Julia Best of Band 269

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IM LICHT DES MONDES
Aus rein praktischen Gründen will Multimillionär Hugh McRay die Tochter eines Geschäftsfreundes heiraten. Bis er deren hinreißende Schwägerin Vivian trifft. Von heißen Gefühlen überwältigt, verführt er sie nach einem einsamen Bad im Meer. Doch nach einer Nacht voller Leidenschaft will Vivian ihn nie wiedersehen!

IM PENTHOUSE DES MILLIONÄRS
Diese Frau will nur sein Geld! Deshalb verbringt Millionär Michael North eine einzige Liebesnacht mit der schönen Bree, um sein Verlangen zu stillen. Doch der Plan geht nicht auf: Bald lodern in seinem Penthouse in Manhattan die Flammen der Ekstase heißer denn je. Sind Brees geflüsterte Liebesworte womöglich gar keine Lügen?

KALT ERWISCHT – HEISS VERFÜHRT
Ungekannte Lust, Schwangerschaft, Blitzhochzeit: Nie hätte Abby gedacht, dass die Nacht mit dem Fremden ihr Leben auf den Kopf stellt. Die schöne Geschäftsfrau ahnt nicht, dass Leo Storm seit Langem plante, sie anzusprechen – weil er weiß, wer sie wirklich ist …


  • Erscheinungstag 02.09.2023
  • Bandnummer 269
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519304
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ann Major

JULIA BEST OF BAND 269

1. KAPITEL

Florenz, Italien

„Bringt ihn um! Er soll richtig leiden!“

Hugh McRay erstarrte, die Hand auf der Klinke der Tür, die vom Hörsaal zum Parkplatz und zum Helikopterlandeplatz führte. Und das Geschrei da draußen galt ihm.

Roger, sein Assistent, spähte aus dem Fenster auf die stetig anwachsende Menge und bemerkte viel zu heiter: „Immer mehr Menschen strömen auf die Piazza. Ein Glück, dass wir in modernen Zeiten leben und sie keine Dolche dabeihaben. Ich denke, wenn Sie einen kleinen Sprint einlegen, können Sie ohne Gefahr …“

„Was haben die denn auf einmal? Sie hatten jetzt doch Monate lang Zeit, sich an meine Architektur zu gewöhnen“, sagte Hugh.

Er war kein Feigling, aber das drohende Gebrüll von fünftausend wütenden Florentinern ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Die wüsten Drohungen nahmen an Lautstärke zu. Vielleicht hätte er seine Kreativität etwas zügeln sollen. Er wusste, sein ultramodernes Museum war gewöhnungsbedürftig, trotzdem hatte er sich nicht zurückgehalten.

„Was für eine Ironie des Schicksals, dass die braven Bürger von Florenz mich ausgerechnet dann umbringen wollen, wenn ich gerade anfange, wieder ein bisschen aufzuleben“, erklärte er niedergeschlagen. Die Bilder aus den Albträumen, die ihn ständig verfolgten, ließen sich nicht vertreiben. Immer wieder sah er Susana und die kleine Sophie vor sich, wie sie still und unerreichbar in ihren Särgen ruhten.

Roger legte Hugh die Hand auf den breiten Rücken und schob ihn vorwärts. „Entspannen Sie sich. Die Kannibalen wollen nur ein bisschen Blut sehen.“

Hugh fuhr herum, und Roger schenkte ihm das gewinnende Lächeln, das ihm vor einem Jahr diesen Job verschafft hatte. Nur erbitterte Hugh das strahlende Gesicht jetzt. „Sie reden zu viel“, knurrte er. „Und Sie grinsen zu oft. Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, Sie sollten Werbung für Zahnpasta machen?“

„Ja, Sie. Es wird langsam langweilig.“

„Ich würde meinen Lebensunterhalt lieber mit einem dümmlichen Grinsen verdienen, als gelyncht zu werden.“

„Haha. Endlich kommt mal ein Scherz von Ihnen.“

„Das Leben geht schließlich weiter“, murmelte Hugh, entschlossen, das auch zu glauben.

„Vor allem, seit Sie in Mexico City Isabela Escobar kennen gelernt haben“, erwiderte Roger und zeigte erneut zu viele Zähne. „Im Büro wird gemunkelt, Sie wollen sie heiraten.“

„Weshalb bin ich nur mit so einem klatschsüchtigen Team geschlagen?“

„Da waren eine Menge parfümierte Briefe.“

Hugh zog grimmig die Augenbrauen zusammen. Ob er Isabela heiraten wollte oder nicht, ging nur ihn etwas an. Laut meinte er: „Ich kann weder sie noch eine andere heiraten, wenn ich nicht lebend aus Florenz herauskomme.“

Roger riss die Tür auf und gab ihm einen Schubs. „Dann rennen Sie jetzt um Ihr Leben! Ich bleibe direkt hinter Ihnen.“

Hugh senkte den Kopf, duckte sich hinter seine Aktentasche und stürmte durch die Menge, die von bulligen Wachleuten hinter Absperrseilen in Schach gehalten wurde.

Es war Anfang April und die Abendluft kühl. Der Parkplatz war voll mit Menschen. Der Hubschrauberlandeplatz lag circa achtzig Meter zur Rechten. Polizisten bildeten eine lebende Barriere bis zum Maschendrahtzaun.

Während er zum Hubschrauber rannte, dessen Rotorblätter bereits kreisten, wich er geschickt den Mikrofonen aus, die man ihm vor das gebräunte, häufig fotografierte Gesicht hielt.

„Wie konnten Sie nur ein solches futuristisches Monstrum in diese einmalig schöne historische Umgebung bauen?“ rief ihm eine Frau zu.

„Egoist! Dekonstruktivist! Modernist! Postmodernist!“

Ein Mann mit öligem schwarzen Haar wollte ihn verfolgen. Zum Glück packten ihn zwei Wachen bei den Schultern. „Florenz ist berühmt für seine Vergangenheit!“ schrie er. „Ihr Museum sieht aus wie eine Riesenkrabbe auf der Toilette!“

Roger grinste und gab dem rotgesichtigen Mann in grauenhaftem Italienisch eine schroffe Antwort.

„Hat Ihr milliardenschwerer Vater die Stadtverwaltung bestochen, damit sie Ihrem hirnrissigen Entwurf den Zuschlag gab?“ rief ein anderer.

„Avantgardistisch, bitte“, korrigierte Roger ungerührt.

Die Erwähnung seines Vaters erboste Hugh, sodass er auf der dritten Stufe des Einstiegstreppchens innehielt und sich umdrehte. Da traf ihn ein Stein an der Schulter.

„Kein Kommentar!“ schrie Roger dicht hinter ihm, als ihm einer seiner teuren italienischen Schuhe vom Fuß gerissen wurde. „Vorwärts, Hugh, sonst zerren die mir alle Kleider vom Leib!“ Stoff riss. „Au! Hände weg von meiner Hose!“

Ketten knirschten, als ein Dutzend Männer über die provisorische Absperrung zu klettern versuchte. Endlich waren Hugh und Roger im Helikopter. Blitzlicht flammte auf, dann schlug die schwere Tür zu, und die Polizisten drängten die Menge vom Platz.

Mit einem Seufzer lehnte Hugh sich zurück. Er tastete nach dem Schmucketui mit Isabelas Verlobungsring in seiner Hosentasche. Es war noch da.

Isabela war eine rassige dunkle Schönheit und sprühte so vor Leben, dass er mit ihr vielleicht seinen Verlust überwinden könnte. Er versuchte, sie sich vorzustellen. Doch er sah nur die stillen, blassen Gesichter seiner Frau und seiner kleinen Tochter vor sich, deren blonde Häupter auf Satinkissen ruhten.

„Ist alles in Ordnung mit euch beiden?“ Graf Leopoldos weiche, kultivierte Stimme war im Lärm des startenden Helikopters kaum zu verstehen. „Hast du noch immer Lust auf eine Privatführung durch die Uffizien?“

Leopoldo – Leo für Familie und Freunde – und Hugh waren in Harvard Zimmergenossen gewesen.

Bedrückt nickte Hugh. Susana hatte bei jedem Aufenthalt in Florenz die weltberühmte Gemäldesammlung besucht.

Er wandte den Kopf, um aus dem Fenster auf seine neuste Schöpfung zu blicken. Im schwindenden Tageslicht und aus diesem Blickwinkel hatte das Museum in der Tat etwas von einer goldfarbenen Riesenkrabbe. Beim Betrachten der Glaskonstruktion mit ihren Säulen, die durch brückenartige Streben miteinander verbunden waren, beschlichen ihn leise Zweifel.

Das Museum war sein erster Bau nach dem Brand seines Hauses in San Francisco. Das Haus, entworfen für Susana, hatte ihm weltweiten Ruhm eingebracht. Während er in Europa die Renovierung von Leos Inseldomizil leitete, war das Haus abgebrannt, und er hatte alles verloren, was ihm etwas bedeutete.

Der Helikopter stieg steil in die violette Dämmerung, im Knattern der Rotoren ging das Geschrei der Demonstranten unter. Die Menschen in den Straßen schienen so klein wie Ameisen zu sein. Als der Hubschrauber sich der Altstadt näherte, blickte Hugh auf das Gewirr aus Ziegeldächern, Straßen und Plätzen hinunter. Dazwischen schimmerte das braune gewundene Band des Arno, jenes berühmten, unberechenbaren Flusses, der die Stadt schon so oft übel heimgesucht hatte. Florenz hatte wahrhaftig Schlimmeres überstanden als den Anblick eines ungewöhnlichen Gebäudes.

Sein Freund Leo erkundigte sich nach Hughs Stimmung.

Der warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Ich hatte fast vergessen, wie lustig es ist, der meistgehasste moderne Architekt des Planeten zu sein.“

„Der meistdiskutierte Architekt“, verbesserte ihn Roger. „Ist doch toll. Morgen stehst du auf der ersten Seite jeder europäischen Zeitung.“

„Wie kannst du nur so optimistisch sein, wenn diese Leute mich umbringen wollen?“

„Meine Landsleute“, warf Leo ein, „Italiener sind nun mal heißblütig. Du musst uns verzeihen. Heute hassen wir dich, und in vierhundert Jahren vergöttern wir dich.“

Ungnädig gab Hugh zurück: „Das wird meine Leiche sehr freuen.“

„Er ergeht sich gern in düsteren Betrachtungen“, erklärte Roger, an Leo gewandt. „Okay, Hugh, hier habe ich etwas, das Sie noch mehr runterzieht.“ Seine perlweißen Zähne glitzerten. „Sie haben die New Yorker Ausschreibung nicht gewonnen.“

Hugh verbarg das Gesicht in den Händen und empfand einmal mehr die vertraute Enttäuschung nach dem Fehlschlag einer kreativen Anstrengung. Er fuhr sich durch das dichte dunkle Haar.

Die meisten Menschen würden kein Mitleid für ihn aufbringen. Auch nach Susanas Tod hatten ihm alle geraten, nicht den Kopf hängen zu lassen, er habe doch noch so viel vor sich. „Sieh nur dein Talent, deinen Namen, deine Jugend“, hatten sie gesagt und gemeint: dein Vermögen.

Sobald jemand reich war, fand alle Welt, er müsste glücklich sein. Sie hatten ja keine Ahnung. Sein Wohlstand schnitt ihn von vielem ab, sogar von seinem eigenen Lebensgefühl. Oft kam ihm sein Leben fast unwirklich vor. Er fühlte sich isoliert und vergrub sich in Arbeit.

Doch seine Trauer war Wirklichkeit, er litt unsäglich. Seine Frau und seine Tochter hatte er über alles geliebt. Hätte er gewusst, dass es so bald zu Ende sein würde, hätte er sie nicht so oft allein gelassen, um in fernen Ländern seiner Arbeit nachzugehen.

Weil sein Foto in allen Zeitungen stand, glaubten die anderen, er führe ein beneidenswertes Leben. „Du wirst wieder heiraten“, prophezeiten sie. „Jemand wie du kann jede Frau haben, die er will.“

Anfangs hatte er den Gedanken an eine zweite Heirat wie Verrat an Susana empfunden. Aber jetzt waren fast drei Jahre vergangen, und er spürte, dass er nicht nur von Erinnerungen zehren konnte. Vor zwei Monaten hatte er in Mexico City seinen alten Lehrer, den berühmten Architekten Marco Escobar, nach dessen Herzinfarkt besucht. Isabela war ins Krankenzimmer gekommen und hatte ihren Schal fallen gelassen. Hugh hob ihn auf und reichte ihn ihr, und sie hielt seine Hand länger fest als nötig. Da flammte kurz Interesse in ihm auf, zum ersten Mal seit dem Tod seiner Frau. Und er hatte gedacht, vielleicht …

„Ihr Entwurf für Manhattan war großartig, Hugh, ehrlich“, stellte Roger fest. „Das hat jeder gesagt. Sie sind eben Ihrer Zeit voraus. Sehen Sie es positiv – auf diese Weise bauen Sie nichts, was die New Yorker mordlüstern macht, und ich verliere nicht noch einen guten Schuh. In New York ist man nämlich viel gewalttätiger als hier.“

„Mag sein, aber man ist dort auch aufgeschlossener für moderne Architektur.“

Es war stets ein Fehler, auf alten Pfaden zu wandeln. Sobald Hugh die Uffizien betrat, bedauerte er den Entschluss. Die Wände mit den weltberühmten Renaissancegemälden schienen auf ihn zu stürzen, und die muffige Luft in dem alten Gemäuer erstickte ihn schier.

Die Erinnerungen waren noch zu frisch. Hier war er oft mit Susana gewesen. Er achtete kaum auf die schwach beleuchteten Meisterwerke in ihren Rahmen.

„Beim letzten Mal war ich mit Susana hier“, sagte er leise zu Leo.

„Ich weiß“, gab Leo nicht ohne Mitgefühl zurück. Doch er war ein Mann von Welt. Seine erste Frau war bei einem Autounfall umgekommen, inzwischen war er zum dritten Mal verheiratet, mit einem Model aus Paris.

Leo ging weiter, bis sie eine bestimmte Abteilung erreichten. Plötzlich standen sie vor Botticellis „Geburt der Venus“. Draußen war die Sonne untergegangen, ein leichter Frühlingsregen hatte eingesetzt.

Beim letzten Besuch mit Susana hatte die Sonne geschienen und ihrem Haar schöne Glanzlichter aufgesetzt, wirkungsvoller als selbst bei Botticellis berühmter Venus. Hugh hatte lieber mit Susana spazieren gehen wollen, Tauben füttern, Gebäude betrachten. Doch wie üblich wollte sie unbedingt hierher kommen.

Sie hatten ihre Hochzeitsreise nach Florenz gemacht, und selbst da hatte sie ihn aus dem Bett gezerrt und jeden Tag in die Uffizien geschleppt. Botticelli war ihr Abgott.

„Wenn Botticelli noch lebte, wäre ich wahnsinnig eifersüchtig auf ihn“, hatte Hugh gescherzt.

Sie hatte nur gelacht, war ins Museum und wie immer zur „Geburt der Venus“ geeilt.

„Es ist die Darstellung der Geburt der Liebe in der Welt“, hatte sie erklärt und sich bei ihm eingehakt.

„Für mich bist du die Darstellung der Liebe“, hatte er erwidert.

„Es ist gut, dass du wieder hier bist“, sagte jetzt Leo. „Man muss die Gespenster vertreiben.“

„Geht das überhaupt?“ fragte Hugh zweifelnd.

„Ich kann dich mit Frauen bekannt machen, die so erfahren sind, dass du alles andere vergisst. Zumindest für eine Weile.“

Hugh dachte an Isabela und hoffte, sie würde das für ihn bewerkstelligen. „Ihr Italiener …“

„Männer sind überall gleich“, unterbrach Leo. „Als ich dich bei der Beerdigung sah …“

„Bitte nicht.“

Wieder hörte Hugh im Geist, wie seine Stiefmutter ihn aufforderte, die Särge zu schließen, und plötzlich wurde es totenstill um ihn herum.

„Diese Venus ist eines der sinnlichsten Gemälde der Renaissance“, sagte Leo. „Kennst du die Sage?“

„Das Bild ist sehr hübsch.“

„Hübsch? So ein blasses Wort. Ihr Amerikaner!“

„Die Sage dagegen ist nicht hübsch, sondern eher grausam.“

Leo nickte und lächelte schief, während Hugh sich vorbeugte, um den Text auf dem Schild zu lesen. Gäa, die Mutter des Kronos, stiftete ihren ungebärdigen Sohn an, den Vater, Uranus, zu entmannen und die abgeschnittenen Genitalien ins Meer zu werfen. Sie bildeten Schaum, aus dem die unwiderstehlich schöne Aphrodite entstand. Die Italiener nannten die Liebesgöttin allerdings Venus.

Auf dem Schild stand weiter, dass der Wind den Schaum übers Meer geweht hatte. Als der Schaum an den Strand von Zypern gespült wurde, entstieg sie den Wellen und trat vor die Götter.

Leo beendete das Schweigen. „Botticellis Venus ist wirklich atemberaubend. Wenn die echte Venus so aussah, ist es kein Wunder, dass die Götter sich auf den ersten Blick in sie verliebten.“

Die Stimmung auf dem Bild hatte sich ein wenig auf Hugh übertragen. Er nahm das Schmucketui aus der Tasche und öffnete es. „Dieser Ring ist für Isabela.“ Der Brillant glitzerte geradezu unverschämt.

„Isabela Escobar“, bemerkte Leo mit seiner samtigen Stimme.

„Sie ist charmant, temperamentvoll und sexy. Ich kann mit ihr lachen.“

Leo war sichtlich beeindruckt. „Marcos Tochter … Ein kluger Schachzug.“

„Hör mal, es ist eine Ehe und kein Firmenzusammenschluss.“

„Dann war es also Liebe auf den ersten Blick?“

Hugh konnte seinem Freund nicht in die Augen sehen, und sein Ton wurde eine Spur schärfer. „Heute Abend fliege ich nach London, und in ein paar Tagen bin ich auf der Halbinsel Yucatan. Isabel wohnt in Merida.“

„Du weichst meiner Frage aus.“

„Als Tochter eines Architekten würde sie meine Träume und meine Hingabe an die Arbeit verstehen. Unsere Interessen sind ähnlich, wir verkehren in denselben Kreisen. Mit der Zeit wird die Liebe wachsen.“

„Verstehe“, bemerkte Leo ein wenig zu verständnisvoll.

„Isabela ist in jeder Hinsicht die perfekte Frau für mich“, bekräftigte Hugh hitzig. „Die Liebe wird sich schon noch einstellen.“

„Und wenn nicht? Lässt du dann die temperamentvolle Isabela zu Haus und amüsierst dich anderweitig?“

Hughs Hand zitterte, als er das Etui zuklappte und wieder in die Tasche steckte. „Hätte ich bloß nichts gesagt.“

„Weiß sie, dass du ihr die entscheidende Frage stellen willst?“

„Sie weiß, dass ich komme, aber nicht, dass ich ihr einen Antrag machen will.“

„Du bist ein Narr.“ Leo lachte. „Frauen spüren so etwas. Vor allem Frauen wie Isabela. Wahrscheinlich hat sie schon alles geplant, Mondschein, Kerzenschein und leise Musik inbegriffen. Es wird am Strand oder am Pool stattfinden, und sie wird sich sexy anziehen. In Schwarz oder Rot, wie ich sie kenne. Und ehe du weißt, wie dir geschieht, liegst du vor ihr auf den Knien.“

„Was geht dich das überhaupt an?“

Leo wischte die Bemerkung mit einer Handbewegung beiseite. „Wenn es weder ein unternehmerischer Schachzug noch Liebe auf den ersten Blick ist, wozu stürzt du dich dann in das Abenteuer einer Ehe?“

„Liebe auf den ersten Blick – in meinem Alter?“ Leo ging ihm allmählich auf die Nerven.

„Du bist doch erst fünfunddreißig oder so.“

„Achtunddreißig.“

Leo sah erneut zu dem Gemälde empor. „Die Griechen wären über Liebe auf den ersten Blick anderer Ansicht. Troja fiel, weil Paris sich unsterblich in die schöne Helena verliebte.“

„Das ist nur eine Sage.“

„Sagen haben große Macht. Und Liebe ebenso. Das Leben kann sehr öde sein, wenn ein Mann keine große Leidenschaft für eine Frau empfindet.“

„Das mag für euch Italiener so sein. Ich bin Amerikaner.“

„Ein unromantisches Volk.“

„Oh, bei uns gibt es genügend romantische Wirrköpfe. Aber ich bin schon zu alt und zu nüchtern dafür.“

„Wie lange wird sich deine feurige Latina mit dir kaltem Fisch zufrieden geben, wenn du keine Leidenschaft zeigst?“

Das Gespräch drehte sich im Kreis, und Hugh hatte genug davon. Dennoch erwiderte er: „Im Leben und in der Liebe ist Planung immer von Vorteil.“

„Man sollte nie heiraten nur um des Heiratens willen.“

„Man sollte eben nie ungebetene Ratschläge erteilen“, schoss Hugh zurück.

„Stimmt“, lenkte Leo nun ein. „Dann also herzlichen Glückwunsch.“

„Ich muss zum Flieger nach London.“

„Richtig. Und zu Isabela nach Mexiko.“

Während sie zum Ausgang gingen, sagte Hugh: „Ich werde ihr Strandhaus neu gestalten, als Hochzeitsgeschenk.“

„Meinst du nicht, ihr würde etwas Persönlicheres besser gefallen?“ entgegnete Leo nachdenklich. „Eine letzte Warnung, mein Lieber. Ich war lange in Mexiko. Es ist ein Land mit machtvollen Mythen und uralten Göttern.“

„Was hat das mit meinen Heiratsplänen zu tun?“

„Du solltest dein Schicksal nicht herausfordern.“

„Was soll das jetzt wieder heißen?“

Leo zuckte nur mit den Schultern. Danach sprachen sie lediglich über Alltägliches. Als sie aus dem Museum traten, regnete es. Am Tag der Beerdigung hatte es auch geregnet.

Plötzlich war Hugh sich darüber im Klaren, dass er wieder heiraten musste, ob er nun für Isabela tatsächlich Liebe empfinden könnte oder nicht. Wenn er diese Erinnerungen nicht verscheuchte, würde er den Verstand verlieren.

2. KAPITEL

Progreso, Mexiko

Aarons Yacht schaukelte auf den Wellen, und Vivian Escobar drehte ihren Sektkelch zwischen den Fingern und versuchte, Ruhe zu bewahren. Es war ganz einfach nicht zu fassen. Ausgerechnet ihr Spanischschüler Aaron – der phlegmatische, onkelhafte Aaron – hatte versucht, sie zu küssen und erwartete nun allen Ernstes, dass sie ihm unter Deck folgte.

Glaubte er wirklich, dass sie scharf auf ihn war? Dass sie ihren BH ausziehen, ihn durch die Luke nach unten werfen und sich halb nackt in seine Arme stürzen würde?

Ihr war heiß. Der Gedanke, oben ohne zu gehen, war durchaus reizvoll.

Sie schaute aufs blaue Meer und überlegte, was zu tun war. Konnte sie es sich leisten, Aaron zu verärgern? Immerhin war er in dem Institut, an dem sie lehrte, eingeschrieben. Er könnte sich beim Direktor über sie beschweren.

Hübsch, rothaarig und geschieden zu sein, war in Mexiko regelrecht gefährlich. Männer jagten Vivian entschlossener als Stierkampfbullen das rote Cape des Matadors. Ständig starrten sie sie an, pfiffen ihr nach, machten anzügliche Bemerkungen. Und jetzt sogar Aaron!

Zog sie eine Duftspur hinter sich her, oder was? Alle meinten, sie wäre leicht zu haben. War es für Männer ein Gesetz, dass eine Frau, die einmal Sex gehabt hatte, nicht mehr ohne sein konnte? Einen Liebhaber, der in ihr lediglich ein Lustobjekt sah, brauchte sie so wenig wie ein Loch im Kopf. Seit ihrer Scheidung hatte sie alle Männer abgewiesen, ihren Ex eingeschlossen. Und das würde sich heute nicht ändern.

Sie holte tief Luft und betrachtete das Meer. Im Grunde war sie eher enttäuscht von Aaron als wütend auf ihn. In seinem Alter sollte er wirklich vernünftiger sein, und er war ihr bester Schüler. Bis heute hatte er sich tadellos verhalten. Vielleicht hätte sie misstrauisch werden sollen, als er Champagner auftischte.

Unschlüssig sah sie zur Uhr und erschrak, dass es schon so spät war. Drei Uhr. Das gab den Ausschlag. Sie musste ihre Lehrbücher einpacken und gehen. Leider lagen die Bücher in der Kabine. Bei Aaron.

Isabela, die Schwester ihres Exmannes, bei der sie wohnte, hatte ihr am Morgen eine lange Liste mit Besorgungen gegeben. Vivian hatte zwar auf ihren Unterricht hingewiesen, jedoch nicht erwähnt, dass sie dafür nach Progreso fahren musste.

Jetzt musste sie jedoch die Bügelwäsche abholen und schleunigst nach Haus fahren. Sie beugte sich über die Reling und goss den Champagner ins Wasser.

„Worauf warten Sie denn? Kommen Sie endlich herunter!“ rief Aaron von unten.

„Ich muss gehen. Geben Sie mir meine Bücher.“

„Holen Sie sie sich doch.“

In diesem Moment klingelte ihr Handy.

„Verdammt!“ schimpfte er. „Das ist bestimmt Ihre Verwandtschaft.“

Vivian nickte und lächelte. Die Einzigen, die sie je anriefen, waren Isabela und deren Bruder Julio, Vivians Ex, der noch immer meinte, er könnte sie herumkommandieren. Erleichtert über die Ausrede holte Vivian das Handy aus der Handtasche.

„Du wolltest schon vor einer Stunde mit der Bügelwäsche zurück sein“, sagte Isabela gut gelaunt. „Die Dachdecker …“

„Tut mir Leid, Liebes. Aarons Spanischstunde hat ein bisschen länger gedauert. Ich bin in Progreso auf seiner Yacht.“

„Trau ihm ja nicht über den Weg.“

Wenn Isabela sich auf etwas verstand, dann auf die Funktionsweise männlicher Gehirne.

Lächelnd schaltete Vivian das Handy aus. Ihre Schwägerin war eine nette Frau. Nach der Scheidung hatte sie so viel für Vivian und ihren kleinen Sohn Miguelito getan.

Dennoch wünschte Vivian sich nichts sehnlicher, als Mexiko zu verlassen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie würde gern studieren und Lehrerin werden. Allzu lange war sie bereits auf ihre wohlhabende Schwägerin angewiesen gewesen, doch Isabela reagierte jedes Mal gekränkt, wenn Vivian von einer Rückkehr in die Staaten sprach.

„Wenn Sie Ihre Bücher haben wollen, kommen Sie herunter“, wiederholte Aaron mit belegter Stimme.

Vivian strich sich über die Stirn. Obwohl es erst April war, war es drückend heiß. Zum Glück trug sie Shorts und war die Hitze gewohnt. Widerstrebend rutschte sie an den Rand der Luke.

Aaron lächelte herausfordernd, während er ihre Mappe auf den Tresen neben den Ausguss legte. Vivian sollte ganz herunterkommen. Als sie den Fuß auf die oberste Treppenstufe setzte, schoss Aaron auf sie zu und versuchte, sie auf die Liege zu zerren. Unversehens hielt er sie in den Armen.

Er lachte.

Sie wich zurück, und ihre Haarklemmen lösten sich. Das rote Haar fiel ihr in großen glänzenden Wellen auf die Schultern. „Was erlauben Sie sich?“ stieß sie hervor.

„Jetzt spiele ich den Lehrer, Frau Lehrerin“, flüsterte er. Er war ihr so nah, dass sie seine warmen Lippen am Ohr spürte. „Wie wär’s mit einer kleinen Liebeslektion?“

„Sie haben zu viel Champagner getrunken.“

„Keineswegs.“

Aaron White war Arzt im Ruhestand. Er war nach Mexiko gesegelt, um sich das Land anzuschauen und Spanisch zu lernen. Vivian unterrichtete ihn ein Mal pro Woche. Da es in Merida so schwül war, hatte sie zugestimmt, zu ihm nach Progreso zu fahren und den Unterricht auf seiner Yacht abzuhalten. Doch ihm stand nur der Sinn danach, Champagner zu trinken, dicht neben ihr zu sitzen und anzügliche Wörter zu lernen.

„Bisher hielt ich Sie für einen Gentleman“, sagte sie. Er küsste sie auf die Wange, sie wich zurück. „Ich hätte nicht hierher kommen sollen.“

„Was ist gegen ein bisschen Spaß einzuwenden?“

Aaron interessierte sie nicht im Mindesten, aber seine körperliche Nähe brachte ihr zu Bewusstsein, wie lange sie schon die Zärtlichkeiten eines Mannes entbehrte. Oder war es nur die tropische Hitze, die sie auf solche Gedanken brachte?

Sie erschrak vor sich selbst. Sie musste schleunigst hier weg.

Er versuchte, sie auf den Mund zu küssen, und sie wandte das Gesicht ab. Als er an ihren Blusenknöpfen fingerte, versteifte sie sich. Heftig stieß sie seine Hände weg.

„Entspann dich doch“, sagte er. „Du hattest offensichtlich lange keinen Sex mehr.“ Er berührte ihr Kinn. „Wer hätte gedacht, dass du mit offenem Haar so scharf aussiehst? Sonst gibst du dich immer so zugeknöpft und anständig.“

Verwirrt sammelte Vivian ihre Haarklemmen ein und steckte ihr Haar wieder zu einem strengen Knoten zusammen. „Wehe, Sie erzählen das am Institut herum.“

„Sonst kündigt man dir?“ Er grinste, sichtlich seine Macht genießend. „Mir ist eine sexy Geschiedene sowieso lieber als eine Lehrerin.“

Ihre Stimme bebte. „Ich brauche den Job. Er bringt nicht viel ein, aber …“

„Schon gut.“ Er strich ihr über den Arm, und ihr verschlug es den Atem.

„Wie lange hat dich kein Mann mehr gestreichelt?“

Sie griff nach ihren Büchern. „Das geht Sie nichts an.“

Aaron sah nicht übel aus. Er war rothaarig wie sie, zumindest wenn man von dem beginnenden Grau absah. Seine Augen waren blau, aber nicht so strahlend wie ihre. Um die Augen herum hatte er Krähenfüße, immerhin war er einunddreißig Jahre älter als sie.

Ein wenig benommen von der schwülen Luft in der Kabine begann sie, nach oben zu klettern.

„Bitte, Aaron, ich habe zu viel gegessen, und Sie haben zu viel getrunken. Wollen wir nicht die Stunde in ein paar Tagen am Institut fortsetzen?“

Er lachte. „Mir hat die Stunde heute gefallen.“

„Ich habe einen Sohn, Aaron, und bin allein erziehend.“

„Ich weiß. Miguelito ist sechs; ich habe ihn im Institut gesehen. Du bist so hübsch, dass mir ein Balg nichts ausmacht.“

„Er ist kein Balg. Er ist mein Ein und Alles.“ Miguelito war wirklich ein goldiges Kind.

„In ein paar Jahren denkst du anders darüber. Ich habe drei Kinder auf dem College. Wegen Miguelito hast du nicht studiert und opferst dich für deine Verwandtschaft auf.“

„Nein.“ Sie hätte in die Staaten zurückgehen können, aber die Escobars waren ihre einzigen Angehörigen, und Miguelito liebte sie. Ihre Eltern waren tot, und ihr geliebter Onkel Morton war kurz nach ihrer Heirat gestorben.

„Sie nutzen dich aus.“

„Isabela mag mich sehr.“

„Sie nutzt dich aus, und deshalb musst du mit mir schlafen. Dann verliebe ich mich in dich und rette dich mitsamt deinem vergötterten Miguelito.“

Aaron machte sie immer ärgerlicher. „Ich möchte unabhängig sein. Ich würde gern Lehrerin werden.“

„Lehrer sind arme Hunde. Eine intelligente Frau wie du sollte mindestens Ärztin werden.“

„Sie wollen doch nur Sex.“

„Vivian, nur weil ein elender Kerl dich mies behandelt hat, solltest du nicht alle Männer verdammen.“

„Das ist es nicht. Ich möchte vergessen, was hier eben passiert ist“, sagte sie. „Tut mir Leid, dass mein Kommen Sie auf falsche Gedanken gebracht hat.“

„Oder auf die richtigen.“

Jetzt klingelte das Handy wieder.

„Wer ist es dieses Mal?“ erkundigte sich Aaron, während Julio brüllte: „Wo steckst du, Vivi?“

Sie legte die Hand auf das Handy. „Es ist Julio. Er fragt, wo ich bin.“

„Sag ihm, dass es ihn nichts angeht. Ich finde es unmöglich, dass er dauernd während des Unterrichts anruft.“

Das fand sie auch – normalerweise.

„Vivi, mit wem redest du da?“ wollte Julio wissen.

„Ich gebe gerade Spanischunterricht und spreche mit meinem Schüler Aaron. Auf seinem Boot.“

„Du bist auf seinem Boot?“ Julios Stimme wurde schrill. „Geh auf keinen Fall mit ihm in die Kabine.“

„Du hast kein Recht, eifersüchtig zu sein. Du hast eine Freundin, Tammy.“

„Die Dachdecker sind hier“, sagte Julio, leicht beleidigt. „Wieso bist du nicht hier?“

„Sie wollten erst übermorgen kommen“, erwiderte Vivian.

„Sie sind aber jetzt da.“

„Sag ihnen, das Dach des Poolhauses ist links über der Hintertür undicht.“

„Was habe ich mit den Handwerkern zu schaffen? Ich will nur meinen Sohn besuchen. Eusebio ist nicht aufgetaucht, vermutlich ist er wieder betrunken. Isabela braucht einen Chauffeur zum Flughafen, sie will in Houston einkaufen. Als ob sie Kleider brauchte. Also, komm schnell.“

Isabela wollte nach Houston fliegen und sich neu einkleiden, weil sie nächste Woche ein reicher, berühmter Architekt namens Hugh McRay besuchen würde. Sie hatte ihm so stark parfümierte Briefe geschrieben, dass Vivians Auto noch danach roch, wenn sie die Briefe längst zur Post gebracht hatte.

„Ich kann mich nicht um die Dachdecker kümmern, auf Miguelito aufpassen und gleichzeitig Isabela zum Flughafen fahren“, erklärte Julio.

„Bin schon unterwegs“, gab Vivian zurück und klappte das Handy zu.

Wie viele mexikanische Männer war Julio eifersüchtig, ein Haustyrann und total unpraktisch veranlagt. Daran hatte auch die Scheidung nichts geändert. Julio glaubte noch immer, er könnte über sie bestimmen. Außerdem leistete er sich bei jeder Gelegenheit körperliche Übergriffe.

„Ich muss nach Haus, nach den Dachdeckern sehen und Isabela zum Flughafen fahren“, sagte sie zu Aaron.

„Ewig diese Erledigungen für Ihre verwöhnte Schwägerin“, bemerkte er, wieder zum Sie übergehend.

„Sie ist verliebt“, erklärte Vivian mit einem Anflug von Verträumtheit.

„Hoffentlich kommandiert sie den Mann nicht so herum wie Sie.“

„Also dann, bis später!“ rief Vivian, sprang an Land und lief zu ihrem alten Wagen.

„Rufen Sie mich an, wenn Sie Ihre Meinung über Sex geändert haben.“

Sie stieg ein und schlug die Autotür zu.

„Eine attraktive Frau wie Sie kann nicht für alle Zeit ohne …“

Sie kurbelte das Fenster hoch und fuhr los. Was ist dies bloß für ein sexbesessenes Land? dachte sie.

Sie musste ihr Leben selbst in den Griff bekommen. Aaron White war keine Lösung. Kein Mann konnte eine Lösung sein.

Mit quietschenden Reifen nahm Vivian die letzte Kurve vor Isabelas geräumiger, moderner Villa mit den schattigen Terrassen und den großen luftigen Räumen. Die hohen Mauern um das Grundstück waren in klaren kräftigen Farben gestrichen, nach einem Entwurf von Isabelas weltberühmtem Vater.

Fast zu spät erkannte Vivian das orangefarbene Fellbündel mitten auf der Straße. Sie bremste so abrupt, dass sie fast ins Schleudern geriet. Der Hund hob seelenruhig den Kopf und sah sie mit seinen braunen Augen vertrauensvoll an.

„Meine Güte, Concho! Aus dem Weg!“

Der magere Hund war eine Woche zuvor in der vornehmen Wohngegend aufgetaucht, und Vivian hatte sofort ihr Herz an ihn verloren. Zunächst hatte sie versucht, ihn von der Straße wegzulocken, und als das nichts half, hatte sie ihn ein paar Mal mit dem Gartenschlauch abgespritzt. Aber dumm, wie er war, legte er sich immer wieder mitten auf der Straße schlafen.

Vivian parkte ihren alten Chevy im Carport neben dem luxuriösen schwarzen Jeep ihrer Schwägerin. Concho kam angetrottet und bettelte um eine Leckerei.

Seine samtbraunen Augen rührten sie jedes Mal, und so suchte sie in ihrer Tasche nach etwas, was sie ihm geben konnte. „Ich habe nur einen Keks.“

Er sprang an ihr hoch, stützte die staubigen Pfoten auf ihre Hüften und bellte begeistert. Der Keks war im Nu verschlungen. Vivian holte die Tüte mit Hundefutter, die sie gekauft hatte, aus dem Wagen, füllte Conchos Napf und überprüfte, ob er noch Wasser hatte.

Sonst kam Miguelito immer angerannt, sobald er ihr Auto hörte, doch heute war Julio bei ihm. Da es heiß war, machte Vivian die oberen zwei Knöpfe ihrer weißen Baumwollbluse auf und fächelte sich mit der Hand Luft zu. Als sie durch das schmiedeeiserne Gartentor trat, winselte Concho.

Sie drehte sich um und tätschelte ihm den Kopf. „Sei brav. Du weißt doch, dass Isabela keine Hunde im Haus erlaubt.“

Unglücklich lief Concho auf und ab, seine Krallen klackten auf dem Betonboden. Dann warf er sich gegen das Tor.

Vivian sah Miguelito im Pool schwimmen. Sein hübsches gebräuntes Gesicht, seinem Vater so ähnlich, leuchtete auf, als er sie sah. Am Beckenrand saß die Haushälterin und beobachtete ihn.

„Mommy, komm ins Wasser!“

Wie sehr er sie liebte! Er war so unkompliziert. Er war im Kreis von Verwandten und Freunden aufgewachsen, er ging auf jeden zu.

Doch Vivian winkte ihm nur zu, sie hatte jetzt keine Zeit zum Spielen. „Ich muss zu deiner Tante.“

Isabela trat auf ihren Balkon und rief: „Hast du die Bügelwäsche?“

Vivian nickte. Da hörte sie einen bewundernden Pfiff. Instinktiv raffte sie ihren Blusenkragen zusammen, als sie auf dem Dach des Poolhauses Julio mit dem Dachdecker erblickte. Beide hatten nackte Oberkörper und grinsten lüstern.

Leicht verärgert eilte Vivian ins Haus und hinauf in Isabelas Zimmer. Isabela sah hinreißend aus wie immer. Sie hatte das schwarze Haar zu einem eleganten Knoten frisiert, ihre dunklen Augen strahlten. Die knapp sitzende rote Hose und die passende Seidenbluse standen ihr vorzüglich.

Auf dem Bett lagen zwei offene Koffer. Isabela klappte einen zu und stellte ihn auf den Boden, sodass Vivian die Bügelwäsche aufs Bett legen konnte.

„Ich habe die Fotos wieder gefunden, die ich von Hugh in Mexico City gemacht habe“, erklärte Isabela und nahm ein Kuvert aus dem anderen Koffer. „Du musst sie dir unbedingt ansehen.“ Seit sie vom Krankenbett ihres Vaters in Mexico City zurück war, sprach sie von nichts anderem als von Hugh McRay.

„Fotos von deinem reichen, berühmten Architekten aus den USA?“

„Von wem denn sonst?“

Wegen Hugh flog Isabela nach Houston, um sich für seinen Besuch neu einzukleiden. Offenbar reichten mehrere begehbare Schränke voller Designermode für diesen wichtigen Anlass nicht aus.

„Wann musst du am Flughafen sein?“

„Hier sind die Fotos.“ Isabela reichte Vivian das Kuvert und suchte dann in ihrer Handtasche nach dem Flugticket.

Isabela hatte dermaßen von ihm geschwärmt, dass Vivian die Existenz eines solchen Wunderwesens für unmöglich hielt. Trotz ihrer Enttäuschung über Julio konnte sie sich noch gut erinnern, wie herrlich Verliebtsein war und wie blind man als verliebte Frau sein konnte.

Mit gespielter Gleichgültigkeit betrachtete sie die Fotos. In der Tat war Hugh McRay der aufregendste Mann, den sie je gesehen hatte – Julio eingeschlossen.

Hugh war groß, schlank und tief gebräunt. Seine Augen waren von einem dunklen Grün, und etwas in seinem Blick machte sie traurig und sehr betroffen. Ihr Mund wurde trocken, als sie ihn auf dem ersten Foto mit Isabela lachen sah. Auf dem zweiten Bild trug er kein Hemd, und beim Anblick seiner Muskeln wurde ihr der Mund trocken. „Ihr seid ein schönes Paar.“ Hastig schaute sie sich die restlichen Fotos an und legte sie dann auf Isabelas Bett.

Okay, Hugh McRay war groß und attraktiv, sein Teint war fast so dunkel wie der von Julio. Na und?

Zugegeben, er verschlug ihr den Atem. So sehr, dass sie sich einen zweiten Blick gönnen musste.

Sie griff wieder nach den Fotos. McRays kantige Wangenpartie und der sinnliche Mund waren so berückend, dass Vivians Puls sich beschleunigte.

Hugh McRay wirkte stark und faszinierend wie die Bilder der alten Mayas. Seine Nase war scharf geschnitten, die Stirn hoch, die Brauen waren dicht und schwarz. Besonders sein Haar war bemerkenswert – dicht, leicht gewellt, glänzend und ziemlich lang.

„Mit seinem Haar ist er eigen“, erklärte Isabela. „Er lässt es nicht jeden schneiden oder berühren. Und er lässt sich gern die Kopfhaut massieren.“

Vivians Haut prickelte bei der Vorstellung, die Hände durch die dichten dunklen Strähnen gleiten zu lassen.

„Sind seine Augen nicht wunderschön?“ flüsterte Isabela hingerissen.

Immer wenn Vivian McRays grüne Augen betrachtete, stockte ihr der Atem. Langsam legte sie die Fotos zurück aufs Bett. „So ein Mann kann bestimmt nicht treu sein.“

„Seiner ersten Frau war er treu.“

„Siehst du, er ist geschieden. Und so toll, wie er aussieht, kann er gar nicht sein.“

„Julio hat dich sehr verletzt, aber nicht alle Männer sind wie er“, sagte Isabela voll Mitgefühl.

„Wenn McRay seine Frau so geliebt hat, warum ist er dann nicht bei ihr geblieben?“

„Du bist wirklich schwierig“, sagte Isabela freundlich. „Du hast dich von Julio getrennt, nicht umgekehrt.“

„Ich hatte allen Grund dazu.“

„Das sind Haarspaltereien. Anfangs warst du irrsinnig in ihn verliebt, dann hast du ihn verlassen. Sind alle Amerikanerinnen so?“

„Dein Bruder hat mich betrogen.“

„Er ist eben ein Mann, und du warst seine Frau. Er achtet dich noch immer. Er betrachtet dich immer noch als seine Frau.“

„Ich habe mich nicht sonderlich geachtet gefühlt. Natürlich hatte ich auch mit Schuld. Damals glaubte ich an die große Liebe. Ich dachte, wir seien füreinander bestimmt.“

„Und jetzt?“

„Julio hat mir gezeigt, wie das Leben wirklich ist.“

„Aber er ist noch immer verrückt nach dir.“

„Und nach jeder Rothaarigen, die er sieht.“

„Nur nach amerikanischen Rothaarigen, die gut im Bett sind.“

„Das hätte er dir nicht erzählen dürfen! Manchmal denke ich, er hat vor jedem Mann in Mexiko damit geprahlt.“

„Ach, Liebes, warum bist du nicht glücklich hier? Wir sind deine Familie, du bist meine Schwester.“ Isabela umarmte sie. „Dies ist jetzt deine Heimat. Mein Haus ist dein Haus.“

„Es ist nicht mein Haus und wird es nie sein.“

„Weil du es nicht willst.“ Isabela wurde nachdenklich. „Du bist heute irgendwie anders. Empfindlich.“

„Ich fühle mich bestens.“

Isabela lachte leise. „Hat Aaron sich tatsächlich an dich herangemacht?“

„Lass uns lieber über dein Sexleben reden, du hast wenigstens eins. Du brauchst gar keine neuen Kleider, zieh dich einfach vor deinem Märchenprinzen aus“, murmelte Vivian düster.

„Dass ausgerechnet du das sagst.“

„Ich meine nur, du brauchst nicht erst nach Houston zu fahren. Mit Kleidern beeindruckt man nur andere Frauen.“

Isabela schüttelte den Kopf. „Ihr Amerikaner haltet euch für so klug. Hugh ist anders.“

„Wie ist er denn?“ Interessiert beugte Vivian sich vor.

Isabela faltete ihr durchsichtigstes Negligé und legte es in den Koffer. „Er hat seine Frau und sein Kind bei einem Brand verloren.“ Es hat ihn schwer getroffen.

„Dann hätte ich nicht so reden sollen.“

Vivians Kehle wurde eng. Plötzlich dachte sie an den Autounfall ihrer Eltern, die sich so sehr geliebt hatten und immer so lustig gewesen waren, und an ihren kleinen Bruder. Alle ihre Lieben waren auf einen Schlag dahingerafft worden.

Wohlmeinende Verwandte hatten sie nicht zum Begräbnis gehen lassen. Das Haus war voller Menschen gewesen, die sie umschwirrten, aber niemand hatte ihr gesagt, was aus ihr werden würde. Insgeheim fanden alle es problematisch, dass sie bei ihrem Onkel Morton leben sollte, aber ihre Eltern hatten es so gewünscht.

Vivian schob die traurigen Erinnerungen von sich.

Wider besseres Wissen betrachtete sie die Fotos des Mannes, den Isabela sich einfangen wollte, ein drittes Mal. Unwillkürlich empfand sie Mitgefühl für ihn, deutlich sah sie seinen Schmerz, und es ging ihr so nahe, dass ihr heiße Tränen in die Augen stiegen. Wie konnten die Fotos eines völlig fremden Mannes sie dermaßen erschüttern?

Vielleicht, weil sie wusste, wie es war, alles zu verlieren.

Mit einem Knall klappte Isabela ihren Koffer zu und verkündete, sie sei fertig und sie müssten sich jetzt beeilen. Sie nahm Vivian die Fotos ab, steckte eins in ihre Handtasche und legte die übrigen in eine Schublade.

„Also los.“ Ein letztes Mal schaute Isabela sich um, dann klingelte sie nach den Dienstboten, die ihr Gepäck zum Auto bringen sollten.

Am Flughafen rief Vivian Gepäckboten herbei und eilte hinter Isabela her ins Gebäude. Nachdem die Koffer aufs Band verfrachtet waren, umarmten sich die Frauen zum Abschied.

„Ruf mich auf dem Handy an, wenn ich dich abholen soll“, sagte Vivian.

„Danke.“ Isabela küsste sie auf die Wange.

Noch einmal umarmten sie sich, dann schaute Vivian ihrer Schwägerin nach, bis sie nicht mehr zu sehen war.

Auf dem Rückweg zum Jeep betrachtete Vivian die Tourismusplakate an den Wänden. Könnte sie doch nur so unbeschwert wie Isabela davonfliegen und irgendwo ein neues Leben beginnen.

Voll Begeisterung war sie vor sieben Jahren mit ihrem Collegekurs zu einer archäologischen Ausgrabung hergekommen. Damals war sie achtzehn und unberührt gewesen.

Sie seufzte. Vor einer Woche war sie fünfundzwanzig geworden.

Sie trat in die tropische Hitze hinaus und setzte ihre Sonnenbrille auf. Unerbittlich verstrichen die Jahre. Wenn sie nicht endlich etwas unternahm, würde sie tatsächlich für immer hier bleiben müssen.

3. KAPITEL

Vivian stürmte die Treppe hinauf und riss die Tür zu Isabelas Zimmer auf. Im ersten Moment dachte sie, der Raum wäre leer. Dann erblickte sie acht Koffer säuberlich aufgereiht neben dem Bett. Der neunte lag offen auf dem Bett, Kleider quollen heraus.

Isabela war nirgends zu sehen.

Nun hörte Vivian jemanden summen, und Isabela tänzelte aus ihrem begehbaren Kleiderschrank, bekleidet mit einem schwarzen Seidenslip und einem Push-up-BH. Ohne sich um Vivian zu kümmern, trat sie vor den Spiegel und drehte sich im Kreis.

„Isabela …“

„Vivi!“ Mit gespielter Überraschung zog Isabela die Brauen hoch. „Na, endlich. Ich habe dich mehrmals angerufen, damit du mich vom Flughafen abholst.“ Ihre dunklen Augen blitzten.

Vivian schluckte. „Tut mir Leid. Meine Handybatterie war leer. Aber ich war rechtzeitig am Flughafen.“

„Ich wollte dir sagen, dass ich einen früheren Flug genommen hatte. Ich kam mir vor wie ein Bauerntrampel mit meinen vielen Koffern. Ich habe es mindestens zehn Mal bei dir probiert.“

„Ich habe das Ladegerät nicht gefunden und …“

„Und was ist mit Eusebio?“

„Er ist krank.“

„Wenn er wieder betrunken ist, werfe ich ihn raus.“

Vivian steckte ihre Sonnenbrille und die Autoschlüssel in die Handtasche und eilte auf ihre Schwägerin zu. „Tu’s bitte nicht. Ich verspreche dir, es soll nie wieder vorkommen.“ Sie senkte den Kopf. „Ich weiß, ich bin schrecklich.“

Isabela lächelte freundlich. „Klar, Batterien werden nun mal leer. Besonders deine, da wir dich so oft anrufen.“

„Mir würde etwas fehlen, wenn du mich nicht anriefest“, sagte Vivian leise.

Isabela umarmte sie fest. „Ich habe gar keine Zeit, sauer auf dich zu sein, denn Hugh kommt heute. Und ich weiß nicht, was ich anziehen soll!“

„Das sagte ich doch schon – nichts.“

„Lass die Witze.“ Isabela stemmte die Hände in die schmale Taille, lächelte ihr Spiegelbild an und dann Vivian. Sie war sichtlich stolz auf ihre Figur und ihr schönes Gesicht.

Vivian strich sich eine Locke aus der Stirn und versuchte, sich locker zu geben. „Wann kommt der Märchenprinz an?“

„Ja, er ist wirklich ein Märchenprinz. Mein Märchenprinz.“

„So verliebt habe ich dich noch nie erlebt.“ Beklommen schaute Vivian zu der Schublade hin, wo Isabela die Fotos von Hugh McRay aufbewahrte. Nie würde Vivian zugeben, dass sie mehrfach in Isabelas Zimmer geschlichen war und die Bilder betrachtet hatte. Und jedes Mal hatte sie ein intensives Gefühl der Verbundenheit mit diesem Mann verspürt.

„Heute Abend kommt er.“ Isabela wirbelte erneut vor dem Spiegel herum. „Wie sehe ich aus? Ich habe in Houston kein einziges Mal Pommes frites gegessen.“

„Du weißt genau, wie hinreißend du aussiehst. Die Liebe hat dich regelrecht verwandelt.“

Isabela zog die Brauen hoch. „Verwandelt? Wirklich?“

Zum ersten Mal verspürte Vivian etwas wie Neid. Nicht auf Isabelas Schönheit, sondern auf deren Selbstsicherheit. Isabela war wie ein Pfau, während Vivian ihren Körper eher scheu versteckte.

„Hugh hat mich in Houston auf dem Handy angerufen. Er möchte sich mein Strandhaus ansehen und mir beim Ausbau und bei der Renovierung helfen. Er weiß nur noch nicht, dass es unser kleines Paradies werden soll.“

„Wo ihr dann glücklich lebt bis an euer Ende?“

„Wenn heute Abend alles nach Plan läuft …“, Isabela machte eine Pause, „… dann fahren wir morgen hinaus.“

Das Strandhaus lag an einem wunderschönen Küstenstreifen des Fischerdorfs und Hafens Progreso, dem Ort, in dem auch Aarons Boot ankerte. Bei einem Hurrikan hatte das Haus schweren Schaden gelitten.

„Wir könnten schwimmen und picknicken, und er kann Skizzen machen“, sagte Isabela.

Vivian sah im Geist die romantische Zweisamkeit vor sich, als sie unten im ummauerten Hof Miguelito hörte. Sie rannte zur gläsernen Balkontür und spähte hinunter. Julio und Tammy hatten ihn in ihre Mitte genommen und gingen mit ihm zum Pool. Er strahlte die beiden an, wie er es bei allen Leuten tat.

Vivian war froh darüber, dass ihr Sohn mit allen gut auskam. Dennoch drückte sie die Hände an die Scheibe und seufzte leise. Nahm der Scheidungsschmerz denn nie ein Ende? Sie machte sich noch immer Vorwürfe, weil sie Julio verlassen hatte und weil sie keine richtige Familie waren. Sie war zu jung für die Ehe gewesen, aber sie wollte Miguelito natürlich nicht missen.

Julio hatte sich einen gelben Wasserball unter den Arm geklemmt. Die hübsche Tammy, kaum achtzehn, sah in ihrem winzigen weißen Bikini sehr sexy aus.

Genau wie ich vor sieben Jahren, dachte Vivian.

Tammy war Amerikanerin und studierte an der Sprachenschule. Sie wollte in Yucatan die historischen Stätten besuchen und Spanisch lernen. Im Gegensatz zu den meisten von Julios Freundinnen liebte Tammy Kinder und war ganz vernarrt in Miguelito, was sehr positiv war.

Warum tat Vivian trotzdem das Herz weh? Weil sie sich seit dem Tod ihrer Angehörigen nach einer eigenen Familie sehnte.

„Was gibt es da unten so Interessantes?“ Isabela durchquerte lautlos den Raum und trat neben sie ans Fenster.

„Ob er seine Mommy überhaupt vermisst?“ flüsterte Vivian.

Tammy quiekte, als Miguelito sie nass spritzte, und Julio nahm sie in seine Arme und küsste sie. Das Mädchen schlang ausgelassen die Beine um Julio, während Miguelito fasziniert zuschaute.

Vivians Fingernägel knirschten auf dem warmen Glas.

„Reg dich nicht auf“, sagte Isabela. „Du wolltest Julio nicht haben, und ohne Freundin kann er nun einmal nicht sein.“

„Ja, nicht einmal, als ich schwanger war, konnte er darauf verzichten. Wenn ich Miguelito nicht bald von hier wegbringe, wird er wie sein Vater, und die Geschichte wiederholt sich endlos.“

„Julio ist ein guter Vater.“

„Aber kein guter Ehemann. Ich möchte nicht, dass Miguelito in hübschen jungen Frauen nur Lustobjekte sieht und in den anderen Dienerinnen.“

„Du machst dir zu viele Gedanken.“ Isabela lachte.

„Ich habe eben andere Ansichten über Sex und Liebe als du.“

„Tatsächlich? Manchmal bezweifle ich das.“

„Du hast nicht nur deine Schönheit, sondern auch Verstand.“

„Ich habe genug Verstand, um nicht mit Männern konkurrieren zu wollen, falls du das meinst.“

„Das meine ich nicht.“ Vivian pochte an die Scheibe, um Miguelito von dem eng umschlungenen, sich heftig küssenden Paar abzulenken.

Tammy bemerkte sie und schob Julio verlegen von sich. Sie winkte, und dann winkten Vater und Sohn ihr ebenfalls zu.

„Bist du jetzt zufrieden?“ In Isabelas dunklen Augen glitzerte es amüsiert. „Du hast sie auseinander gescheucht.“

„Du willst bloß nicht, dass ich die Stimmung verderbe.“

„Richtig, ich bin verliebt.“

„In die Liebe.“

„In Hugh. So wie er am Telefon geklungen hat, bin ich fast sicher, dass er mir einen Heiratsantrag machen will.“

„Nur fast sicher? Lässt Isabela, die Sexgöttin, etwa nach?“

„Mach keine Scherze über ihn. Und wenn er mich fragt, gebe ich eine Riesenparty zur Verlobung. Wir müssen überrascht tun, aber auf alles vorbereitet sein. Und du musst mir helfen.“

„Selbstverständlich, Liebes.“

„Wir müssen das Haus und das Gästezimmer herrichten. Ich habe es den Dienstboten schon gesagt.“

„Ich habe gemerkt, dass in der Küche die Hölle los ist.“ In diesem Moment wurde Vivian sich bewusst, wie öde das Leben hier ohne Isabela wäre. Sie schluckte. „Wo werdet ihr wohnen, wenn ihr verheiratet seid?“

„In San Francisco. Natürlich ist Hugh viel unterwegs, genau wie Papa.“

„Du wirst mir sehr fehlen.“

Ihre Blicke trafen sich. Vivian versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verloren sie sich fühlte.

Isabela klatschte in die Hände und breitete die Arme aus. „Du ziehst mich dauernd auf und kritisierst mich, aber du hast mich so gern wie eine Schwester.“

„Du bist alles, was ich an Familie habe.“

Isabela umarmte sie heftig. Vivian traten Tränen in die Augen. „Du Dummerchen, ihr kommt natürlich mit, du und Miguelito. Keine Frage.“

„Aber …“

„Keine Tränen, ja?“

„Warum sollte ich weinen?“ Doch Vivians Augen brannten, ihr Herz pochte schmerzhaft.

„Deine Augen glänzen wie Kirschen. Ich kann doch in den Staaten nicht ohne Familie leben. Du bist meine Schwester. Wir suchen dir ein kleines Haus in unserer Nähe. Und du hilfst mir, Hugh einzufangen, ja?“

„Du willst mich wirklich mitnehmen?“ Vivian wischte sich über die Augen. Sie konnte Isabelas großzügiges Angebot kaum fassen. Sie würde mit Miguelito in die USA zurückkehren.

„Du sagtest, du möchtest studieren, und hier hast du dazu keine Gelegenheit. Dies ist unsere Chance. Wenn du mich unterstützt, verwirklichen wir beide unsere Träume.“

„Ich kann einfach nicht glauben, dass du …“

„Glaub es ruhig. Du musst nur die gute Fee spielen und mir helfen, den Prinzen zu bekommen.“

„Du bist so schön. Wie kann ich dir überhaupt helfen?“

„Ich kenne mich mit euch Amerikanern nicht gut aus. Er soll sich rundum wohl fühlen, alles muss perfekt sein. Du sagst, ich bin schön, aber du verstehst nicht, wer er ist. Hugh könnte jede Frau haben. Und wie du schon sagtest, er fürchtet sich nicht vor Frauen mit Verstand.“

Vivian hatte Isabela noch nie so verunsichert erlebt, und da sie selbst unsicher war, verstand sie es.

„Hugh ist eine internationale Berühmtheit“, fuhr Isabela fort. Noch ist er nicht in mich verliebt. Er liebt noch immer seine erste Frau. „Er spricht zwar nicht darüber, aber ich spüre es, denn manchmal bekommt er diesen traurigen Blick.“

Das hatte Vivian auch so empfunden, als sie sich die Fotos von ihm angesehen hatte. „Ich weiß, was du meinst“, erwiderte sie leise.

„Wenn ich Glück habe, stellt er mir heute Abend die entscheidende Frage. Aber bis es so weit ist …“

„Ich gehe sein Zimmer vorbereiten“, sagte sie. Plötzlich wollte sie das Gespräch über Isabelas Märchenprinzen beenden.

Im Hinausgehen sagte sie sich, dass sie Hugh McRays grüne Augen und dieses seltsame Gefühl der Verbundenheit mit ihm vergessen musste. Sie liebte Isabela wie eine Schwester, ihr galt ihre ganze Treue.

Die beste Methode, den Fantasien über den Mann mit den traurigen Augen ein Ende zu setzen, war harte Arbeit. Vivian ging in die Küche hinunter und schrieb lange Aufgabenlisten für die Dienstboten. Als Nächstes begab sie sich mit zwei Mädchen ins Gästezimmer, um dort nach dem Rechten zu sehen. Im Hinausgehen bemerkte sie auf dem Boden des Badezimmers unter dem Boiler eine Wasserpfütze. Sie drehte das Warmwasser auf, da spritzte aus einem kaputten Rohr ein dicker Wasserstrahl und durchnässte sie.

Vivian schrie auf, und die Mädchen schüttelten sich vor Lachen. Sie musste ebenfalls lachen und stellte rasch das Wasser ab. Ein Blick in den Spiegel löste noch mehr Gelächter aus. Sie war tropfnass, das Haar klebte ihr am Kopf.

Noch immer lachend, lief sie zur Garage, um Rodrigo Bescheid zu sagen. Darauf ging sie zu Isabela, überprüfte deren Leitung und erntete wieder Lachen.

„Hugh hat gerade angerufen. Du musst dich sofort umziehen und dein Haar in Ordnung bringen. Er ist vor ein paar Minuten gelandet.“

„Ich bin zu müde, ich dusche nur schnell und gehe schlafen.“

„Aber ich möchte, dass du Hugh kennen lernst.“

„Morgen.“

„Du hast doch versprochen, mir zu helfen.“

„Bei einem Amerikaner kommt die Zweierbeziehung zuerst, und dann erst die Familie. Du darfst ihn nicht gleich so überfallen, glaub mir.“

Isabela umarmte sie und wurde ebenfalls ganz nass. „Also gut, heute Abend gibt es Dinner bei Kerzenschein am Pool, nur für uns beide. Mit vielen Kerzen. Und ich ziehe das hier an.“ Sie nahm ein schmal geschnittenes Kleid ohne Träger vom Bett. „Passen diese Schuhe dazu?“

Die Sandaletten aus Plastik wirkten wie aus Glas und waren mit roten Sternchen verziert.

„Du wirst aussehen wie eine Märchenprinzessin.“

Eine Stunde später war Vivian allein in ihrem Zimmer, mit nassem Haar und von der Sonne verbrannten Wangen. Plötzlich spürte sie seine Gegenwart, noch bevor die Haustür zuklappte und er den ummauerten Hof betrat. Und in diesem Moment war ihr, als hielte die Welt den Atem an.

Türen klappten. Hundepfoten kratzten auf den Fliesen. Dann ein Bellen im Hof. Das war merkwürdig, denn Isabela duldete keine Tiere im Haus.

Wieder schlug der Hund an.

Neugierig trat Vivian auf den Balkon. Beim Klang einer tiefen, angenehmen Männerstimme aus dem Innenhof schrak sie zusammen und glitt hastig in den Schatten des alten Granatapfelbaums.

„Der Hund ist wirklich halb verhungert, bitte, Isabela. Tu mir doch den Gefallen.“

„Du kannst nicht jeden Straßenköter Mexikos adoptieren.“

Mit wiegenden Hüften ging Isabela auf den Mann zu. Er trank sein Weinglas mit einem Schluck aus und wich ihr aus.

„Der Taxifahrer hätte ihn beinah überfahren.“

„Kein Wunder, wenn der Hund so dumm ist und sich mitten auf die Straße legt.“

„Schau ihm doch mal in die Augen. Dieser seelenvolle Blick!“

„Himmel, Hugh, er hat dein halbes Grillhühnchen verschlungen.“

„Wir werden es verwinden, Isabela. Kann ich Shampoo und einen Gartenschlauch haben? Sobald er gefressen hat, bade ich ihn.“

„Das kann doch einer der Dienstboten tun. Du hast eine lange Reise hinter dir. Wollen wir uns nicht lieber unterhalten?“

Erneut wich er vor ihr zurück. „Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich ihn selbst baden.“ Die schöne Stimme wurde schroffer. „Du kannst ja zusehen, wenn es dir Spaß macht.“

Vivian ballte die Hände. Concho war ihr Schützling. Wieso ging Hugh McRay so fürsorglich mit dem Tier um? Sie wollte keinerlei Verbindung zu diesem Mann haben.

Als hätte Concho ihre Nähe gespürt, lief er unter ihren Balkon, schaute hoch und begann zu jaulen. Hugh folgte ihm, und Vivian stürzte ins Zimmer und schloss leise die Glastür. Sie versuchte, nicht an das Paar im Hof zu denken, zog sich die nassen Sachen aus, duschte und wusch sich das Haar. Länger als nötig stand sie unter der warmen Brause, als könnte sie so die Erinnerung an Hughs Stimme wegspülen. Schließlich schlüpfte sie in ein Baumwollnachthemd und rieb sich das Haar mit dem Handtuch trocken.

Am Morgen hatte sie ihr tägliches Schwimmpensum ausgelassen, und am Abend auch. Vielleicht lief sie deshalb so rastlos im Zimmer umher, rückte Dinge zurecht, die längst an Ort und Stelle waren.

Miguelito war noch bei Julio und Tammy, sonst wäre sie in sein Zimmer gegangen, hätte mit ihm gespielt oder ihm vorgelesen. Sie versuchte, im Bett zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Also stand sie wieder auf und ging auf und ab.

Wenn sie doch nur schwimmen gehen könnte! Doch am Pool war Isabela mit Hugh.

Dieser Abend war sehr wichtig, vielleicht machte Hugh ihr einen Antrag. Wiederholt sagte sich Vivian, dass dies ihre Fahrkarte in eine bessere Zukunft war.

Als sie sich viel später ins Bett legte, fühlte sie sich erschöpft und konnte trotzdem nicht einschlafen. Ständig dachte sie an Concho und dass Hugh sich um ihren Hund gekümmert hatte. Es war wie ein geheimes Band zwischen ihnen.

„Wie lange hast du schon keinen Mann mehr gehabt?“

Sie wünschte, Aaron hätte das nicht gesagt. Sie wünschte, ihre Matratze wäre nicht so weich. Sie ballte die Hände und versuchte, ganz still zu liegen.

Warum konnte sie nicht schlafen? Warum spann sie Fantasien um einen Mann, den sie gar nicht kannte? Schlimmer noch – er gehörte Isabela, und sie liebte ihre Schwägerin.

Irgendwann stand Vivian auf und ging barfüßig auf ihren Balkon. Die schwüle Nachtluft duftete nach Mangos und Avocados, nach Grillhuhn und Knoblauch.

Am Pool brannten unzählige Kerzen. Vivian konnte das verliebte Paar sehen. Unter dem alten Granatapfelbaum stolzierte Isabela in ihrem trägerlosen Kleid umher, während Hugh sich außerhalb ihrer Reichweite hielt.

Eigentlich beobachtete Vivian jedoch Hugh, den die tropischen Pflanzen zum Teil verdeckten. Er war sehr groß und sah in seiner Jeans und den Stiefeln durchtrainiert und kräftig aus. Er hatte die knappen Bewegungen eines Kämpfers, und doch war er ein kluger, hoch gebildeter Mann.

Vivian genoss seinen Anblick.

Auch Concho mochte Hugh offensichtlich, denn er tigerte beharrlich hinter ihm her, und wenn Hugh die Hände hängen ließ, schleckte Concho sie hingebungsvoll ab und wollte gestreichelt werden. Hugh schien sich mit dem Hund besser zu verstehen als mit Isabela.

Sei nicht so verkrampft, Isabela, riet Vivian ihr im Geist.

Dennoch würde Isabela letztlich siegen, wie immer. Egal, wie sehr Hugh McRay noch um seine erste Frau trauerte. Der verführerischen, heißblütigen Isabela würde der harte Mann mit der Schwäche für herrenlose Hunde erliegen.

Und Vivian wünschte ihrer Schwägerin den Sieg von Herzen.

Sie dachte daran, wie erfolgreich Julio bei ihr gewesen war mit seinen Dinners bei Kerzenschein. Julio war auf schüchterne junge Mädchen spezialisiert, seine Schwester auf emotional angeschlagene, wohlhabende Männer.

Isabela hatte bereits eine Menge Männerherzen gebrochen. Sie führte zwar nicht Buch über ihre Eroberungen, aber sie war sehr flexibel in ihren Gefühlen. Für sie war der gegenwärtige Liebhaber stets der Größte.

Wenn Isabela dieses Mal Erfolg hatte, würde Vivian in die Staaten heimkehren können. Doch Vivian wünschte sich, dass Hugh die wahre Liebe fände und nicht nur benutzt würde.

Auf einmal löste Concho sich von Hugh und ging unter den Balkon ihres Zimmers. Concho hob den Kopf und bellte aufgeregt, als wäre sie ein Waschbär, den er aufgestöbert hatte.

„Weg mit dir! Kusch!“ flüsterte Vivian.

Als Concho ihre Stimme hörte, sprang er am Granatapfelbaum empor und heulte. Vivian vernahm Schritte und verbarg sich hastig im Schatten.

„Was ist denn, Spot?“ fragte Hugh.

Spot? dachte Vivian. Das bedeutete Fleck. Aber Concho war nicht gefleckt.

Hugh stand unter ihrem Balkon, sie sah seine Füße. Vivian hielt den Atem an.

„Ist da oben etwas, Spot? Vielleicht eine Katze?“

Vivians Herz pochte heftig. Sie spürte Hughs Nähe und wusste, er spürte ihre ebenso, denn er blieb wie angewurzelt stehen, obwohl Isabela nach ihm rief.

Es war wie ein Zauberbann. Die Luft schien elektrisch aufgeladen wie vor einem Sommergewitter. Die Blätter am Baum regten sich sanft wie die Haarsträhnen in Vivians Nacken.

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und biss die Zähne zusammen.

„Ist da oben jemand?“ fragte er noch einmal mit weicher Stimme.

„Das ist Vivians Zimmer“, erklärte Isabela. „Sie schläft aber schon.“

Nein, sie beißt sich die Lippen blutig und zittert am ganzen Leib vor Verlangen, erwiderte Vivian im Stillen. Es war Wahnsinn.

„Geh weg“, flüsterte sie. Ihre Knie gaben nach, sie musste sich an die Wand lehnen. „Bitte geht, weg, alle beide.“

„Vivian?“ flüsterte Hugh in der nächtlichen Stille. „Bist du das?“

4. KAPITEL

Vivian wachte auf, zitternd vor Sehnsucht und Begehren. Der riesige Mond erfüllte ihr Zimmer mit seinem magischen Licht. Als sie merkte, wie erhitzt sie war, warf sie seufzend ihren Bademantel über und ging auf den Balkon, wo sie den Mond betrachtete und sich von ihrem Traum z...

Autor

Ann Major

Ann Major wird nicht nur von ihren Leserinnen sehr geschätzt, sondern bekommt auch von anderen Romance-Autorinnen wie Nora Roberts und Sandra Brown tolle Kritiken.

Aber ihr Erfolg ist hart erarbeitet, denn sie sagt von sich selbst, dass sie keine Autorin ist, der alles zufliegt. Sie braucht die täglichen kleinen Rituale...

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