Julia Bestseller - Anne Mather 1

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Kann ich dir je verzeihen?

Rachel ist überzeugt: Ihr Mann hat sie betrogen! Das wird sie ihm nie verzeihen. Auch nicht, als sie Ben nach der Trennung wieder trifft. Was für ein Schock, als sie merkt, dass seine erotische Anziehungskraft noch immer auf sie wirkt! Trotzdem will sie die Scheidung …

Das Glück in meinen Armen

Vom ersten Augenblick ist Patrick von der faszinierenden Isobel hingerissen. Angeblich ist sie die Geliebte seines Schwagers. Aber je näher er ihr kommt, desto größer wird sein Zweifel - und sein Verlangen. Ist diese sinnliche Frau wirklich eine eiskalte Ehebrecherin?

Ich bin doch noch verlobt!

Was habe ich nur getan? Felicity schwankt zwischen Entsetzen und reinem Glück: In seiner leidenschaftlicher Umarmung hat sie nicht nur die Unschuld, sondern auch ihr Herz an den geheimnisvollen Oliver verloren. Dabei steht sie kurz vor der Hochzeit - mit einem anderen Mann …


  • Erscheinungstag 11.06.2008
  • ISBN / Artikelnummer 9783863499914
  • Seitenanzahl 399
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Mather

JULIA BESTSELLER

ANNE MATHER

Kann ich dir je verzeihen?

Auch nach zweijähriger Trennung hofft Ben auf eine Versöhnung mit seiner Frau, der immer noch seine ganze Liebe gehört. Jetzt verlangt Rachel die Scheidung, weil sie wieder heiraten will. Höchste Zeit für Ben, aus London zurückzukehren und mit allen Mitteln um Rachel und die gemeinsame Tochter zu kämpfen. Hat er überhaupt noch eine Chance?

Das Glück in meinen Armen

Isobel weiß kaum, wie ihr geschieht. Das Bild des gut aussehenden Patrick mit seinem durchtrainierten Körper und den intensiven grün-braunen Augen geht ihr nicht aus dem Kopf. Eine gemeinsame Liebesnacht ist unausweichlich – und einfach wundervoll. Aber schon kurz darauf liegt ihr Glück in Scherben: Sie erfährt, wer Patrick wirklich ist …

Ich bin doch noch verlobt!

Offiziell tritt Oliver als Begleiter und Liebhaber der zwielichtigen Rose Chen auf. Keiner ahnt seinen wahren Beruf. Auch die mädchenhafte Felicity nicht, zu der er sich mehr und mehr hingezogen fühlt. Schließlich kann er seine Liebe zu der jungen Pfarrerstochter nicht länger verbergen – und es kommt beinahe zu einer Katastrophe …

1. KAPITEL

Rachel goss sich eine zweite Tasse Kaffee ein und tat so, als beachte sie ihre kleine Tochter nicht, die mürrisch am Küchentisch saß. Anschließend sortierte Rachel die Post, die, wie meistens, aus Reklamezetteln und Rechnungen zu bestehen schien.

Wenigstens ist heute nur eine Rechnung dabei, stellte Rachel erleichtert fest. Doch im nächsten Moment fuhr sie zusammen, als sie den Umschlag öffnete und las, welchen erschreckend hohen Betrag die Elektrizitätsgesellschaft von ihr verlangte. Ich muss Daisy unbedingt ermahnen, mit Strom sparsamer umzugehen, nahm sie sich vor. Sobald das Kind aus der Schule kam, schaltete es wie selbstverständlich alle möglichen Geräte ein, aber nicht wieder aus. Vor allem der Fernseher lief pausenlos.

„Du willst Mr. Barrass doch nicht wirklich heiraten, oder, Mummy?“, meldete Daisy sich nun zu Wort, stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah ihre Mutter flehentlich an.

„Bist du nicht schon etwas spät dran für die Schule?“, lenkte Rachel ab. „Und hol bitte deine Turnschuhe aus dem Badezimmer. Wenigstens waren sie diesmal nicht völlig verschmutzt, wie letztens, als du vom Jogging kamst …“

„Mummy“, unterbrach Daisy sie eindringlich. „Du kannst doch nicht einfach so tun, als würde mich das nichts angehen. Wenn du tatsächlich Mr. Barrass heiraten willst, solltet ihr mich auch um meine Meinung fragen, finde ich. Ich will nämlich nicht in seinem düsteren alten Gebäude wohnen, sondern hier bleiben, wo ich gern bin. Hier ist doch unser Zuhause.“

„Ich weiß.“ Rachel seufzte. „Leider kann man jedoch nicht immer tun, was man möchte. Simon kann nicht hier bei uns leben, das habe ich dir doch schon so oft gesagt.“

„Warum nicht, Mummy?“

„Das habe ich dir auch mehrmals erklärt.“ Rachel nahm ihre Tasse und trug sie zur Spüle. „Kingsmead ist eine Farm, die Simon selbst bewirtschaftet, weshalb er auch dort wohnen muss. Hinzu kommt, dass dieses Haus deinem Vater gehört, und ich glaube nicht, dass er begeistert wäre, wenn ein anderer Mann einzieht.“

„Hast du Daddy schon gesagt, was du vorhast?“, erkundigte sich Daisy gespannt.

„Nein.“ Rachel ließ heißes Wasser ins Spülbecken laufen. Sie hatte sich bereits gefragt, ob die Kleine ihrem Vater gegenüber Simon Barrass erwähnt hatte, doch offensichtlich hatte Daisy das nicht getan.

„Weshalb nicht?“

Mühsam verkniff sich Rachel eine schroffe Bemerkung. „Daisy, wir haben jetzt keine Zeit mehr, um darüber zu sprechen. Wasch dir die Hände und hol deine Schulmappe. Du willst doch nicht den Bus verpassen, oder?“

„Das wäre mir egal“, erwiderte Daisy trotzig und blieb sitzen. Rachel fand es schade, dass ihre Tochter Simon sofort abgelehnt hatte, bevor sie ihn überhaupt richtig kannte.

„Mach dich jetzt fertig“, befahl Rachel, obwohl sie am liebsten weiter mit Daisy geredet und versucht hätte, sie zur Vernunft zu bringen. Störrisch dreinblickend gehorchte die Kleine. Es würde viel Geduld nötig sein, um sie zu überzeugen, dass ein Umzug nach Kingsmead für alle Beteiligten das Beste war. Daisy brauchte wieder einen Vater, und Simon war der ideale Kandidat für diese Rolle.

Das erinnerte Rachel an die unangenehme Aufgabe, die ihr bevorstand. Im Laufe des Tages musste sie Ben anrufen und ihm von ihren Plänen berichten. Und ihn um die Scheidung bitten, dachte sie nervös. Sie hätte nie erwartet, diejenige zu sein, die schließlich die Ehe auch offiziell beenden wollte.

Daisy kam im Mantel und mit der Schultasche in die Küche zurück. Während Rachel sie anschaute, bemerkte sie wieder einmal, wie rasch ihre Tochter groß wurde. Als sie selbst in diesem Alter gewesen war, hatte man sie als Kind betrachtet. Daisy hingegen zeigte schon das kritische Bewusstsein einer Heranwachsenden.

„Fertig?“, fragte Rachel betont fröhlich, doch Daisy reagierte ziemlich unwirsch.

„Als ob dir das nicht egal wäre“, murmelte sie und suchte in ihren Manteltaschen nach den fingerlosen Handschuhen, die sie vom letzten Besuch in London mitgebracht hatte. „Ach, Mummy, Miss Gregory hat mich gebeten, dir das zu geben“, fügte sie hinzu und überreichte Rachel einen zerknitterten Zettel, auf dem für Helfer beim Flohmarkt der Schule geworben wurde. „Da du letztes Jahr geholfen hast, dachte sie, du würdest es dieses Jahr vielleicht wieder tun. Ich sagte ihr allerdings, dass du wahrscheinlich zu beschäftigt seist … mit Mr. Barrass und allem.“

Rachel verzog den Mund. Sie glaubte nicht, dass Daisy mit der Lehrerin über ihre, Rachels, Privatangelegenheiten gesprochen hatte, vor allem nicht über Simon Barrass. Offensichtlich wollte sie jetzt ihre Mutter nur herausfordern.

„Ach, und was hat Miss Gregory dazu gemeint?“, erkundigte sich Rachel betont freundlich.

Daisy wurde rot. „Ich kann mich nicht erinnern“, erwiderte sie missmutig, ging ans Fenster und blickte hinaus. „Da ist der Bus. Jetzt muss ich sausen.“

Rachel begleitete sie hinaus, gab ihr einen Kuss und sah ihr nach, als sie den Weg entlangrannte und vor dem Tor den gelben Kleinbus bestieg, der sie zu einer Privatschule in Cheltenham brachte. Im Nachbardorf gab es zwar eine Grundschule, doch Ben hatte darauf bestanden, seine Tochter in die Lady’s Mount Akademie zu schicken. Da er das Schulgeld bezahlte, konnte Rachel nichts dagegen einwenden. Außerdem fühlte sich Daisy in Lady’s Mount wohl.

Nachdem Rachel die Haustür geschlossen hatte, betrachtete sie wehmütig die Eingangshalle mit den getäfelten Wänden, den dunklen Deckenbalken und dem rustikalen Kamin. Beim Anblick dieses Raums waren Rachel und Ben sieben Jahre zuvor sofort von Haus Wychwood begeistert gewesen. Und selbst nach allem, was inzwischen geschehen war, wusste sie, dass sie ihr Heim vermissen würde, wenn sie auszog.

Es war ein so freundliches, helles Haus mit viel Platz für eine große Familie, die sie und Ben damals geplant hatten, als sie einzogen. Nun verloren sie und Daisy sich förmlich in den weitläufigen Zimmern. Wie zwei Erbsen in einer großen Schachtel, dachte Rachel traurig. Es wurde Zeit auszuziehen, auch wenn es ihnen schwerfiel.

Nun werde nicht trübsinnig, ermahnte sie sich, ging in die Küche zurück und wusch rasch das Geschirr ab. Danach eilte Rachel die Treppe hinauf, um einen Hauch Make-up aufzulegen: ein bisschen Lidschatten, etwas Rouge und bräunlichen Lippenstift, der zu ihrem kastanienbraunen Haar passte.

Auf dem Weg nach oben warf sie kurz einen Blick in Bens ehemaliges Arbeitszimmer. Nachdem er samt seinen persönlichen Sachen ausgezogen war, hatte sie vorgehabt, ein Nähzimmer daraus zu machen, doch dazu war es nie gekommen. Nun erinnerte der Raum eher an eine Rumpelkammer. Dass jemand darin gearbeitet hatte, konnte man nicht mehr erkennen. Und genau das hatte Rachel beabsichtigt.

Nach der Trennung hatte er darauf bestanden, dass sie weiterhin mit Daisy in Wychwood wohnte. Offiziell war Rachel ja immer noch Bens Ehefrau. Das zu ändern stand ihr noch bevor, je eher, desto besser, wie Simon meinte …

Als Rachel schließlich das Haus verließ, brach die blassgelbe Sonne durch die Wolken. Bisher war es ein regnerischer Vorfrühling gewesen, und die Triebe der Krokusse und Narzissen ragten zerzaust aus den nassen Beeten. Am Wochenende muss ich unbedingt die Rosensträucher stutzen, dachte Rachel, während sie auf dem Weg zur Garage an den dornigen Büschen vorbeiging. Und das Glashaus musste gründlich aufgeräumt werden, wenn sie dieses Jahr Tomaten anbauen wollte.

Aber im kommenden Sommer werde ich das Glashaus nicht mehr betreiben, fiel Rachel gleich darauf ein. Simon hatte vorgeschlagen, dass sie und Daisy während des Scheidungsprozesses in ein Cottage auf seinem Anwesen ziehen sollten – eins der kleinen Häuser, die eigentlich für die Farmarbeiter gedacht waren. Das sei vernünftiger, hatte Simon behauptet und darauf hingewiesen, dass die Fahrt von seiner Farm nach Upper Morton ihn zwanzig Minuten koste, hin und zurück also fast eine Dreiviertelstunde.

„Und denk mal daran, wie viel Benzin ich einspare, wenn ich nach dem Besuch bei dir einfach zu Fuß nach Hause gehen kann“, hatte er noch erklärt.

Ja, finanziell brachte es auch für Rachel Vorteile, Simons Vorschlag anzunehmen, weil sie dann nicht mehr für die Erhaltung von Wychwood aufkommen musste, was eine ziemliche Belastung für sie darstellte. Im Cottage würde sie mietfrei wohnen, wie Simon ihr versichert hatte, und ihr war es in letzter Zeit immer schwerer gefallen, sich über Wasser zu halten.

Zwar hätte Rachel Ben bitten können, die Unterhaltszahlungen zu erhöhen, doch dazu war sie zu stolz. Am liebsten hätte sie jegliche Unterstützung abgelehnt, aber das wäre Daisy gegenüber nicht fair gewesen, die dann auf vieles hätte verzichten müssen. Außerdem hatte Ben seine Familie im Stich gelassen. Er war schuld am Scheitern der Ehe, also sollte er auch dafür bezahlen. Schließlich konnte er sich das ohne persönliche Einschränkungen leisten.

Wenn ich Ben jetzt um die Scheidung bitte, müsste er eigentlich erleichtert sein, weil wir ihm nicht mehr auf der Tasche liegen, redete sich Rachel ein. Im nächsten Moment bezweifelte sie das jedoch wieder. Was Daisy betraf, war er erstaunlich besitzergreifend, und er würde es sicher ablehnen, dass zukünftig ein anderer Mann die Hauptrolle in Rachels und Daisys Leben spielen sollte.

Zwar hatte Ben keinen Einwand erhoben, als Rachel bei der Trennung das Sorgerecht für ihre Tochter beantragte, doch das war zwei Jahre her … Und damals hatte er keinen Rivalen fürchten müssen. Eins war jedoch ziemlich sicher: Ben würde es nicht gutheißen, dass Daisys Leben erneut durcheinandergebracht wurde.

Na, beim ersten Mal war es nicht meine Schuld, dachte Rachel trotzig, als sie rasch durch das malerische Dorf Upper Morton fuhr. Auf den ersten Blick waren sie und Ben damals vom Ort begeistert gewesen, hinzu kam, dass sie dort ihr Traumhaus gefunden hatten. Dies hatte den Entschluss, aufs Land zu ziehen, besiegelt.

Anfangs waren sie glücklich gewesen. Sogar überschwänglich glücklich, wenn man bedachte, welches Risiko sie auf sich genommen hatten mit einer Hypothek für das Haus, obwohl sie nicht immer wussten, woher sie das Geld für die Raten nehmen sollten, da Ben als freier Journalist arbeitete.

Doch es war viel schöner gewesen als in der engen Londoner Wohnung. Hier gab es einen Garten, in dem Daisy ungefährdet spielen konnte, und genug Platz für Ben, um ungestört zu arbeiten. Auch genug Platz für die vielen Kinder, die sie hatten haben wollen … Doch das Schicksal hatte es nicht so gewollt. Wäre unsere Ehe anders verlaufen, wenn ich noch mehr Kinder hätte haben können? überlegte Rachel nun. Gewiss wäre Elena Dupois nie bei uns aufgetaucht, wenn ich nicht beschlossen hätte, wieder zu arbeiten.

Rachels Lohn hätten sie ja eigentlich nicht mehr benötigt, um über die Runden zu kommen, denn Ben hatte damals einen großzügigen Vorschuss auf seinen ersten Roman, einen Thriller über den Krieg auf den Falkland Inseln, erhalten. Der Agent sprach sogar von Verkaufsrechten fürs Ausland und Angeboten von Filmstudios. Daraufhin hatte Ben wie ein Besessener an seinem zweiten Buch gearbeitet.

Rachel fragte sich manchmal, ob sie sich wegen Bens umwerfenden Erfolgs als Schriftsteller so minderwertig gefühlt hatte, nachdem sein erster Roman sofort in die Bestsellerlisten gelangt war. Und was hatte sie vorzuweisen gehabt? Ein Studium an der Kunsthochschule, einen Job bei einem der großen Londoner Auktionshäuser, eine Tochter … und zwei Fehlgeburten.

Damals hatte der Arzt Rachel zwar versichert, dass körperlich mit ihr alles in Ordnung sei, und vorgeschlagen, sie solle einfach einige Monate abwarten, bevor sie erneut versuchte, schwanger zu werden. Doch dagegen hatte sie sich gewehrt. Sie war zu deprimiert, erschöpft und ihr Selbstwertgefühl zu angeschlagen gewesen, um noch eine Schwangerschaft zu riskieren. Als Ben sie dennoch zu einem weiteren Kind hatte überreden wollen, hatte Rachel ihm Gefühllosigkeit vorgeworfen, und nachdem sie ihm schließlich gesagt hatte, sie wolle sich lieber einen Job suchen, hatte er behauptet, sie sei auf seinen beruflichen Erfolg neidisch. Das war der kritische Punkt in unserer Ehe, gestand sich Rachel ein. Ben hatte angenommen, es genüge ihr nicht mehr, nur Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu sein. Sie hatte darauf keine überzeugende Erwiderung gefunden, da sie ihm ihre verworrenen Empfindungen nicht erklären konnte. Eine Kluft war zwischen ihnen aufgebrochen, und Ben hatte seine eigenen Schlüsse daraus gezogen.

Und ausgerechnet in dieser problematischen Zeit betrat Elena Dupois sozusagen die Szene. Da Ben sich nicht um Daisy kümmern konnte, während Rachel arbeitete, hatten sie annonciert, dass sie ein Aupair-Mädchen suchten. Elena hatte sich beworben. Sie hatte bis dahin in der Nähe für eine Familie gearbeitet, die jedoch wegzog, und da Elena in der Gegend bleiben wollte, war sie bereit, die neue Stelle sofort anzutreten.

Rachel presste die Lippen aufeinander. Warum hatte sie damals die Anzeichen nicht eher erkannt? Elena, jung und hübsch, hatte vom ersten Moment an keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für Ben gemacht. Ständig hieß es: „Monsieur Ben sagt dies“, „Monsieur Ben sagt das“, bis Rachel am liebsten gebrüllt hätte, dass „Monsieur Ben“ schließlich nicht die einzige Person im Haus sei.

Doch Elena hatte mit Daisy gut umgehen können, und genauso, wie Daisy sich jetzt gegenüber einer schwierigen Situation blind stellte, hatte es Rachel damals getan. Sie hatte einfach nicht wahrhaben wollen, was direkt vor ihrer Nase geschah, nicht glauben wollen, dass Ben sie mit der jungen Französin betrog.

So lange nicht, bis Rachel eines Vormittags unerwartet nach Hause kam und die beiden in einer Situation ertappte, die man nur kompromittierend nennen konnte. Auch jetzt noch, zwei Jahre danach, hatte Rachel sich von dem Schock nicht erholt. Sie hatte sich schrecklich elend gefühlt. Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte sich so lange versteckt, bis sie später hätte wiederkommen und so tun können, als wäre nichts passiert.

Aber nein, Ben hatte sie gestützt, als sie schwankte, hatte ihr ein Glas Wasser gereicht und sie anschließend ins Schlafzimmer geführt, damit sie sich hinlegen und ausruhen konnte. Und dabei hatte er nichts weiter am Körper gehabt als ein Handtuch um die Hüften.

Natürlich hatte Ben sich zuerst herauszureden versucht. Dann hatte er die Schuld auf Elena, Rachel und alle anderen geschoben, nur nicht bei sich selbst gesucht. Und als sie ihm nicht zuhören wollte, hatte er sie angeschrien. Er warf ihr vor, dass es Monate her sei, seit sie sich zuletzt geliebt hatten. Also hatte es doch an ihr gelegen, dass er sich anderweitig umgesehen hatte.

Eine Woche nach diesem Vorfall war Ben ausgezogen, was Rachel allerdings erst einige Zeit später festgestellt hatte. Direkt nach der Auseinandersetzung hatte sie einige Sachen in den Koffer geworfen und war mit Daisy für zwei Wochen zu ihrer verwitweten Mutter gefahren, die in Kensington lebte. Rachel hatte die Zeit genutzt, um Pläne für die Zukunft zu machen, und kehrte erst nach Upper Morton zurück, als sie sich sicher war, was sie unternehmen wollte.

Auf keinen Fall erwartete sie, dass Ben in der Zwischenzeit ausgezogen sein könnte, weil das Haus ja ihm gehörte. Rachel hatte vielmehr vermutet, dass er es nach der Trennung verkaufen würde.

Er hatte sich jedoch hartnäckig dagegen ausgesprochen. Nachdem er einen Brief von Rachels Anwalt erhalten hatte, in dem offiziell die Trennung gefordert wurde, war Ben an einem nebeligen, kalten Nachmittag im November in Wychwood aufgetaucht und hatte Rachel informiert, dass er sich gegen ihre Bemühungen, das Sorgerecht für Daisy zu erhalten, wehren würde, falls Rachel seine Pläne sabotiere. Seine Tochter solle wenigstens nicht unter der völlig unbegründeten Bitterkeit Rachels leiden, hatte Ben gesagt. Daisy würde mit ihrer Mutter in Wychwood bleiben, weil er das so wünsche, und er wolle weiterhin für die Hypothekenzinsen des Hauses aufkommen. Sie, Rachel, sei eine egoistische und eigensüchtige Person, hatte er hinzugefügt, aber er sah ein, dass Daisy vermutlich bei ihrer Mutter glücklicher sein würde.

Insgeheim hatte sich Rachel damals gedacht, dass Ben froh war, nicht die Verantwortung für eine lebhafte Siebenjährige übernehmen zu müssen. Schließlich war er wieder ein freier Mann, ein wohlhabender und erfolgreicher noch dazu. Warum er allerdings nicht gleich die Scheidung beantragte, verstand Rachel immer noch nicht.

Na ja, vielleicht hatte es Ben als Vorteil empfunden, eine Ehefrau und eine Tochter sozusagen im Hintergrund zu haben. Zum einen bewies das seine Männlichkeit, falls es dafür überhaupt einen Beweis brauchte … Zum anderen konnte Ben dadurch wahrscheinlich vermeiden, sich in ernsthafte Affären zu verstricken.

Seit der Trennung hatten die Klatschreporter etliche Frauen mit Ben in Verbindung gebracht, allerdings war Elena Dupois nie erwähnt worden. Anscheinend hatte Ben das Interesse an ihr verloren, sobald der Reiz der Neuheit, mit einem blutjungen Mädchen zu schlafen, verflogen war. Auch über das Baby, das Elena angeblich damals von Ben erwartete, hatte Rachel nie wieder etwas gehört.

Vermutlich ist es zur Adoption freigegeben worden, vielleicht aber unterstützt Ben ja auch Elena und das Kind finanziell … Doch ich will das gar nicht wissen, sagte sich Rachel nun. Diese Phase ihres Lebens war endgültig vorbei und abgeschlossen.

Gelegentlich fragte sie sich, was Daisy von der Trennung hielt. Die Erklärung, Mummy und Daddy würden mehr Zeit für sich selbst brauchen, hatte genügt, solange Daisy klein war, doch seit kurzem wollte sie wissen, welche Gründe wirklich dahintersteckten. Vor allem, seit Simon Barrass in Rachels Leben getreten war. Daisy zeigte offen, wie wenig sie den stämmigen Farmer mochte, und hatte ihre Mutter einmal sogar gefragt, warum diese nicht einfach Ben bat, wieder mit ihr zu leben, wenn sie unbedingt einen Mann brauchte.

Ja, wenn Daisy damals bei der Trennung älter gewesen wäre, hätte ich ihr die Wahrheit sagen können, dachte Rachel. So aber hatte sie zu Ausflüchten Zuflucht nehmen müssen, um der Kleinen nicht alle Hoffnungen zu zerstören, und da Rachel sonst sehr ehrlich war, war ihr das schwergefallen.

Und jetzt muss ich also Ben mitteilen, dass ich mich scheiden lassen möchte, dachte sie unangenehm berührt. Insgeheim hatte sie irgendwie gehofft, Daisy würde die Vorarbeit leisten, indem sie Ben von Simon erzählte. Immerhin waren Rachel und Simon schon seit einiger Zeit befreundet, und Daisy besuchte an einem Wochenende pro Monat ihren Vater.

Bei diesen Anlässen erschien ein Chauffeur in Wychwood, der Daisy abholte und sie zu Ben in dessen luxuriöse Wohnung am Elton Square in London brachte. Dort kümmerte sich die Haushälterin um die Kleine, vor allem, wenn Ben Gäste empfing oder zum Essen ausging. Er war nämlich bei literarischen Veranstaltungen und Presseempfängen sehr gefragt.

Rachel wusste das ganz genau, weil sie jeden Artikel, den sie über ihn in der Zeitung entdeckte, ausschnitt und sammelte. Für Daisy, redete Rachel sich ein, obwohl sie sich unwillig eingestand, dass sie noch immer Stolz verspürte, wenn sie Bens Namen gedruckt sah. Schließlich hatte sie sein Talent als Autor erkannt, bevor es ihm selbst bewusst geworden war. Es war Rachels Idee gewesen, dass er seinen Job als Journalist aufgeben und sich als freier Schriftsteller versuchen solle, was sein geheimer Wunsch gewesen war. Dass Ben auf Anhieb Erfolg hatte, war natürlich sein Verdienst gewesen, jedoch wäre es ohne ihre Ermutigung vielleicht nie dazu gekommen …

Rachel war so mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie beinahe an dem kleinen Antiquitätengeschäft vorbeigefahren wäre, in dem sie arbeitete. Der Laden lag an der Hauptstraße des Dorfs. Mr. Caldwell, der Besitzer, legte großen Wert darauf, im Schaufenster etwas auszustellen, das bei möglichen Kunden sofort Interesse weckte.

Zurzeit bildete ein dreibeiniger Barocktisch, auf dessen Mahagoniplatte eine verschnörkelte chinesische Uhr stand, den Blickfang. Rechts und links neben dem Tisch befanden sich ebenfalls barocke Sessel, und auch wenn sie nicht so kostbar wie der Tisch waren, riefen sie jenen einheitlichen Eindruck hervor, auf den es Mr. Caldwell ankam.

Sie parkte ihren Volkswagen auf der Rückseite des Geschäfts und überquerte den Hinterhof. Mr. O’Shea, der schon viele zerkratzte und lädierte Möbelstücke so restauriert hatte, dass sie wie gut erhaltene Originale wirkten, arbeitete bereits in der Werkstatt. Er war ein fröhlicher Mensch, der stets ein freundliches Wort und ein Lächeln für Rachel übrig hatte.

„Endlich ist der Frühling da“, verkündete er gut gelaunt. „Warum sehen Sie so besorgt aus, Rachel? Hat sich Caldwell, der alte Drachen, schon wieder beklagt?“

„Oh nein.“ Um Rachels Mundwinkel zuckte es unwillkürlich. „Sie sollten so etwas nicht sagen, Mr. O’Shea. Sie bringen mich sonst noch in Schwierigkeiten.“

„Unsinn, Rachel. Der Chef wird sich so leicht nicht von Ihnen trennen. Sie sind zu wertvoll für ihn, Rachel, weil Sie eine gute Nase haben, wie ich Ihnen immer sage. Und das ist die reine Wahrheit.“

„Ja, ja, Sie sind ein Schmeichler“, erwiderte sie trocken und bewunderte die Politur, die er einer intarsienverzierten Truhe verpasste. „Ist das die zweihundert Jahre alte Truhe, die Caldwell in Worcester gekauft hat? Die wird ja traumhaft. Sie haben sie wirklich fantastisch restauriert.“

„Ach, da sind Sie ja endlich, Rachel.“ Mr. Caldwell erschien im Hof, und damit war das ungezwungene Gespräch mit Mr. O’Shea zu Ende. Während sie ihrem Chef durch den vollgeräumten Flur in den Laden folgte, überlegte Rachel, und zwar nicht zum ersten Mal, dass die Feuerwehr das Geschäft wegen erhöhten Brandrisikos eigentlich sofort schließen müsste. Jeder verfügbare Quadratzentimeter war mit Kisten bedeckt, und gerahmte sowie ungerahmte Bilder und Leinwände stellten ein ständiges Risiko für ihre Knöchel und Beine dar.

Trotz allem liebte Rachel ihren Job, denn sie ging gern mit alten Gegenständen um, ja, sie genoss es, wie sie rochen und sich anfühlten. Das Diplom der Kunsthochschule war Rachel wie ein Passierschein in die Welt der Kunst erschienen, doch ihren jetzigen Arbeitgeber beeindruckte Rachels untrügliches Gefühl für Formen, Farben und die kleinsten Einzelheiten eines Kunstobjekts. Diese Fähigkeit hatte sie in den Jahren, die sie nun schon für Cyril Caldwell arbeitete, immer wieder bewiesen. Er würde wahrscheinlich nicht sehr begeistert sein, wenn sie ihm von ihrem Vorhaben, sich wieder zu verheiraten, erzählte, denn er nahm sich sehr wichtig und erwartete, dass sich alles um ihn drehte.

Rachel fragte sich, ob sie ihn gleich über ihre Pläne informieren sollte, bevor die dörflichen „Buschtrommeln“ ihm davon berichteten …

„Ich muss heute weg“, verkündete Caldwell jedoch, während er ihr in den Verkaufsraum voranging. „Im Herrenhaus von Romanby sollen außer Ramsch auch einige Meißner Porzellanfiguren versteigert werden, deshalb will ich zur Auktion, bevor die Konkurrenz die Figuren in die Finger bekommt. Sie werden hier doch allein mit allem fertig, Rachel? Übrigens könnten Sie die Kisten mit Gläsern auspacken. Außerdem gibt es bei den Belegen, die Parker uns geschickt hat, einige Unstimmigkeiten, wie mir scheint. Wenn Sie das überprüfen würden …“

Rachel zögerte. Es war vielleicht nicht der beste Moment, um ihre Neuigkeiten mitzuteilen. Allerdings konnte es sogar günstiger sein, Caldwell jetzt über ihre Pläne zu informieren, da er keine Zeit hatte, mit ihr stundenlang darüber zu diskutieren. „Ich wollte Ihnen noch etwas sagen …“, begann sie daher.

„Später, Rachel, ja?“ Mr. Caldwell schaute demonstrativ auf seine Taschenuhr und klopfte auf die Innentasche seines Jacketts, um festzustellen, ob er das Scheckbuch und den Katalog eingesteckt hatte.

„Okay Mr. Caldwell.“ Rachel gab nach, denn sie wollte nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass ihr Chef die Meißner Figuren nicht ersteigerte, falls er sich verspätete.

„Schön“, erwiderte er geistesabwesend. Dann eilte er in dem abgetragenen Tweedanzug aus dem Laden.

Die Türglocke klingelte melodisch, während Caldwell das Geschäft verließ, und Rachel seufzte erleichtert, als er seinen alten Kombi draußen bestieg. Jetzt lächelte sie. Zwar war Caldwell häufig missgelaunt, aber er hatte sie unterstützt, als sie es am meisten brauchte. Und das erinnerte sie daran, dass sie ja noch Ben anrufen musste …

2. KAPITEL

Mit einem unbehaglichen Gefühl in der Magengegend wählte Rachel Bens Londoner Telefonnummer, die sie noch immer auswendig wusste. In der ersten Zeit der Trennung hatte sie ihn häufig anrufen müssen, da er sich damals strikt weigerte, mit ihrem Anwalt zu verhandeln.

Verärgert stellte Rachel fest, dass ihre Hände zitterten. Sei nicht so feig, tadelte sie sich, Ben kann nicht wie ein Flaschengeist aus dem Hörer steigen und dir etwas antun. Sie wollte ihn ja nur bitten, die Ehe endgültig zu beenden, die seit zwei Jahren nur noch auf dem Papier bestand. Über Bens jetziges Leben wusste Rachel nicht Bescheid, ebenso wenig wie er über ihres. Höchste Zeit also, den Schlussstrich zu ziehen.

Als sie nach langer Wartezeit auflegen wollte, wurde am anderen Ende abgenommen.

„Ja bitte? Hier bei Ben Leeming“, meldete sich eine Frau.

Rachel verkrampfte sich unwillkürlich. Am liebsten hätte sie etwas Boshaftes gesagt und dann aufgelegt, aber sie riss sich zusammen. Was geht es mich an, wer Bens Anrufe entgegennimmt? ermahnte sie sich. Schließlich wollte sie sich ja nicht mit ihm versöhnen. Ganz im Gegenteil.

Trotzdem missfiel ihr der kühle Ton ihrer Gesprächspartnerin, der so klang, als wäre der Anruf lästig.

Unsinn, ermahnte sich Rachel. Ich leide ja fast schon an Verfolgungswahn. „Mit wem spreche ich denn?“, fragte sie ausweichend. Sie mochte ihren Namen nicht einer von Bens Freundinnen mitteilen. Sollte er doch selbst ans Telefon gehen, wenn er wissen wollte, wer ihn anrief.

„Ich bin Karen Simpson, Mr. Leemings Sekretärin“, erwiderte die andere Frau nach kurzem Zögern. „Möchten Sie ihn sprechen? Wenn Sie mir Ihren Namen nennen, werde ich mich erkundigen, ob Mr. Leeming Zeit für Sie hat.“

Seine Sekretärin! Rachel lächelte ironisch. Man konnte das wohl auch anders bezeichnen. Soviel sie wusste, hatte Ben noch nie eine Sekretärin gehabt. Außerdem hätte Daisy sicher davon erzählt, wenn er tatsächlich eine Schreibkraft beschäftigte.

„Er hat bestimmt Zeit für mich“, sagte Rachel unnötig schroff. „Ich bin Mrs. Leeming, Bens Ehefrau.“ Fast trotzig betonte sie das Wort. „Könnten Sie ihn bitten, kurz ans Telefon zu kommen?“

„Seine Frau?“ Das klang beeindruckt.

Oder nur überrascht? fragte sich Rachel kläglich. Ich benehme mich nicht gerade wie eine reife erwachsene Frau, gestand sie sich ein und wünschte sich, einfach auflegen und den Anruf noch mal von vorn machen zu können.

„Ja genau“, antwortete sie weniger nachdrücklich. „Ist Mr. Leeming da? Ich möchte ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen.“

„Einen Moment bitte, Mrs. Leeming.“

Rachel wartete und schlang dabei nervös die Telefonschnur um die Finger.

„Rachel?“, fragte plötzlich eine ihr sehr vertraute dunkle Stimme.

„Hallo, Ben.“ Rachels Kehle fühlte sich plötzlich trocken an. „Tut mir leid, falls ich dich störe.“

„Ich kann durchaus eine kleine Pause vertragen“, erklärte er kurz angebunden. „Was ist los? Ist Daisy etwas passiert?

Dass er zuerst an seine Tochter dachte, was eigentlich ganz verständlich war, ärgerte Rachel. Ich bin auch noch da, hätte sie am liebsten gerufen, für mich dreht sich nicht alles um Daisy.

Reiß dich zusammen, ermahnte Rachel sich. Wenn sie Ben schon anrief, statt ihm zu schreiben, musste sie ihm auch die Wahrheit sagen.

„Daisy geht es gut“, antwortete Rachel und zerbrach sich den Kopf, was sie Positives über ihre Tochter berichten konnte, mit der sie zurzeit ständig Auseinandersetzungen hatte. „Die Schule macht ihr anscheinend Freude, und sie hat viele Freundinnen, wie sie dir ja sicher selbst schon erzählt hat. Ach ja, und ich bin gebeten worden, bei dem jährlichen Flohmarkt zu helfen, der nächste Woche am Samstag stattfindet. Letztes Jahr habe ich einen der Stände betreut.“

„Bin ich zum Flohmarkt eingeladen?“

„Was?“ Einen Moment lang war Rachel verwirrt von dem unerwarteten Einwurf. „Nein, deshalb rufe ich dich nicht an“, erklärte sie hastig. „Wir besuchen doch nicht gemeinsam Schulveranstaltungen. Immerhin haben wir ausgemacht, einander nicht in die Quere …“

„Na gut“, unterbrach er sie scharf. „Ich hätte wissen müssen, dass du uns drei nicht wieder als glückliche Familie zu präsentieren gedenkst. Also, weshalb rufst du an? Ich bin ziemlich beschäftigt, wie Karen dir vielleicht gesagt hat.“

„Ach, deine Sekretärin“, erwiderte Rachel scheinbar freundlich, obwohl sie nur mühsam ihren Zorn zügelte. „Ich wusste gar nicht, dass du jetzt eine hast. Daisy hat nie etwas erwähnt. Ist Karen schon länger bei dir?“

„Was geht dich das an? Na los, Rachel, verrat schon, was du auf dem Herzen hast. Du wolltest dich doch sicher nicht nur über mein Personal erkundigen. Hast du beschlossen, mein Angebot anzunehmen, dass ich die Unterhaltszahlungen erhöhe? Ich könnte sie rückdatieren, wenn du möchtest. Eine größere Summe Bargeld käme dir wahrscheinlich gelegen, oder?“

„Du zahlst nicht mir den Unterhalt“, entgegnete Rachel hitzig, denn es ärgerte sie, dass Ben glaubte, sie wäre knapp bei Kasse. Das stimmte zwar, doch darum ging es hier nicht.

„Okay.“ Ben klang jetzt gelangweilt. „Aber wenn du nicht Daisys und nicht des Geldes wegen anrufst, weshalb denn dann? Als ich letztens mit dir reden wollte, hast du behauptet, wir hätten einander nichts mehr zu sagen.“

Rachel seufzte. „Ach Ben, lass uns nicht streiten. Tut mir leid, wenn ich dich in einem unpassenden Moment störe, aber ich war mir nicht sicher, ob ich dich heute Abend erreiche. Also, eigentlich hätte ich dir besser schreiben sollen, denn Anwälte haben ja alles lieber schwarz auf weiß, damit es keine Missverständnisse gibt. Allerdings hast du dich ja sonst auch nie mit Mr. Cockcroft auseinandergesetzt, deshalb wollte ich, bevor ich mich an ihn wende, zuerst dir Bescheid geben. Aus reiner Höflichkeit, ob du’s glaubst oder nicht …“

„Moment mal“, unterbrach Ben ungeduldig ihren wirren Bericht. „Worüber redest du eigentlich, Rachel?“

„Über die Scheidung“, platzte sie heraus, bevor sie es sich anders überlegen konnte. „Ich möchte mich scheiden lassen, denn ich habe einen netten Mann kennen gelernt, und wir wollen heiraten.“

Am anderen Ende herrschte Stille. Fast so, als hätte Ben einfach aufgelegt, doch bei all seinen Fehlern war er kein Feigling, sondern stellte sich stets einer Herausforderung. Und das hier ist eine, erkannte Rachel verspätet. Zumindest war seine Autorität bedroht, wenn schon sonst nichts.

Die Stille hielt an, bis Rachel meinte, ihre Nerven müssten vor Anspannung zerreißen.

Dann hörte sie endlich wieder Bens Stimme. „Darüber müssen wir tatsächlich sprechen“, meinte er ruhig.

Erleichtert seufzte Rachel auf. „Deshalb rufe ich dich ja an. Ich dachte, wenn wir die Einzelheiten jetzt regeln, könntest du dich anschließend mit deinem Anwalt in Verbindung …“

„Nein!“

Das klang so schroff, dass Rachel zusammenfuhr. „Wieso nein?“

„Du hast mich missverstanden.“

Nun war sie völlig verwirrt. „Also kann ich mich nicht von dir scheiden lassen, oder was? Sag mir doch, was du meinst. Ich kann auch nicht den ganzen Vormittag telefonieren, weil ich ebenso wie du arbeiten muss.“

Wie um die Behauptung zu bekräftigen, klingelte in dem Moment die Glocke an der Ladentür, und ein mittelgroßer kräftiger Mann mit breiten Schultern betrat das Geschäft. Er trug einen Tweedanzug, Gummistiefel, und sein schütter werdendes blondes Haar war von einer Cordkappe bedeckt.

Simon! Normalerweise hätte sich Rachel gefreut, ihn unerwartet zu sehen, doch jetzt betrachtete sie ihn nervös. Wenn er hörte, was sie zu Ben sagte, glaubte Simon vielleicht, ihr Ehemann würde sie einzuschüchtern versuchen. Dass dieser sie betrogen und ihr Kummer bereitet hatte, verübelte Simon ihm, und er hatte schon gedroht, sich persönlich mit Ben zu befassen, falls der Schwierigkeiten wegen der Scheidung machen würde. Zwar glaubte Rachel nicht, dass es zwischen den beiden Männern zu Handgreiflichkeiten kommen könnte, falls sie sich je begegneten, doch sie wollte nichts riskieren.

„Wir müssen jetzt Schluss machen“, sagte sie hastig ins Telefon. Simon durfte nicht wissen, mit wem sie sprach. Er schaute zu ihr hinüber, und sie lächelte ihm zu. „Kann ich später nochmal anrufen? Gerade ist ein Kunde erschienen.“

„Ach ja?“, fragte Ben ironisch.

Am liebsten hätte Rachel ihm gründlich die Meinung gesagt, wollte ihn jedoch nicht verärgern. Wahrscheinlich war es sogar gut, das Gespräch abzubrechen, damit er Zeit hatte, die überraschende Neuigkeit in Ruhe zu überdenken.

„Ja“, bestätigte Rachel kühl, während Simon zu ihr trat und sie hinters Ohr küsste, was sie sich ziemlich unwillig gefallen ließ. „Eine Sekunde, dann bin ich fertig“, versicherte sie Simon leise, wobei sie den Hörer mit der Hand abdeckte. „Also, kann ich später nochmals anrufen?“, erkundigte sie sich daraufhin bei Ben in geschäftsmäßigem Ton, da Simon sich auf die Schreibtischkante gesetzt hatte.

„Okay, Rachel. Grüße Daisy.“

„Das tue ich.“ Damit legte Rachel auf und merkte danach erst, dass sie sich nicht verabschiedet hatte. Neugierig betrachtete Simon sie. Hatte er etwa Bens letzte Worte gehört?

„Ein schwieriger Kunde?“ Fragend zog Simon die Brauen hoch.

Rachel wusste nicht, was sie antworten sollte. „Nein, nicht schlimmer als üblich“, erklärte sie ausweichend und tat so, als suche sie etwas in den Schubladen, denn sie fühlte, dass sie rot geworden war. Immerhin war sie keine gute Lügnerin. Außerdem wusste sie nicht, warum sie eigentlich Ausflüchte machte. Ben hatte sich schließlich nicht geweigert, über die Scheidung zu reden.

Jetzt zog Rachel irgendeinen Katalog heraus und sah Simon ausdruckslos an. „Du bist ein unerwarteter Kunde, Simon.“

„Aber hoffentlich nicht unwillkommen?“, erwiderte er und lächelte.

„Natürlich nicht“, log Rachel und ließ zu, dass er ihre Hand zwischen seine beiden Hände nahm und kräftig drückte. „Ich dachte nur, dass du mit der Saat beschäftigt bist.“

„Das wären ja schöne Zustände auf der Farm, wenn ich jetzt erst säen würde“, erklärte Simon missbilligend und strich ihr über das Handgelenk. „Du musst noch viel über die Landwirtschaft lernen, und ich werde es dir mit Vergnügen beibringen. Na, wo ist denn dein Chef, der komische alte Kauz?“

„Was willst du denn von Mr. Caldwell?“, erkundigte sich Rachel sehr verwundert.

Simon ließ ihre Hand los. „Ich fahre heute Vormittag nach Bristol und wollte dich mitnehmen. Wo steckt Caldwell? Ich muss ihn doch fragen, ob ich dich ihm entführen darf.“

„Er ist nicht hier“, erwiderte Rachel, verärgert darüber, dass Simon sie nicht einmal fragte, ob sie Lust hatte, ihn nach Bristol zu begleiten. „Mr. Caldwell ist bei einer Auktion, und ich weiß nicht, wann er zurückkommt. Wahrscheinlich erst in einigen Stunden.“

„Verdammt.“ Simon fluchte gereizt. „Du kannst wahrscheinlich den Laden nicht im Stich lassen, oder? So ein Mist. Je eher du hier deinen Job aufgibst, desto besser.“

Rachel schluckte krampfhaft. Der Tag war bisher nicht besonders gut verlaufen, und anscheinend wurde es immer schlimmer. „Ich hoffe, noch viele Jahre für Mr. Caldwell zu arbeiten“, erklärte sie. „Mir gefällt meine Arbeit. Ich dachte, du wüsstest das und würdest verstehen, wie wichtig mir der Job ist.“

Simon wurde rot, was ihn jünger und weniger selbstgefällig aussehen ließ, und Rachel verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil sie so heftig reagiert hatte. Das ist alles nur Bens Schuld, dachte sie, verärgert, weil ihr Ehemann ihr immer noch im Kopf herumspukte. Eigentlich hätte sie sich ja freuen müssen, dass Simon gekommen war und sie zu einer Fahrt mitnehmen wollte. Immerhin war er am Abend vorher erst gegen Mitternacht von Wychwood nach Hause aufgebrochen.

„Ja, ich weiß, wie sehr du deinen Job schätzt“, erwiderte Simon eindringlich. „Du sollst ihn natürlich nicht sofort aufgeben. Aber wir haben so wenig Zeit füreinander. Daisy, die ich zwar sehr gern habe, wie du weißt, schwirrt doch ständig um uns herum, wenn ich dich besuche.“

Rachel biss sich auf die Unterlippe. Ja, Daisy benahm sich tatsächlich sehr lästig, sobald Simon auftauchte. Anscheinend versuchte sie unbewusst, den Rivalen ihres Vaters zu vertreiben. Erst wenn Rachel und Ben offiziell geschieden waren, würde Daisy vermutlich akzeptieren, dass die Ehe ihrer Eltern gescheitert war.

„Ja, sie ist manchmal etwas schwierig“, gab Rachel zu. „Aber wir beide sind immerhin ungestört, wenn Daisy im Bett liegt.“

„Na ja, jedenfalls wenn ihr nicht übel wird oder sie ein Glas Wasser möchte oder eine Spinne in ihrem Zimmer entdeckt hat.“

Nun musste Rachel lachen. „Es stimmt, sie hat viele Vorwände, um uns zu stören. Doch wenn Ben und ich endlich geschieden sind …“

„Was gar nicht schnell genug passieren kann“, unterbrach Simon sie. „Dann sollte es wirklich einfacher werden, vorausgesetzt, dein Mann versucht nicht, zu viel Einfluss auf die Kleine auszuüben. Es wäre vielleicht günstig, Rachel, wenn du eine Änderung im Sorgerecht beantragst. Dahingehend, dass du auch über Daisys Schule entscheiden darfst. Wenn du auf Kingsmead lebst, wäre es sehr umständlich, Daisy weiterhin nach Lady’s Mount zu schicken. In Lower Morton gibt es eine ausgezeichnete Schule …“

„Darüber sollten wir uns ein andermal unterhalten“, unterbrach Rachel ihn hastig, denn sie konnte über dieses Thema nichts sagen, bevor sie nicht alles mit Ben besprochen hatte. Selbst wenn er am Telefon vorhin ziemlich umgänglich geklungen hatte, bedeutete das nicht unbedingt, dass Ben ihre Zukunftsplanung gleichgültig hinnahm. Nein, Rachel musste ihn unbedingt abends nochmals anrufen und versuchen, ihn zu einer endgültigen Entscheidung zu drängen. Und zwar zur Scheidung. Er musste einfach einsehen, dass das die beste Lösung war.

„Gut, reden wir ein andermal darüber“, meinte Simon nachgiebig. Wenigstens einer, der Rücksicht auf meine Wünsche nimmt, dachte Rachel, und er fuhr fort: „Na, dann werde ich mich jetzt allein auf den Weg machen. Wenn ich heute Mittag in Bristol im Restaurant sitze und ein Steak genieße, denke ich an dich, Schatz.“

„Ja, tu das.“ Rachel begleitete Simon zur Tür und ließ sich von ihm küssen. Daraufhin verabschiedete er sich.

„Ich besuche dich heute Abend“, verkündete er und trat auf die Straße. „So um sieben Uhr, okay?“

„Ach, ich …“ Rachel suchte nach Worten. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir uns heute nicht sehen? Ich … ich muss irgendwann mit Ben sprechen, und das wollte ich eigentlich heute tun.“

„Ohne dass ich dich dabei belausche, was?“, fragte Simon trocken. „Deshalb hast du ihn vorhin am Telefon wohl so kurz abgefertigt. Vergiss nicht, Daisy die Grüße von ihm zu bestellen“, fügte Simon hinzu.

„Das hast du also gehört?“

„Ja, trotz meines fortgeschrittenen Alters funktioniert mein Gehör noch recht gut“, erwiderte er spöttelnd. „Warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass er dich angerufen hat? Ich dachte, wir beide hätten keine Geheimnisse voreinander.“

„Das haben wir auch nicht. Übrigens hat nicht Ben mich angerufen, sondern ich ihn“, berichtigte Rachel verlegen. „Ich wollte dich nicht in die Sache hineinziehen, solange es nicht nötig ist.“

„Alles, was du tust, betrifft auch mich“, erklärte Simon und sah Rachel ernst an. „Doch ich respektiere deinen Wunsch, dass du allein mit deinem Ehemann verhandeln willst. Wenn es jedoch Schwierigkeiten mit der Scheidung gibt …“

„Das wird es nicht.“ Verstohlen klopfte Rachel hinter ihrem Rücken drei Mal gegen den Türrahmen.

„Hoffentlich nicht.“ Simon schlug mit einer Faust in die Handfläche der anderen Hand. „Schließlich willst du ja nichts von Ben. Du beendest nur etwas, was schon vor langem hätte beendet werden sollen.“

Mr. Caldwell kehrte erst nach fünf Uhr von der Auktion zurück und verlangte einen ausführlichen Bericht über die Ereignisse des Tages von Rachel.

Als sie zu Hause ankam, war es schon nach sechs Uhr. Später sah Rachel zu, wie Daisy hungrig einen Teller Fischstäbchen und Pommes Frites verspeiste, während sie selbst kaum etwas anrührte. Nach dem anstrengenden Tag fühlte Rachel sich nicht mehr in der richtigen Verfassung, auch noch Ben anzurufen.

Rachel beschloss, sich ausnahmsweise ein Glas Wein zu gönnen, und öffnete die Flasche Weißwein, die für das Abendessen mit Simon gedacht gewesen war. Doch das hatte sie ja abgesagt.

Mit dem Glas in der Hand ging Rachel ins Wohnzimmer und blickte sich wehmütig um. Es würde ihr schwerfallen, von hier wegzuziehen, wo sie sich seit sieben Jahren zu Hause fühlte – und wo sie einmal glücklich gewesen war und vielleicht immer noch glücklich wäre, wenn Ben nicht alles zerstört hätte …

Daisy stand mit hängenden Schultern zum Fenster. Die Vorhänge waren noch nicht zugezogen, die Töpfe mit Frühlingsblumen auf dem Fensterbrett spiegelten sich in der Scheibe. Die Kleine zupfte missmutig an den zarten Trieben, und Rachel dachte unwillkürlich, wie sehr ihre Tochter Ben ähnelte, von Jahr zu Jahr mehr. Nicht nur im Aussehen mit ihren widerspenstigen dunklen Locken, sondern auch vom Temperament her. Draußen war es schon dunkel, aber die Tage wurden schon spürbar länger. In ein, zwei Monaten würde man abends wieder im Freien sitzen können … allerdings nicht im Garten von Wychwood, wie Rachel sich wieder einmal ins Gedächtnis rief. Wenn es nach Simon ging, würde sie mit Daisy in den Osterferien auf seine Farm ziehen.

Dieser Gedanke stimmte Rachel nachgiebig. Der Umzug würde für Daisy nicht einfach werden, auch wenn sie beide letztlich davon profitierten. Das Leben in einem Häuschen auf der Farm bedeutete eine große Umstellung. Und sie, Rachel, hatte ja wenigstens Simon …

Während sie zu ihrer Tochter trat, erhellte das Licht von Autoscheinwerfern den Raum. Kurz war Motorengeräusch von der Auffahrt her zu hören, dann wurde es wieder still. Und noch bevor Daisy erfreut aufjubelte, wusste Rachel, dass nicht Simon vorgefahren war.

„Daddy! Da kommt Daddy“, rief Daisy und hopste begeistert herum. Strahlend lächelte sie ihre Mutter an. „Hast du gehört? Daddy ist da. Wusstest du, dass er herkommt? Bleibt er länger hier?“

Nicht, wenn es nach mir geht, dachte Rachel gereizt, als ihre Tochter zur Haustür stürzte, um aufzumachen. Das hatte gerade noch gefehlt. Rachel seufzte. Sie hätte sich denken können, dass sie Ben nicht mit einem Anruf für immer loswurde.

Unwillkürlich strich sich Rachel über das Haar, das sie immer noch lang trug, so, wie es Ben gefallen hatte. Als ob es jetzt darauf ankäme, wie ich aussehe, sagte sie sich, war jedoch beruhigt, dass der Zopf sich immer noch ordentlich anfühlte. Mit den schicken Frauen, mit denen Ben in London ausging, wie sie aus den Zeitungsartikeln über ihn wusste, konnte sie allerdings nicht konkurrieren. Und das möchte ich auch gar nicht, redete sich Rachel ungeduldig ein.

Außerdem sah sie Ben ja seit dem schrecklichen Morgen, als sie ihn mit Elena zusammen ertappt hatte, nicht zum ersten Mal wieder. Kurz nach der Trennung war er einige Male nach Wychwood gekommen, um vergessene Bücher und Unterlagen zu holen. Allerdings hatte er Rachel jedes Mal vorher davon informiert, und sie hatte meistens einen Vorwand gefunden, das Haus so lange zu verlassen.

Doch das alles lag schon über ein Jahr zurück. Aus der Halle hörte sie Bens Stimme, und die Kehle wurde Rachel trocken.

Ben wird mich nicht aus der Fassung bringen, redete sie sich ein. Dennoch waren ihre Hände eiskalt, und sie verspürte ein unangenehmes Kribbeln im Magen.

Sie musste allen Mut zusammennehmen, um dem Mann gegenüberzutreten, der einmal ihr ganzes Glück bedeutet hatte. Meine Güte, war ich damals naiv, dachte Rachel bitter. Und sosehr ich Simon auch liebe, er wird nie diese Macht über mich besitzen, schwor sie sich. Kein Mann würde die jemals wieder haben.

3. KAPITEL

„Hallo Rachel!“

Obwohl Ben gerade mit Daisy scherzte und deren stürmische Begrüßung lachend abzuwehren versuchte, hatte er Rachel anscheinend zur offenen Wohnzimmertür kommen hören. Er richtete sich auf, befahl seiner Tochter, sich zu benehmen, und strich sich das Haar zurück. Offensichtlich war er nicht nachgiebig und versöhnlich gestimmt, denn er blickte feindselig drein.

„Hallo“, erwiderte Rachel und musste sich zwingen, nicht unauffällig festzustellen, ob ihr Rock wenigstens richtig saß und der Blusensaum ordentlich im Bund steckte. Womöglich hatte sie sogar eine Laufmasche …

„Wie geht es dir, Rachel?“, erkundigte sich Ben beiläufig. In dem schwarzen Kaschmirpullover und einer schwarzen Hose wirkte er kühl und selbstsicher – und tat außerdem ganz so, als wäre er hier zu Hause.

Aber es ist nur sein Haus, nicht mehr sein Zuhause. Wie kann er es wagen, mich zu behandeln, als wäre ich der ungebetene Gast? dachte Rachel wütend.

„Mir geht es gut“, antwortete sie eisig. „Und dir?“

„Ich bin müde“, behauptete Ben, obwohl davon nichts zu bemerken war. Im Gegenteil, er wirkte fit, schlank, muskulös und umwerfend männlich … und er war so groß, dass Rachel zu ihm aufsehen musste, was ihr nicht oft bei einem Mann passierte, da sie einen Meter fünfundsiebzig maß.

Simon, der nur ebenso groß war wie sie und deswegen einen leichten Komplex hatte, ermutigte sie immer, flache Schuhe zu tragen, wenn sie gemeinsam ausgingen.

„Wenn du so müde bist, warum hast du dann den weiten Weg von London hierher auf dich genommen?“, erkundigte sich Rachel ohne eine Spur von Mitgefühl. „Da ich dir sagte, ich würde dich heute Abend anrufen, hättest du dir den Besuch sparen können.“

„Das finde ich nicht.“ Ironisch verzog Ben die Lippen und schaute auf Daisy, die seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. „Wenn es um meine Tochter geht, ist mir keine Mühe zu groß.“

„Daisy ist auch meine Tochter“, erwiderte Rachel heftig und ermahnte sich gleich darauf, auf keinen Fall die Beherrschung zu verlieren. Wahrscheinlich war Ben nur deshalb unvermutet aufgetaucht, weil er wusste, dass Rachel dann aus der Fassung geraten und somit im Nachteil sein würde.

„Willst du Daddy nichts zu trinken anbieten?“, mischte sich Daisy vermittelnd ein, der die Spannung zwischen ihren Eltern nicht entgangen war. „Mummy hat gerade eine Flasche Wein aufgemacht“, erklärte die Kleine ihrem Vater arglos. „Soll ich dir ein Glas holen? Du kannst dich inzwischen mit Mummy ins Wohnzimmer setzen.“

„Dein Vater darf nicht trinken, wenn er Auto fahren muss“, sagten Ben und Rachel wie aus einem Mund, und Daisy schaute bang von einem zum anderen.

„Aber er muss heute doch nicht mehr Auto fahren, oder?“, fragte sie stirnrunzelnd ihre Mutter, bevor sie sich an ihren Vater wandte. „Du willst doch nicht gleich wieder nach London zurück, Daddy?“

„Nicht sofort, nein.“

Rachel errötete. Wie typisch für Ben, dann zu kommen, wenn er wusste, dass Daisy noch nicht im Bett war und seine Partei ergreifen würde. Nun konnte Rachel ihn nicht aus dem Haus werfen, ohne sich bei ihrer Tochter völlig unbeliebt zu machen.

„Daddy ist sicher nicht den weiten Weg gekommen, nur um uns zu sehen“, erklärte Rachel ausweichend. „Wahrscheinlich will er noch Freunde hier in der Gegend besuchen.“

„Freunde, die damals eher dir als mir glaubten“, ergänzte Ben leise und ging zur Küche. „Ein Glas Wasser kann ich ja wohl haben, oder? Ich bin nämlich ziemlich durstig.“

Seufzend gab Rachel sich geschlagen. Sie konnte Ben weder ein Glas Wasser verweigern noch ein Bett für die Nacht, falls er bleiben wollte, denn Daisy würde das nicht verstehen.

Allerdings will ich ihn auf keinen Fall hier haben, dachte sie, während sie, Daisy zuliebe, spröde lächelte und Ben folgte. In den vergangenen Monaten war es Rachel endlich gelungen, alle Erinnerungen an ihn zu verdrängen. Wenn sie in der Küche Essen kochte oder im gemütlichen Wohnzimmer saß, sah sie ihn nicht länger vor dem inneren Auge, wie es ihr mindestens ein Jahr lang nach der Trennung immer wieder passiert war. Und jetzt, nachdem sie es endlich geschafft hatte, ihn weit gehend zu vergessen, verdarb er ihr wieder alles.

Aber nicht mehr lange, rief sie sich ins Gedächtnis. Wenn sie und Daisy auf Kingsmead lebten, würde sie nichts mehr an ihren Ehemann erinnern.

Er ist noch so arrogant wie früher und genauso rücksichtslos, wenn nicht alles nach seinem Willen geht, überlegte sie, während sie beobachtete, wie er sich ein Glas Wasser eingoss.

„Bist du hungrig, Ben?“, fragte sie unwillkürlich, und Daisy lächelte sie anerkennend an. Die Kleine war eine unverbesserliche Optimistin und glaubte, ihre Eltern könnten sich wieder vertragen.

Ben wandte sich, das gefüllte Glas in der Hand, zu Rachel. „Was könntest du mir denn anbieten? Nein, lass mich raten: ein Stück trockenes Brot zum Wasser.“

„Du wolltest Wasser“, entgegnete sie heftig und riss sich gleich darauf zusammen. Sie durfte sich nicht ständig von Ben aus dem inneren Gleichgewicht bringen lassen. „Mal überlegen, was ich noch habe … Ich könnte Lasagne aufwärmen oder ein Schinkenbrot machen.“

Gegen die Spüle gelehnt, warf er seiner Frau einen beunruhigenden Blick aus seinen dunklen Augen zu. Wahrscheinlich um mich einzuschüchtern, dachte Rachel, die sich ohnehin verlegen fühlte, obwohl sie dagegen anzukämpfen versuchte. Woran denkt Ben jetzt? fragte sie sich. Verglich er sie etwa mit der Frau, die er in London zurückgelassen hatte?

Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, setzte er das Glas ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin nicht hungrig“, erklärte er und schaute zum Küchentisch, auf dem noch die fettigen Teller mit Resten von Fischstäbchen und Fritten standen. „Du scheinst auch nicht viel Appetit gehabt zu haben“, bemerkte Ben beim Anblick des einen fast vollen Tellers. „Oder hat dich der Wein mehr gereizt? Du solltest Acht geben, Rachel. Allein Alkohol zu trinken kann gefährlich werden.“

Rachel verzog den Mund. „Normalerweise trinke ich nur in netter Gesellschaft“, fauchte sie.

„Ach ja?“ Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete Ben sie, und Daisy, die spürte, dass das Gespräch nicht so gut lief, mischte sich erneut ein.

„Magst du dir mein Zimmer anschauen, Daddy? Ich möchte dir meinen Computer zeigen. Er ist nicht so groß wie deiner, aber super …“

„Später, mein Schatz.“ Als Daisy versuchte, ihn mit sich zu ziehen, wehrte Ben sie sanft ab. „Erst müssen deine Mutter und ich etwas besprechen. Warum gehst du nicht rauf und siehst fern? Ich verspreche dir, nicht abzufahren, ohne mich von dir zu verabschieden.“

„Du willst doch nicht heute schon wieder weg, oder?“, fragte Daisy enttäuscht.

„Wir werden sehen“, vertröstete Ben sie und schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Sein Haar ist fast so lang wie Daisys, stellte Rachel kritisch fest. Anscheinend wollte er damit signalisieren, dass er jetzt zu den Künstlern zählte. Wenigstens trägt er noch keinen Ohrring, dachte sie bissig.

Rachel straffte die Schultern, nachdem Daisy widerwillig die Küche verlassen hatte. „Warum bist du hergekommen? Ich habe dir alles Wesentliche schon heute Morgen am Telefon berichtet. Dass ich mich scheiden lassen möchte, dürfte dich eigentlich nicht überraschen.“

„Habe ich behauptet, dass es das tut?“ Ben tat einen Schritt auf sie zu. „Aber hier mag ich nicht darüber reden. Gehen wir doch ins Wohnzimmer. Oder ist das schon besetzt?“ Spöttisch zog er die Brauen hoch.

„Wie bitte? Ach so. Nein, Simon ist nicht hier. Also gut, lass uns ins Wohnzimmer gehen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was wir beide noch zu besprechen hätten.“

„Ach nein?“ Ben zuckte die Schultern. „Simon heißt er also – und wie weiter?“

„Das kann dir doch egal sein.“ Rachel versuchte, ihren Ärger nicht zu zeigen, während sie ins Wohnzimmer voranging.

„Zur Hölle.“ Ben fluchte, und Rachel wurde es unbehaglich zu Mute. „Erwartest du wirklich, dass ich nicht mal mit der Wimper zucke, wenn du mir aus heiterem Himmel mitteilst, du willst einen anderen heiraten?“

Rachel schluckte krampfhaft und blieb angespannt stehen. „Ich dachte wirklich, es mache dir nichts aus“, erwiderte sie zögernd und verschränkte nervös die Finger. „Setz dich doch hin, Ben.“

Er blieb jedoch an der Tür stehen und sah sich kritisch um, wahrscheinlich um festzustellen, was sich seit seinem letzten Besuch geändert hatte. Ausdruckslos betrachtete Ben die neuen Vorhänge an den Fenstern und die Poster, die jetzt statt einiger Aquarelle über dem Kamin hingen.

Rachel erinnerte sich unwillkürlich daran, wie sie und Ben die Möbel für dieses Zimmer ausgesucht hatten und wie stolz sie beide damals auf das Ergebnis ihrer Bemühungen gewesen waren. Und genau deshalb hatte Rachel die Vorhänge eingemottet, die Bilder abgehängt und auf dem Dachboden verstaut, nachdem Ben ausgezogen war. Zwar hatte sie das Haus nicht völlig neu möblieren können, aber wenigstens einige kleine Veränderungen angebracht.

Während Ben im Zimmer herumging, zog Rachel die Vorhänge zu. Wie oft habe ich das in den letzten zwei Jahren gemacht und mich dabei gefragt, mit wem Ben zusammen ist und was er tut? dachte sie. Nun, heute Abend ist er hier, und das passt mir auch nicht …

„Ich möchte doch einen Drink“, bemerkte Ben hinter ihr.

Sie wirbelte herum und sah, wie er den Schrank öffnete, in dem früher Rotwein und Spirituosen aufbewahrt wurden, was jetzt nicht mehr der Fall war.

Stirnrunzelnd richtete Ben sich auf. „Wo ist der Whisky?“, fragte er gereizt. „Du bewahrst ihn jetzt im Esszimmer auf, stimmt’s? Weil nichts so bleiben sollte, wie es früher war. Die Bilder, die wir gemeinsam ausgesucht haben, hast du ja auch von der Wand genommen. Wo sind sie denn? Benutzt du sie als Zielscheibe für Wurfpfeile?“

„Wieso sollte ich?“, fragte Rachel beherrscht, worauf sie stolz war. „Es waren ja keine Porträts von dir.“

Ben lächelte sarkastisch. „Ich verstehe. Aber wo, zum Kuckuck, steckt der Whisky? Du brauchst vielleicht keinen, ich allerdings schon.“

Nach kurzem Zögern gab Rachel nach. „Der steht in der Küche, im Schrank über dem Kühlschrank. Viel Alkohol habe ich nicht im Haus, weil ich ihn erstens nicht besonders mag und er zweitens zu teuer ist.“

Kommentarlos verließ Ben das Zimmer und kehrte kurz darauf mit der Flasche und einem Glas zurück. Er schenkte sich großzügig ein, hob prostend das Glas und trank dann genießerisch.

Nervös beobachtete Rachel Ben. Was wollte er eigentlich von ihr? Er beunruhigte sie, doch das durfte sie sich nicht anmerken lassen. Mach dir keine Sorgen, er hat ja nie gedroht, dir das Sorgerecht für Daisy zu entziehen, ermutigte sie sich.

„Also …“ Ben ließ prüfend den Blick über sie gleiten, während sie aufrecht und steif dastand. „Du siehst gut aus.“

„Danke.“ Rachel erwiderte das Kompliment nicht, obwohl es gestimmt hätte: Ben sah schlanker aus als früher, dazu beneidenswert fit und gesund. Anscheinend verbrachte er nicht den ganzen Tag am Computer, um seine Romane zu schreiben, sondern fand ein bis zwei Mal pro Woche Zeit, ein Fitness-Studio zu besuchen. Es sei denn, seine Affären verschafften ihm genug körperlichen Ausgleich zur Schreibtischarbeit …

„Du hast zugenommen“, fuhr Ben fort und musterte Rachel kritisch, aber anerkennend. „Es steht dir. Ich fand dich eigentlich immer eine Spur zu dünn.“

„Und nur deine Meinung zählt, ja?“, fauchte Rachel ihn an, denn sie fühlte sich plötzlich unförmig wie ein Sack Kartoffeln. „Also wirklich! Aber ich mache mir einen …“

„Feuchten Kehricht daraus?“, warf Ben spöttisch ein.

„Einen Schei…benkleister“, bekräftigte sie nachdrücklich.

„Früher war das nicht so“, erinnerte er sie. „Na, egal. Dann erzähl doch mal von dem neuen Mann in deinem Leben. Was er von dir hält, ist dir doch sicher nicht schei… äh, gleichgültig.“

„Nein, keineswegs“, bestätigte Rachel. „Simon ist alles das, was du nicht bist: anhänglich, liebevoll – und treu.“

„Das klingt eher nach Schoßhund“, bemerkte Ben anzüglich, und Rachel hätte ihn am liebsten geohrfeigt. „Teilt Daisy übrigens deine Meinung?“

Rachel atmete scharf ein. „Daisy kennt Simon noch nicht sehr gut“, erklärte sie hastig, denn sie wollte nicht zugeben, dass sie sich über Daisys Gefühle bezüglich Simon nicht sicher war.

„Aber sie mag ihn?“, erkundigte sich Ben hartnäckig.

Rachel sah ihn an. „Ich habe sie bisher nicht direkt danach gefragt“, erklärte sie ausweichend. „Natürlich ist sie sehr loyal …“

„Mir gegenüber?“

„Nein, was unsere Ehe betrifft“, berichtigte Rachel kühl. „Anscheinend hofft Daisy, es gäbe noch eine Chance, dass du und ich … dass wir …“

„Uns versöhnen und wieder zusammenkommen?“

„Absurd, nicht wahr?“, meinte Rachel und lachte gezwungen. „Dabei habe ich Daisy erklärt, wie es um dich und mich steht. Aber sie will einfach nicht …“

„Wie steht es denn?“, unterbrach Ben Rachel. Die Frage brachte sie aus dem Konzept, und das hatte er wahrscheinlich beabsichtigt. Herablassend sah er sie an, während er, das geleerte Glas in der Hand, auf eine Antwort wartete.

Dass Ben sie nur herausfordern wollte und ihm das noch immer so leicht gelang, frustrierte Rachel. „Können wir nicht beim Thema bleiben?“, verlangte sie verlegen. „Auch wenn dir das Gespräch womöglich Spaß macht – mir jedenfalls nicht, und ich wäre dankbar …“

„Ich dachte, unsere gegenwärtige und zukünftige Beziehung wäre das Thema“, unterbrach er sie erneut. „Was hast du Daisy eigentlich als Grund für die Trennung genannt? Dass ich ein böser Verführer minderjähriger Mädchen bin?“

„Ich habe Daisy nie die Wahr…“ Rachel verstummte kurz, ehe sie ironisch fortfuhr: „Du weißt doch, dass du Daisys großer Held bist. Heutzutage sind Helden allerdings Mangelware, Daisy hat also noch nicht viele getroffen und daher überhaupt keine Vergleichsmöglichkeiten.“

„Im Gegensatz zu ihrer Mutter?“, meinte Ben, stellte das Glas ab und schob die Hände in die Hosentaschen.

Dabei schmiegte sich der Stoff eng an seine muskulösen Oberschenkel, und Rachel musste tief durchatmen, weil sie gegen ihren Willen wahrnahm, wie gut gebaut Ben war und wie sexy er aussah, was sie inzwischen fast vergessen hatte. Überhaupt hatte sie fast vergessen, dass man als Frau nicht nur auf die geistigen Qualitäten eines Manns reagierte.

Simon hatte ihr sofort gefallen, weil er freundlich und charakterfest war und ihr das Gefühl gab, für ihn etwas Besonderes zu sein. Ben hingegen hatte vom ersten Moment an erotisch anziehend auf sie gewirkt, und entsetzt stellte Rachel fest, dass er das noch immer tat, trotz des Kummers, den er ihr zugefügt hatte.

„Na, wie viele Helden sind dir denn schon begegnet?“, hakte Ben nach, woraufhin sie erst merkte, wie lange sie ihn wortlos angeschaut hatte.

„Mir? Kein einziger“, betonte sie und verschränkte schützend die Arme vor der Brust.

„Simon ist also kein Held?“

Bemüht ungerührt, erwiderte sie Bens spöttischen Blick. „Ich bin kein Kind mehr, Ben“, sagte sie kühl. „Ich brauche keinen Helden. Für mich genügt ein normaler Mann, einer, dem man nicht ständig versichern muss, dass er umwerfend ist und jede Frau im Sturm erobern könnte.“

Ben presste kurz die Lippen aufeinander. „Das ist immer noch derselbe alte Vorwurf“, bemerkte er dann gleichmütig. „Doch egal, du klingst nicht gerade hingerissen, wenn du von Simon sprichst. Ich dachte, du würdest mich zu überzeugen versuchen, dass du wahnsinnig in ihn verliebt bist.“

„Ich liebe ihn“, erklärte Rachel heftig.

„Aber du bist nicht in ihn verliebt, oder?“, ließ Ben nicht locker. „Das ist ein Unterschied.“

„Verliebt sein ist etwas für Teenager“, antwortete sie, obwohl sie es albern fand, über dieses sinnlose Thema zu diskutieren. „Simon und ich sind erwachsen und wissen, worauf es in einer guten Partnerschaft ankommt, nämlich auf Geduld, sich einander verpflichtet zu fühlen und bereit zu sein, Probleme gemeinsam zu meistern. Simon und ich werden daran arbeiten, für Daisy eine stabile Umgebung zu schaffen, in der sie ungestört aufwachsen kann.“

„Ach du meine Güte.“ Ben verzog das Gesicht. Dann setzte er sich aufs Sofa, legte die Arme auf die Rückenlehne, ein Bein über die Armlehne und blickte Rachel amüsiert an. „Du klingst ja wie eine soziologisch versierte Schulpsychologin. Seit wann bist du eigentlich so spießig?“

Wütend wollte Rachel hinausstürmen. „Falls du nur hergekommen bist, um mich zu beleidigen …“

Als sie jedoch am Sofa vorbeieilte, lehnte Ben sich vor und fasste sie beim Handgelenk. „Das bin ich nicht“, erklärte er rau.

Meine Güte, dachte sie ungläubig, Ben braucht mich nur leicht zu berühren, und schon geraten meine Gefühle in Aufruhr. Er wusste, was er tat. Wie schon immer. Und das durfte sie niemals vergessen.

„Lass mich los, Ben“, verlangte Rachel kühl. „Das klappt nicht.“

Natürlich ließ er sie nicht los, sondern strich zart mit dem Daumen über ihr Handgelenk und sah sie aus seinen dunklen Augen durchdringend an.

„Was klappt nicht?“, fragte er leise. „Darf ich dich nicht mal mehr anfassen? Früher durfte ich ganz andere Sachen mit dir machen.“

„Ben“, fauchte sie wütend. „Hör auf! Du willst mich doch nur ärgern. Was ich tue, ist dir offensichtlich völlig egal. Und zwar seit Jahren. Jetzt stört dich doch nur der Gedanke, dass ein anderer Mann mich glücklich machen kann, obwohl du es nicht geschafft hast.“

Ben senkte den Kopf, und sie beglückwünschte sich schon, dass sie ihr Ziel erreicht hatte, doch da berührte Ben ihre Haut mit der Zunge, und Rachel hatte das Gefühl, dass Stromstöße von seiner leichten Berührung ausgingen.

„Du bist mir nicht gleichgültig geworden“, wandte er rau ein. „Ich habe mich immer um dich gesorgt, ob du’s glaubst oder nicht.“

Rachel zuckte zurück, verwirrt, frustriert, traurig und zornig zugleich. Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Kannst du denn nie …“, begann sie, verstummte aber, als sie Schritte auf der Treppe hörte.

Gleich darauf ertönte Daisys klagende Stimme. „Kann ich jetzt zu euch reinkommen?“

Rachel hätte ihre Tochter am liebsten sofort wieder weggeschickt, doch Ben rief: „Ja, klar, Kleines. Wir sind im Wohnzimmer und unterhalten uns nett.“

Rachel stand im Morgengrauen auf, nachdem sie nur wenig geschlafen hatte. Sie ging nach unten in die Küche und füllte den Wasserkessel. Wenigstens bin ich nicht die Einzige, die um diese Zeit auf ist, dachte sie, als ihr der Milchmann einfiel, der jetzt seine Runde machte. Und Simon war sicher auch schon im Stall und versorgte die Kühe …

Beim Gedanken an Simon schluckte Rachel krampfhaft. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass Ben bei ihr auftauchen würde. Sonst hätte sie Simon gebeten, ihr beizustehen, wenn sie Ben von ihren Heiratsabsichten berichtete. Und gestern Abend ist immer noch nichts entschieden worden, dachte sie mit einem unbehaglichen Gefühl. Sobald Daisy erschienen war, hatten sie nicht mehr offen reden können, folglich wusste Rachel genauso wenig wie vorher, was Ben über eine Scheidung dachte.

Rachel seufzte. Zu allem Übel musste sie nun auch noch Simon mitteilen, dass sie einer vernünftigen Lösung nicht nähergekommen war. Und wenn es nach Daisy gegangen wäre, hätte Ben sogar im Haus übernachtet. Im Gästezimmer natürlich.

Wenigstens hatte Ben da selbst die Grenze gezogen. Ob Rachel zuliebe oder aus nur ihm bekannten Gründen – jedenfalls hatte er ein Zimmer im Old Swan gebucht und war zum Übernachten ins Gasthaus gegangen.

Als das Wasser kochte, brühte Rachel den Tee auf und trug die Kanne ins so genannte Fernsehzimmer. Sie setzte sich mit einem Becher dampfenden Tees in den alten Ledersessel am Fenster und zog die Beine an. Gedankenverloren schaute sie vor sich hin. Was soll ich jetzt bloß machen? fragte sie sich verzweifelt. Wie bringe ich Ben nur dazu, meinen Plänen zuzustimmen?

Am Tag zuvor war es ihr unproblematisch erschienen, ihn anzurufen und einfach um die Scheidung zu bitten. Immerhin hatten sie seit eineinhalb Jahren kaum noch Kontakt miteinander, außer wenn es um Daisy ging. Deshalb hatte Rachel angenommen, Ben würde die Gelegenheit, endgültig frei zu werden, ebenso eifrig ergreifen wie sie selbst.

Oder hatte ich nicht doch Bedenken, wie er es aufnehmen würde? fragte Rachel sich. Hatte sie nicht insgeheim befürchtet, er wäre strikt dagegen, dass Daisy ihr bisheriges Zuhause verlassen und zudem eine andere Schule besuchen sollte? Allerdings hätte Rachel niemals erwartet, dass Ben plötzlich bei ihr auftauchen würde … und es mit Schmeicheleien und Zärtlichkeiten versuchte.

Zorn stieg in ihr hoch. Wie konnte Ben es wagen, sich zu benehmen, als habe er immer noch ein Recht auf sie? Wie konnte er Worte der Zuneigung aussprechen, die offensichtlich gelogen waren? Und hätte Daisy sie nicht gestört, wer weiß, was dann noch alles passiert wäre?

Das zeigt mal wieder, wie leicht ich schwach werde, tadelte sich Rachel. Ben hatte sie doch nur am Arm gefasst und ihr Handgelenk mit der Zunge berührt, doch auch bei der Erinnerung daran empfand Rachel einen seltsam erregenden Schauer. Was hat Ben mit seinem Verhalten bezweckt? fragte sie sich nervös. Und warum hatte sie darauf nicht kühl, sondern gefühlsbetont reagiert?

Da der Becher leer war, stand sie auf, um ihn nachzufüllen. Die Sonne schien und spiegelte sich im Rückfenster von Bens Limousine, die in der Auffahrt stand. Meiner Auffahrt, sagte sich Rachel empört. Hoffentlich würde Simon ihr glauben, dass nur Bens Auto, nicht er selbst, die Nacht in Wychwood verbracht hatte. Und das musste sie Simon sagen, bevor einer der Nachbarn tratschte.

Ben hatte hier nichts mehr verloren. Sie allerdings hatte viel zu verlieren: die Chance auf eine neue glückliche Beziehung mit Simon, auf die Geborgenheit, die sie bei ihm fand. Nein, schwor sich Rachel, egal, was Ben dazu sagt, ich muss meine Wahl treffen. Denn wenn ich es nicht tue, wird sein Schatten mir mein ganzes Leben verdüstern.

4. KAPITEL

Kurz nach sieben Uhr polterte Daisy die Treppe herunter. Normalerweise stand sie nicht so früh auf, doch heute war sie wahrscheinlich aufgeregt, weil Ben im Dorf war und Rachel ihr erlaubt hatte, einen Tag lang die Schule zu schwänzen, damit sie ihn mit ihrem Vater verbringen konnte. Er wollte sie abholen, bevor Rachel zur Arbeit musste.

Daisy stürmte ins Fernsehzimmer. „Was machst du hier?“, rief sie aus. Obwohl es noch sehr früh war, war sie komplett angezogen, wogegen sie an einem normalen Schultag ständig ermahnt werden musste, sich endlich fertig zu machen. Sie trug den teuren rosa Jogginganzug, den Ben ihr in London gekauft hatte und der ihr, wie Rachel insgeheim zugab, ausgesprochen gut stand.

„Ich trinke Tee“, antwortete Rachel, leerte die Tasse und stand auf.

„Warum nicht wie sonst in der Küche?“, erkundigte sich Daisy verwundert.

„Mir war eben danach zu Mute, ihn heute hier zu trinken“, erwiderte Rachel und musste sich Mühe geben, nicht so verdrossen zu klingen, wie sie sich fühlte. „Was möchtest du zum Frühstück? Müsli oder Ei?“

„Na ja, Daddy sagte, er wolle mir ein Frühstück im Gasthaus spendieren“, erklärte Daisy verlegen. „Du musst ja gleich in den Laden, und da ersparst du dir, was für mich zu machen.“

„Das mache ich sonst doch auch immer“, erwiderte Rachel, nahm die Tasse und marschierte erbost in die Küche. „Ich nehme an, du hast das mit deinem Vater verabredet, als du ihn gestern Abend zur Tür brachtest. Was hast du ihm noch alles gesagt, als ich nicht dabei war? Etwa, dass wir demnächst nach Kingsmead übersiedeln?“

Die Frage war unfair, das wusste Rachel genau, doch sie konnte ihre Wut an niemand anderes als an Daisy auslassen.

Diese folgte ihr zögernd, blieb neben dem Tisch stehen und stieß mit einem Hacken rhythmisch gegen ein Stuhlbein. „Nein“, antwortete die Kleine mürrisch. „Wir haben überhaupt nicht über Mr. Barrass geredet. Warum hast du Daddy nicht von ihm erzählt, wenn du willst, dass er Bescheid weiß?“

„Weil ich dazu keine Gelegenheit hatte“, rief Rachel gereizt.

„Du hättest es ihm sagen können, als ich in meinem Zimmer war.“ Daisy schob die Unterlippe vor. „Worüber hast du eigentlich mit Daddy geredet? Du hast anschließend irgendwie durcheinander ausgesehen.“

Rachel wandte ihrer Tochter den Rücken zu. Daisy konnte manchmal unangenehm scharfsinnig sein. Aber sie durfte auf keinen Fall hoffen, dass ihre Eltern sich wieder versöhnten. Denn das kam gar nicht in Frage. „Ich war einfach sauer“, erklärte Rachel wahrheitsgemäß. „Dein Vater hatte kein Recht, uneingeladen hier aufzutauchen.“

„Hast du ihn denn nicht eingeladen?“ Argwöhnisch betrachtete Daisy ihre Mutter. „Daddy sagte, du hättest ihn gestern Vormittag angerufen.“

„Aber nicht, um ihn einzuladen“, beharrte Rachel, wusch die Tasse aus und trocknete sie ab. „Wie du genau weißt, muss ich mit Daddy sprechen. Über … über …“

„Mr. Barrass“, ergänzte Daisy finster.

„Ja, über Simon“, bestätigte Rachel.

„Aber du hast nur über den Laden und meine Schule geredet“, meinte Daisy und verzog das Gesicht. „Wenn du überhaupt geredet hast.“

„Sei nicht so vorlaut“, mahnte Rachel schroff.

„Daddy hört gern, was ich zu sagen habe“, bemerkte Daisy nun mit leicht zitternder Stimme. Auch wenn die Kleine sich manchmal sehr selbstbewusst gab, fühlte sie sich dennoch unsicher, wusste nicht, was genau man von ihr erwartete, und hatte Angst vor der Zukunft.

Sofort wurde Rachel nachgiebig. „Ich höre auch gern deine Meinung, Schätzchen“, rief sie, eilte zu Daisy und nahm sie in die Arme. „Tut mir leid, dass ich so gereizt bin. Aber dein Vater bringt mich eben auf die Palme.“

Daisy umarmte kurz ihre Mutter und trat dann einen Schritt zurück. „Warum denn? Früher war das nicht so.“

„Stimmt, aber …“ Auf den wahren Grund für die Trennung wollte Rachel nicht näher eingehen. „Wir passen einfach nicht mehr zusammen“, erklärte sie stattdessen und sah betrübt, wie Daisys Miene sich wieder verfinsterte. „Doch wir sind immer noch Freunde“, ergänzte Rachel, und verbesserte es insgeheim zu: Wir reden noch miteinander.

„Ja, aber warum macht Daddy dich dann so gereizt?“, beharrte Daisy hartnäckig.

„Manchmal passiert so etwas eben“, antwortete Rachel und strich ihrer Tochter übers Haar. „Leute glauben, sie wären glücklich miteinander, und stellen irgendwann fest, dass das gar nicht stimmt.“

„War das meine Schuld?“, fragte Daisy besorgt. Anscheinend hatte dieser Zweifel sie schon seit längerem beschäftigt.

„Natürlich nicht“, rief Rachel und zog sie wieder an sich. „Du hast unser Leben unendlich bereichert.“ Sie küsste ihre Tochter auf den Scheitel. „Und darin stimmen Daddy und ich wenigstens hundertprozentig überein.“

Jetzt blickte Rachel hoch und sah, dass Ben sie von draußen durchs Fenster beobachtete. Wie lange er schon dort stand, wusste sie nicht, doch sie war erleichtert, dass er unmöglich gehört haben konnte, worüber sie mit Daisy gesprochen hatte. Dass er in aller Frühe ganz selbstverständlich im Garten umherschlenderte, machte Rachel wütend. Warum war Ben nicht zur Tür gekommen und hatte geklingelt wie jeder andere Mensch?

Weil er eben nicht wie jeder andere ist, sagte sich Rachel nervös und verspürte ein überwältigendes Minderwertigkeitsgefühl, als sie ihren Mann durchs Fenster betrachtete. Schon immer hatte sie sich ihm in jeder Hinsicht unterlegen gefühlt, und die Trennung hatte daran anscheinend nichts geändert. Unvermittelt schlug Rachels Herz rascher.

In Jeans und einem blauen Sweatshirt wirkte Ben umwerfend attraktiv, und unwillkürlich verglich sie seine schlanke durchtrainierte Figur mit Simons kräftigem Körper. Simon war solide und verlässlich und sah auch so aus, hingegen mangelte es Ben an diesen Eigenschaften völlig. Seufzend ließ Rachel Daisy los und öffnete die Hintertür.

„Was treibst du da draußen, Ben?“, fragte Rachel brüsk.

Er trat näher und lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. „Gar nichts. Ich wollte nur sehen, ob ihr immer noch in der Küche frühstückt – so wie früher“, erwiderte Ben und lächelte, als Daisy begeistert auf ihn zustürzte und ihn umklammerte. „Hoffentlich habe ich dich nicht erschreckt.“

„Doch, das hast du“, entgegnete Rachel kurz angebunden. In dem alten Bademantel, mit den Pantoffeln und dem zerzausten Haar wirkte sie sicher schrecklich bieder, nicht kühl und beherrscht, wie sie sich Ben gern präsentiert hätte.

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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