Julia Best of Band 271

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Wie ein Stern in dunkler Nacht
Skiferien mit dem Chef. Nur ihrem Sohn zuliebe stimmt Cary zu. Womit sie nicht gerechnet hat, ist, dass sie Jason begehrt wie keinen Mann zuvor. Doch ihre Gefühle erscheinen ihr wie Verrat an ihrem verstorbenen Mann!

Intrigen, Liebe, heiße Küsse
Wie unheimlich! Im historischen Palazzo in Venedig öffnen sich um Mitternacht Falltüren, und verschleierte Personen verfolgen Chrissie … Längst hätte die junge Schönheit die Flucht ergriffen, wäre da nicht der blendend aussehende Schlossherr Marcus di Medici …

Im Strudel der Leidenschaft
Alexandra hat ihren Exmann David bis heute nicht vergessen können. Als er plötzlich in Florida auftaucht, um einen Schatz aus einem Schiffswrack zu bergen, fühlt sie sich sofort wieder stark zu ihm hingezogen. Doch kaum haben die beiden lustvolle Stunden der Leidenschaft miteinander genossen, wird ihr neues Glück jäh bedroht ...


  • Erscheinungstag 28.10.2023
  • Bandnummer 271
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519328
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

HEATHER GRAHAM

JULIA BEST OF BAND 271

1. KAPITEL

„Und was möchtest du zu Weihnachten haben, du kleines Mädchen?“, fragte Cary Adams. Sie beugte sich über den Tisch und stützte ihr Kinn vergnügt in die Hände, während sie ihre Freundin June Harrison ansah. Carys Haare – glatt, schimmernd und dunkel – umrahmten ihre zart geschnittenen Züge, und ihre lustigen kaffeebraunen Augen waren so groß und unschuldig wie die eines Kindes. Nun ja, es war immerhin Weihnachten. Beinahe.

„Es geht nicht darum, was ich mir wünsche, sondern wen“, erwiderte June lachend. „Sein Name spielt keine Rolle. Er muss nur groß, dunkel und attraktiv sein. Und reich“, fügte sie nach kurzem Überlegen hinzu und verzog das Gesicht. „Ich bin ja kein materiell eingestelltes Mädchen, aber wir leben nun einmal in einer Welt, in der nur das Geld zählt.“

Cary lehnte sich lächelnd zurück und drohte ihr mit erhobenem Zeigefinger. „Das ist nicht fair. Ich kann dir zu Weihnachten keinen Mann schenken.“

„Nein? Na ja, ich habe ohnedies keinen erwartet. Du aber, Kleine, verdienst einen. Und er sollte auch groß, dunkel und attraktiv sein. Und reich.“

„Was ist, wenn mir ein Blonder lieber ist?“

June schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid. Es heißt allgemein ‚groß, dunkel und attraktiv‘. Entweder nimmst du den, oder du bekommst keinen.“

Cary lachte und sah sich in dem großen Saal um.

Abgesehen davon, dass die jährliche Verlagsparty stets unpassend früh abgehalten wurde – knapp eine Woche nach Thanksgiving –, mochte Cary diese Feier. Sie liebte die Musik, die bunten Lichter, den Duft von Mistelzweigen, Tannennadeln und Kerzen. Dazu passte auch der Schnee, der sich heute auf Bürgersteige und Straßen herabsenkte.

Im Büro von „Elegance“ fand jedes Jahr noch eine andere Weihnachtsparty statt, und zwar immer einen Tag vor Heiligabend. Cary bevorzugte jedoch die heutige Feier. Sie wurde für die Familien der Angestellten abgehalten. Ehemänner, Ehefrauen, Kinder, Großeltern und sogar Cousins und Cousinen konnten Einladungen ergattern.

Alljährlich mietete Jason McCready, der Herausgeber von „Elegance“, den Ballsaal eines der besten Hotels von Boston. Es war immer eine reine Freude zu beobachten, wie Kleinkinder und Teenager zwischen Kellnern im Smoking Amok liefen.

Kostenlose Getränke wie Champagner, Eierpunsch, Bier und Wein flossen reichlich für die Erwachsenen. Alkoholfreie Weihnachtsbowle – natürlich in Anbetracht des bevorstehenden Festes leuchtend rot – fand bei der minderjährigen Meute reißenden Absatz. Gewaltige Truthähne und ganze Schinken wurden verlost, und es gab auch einen Hauptgewinn, meistens einen Mikrowellenherd, einen Fernseher oder Videorekorder. Immer das Neueste, immer etwas, das jeder gut gebrauchen konnte.

Trotz seiner exzentrischen Art plante Jason McCready Weihnachten für seine Angestellten sehr umsichtig. Bei der Tombola bekam jeder etwas, niemand ging leer aus. Diese Ziehung nannte er „Festtagsbescherung“. Sämtliche Verlagsangestellte und viele ihrer Familien nahmen an dieser Party teil, völlig ungeachtet ihres religiösen Bekenntnisses. Alles lief mit unglaublicher Wärme und sehr viel gutem Willen ab. Zwar gab es einen riesigen geschmückten Weihnachtsbaum und ein Santa Claus überreichte den Kindern Spielzeug, aber McCready sorgte auch dafür, dass die schönen alten jüdischen Lieder gespielt wurden, sodass sich niemand benachteiligt fühlte.

„Hey, Kleine, du bist aber schrecklich still! Das ist hier eine Party, eine Feier! Schon vergessen?“

Cary sah verblüfft hoch und lächelte. June, ihre Freundin aus der Anzeigenabteilung, betrachtete sie eingehend. June war fünf Jahre älter als sie. Anfangs hatte es Cary geärgert, ständig „Kleine“ genannt zu werden, doch sie hatte schnell herausgefunden, dass June mit der Bezeichnung nur ihre Zuneigung zum Ausdruck brachte. Nach einem stürmischen Anfang waren sie beide die besten Freundinnen geworden.

„Ich habe nachgedacht“, erklärte Cary.

„Wie grauenhaft!“, murmelte June gespielt entsetzt. Sie war eine attraktive Frau mit wildem, platinblondem Haar und sanften grauen Augen. Ihr Körper hätte für ein Foto der Rubrik „Girl des Monats“ herhalten können. Sie besaß einen messerscharfen Verstand und kannte ihr Geschäft in- und auswendig. „Worüber hast du nachgedacht? Männer?“, fragte sie und rührte ihren Irish Coffee mit einem Löffel um.

„Nein. Das heißt, ja. Über einen Mann. Ich finde, dass McCready immer sagenhafte Partys veranstaltet – vor allem, wo er doch … McCready ist“, endete Cary ein wenig lahm.

June lächelte und hob die Schultern. Cary wusste, dass ihre Freundin sie völlig verstand. Jason McCready war ein gut aussehender Mann – eindeutig als „groß, dunkel und attraktiv“ einzuordnen – und sehr jung für seine Position, erst neununddreißig. Gerüchten zufolge sollte er mit Anfang zwanzig wie ein Dynamo gewesen sein – klug, energiegeladen und voller Ideen. Dank dieser Eigenschaften hatte er aus einer sterbenden vierzehntägigen Zeitschrift eine auflagenstarke, geachtete Illustrierte gemacht.

„Elegance“ brachte Artikel über die schönsten Wohnungen Amerikas, besaß eine Unterhaltungsrubrik, einen Spezialteil über aktuelle Politik und Tagesereignisse. Außerdem gab es die Sparte „American World“, Carys eigene Kolumne, angefüllt mit Informationen über interessante, meist prominente Leute und deren Privatleben. Das Magazin hatte eine moderne Aufmachung, der Inhalt jedoch bestand aus traditionellem, gehobenem Journalismus. Und das alles war Jason McCreadys Werk.

Er war der Herausgeber und Vorstandsvorsitzender des Verlages. McCreadys Karriere stellte eine amerikanische Erfolgsgeschichte dar. Vor Jahren, lange bevor Cary in dieses Geschäft eingestiegen war, hatte er oft die Covers verschiedener Glamourmagazine geziert. Sie erinnerte sich ganz besonders an ein Foto, das von ihm und seiner Frau auf der New Yorker Rockefeller Plaza gemacht worden war.

Seltsamer Zufall – es war ein Weihnachtsfoto gewesen. Der gewaltige Tannenbaum, der jedes Jahr den Platz zierte, ragte hinter den beiden auf. Vor ihnen erstreckten sich die Eisbahn und fantasievoll geschmückte Straßenzüge. McCready trug einen langen schwarzen Mantel, der sein gutes Aussehen, die dunklen Haare sowie sein starkes, männliches Profil betonte.

Seine in einen weißen Nerz gehüllte Frau Sara bildete mit ihrem weißblonden Haar und den unwahrscheinlich blauen Augen einen totalen Kontrast zu ihrem Mann. Die beiden lächelten einander auf dem Foto zu. Saras schönes Gesicht drückte hingebungsvolle Liebe aus, während er sie mit einer Zärtlichkeit betrachtete, die jeden Beobachter in seinen Bann zog. Die beiden waren einmalig gewesen. Ein richtiges Traumpaar!

Sara hatte das nächste Weihnachtsfest nicht mehr erlebt.

Seitdem hatte Jason McCready nie wieder ein Interview gegeben. Cary hatte eines für ihre eigene Kolumne machen wollen. Es war eine der wenigen Gelegenheiten gewesen, bei denen sie mit ihm persönlich gesprochen hatte.

Und er war ihr beinahe an die Gurgel gesprungen!

Sie erinnerte sich noch immer lebhaft an den Vorfall in seinem Büro. Sie hatte mit seiner Sekretärin einen Termin vereinbart und war gut vorbereitet und mit einer wirklich intelligenten Präsentation hingegangen.

Cary hatte sein riesiges, doch karg eingerichtetes Büro betreten. Weiße Wände mit zwei Grafikdrucken, pfirsichfarbener Teppich, ein massiver Eichenschreibtisch, ein Ledersofa, zwei Sessel.

Das war alles.

McCready hatte ihr nicht einmal einen Platz angeboten!

Er blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen, und seine hellgrünen Augen richteten sich so scharf, kalt und gezielt auf sie, dass sie das Gefühl hatte, von Stahlklingen durchbohrt zu werden. Er hörte ihr ungefähr eine Minute zu, bevor der Bleistift, den er bis dahin lässig zwischen den Fingern gehalten hatte, plötzlich zerbrach. Dann stand er auf, erhob sich zu seiner imposanten Größe von einsneunzig, kam um den Schreibtisch herum und baute sich vor Cary auf. Sie duckte sich beinahe, als seine Hände ihre Schultern berührten. Hart. Kraftvoll, aber nicht gewalttätig.

Und er stieß nur ein einziges Wort hervor: „Nein!“

Er stand da und starrte sie an. Eine Strähne seines für gewöhnlich makellos gekämmten dunklen Haares fiel über eine seiner pechschwarzen Augenbrauen. Sein gebräuntes Gesicht hatte plötzlich alle Farbe verloren, und er presste seinen vollen Mund zu einer grimmigen, schmalen Linie zusammen. Er starrte Cary immer noch an, als wäre sie ein alter Feind. In diesem Moment wollte sie nur eines: weglaufen!

Nicht Mut brachte sie dazu, stehen zu bleiben – sie war einfach zu überrascht, um sich zu bewegen. Endlich nahm er seine Hände von ihren Schultern und wandte sich ab. „Ich sagte Nein, Miss Adams …“

„Ich bin Mrs. Adams“, unterbrach sie ihn, drängte die aufsteigenden Tränen zurück und fragte sich, warum es ihr in diesem Moment so wichtig war, auf ihre richtige Anrede hinzuweisen.

„Mrs. Adams. Entschuldigen Sie“, sagte McCready kalt. Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich wieder, wobei er in seinem maßgeschneiderten Anzug geradezu aristokratisch wirkte. „Könnten Sie jetzt bitte gehen? Ich bin beschäftigt, und diese Unterredung ist beendet.“

Sie straffte die Schultern, überzeugt, dass er nicht nur ihren Vorschlag abgelehnt, sondern auch sie selbst entlassen hatte. „Ich räume meinen Schreibtisch bis siebzehn Uhr“, erklärte sie tonlos. „Und ich erwarte meinen Abfindungsscheck genauso pünktlich.“

Erst jetzt hob er die dunklen Augenbrauen, und für einen Moment zeigte sich Überraschung in seinen harten, markanten Zügen. „Warum, um alles in der Welt, wollen Sie Ihren Schreibtisch räumen, Mrs. Adams?“

Cary versuchte nicht zu stottern, aber sie tat es. Außerdem wusste sie, dass ihre Wangen flammend rot wurden. „Mr. McCready, es hat sich eindeutig so angehört, als wären Sie verärgert und wollten mich nicht länger beschäftigen.“

„Ich bin tatsächlich verärgert, Mrs. Adams, aber ich feuere niemanden, nur weil er oder sie mich gelegentlich einmal wütend macht. Ich finde Ihre Arbeit ausgezeichnet. Ich wünsche lediglich, dass Sie mein Büro verlassen und mir in Zukunft keinen solchen Artikel mehr vorschlagen.“

Sie sah ihn noch immer ausdruckslos an. Sie hatte sich oft gefragt, ob dieser Mann überhaupt noch las, was in seiner Illustrierten gedruckt wurde. Offenbar tat er es.

„Ist noch etwas, Mrs. Adams?“

„Nein!“ Sie rührte sich jedoch nicht von der Stelle und hörte sich zu ihrer eigenen Überraschung weitersprechen. „Mr. McCready, es geht um Ihr eigenes Magazin! Warum wollen Sie nicht …“

Er stand wieder auf, und Cary hatte das Gefühl, als habe sie diesmal wirklich seine ungeteilte Aufmerksamkeit erregt. Und zwar nicht nur seinen Ärger, sondern sein ehrliches Interesse.

„Weil ich nicht über mein Privatleben sprechen kann, und damit ist die Sache erledigt! Haben Sie mich verstanden?“

„In Ordnung“, lenkte Cary ein. Er starrte sie unverändert an. Heiße und kalte Schauer jagten über ihren Rücken.

Für einen ganz kurzen Moment glaubte sie, Schmerz in seinen Augen schimmern zu sehen, und intuitiv wusste sie, dass er an seine tote Frau dachte. Seit Sara in seinem Leben fehlte, wollte er der Öffentlichkeit nichts mehr über sich sagen.

„Es tut mir leid …“, setzte Cary an.

„Nicht nötig!“, unterbrach er sie.

Die Worte waren leise, das Gefühl hinter ihnen heftig. Cary sprach trotzdem weiter. „Mr. McCready, Sie haben sie sehr geliebt. Das verstehe ich. Es tut mir leid, sehr sogar. Doch Sie sind nicht der einzige Mensch, der jemanden verloren hat, den er liebte. Vielleicht ist der Artikel keine gute Idee, aber Sie sollten mit jemandem sprechen. Sie sollten …“

Ihre Stimme verklang, als er sie mit eisigem Zorn betrachtete.

„Sind Sie jetzt fertig, Mrs. Adams?“

Sie nickte. Sein Leben ging sie nichts an.

„Möchten Sie dann vielleicht wieder an Ihre Arbeit zurückkehren?“, fragte er leise.

Cary wirbelte herum. Sie bedankte sich nicht für seine Zeit. Er hatte sie ihr nicht bereitwillig gegeben. Und sie brauchte sich auch nicht dafür zu bedanken, dass er ihr nicht kündigte. Ihre Arbeit war gut. Nur das zählte. Doch jetzt wollte er sie einfach nicht mehr in seinem Büro haben.

„Mrs. Adams!“

Sie sah ihn an.

„Entschuldigen Sie“, fuhr er fort. „Ich bitte Sie aufrichtig um Verzeihung.“ Seine Stimme klang sanft. Und wie er mit verschränkten Armen hinter seinem Schreibtisch saß, mit diesen dunklen Haaren und diesen unglaublich grünen Augen, fand Cary ihn umwerfend – und noch mehr: Er war ihr sympathisch! Sie biss die Zähne zusammen und erschrak, weil die Versuchung so groß war, zu ihm zu laufen, die Arme um ihn zu legen und ihm ein wenig Trost zu bieten.

Doch das waren Hirngespinste. McCready wollte nichts von ihr. Und es gab keine Schwachstellen in seinem Panzer. Er wollte nur, dass sie sein Büro verließ.

Cary gehorchte.

Und sie hatte sich nie wieder zu ihm gewagt …

„McCready veranstaltet wirklich sehr hübsche Feiern“, bemerkte Cary beiläufig und lächelte ihrer Freundin zu. „Fast so, als würde er noch an den Geist von Weihnachten glauben. Ho, ho, ho!“

„Du redest, als würdest du selbst noch daran glauben“, meinte June weise und betrachtete ihre Freundin über den Tisch hinweg.

Carys Herz schlug plötzlich heftig in ihrer Brust, und das Atmen fiel ihr schwer. Das tat weh! Nun, sie bemühte sich. Jedes Jahr um diese Zeit bemühte sie sich sehr. Sie hatte wieder gelernt, fröhlich zu sein und viel zu lachen. Um ihrer Familie willen, wenn schon nicht um ihrer selbst willen. Das war ihr auch gut gelungen … Zumindest hatte sie das immer gedacht.

Sie hatte den Schock, den Schmerz und das Gefühl von Wut und Hilflosigkeit überwunden. Sie hatte ein eigenes Apartment gefunden, sie war unabhängig geworden, und sie hatte es geschafft, sich ein neues Leben aufzubauen. Es war angefüllt mit den schulischen Aktivitäten ihres Sohnes, mit ihrer Arbeit und mit Besuchen bei den Schwiegereltern und bei ihrer eigenen Familie. Es war überhaupt nicht fair, dass June sie wegen des Geistes von Weihnachten angriff.

Doch die Freundin griff sie im Grunde gar nicht wirklich an. June ließ das Thema sofort wieder fallen. Sie schüttelte ihre wilde Mähne, leckte ihren Löffel ab und deutete damit auf das große, kunstvoll geschmückte Papphaus auf der Bühne, in dem Santa Claus jetzt die Kleinen empfing. „Jeremy spielt dieses Jahr den Weihnachtsmann, nicht wahr?“

Cary nickte. „Unter dem Mantel ist er bis zur Halskrause ausgestopft. Er erzählt den Kindern das Blaue vom Himmel herunter und amüsiert sich blendend. Danny sollte jetzt bald an der Reihe sein. Bin gespannt, ob er Jeremy erkennt.“

„Gehen wir doch hin“, schlug June vor.

Sie standen auf, drängten sich durch die fröhliche Menschenmenge und hielten ein paarmal an, um jemanden zu begrüßen. Als sie die Schlange vor dem Häuschen erreichten, blieb Cary lächelnd stehen. Danny war der Nächste, der mit dem Weihnachtsmann sprechen durfte. Das kleine Mädchen vor ihm war soeben hinter die leuchtend roten Vorhänge geführt worden. Durch einen Spalt sah Cary, wie Jeremy seine langbeinige, schöne Gehilfin da kniff, wo der kurze Rock ihres Engelkostüms ihren Schenkel entblößte.

„Der Weihnachtsmann ist ein Lüstling“, erklärte Cary seufzend.

„Und Isabelle genießt garantiert jede Sekunde“, versicherte June.

Die Gehilfin des Weihnachtsmanns war eine Collegestudentin, die seit einigen Wochen im Postzimmer jobbte. Isabelles Lächeln zeigte eindeutig, dass sie sich blendend amüsierte.

Danny, Carys achtjähriger Sohn, drehte sich plötzlich um. Auf seinem sommersprossigen Gesicht erschien beim Anblick seiner Mutter ein breites Lächeln, und sofort schlug ihr Herz schneller. Er sah seinem Vater unglaublich ähnlich. Die klaren himmelblauen Augen, die hellblonden Haare, die blassen Sommersprossen auf seinem Nasenrücken … Er war ein niedliches Kind, und das fand Cary nicht nur, weil es ihr eigenes war. Die meisten Kinder waren süß, aber bei Danny war es noch mehr. Es lag an seinen Augen … an einer gewissen Weisheit in ihnen. Weisheit und Mitgefühl. Danny war nicht bitter geworden, nicht einmal, als er richtig begriff, was mit seinem Vater geschehen war. Er hatte nur geweint.

Das tat er auch jetzt noch in manchen Nächten.

Dennoch hatte er sich nie sein Leben und das anderer durch den Tod seines Vaters vermiesen lassen. Er war nur reifer geworden als für sein Alter üblich. Das hatte ihm Charme und ein Verantwortungsgefühl verliehen, das bei Achtjährigen selten war. Sprach er, hatten einige Leute das Gefühl, sie unterhielten sich mit einem Teenager, weil er sich so ernsthaft und gut verständlich ausdrücken konnte.

„Mom, komm her!“, rief Danny Cary zu.

„Geh nur“, forderte June sie auf. „Ich warte hier auf dich.“

Cary lächelte. „In Ordnung. Wenn es geht, möchte ich Danny und dem Weihnachtsmann zusehen und feststellen, ob Jeremy seinen Job auch beherrscht.“

June nickte. Cary entschuldigte sich, während sie sich zwischen Eltern und Kindern hindurchwand, um zu Danny zu gelangen. Isabelle empfing sie mit freundlichem Lächeln. „Hi, Mrs. Adams. Ist das Ihr Sohn?“, fragte sie und deutete auf Danny.

Cary nickte. „Das ist er. Danny, das ist Miss Isabelle LaCrosse. Sie arbeitet jetzt bei uns. Isabelle, mein Sohn Daniel.“

Danny schüttelte ihr feierlich die Hand. „Und ich dachte, Sie wären wirklich ein Engel“, meinte er mit einem leichten Seufzer.

Verdutzt sah Isabelle Cary an, die nur die Schultern hob und ein Lächeln unterdrückte. „Er mag Engel“, erklärte Cary lahm.

Isabelle blickte hinter den Vorhang. „Ich glaube, der Weihnachtsmann ist jetzt für dich bereit, Daniel. Komm herein! Mrs. Adams, wenn Sie möchten …“

Sie deutete auf einen Spalt im roten Vorhang, durch den Cary heimlich ihren Sohn beobachten konnte. Sie lächelte Isabelle freundlich zu und schob sich näher, während Danny hineinging.

„Ho, ho, ho, das ist doch Mr. Daniel Adams, nicht wahr?“, sagte der Weihnachtsmann, und Cary beobachtete, wie ihr Sohn überrascht die Augen aufriss, als Santa Claus ihn so vertraut ansprach.

Sie fand Jeremy perfekt. Er war herrlich ausgestopft, sein Kostüm großartig. Ein künstlicher Vollbart aus Watte verdeckte die untere Hälfte seines Gesichts. Die große weiße Bommel seiner roten Mütze fiel ihm in die Stirn, und eine kleine goldene Brille saß auf seiner Nasenspitze.

„Ja, Sir, Weihnachtsmann“, erwiderte Danny voll Hochachtung. Vor Kurzem hatte er Cary erklärt, da er nun ein großer Junge sei, habe er nicht die Absicht, sich auf den Schoß des Weihnachtsmanns zu setzen. Er hatte aufrecht stehen und von Mann zu Mann mit Santa Claus sprechen wollen.

Doch nun setzte er sich schnell auf den Schoß des Weihnachtsmanns und schien keine Ahnung zu haben, dass er mit dem Cousin seiner Mutter sprach.

„Ich weiß, dass du in diesem Jahr wie immer lieb und gut warst, Danny. Also sage mir, was wünschst du dir denn zu Weihnachten?“

Danny zögerte. Cary runzelte die Stirn, während sie ihn beobachtete. „Was ich mir wirklich zu Weihnachten wünsche?“, fragte Danny leise.

„Ja, Junge, natürlich.“

„Ich glaube an dich, weißt du“, versicherte Danny hastig. „Ich glaube an den lieben Gott und an Wunder, besonders an Weihnachtswunder. Und ich weiß, dass du mir helfen kannst, Mr. Santa Claus. Ich weiß das.“

„Danny, ich …“

„Ich möchte einen Vater, Weihnachtsmann. Oh, nicht den richtigen! Ich weiß, dass du mir meinen Dad nicht zurückbringen kannst. Er lebt oben im Himmel, weil er ein großartiger Dad war. Der liebe Gott kann Menschen nicht mehr zurückgeben, wenn er sie einmal zu sich geholt hat. Und es ist auch nicht für mich. Ich möchte jemanden für meine Mom. Sie versucht es nicht zu zeigen, aber sie ist sehr unglücklich. Sie denkt, dass ich es nicht bemerke, aber ich sehe es.“

„Danny …“

„Sie ist eine großartige Köchin und eine gute Hausfrau. Sie macht tolle Schokoladenplätzchen. Und sie schreibt. Sie schreibt über Leute, die Hilfe brauchen, und manchmal kann sie auch wirklich damit helfen. Sie ist wirklich gut, Weihnachtsmann. Bitte!“

Cary stiegen Tränen in die Augen, und sie bekam kaum Luft. Sie schluckte ein paarmal hart. Dann erschien ganz langsam ein Lächeln auf ihren Lippen. Oh, ich liebe dich so, Danny, dachte sie.

„Sieh mal, Junge“, sagte der Weihnachtsmann, als es ihm endlich gelang, das Kind zu unterbrechen. „Ich … ich würde dir gern etwas versprechen, aber ich kann das nicht. Sieh mal, Erwachsene müssen … also, sie müssen selbst jemanden finden, den sie mögen.“

„Ich weiß aber, dass du mir helfen kannst“, behauptete Danny starrsinnig.

Santa Claus öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dieser Kleine neigte zur Dickköpfigkeit, und keiner wusste das besser als Jeremy.

„Ich sage dir etwas, Danny: Ich werde zusehen, was sich machen lässt. Doch das ist keine einfache Bestellung für Weihnachten. Das ist absolut die schwierigste, die ich je hatte. Du musst mir vielleicht mehr als ein Weihnachten Zeit lassen, um diesen Wunsch zu erfüllen, in Ordnung?“

„Du wirst aber daran arbeiten?“

Santa Claus seufzte. „Das habe ich schon getan“, murmelte er leise und lächelte dann. „Natürlich werde ich daran arbeiten. Hart sogar. Das verspreche ich dir.“

„Danke“, sagte Danny schlicht. „Ich werde dir helfen. Ich werde jede Nacht zum Polarstern sehen und es mir wünschen.“

Der Weihnachtsmann nickte. „Und was ist mit diesem Weihnachtsfest?“

„Ach ja, ich hätte gern diesen Computer, der speziell für Kinder in meinem Alter gemacht ist. So einen, wie sie in der Schule haben.“

Vor Überraschung hätte Cary beinahe einen lauten Ruf ausgestoßen. Danny sagte nie, dass er etwas wollte. Und jetzt bat er um etwas, das sie sich nicht leisten konnte. Sie kannte den Computer, mit dem er in der Schule arbeitete. Es war eine wunderbare Erfindung mit Schreib- und Grafikprogramm für Mathematik-, Deutsch- und Kunstunterricht.

Wahrscheinlich könnte ich damit sogar meine Einkommensteuer machen, dachte sie trocken.

Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Computern musste dieser erst noch im Preis sinken. Die gesamte Anlage kostete Tausende, und Cary wusste nicht, ob sie sich den PC leisten konnte, selbst wenn sie ihn auf Raten kaufte.

Jeremy dagegen schien offenbar den Preis des Computers nicht zu kennen. „Das ist einfach“, versicherte er Danny. „An diesem Wunsch kann ich ganz sicher arbeiten!“ Er stellte Danny wieder auf die Beine und griff in den großen roten Sack neben sich. „Für den Moment, mein Junge, habe ich für dich ein Auto mit Fernsteuerung. Wie ist das denn?“

„Toll, Santa Claus“, versicherte Danny. „Das ist großartig, ehrlich, einfach riesig! Danke, vielen Dank.“

Er verschwand durch den Vorhang. Jeremy wollte schon Isabelle rufen, damit sie das nächste Kind hereinbrachte, als er hochblickte und Cary entdeckte. Er sah sie einen Moment an und winkte ihr dann mit dem Finger.

„Komm hierher, Cary Adams!“, befahl er.

Sie trat vor. „Tut mir leid, ich habe gelauscht. Ich konnte nicht ganz …“

Sie unterdrückte einen kleinen Aufschrei, als er die Arme um sie schlang und sie auf seinen Schoß zog.

„Ich habe gehört, du warst ein sehr braves Mädchen“, meinte er und blinzelte ihr zu.

„Würdest du damit aufhören, du Lüstling? Ich bin deine Cousine!“, protestierte sie lachend.

„Nur Cousine zweiten Grades“, erinnerte er sie und seufzte wehmütig.

„Nahe genug verwandt. Also, benimm dich!“

„Nun, du hast deinen Sohn gehört, Mrs. Adams“, meinte er. „Er wünscht sich jemanden für dich. Und ich habe mich bemüht und immer wieder bemüht …“

„Jeremy, du bist ein Schatz, und ich liebe dich von ganzem Herzen, das weißt du. Und ich weiß, dass du es mit mir nicht im Geringsten ernst meinst …“

„Ich könnte es aber ernst meinen, wenn du nur aufhörst, immer über unser Verwandtschaftsverhältnis zu reden“, meinte er scherzhaft.

„Jeremy …“

„Was war mit diesem Elektriker, der eine Figur wie ein Bodybuilder hatte?“, fragte er düster.

Sie musste lächeln. „Tut mir leid. Er hat seine Boxershorts bis zu seinen gewaltigen Brüsten hochgezogen. Ich fand das unerträglich.“

„Und mit dem Anwalt aus Concord?“

„Er hat geschielt, ich schwöre es.“

„Cary“, erklärte Jeremy ernst, „niemand wird wie Richard sein. Dieser Anwalt hat nicht geschielt.“

Sie hielt den Atem an, blickte ihm in die Augen und sah darin seine Sorge und seine Liebe. Langsam stieß sie die Luft wieder aus. „Ich weiß, dass niemand wie Richard sein wird, Jeremy, ehrlich. Doch er … er müsste sich an Richard messen lassen können, verstehst du?“

Er wollte schon nicken, weil er wohl bemerkte, dass sie den Tränen sehr nahe war. Dann aber schüttelte er heftig den Kopf. „Mrs. Adams, dein Junge war das ganze Jahr über sehr brav, und ich finde …“

„Ich finde, dass du mir eine Menge Ärger aufgehalst hast!“, unterbrach Cary ihn.

„Ich?“, fragte Jeremy gespielt betroffen. „Ich war ein absoluter Engel!“

„Jeremy, du warst noch nie ein Engel, aber das meine ich jetzt nicht.“

„Ach?“, murmelte er verletzt.

„Du hast ihm einen Vater versprochen!“

„Hey, ich habe dir immerhin einige Monate Zeit verschafft.“

„Danke. Das war wirklich großzügig von dir!“

„Ich tue mein Möglichstes, um andere zufriedenzustellen.“

„Und darüber hinaus hast du Danny ein Geschenk versprochen, das ich mir unmöglich leisten kann!“

„Was?“ Für einen Moment war Jeremy ehrlich verwirrt. „Ich dachte, die Computerpreise wären gepurzelt.“

„Stimmt, aber nicht für die Anlage, die Danny möchte. Die kostet Tausende, Jeremy.“

„Ich kann dir helfen.“

„Den Teufel wirst du tun! Ich nehme von der Familie keine Wohltaten an, und du weißt das.“

„Hey! Ich habe absolut das Recht, meinem kleinen Cousin ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen.“

„Sicher. Falls ich mir jemals diese Anlage leisten kann, darfst du ihm gern ein Spiel oder Software kaufen.“

„Dickköpfig, störrisch und starrsinnig“, erklärte Jeremy. Dann leuchteten seine Augen auf. „Vielleicht bekommen wir einen Weihnachtsbonus.“

„Einen so hohen?“

„Vielleicht. Immerhin“, neckte er sie, und seine Stimme nahm wieder einen munteren Klang an, „warst du selbst auch ein braves Mädchen, für meinen Geschmack allerdings ätzend langweilig. Also werde ich dich mit Weihnachtsstaub bestreuen. Und der Nächste, den du siehst, wird der Mann deiner Träume sein. Reich wie Midas, besser gebaut als ein Mercedes, zärtlich, sanft und freundlich. Groß, dunkel und attraktiv. Dannys Weihnachtsgeschenk – und deines. Und der Weihnachtsstaub wird dich dazu bringen, mit diesem Traummann loszuziehen und dich ganz schlimm zu benehmen. Wie klingt das?“

Sie lachte. „Der nächste Mann, den ich sehe, wird wahrscheinlich der alte Pete aus dem Postzimmer sein, der mit den zehn Kindern und den achtzehn Millionen Enkelkindern. Doch was soll’s, mach voran! Bestreue mich schon! Vielleicht finde ich dann endlich einen passenden Begleiter für die Weihnachtsparty der Erwachsenen. Was denkst du?“

„Ich denke, dass deine Zeit um ist“, erklärte Jeremy. „Wenn die einzige Erwachsene, die ich den ganzen Tag über auf meinen Schoß bekomme, nicht um ein einziges lausiges, dekadentes Geschenk bitten kann, dann kannst du genauso gut wieder aufstehen!“

Lachend raffte sich Cary hoch. „Ich sage dir, der Weihnachtsmann ist auch nicht mehr, was er einmal war“, versicherte sie in gespieltem Entsetzen. Sie wollte zum Ausgang, stockte jedoch, als sie plötzlich bemerkte, dass jemand den Spalt des roten Vorhangs versperrte.

Der Mann war groß. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, weil die hellen Lichterketten sie blendeten. Sie sah nur, dass es eine hohe, imposante Gestalt war, die den Ausgang völlig blockierte. Eine dunkle Gestalt, geradezu unheimlich.

Einen Moment lang flatterte ihr Herz, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb. Dennoch verspürte sie aber ein deutliches Unbehagen.

Wie albern, sagte sie sich. Sie wusste nicht, wieso sie diese Männergestalt in dem dunklen Smoking so erschreckte.

Cary tat einen Schritt vorwärts und erkannte den Mann. Allein schon der Größe nach hätte sie sofort wissen müssen, wer er war.

Es war niemand anderer als der Gastgeber höchstpersönlich. Ihr Boss, der erhabene Mr. Jason McCready!

Gerüchte besagten, dass zahlreiche Frauen bei „Elegance“ seinetwegen dummerweise ihr Herz und ihren Stolz verloren hatten. McCready war jedoch nicht interessiert. Er war nie mit einer seiner Angestellten ausgegangen, und wenn er zu gesellschaftlichen Anlässen mit Frauen auftreten musste, dann tat er das nie zweimal mit derselben. Dennoch wusste Cary, dass sogar June ihn unwiderstehlich fand!

Das kommt eindeutig daher, dass June sich niemals in sein Büro gewagt hat, um ihm eine Story vorzuschlagen, dachte sie.

Cary trat einen Schritt vorwärts und ärgerte sich über sich selbst. Dann blieb sie wieder stehen, weil er sie so ansah. Erneut kam es ihr vor, als würden diese grünen Augen sie mit Blicken förmlich durchbohren. Sein Duft hüllte sie ein, dezent, aber sehr männlich und … ansprechend, das musste sie einräumen. Der Mann war beeindruckend, wie er da stand. So groß, so dunkel, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Bestimmt waren die Muskeln auf seiner Brust stark ausgebildet. Behaart oder glatt? Ganz sicher behaart. Dunkle Locken, die einen Wirbel bildeten und dann in einer Linie von seiner Brust zu seinem …

Betroffen hob sie ruckartig den Kopf und blickte ihm in die Augen. Er wich zurück und hob für sie den Vorhang an.

„Mrs. Adams?“

Cary knirschte mit den Zähnen und schob sich vorwärts. Irgendwann im Verlauf des Tages hatte sie zu ihm gehen und sich für die Party bedanken wollen. Jetzt jedoch brachte sie nicht einmal ein einfaches „Danke“ zustande. Sie konnte überhaupt nicht sprechen.

„Mrs. Adams!“

Sie blickte wieder hoch und stellte fest, dass sie ihm sehr nahe gekommen war. Nahe genug, um die Stoffstruktur seines Smokings und die feinen Falten seines schneeweißen Hemds betrachten zu können sowie seinen sinnlich vollen Mund.

„Ja?“, brachte sie hervor.

„Ich hatte den Schoß des Weihnachtsmannes eigentlich für diejenigen Kinder unter uns vorgesehen, die – sagen wir – unter fünfzehn sind.“

Wie lange stand er schon da? Wie konnte sie es erklären?

Sie wusste nicht, ob er wirklich ärgerlich war oder sie nur neckte. Noch immer hatte sie ihre gewohnte Schlagfertigkeit nicht wiedergefunden. Sie konnte ihren Blick nicht von ihm wenden.

„Mr. McCready, ich …“

Er lächelte, was ihn noch attraktiver und auch jünger aussehen ließ. Er wirkte nicht ganz so unnahbar wie sonst. Die Stimme versagte ihr, während er sie von Kopf bis Fuß musterte.

„Ich möchte nicht, dass Sie bis siebzehn Uhr Ihren Schreibtisch räumen, Mrs. Adams“, sagte er leise. „Ich finde Ihre Arbeit noch immer außergewöhnlich gut.“

„Danke“, schaffte sie gerade noch zu sagen. Er betrachtete sie unverändert. Sie konnte nicht lächeln, sie konnte nicht sprechen. Er erwartete es auch nicht von ihr. Er sah sie einfach nur an.

Endlich wandte sie sich ab, floh die Stufen hinunter und eilte auf June zu. Als sie die unterste Stufe erreicht hatte, wartete dort ein kleines Mädchen darauf, dass Cary sich entfernte, damit es seinerseits hinauflaufen konnte.

Das Mädchen stand höflich da und lächelte. Die Kleine musste sechs oder sieben Jahre alt sein und hatte hellblondes Haar, das zu zwei Zöpfchen mit roten Bändern geflochten war. Sie sah wie ein Engel aus, zart und süß und mit einem beeindruckenden, wehmütigen Lächeln, das sofort Carys Herz berührte.

„Ist der Weihnachtsmann jetzt frei?“, fragte sie Cary.

Cary hörte Junes Lachen und wurde rot. Dann erwiderte sie das Lächeln des Mädchens. „Ja, ich glaube, der Weihnachtsmann ist jetzt frei. Allerdings steht auf der anderen Seite eine lange Schlange. Ich weiß nicht …“

„Oh!“, rief das Mädchen betroffen aus. „Wissen Sie, ich muss gleich nach Hause, und mein Vater hat gemeint, ich könnte hier reinschlüpfen. Doch es wäre unhöflich, jemandem den Platz wegzunehmen.“

„Angela, es ist wirklich in Ordnung. Wir machen ja ganz schnell, und die anderen Kinder werden es verstehen“, ertönte eine tiefe Männerstimme hinter Cary.

Betroffen drehte sie sich um. Wieder McCready! Dieses süße, zarte, kleine Mädchen konnte doch unmöglich seine Tochter sein …

Sie war es tatsächlich. Cary starrte von McCready zu dem Kind mit den großen Augen. „Entschuldige“, murmelte Cary. „Schatz, der Weihnachtsmann wird sich bestimmt über dich freuen, und sicher stört sich niemand daran, dass du jetzt an die Reihe kommst.“

Angela lächelte wieder. „Danke.“ Sie lief die Stufen hinauf und drehte sich noch einmal um. „Es war schön, Sie kennenzulernen, Miss …“

„Mrs. Adams“, erwiderte Cary. Und wieder huschte ein Lächeln über die Lippen des kleinen Mädchens.

„Mrs. Adams!“, rief Angela McCready erfreut. Cary sah sie fragend an, und hastig fuhr das Kind fort: „Sie müssen Dannys Mutter sein.“

Cary nickte und war noch immer verwirrt.

Angela erklärte es ihr: „Wir haben während der Zaubervorstellung nebeneinander gesessen. Und er hat mir auch einen Trick beigebracht. Danny ist ganz toll!“

„Ja, das finde ich auch“, stimmte Cary zu.

„Hoffentlich sehe ich ihn – und Sie – wieder“, sagte Angela.

Auf ihrem Gesicht zeigte sich so viel Hoffnung, dass Cary sie nicht enttäuschen konnte. „Wir werden uns bestimmt wiedersehen“, versicherte sie.

McCready richtete seine Augen scharf und unergründlich auf sie. Cary wurde ganz warm ums Herz. Doch dann verschwand er mit seiner Tochter in der Hütte des Weihnachtsmanns, und Cary wandte sich ab.

Alles hatte sich in kürzester Zeit abgespielt. Sie war mit McCready zusammengetroffen, hatte seine Tochter kennengelernt und auf Jeremys Schoß gesessen …

Der Weihnachtsstaub! Jetzt wusste Cary, was sie von Jeremys Prophezeiungen zu halten hatte!

„Danny sieht dem Puppenspieler zu. Ich habe es ihm erlaubt“, erklärte June. „Holen wir uns ein Glas von diesem herrlichen Champagner. Sonst bekommen wir viel zu selten solch gutes Zeug.“

„Klingt wunderbar“, stimmte sie zu. Ihre Kehle war völlig ausgetrocknet. Cary konnte sich nicht erinnern, sich jemals dermaßen ausgedörrt gefühlt zu haben. Abgesehen von dem einen Mal, als sie sich mit Notizbuch und großen Erwartungen in Jason McCreadys Büro gewagt hatte.

Sie gingen an den Tisch mit dem Champagner, wo sie von einem höflichen Barkeeper bedient wurden. Cary prostete June zu, hob dann das Glas an ihre Lippen und nahm einen Schluck.

Der nächste Mann, den du siehst, ist für dich bestimmt, hatte Jeremy ihr gesagt. Sie wollte aber keinen Mann zu Weihnachten. Manchmal fragte sie sich, ob sie überhaupt jemals wieder in ihrem Leben einen Mann wollte.

Aber dann wiederum …

Manchmal war Cary einsam und verängstigt und wütend auf Richard, weil er sie verlassen hatte. Oft litt sie, weil er ihr beigebracht hatte, dass Liebe so unglaublich süß sein konnte. Er war gegangen und hatte ihr nichts weiter zurückgelassen als ein Leben voller Schmerz, Trostlosigkeit und Leere. Sie hatte versucht, sich mit anderen Männern zu treffen, hatte sich aber immer schnell zurückgezogen. Weil …

Weil nie ein Mann sie so berührt hatte. Bei keinem hatte ein Kuss so natürlich und selbstverständlich gewirkt. Keiner hatte es jemals geschafft, dass sie Richard vergessen konnte …

„Cary, weilst du noch unter uns?“

„Wie? Oh, tut mir leid.“ Sie erkannte, dass sie June völlig vergessen hatte. Wieder prosteten sie sich mit dem Champagner zu. Dies hier war eine Party. Und Cary amüsierte sich gut. Nun ja, beinahe …

Sie lächelte. Jeremy, der Weihnachtsmann, und seine Prophezeiungen!

Der erste Mann, den Cary gesehen hatte, war absolut nicht der alte Pete aus dem Postzimmer gewesen.

Plötzlich verschluckte sie sich an ihrem Champagner.

Nein, noch viel schlimmer!

Sie hatte Jason McCready gesehen!

Groß, dunkel und attraktiv. Und reich. Genau, wie June sich einen Mann für ihre Freundin vorstellte …

Cary trank schnell ihr Glas leer.

Nein, nein, nein …

So viel zu Weihnachtsstaub und Wundern!

2. KAPITEL

Als Jason McCready heimfuhr, hatte er dröhnende Kopfschmerzen, die immer schlimmer wurden.

Er wusste, dass Angela enttäuscht war, weil er die Party so zeitig verließ, aber er wollte wirklich nach Hause.

Die Party war stets Saras Anliegen gewesen.

Oh ja, er hatte immer eine Weihnachtsparty abgehalten. Und er hatte sich auch sehr bemüht, für seine Angestellten alles richtig zu machen. Er war nicht mit Geld geboren worden, und er hatte das Magazin auch nicht geerbt. Er hatte es aufgebaut. Er wusste, wie es war, hart zu arbeiten. Und darüber hinaus wusste er, wie es war zu träumen.

Und einmal hatte sogar Jason gewusst, wie es war, wenn man etwas Wunderbares festhalten konnte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er alles gehabt hatte.

Er hatte Sara gehabt.

Sara hatte Weihnachten geliebt, den Winter, den Schnee und die saubere, kalte Luft. Sie hatte die hellen Lichter und den Weihnachtsschmuck gemocht, all die Santa-Claus-Figuren in den Läden und an den Straßenecken und die Weihnachtssendungen im Fernsehen. Allein mit ihr vor einem flackernden Kaminfeuer zu sitzen hatte ihm mehr als alles andere auf der Welt bedeutet. Er hatte wirklich und wahrhaftig alles gehabt.

Das war vor jenem Dezemberabend gewesen, an dem ein Betrunkener mit seinem Auto so heftig Saras silbergrauen Sportwagen gerammt hatte, dass sie auf der Stelle starb. Das einzige Wunder war gewesen, dass sie kurz zuvor Angela bei einer Weihnachtsparty abgesetzt hatte. So blieb Jason wenigstens seine kleine Tochter, als ihm seine Frau genommen wurde.

Doch er hatte es zugelassen, dass sich andere um Angela gekümmert hatten. Jetzt erkannte er, dass er ihr in seiner Trauer beide Elternteile genommen hatte anstatt nur einen. Es hatte Monate gedauert, bis er sich so weit aufraffen konnte, um für sein Kind selbst zu sorgen. Und jetzt bemühte er sich sehr, es an Angela wiedergutzumachen.

„Darf er, Dad?“

„Wie? Entschuldige, Schatz, ich habe nicht zugehört“, sagte Jason. Der Verkehr war heute Abend schlimm. Frischer Schnee hatte die Straßen rutschig gemacht.

„Danny. Danny Adams. Darf er mit uns zum Skifahren?“

„Wie?“

„Ich habe gesagt …“

„Nein, nein, tut mir leid, ich habe gehört, was du gesagt hast. Ich …“

„Er war so nett, Dad. Er … er hat mich zum Lachen gebracht. Und er hat es verstanden, als ich …“

Angela unterbrach sich.

„Was hat er verstanden?“, fragte Jason neugierig und bremste rasch vor einer roten Ampel. In einem Geschäft an der Straßenecke glitzerten bunte Lichterketten, und wieder wurde er daran erinnert, dass bald Weihnachten war. Er fragte sich, wieso er seinen Verlust gerade zu dieser Zeit besonders schmerzvoll spürte. Eigentlich waren es doch Tage des Friedens und des Glaubens.

„Nichts“, wich Angela aus. „Er ist einfach … toll. Können wir ihn nicht einladen? Bitte!“

„Schatz, seine Mutter ist eine meiner Angestellten. Ich weiß nicht, ob ich sie damit belästigen sollte.“ Seine Mutter war nicht nur einfach eine Angestellte. Sie war Mrs. Cary Adams. Da Jason sie nun schon eine Zeit lang beobachtete, konnte er fast garantieren, dass sie seinen Vorschlag ablehnen würde.

Angela sah es offenbar nicht so. „Dannys Mutter war sehr nett, und ich glaube nicht, dass sie es doof findet“, behauptete sie starrsinnig.

Warum sollte er nicht für Angela einen Freund einladen? Schlechtes Gewissen quälte Jason. Er hatte nicht daran gedacht, wie einsam sie sich gelegentlich fühlen musste. Sie gab natürlich im Haus den Ton an, aber es stimmte, dass sie keine richtigen Freunde hatte.

Abgesehen von diesem Danny. Sie schien verrückt nach ihm zu sein.

Jason musste zugeben, dass er ein ganz besonderes Kind war. Das lag an seinem Lächeln. Es war nett, offen und strahlend. Obwohl er selbst harte Schicksalsschläge hatte einstecken müssen, hatte er sie mit diesem großartigen Lächeln überstanden. Jason wusste über Dannys Leben Bescheid, weil er sich intensiv mit der Personalakte seiner Mutter beschäftigt hatte. Er hatte das schon an dem Tag getan, an dem sie in sein Büro gekommen und hoch erhobenen Hauptes wieder hinausgegangen war.

Diesen Tag würde er nie vergessen. Genauso wenig, wie er sie selbst hatte vergessen können.

Ihre Figur war sehr zierlich. Cary besaß eine weiche, sanfte, melodische Stimme, in der jedoch eine gewisse stählerne Härte mitschwang. Wenn er darüber nachdachte, musste er zugeben, dass sie eine schöne Frau war mit ihrem dunklen Haar, den haselnussbraunen Augen und den dichten Wimpern. Diese sanften Augen konnten aber auch aufblitzen, wenn sie empört oder wütend war.

Jason lächelte. Sie war nicht auffällig, sondern auf nette und stille Art attraktiv. Keckheit oder ein herausgeputztes Äußeres erweckten zwar für kurze Zeit Aufmerksamkeit, Cary Adams sah man eher auf den zweiten Blick. Doch dann wollte man nicht mehr wegsehen!

Nicht ihr Aussehen hatte sein Interesse geweckt. Er lebte in einer Welt, in der die meisten Frauen schön und weltgewandt waren. Es war ihre Entschlossenheit, mit der sie zu ihm gekommen war, ihre stolze Haltung, nachdem er sie abgewiesen hatte.

Und dann lag es daran, wie sie ihn mit ihren glänzenden Augen angesehen hatte, als sie ihm direkt ins Gesicht sagte, er wäre nicht der Einzige, der jemanden verloren hatte.

Jason hatte sich damals auf einem schlimmen, eingefahrenen Gleis befunden, in einem Teufelskreis aus Selbstmitleid. Cary hatte nicht die Last der Welt von seinen Schultern genommen, aber ihr Ärger hatte etwas bewirkt. Seit jenem Tag war das Leben ein wenig heller geworden. Er hatte dafür gesorgt, dass es besser wurde. Sie hatte ihn zu der Einsicht gebracht, dass nur er selbst es ändern konnte.

Und deshalb wusste er auch über sie Bescheid. Schon fünf Minuten nach ihrem Besuch lag ihre Personalakte auf seinem Schreibtisch. Daraus hatte Jason erfahren, dass Richard Adams in ein brennendes Gebäude gelaufen war, weil er drinnen ein Kind schreien hörte, und nicht wieder herausgekommen war.

„Daddy?“

Er seufzte. Die schöne Mrs. Adams mochte ihm Vorwürfe an den Kopf geworfen haben, aber sie hatte auch etliche eigene Fehler. Unter anderem besaß sie die Abwehrbereitschaft eines Stachelschweins. Ganz bestimmt würde sie seinen Vorschlag ablehnen.

„Ich werde es versuchen, Angela.“

„Danke, Daddy!“ Sie schlang von hinten einen Arm um ihn und gab ihm einen Kuss.

„Vorsicht, ich muss fahren!“, warnte er.

„Tut mir leid, Daddy.“

Er fing ihren Blick im Rückspiegel auf. Sie lächelte, ja, sie strahlte geradezu!

Noch nie hatte er sie so glücklich und aufgeregt gesehen.

Jason biss die Zähne zusammen. Irgendwie musste er Mrs. Adams dazu bringen, Danny mit ihnen reisen zu lassen.

Selbst ein Stachelschwein musste irgendwo in seinem Abwehrsystem einen wunden Punkt haben!

Schon am nächsten Montag wurde Cary in McCreadys Büro zitiert.

Sie hatte gerade Fotos für eine Spezialnummer zum Valentinstag durchgesehen, als sie fühlte, dass jemand sie beobachtete. Sie blickte hoch und stellte überrascht fest, dass June sie mit einer Mischung aus Erregung und Sorge betrachtete.

„Was ist los?“

„McCreadys Büro“, antwortete June nervös.

„Was ist damit?“

„Dein Typ wird verlangt. Du sollst zu ihm kommen.“

Carys Herz zog sich zusammen. Wurde sie doch gefeuert? Vielleicht hatte es ihn wirklich geärgert, dass sie auf Jeremys Schoß gesessen hatte.

„Jetzt?“, murmelte sie. Natürlich jetzt! Sie stand auf und sah June an. Fühlten sich so Menschen, wenn sie zum Galgen schritten?

Nein, nein, das war nicht so schlimm, selbst wenn er sie hinauswarf! Sie war talentiert und konnte bestimmt einen neuen Job finden …

Ausgerechnet einen Monat vor dem Fest! Danny würde nie seinen Computer bekommen! Der Boss konnte sie nicht entlassen! Nicht so kurz vor Weihnachten!

Doch trotz seiner wundervollen Partys besaß McCready keinen Sinn für dieses Fest. All seine Gefühle waren zusammen mit seiner schönen Frau begraben worden.

„Ich bin hier, wenn du mich brauchst“, versicherte June leise.

„Es geht mir gut“, murmelte Cary, während sie den Kopf hob, die Schultern straffte und von ihrem Büro aus zu den Aufzügen ging. Als sie den Knopf für das Penthouse drückte, stellte sie fest, dass ihre Finger bebten. Cary verschränkte sie rasch ineinander.

Sie verließ den Aufzug und stand vor Billy Jean Clanahan, McCreadys attraktiver, eleganter Sekretärin. Cary erwartete Mitleid in Billy Jeans Blick, fand jedoch keines. Stattdessen wurde sie mit einem breiten Lächeln begrüßt. „Oh, gut, dass Sie schon hier sind!“ Verschwörerisch senkte Billy Jean die Stimme. „Er ist bereits so ungeduldig, dass ich dachte, er würde nach unten laufen und sich in Ihrem Büro auf Sie stürzen! Gehen Sie bloß rasch hinein!“

Cary hatte keine andere Wahl, weil Billy Jean sie zur Tür schob.

Als Cary eintrat, hielt McCready den Kopf über einige Papiere gesenkt, hob ihn jedoch sofort. Seine unergründlichen grünen Augen richteten sich voll auf sie, als er aufstand, um den Schreibtisch herumging und ihr die Hand reichte. „Mrs. Adams! Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind.“

Sie nahm gar nicht bewusst wahr, dass sie ihm ihrerseits die Hand reichte. Als sich aber seine Finger um ihre legten, fühlte sie elektrisierende Spannung und unglaubliche Kraft. Und eine unbeschreibliche Wärme.

Hastig zog sie ihre Hand zurück.

„Bitte, Mrs. Adams, setzen Sie sich.“ Er rückte ihr einen der Sessel zurecht, und sie setzte sich, während er vor ihr stehen blieb. Wie immer war sein Äußeres makellos. Trotzdem wirkte er völlig natürlich. Und er hatte wieder dieses angenehm dezent duftende Aftershave benutzt.

Ein warmer Schauer lief über Carys Rücken. Sie umspannte die Armlehnen ihres Sessels und hielt den Atem an. Am liebsten wäre sie aufgesprungen. McCready lehnte sich gegen die Ecke seines Schreibtisches und verschränkte die Arme über der Brust.

„Ich muss Sie um einen Gefallen bitten“, erklärte er.

Sie wurde also nicht entlassen! Niemand entließ eine Angestellte auf diese Art.

Langsam und unendlich erleichtert stieß Cary die Luft wieder aus. Er betrachtete sie neugierig, und sie bemühte sich um eine selbstsichere Haltung. „Einen Gefallen?“

„Ja, und ich möchte gleich von Anfang an betonen, Mrs. Adams, dass Ihre Zustimmung oder Ablehnung überhaupt keine Auswirkung auf Ihre Position hier bei uns haben wird.“ Erneut lächelte er.

Sie fühlte, wie sie errötete, setzte sich aufrecht hin und senkte ihren Blick trotz ihrer inneren Entschlossenheit. „Ich habe nicht angenommen …“

„Doch, Sie haben angenommen“, erwiderte er. Als er unerwartet auflachte, schaute sie betroffen hoch. Doch es lag Humor in seinen Augen, nicht Spott. „Sie dachten, ich wollte Sie entlassen, weil Sie auf dem Schoß des Weihnachtsmanns gesessen und den Kindern die Zeit gestohlen haben. Sie sollten sich schämen, Mrs. Adams.“

„Mr. McCready!“ Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt und wollte aufstehen. Er aber legte die Hände beruhigend auf ihre Schultern. Sein Lachen war überraschend warmherzig und angenehm, als er sie wieder in ihren Stuhl drückte. „Soviel ich weiß, sind Sie und Jeremy verwandt, richtig?“

Cary befeuchtete ihre trockenen Lippen. „Ja, aber wenn Sie …“

„Mrs. Adams.“ Er ging hinter seinen Schreibtisch. „Erinnern Sie sich an Ihren letzten Besuch in diesem Büro?“

Natürlich erinnerte sie sich. Das würde sie nie vergessen. Es überraschte sie allerdings, dass er noch daran dachte.

„Ja, Mr. McCready, das tue ich“, erwiderte sie würdevoll.

Er schmunzelte. „Nun, Sie haben mir gegenüber eine ziemlich persönliche Bemerkung gemacht. Sie sagten, ich wäre nicht der einzige Mensch, der jemanden verloren hat.“

Cary hatte plötzlich das Gefühl zu ersticken. Mehr als alles andere wünschte sie sich, einfach aus seinem Büro verschwinden zu können.

„Sehen Sie“, setzte sie an und stand auf. „Es tut mir leid. Ich hatte wirklich nicht das Recht …“

Er trat erneut vor sie hin. „Aber Sie haben sich dieses Recht genommen! Mrs. Adams, möchten Sie bitte wieder Platz nehmen?“ Diesmal hatte sie keine Chance, noch einmal aufzustehen. Er saß lässig vor ihr auf der Schreibtischkante und ließ seine Hände auf ihren Schultern liegen.

Sie betrachtete ihn, und es machte sie verlegen, dass sie von einer Wärme umhüllt wurde, als wäre die Sonne aufgegangen. Sie erinnerte sich nicht daran, jemals dermaßen stark auf einen Mann reagiert zu haben. Und sie konnte sehr wenig dagegen tun. Er war ihr so nahe, dass sie beinahe den Stoff seines Anzugs fühlen konnte. Vor allem aber spürte sie die Elektrizität, die von ihm ausstrahlte, die gezügelte, aber dennoch mächtige Energie.

„Mr. McCready …“

„Sie fanden es richtig, über mein Privatleben zu sprechen. Nun finde ich, dass ich das Recht habe, eine Bemerkung über das Ihre zu machen. Sie sind empfindlich, Mrs. Adams. Sehr, sehr empfindlich. Ich habe nie jemanden getroffen, der so schnell in die Defensive geht. Wollen Sie sich bitte entspannen! Ihre Arbeit ist sehr gut, und ich bewundere Sie als Redakteurin.“

Benommen starrte sie ihm in die Augen. „Dann …“

„Ich möchte mir Ihren Sohn ausleihen.“

„Meinen Sohn?“

„Nur für eine Woche. Und Sie haben selbstverständlich das Recht, Nein zu sagen, wie ich schon vorhin erklärte. Ich würde mich jedoch um ihn kümmern, als wäre er mein eigenes Kind.“

„Wovon sprechen Sie?“, fragte Cary verwirrt.

„Ich trete nächste Woche einen Skiurlaub an. Halb Geschäft, halb Vergnügen. Angela kommt mit mir. Auf der Weihnachtsparty war sie von Danny begeistert.“

„Oh!“, murmelte Cary. Dies hier hatte nichts mit ihrem Job zu tun! Überhaupt nichts.

Zum ersten Mal sah McCready besorgt aus. Nie zuvor hatte sie auch nur andeutungsweise diesen Ausdruck in seinen Augen gefunden.

Auch wenn seine Frau nicht mehr lebte, gab es doch noch etwas, das ihm viel bedeutete: Angela.

Cary war betroffen. „Es tut mir wirklich leid …“

„Es wäre für Danny ein wunderbares Erlebnis. Wie ich schon sagte, ich würde die ganze Zeit für seine Sicherheit sorgen. Mrs. Adams, mir ist klar, dass Sie mich nicht besonders mögen, aber Angela war nicht mehr so begeistert, seit … nun, seit ihre Mutter starb. Auf jeden Fall ist es schon lange her. Wenn Sie mir gegenüber Bitterkeit empfinden, beschwöre ich Sie, trotzdem an die Kinder zu denken.“

Cary schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Es ist nichts dergleichen. Es ist nur … Danny ist Diabetiker. Er kann selbst sehr gut mit seinen Insulinspritzen umgehen, aber er ist noch ein kleiner Junge. Und wenn er nicht zu Hause ist und durch Spielen abgelenkt wird, könnte er die Spritzen vergessen. Wirklich, Mr. McCready, ich sähe es gern, wenn er mit Angela zusammen wäre. Sie ist ein liebes Kind. Wäre Danny nicht krank, würde ich ihn reisen lassen, glauben Sie mir.“

Erst jetzt stellte sie fest, dass sie ihn berührte. Während sie sprach, hatte sie ihre Hand auf seine gelegt, um ihre Aufrichtigkeit zu betonen.

Ruckartig zog sie ihre Hand weg und wandte den Blick ab. „Es tut mir leid.“

McCready ging um sie herum hinter seinen Schreibtisch, setzte sich und klopfte mit einem Bleistift auf die Schreibunterlage. „Wenn das der wahre Grund ist, gibt es überhaupt kein Problem.“

„Wie bitte?“

„Sie kommen eben auch mit.“

„Oh! Ich … kann nicht. Ich kann wirklich nicht.“

„Warum nicht?“

„Nun, ich habe hier Arbeit …“

„Sie können dort in New Hampshire arbeiten.“

„Aber ich brauche vielleicht etwas, das hier ist.“

„Das kann mit Eilboten geschickt oder gefaxt werden.“

Es war so einfach für Jason McCready. Alles hatte stets zu seiner Verfügung zu stehen. Nun, sie nicht!

„Es tut mir leid.“

„Aha“, murmelte er. „Nun, wenn Sie eine Beziehung zu jemandem haben …“

„Nein, nein, nichts dergleichen!“, protestierte sie und wurde auf sich selbst wütend, weil sie diesem Mann gegenüber soeben zugegeben hatte, dass es niemanden gab. Cary stand auf. „Das Leben ist nicht so einfach!“, rief sie. „Sie leben doch gar nicht in der Realität! Niemand kann bloß mit den Fingern schnippen und immer alles bekommen, was er haben will!“

Ein bedauerndes Lächeln erschien langsam auf seinen Lippen. „Ich lebe schon in der wirklichen Welt, Mrs. Adams. Ich habe einst geschworen, alles dafür zu geben, wenn Sara nur noch ein einziges Mal atmen oder sprechen könnte. Es sollte nicht sein. Ich bin mir sehr bewusst, dass die Welt sich nicht immer nach meinen Wünschen richtet.“

Er lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück. „Es gibt zwei Gründe, aus denen ich die Trümmer eingesammelt und weitergemacht habe, Mrs. Adams. Dieses Unternehmen ist der eine. Fast hundert Menschen hängen davon ab. Und zweitens habe ich es für meine Tochter getan. Ich verlange doch nichts Schreckliches. Ich lade Sie und Ihren Sohn zu einer Woche Skiurlaub ein, und vielleicht können Sie zulassen, dass Sie beide ihn genießen!“

Cary wusste nicht, was sie eigentlich so störte. Sie sprang auf. „Es tut mir leid!“ Damit wirbelte sie herum und eilte so schnell sie konnte aus dem Büro.

June wartete schon neugierig, aber Cary konnte jetzt nicht mit ihr sprechen. Kopfschüttelnd lief sie an ihrer Freundin vorbei und warf ihr einen Blick zu, der versprach, dass sie später alles erklären würde.

„Bist du entlassen worden?“, rief June ihr nach.

„Nein!“, rief Cary zurück, schloss die Tür ihres Büros, lehnte sich dagegen und betrachtete ihre Hände. Sie zitterten.

Was war denn so falsch an der Idee? Jason McCready hatte sie und Danny zu einem netten Urlaub eingeladen. Sie sollte dankbar sein und mitfahren. Skilaufen in New Hampshire. Das wäre schön. Schneebedeckte Berge und weihnachtlich geschmückte Häuser!

Sie schloss die Augen. Sie wusste, warum sie Nein gesagt hatte. Sie wollte nicht in einem schön geschmückten Skihotel sein. Nicht mit Jason McCready.

Weil sie ihn viel zu interessant fand. Sie hatte ihn lieber gemocht, als er kalt und unnahbar gewesen war. Sie wollte einfach keinen tieferen Einblick in seine Persönlichkeit gewinnen.

Sie wurde sich seiner nämlich immer deutlicher bewusst … als Mann!

Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Sie ging hin und nahm ab.

„Cary Adams.“

„Bitte!“

Die Stimme klang leise, tief und sehr männlich. Und Cary stellte betroffen fest, dass sie lächelte.

„Es ist einfach nicht möglich. Bestimmt ist der Ort um diese Jahreszeit sehr überlaufen. Ich könnte keine geeignete Unterkunft finden …“

„Doch, Sie könnten.“

„Es kann nicht so einfach sein …“

„Doch, es kann.“

„Aber …“

„Mrs. Adams“, unterbrach er sie indigniert, „mir gehört das ganze Hotel.“

„Oh“, erwiderte Cary leise.

„Also?“

„Ich …“ Sie zögerte erneut. Alles sprach dafür, dass sie mitfuhr. Danny würde begeistert sein. Und sie würde Angela McCready eine Freude machen, diesem reizenden kleinen Mädchen. Es gab überhaupt keinen Grund, aus dem Cary nicht mitfahren sollte.

Aus Carys Sicht gab es einen. McCready.

Er hat doch keinerlei Annäherungsversuche unternommen, erinnerte sie sich nüchtern. Er hatte überhaupt keine Anstalten gemacht.

Dennoch war da etwas zwischen ihnen …

„Mrs. Adams?“

„Also schön, ja gut, wir fahren mit!“

„Ich hole Sie am Sonntagmorgen um neun bei Ihnen zu Hause ab. Einverstanden?“

Ihre Handflächen waren feucht. „Ja.“ Am Sonntagmorgen.

Was hatte sie bloß getan?

Der Sonntagmorgen kam, und Cary wartete nervös darauf, dass es endlich neun Uhr wurde. Wie reiste Jason McCready? Würde er sie mit einem ganzen Gefolge abholen? Was für einen Luxusschlitten er wohl fuhr? Einen Mercedes? Nein, sicher besaß er einen Rolls-Royce.

„Geht es dir gut, Mom?“

Unruhig blickte sie aus dem Fenster ihres Apartments. Der glückliche Danny! Er fand es ganz natürlich, dass ihr Boss sie beide zu einem Skiurlaub einlud. Oh, diese kindliche Unschuld!

Andererseits war sie die Einzige, die daran irgendetwas falsch gefunden hatte. June war in Ekstase geraten. „Er mag dich, Kleine, er mag dich wirklich!“ Und dann hatte sie mitten in Carys Büro laut und deutlich gesagt: „Hmm! Er ist eindeutig groß, dunkel und attraktiv!“

„Und ein Einsiedler. Und er ist in seine verstorbene Frau verliebt“, hatte Cary tonlos geantwortet.

„Also, höre man sich das an! Du bist in deinen verstorbenen Ehemann verliebt, er ist in seine verstorbene Ehefrau verliebt. Was für ein Paar!“

„Wir sind überhaupt kein Paar! Bestimmt wartet da oben in den Bergen ein fesches Skihaserl auf ihn. Ich fahre nur mit als … als …“

„Als Kindermädchen?“, warf June amüsiert ein.

„Richtig, als Kindermädchen“, stimmte Cary zu und zog ihr eine Grimasse.

„Nun ja, wir hatten einen großen, dunklen und attraktiven Mann zu Weihnachten bestellt, und reich ist er auch.“

„Wir haben keinen bestellt. Du hast das getan“, erinnerte Cary ihre Freundin.

„Das ist richtig. Nach Jeremys Aussage brauchen wir für dich nur jemanden zu finden, der seine Boxershorts nicht bis zu seiner Brust hochzieht.“

„Würdest du bitte von hier verschwinden?“ Cary stöhnte.

„Hmm.“ June betrachtete sie spöttisch, und Cary warf sie so nett wie möglich aus ihrem Büro.

Doch jetzt, da sich der Zeitpunkt näherte, war Cary nervös. Sie mochte Dannys wegen eingeladen worden sein, aber Jason McCready hatte kein Wort davon gesagt, dass sie mitkam, um Kindermädchen zu spielen.

Andererseits gehörte sie auch nicht zu seinen richtigen Gästen. Was also war sie? Und warum war ihr das so wichtig?

Sie lehnte die Stirn gegen die Fensterscheibe und fühlte die beißende Kälte des Glases. Carys Magen war vor Aufregung verkrampft.

Zu empfindlich. Und zu schnell in Verteidigungsstellung. Sie musste sich entspannen. Nun ja, sie wollte es versuchen.

Plötzlich, während sie noch aus dem Fenster starrte, hielt ein Jeep am Straßenrand. Sie riss die Augen weit auf, als Jason McCready ausstieg.

Er trug Bluejeans, eine Lederjacke und trotz der Kälte keine Kopfbedeckung. Dann blickte er hoch und entdeckte ihr Gesicht am Fenster. Sein dunkles Haar war vom Wind zerzaust und fiel ihm in die Stirn. Seine Augen waren so hellgrün wie ein Gebirgsfluss. Instinktiv wollte Cary sich zurückziehen, doch er hatte sie erkannt und winkte lachend. Sofort vollführte ihr Herz einen Purzelbaum, weil ihr plötzlich klar wurde, wie attraktiv dieser Mann war.

Sie schmunzelte. Von wegen Rolls-Royce, Limousine oder Mercedes! Er war in einem ganz normalen Jeep gekommen.

„Er ist da!“, schrie Danny begeistert.

„Ja, ja, er ist da. Nimm deine Sachen, Danny. Und schrei nicht ganz so laut, sonst überstehen wir nicht einmal den ersten Tag“, riet sie ihm.

Doch Danny war nicht im Geringsten gekränkt. Er lächelte ihr verschmitzt zu, und seine Augen funkelten vor Vergnügen. Er griff nach seiner Reisetasche, ging lässig zur Wohnungstür und stieß sie auf, als Jason McCready gerade davor erschien.

„Ich wollte fragen, ob du fertig bist, aber das ist wohl nicht mehr nötig“, sagte er zu Danny.

„Ja, Sir! Danke, Sir! Ich bin bereit! Das ist toll! Einfach toll! Habe ich schon danke gesagt?“

Jason McCready nickte amüsiert. „Ja, das hast du. Und ich danke dir, dass du mitkommst. Angela ist auch schon sehr aufgeregt. Sie ist im Wagen. Willst du deine Sachen nehmen und hinunterlaufen? Ich trage das Gepäck deiner Mutter.“

Danny rannte hinaus, und Cary stand Jason McCready von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Nervös befeuchtete sie die Lippen mit ihrer Zungenspitze.

Es kam ihr vor, als würde sie schon eine Ewigkeit da stehen und den Blick dieser grünen Augen auf sich gerichtet fühlen. Und trotz des kalten Tages wurde sie von Wärme erfüllt.

„Haben Sie nur diese Tasche?“, fragte er.

„Wie? Oh ja, das ist mein einziges Gepäck, danke“, murmelte sie.

Er griff danach und ließ gleichzeitig seinen Blick durch das Apartment schweifen.

Offenbar liebte Cary Antiquitäten, die auch sehr gut zu dem Haus passten, in dem sie wohnte, einem dreigeschossigen Backsteing...

Autor

Heather Graham
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