Julia Best of Band 275

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AM WEITEN STRAND VON SAINT-MALO

Haley will nur eins von William: Er soll die Firma ihres Vaters retten! Doch bei einer Geschäftsreise in die Bretagne knistert es immer heißer zwischen ihnen. Verliebt genießt Haley seine stürmischen Küsse am Strand von Saint-Malo. Ohne zu ahnen, dass William sie hintergeht …

VOR DER BLAUEN BUCHT VON SAINT-TROPEZ

Ihr Vater hat ihr Anteile eines Weingutes vermacht? Fassungslos fliegt Zoe nach Saint-Tropez, um den Besitz zu inspizieren. Und verliebt sich Hals über Kopf in Henri Marchand, den zweiten Besitzer! Sind seine Küsse ehrlich, oder geht es ihm nur um die Weinberge am Meer?

IN DER CAMARGUE WILL ICH DICH LIEBEN

Bislang ist Nathan der Familie seiner verstorbenen Frau Marie ausgewichen. Doch nun braucht er die Hilfe ihrer Cousine Amy – und fühlt sich plötzlich magisch angezogen von der jungen Ärztin. Doch solange das Geheimnis um Maries Schicksal zwischen ihnen steht, darf er sie nicht lieben …


  • Erscheinungstag 17.02.2024
  • Bandnummer 275
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526012
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

HOLLY BAKER

JULIA BEST OF BAND 275

1. KAPITEL

Haley schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte zufrieden. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du es mir eines Tages büßen wirst?“, murmelte sie.

„Was sagst du?“, fragte Steve und beugte sich zu ihr hinunter. Er war mehr als einen Kopf größer als sie, und da sie heute keine High Heels trug, fiel es noch mehr auf als sonst.

„Alles bestens“, antwortete sie gut gelaunt und sah sich um. In dem Gebäude vor ihnen war alles ruhig. Dort ahnte noch niemand, was der Versammlung gleich blühen würde. Haley und die anderen hatten sich unbemerkt heranschleichen können. Nun scannte sie kurz die Menschenmenge vor dem Gebäude. Alle schienen an ihren Plätzen zu sein, sie konnten beginnen. „Wollen wir?“, fragte sie.

Steve nickte ebenso zufrieden wie sie, dann führte er eine Trillerpfeife an seinen Mund und blies hinein. Das war das Startsignal. Das leise Gemurmel um sie herum schwoll sofort an und plötzlich war die Luft erfüllt von Pfeifen und Rufen. Viele schwenkten selbst gebastelte Plakate, so auch Haley. „Kein Offshore-Windpark vor unserer Küste“, riefen schon bald alle Anwesenden im Takt. Vereinzelt ertönte immer wieder eine Trillerpfeife.

Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Fenster des Gebäudes, das hauptsächlich aus Glas und Chrom bestand, öffneten und schick gekleidete Männer und Frauen einen neugierigen Blick auf die Straße warfen. Haley sah sich ebenso neugierig um, und da entdeckte sie ihn. Er stand an einem geöffneten Fenster im dritten Stock, neben ihm eine Frau mittleren Alters in Businessdress, die wild mit den Händen gestikulierte. Bevor er sie, Haley, in der Menge entdecken konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Haley konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sie wusste, dass er nach unten kommen würde, und tatsächlich trat er nur wenige Minuten später aus dem gläsernen Haupteingang hinaus in die Sonne.

„Das ist der Firmenchef“, sagte Haley zu Steve. „Der sucht mit Sicherheit dich.“

Steve nickte. „Soll er nur kommen.“

Entschlossen schritt der Mann auf die Menge zu und fragte den erstbesten Demonstranten etwas, das Haley aufgrund des Lärms nicht verstehen konnte. Dann bahnte er sich einen Weg zu ihnen: William Fitzgerald. Haley hatte ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen. Ihre Familien waren zwar nach wie vor befreundet, doch meistens zog Haley sich zurück, wenn die Fitzgeralds ihren Besuch ankündigten. Außerdem hatte sie bis vor Kurzem noch in Cambridge gelebt und studiert. Trotzdem freute sie sich auf die Begegnung mit Will, auch wenn sie nicht genau sagen konnte warum.

Als er sie erkannte und auf einmal in seiner Bewegung verharrte, setzte ihr Herzschlag aus unerklärlichem Grund für einen Moment aus. Sie kannte aktuelle Fotos von ihm aus der Zeitung, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass er in natura so gut aussehen würde. Die hellbraunen Haare standen ihm wie schon damals etwas unordentlich vom Kopf ab, seine blauen Augen erschienen ihr warm und vertraut. Schon zu Schulzeiten hatte er gut ausgesehen, doch lange nicht so umwerfend wie heute. Er war etwa 1,85 Meter groß, und obwohl er einen edlen schwarzen Anzug trug, konnte Haley erkennen, dass er vermutlich ziemlich viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte.

Nun grinste er sie an, und Haley schluckte. „Little Miss Toad“, begrüßte er sie und kam näher auf sie zu.

Haley verspannte sich sofort. Kleine Krötenlady. Sie hasste es, wenn er sie so nannte. Unwillkürlich musste sie an den Tag denken, als er ihr diesen Namen verpasst hatte. Zwölf Jahre war sie damals gewesen. Mithilfe von William hatte sie eines Abends Kröten gerettet, indem sie sie über die Straße getragen hatte. Alles war in bester Ordnung gewesen, doch dann hatte Will sie am nächsten Tag auf dem Schulhof vor versammelter Mannschaft Little Miss Toad genannt. Und seitdem haftete ihr der Spitzname an, auch wenn niemand außer Will ihn jemals in ihrer Gegenwart erwähnte.

„Du sollst mich nicht so nennen“, zischte sie.

„Ich habe schon gehört, dass du zurück bist“, fuhr er fort, ohne auf ihren Kommentar einzugehen.

„Ihr kennt euch?“, fragte Steve überrascht.

Haley nickte, ohne die Augen von Will zu wenden. „Aus einem früheren Leben, ja.“

Williams blaue Augen fixierten sie noch einen Moment, bevor er Steve ansah. „Sie haben hier das Sagen, nehme ich an?“

„Ganz genau.“

„Also dann.“ William musterte ihn, während er lässig die Hände in die Taschen seiner Anzughose schob. „Was werfen die OceanProtectors mir vor?“

„Haben Sie doch gehört: Wir wollen keinen Offshore-Windpark vor Cornwalls Küste.“

Will lachte. „Ah ja. Und warum bitte nicht? Die Windräder werden grüne Energie erzeugen. Ist es nicht das, was Sie auch wollen?“

„Sicher“, sagte Steve, „aber nicht auf Kosten des Ökosystems. Der Bauplatz vor der Küste ist nicht gut.“

„Und warum nicht, bitte schön?“

„Kannst du dir das nicht selbst denken?“, fragte Haley. „Löcher in den Meeresgrund bohren, Leitungen legen und so weiter – das kann doch nicht gut für das Ökosystem des Meeres sein. Und das Meer ist nun mal unser Anliegen.“

„Unser, so so.“ Wieder fixierte Will sie. „Ich habe mir bereits sagen lassen, dass du jetzt unter die Umweltaktivisten gegangen bist.“

„Wirst du den Bauplatz aufgeben?“, fragte Haley scharf.

„Ich verstehe euch nicht. Kohle- und Atomkraftwerke wollt ihr nicht, was ich ja auch einsehe. Aber Windräder erzeugen grüne Energie, und irgendwo muss die nun mal herkommen.“ Er zeigte auf Haley. „Und du kehrst mal lieber vor deiner eigenen Tür. Soweit ich weiß, sind die Gezeitenkraftwerke deines Vaters das größere Übel für die hiesige Ökologie.“

Haley zählte innerlich bis drei, bevor sie so ruhig wie möglich antwortete: „Darum kümmere ich mich, da kannst du Gift drauf nehmen. Aber hier geht es jetzt nicht um meinen Vater.“

Will zuckte mit den Schultern. „Wenn du meinst. Ich schlage vor, du kümmerst dich um deinen Kram und lässt mich meinen machen.“ Damit drehte er sich um und verschwand in der Menge.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte Peter Winterbottom und knallte die Zeitung auf den Frühstückstisch. „Du kannst doch nicht vor Williams Firma demonstrieren. Das fällt auf unsere Familie zurück.“

Haley warf einen flüchtigen Blick auf die Zeitung. Auf der Titelseite erkannte sie sich und Will, umringt von Demonstranten. Sie hatte am Tag zuvor überhaupt nicht mitbekommen, dass die Presse vor Ort gewesen war. Aber selbst wenn, sagte sie sich und straffte die Schultern, hätte es nichts geändert. Sie sah ihrem Vater direkt in die Augen. „Ich übernehme die volle Verantwortung für mein Handeln.“

Seufzend nahm Peter seine Brille ab und rieb sich über die Augen. „Darum geht es doch gar nicht, Haley.“

Sarah Winterbottom legte ihrem Mann beruhigend eine Hand auf den Arm und wandte sich an Haley. „Dein Vater führt eine Firma, die mithilfe der Gezeiten grüne Energie erzeugt. Was sollen denn die Leute davon halten, wenn seine eigene Tochter Mitglied bei den OceanProtectors ist? Sie werden doch automatisch davon ausgehen, dass die Gezeitenkraftwerke umweltschädlich sind, und unseren Strom nicht mehr kaufen. Willst du das, Haley? Als ob die Firma nicht weiß Gott schon genug Probleme hätte.“

„Nein, natürlich will ich das nicht“, sagte Haley geknickt und nahm einen Schluck Orangensaft. „Aber die ganze Installation ist nicht gut für das Ökosystem. Darüber wollte ich ohnehin noch einmal mit dir sprechen, Dad.“

Peter setzte seine Brille wieder auf. „Steig in die Firma ein, Kind, dann reden wir über alles, was du willst.“ Er griff nach seiner Kaffeetasse.

Nun war es an Haley zu seufzen. „Lass gut sein, Dad. Du weißt, dass ich nicht bei Green Energy einsteigen will, und daran hat sich nichts geändert.“

Peter stellte seine Tasse wieder ab, ohne einen Schluck genommen zu haben. „Aber ich verstehe dich nicht. Du hast doch Meeresbiologie studiert. Warum verschwendest du dein Wissen bei einer Gruppe Umweltaktivisten, die noch dazu fragwürdige Methoden anwendet? Mit deinem Studium könntest du in unserer Firma so viel mehr bewirken.“

„Könnte ich eben nicht“, widersprach Haley. „Bei Green Energy kann ich nur dafür sorgen, dass das Meer vor Cornwall sauberer wird. Aber was ist zum Beispiel mit dem Walfang in Japan? Soll ich einfach zusehen, wie die Wale ausgerottet werden?“

„Ach, Haley. Cornwall wäre zumindest ein Anfang. Nach Japan würdest du ohnehin nicht reisen.“

Vielleicht hatte ihre Mutter sogar recht damit, doch Haley wollte nicht in die Firma der Eltern einsteigen. Sie wollte etwas erleben, und sie hatte ihr eingeengtes Dasein satt. Nur einmal in ihrem Leben wollte sie nicht für verrückt erklärt werden, weil sie Kröten rettete, indem sie sie über die Straße trug. Seit William ihr den Spitznamen Little Miss Toad verpasst hatte, hatte sie das Gefühl, von der High Society Englands unter besonderer Beobachtung zu stehen. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte man ihren übertriebenen Gerechtigkeitssinn und ihr Engagement für die Umwelt wenigstens noch für putzig gehalten. Doch je älter sie wurde und je stärker sie sich engagierte, desto mehr war sie der feinen Gesellschaft ein Dorn im Auge. Und dass sie nun seit einigen Monaten die OceanProtectors unterstützte, machte alles nur noch schlimmer. Natürlich sagte ihr niemand, dass er sie für seltsam hielt. Die Etikette wurde immer gewahrt. Aber wenn die Leute dachten, Haley würde es nicht mitbekommen, belächelten sie sie. Haley fühlte sich in dieser Gesellschaft einfach nicht wohl. Sie wollte nicht mehr für ihr Handeln verurteilt werden, denn sie tat das Richtige. Warum wollte das nur niemand sehen?

„Hör zu, Haley“, begann ihr Vater zunehmend ungehalten. „Du bist fast neunundzwanzig Jahre alt, und ich habe dich nun lange deinen eigenen Weg gehen lassen. Jeder sollte die Möglichkeit haben, sich selbst zu verwirklichen, aber das tust du nicht. Du hast keine Ziele. Deshalb ist jetzt Schluss mit dem ganzen Blödsinn. Es wird Zeit, dass du endlich Verantwortung übernimmst.“

Als Peter sich müde mit einer Hand durch das dunkle, angegraute Haar fuhr, wurde Haley zum ersten Mal bewusst, wie alt er in den letzten Jahren geworden war. Er sah blass und abgekämpft aus. Deshalb konnte sie ihm wegen seiner harten Worte auch nicht böse sein. Sie spürte das schlechte Gewissen mit aller Macht über sich hereinbrechen. Sie konnte dem sofort ein Ende bereiten, aber dann müsste sie bei den OceanProtectors aussteigen, und das wollte sie nicht. Sie hatte dort eine Aufgabe, die ihr am Herzen lag.

Doch das verstanden ihre Eltern nicht. Sie hatten das weitere Leben ihrer Tochter schon ganz genau durchgeplant: Haley sollte die Firma übernehmen, einen angemessenen Partner wählen, heiraten und Stammhalter in die Welt setzen.

So jemand wie William war in den Augen ihrer Eltern der perfekte Kandidat zum Heiraten. Weder Sarah noch Peter hatten es ihm übel genommen, dass er aus Haley von heute auf morgen eine Witzfigur gemacht hatte. Doch Haley konnte es einfach nicht vergessen.

Etwas zu heftig schob sie den Teller mit dem Rührei zur Seite, der Appetit war ihr gründlich vergangen. Wie aufs Stichwort erschien Martha, das Mädchen für alles, im Esszimmer. Doch anstatt den Tisch abzuräumen, sagte sie: „Mr Winterbottom, William Fitzgerald ist soeben angekommen.“

Haley verschluckte sich an ihrem Kaffee, doch auf sie achtete in diesem Moment niemand.

Peter erhob sich sofort von seinem Stuhl und trat auf William zu, der hinter Martha aufgetaucht war. „William, mein alter Freund. Schön dich zu sehen.“ Er reichte William die rechte Hand und klopfte ihm mit der linken auf die Schulter. „Kann ich dir etwas anbieten? Vielleicht noch ein paar Eier mit Speck? Die sind heute hervorragend gelungen.“

„Danke, für mich nur einen Kaffee“, antwortete William. „Ich habe schon gefrühstückt.“

Peter wandte sich an Martha. „Bringen Sie doch bitte noch eine Tasse und frischen Kaffee.“

Martha nickte und verschwand wieder. Will ging derweil auf Sarah zu, nahm ihre rechte Hand und deutete einen Handkuss an.

„Sarah, Sie sehen heute wieder bezaubernd aus.“

Haleys Mutter bekam rosige Wangen. „Danke, wie reizend von dir.“

Nun wandte Will sich an Haley. „Denk nicht mal dran“, murmelte sie und zog ihre Hand weg. „Was willst du überhaupt hier?“

„William ist hier, weil ich ihn darum gebeten habe“, sagte Peter und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.

Haley verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn es um gestern geht, könnt ihr euch die Mühe sparen.“

„Es geht nicht um gestern, auch wenn wir uns darüber noch einmal unterhalten müssen.“ Peter legte die Fingerspitzen gegeneinander und sah seine Tochter eindringlich an. „Es geht darum, dass William die Leitung der Firma übernehmen wird. Und zwar gemeinsam mit dir, Haley.“

„Das ist jetzt nicht euer Ernst“, sagte Haley. Dabei bemühte sie sich offenbar um einen ruhigen Tonfall.

William schenkte ihr ein Lächeln und setzte sich neben ihrer Mutter auf einen freien Stuhl. Er hatte gewusst, dass Haley so reagieren würde. Dennoch hatte er es sich nicht nehmen lassen, dabei zu sein, wenn Peter es seiner Tochter sagte.

„Das ist mein voller Ernst“, antwortete Peter und nahm in aller Ruhe einen Schluck Kaffee.

Haley sprang wütend von ihrem Stuhl auf. „Ohne mich, ihr könnt mich nicht zwingen.“

„Niemand will dich zwingen“, sagte ihre Mutter. „Aber jetzt setze dich bitte wieder hin und höre dir erst einmal an, was dein Vater dir zu sagen hat.“

Haley zögerte, und einen Moment glaubte Will, sie würde aus dem Zimmer stürmen. Doch stattdessen atmete sie tief durch und ließ sich mit verschränkten Armen wieder auf den Stuhl fallen. „Also?“ Trotzig sah sie in die Runde.

William musste sich das Lachen verkneifen. Haley hatte sich verändert, seit sie zusammen aufgewachsen waren, aber manches war immer noch genauso wie früher. Diesen trotzigen Blick hatte sie schon mit zehn Jahren perfektioniert. Früher war sie ein kleiner Wildfang gewesen und alles andere als mädchenhaft. Vor Insekten oder anderem Getier hatte sie nie Angst gehabt, ganz im Gegenteil. Völlig fasziniert hatte sie sich schon immer für die Natur interessiert. Das war auch heute nicht anders. Und ihre braunen Augen strahlten nach wie vor jede Menge Lebensfreude und Abenteuerlust aus, wenn sie nicht gerade sauer war. Allerdings war aus dem ungestümen Mädchen in den vergangenen Jahren eine richtige Frau geworden. Die Brille war ebenso verschwunden wie die praktische Kurzhaarfrisur. Stattdessen wellten sich die blonden Haare und fielen ihr bis zur Mitte des Rückens. Auch als Bohnenstange konnte man Haley weiß Gott nicht mehr bezeichnen, ganz im Gegenteil. Sie hatte eine unglaublich verführerische Figur bekommen.

„Ihr Kaffee, Mr Fitzgerald“, riss Martha ihn aus seinen Gedanken.

Dankbar wandte er seinen Blick von Haley ab und lächelte Martha zu. „Vielen Dank, Martha.“

Lächelnd schenkte sie ihm ein, und er gab etwas Milch dazu. Währenddessen wandte Peter Winterbottom sich erneut an seine Tochter.

„Hör zu, Haley, du weißt doch, wie es im Moment um die Firma steht. Dieser Finanzinvestor Tom Barnes will sie unbedingt haben. Mittlerweile hält er bereits dreißig Prozent der Aktien.“

„Und? Bleiben noch siebzig Prozent übrig.“

Peter wartete, bis Martha das Esszimmer verlassen hatte, bevor er antwortete: „So einfach ist das nicht. Wir halten nur vierzig Prozent der Aktien, und es fehlt das Kapital, um uns auf Dauer die Mehrheit zu sichern.“

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“, wollte Haley wissen. „Und im Übrigen finde ich, dass wir das nicht vor Will diskutieren sollten.“

Doch ihr Vater schüttelte den Kopf. „Will kennt die Problematik, er gehört ja quasi zur Familie.“

Seufzend goss Haley sich frischen Kaffee in ihre Tasse und ließ sich von Will die Milch reichen. „Ich werde nie verstehen, warum man so viele Aktien auf den Markt schmeißt, wenn man dann jederzeit die Firma verlieren kann.“

„Es geht wie so oft ums Geld, Sweetheart“, antwortete Will und lächelte ein wenig überlegen.

„Und wie kannst du uns da helfen?“, fragte Haley, ahnte aber plötzlich die Antwort. „Ach, lass mich raten: Du sollst die fehlenden Aktien kaufen.“

„Ganz genau“, sagte Will. „Und falls es dich interessiert, liebe Haley, ich habe bereits zugestimmt. Ist doch Ehrensache, immerhin sind unsere Familien seit Generationen befreundet.“

Haley wurde blass. „Schön und gut, aber ich verstehe nicht, warum du auch noch in die Leitung einsteigen musst.“

„Das ist ganz einfach“, mischte sich nun Sarah ein. „Du weißt, dass Dr. Simmens deinem Vater schon länger ins Gewissen redet, sich endlich zur Ruhe zu setzen. Die Übernahmeschlacht mit Tom Barnes war wahnsinnig kräftezehrend und hat das Herz deines Vaters noch mehr geschwächt.“

„Das wusste ich nicht“, sagte Haley leise. Sie wirkte mit einem Mal ziemlich erschüttert. „Wie geht es dir jetzt?“

„Es geht schon wieder“, antwortete Peter. „Aber ich bin inzwischen einfach zu alt für den Job. Green Energy ist schon lange nicht mehr Vorreiter in Sachen umweltfreundlicher Energieerzeugung. Wir müssen die Firma in ein neues Zeitalter führen, und dazu fehlt mir einfach die Kraft.“

„Meine Firma ist recht erfolgreich“, sagte Will. „Und entgegen deiner Meinung achten wir auch immer auf die Umwelt. Deshalb werde ich in die Leitung von Green Energy einsteigen, bis es der Firma wieder besser geht.“ Zum Glück kannte sie seine wahren Beweggründe nicht. Sie würde ihn hassen, und dabei hatten sie sich einmal so nahe gestanden. Er verstand immer noch nicht, warum sie ihm die Little Miss Toad bis heute übel nahm.

Haley hob abwehrend die Hände. „Okay, okay, das verstehe ich ja alles. Was ich nicht so ganz verstehe ist, wie ich ins Spiel komme. Ich habe doch überhaupt keine Ahnung davon, wie man eine Firma führt.“

„Das nicht“, sagte Peter und lächelte traurig, „aber ich brauche auf lange Sicht einen Nachfolger. William ist der perfekte Mann, um dir zu zeigen, wie man ein Unternehmen leitet.“

„Und was noch viel wichtiger ist“, fügte Will hinzu, bevor Haley protestieren konnte. „Wir müssen vermutlich expandieren, um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen. Das Meer ist aber nicht mein Spezialgebiet.“ Er beugte sich näher zu Haley und sah ihr tief in die Augen. „Du bist die Meeresbiologin. Ich brauche deine Hilfe, Haley. Und einen richtigen Experten können wir uns nicht leisten.“

„Was soll das heißen?“, fragte Haley und funkelte ihn böse an. „Willst du damit etwa sagen, dass ich keine richtige Expertin bin?“

„Ich will damit lediglich sagen, dass du die Tochter der Winterbottoms bist. Natürlich ist es die beste und auch billigste Lösung, wenn du in die Firma einsteigst.“

Haley verschränkte die Arme vor der Brust und atmete schnell.

„Bitte, Haley. Du bist unsere letzte Rettung“, gestand Peter leise.

Sarah berührte ihren Mann leicht am Arm und sah ihre Tochter streng an. „Haley, ich weiß, dass dieser Plan dein weiteres Leben beeinflussen wird. Aber du hast leider nicht die Zeit, um lange darüber nachzudenken. Wir brauchen eine Entscheidung von dir, und ich bitte dich: Denk einmal an die Familie.“

„Deine Mutter hat recht“, sagte Peter sichtlich angestrengt. Er stand auf und ging hinüber zum Fenster. Eine Weile blickte er mit hinter dem Rücken verschränkten Händen hinaus, bevor er fortfuhr: „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und ich werde nicht mit ansehen, wie meine Firma den Bach runtergeht!“

„Peter, bitte“, versuchte Sarah, ihren Mann zu beruhigen. „Denk an dein Herz.“

„Schon gut, Liebes“, winkte er ab und wandte sich wieder an Haley. „Nur eins noch, Haley. Du bist meine Tochter, und deine Entscheidung wird Konsequenzen haben. Also triff die richtige.“

2. KAPITEL

Sie sollte die richtige Entscheidung treffen? Wie bitte stellten sich ihre Eltern das vor? Egal, wie sie sich entscheiden würde, es wäre falsch. Im Grunde hatten sie ihr ja auch zu verstehen gegeben, dass sie keine Wahl hatte.

Hilfe suchend sah sie einen Moment zu Will. Wenn es doch nur wie früher sein könnte, dachte sie. Sie waren immer füreinander da gewesen. Doch irgendwann hatte sich alles geändert …

Sie straffte die Schultern und stand auf. „Ich werde darüber nachdenken und euch sobald wie möglich Bescheid geben“, sagte sie und verließ ohne ein weiteres Wort das Esszimmer.

„Ich rede noch mal mit ihr“, hörte sie William sagen, als sie bereits auf den großen Flur hinaustrat, und beschleunigte ihre Schritte. Sie wollte nicht mit ihm reden, sie wollte alleine sein und in Ruhe über alles nachdenken. Außerdem spürte sie Tränen aufsteigen, und sie wollte nicht vor William weinen.

„Haley, warte“, rief er ihr hinterher. Sie lief weiter den Flur entlang, doch er holte sie schnell ein, packte sie am Arm und wirbelte sie zu sich herum. „Was ist denn los mit dir? Können wir nicht mal mehr miteinander reden?“

„Worüber denn bitte? Darüber, dass du dich hinter meinem Rücken mit meinen Eltern verbündest?“

Will schnaubte. „Hinter deinem Rücken? Das ist doch Blödsinn, und das weißt du auch. Du hast doch vor Jahren den Kontakt abgebrochen. Im Übrigen ist dein Vater zu mir gekommen und hat mich um Hilfe gebeten. Sollte ich da etwa Nein sagen?“

„Natürlich nicht“, sagte sie schärfer als beabsichtigt und riss sich los. „Aber du hättest mich wenigstens vorwarnen können.“

Er lachte. „Der Anruf deines Vaters kam auch für mich überraschend, und nach deinem gestrigen Auftritt bin ich nicht davon ausgegangen, dass du mir zuhören würdest. Apropos, was sollte das überhaupt?“

Tja, das konnte sie ihm schlecht erklären. Im Grunde war es ihr nur um ihre Rache gegangen. Little Miss Toad. Sie wusste, dass er nie verstanden hatte, warum sie deshalb sauer auf ihn war, und das machte sie nur noch wütender. Wie hatte er ihr das antun können? Sie waren die besten Freunde gewesen, hatten alles zusammen gemacht und miteinander geteilt. Und dann war es ihm auf einmal wichtiger gewesen, vor seinen Freunden gut dazustehen.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich engagiere mich nun mal für die Umwelt, das ist alles.“

„Das bringt doch nichts, Haley. Du solltest dich lieber für die Firma deiner Eltern engagieren, bevor sie den Bach runtergeht.“

„Das ist nicht fair“, rief sie aufgebracht. „Was soll ich denn bitte machen? Es geht hier schließlich um mein Leben, und ich habe nun mal andere Pläne.“

William verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie einen Moment mit strengem Blick an. „Was denn für Pläne? Umweltaktivistin ist kein Beruf, dafür hast du nicht studiert.“

„Du redest wie mein Vater“, schnaubte sie.

„Ja, weil dein Vater vielleicht recht hat. Hast du daran schon mal gedacht?“

„Es geht um mein Leben“, wiederholte sie, dieses Mal ruhiger. Oh Gott, jetzt spürte sie schon wieder diese verdammten Tränen in sich aufsteigen. Sie schluckte sie so gut wie möglich hinunter und ließ sich auf die geschwungene Treppe sinken, die ins Obergeschoss führte. „Was soll ich denn machen?“

„Mach das Richtige“, antwortete William, nun auch deutlich ruhiger.

„Und was ist das Richtige?“ Denn das wusste sie nicht. Die Firma ihres Vaters war wichtig, das bezweifelte sie nicht. Sie wollte nicht, dass alles, wofür er sein Leben lang gearbeitet hatte, jetzt nach und nach zerbröckelte. Er brauchte Hilfe, das war ihr heute zum ersten Mal so richtig bewusst geworden. Noch nie hatte sie ihn so müde erlebt. Oder hatte sie einfach nicht darauf geachtet? Sie begann, sich Vorwürfe zu machen, und das schlechte Gewissen nagte stärker an ihr denn je. Es war ihr nie leichtgefallen, ihm einen Wunsch abzuschlagen, aber allmählich fiel es ihr immer schwerer.

Doch was war mit ihr, mit ihren Wünschen? Hatte sie denn kein Recht dazu, ihr Leben so zu leben, wie sie sich das vorstellte? Sie hatte noch so viele Pläne. Jetzt in die Firma einzusteigen wäre eine Entscheidung fürs Leben. Denn sie wusste, dass das Ganze nicht nur eine vorübergehende Sache war. Ihr Vater würde alles daransetzen, um sie dauerhaft in der Firma zu halten, und sie wusste, dass sie nicht die Ausdauer haben würde, sich gegen ihn zu stellen.

Will zuckte mit den Schultern und setzte sich neben sie. „Nur du alleine weißt, was richtig ist, Haley. Diese Entscheidung kann dir leider niemand abnehmen.“

Sie strich sich erschöpft die Haare aus dem Gesicht und sah ihn von der Seite an. „Du hast ziemlich deutlich gemacht, was du für richtig und falsch hältst. Ebenso meine Eltern. Weißt du, ich finde das einfach nicht fair. Ihr lasst mir ja nicht wirklich eine Wahl. Vielleicht war es immer der Traum meines Vaters, eine Firma zu leiten und erfolgreich zu sein. Mein Traum war das nie.“

„Und was ist dein Traum?“

Traurig blickte sie zu Boden. Früher einmal hätte er das gewusst. Allerdings war sie sich selbst nicht mehr so sicher, was sie eigentlich wollte. Ja, sie wollte frei sein. Frei von Zwängen und Konventionen. Ein paar Monate lang einfach tun und lassen, was ihr gefiel, wozu sie gerade Lust hatte. Fast ihr ganzes Leben lang hatte sie sich den Wünschen ihrer Eltern gebeugt. Sie war auf die Privatschule und später aufs Internat gegangen. Auch was den Studienort anging, hatte sie sich von ihrem Vater beeinflussen lassen. Nun wollte sie sich eine Zeit lang ganz der Umwelt widmen. Dafür hatte sie Meeresbiologie studiert, und nicht, um in die Firma ihres Vaters einzusteigen. OceanProtectors war im Moment genau das Richtige für sie, aber sie musste zugeben, dass sie nicht wusste, was danach kommen würde. Sie konnte nicht immer so weitermachen, das war ihr klar.

„Ich weiß es auch nicht so genau“, gab sie zu.

„Dann solltest du das schleunigst herausfinden.“ Einen Moment sah es so aus, als wollte er ihr die Hand auf den Arm legen, doch er tat es nicht. Stattdessen stand er auf und strich sich die Hose glatt. „Ich muss jetzt leider los, ein dringender Termin. Aber wir sehen uns ja morgen.“

„Morgen?“, fragte Haley.

Will lachte. „Ja, morgen. Dein Geburtstag und die alljährliche Sommerparty der Winterbottoms, falls du dich erinnerst.“

Oh je, die Party hatte sie wirklich total vergessen. Wie gerne hätte sie abgesagt, aber das ging nicht. Immerhin veranstaltete ihr Vater die Feierlichkeiten zu ihrem Geburtstag. Selbst wenn sie mit Sommergrippe im Bett liegen würde, müsste sie sich wenigstens für ein, zwei Stunden dort blicken lassen.

Und jetzt wusste sie auch, warum ihre Eltern so viel Druck gemacht hatten. Morgen versammelte sich die ganze High Society Cornwalls im Hause der Winterbottoms – und ihr Vater wollte sie natürlich gerne in diesem Rahmen als seine Nachfolgerin präsentieren.

Wenn sie nur wüsste, was sie ihm sagen sollte …

„Haley, Kind. Es ist so schön, dich mal wieder zu sehen.“

So ging das schon den ganzen Abend. Haley stand im großen Empfangssaal direkt an der doppelflügeligen Tür und begrüßte zusammen mit ihren Eltern die Gäste. Sie schüttelte den Männern die Hände, verteilte Wangenküsse an die Damen und hoffte inständig, dass der größte Ansturm demnächst vorbei war. Wenn sie diesen Abend überstehen wollte, brauchte sie unbedingt ein Glas Champagner.

Es war wie immer. Die Gäste bewunderten ihr cremefarbenes Cocktailkleid oder ihre elegante Hochsteckfrisur, doch kaum hatten sie sich entfernt, begann das allgemeine Getuschel. Haley wusste, dass es im Moment um die Demonstration vor Wills Firma ging, doch niemand hatte den Mut, sie direkt darauf anzusprechen.

Immerhin hatte sie es den ganzen Tag über geschafft, ihren Eltern aus dem Weg zu gehen. Ihren Vater schien das alles andere als zu begeistern, doch darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken. Stattdessen wandte sie sich ihren nächsten Gästen zu – und stand den Fitzgeralds gegenüber.

Will lächelte sie an, und in seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Lachfältchen. Haley musste abermals schlucken. So hatte sie Will schon lange nicht mehr gesehen. „Du siehst aus, als wäre dir ein Geist begegnet“, meinte er zu ihr und begrüßte sie nach kurzem Zögern mit einem Wangenkuss. „Du erinnerst dich sicher an meine Eltern.“

„Aber natürlich“, antwortete Haley und musste sich beim Anblick von Wills Mutter nicht einmal zum Lächeln zwingen. „Hallo Maryse, wie geht es Ihnen?“

„Haley, lass dich ansehen.“ Maryse Fitzgerald hielt Haley auf Armeslänge von sich und zog sie dann in ihre Arme. „Meine Güte, bist du hübsch geworden. Es ist eine Schande, dass wir uns so lange nicht mehr gesehen haben. Du musst unbedingt mal wieder zum Tee vorbeikommen.“

„Das mache ich gerne“, sagte Haley und wandte sich an Richard, Wills Vater. Er hatte große Ähnlichkeit mit seinem Sohn, doch ihm fehlte die Wärme, die Will früher immer ausgestrahlt hatte und die offensichtlich auch heute noch in ihm steckte. Auch wenn er sie mittlerweile gut zu verbergen wusste. „Schön, Sie zu sehen, Richard.“

„Haley.“ Er schüttelte ihr die Hand. Es war deutlich zu spüren, dass er von Haleys letzter Aktion wenig angetan war, aber er schwieg und machte ihr keine Vorwürfe. Haley vermutete, dass sie das Maryse zu verdanken hatte, und lächelte ihr dankbar zu.

Als Maryse und Richard ihre Eltern begrüßten, straffte Will die Schultern und sah Haley direkt in die Augen. „Und, wie sieht’s aus? Weißt du, was du tust?“

Haley ging sofort in Abwehrhaltung und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß immer, was ich tue.“

„Wenn du das sagst, Honey“, sagte Will und mischte sich unter die anderen Gäste.

Dieser eingebildete Mistkerl, dachte Haley und hätte es ihm am liebsten durch den ganzen Raum hinterher geschleudert. Doch sie schluckte die Worte hinunter. In letzter Zeit hatte es genug Skandale um ihre Person gegeben. Mehr musste sie wirklich nicht provozieren.

Endlich ebbte der Strom der ankommenden Gäste ab, und Haley konnte sich ein wenig zurückziehen. Sie schnappte sich ein Glas Champagner von einem Tablett, das einer der vielen livrierten Kellner herumtrug, und bahnte sich einen Weg durch die Gäste nach draußen. Es war noch hell und warm, doch die Sonne stand bereits tief am Horizont und würde bald untergehen. Tief sog sie die frische Luft ein und spazierte zur Hollywoodschaukel am anderen Ende des Gartens. Sie brauchte einen Moment Ruhe. Dieser ganze Trubel war ihr einfach zu viel. Sie hatte noch nie etwas mit den Partys und Galas der High Society anfangen können, und seit ihrem Studium war ihre Abneigung dagegen noch deutlicher geworden. Manchmal fragte sie sich, warum sie nicht einfach in Cambridge geblieben war. Dort hätte sie ihr eigenes Leben führen können. Hier in Cornwall war sie immer noch die kleine Haley, die das zu tun hatte, was ihre Eltern von ihr verlangten. Sie hatte sich schon immer gerne gegen den Willen ihrer Eltern gesträubt, aber sie hatte das Gefühl, dass es aus unerklärlichen Gründen mit jedem Jahr schwerer wurde.

Haley setzte sich auf die Hollywoodschaukel und ließ ihre Gedanken eine Weile treiben. Noch immer hatte sie keine Ahnung, was sie machen sollte. Sie wusste nur, dass sie keine Wahl hatte. Wenn sie sich gegen den Wunsch ihres Vaters stellte, würde er ihr das nie verzeihen. Und ihre Mutter auch nicht. Wollte sie das riskieren? Das war die eigentliche Frage.

„Dein Vater sucht dich“, hörte sie mit einem Mal eine viel zu vertraute Stimme. Kurz darauf trat auch schon William in ihr Blickfeld, die Hände in die Taschen seines Anzugs geschoben. „Was machst du hier? Die Leute sind alle gekommen, um mit dir deinen Geburtstag zu feiern. Da kannst du dich doch nicht einfach abseilen.“

Haley nahm einen Schluck Champagner und zuckte mit den Schultern. „Ich habe erst um Mitternacht Geburtstag, und du weißt genauso gut wie ich, dass die Leute nicht deshalb hier sind. Das ist doch nur ein Vorwand, um mal wieder voreinander angeben zu können.“

Will verkniff sich augenscheinlich ein Grinsen. Der Wind zerzauste seine Haare, und Haley sah schnell weg. Wenn sie doch nur wüsste, was sie von ihm halten sollte! Manchmal war es, als sei alles wie früher. Und manchmal schien er sich völlig verändert zu haben.

So wie jetzt zum Beispiel, als er plötzlich ziemlich ernst sagte: „Du kannst der Entscheidung nicht ewig aus dem Weg gehen.“

„Das weiß ich auch“, erwiderte Haley, „aber ihr solltet mich nicht drängen.“

Will ließ sich neben ihr in die Hollywoodschaukel sinken, sodass diese sachte hin und her schwang. Er nahm ihr das Champagnerglas aus der Hand und genehmigte sich einen großen Schluck. „Ja, ja, so ist das. Wenn man dich drängt, machst du dicht. Das war schon immer so.“

„Sag mir nicht, wer ich bin, William Fitzgerald. Du kennst mich nicht.“ Nicht mehr, fügte sie in Gedanken traurig hinzu.

„Nicht?“ Herausfordernd sah er sie von der Seite an. „Dann sag mir, wer du bist.“ Er nahm noch einen Schluck aus dem Glas. „Aber ganz ehrlich: Ich glaube, du weißt es gerade selbst nicht so genau. Deshalb sträubst du dich auch so dagegen, eine Entscheidung bezüglich deiner Zukunft zu treffen.“

Wütend sprang Haley auf. Sie wusste, dass er in gewisser Weise recht hatte, aber das machte es nicht besser. „Es reicht. Erstens habe ich nicht wirklich eine Wahl, und zweitens kannst du nicht einfach herkommen und mich an meinem Geburtstag beleidigen. Was fällt dir ein?“

„Du hast erst morgen Geburtstag“, bemerkte er trocken.

Einen Moment schäumte Haley vor Wut, doch dann zuckte sie nur frustriert mit den Schultern, drehte sich um und ging zurück zum Haus. William war für sie ein Buch mit sieben Siegeln geworden. Sie wurde aus ihm nicht mehr schlau. Wenn er nicht aufpasste, war er warm und charmant wie damals. Doch die meiste Zeit benahm er sich wie ein Idiot.

Schon von Weitem sah sie, dass ihre Eltern auf sie zukamen. Ihr Vater wedelte aufgeregt mit den Armen. „Wo steckst du denn? Du kannst doch nicht einfach so verschwinden! Das ist schließlich dein Geburtstag.“

Haley sparte sich eine Antwort oder einen Kommentar. Sie war es satt, mit ihren Eltern zu streiten. Wie oft hatte sie ihnen gesagt, dass sie keine große Sommer- und Geburtstagsparty mit den wichtigsten Leuten Cornwalls wollte. Aber das hatte sie schon damals nicht interessiert, als Haley sechzehn geworden war und zum ersten Mal im großen Kreis hatte feiern müssen, anstatt eine ganz normale Sweet Sixteen-Party geben zu dürfen, wie sie sie aus den amerikanischen Serien kannte.

„Das ist unhöflich“, sagte ihre Mutter.

„Man wird doch wohl mal frische Luft schnappen dürfen“, verteidigte Haley sich, obwohl sie sich vor der Party fest vorgenommen hatte, das nicht zu tun. Immerhin wurde sie in ein paar Stunden neunundzwanzig Jahre alt. Da durfte sie doch wohl ihre eigenen Entscheidungen treffen.

„Das kann man auch sehr gut auf der Terrasse tun, während man sich um seine Gäste kümmert“, mischte sich ihr Vater ein.

Doch ihre Mutter winkte ab. „Na ja, wir kennen sie ja nicht anders. Sie hatte schon immer ihren eigenen Kopf.“ Sie sah ihre Tochter an. „Also, was sagst du?“

Haley brauchte nicht fragen, was sie meinte, denn das war allzu offensichtlich. Ihre Eltern sahen sie eindringlich an, und nun tauchte auch Will wieder auf. Die Arme verschränkt stellte er sich neben Sarah und musterte Haley ebenso eindringlich.

„Wie gesagt, du kannst dich nicht ewig drücken“, sagte er.

„Hör zu, Haley“, begann ihr Vater. „Wenn wir alle um Mitternacht die Gläser auf dich erheben, würde ich gerne …“

Doch weiter kam er nicht, denn Haley schnitt ihm das Wort ab. Sie war mit einem Mal wahnsinnig sauer, auch wenn sie selbst nicht so recht wusste, warum. „Ich weiß, was du willst. Du willst stolz verkünden, dass ich in deine Firma einsteige. Aber hast du dich einmal in deinem Leben gefragt, was ich will? Nein, denn das war dir immer egal. Und deshalb ist mir jetzt auch dein Wunsch egal. Ich werde nicht in die Firma einsteigen.“

Und damit ließ sie die drei einfach stehen.

Haley saß auf ihrem Bett und fühlte sich elend. Sie konnte einfach nicht vergessen, wie ihre Eltern sie angesehen hatten. Und Will. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es sie noch genauso wie damals treffen würde, was er über sie dachte, aber das tat es. Er war enttäuscht gewesen, in gleichem Maße wie ihre Eltern. Und sie meinte, noch mehr in Wills Augen gesehen zu haben. Doch noch bevor sie darüber nachdenken konnte, hörte sie Schreie und laute Schritte auf dem Flur. Nur wenige Sekunden später wurde ihre Tür aufgerissen, und Will stand im Türrahmen.

„Haley, du musst sofort runterkommen. Dein Vater.“

Sie sprang auf und machte sich nicht die Mühe, ihre High Heels wieder anzuziehen. Barfuß rannte sie die Treppe hinunter und in den Empfangssaal. An der doppelflügeligen Tür blieb sie stehen und starrte in den Raum.

Die Welt schien auf einmal stehen geblieben zu sein. „Peter!“, rief ihre Mutter immer wieder.

Die Worte Notarzt und Krankenwagen drangen wie durch Watte an Haleys Ohr. Sie wollte zu ihrem Vater, der reglos auf dem Boden lag, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie fühlte sich, als würde ein Elefant auf ihrer Brust sitzen. Es war alles ihre Schuld. Wenn ihr Vater jetzt sterben würde, war es alleine ihre Schuld. Er durfte nicht sterben, das durfte er einfach nicht. Sie würde alles dafür tun, alles.

Die Welt drehte sich wieder, und das viel zu schnell. Ihr wurde schwarz vor Augen, und mit einem Mal umfingen sie zwei starke Arme. Es war Will.

„Es wird alles wieder gut, Haley“, flüsterte er und strich ihr über die Haare.

Aber woher wollte er das wissen? Was, wenn es nicht wieder gut werden würde? Das würde sie sich nie verzeihen.

„Hier, trink etwas“, sagte Will und reichte Haley einen Pappbecher voll Kaffee.

Sie nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Beinahe hätte Will bei diesem Anblick gelacht, doch die Situation war zu ernst. Sie waren fast alleine in dem Warteraum, und so setzte er sich auf den freien Stuhl neben ihr und nahm selbst einen Schluck aus seinem Becher. Der Kaffee war wirklich mies, aber irgendwie mussten sie die Nacht ja überstehen.

Er blickte sich um und fragte sich, wie man in so einer Umgebung wieder gesund werden sollte. Der Warteraum war in sterilem Weiß gehalten und kahl eingerichtet. Bis auf ein paar unbequeme Stühle und kleine Tischchen mit zerfledderten Zeitschriften gab es kaum Mobiliar. An der Wand hing ein einzelnes Bild mit trübem Klippenmotiv. Es war einfach nur deprimierend.

„Du musst nicht hierbleiben“, sagte Haley leise, ohne ihn anzusehen. „Fahr ruhig nach Hause. Auf dich wartet doch sicher jemand.“

Will wunderte sich über den letzten Satz. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er gedacht, dass es sie stören würde, wenn er jemanden hätte. Doch das war nicht möglich. Dafür war Haley viel zu sehr durch den Wind. Sie war ganz blass und machte sich nicht nur große Sorgen um ihren Vater, sondern auch Selbstvorwürfe.

„Auf mich wartet niemand“, erwiderte Will. „Und selbst wenn, würde ich dich doch in so einer Situation nicht alleine lassen.“

Haley warf ihm einen Seitenblick zu, und sein Herz schlug seltsamerweise schneller. Für den Bruchteil einer Sekunde war die alte Vertrautheit wieder da. Er hatte nie verstanden, warum sie sauer auf ihn gewesen war, aber er wusste, dass er seinen Anteil an ihrer zerbrochenen Freundschaft trug. Manchmal bereute er, dass es so gekommen war.

„Was soll ich denn machen, wenn …?“ Haley brach ab, und ihre Augen glitzerten verdächtig. „Das ist alles meine Schuld. Wenn ich nur nicht …“

„Ganz ruhig“, sagte Will. Er stellte seinen Kaffeebecher auf den Boden und legte einen Arm um sie. „Du trägst keine Schuld, also mach dir bitte keine Vorwürfe.“

„Aber …“

„Kein aber“, unterbrach er sie. „Dein Vater hat schon länger Probleme mit dem Herzen.“

„Ganz genau, und ich habe nichts davon gemerkt. Was bin ich denn für eine Tochter, wenn ich nicht mitbekomme, dass es meinem Vater schlecht geht?“

In Gedanken versunken drückte er ihr einen Kuss auf den Scheitel und streichelte ihr sanft über den Rücken. „Dein Vater wollte dich eben nicht belasten. Ich kann das gut verstehen. Du bist seine Tochter, und er hat gedacht, dass er alleine zurechtkommt.“

„Oh Gott“, schluchzte Haley. Will spürte, wie ihre warmen Tränen den Ärmel seines Hemds durchnässten. Mit der freien Hand zog er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. „So habe ich das noch gar nicht gesehen. Er hat mich um Hilfe gebeten, und ich habe ihn einfach abgewiesen.“

Er unterdrückte ein Seufzen. „Nein, so habe ich das nicht gemeint. Das ist eine schwierige Situation. Es tut mir leid, dass ich dir ebenfalls Druck gemacht habe. Jeder hat das Recht, sein eigenes Leben zu führen.“

Vielleicht wäre es sogar das Beste, wenn er alleine die Leitung der Firma übernehmen und Haley ihm nicht ins Handwerk pfuschen würde. Der Gedanke stieß ihm sauer auf, und Will schüttelte den Kopf. Nein, so etwas durfte er in dieser Situation einfach nicht denken. Es war nicht richtig. Außerdem hatte er sich irgendwie auch schon darauf gefreut, mit Haley zusammenzuarbeiten.

Sie schnäuzte sich die Nase und sah ihn an. „An sich schon, aber als Teil einer Familie hat man nun mal auch eine gewisse Verantwortung zu tragen. Ich wollte es nur nicht wahrhaben. Und jetzt liegt mein Vater hier im Krankenhaus und kämpft um sein Leben.“ Wieder traten ihr Tränen in die Augen.

„Hör bitte auf, dir Vorwürfe zu machen, Haley. Das bringt uns nicht weiter. Niemand weiß, wie es gekommen wäre, wenn du dich anders entschieden hättest. Ich weiß nur, dass dein Vater stark ist. Er wird das schon packen.“

„Danke“, flüsterte sie und nickte.

Einen Moment sahen sie sich einfach nur an. Will spürte, dass die alte Freundschaft noch nicht ganz erloschen war. Ein winziger Funken glühte noch, und vielleicht könnte er ihn wieder anfachen, wenn er es nur richtig anstellte. Doch dann rief er sich seine Taten in Erinnerung und verwarf den Gedanken. Wenn sie erst einmal die Wahrheit erfahren würde, gab es keine Hoffnung mehr für sie beide …

„Dein Vater …!“ Haleys Mutter kam völlig außer Atem und aufgelöst in den Raum.

Haleys Herzschlag setzte einen Moment aus und schlug dann doppelt so schnell weiter. Sie sprang auf und lief ihrer Mutter entgegen. „Was ist mit Dad?“, presste sie hervor.

„Es geht ihm gut“, sagte Sarah und weinte vor Erleichterung. „Er muss sich noch schonen und darf sich nicht anstrengen oder aufregen, aber er wird sich wieder erholen.“

„Oh, Gott sei Dank“, flüsterte Haley und fiel ihrer Mutter um den Hals. „Mum, es tut mir so leid. Ich habe alles falsch gemacht.“

Ihre Mutter strich ihr etwas unbeholfen über den Rücken. „Schon gut, Kind. Wir machen alle mal Fehler.“

„Und ich will meinen wiedergutmachen“, sagte Haley entschlossen. „Dürfen wir zu ihm?“

Sarah löste sich aus der Umarmung und sah ihre Tochter an. „Ganz kurz, ja. Aber bitte …“

„Keine Sorge“, unterbrach Haley sie. „Ich werde nichts sagen, was ihn aufregen könnte. Er soll nur wissen, dass ich seinen Platz in der Firma einnehmen werde.“ Sie war selbst ein wenig überrascht über ihre Worte. Gleichzeitig wusste sie jedoch, dass sie sie ernst meinte. Sie war es ihrem Vater schuldig, dass sie es zumindest versuchte.

Sarahs Augen weiteten sich vor Überraschung und Freude. „Oh, Haley, das ist großartig. Er wird sich so darüber freuen. Ich danke dir.“

Haley winkte ab und lächelte ihrer Mutter zu. Dann drehte sie sich zu Will um, der mit den Händen in den Hosentaschen vor der Stuhlreihe im Warteraum stand. Er sah erleichtert aus, aber auch irgendwie unbeholfen. „Würdest du kurz hier warten?“, fragte sie. „Ich will schnell zu meinem Vater, aber es wäre nett, wenn du mich danach nach Hause bringst. Bis Montag wartet viel Arbeit auf mich.“

Er nickte und schien ein Grinsen zu unterdrücken. „Natürlich warte ich auf dich.“

„Danke, William“, sagte Sarah und nahm ihre Tochter am Arm. Gemeinsam liefen sie die endlosen Flure entlang. „Es ist wirklich nett, dass William die ganze Zeit über hiergeblieben ist.“

„Ja, das ist es“, stimmte Haley zu.

Sie war froh, dass sie die Stunden der Ungewissheit nicht alleine hatte ertragen müssen. Und beim Gedanken an ihren ersten Arbeitstag mit Will spürte sie tatsächlich eine gewisse Vorfreude, auch wenn sie versuchte, diese zu ignorieren.

3. KAPITEL

Die erste Euphorie war vorüber, und Haley war nervös. Es würde viel Arbeit auf sie zukommen. Das hatte sich schon an der Außenfassade der Firma gezeigt. Als modern konnte man den Sitz von Green Energy nun wirklich nicht bezeichnen. Ein neuer Anstrich musste her, ebenso ein neues, moderneres Firmenlogo. Und das wäre nur der Anfang.

Als Haley nun im Aufzug nach oben in den sechsten Stock fuhr, warf sie einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, der ihr gegenüber direkt an der Tür angebracht war. Ihre langen Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt und zu einem Knoten aufgesteckt. Das Kostüm saß wie angegossen, allerdings fragte sie sich, ob der Bleistiftrock nicht etwas zu sexy für ihren ersten Tag im Büro war.

Entschieden schüttelte sie den Kopf. Jetzt war es ohnehin zu spät, um noch etwas an dem Outfit zu ändern. Die Türen öffneten sich mit dem obligatorischen Pling – und Haley stand William gegenüber. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, der perfekt mit ihrem hellgrauen Kostüm und ihrer perlmuttfarbenen Bluse harmonierte und in dem er einfach nur gut aussah. Sein Anblick machte sie noch nervöser.

Er schluckte. Das konnte sie daran erkennen, dass sich sein Adamsapfel bewegte.

„Will, du bist ja schon da“, sagte sie und trat zu ihm. „Warum bist du nicht hineingegangen?“ Sie deutete mit dem Kopf den Gang entlang.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich dachte mir, dass es schöner ist, wenn wir unseren ersten Tag gemeinsam starten. Du siehst übrigens gut aus.“

Er lächelte, und sie konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. Unwillkürlich musste sie an ihren ersten Tag im Kindergarten und auch an ihren ersten Tag in der Schule denken. Jedes Mal war er für sie da gewesen, hatte sie an die Hand genommen und dadurch ihre Angst verjagt. Auch an diesem ersten Tag war er für sie da, und obwohl er nicht nach ihrer Hand griff, gab es ihr Kraft, mit ihm an ihrer Seite den Flur entlangzugehen. Vor ein paar Tagen noch hätte sie das nie für möglich gehalten.

Die Absätze ihrer schwarz-weiß karierten Peeptoes klapperten auf dem Holzboden und kündigten ihre Ankunft an, lange bevor man sie sehen konnte. Hoffentlich mögen mich die Leute, dachte sie mit einem neuen Anflug von Panik.

„Das wird schon“, sagte Will, als ob er ihre Gedanken erraten hätte. „Du bist Peters Tochter, sie werden dich alleine deshalb respektieren.“

Haley blieb stehen und sah ihn an. „Bist du sicher?“, fragte sie leise. „Ich habe doch überhaupt keine Ahnung von dem Business.“ Das vor William zuzugeben, fiel ihr in diesem Moment leichter als erwartet. Mittlerweile hatte sie sich schon mehrmals gefragt, wie sie sich auf die ganze Sache hatte einlassen können. Fast das ganze Wochenende hatte sie Akten und Bücher gewälzt, doch sie hatte kaum ein Wort verstanden.

Will unterdrückte ein Lachen. „Das ist egal, immerhin ist es dein erster Tag. Hauptsache, du siehst professionell aus, und das tust du. Ach, und Haley, merk dir eins: Angestellte sind wie Hunde. Du darfst ihnen nicht zeigen, dass du Angst hast.“

Lachend schüttelte sie den Kopf, atmete einmal tief durch und ging weiter. Chrissy, gleichzeitig Empfangsdame und Sekretärin ihres Vaters, sprang sofort auf, als sie Haley und Will kommen sah. Will schien ihr zu gefallen, denn bei seinem Anblick wurde sie ein wenig rot.

„Haley, wie schön, dass Sie hier sind. Mr Fitzgerald.“ Chrissy reichte beiden die Hand.

„Sagen Sie einfach Will zu mir“, bot William lächelnd an. „Wie ich sehe, haben sich die Mitarbeiter schon alle im Konferenzraum versammelt.“

Chrissy nickte glücklich. „Kaffee und Gebäck sind auch schon vorbereitet. Kann ich sonst noch etwas tun?“

Haley schüttelte den Kopf. „Nein, danke, Chrissy. Gehen Sie doch schon mal vor und schenken Kaffee ein. Wir kommen sofort.“

Chrissy machte sich auf den Weg, und Haley schaute ihr angespannt hinterher. Die Angestellten versuchten zwar, neugierige Blicke zu vermeiden, doch ganz wollte es ihnen nicht gelingen. Hoffentlich würde sie sich nicht allzu sehr blamieren. Sie sah kurz zu Will, dann straffte sie die Schultern und folgte der Sekretärin in den Konferenzraum.

„Wie geht es dir, Dad?“ Haley saß, die Beine übereinander geschlagen und den Telefonhörer in der Hand, auf ihrem Schreibtisch im ehemaligen Büro ihres Vaters und blickte aus dem Fenster. Die Dämmerung setzte bereits ein, und sie war inzwischen alleine im Büro. Eigentlich hatte sie ihren Vater ja noch im Krankenhaus besuchen wollen, doch nun war es zu spät dafür.

„Mir geht es gut“, antwortete ihr Vater. „Erzähl lieber ein wenig von dir. Wie war dein erster Tag?“

„Anstrengend, aber besser als erwartet. Will ist mir wirklich eine große Hilfe.“ Und das sagte sie nicht einmal, um ihrem Vater eine Freude zu machen. Sie hatte ja versucht, sich einzureden, dass sie das Ganze nur tat, um Will auf die Finger schauen zu können, aber nun musste sie zugeben, dass das so nicht ganz stimmte. Natürlich entsprach es der Wahrheit, dass ihr bei dem Gedanken, ein Fremder würde das Familienunternehmen leiten, nicht ganz wohl war. Aber sie musste auch zugeben, dass sie jemanden brauchte, der ihr das Tagesgeschäft erklären konnte. Und Will hatte tatsächlich Ahnung von alledem.

„Das freut mich“, sagte Peter. „Ich wusste, dass ihr zwei ein tolles Team seid.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich danke dir, Haley. Am Anfang ist es vielleicht ein bisschen schwer, sich einzuarbeiten, aber du schaffst das schon.“

„Keine Sorge“, antwortete sie. „Ich habe nicht vor, gleich nach dem ersten Tag das Handtuch zu werfen. Du hast mein Wort, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um die Firma mit Wills Hilfe wieder auf Vordermann zu bringen. Und dann sehen wir weiter.“

„Ihr schafft das, daran habe ich keinen Zweifel. Jedenfalls bin ich froh, dass jetzt alles seinen geordneten Gang geht. Meine Tochter gehört nun mal in meine Firma und nicht zu den OceanProtectors. Du machst mich glücklich, Haley.“

Haley schluckte. Genau genommen war sie nicht bei den OceanProtectors ausgestiegen, und sie hatte es auch nicht vor. Sie verstand nicht, warum nicht beides gehen sollte, und ein paar Zugeständnisse musste man ihr immerhin auch machen. Doch das wollte sie nicht mit ihrem Vater diskutieren, solange er nicht wieder vollkommen fit war. Es ist nur zu seinem Besten, sagte sie sich. Dennoch nagte das schlechte Gewissen an ihr. Sie wusste, dass es falsch war, ihrem Vater nichts zu sagen, aber sie wusste auch, dass er dagegen sein und sich fürchterlich aufregen würde. Und Aufregung war im Moment pures Gift für seine Gesundheit.

Zum Glück klopfte jemand an die Glastür, sodass Haley ihren Vater nicht offen anlügen musste. Sie drehte sich um und entdeckte Will, der im Türrahmen lehnte.

„Für den ersten Arbeitstag hast du genug …“, begann Will. Als er den Telefonhörer in ihrer Hand entdeckte, brach er jedoch ab. „Oh, Entschuldigung.“

Doch Haley, die ganz dankbar für die Unterbrechung war, winkte ab. „Nein, nein, alles gut.“

„William ist ja auch noch da“, hörte sie die Stimme ihres Vaters. „Dann bestell ihm schöne Grüße und genießt den Feierabend.“

Bevor Haley etwas erwidern konnte, hatte er auch schon aufgelegt. Sie legte den Hörer ebenfalls beiseite.

„Meinetwegen hättest du das Gespräch nicht beenden müssen“, sagte Will.

„Das war nur mein Vater, und wir waren ohnehin fertig.“

Will trat einen Schritt in den Raum. „Wie geht es ihm?“

Sie zuckte mit den Schultern, während sie ihre Sachen zusammenräumte. „Gut, denke ich. Weißt du, wir haben kaum über ihn geredet. In erster Linie wollte er wissen, wie es heute gelaufen ist.“

Will lachte. „Das ist doch ein gutes Zeichen, wenn du mich fragst. Machst du auch Schluss für heute?“

Haley nickte. „Ich brauche eine Pause, mein Kopf ist nicht mehr aufnahmefähig.“ Sie griff nach ihrer Tasche und löschte das Licht. Gemeinsam machten sie einen letzten Kontrollgang durch die Räume, bevor sie Richtung Fahrstuhl gingen.

„Und, bist du zufrieden?“, fragte Will. „Für deinen ersten Tag ist es doch richtig gut gelaufen, finde ich.“

„Das denke ich auch.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und Will ließ Haley den Vortritt. „Was hältst du denn davon, wenn wir das Ganze ein bisschen feiern? Ich könnte einen Happen zu essen vertragen, und du hast doch sicher auch Hunger.“

Haley zögerte und vermied es, Will anzusehen. Fragte er das jetzt als Geschäftspartner, oder sollte das so etwas wie ein Date sein? Aber was es auch war, sie konnten nicht einfach da anknüpfen, wo sie vor so vielen Jahren ihre Freundschaft beendet hatten. „Das ist sicher lieb gemeint“, antwortete sie schließlich, „aber ich halte das für keine gute Idee. Es ist schon spät, und wir müssen morgen wieder früh aufstehen.“

Er lächelte, aber es sah ein wenig gezwungen aus. „Du hast recht.“

Wieder öffneten sich die Fahrstuhltüren. Schweigend liefen die beiden nebeneinander her durchs Foyer des Gebäudes und ins Freie.

„Also dann“, sagte Haley.

„Ja, bis morgen“, antwortete Will.

Sie warfen sich noch einen kurzen Blick zu, bevor sie beide in entgegengesetzte Richtungen gingen.

Was habe ich mir nur dabei gedacht? fragte Will sich auf dem Nachhauseweg immer wieder. Vielleicht arbeiteten sie jetzt zusammen, aber das änderte nichts an den Tatsachen. Außerdem wollte sie nicht mit ihm ausgehen. Ihr Blick, beziehungsweise die Vermeidung jedes Blickes, hatte alles gesagt.

Will parkte den Wagen in der Einfahrt und stellte fest, dass er völlig in Gedanken versunken zu seinem Elternhaus anstatt nach Hause gefahren war. Er zögerte und warf einen Blick auf die Uhr, dann stieg er aus. Jetzt war er schon einmal da, drinnen brannte noch Licht, und hier würde er sicherlich eine warme Mahlzeit bekommen. Was erwartete ihn denn schon zu Hause, außer ein kühles Bier und eine Packung Chips? Er schüttelte den unwillkommenen Gedanken ab und betrat das Haus.

„Hi Mum, ich bin’s“, rief er.

„William, was für eine Überraschung!“, hörte er seine Mutter antworten. Kurz darauf betrat sie die große Eingangshalle. Sie trug einen champagnerfarbenen Seidenpyjama und kuschelige Hausschuhe.

„Störe ich?“, fragte Will. „Wolltest du schon ins Bett gehen?“

Maryse winkte ab und gab ihrem Sohn einen Kuss auf die Wange. „Ach, nicht doch. Ich hab’s mir nur mit einem Buch und einem Glas Wein vor dem Kamin gemütlich gemacht. Was machst du hier? War heute nicht dein erster gemeinsamer Arbeitstag mit Haley?“

Will nickte. „Wo ist Dad?“, fragte er, während er das Jackett und die Krawatte ablegte.

Maryse zuckte mit den Schultern und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Wer weiß das schon so genau, du kennst doch deinen Vater.“

Das hieß also, dass er mal wieder bei einer seiner Geliebten war. Will verkniff sich jeglichen Kommentar. Es brachte nichts, mit seiner Mutter über eine Trennung oder gar Scheidung zu sprechen. In den Kreisen, in denen sich die Fitzgeralds bewegten, ließ man sich nun mal nicht scheiden. Man arrangierte sich.

„Nun sag schon, wie war euer erster Arbeitstag? Ist Haley gut zurechtgekommen?“ Seine Mutter wollte schon wieder ins Wohnzimmer gehen.

„Warte mal“, meinte Will. „Hast du vielleicht noch ein paar Reste vom Lunch übrig? Ich komme um vor Hunger.“

„Ach, das tut mir leid. Wir haben heute außer Haus gegessen. Aber ich mach dir ein paar Blaubeerpfannkuchen, wenn du willst.“

„Wahnsinnig gern, Mum.“ Seine Mutter machte einfach die besten Pfannkuchen in ganz England. Das Rezept hatte sie von ihrer Großmutter, die Amerikanerin war. Über den Zweig der Verwandtschaft wurde jedoch so gut wie nie gesprochen.

Er folgte seiner Mutter in die Küche und erzählte ihr von den Erlebnissen des Tages, während sie den Teig zusammenrührte und die Blaubeeren wusch.

„Haley ist ein richtig liebes Mädchen“, sagte Maryse, als sie die erste Kelle Teig in eine Pfanne gab.

„Schon, wobei ich sie jetzt nicht mehr als Mädchen bezeichnen würde.“

Seine Mutter schmunzelte wissend. „In der Tat, aus ihr ist eine bildhübsche Frau geworden.“ Maryse seufzte. Ihr Blick glitt durch die Küche und blieb an einem Punkt hinter seinem Kopf hängen.

Will musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, was sie betrachtete. Dort an der Wand hing das gerahmte Bild von ihm und seiner Frau Stacey. In den Boulevardmedien wurde er als begehrter Junggeselle gehandelt, aber wenn man es genau nahm, war er seit zwei Jahren Witwer. Wie immer, wenn er an Stacey dachte, krampfte sich sein Herz zusammen. Nach wie vor gab er sich die Schuld an ihrem Tod.

Maryse schüttelte den Kopf und wendete den Pfannkuchen. „Du solltest wieder heiraten, Will.“

Will, der gerade einen Schluck Wasser genommen hatte, verschluckte sich beinahe. „Heiraten? Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Bisher war stets nur die Rede davon gewesen, dass er sich endlich mal eine Freundin suchen sollte. Nicht, dass es da nicht die eine oder andere Frau gegeben hätte, aber seit Stacey war es eben nie etwas Festes gewesen.

„Ja, heiraten. Du arbeitest viel zu viel, Will, und das kann eine Beziehung ruinieren. Sieh dir deinen Vater und mich an.“

Daran, dass die Ehe seiner Eltern kaputt gegangen war, waren aber auch Dads Affären schuld! Wobei Will zugeben musste, dass sich seine Eltern schon auseinandergelebt hatten, lange bevor sein Vater das erste Mal fremdgegangen war. Trotzdem war ihm klar, dass seine Mutter recht hatte. Die Arbeit hatte auch seine Ehe ruiniert. Hätte er sich nicht unbedingt von seinen Eltern abkapseln und sein eigenes Unternehmen aufbauen wollen, würde Stacey vielleicht noch leben.

„Ich will nur nicht, dass du einmal einsam endest. Außerdem wünsche ich mir Enkelkinder.“ Sie zwinkerte ihm zu und legte den ersten Pfannkuchen auf den Teller, der vor ihm stand.

Will bestäubte den Pfannkuchen mit Puderzucker und machte sich hungrig darüber her. „Hochzeit und Enkelkinder, so so“, sagte er mit vollem Mund und schluckte. „Du weißt aber schon, dass man dafür erst einmal eine Frau braucht?“

„Ich finde ja, du und Haley hättet eure Freundschaft nie beenden sollen“, sagte Maryse leichthin, während sie erneut Teig in die Pfanne gab.

„Also erstens hat Haley die Freundschaft beendet, und zweitens … Moment mal“, unterbrach er sich selbst. „Jetzt weiß ich, woher der Wind weht. Du willst mich mit Haley verkuppeln! Aber das kannst du vergessen. Sie hasst mich.“

„Sie hasst dich nicht“, erwiderte Maryse ruhig. „Ihr zwei hattet eure Differenzen, aber mittlerweile ist doch längst Gras über die ganze Sache gewachsen. Entschuldige dich bei ihr für das, was damals passiert ist, und lade sie einfach mal zum Essen ein.“

„Das habe ich heute bereits getan“, gab Will zerknirscht zu, „und sie hat Nein gesagt.“

„Heute?“ Maryse stemmte die Hände in die Hüften. „Hast du dich vorher auch entschuldigt?“

Will schüttelte den Kopf. Er verstand immer noch nicht, warum und wofür er sich entschuldigen sollte. Und auf die Diskussion hatte er heute Abend definitiv keine Lust mehr.

„Siehst du? Außerdem war das der falsche Zeitpunkt. Die arme Haley muss von dem langen Arbeitstag doch völlig durch den Wind gewesen sein. Gib ihr ein wenig Zeit, und dann frag sie noch mal.“

Das würde er mit Sicherheit nicht tun, doch er zuckte nur mit den Schultern und wechselte das Thema.

„Kann ich mit dir reden?“, fragte Will.

Überrascht sah Haley auf. Will stand lässig an den Türrahmen gelehnt und betrachtete sie nachdenklich. Seit er sie vor ein paar Tagen abends zum Essen eingeladen hatte, hatten sie sich nur noch über die Firma unterhalten. Er war irgendwie in sich gekehrt gewesen. Aber sie musste zugeben, dass sie ein ziemlich gutes Team abgaben. Will war mehr an der örtlichen Flora und Fauna interessiert, als sie angenommen hatte. Vielleicht hatte sie ihm doch Unrecht getan, als sie vor seiner Firma demonstriert hatte. Offensichtlich steckte noch etwas von dem alten Will, der Kröten mit ihr gerettet hatte, in ihm.

„Natürlich, was gibt’s denn?“

Sie hatte ihre hohen Schuhe abgestreift und saß umringt von Zetteln und ...

Autor

Holly Baker
<p>Holly Baker dachte sich bereits Geschichten aus, noch ehe sie richtig schreiben konnte. Mit zwölf Jahren stand ihr Traum fest: Sie wollte eines Tages als Schriftstellerin arbeiten! Sie lebte ein halbes Jahr lang in Spanien, reiste durch das Land und sammelte Eindrücke für ihren ersten Roman „Mein spanischer Sommer der...
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