanten Lächeln und einem tiefen Blick aus ihren dunklen Augen hatte sie bis jetzt noch jedem Mann den Wind aus den Segeln genommen. Plötzlich wurde Delia jedoch bewusst, wie lächerlich es war, etwas Derartiges bei Craig Locksley zu versuchen, und sie schämte sich entsetzlich dafür.

„Sie sind so still geworden“, bemerkte er. „Warum sprechen Sie nicht weiter?“

„Weil … es nichts mehr zu erzählen gibt.“

„Sie hätten mir noch sagen können, ob sie verheiratet sind und Kinder haben. Aber die Frage kann ich mir eigentlich sparen, nicht wahr? Auf einen solchen Gedanken sind Sie bestimmt noch nie gekommen.“

„Wenn Sie alles so genau wissen, warum fragen Sie dann überhaupt?“, konterte Delia ärgerlich. Allmählich gingen ihr Craigs zynische Mutmaßungen zu weit. „Meine Stimme hat Ihnen doch bestimmt schon die Antwort gegeben.“

Craig lächelte amüsiert. „Ganz recht. Eine Frau wie Sie hat keine Kinder. Es gibt nichts und niemanden, für den Sie verantwortlich sind, außer für sich selbst.“

„Da täuschen Sie sich aber gewaltig, Mr. Locksley. Ich habe in meinem Job sogar sehr viel Verantwortung …“

„Ich rede nicht von Ihrem Job, sondern von Verantwortung anderen Menschen gegenüber. Sie denken immer nur an sich. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, den sie mehr lieben als sich selbst.“

Delia wusste nicht mehr, was sie sagen sollte, und ihr Herz klopfte wild. Dieser Mann schien aus ihr lesen zu können wie aus einem offenen Buch. Noch nie hatte ein Mensch sie so leicht durchschaut wie er.

„Erstaunlich, was eine Stimme so alles enthüllt“, sagte sie schließlich schnippisch, um ihre Unsicherheit zu verbergen.

„Der Beruf eines Menschen sagt viel über seinen Charakter aus“, erklärte Craig wie nebenbei. „Und da Sie so viel Wert auf Oberflächlichkeiten legen, wundert es mich nicht, dass Sie für eine Kosmetikfirma arbeiten.“

„Das hat mit Oberflächlichkeiten nichts zu tun“, widersprach Delia entschieden, „sondern vielmehr mit Äußerlichkeiten, und die sind für die meisten Menschen wichtig. Jede Frau möchte hübsch aussehen, aber an dieser Einstellung sind nicht wir Frauen schuld, sondern die Männer. Jeder Mann wünscht sich eine schöne Frau. Was für einen Charakter sie hat, ist den meisten unwichtig.“

„Den meisten Männern vielleicht, aber ganz bestimmt nicht allen.“

„Glauben Sie mir, Mr. Locksley, so wie Sie denken nur die wenigsten.“

„Es sind ja auch nur die wenigsten blind. Shakespeare hatte schon recht, als er schrieb: ‚Schönheit verblasst mit den Jahren, aber ein goldenes Herz ist der Himmel der Glückseligkeit.‘ Heinrich V., falls es Sie interessiert.“

„Vielen Dank für die Belehrung“, erwiderte Delia verärgert. „Und jetzt will ich Ihnen mal was sagen, Mr. Locksley: Diese angeblich so sensiblen Männer, die Sie meinen, die gibt es nur in Ihrer Fantasie. Männer achten in erster Linie auf die Figur und das Gesicht einer Frau. Das war schon immer so und wird sich auch nie ändern.“

Craig verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Sie müssen es ja wissen. Schönheit kann eine wirkungsvolle Waffe sein, nicht wahr?“

„Manchmal schon“, gab Delia trotzig zu.

„Jetzt sagen Sie mir nur noch eins: Haben Sie in Ihrem Leben je um etwas kämpfen müssen? Oder haben Ihre langen Beine und die bezaubernden blauen Augen Ihnen bisher immer den Weg geebnet?“

„Jetzt habe ich aber genug!“ Delia stand wütend auf. „Ich weiß, dass der Unfall meine Schuld war, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mich derart zu beleidigen! Was ich getan habe, tut mir furchtbar leid, und ich würde alles dafür geben, um es ungeschehen zu machen, aber das wollen Sie mir offenbar nicht glauben. Sie halten mich für egoistisch und selbstsüchtig und glauben, dass ich … dass ich nur versuche, mein Gewissen zu erleichtern, indem ich …“

Plötzlich versagte ihr die Stimme, und Delia schluchzte auf. Die ganze Anspannung der letzten Stunden brach nun aus ihr heraus. Auf einmal trat Craig auf sie zu und legte ihr den Arm um die Schulter. „Kommen Sie, setzen Sie sich wieder hin. Deswegen brauchen Sie doch nicht zu weinen.“

Doch Delia konnte einfach nicht anders. Sie barg den Kopf an Craigs Schulter und weinte hemmungslos, und er zog sie sanft an sich. Da durchflutete Delia plötzlich ein unbeschreibliches Gefühl der Geborgenheit. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich bei einem Mann so sicher gefühlt wie in diesem Moment bei Craig.

„Sie haben einen leichten Schock erlitten“, sprach er beruhigend auf sie ein. „Aber keine Angst, das geht wieder vorbei. Sie sind es nicht gewohnt, mit Problemen umzugehen. Jetzt haben Sie eins, und das ist schlimmer für Sie als der Unfall, den Sie verursacht haben.“ Craig zog ein Taschentuch hervor und wischte Delia sanft die Tränen ab.

Delia hielt völlig still. Craigs Berührungen waren so angenehm, dass sie stundenlang hätte so stehen bleiben und sie genießen können. Doch dann steckte er das Taschentuch wieder ein und begann, Delias Gesicht zu erkunden. Sie hielt den Atem an, als er die Finger behutsam über ihre Lider, Nase und die Lippen gleiten ließ. Es war einfach wundervoll, von diesem Mann berührt zu werden. Schließlich atmete er tief ein und ließ die Hände sinken.

„Es tut mir leid“, sagte er rau. „Ich hatte kein Recht, das zu tun, ohne Sie vorher um Erlaubnis zu fragen. Verzeihen Sie mir.“

„Das … das ist schon in Ordnung.“ Delia atmete tief durch und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie irritiert sie war. „Jetzt … jetzt wissen Sie wohl genau, wie ich aussehe.“

„Ja, in der Tat. Sie haben eine makellose Haut und feine, ebenmäßige Züge – eine echte Schönheit eben. Aber die wird nicht lange währen, wenn Sie in Zukunft nicht vorsichtiger damit umgehen.“

„Was soll denn das schon wieder heißen?“, fragte Delia ärgerlich. Sie hatte allmählich genug von Craigs spöttischen Bemerkungen. „Ich habe die gesamte Produktpalette von Orchid Cosmetics zur Verfügung, um mein Äußeres zu pflegen. Wenn das nicht genug ist, dann …“

„Oh ja, natürlich“, unterbrach Craig sie ironisch. „Sie haben Feuchtigkeitscremes, Gesichtsmasken und all diese Dinge, aber das habe ich nicht gemeint.“

„Hören Sie, Mr. Locksley …“

„Jetzt hören Sie mir mal zu, Miss Summers, oder besser gesagt, fühlen Sie selbst, was ich meine. Legen Sie den Finger zwischen Ihre Brauen, und fühlen Sie das kleine Fältchen, das sich dort gebildet hat. Keine Antifaltencreme der Welt vermag dieses Fältchen zu glätten, solange Sie jeden Tag von Neuem dazu beitragen, es zu vertiefen. Sie lachen zu wenig, ich meine, richtig lachen, spontan und aus vollem Herzen“, fuhr Craig fort. „Wenn Sie lachen, werden Ihre Züge weicher, denn beim Lachen nimmt man wesentlich weniger Muskeln in Anspruch, als wenn man die Stirn runzelt, haben Sie das gewusst? Kommen Sie runter von Ihrem hohen Ross zum Rest der Welt, dann wird dieses kleine Fältchen bald von ganz allein verschwinden.“

„Also, das ist eine Unverschämtheit! Ich …“

„Weshalb regen Sie sich so auf?“, unterbrach Craig sie ungerührt. „Können Sie keine Kritik vertragen? Oder hat es bisher noch niemand gewagt, Ihnen die Wahrheit zu sagen? Wissen Sie, was Sie meiner Meinung nach sind, Miss Summers? Eine rechthaberische und egoistische Person, die erwartet, dass die ganze Welt nach Ihrer Pfeife tanzt.“

Nun platzte Delia endgültig der Kragen: „Was fällt Ihnen ein, so mit mir zu reden!“, schrie sie Craig an. „Sie wissen überhaupt nichts von mir. Alles, was Sie …“

„Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, dass ich unter wahrer Schönheit etwas anderes verstehe als Sie. Dass die inneren Werte eines Menschen wichtiger sind als sein Äußeres.“

„Ach, und meine inneren Werte meinen Sie wohl ganz genau zu kennen, stimmt’s? Ihrer Meinung nach bin ich nichts weiter als eine oberflächliche Egoistin.“

„Ich würde eigentlich eher sagen, eine einsame und unglückliche Frau.“

„Ich bin nicht unglücklich!“

„Jemand, der einsam ist, ist immer unglücklich.“

„Und wie ist es mit Ihnen?“, konterte Delia wütend. „Geht es Ihnen etwa besser?“

„Ich bin nicht einsam, Miss Summers. Ich habe eine Tochter, die ich liebe. Und wen lieben Sie?“

„Ich glaube kaum, dass Sie das etwas angeht“, gab Delia patzig zurück. Sie öffnete ihre Handtasche und zog ein Kärtchen heraus. „Hier ist meine Visitenkarte. Wenn Sie wissen, was ich Ihnen für Jennys Behandlung schuldig bin, rufen Sie mich bitte an. Auf Wiedersehen, Mr. Locksley.“

„Warten Sie, Miss Summers …“

Doch Delia hörte nicht mehr hin. Sie wollte nur weg – weg von diesem schrecklichen Mann, der sie durchschaute wie eine gläserne Wand. Delia lief hastig zu ihrem Wagen und fuhr nach Hause.

3. KAPITEL

„So, wie ich die Sache sehe, war es gar nicht deine Schuld“, meinte Laurence unbekümmert, als Delia ihm aufgeregt von dem Unfall erzählte.

„Natürlich war es meine Schuld. Ich bin viel zu schnell gefahren, und der arme Hund konnte nicht mehr …“

„Unsinn. Blindenhunde sind dazu da, ihr Herrchen zu beschützen“, wandte Laurence ein. „Und dieser Hund hat seinen Job nicht richtig gemacht, das ist alles.“

„Aber ich bin auf den Gehweg gefahren, und Jenny, so heißt Mr. Locksleys Hund …“

„Ober, bringen Sie uns bitte noch eine Flasche Wein!“

„Entschuldige, wenn ich dich langweile“, sagte Delia missmutig.

Laurence lächelte selbstgefällig. „Komm, Darling, sei nicht gleich beleidigt. Lass uns lieber von etwas Erfreulicherem reden. Habe ich dir schon gesagt, wie schön du heute wieder aussiehst?“

„Es freut mich ja, dass ich dir gefalle, Laurence. Aber was verstehst du eigentlich unter Schönheit? Ein makelloses Gesicht und eine schlanke Figur? Weiter nichts?“

Laurence sah sie verständnislos an. „Wie bitte?“

„Ich meine, sollte Schönheit nicht etwas mit den inneren Werten eines Menschen zu tun haben?“

Laurence schüttelte lächelnd den Kopf. „Wen interessieren schon die inneren Werte einer Frau? Mir gefällt ein Mädchen nur, wenn sie ein schönes Gesicht hat und eine sexy Figur. So sind wir Männer eben.“

Delia runzelte die Stirn. „Anscheinend hatte Craig doch recht.“

„Wer?“

„Ach, ist nicht so wichtig“, wehrte Delia ab. „Ich mache mir nur so meine Gedanken.“

Laurence seufzte auf. „Das tust du aber oft in letzter Zeit. Zuerst erzählst du mir diese rührselige Story mit dem Blindenhund, und dann fängst du an, über die inneren Werte der Menschheit zu philosophieren. Was ist bloß los mit dir? Du warst doch früher nicht so.“

Laurence hatte recht. Seit Delia Craig Locksley begegnet war, hatte sie sich tatsächlich verändert. Bisher hatte es ihr immer sehr gefallen, wenn sie mit Laurence, so wie heute, in ein exklusives Restaurant gegangen war und die Männer ihr anerkennende Blicke nachgeworfen hatten. Doch heute konnte sie den Abend einfach nicht genießen. Irgendetwas stimmte nicht, und allmählich wurde Delia klar, was es war.

Zuerst war sie erleichtert gewesen, als sie Craig Locksleys Haus endlich verlassen hatte. Doch dann hatte sie noch den ganzen restlichen Abend an ihn denken müssen. Auch am folgenden Tag ging ihr dieser eindrucksvolle Mann nicht aus dem Kopf. Er hatte Dinge zu ihr gesagt, die sie innerlich bewegt hatten.

Noch vor der Arbeit rief Delia beim Tierarzt an, um sich nach Jennys Befinden und den Behandlungskosten zu erkundigen, und der Arzt teilte ihr mit, dass Craig Locksley jedoch alle Kosten selbst übernehmen würde. In der darauffolgenden Woche rief Delia noch zwei Mal an und erfuhr zu ihrer großen Erleichterung, dass Jenny sich allmählich auf dem Weg der Besserung befand. Endlich, dachte Delia, kann ich diese unglückselige Sache vergessen.

Auch die Krise bei Orchid Cosmetics erforderte Delias ganze Energie. Gerald Hedwin, der Geschäftsführer der Firma, hatte sämtliche Verträge mit Lombard gekündigt und seinen Mitarbeitern deutlich zu verstehen gegeben, dass er Brian für den Verantwortlichen für Orchids Misserfolge hielt.

Doch Brian verschaffte sich Rückendeckung. Beim nächsten Meeting erschien er mit einem jungen Mann namens Jeff, den er als seinen Neffen vorstellte. Dabei nutzte er jede Gelegenheit, um Jeffs Qualitäten hervorzuheben, und es war offensichtlich, dass Brian Jeff als seinen Nachfolger sehen wollte.

Delia gefiel dieser Jeff ganz und gar nicht. Er machte einfach einen zu aalglatten Eindruck, genauso wie seine Ideen und Präsentationen. Mr. Hedwin hingegen schien ziemlich angetan von ihm zu sein. Nachdem Jeff seine Vorschläge mündlich vorgetragen hatte, schob er Mr. Hedwin einen Ordner hin, den Mr. Hedwin eingehend studierte und dabei immer wieder anerkennend nickte. Delia beobachtete, wie Jeff und Brian verschwörerische Blicke austauschten, und ärgerte sich über die Art und Weise, wie die beiden versuchten, sie von der Bildfläche zu verdrängen.

„Ausgezeichnete Arbeit“, sagte Mr. Hedwin schließlich zu Jeff, und Delia wurde klar, dass ihr heiß ersehnter Job in weite Ferne rücken würde, wenn sie nicht schnell etwas unternahm.

„Möchte jemand noch etwas dazu sagen?“, fragte Mr. Hedwin. „Wenn nicht, dann können wir …“

„Ja, ich“, meldete sich Delia eifrig. „Ich habe eine gute Idee, wie wir unsere Werbung effektiver gestalten können. Und zwar in Form einer kleinen Broschüre, die wir zusätzlich mit unseren Produkten …“

„Sie meinen Tipps, wie man Lippenstift richtig aufträgt oder die neueste Technik fürs Make-up“, unterbrach Brian sie spöttisch. „Wirklich sehr originell, Delia.“

„Nein, das habe ich nicht gemeint, Brian. Ich meine vielmehr die Schönheit, die von innen kommt. Und die können Cremes und Lotionen allein nicht ersetzen.“

„Also, wissen Sie, wenn die Frauen erst mal anfangen, über solche Dinge nachzudenken, dann sind wir bald überflüssig“, wandte Jeff ein.

„Das sind wir ganz und gar nicht“, widersprach Delia bestimmt. „Wenn wir die Sache richtig angehen, wird sie ein Riesenerfolg werden. Sehen Sie, eine schöne Haut bekommt man zum Beispiel nur, wenn man sich richtig ernährt. Wenn eine Frau die falschen Dinge isst, wird ihr keine Creme der Welt einen perfekten Teint verleihen. Schönheit entsteht zuerst von innen, auch durch die Gedanken und Gefühle eines Menschen.“

„Also, das halte ich für Unsinn“, beharrte Jeff. „Frauen machen sich hübsch, um Männern zu gefallen. Weil sie wissen, dass das Äußere einer Frau für einen Mann das Wichtigste ist.“

„Da muss ich Ihnen widersprechen, Jeff. Es gibt genügend Männer, die Shakespeares Meinung teilen, als er sagte: ‚Ein schönes Gesicht verblasst mit den Jahren, aber ein goldenes Herz ist der Himmel der Glückseligkeit‘ . Das ist Heinrich V., falls es Sie interessiert“, fügte Delia trocken hinzu, als sie Jeffs verblüfftes Gesicht sah.

„Shakespeare?“, fragte Mr. Hedwin plötzlich interessiert. „Das hört sich gut an. Machen Sie weiter, Delia.“

Das ließ Delia sich nicht zwei Mal sagen. Alles, worüber sie in den letzten Wochen so viel nachgedacht hatte, sprudelte nun aus ihr heraus.

„Keine noch so teuren Cremes helfen gegen Falten, wenn eine Frau sich ständig grämt“, erklärte sie. „Haben Sie gewusst, dass man beim Stirnrunzeln mehr Gesichtsmuskeln bewegt als beim Lachen? Es gibt unzählige Ratgeber über Diäten, gesunde Ernährung und Hautpflege, aber wie man sein Aussehen durch positives Denken beeinflussen kann, darüber hat noch nie jemand in der Kosmetikbranche geschrieben.“

„Klingt wirklich interessant“, hatte Mr. Hedwin gemeint. „Na, dann legen Sie mal los, Delia. Ich bin gespannt, was Sie auf die Beine stellen.“

„Ich habe hart an dieser Broschüre gearbeitet“, erklärte Delia Laurence, als der Ober schließlich den Kaffee servierte. „Und sie ist wirklich gut geworden.“

„Und worüber machst du dir dann Sorgen?“

Delia zuckte die Schultern. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil die Idee für das Ganze eigentlich nicht von mir stammt“, gab Delia zu. „Den Gedanken mit der inneren Schönheit einer Frau habe ich von Mr. Locksley. Und auch das Zitat von Shakespeare ist von ihm.“

„Weiß er, dass du seine Ideen für deine Broschüre verwertet hast?“

„Nein, das ist es ja gerade. Ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken, verstehst du?“

„Also, darüber würde ich mir keine Gedanken machen“, meinte Laurence. „Im Gegenteil. Man kommt im Leben nur voran, wenn man alles nimmt, was man kriegen kann. Aber das müsstest du ja am besten wissen.“

Delia sah ihn empört an. „Was soll das heißen? Dass ich eine rücksichtslose Egoistin bin?“

Laurence tätschelte beruhigend ihre Hand. „Weshalb regst du dich so auf, Darling? Wenn man Karriere machen will, muss man egoistisch sein. Und eine so schöne und intelligente Frau wie du weiß ganz genau, wo und wie sie ihr hübsches Köpfchen einzusetzen hat.“

Delia schwieg verdrossen. In letzter Zeit konnte sie sich über Laurence’ Komplimente einfach nicht mehr freuen, wenn man seine Worte überhaupt als Kompliment verstehen konnte. Es ärgerte Delia zunehmend, dass er in ihr nur die ehrgeizige Karrierefrau sah, die auf nichts und niemanden Rücksicht zu nehmen schien.

Plötzlich hatte Delia keine Lust mehr, mit Laurence zusammen zu sein. Sie täuschte Kopfschmerzen und Müdigkeit vor und bat ihn, sie nach Hause zu fahren.

Was Craig wohl von ihr denken würde, wenn er wüsste, dass sie seine Gedanken und Ideen für ihre Arbeit benutzt hatte? Aber Delia hatte einfach nicht anders gekonnt, so sehr hatten Craigs Worte sie inspiriert. Sie hatte sechs kleine Texte ausgearbeitet, die den Leserinnen auf einfühlsame Weise vermittelten, dass wahre Schönheit von innen komme und positives Denken die Grundvoraussetzung dafür sei, einer Frau eine attraktive Ausstrahlung zu verleihen. Und wenn diese Voraussetzung gegeben sei, wäre es ein Leichtes, sein Äußeres mit den Produkten von Orchid Cosmetics perfekt zu unterstreichen.

Obwohl Mr. Hedwin von ihrer Arbeit begeistert gewesen war, konnte Delia sich über den Erfolg nicht so recht freuen, weil sie ständig an Craig denken musste. Er hatte ihr gezeigt, was ihr im Leben fehlte: ein Mann, der sie zärtlich in die Arme nahm und bei dem sie sich sicher und geborgen fühlen konnte.

Delia hatte so gehofft, dass Craig sie Jennys wegen anrufen würde, doch nichts war geschehen. Eigentlich sollte es Delia egal sein, dass er nicht angerufen hatte, aber das war es nicht. Seltsamerweise tat es ihr weh, dass Craig Locksley sie offensichtlich schon vergessen hatte.

„Wir haben uns für Calloways entschieden“, teilte Mr. Hedwin Delia am nächsten Morgen mit. „Und ich möchte, dass Sie dorthin gehen und dem Geschäftsführer unsere Werbeideen ausführlich unterbreiten. Ich habe auch schon einen Termin für Sie vereinbart.“

Calloways Firmensitz befand sich im Herzen Londons, inmitten von eleganten Bürogebäuden und exklusiven Geschäften. Delia meldete sich am Empfang und wurde gleich darauf zum Büro des Geschäftsführers geführt. Als sie das Namensschild an der halb geöffneten Tür las, stockte ihr der Atem: Craig Locksley stand darauf geschrieben!

„Treten Sie ein, Miss Summers“, erklang auch schon seine angenehm dunkle Stimme. „Ich habe Sie schon erwartet.“

Delia atmete tief durch und folgte seiner Aufforderung. „Guten Morgen, Mr. Locksley“, grüßte sie förmlich. „Ich … ich hatte gar nicht gewusst, dass Sie …“

„Ich weiß“, unterbrach Craig sie spöttisch lächelnd. „Sie können sich nicht vorstellen, dass ein Blinder dazu in der Lage ist, eine Firma zu leiten, stimmt’s? Aber da kann ich Sie beruhigen. Ich habe einen Computer, der zu mir spricht, eine erstklassige Sekretärin und einen messerscharfen Verstand. Ich vergesse nie etwas, Miss Summers.“

„Wirklich nicht? Sie haben vergessen, mich Jennys wegen anzurufen.“

„Das habe ich nicht vergessen. Ich hielt es nur nicht für notwendig.“

„Ich habe mehrmals bei Dr. Hendricks angerufen, um mich nach Jennys Zustand zu erkundigen“, erklärte Delia fest. „Und ich bin sehr froh, dass es ihr wieder besser geht. Ist sie schon zu Hause?“

„Nein.“

Die Tür ging auf, und Craigs Sekretärin steckte den Kopf herein. „Ich soll Ihnen ausrichten, dass Joe und Peter fertig sind, Mr. Locksley.“

„Sagen Sie ihnen, wir kommen gleich. Joe und Peter Calloway sind meine Partner“, erklärte Craig, nachdem die Sekretärin wieder hinausgegangen war. „Mit den beiden werden Sie am meisten zu tun haben. Ich wollte nur noch kurz mit Ihnen sprechen, bevor Sie zu Peter und Joe gehen.“

„Und weshalb?“, fragte Delia spitz. „Um sich über mich lustig zu machen, weil Sie mich hinters Licht geführt haben?“

„Nein, Miss Summers, das will ich ganz bestimmt nicht. Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie immer noch den gleichen Eindruck auf mich machen wie bei unserem ersten Treffen.“

„Und?“

„Das sage ich Ihnen später.“

Delia atmete tief durch. „Mr. Locksley, wie wir beide wissen, bin ich rein geschäftlich hier, und deshalb wäre es am besten, wenn wir persönliche Dinge ausklammern und uns nur auf unsere Arbeit konzentrieren würden.“

Craig lächelte amüsiert „Sie haben völlig recht, Miss Summers. Also, gehen wir.“

Craig ging zielstrebig voraus und führte Delia in einen großen, hellen Raum, in dem zwei riesige, mit Papieren und Unterlagen übersäte Schreibtische standen. Nachdem Craig Delia den beiden Calloway-Brüdern vorgestellt hatte, verabschiedete er sich und bat Delia, später noch einmal kurz bei ihm vorbeizukommen.

Joe und Peter Calloway waren Delia auf Anhieb sympathisch. Im Lauf des Gesprächs merkte sie schnell, dass die beiden die kreativen Köpfe der Werbeagentur waren. Sie gaben humorvoll zu, dass sie absolut keinen Geschäftssinn besäßen und die Firma höchstwahrscheinlich Pleite gegangen wäre, hätte Craig sie nicht in letzter Minute aus dem Sumpf gezogen.

„Ohne ihn wären wir aufgeschmissen“, erklärte Joe vergnügt. „Lassen Sie sich durch seine Blindheit nicht täuschen. Unserem Bankdirektor graut es jedes Mal, wenn er mit Craig einen Termin hat, denn er sei angeblich ein Typ, der sogar den Teufel das Fürchten lehren könne!“

Da mussten alle herzhaft lachen. Delia unterhielt sich noch mehr als zwei Stunden mit Peter und Joe und stellte fest, dass die beiden voller origineller Ideen für Orchid steckten. Aber auch die beiden Brüder waren von Delias Arbeit begeistert, besonders von den Werbebroschüren, die sie erst kürzlich ausgearbeitet hatte.

„Wirklich hervorragende Arbeit“, meinte Peter Calloway schließlich anerkennend, als sich die beiden von Delia verabschiedeten. „Wir freuen uns sehr, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen.“

Craig diktierte gerade etwas auf Band, als Delia an die Tür klopfte. Er schaltete das Diktiergerät ab und bat Delia einzutreten. „Gerade ist das Mittagessen gekommen“, meinte er lächelnd. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, für mich aufzutragen?“

„Gern.“ Delia gab Geflügelsalat und zwei knusprige Brötchen auf einen Teller und stellte ihn auf Craigs Schreibtisch. Da atmete Craig plötzlich tief ein und runzelte die Stirn.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Delia nervös. „Stört Sie wieder etwas an mir?“

„Es ist Ihr Parfüm. Es passt nicht zu Ihnen.“

„Oh, tatsächlich?“

„Es ist sicher ein teures Parfüm, aber es passt nicht zu Ihrem Stil.“

„Ich habe die Tasse rechts neben Ihren Teller gestellt“, antwortete Delia kühl, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Sie würde Craig nicht den Gefallen tun, ihn zu fragen, was er denn für ihren Stil hielte.

Craig lächelte und wechselte unvermittelt das Thema. „Sie haben diesen netten kleinen Schönheitsratgeber geschrieben, nicht wahr?“

„Ja.“

„Dann haben Sie absolut nichts von dem verstanden, was ich Ihnen an jenem Abend erklärt habe. Sie haben meine Ideen und Gedanken eiskalt zu Ihrem Vorteil genutzt.“

„Das würde ich nicht so sehen, Mr. Locksley“, widersprach Delia bestimmt. „Alles, was in der Broschüre steht, war wohldurchdacht und ernst gemeint. Sie sollten mich nicht für etwas verurteilen …“

„Ich verurteile Sie nicht, Miss Summers. Im Gegenteil, ich bewundere Ihre Cleverness. Sie haben sofort die Chance genutzt, Ihren Konkurrenten aus dem Rennen zu drängen, und das ist der richtige Weg zum Erfolg.“

„Ich glaube, Sie sehen etwas völlig falsch, Mr. Locksley“, verteidigte Delia sich. „Ich bin diejenige, die aus dem Rennen gedrängt werden soll. Brian Gorham, mein Chef, versucht mit allen Mitteln, seinen Neffen Jeff zu seinem Nachfolger zu machen, obwohl er genau weiß, dass ich diesen Job haben möchte. Ich habe hart dafür gearbeitet, Mr. Locksley. Aber Brian versucht, Jeff mit unfairen Tricks an die Spitze zu bringen. Und wenn ich nichts dagegen unternehme, bin ich ganz schnell aus dem Rennen.“

„Also haben Sie in Ihre eigene Trickkiste gegriffen und zum Gegenschlag ausgeholt“, schlussfolgerte Craig amüsiert. „Nicht schlecht, das muss man Ihnen lassen. Übrigens, die Verhandlungen mit Ihrem Chef sind noch nicht abgeschlossen. Richten Sie ihm bitte aus, dass meine Forderung um zehn Prozent höher liegt als das, was er mir geboten hat.“

Delia schüttelte den Kopf. „Darauf wird er nicht eingehen.“

„Er wird, wenn er die Qualität unserer Arbeit mit der von Lombard vergleicht.“

„Das werden wir ja sehen“, meinte Delia herausfordernd, doch dann wurde ihr bewusst, was sie eben gesagt hatte, und sie biss sich auf die Lippe. „Entschuldigen Sie, Mr. Locksley, ich wollte Sie nicht …“

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, fiel Craig ihr ungehalten ins Wort. „Mit mir kann man reden wie mit einem ganz normalen Menschen, auch wenn Sie mich offensichtlich nicht für einen solchen halten!“

„Daddy!“, ertönte plötzlich eine helle, vorwurfsvolle Stimme hinter ihnen, und ein kleines Mädchen kam herein. Es war das Kind auf dem Foto, das Delia bei Craig zu Hause gesehen hatte. Alison lächelte schalkhaft und sah Delia neugierig an.

„Machen Sie sich nichts draus, Daddy kann manchmal ziemlich ruppig werden“, meinte sie vergnügt. „Im Moment ist er aber nur so schlecht drauf, weil er ohne Jenny aufgeschmissen ist.“

„Alison!“ Craig wies seine Tochter streng zurecht.

Das kleine Mädchen sah ihn nun so liebevoll an, dass Delia ganz warm ums Herz wurde. „Entschuldige, Daddy. Ich hab’ doch bloß Spaß gemacht.“

„Sag nicht immer: ‚Entschuldige, Daddy‘ . Das geht mir auf die Nerven.“

„Entschuldige, Daddy.“

Da musste Craig lachen und kniff seine Tochter zärtlich in die Wange. „Du bist eine richtige kleine Göre, weißt du das?“

„Ja, Daddy!“

„Miss Summers, das ist meine Tochter Alison. Alison, das ist Miss Summers von Orchid Cosmetics.“

Alison sah Delia mit großen Augen an. „Sind Sie vielleicht ein Model? Ich meine, führen Sie das tolle Make-up von Orchid Cosmetics auch vor?“

Delia lächelte warm. „Ja, in gewisser Weise schon. Ich arbeite für die Werbeabteilung.“

„Dann dürfen Sie bestimmt alle Produkte von Orchid selbst ausprobieren, nicht wahr?“

„Jawohl, das darf ich.“

Alison seufzte wehmütig auf. „Wenn ich nur so schön wäre wie Sie. Ich sehe jeden Tag in den Spiegel und hoffe, dass ich ein bisschen hübscher geworden bin, aber nichts passiert.“

Delia lächelte sanft. „Auf diese Weise wirst du deine Schönheit auch nicht entdecken, Alison. Kein Mädchen sieht hübsch aus, wenn es ständig in den Spiegel starrt. Schönheit ist etwas, das andere in dir sehen. Verstehst du, was ich meine?“

„Aber bei mir gibt es nichts zu sehen, das ist ja das Schlimme“, meinte Alison betrübt. „Mein Gesicht gefällt mir gar nicht. An dem ist einfach überhaupt nichts schön.“

„Du bist ja auch noch lange nicht erwachsen“, versuchte Delia dem Mädchen Mut zu machen. „Warte noch ein bisschen, bis du etwas älter bist, dann wird sich vieles ändern.“

„Aber das dauert mir viel zu lange. Könnte ich denn nicht jetzt schon etwas nachhelfen?“

„Mädchen in deinem Alter sollten sich eigentlich noch gar nicht schminken. Aber warte mal, vielleicht habe ich trotzdem eine Kleinigkeit für dich.“ Delia nahm ein kleines Fläschchen Eau de Toilette aus ihrer Handtasche und reichte es Alison. „Tupfe einen Tropfen davon hinter deine Ohrläppchen.“

„Oh, Parfüm!“, rief Alison begeistert.

„Das ist nur Eau de Toilette“, erklärte Delia schnell, als sie Craigs missbilligenden Gesichtsausdruck sah. „Damit geht man sparsam um.“

Diesen Rat hätte Delia sich schenken können, denn Alison war bereits dabei, sich überschwänglich damit zu besprühen.

„Komm mit diesem Zeug bloß nicht in meine Nähe!“, schimpfte Craig. „In deinem Alter solltest du so etwas noch gar nicht benutzen.“

Alison hielt sofort inne, doch sie war nicht beleidigt, wie die meisten Mädchen es in ihrem Alter wohl gewesen wären, sondern sagte ernst: „Entschuldige, Daddy.“

Craig seufzte auf. „Ist schon gut, Liebes, ich muss mich entschuldigen. Ich hätte dich nicht so anschnauzen sollen. Komm mal her.“

Er streckte die Hand aus, und Alison nahm sie und umarmte ihren Vater liebevoll. Dabei flüsterte sie ihm ins Ohr: „Bei Miss Summers musst du dich auch noch entschuldigen.“

„Wofür denn?“, fragte Craig gespielt unschuldig. „Ich bin doch der netteste Mann auf der Welt.“

Da mussten Alison und Delia gleichzeitig lachen, und zu ihrem Erstaunen lachte Craig mit. „Aber jetzt mal Spaß beiseite. Entschuldigen Sie, dass ich so unfreundlich zu Ihnen war, Miss Summers. Ich bin heute einfach nicht so gut gelaunt.“

„Aber das ist nicht seine Schuld.“ Alison nahm ihren Vater sofort in Schutz. „Er ist nur so gereizt, weil sein Hund Jenny nicht bei ihm ist und ich mich deshalb ganz besonders um ihn kümmern muss. Aber nächste Woche, wenn Jenny wieder bei uns ist, fahre ich ins Ferienlager.“

„Oh, wie schön für dich!“, meinte Delia lächelnd.

„Wissen Sie, Jenny wurde von einem Auto angefahren“, fuhr Alison fort. „Daddy hat gemeint, die Fahrerin des Wagens gehöre zu den Frauen, die immer nur an sich denken und keine Rücksicht auf andere Menschen nehmen. Ich finde solche Leute schrecklich, Sie nicht auch?“

Delia atmete tief durch und nahm all ihren Mut zusammen. „Weißt du, Alison, ich fürchte … ich fürchte, diese Frau war ich.“

Alisons Gesicht veränderte sich schlagartig, und sie sah Delia ungläubig an. „Sie?“

„Ja. Ich war diejenige, die Jenny so schwer verletzt hat. Ich … ich bin zu schnell gefahren, und dann ist es passiert. Es tut mir sehr, sehr leid, Alison“, fügte Delia niedergeschlagen hinzu, als sie die Enttäuschung in den Augen des Mädchens sah.

Alison biss sich auf die Lippe und blickte zu Boden. „Ich weiß, dass es ein Unfall war, das hat Daddy mir schon gesagt“, erwiderte sie leise und sah dann ihren Vater an. „Darf ich jetzt ein bisschen zu Onkel Joe gehen, Daddy?“

„In Ordnung, aber stör ihn nicht bei seiner Arbeit, ja?“

„Auf Wiedersehen, Miss Summers. Es war nett, Sie kennenzulernen.“ Alison lächelte noch einmal kurz, dann verließ sie den Raum.

„Alle Achtung“, sagte Craig unvermittelt, nachdem Alison die Tür geschlossen hatte. „So viel Courage hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“

„Danke für das Kompliment“, erwiderte Delia gereizt. „Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen. Auf Wiedersehen, Mr. Locksley.“

Delia verließ das Büro, und Craig machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten. Kurz danach kam Alison wieder. Sie trat auf ihren Vater zu und nahm seine Hand.

„War sie es wirklich, Daddy?“

„Leider, ja.“

Alison dachte eine Weile nach, dann sagte sie: „Aber sie ist ganz anders, als du sie mir beschrieben hast.“

„Tatsächlich? Dann erkläre du mir doch mal, wie sie aussieht.“

„Sie ist groß und schlank und sehr, sehr hübsch. Ich meine, wirklich hübsch – nicht nur, weil sie zurechtgemacht ist. Wenn ich bloß so schöne Augen hätte wie Miss Summers. So groß und dunkelblau, mit langen schwarzen Wimpern.“ Alison seufzte auf. „Dann würde ich Supermodel werden.“

„Ach wirklich?“ Craig lächelte amüsiert. „Letzte Woche wolltest du noch Tierärztin werden.“

Alison zuckte die Schultern. „Aber wenn ich so toll aussehen würde wie Miss Summers …“

„Sieht sie denn wirklich so toll aus?“

„Ja. Und sie hat ein furchtbar nettes Lächeln.“

„Ich weiß“, erwiderte Craig so leise, dass Alison es kaum hören konnte.

4. KAPITEL

„Wow! Sehen Sie sich mal diesen Wahnsinnstypen an!“

Delia schüttelte über den freimütigen Kommentar ihrer Sekretärin amüsiert den Kopf. Das Lächeln verging Delia jedoch schlagartig, als sie sich umdrehte und sah, wen Helen gemeint hatte. Craig Locksley stand mit seiner Tochter am Empfang!

Delia und Helen befanden sich gerade auf dem Korridor in der Nähe des Empfangsbereichs. „Nicht so laut“, flüsterte Delia Helen zu. „Sonst hört er uns womöglich noch.“

„Ist er nicht unglaublich sexy?“, fuhr Helen begeistert fort, und Delias Herz klopfte wild bei Craigs Anblick.

„Haben Sie die Unterlagen schon herausgesucht, die ich nachher brauche?“, fragte sie rasch, um vom Thema abzulenken, und Helen nickte. „Dann bringen Sie sie bitte in mein Büro. Ich komme in fünf Minuten nach.“

Helen ging davon, und im gleichen Moment hörte Delia, wie die Empfangsdame sagte: „Einen Moment bitte, Mr. Locksley. Ich sage Mr. Gorham Bescheid.“

Also hatte Brian einen Termin mit Craig vereinbart, ohne sie davon zu unterrichten. Seit ihrem Besuch bei Calloways vor zwei Wochen hatte Brian seinen Neffen Jeff in alle Meetings mit einbezogen, obwohl dieser dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Und in diesen Besprechungen hatte Brian auch noch versucht, Delias Fähigkeiten vor Mr. Hedwin herabzusetzen.

Delia sah, dass Alison ihr lächelnd zuwinkte, und ein großer Stein fiel ihr vom Herzen. Offenbar war das Mädchen ihr gar nicht böse wegen des Unfalls. Delia trat auf die beiden zu und begrüßte sie freundlich. Dann fragte sie Alison nach Jennys Zustand.

„Es geht ihr schon viel besser, aber sie darf immer noch nicht nach Hause“, antwortete Alison ernst. „Deswegen hat Daddy mir heute auch erlaubt mitzukommen. Aber nur unter der Bedingung, dass ich Sie nicht dränge, mich herumzuführen. Aber das tue ich ganz bestimmt nicht, oder, Daddy?“, fügte sie schelmisch lächelnd hinzu.

Da lachte Craig, und die kleinen Fältchen um seine Augen ließen ihn sofort viel netter wirken. „Du weißt wohl ganz genau, wie man andere Leute um den kleinen Finger wickelt, oder?“

„Ich hab’ Miss Summers doch gar nicht gefragt, Daddy.“

Delia lachte vergnügt. „Nein, das hast du wirklich nicht. Aber ich werde dir den Wunsch trotzdem erfüllen.“

„Herzlich willkommen, Mr. Locksley!“, ertönte plötzlich Brians übertrieben freundliche Stimme von hinten. „Ich habe Sie schon erwartet. Kommen Sie bitte mit in mein Büro.“

Brian legte seine Hand auf Alisons Schulter, und sie führte ihn sicher in Brians Büro. Delia war mitgekommen, doch als sie eintreten wollte, versperrte Brian ihr den Weg.

„Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauchen sollte“, sagte er und servierte sie mit einem süffisanten Lächeln ab, und Delia blieb nichts anderes übrig, als zurückzutreten. Vorher hatte sie jedoch gesehen, dass Jeff schon im Zimmer saß.

„Während dein Vater mit Mr. Gorham verhandelt, sehen wir beide uns ein bisschen um, einverstanden?“, schlug sie Alison vor, ohne sich ihren Ärger anmerken zu lassen.

Sie führte Alison zuerst in die Labors, wo neue Produkte auf ihre Verträglichkeit geprüft wurden, und danach in ein Studio, in dem freiwillige Testpersonen saßen, die sich als Schminkmodelle für die Auszubildenden von Orchids firmeneigener Kosmetikschule zur Verfügung stellten. Delia schenkte Alison ein hübsches kleines Kosmetiktäschchen und füllte es mit allen möglichen Probeexemplaren. Da Delia wusste, dass Craig seiner Tochter verboten hatte, sich zu schminken, hatte sie nur Cremes, Badegels, Bodylotionen und ein sanftes Gesichtspuder ausgewählt. Um dem Mädchen jedoch wenigstens ein einziges Schminkutensil zu schenken, legte Delia noch einen zartrosa Lippenstift dazu. Alison strahlte übers ganze Gesicht, und Delia zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

Da kam Helen herein und eilte auf Delia zu. „Sie müssen schnell kommen, Delia. Mr. Gorham möchte Sie bei dem Meeting dabeihaben.“

Delia ließ Alison in Helens Obhut und eilte in Brians Büro. An seinem aufgesetzten Lächeln erkannte sie sofort, dass er verärgert war.

„Mr. Locksley möchte, dass Sie uns Gesellschaft leisten“, sagte er gespielt freundlich. „Wie ich gerade von ihm höre, war Ihnen bereits bekannt, dass er seinen Preis um zehn Prozent erhöht hat. Das hätten Sie mir sagen sollen, Delia.“

Delia war so perplex, dass es ihr im ersten Moment die Sprache verschlug. „Aber das habe ich Ihnen gesagt, Brian“, verteidigte sie sich schließlich. „Gleich nachdem ich von Mr. Locksley zurückgekommen bin.“

„Dann hätte ich es ja wohl wissen müssen, oder?“, erwiderte Brian scharf. „Sie können sich vorstellen, wie unangenehm mir die Situation jetzt ist.“

Delia konnte sich kaum noch beherrschen. Am liebsten hätte sie Brian vor Wut etwas an den Kopf geworfen. Er wollte sie vor Craig bloßstellen, aber das sollte ihm nicht gelingen. Zu allem Unmut hatte Delia auch noch das Gefühl, dass Craig genau wusste, was hier gespielt wurde, und sich darüber auch noch amüsierte.

„Bevor wir uns endgültig auf den Preis einigen, sollten Sie sich vielleicht die Unterlagen ansehen, die ich mitgebracht habe“, schlug er Brian vor. „Sie werden mehr als zufrieden sein, Mr. Gorham.“

Brian sah sich zusammen mit Delia und Jeff die Werbeangebote durch, die Joe und Peter Calloway ausgearbeitet hatten. Die beiden Brüder hatten tatsächlich hervorragende Arbeit geleistet. Für diese originellen Ideen war der um zehn Prozent höhere Preis mehr als angemessen.

Brian versuchte Craig jedoch trotzdem umzustimmen und schlug vor, sich bei fünf Prozent in der Mitte zu treffen.

„Es bleibt bei zehn Prozent“, lehnte Craig ab. „Die Arbeit ist es wert.“

Brian wandte sich an Jeff. „Was meinst du?“

„Die Vorschläge sind wirklich ausgezeichnet“, gab Jeff zu. „Aber ich denke, fünf Prozent wären angebracht. Sie haben sicher mitbekommen, dass unsere Finanzen im Moment nicht gerade …“

„Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben“, unterbrach Craig ihn unbeeindruckt. „Bei Lombard haben Sie überhöhte Preise bezahlt und nichts dafür bekommen. Calloways hingegen bietet Spitzenqualität, aber die hat bekanntlich ihren Preis.“

Die Diskussion ging weiter, ohne dass Delia mit einbezogen wurde. Es war mehr als offensichtlich, dass sie nur hierhergebeten worden war, weil Craig darauf bestanden hatte.

„Weshalb fragen wir nicht Ihre Stellvertreterin nach ihrer Meinung?“, schlug er unvermittelt vor, wobei er das Wort „Stellvertreterin“ betonte.

„Ich finde Calloways Vorschläge großartig“, antwortete Delia schnell, ehe Brian ihr zuvorkommen konnte. „Sie sind genau das, was Orchid im Moment braucht.“

„Der Meinung sind wir alle“, mischte Brian sich sofort ein. „Deshalb hat Jeff sich ja gerade mit Calloways in Verbindung gesetzt. Er hat eben ein Gespür dafür, die richtigen Partner zu finden.“

Craig lächelte leicht spöttisch, und Delia merkte sofort, dass er Brian genau durchschaute. „Falls wir miteinander ins Geschäft kommen sollten, haben Sie das nur Miss Summers zu verdanken, Mr. Gorham. Peter und Joe möchten ausschließlich mit ihr arbeiten, weil sie sich ausgezeichnet in deren Ideen hineindenken kann. Also, Gentlemen“, beendete Craig schließlich das Gespräch. „Akzeptieren Sie meinen Preis – oder nicht? Wenn nicht, muss ich mich jetzt verabschieden.“

„Wir werden Ihnen unsere Entscheidung so bald wie möglich mitteilen“, antwortete Brian, um noch etwas Zeit herauszuschinden, doch Craig ließ sich nicht darauf ein.

„Tut mir leid, meine Herren, aber Sie müssen sich sofort entscheiden. Ich habe keine Zeit, auf Ihre Antwort zu warten.“

„Sehen Sie, Mr. Locksley, wir haben gerade erst erfahren, dass …“

„Miss Summers hat Ihnen meine Bedingungen bereits vor zwei Wochen mitgeteilt. Sie kennen meinen Preis. Sollte ich bis heute Abend nichts von Ihnen hören, gehe ich davon aus, dass das Geschäft nicht zustande kommt. Auf Wiedersehen, meine Herren.“

Craig stand auf und wollte gehen, doch plötzlich blieb er stehen. Delia begriff sofort. Er hatte im Moment vergessen, dass Jenny nicht bei ihm war, und das irritierte ihn. Ohne dass die anderen es merkten, zog Delia Craig leicht am Ärmel und wies ihm damit die Richtung, wodurch er ohne fremde Hilfe sicher den Weg zur Tür fand.

Nachdem Delia die Tür hinter ihm und sich geschlossen hatte, blieb Craig stehen. „Danke, dass Sie mir geholfen haben, Delia. Das war sehr nett von Ihnen.“

Delia lächelte warm. „Keine Ursache, Craig.“ Obwohl sie instinktiv gegen ihren Chef für Craig Partei ergriffen hatte, plagten sie keine Gewissensbisse. Es war beeindruckend gewesen, wie mühelos er mit Brian und diesem unmöglichen Jeff fertig geworden war. „Meine Sekretärin Helen zeigt Alison gerade unsere Labors. Ich werde Helen anrufen und sie bitten, Alison zurückzubringen. Wie wäre es mit einem Kaffee in der Zwischenzeit?“

Craig sagte zu, und Delia führte ihn in ihr geräumiges Büro und ließ ihn auf der bequemen Ledercouch Platz nehmen.

„Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie vorhin so diskret waren.“ Craig griff das Thema von vorher nochmals auf. „Zu Ihrem Glück hat Brian nicht bemerkt, dass Sie sich auf meine Seite gestellt haben.“

„Ich wollte nur, dass Ihr Abgang genauso grandios sein würde wie die ganze Verhandlung“, erklärte Delia vergnügt. „Es hat richtig Spaß gemacht, mit anzusehen, wie Sie Brian und diesem aufgeblasenen Jeff den Marsch geblasen haben. Das war einfach super!“

Da lächelte Craig jungenhaft und sah dabei so liebenswert aus, dass Delias Herz zu rasen begann. Helen hatte recht. Craig war der attraktivste Mann, dem sie, Delia, je begegnet war. Diese Mischung aus sinnlicher Männlichkeit, Autorität und Selbstbewusstsein musste einfach jede Frau beeindrucken.

„Wissen Sie, jetzt, da ich Ihre beiden Widersacher kenne, nehme ich Ihnen die Sache mit der Broschüre gar nicht mehr übel“, meinte er lächelnd. „Onkel Brian tut wirklich alles, um seinem lieben kleinen Neffen den heiß begehrten Spitzenjob auf dem Tablett zu servieren, stimmt’s?“

„Genau so ist es“, bestätigte Delia. „Aber das lasse ich mir nicht gefallen. Wenn er wirklich besser wäre als ich, würde ich zurücktreten, aber das ist Jeff ganz bestimmt nicht. Wenn er den Job bekommt, dann nur durch die Intrigen seines Onkels.“

„Es war Ihnen doch hoffentlich recht, dass ich Sie habe rufen lassen, oder?“

„Und wie.“ Delia lachte vergnügt. „Brian und Jeff haben sich furchtbar geärgert, dass ich doch noch dabei sein konnte, und als Sie mich dann auch noch groß und breit gelobt haben, da wäre Brian vor Wut beinahe geplatzt.“

„Und Jeff? Wie hat Jeff ausgesehen?“, fragte Craig belustigt.

„Wie ein kleiner Junge, dem ein größerer gerade seinen Lolli weggenommen hat.“

Da musste auch Craig herzlich lachen. „Sie sollten den Job bekommen, Delia. Sie sind cleverer als die beiden Gorhams zusammen. Vor allem können Sie sich noch richtig für eine Sache begeistern, das haben Joe und Peter mir erzählt. Und Sie nehmen einen guten Ratschlag an.“

„Wieso? Was meinen Sie damit?“

„Vor zwei Wochen hatte ich Ihnen gesagt, Ihr Parfüm würde nicht zu Ihnen passen, und Sie haben sofort reagiert. Das Parfüm, das Sie heute tragen, ist viel angenehmer. Es hat einen zarten Duft, den man nur wahrnimmt, wenn man ganz in Ihrer Nähe ist. Ein wirklich reizender, bezaubernder Duft.“

Delia spürte, wie sie rot wurde, und war froh, dass Craig es nicht sehen konnte. „Ach, ich wollte sowieso mal wieder etwas Neues ausprobieren“, sagte sie schnell, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Craig brauchte nicht zu wissen, wie sehr sie sich über sein Kompliment freute. „Viele unserer Produkte, wie zum Beispiel Parfüm, teste ich an mir selbst, um zu prüfen, wie es allgemein ankommt. Ich denke, wir werden Ihre Meinung in unser nächstes Marktforschungsprogramm aufnehmen.“

Craig lächelte amüsiert. „Tatsächlich? Dazu müssten Sie aber genau wissen, was ich denke.“

„Dann sagen Sie es mir doch“, schlug Delia vor, und ihr Herz begann schneller zu schlagen.

Craig ging jedoch nicht darauf ein. „Alison müsste gleich wiederkommen“, antwortete er ausweichend. „Und Ihr Chef wird sich sicher auch bald melden.“

Autor

Lucy Gordon
Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman „Das Kind des Bruders“, der in Rom spielt. Mit dem Schreiben erfüllte sich...
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