Julia Bestseller Band 165

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VERBOTENE NÄCHTE MIT DEM BOSS von MORTIMER, CAROLE
Der Millionär James Harrison ist fest entschlossen, nie sein Herz zu verlieren. Daran ändern auch die unglaublichen Küsse seiner Assistentin nichts. Daher unterbreitet er Andrea ein verruchtes Angebot: Hält sie sich an seine Regeln, können sie eine heiße Affäre beginnen!

ZUM SCHLUSS EIN HAPPY END von MORTIMER, CAROLE
Warum spielt die Liebe Katz und Maus mit ihr? Gerade hat Laura verwunden, dass Liam sie verlassen hat - da taucht er wieder auf. Genau so attraktiv und umwerfend wie damals! Doch wie wird Liam reagieren, wenn er herausfindet, was sie seit Ewigkeiten vor ihm verbirgt?

MEHR ALS NUR EIN SPIEL von MORTIMER, CAROLE
Sie ist süß! Und wie sie ihn so flehend anschaut, rührt seinen Beschützer-Instinkt: Nichts möchte der Unternehmer Nick mehr, als der süßen Joey zu helfen - und sie dann eng an sich zu ziehen. Aber vorher muss er ihr gestehen, dass er mit Schuld an ihrer Misere ist ...


  • Erscheinungstag 04.09.2015
  • Bandnummer 0165
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703141
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carole Mortimer

JULIA BESTSELLER BAND 165

CAROLE MORTIMER

Verbotene Nächte mit dem Boss

Warum ist er auf einmal so unverschämt zu ihr? Und das nach diesen rauschenden Stunden ungezügelter Leidenschaft! Andrea erkennt ihren Boss nicht mehr wieder: Eben noch verführt James Harrison sie meisterhaft und sie schwebt im siebten Himmel der Gefühle. Jetzt verlangt der Tycoon, dass sie seine Geliebte bleiben soll – allerdings nur, so lange er es will!

Zum Schluss ein Happy End

Der feurige Blick, der sinnliche Mund, die muskulösen Oberarme: Liam hat sich kaum verändert. Immer noch ist er der Einzige, der Laura mit einem Lächeln willenlos machen kann. Nur deswegen landete sie vor acht Jahren in seinem Bett! Nun muss sie mit Liam zusammenarbeiten. Aber auf keinen Fall will sie seinem Charme erneut erliegen. Leichter gesagt als getan …

Mehr als nur ein Spiel

„Würdest du dich zum Schein mit mir verloben?“ Joey braucht einen Mann, weil ihr sonst ihre Tochter weggenommen wird. Und obwohl sie nicht viel über Nick weiß, ist sie überzeugt, dass er der Richtige dafür ist: Er ist verständnisvoll und fürsorglich. Kaum hat er Ja gesagt, kommen Joey Bedenken: Schafft sie es dem Begehren, das er in ihr weckt, zu widerstehen?

PROLOG

„Sind wir uns einig?“

Verwundert starrte Andrea den Mann an, der erst kürzlich wie ein Orkan in ihr ohnehin aus den Fugen geratenes Leben gestürmt war und es zusätzlich auf den Kopf gestellt hatte.

„Kommen Sie schon, Andi“, drängte James Harrison und begann, ungeduldig auf und ab zu gehen. „Sie müssen doch einsehen, dass Ihnen gar keine andere Wahl bleibt, als mein Angebot anzunehmen.“

Genau das war ja das Problem. Andrea wusste, dass sie keine Wahl hatte. Und das gefiel ihr überhaupt nicht.

Äußerlich ließ sie sich nichts von ihrer inneren Anspannung anmerken. Was für einen Grund konnte dieser Mann haben, ihrer demnächst obdachlosen Mutter einen Platz zum Wohnen anzubieten? Und dann als Gegenleistung zu verlangen, dass sie, Andrea, für ihn als seine persönliche Assistentin arbeitete? Ein Mann wie James Harrison, der für sein rücksichtsloses Geschäftsgebaren bekannt war, machte ein solches Angebot nicht, weil er ein so gutes Herz besaß. Andrea war sich nicht einmal sicher, ob überhaupt eines in seiner Brust schlug!

Nichts an James Harrison von der Harrison Holdings AG strahlte etwas Beruhigendes aus, stellte sie mit einem flauen Gefühl im Magen fest. Er war bestimmt eins neunzig groß. Das braune Haar trug er ein bisschen zu lang, sodass er es immer wieder mit einer lässigen Handbewegung aus der Stirn strich. Sein Gesicht wirkte hart und markant. Grüne Augen. Eine gerade Nase über Lippen, auf denen sich bestimmt nur selten ein Lächeln abzeichnete. Der maßgeschneiderte graue Anzug betonte die breiten Schultern und die schmalen Hüften. Insgesamt ging von ihm eine ruhelose Energie aus.

Andrea richtete sich zu ihrer vollen Größe von eins fünfundsechzig – plus sechs Zentimeter Absätze – auf und schaute ihm ruhig in die Augen. „Mein Name ist Miss Buttonfield oder Andrea, wenn Ihnen das lieber ist. Nur meine Familie und engen Freude dürften mich Andi nennen.“ Dann zog sie herausfordernd eine Augenbraue hoch.

Mit spöttischer Miene ließ James seinen Blick bewundernd über ihr Gesicht wandern. Andrea Buttonfield besaß Klasse … mit ganz großem K.

Sie war sechsundzwanzig, neun Jahre jünger und einen guten Kopf kleiner als er. Das blonde schulterlange Haar war perfekt geschnitten, ein dichter Pony betonte ihre großen Augen, die in der Farbe von geschmolzener dunkler Schokolade schimmerten. Trotzdem sah er die tiefen Schatten, die in diesen wunderschönen Augen lagen. Ihre Wangen wirkten ein wenig eingefallen, dafür war die Nase sehr gerade, und ihre Lippen zeigten jene Sturheit, über die er gerade anfing, sich zu ärgern. Ein schmal geschnittener schwarzer Rock und eine weiße Seidenbluse vervollständigten ihr distanziertes und geschäftsmäßiges Auftreten.

In den vergangenen drei Monaten war eine Tragödie nach der anderen über diese Frau hereingebrochen. Dennoch bemerkte er in ihrem Blick jetzt nur kühle Entschlossenheit.

Spöttisch neigte er den Kopf. „In diesem Fall entscheide ich mich für Andrea. Zumindest für den Moment“, fügte er hinzu. „Und ich sollte Sie warnen, Andrea, ich bin kein geduldiger Mensch. Mein Angebot ist nur gültig bis um fünf Uhr heute Nachmittag.“

Ihre einzige Antwort bestand in einem leichten Weiten ihrer ausdrucksstarken braunen Augen.

Er zuckte die Schultern. „So arbeite ich nun mal, Andrea.“

„Eine dermaßen lebensverändernde Entscheidung kann ich unmöglich innerhalb weniger Stunden treffen“, entgegnete sie kopfschüttelnd.

„Ihr Pech.“

Sie runzelte die Stirn. „Warum die Eile?“

„Meine momentane Assistentin verlässt mich Ende des Monats. Bis dahin brauche ich einen Ersatz.“ James ließ sich in einen der mit goldenem Brokat bezogenen Sessel gleiten – das perfekte Möbelstück für einen perfekt eingerichteten Salon.

James wusste bereits, dass jedes Zimmer in Tarrington Park in demselben kultivierten und eleganten Stil eingerichtet war. Diesen Stil gedachte er zu übernehmen, wenn er Tarrington Park in wenigen Wochen in ein weiteres Luxushotel und Konferenzzentrum umwandelte. Und dieser Stil, so hatte ihm Marjorie Buttonfield zu verstehen gegeben, verdankte sich allein der Arbeit ihrer Tochter.

Stil … dieses Wort traf auf alles zu, was Andrea Buttonfield anging. Aufgewachsen war sie als einziges Kind von Miles und Marjorie Buttonfield in Tarrington Park. Ihre Kindheit verbrachte sie in komfortablem Überfluss. Selbstverständlich besuchte sie nur die besten Internate des Landes. Ihr Abschluss in Englisch an der Universität von Cambridge zählte zu den herausragendsten ihres Jahrgangs. Anschließend war sie nach London gezogen und arbeitete seither als persönliche Assistentin von Gerald Wickham, Chef von Wickham International.

Ja, Andrea Buttonfield besaß Stil.

James’ Kindheit und Erziehung entsprachen dem genauen Gegenteil. Vielleicht hatten ihn ihr Stil und ihre Klasse deshalb so angezogen, als er ihr vor acht Wochen zum ersten Mal begegnet war.

Weitere vier Wochen zuvor war Andreas Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen – ebenso wie ihr Verlobter, David Simmington-Brown. In den Tagen danach war nicht nur ans Licht gekommen, dass ihr Vater so gut wie bankrott war, sondern darüber hinaus einen erklecklichen Haufen Schulden angehäuft hatte. Die einzige Lösung, die Schulden zu begleichen, bestand im Verkauf der Familienresidenz.

James hatte seine Hausaufgaben gründlich gemacht. Das Haus zu verkaufen bedeutete auch, dass die kürzlich verwitwete Marjorie Buttonfield kein Dach mehr über dem Kopf besaß und vom Einkommen ihrer Tochter abhängig war, das diese als Wickhams Assistentin verdiente.

Genau diese Tatsache war der Hebel, den er an Andreas eiserner Rüstung anzusetzen gedachte.

„Überlegen Sie doch mal, Andrea.“ James lächelte humorlos. „Als meine Assistentin bekommen Sie eine Gehaltserhöhung. Sie und Ihre Mutter können ins Pförtnerhaus einziehen. Abgesehen davon, dass Sie dort mietfrei wohnen, ersparen Sie Ihrer Mutter einen unter Umständen traumatischen Umzug. Außerdem kann ihr Pferd weiterhin in seinem gewohnten Stall bleiben. So wie ich das sehe, können Sie nur gewinnen.“

Andrea war sich der Vorteile, die James’ Angebot mit sich brachte, durchaus bewusst. Es waren die Nachteile, die ihr zu schaffen machten. Zuallererst kannte sie James Harrison nicht. Sie vertraute James Harrison nicht. Und – am wichtigsten – sie mochte James Harrison nicht!

Sein Ruf als rücksichtsloser Geschäftsmann vermittelte nicht den Eindruck, dass er zu impulsiven Entscheidungen neigte. Nein, wurde Andrea klar, er musste sich sein Angebot sorgfältig überlegt haben. „Und was haben Sie davon, Mr Harrison?“, fragte sie.

„Gerald Wickhams Meinung nach sind Sie die beste Assistentin der westlichen Hemisphäre!“ Seine grünen Augen funkelten spöttisch auf.

Andreas hingegen weiteten sich ungläubig. „Sie haben mit Gerald über mich gesprochen?“ Daher wusste er wohl auch über ihr momentanes Gehalt Bescheid!

James zuckte die Schultern. „Ich würde wohl kaum darüber nachdenken, Sie einzustellen, bevor ich nicht mit Ihrem vorherigen Arbeitgeber gesprochen habe!“

„Mit meinem aktuellen Arbeitgeber!“, berichtigte Andrea ihn empört. „Sie hatten kein Recht, mit Gerald zu sprechen!“

„Dazu hatte ich jedes Recht“, unterbrach James sie kühl. „Ich würde nie jemanden aufgrund seines Aussehens einstellen, so wie ich nie einen Wagen nur wegen seiner schnittigen Form kaufen würde!“

Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. „Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung war.“

„Es war eine ganz sachliche Aussage“, entgegnete James. „Theoretisch hätten sie ja lausig in ihrem Job sein und nur mit Gerald Wickham ins Bett gehen können, um ihn zu behalten.“

Eine Möglichkeit, die James überhaupt nicht gutheißen würde. Aus und vorbei wäre es mit dem Stil und der Klasse, die er Andrea Buttonfield bisher zuschrieb. Zugegeben, bis zu seinem plötzlichen Tod war sie mit diesem schmierigen Simmington-Brown verlobt gewesen. Aber das bedeutete noch längst nicht, dass sie auch mit ihrem Chef schlief. Ein Treffen mit Gerald hatte gereicht, um James zu überzeugen, dass der ältere Mann in Andrea eher eine Lieblingsnichte, denn eine kostspielige Geliebte sah.

Warum diese Information für ihn eine so große Rolle spielte, vermochte er nicht zu sagen. Sein eigener Verhaltenskodex verbot ihm, sich mit einer seiner Angestellten einzulassen – aber ihm war auch klar, dass viele Männer in seiner Position anders dachten.

Andrea wusste nicht, ob sie wütend oder empört auf den Umschwung ins Vertrauliche reagieren sollte, den das Gespräch genommen hatte. Sie entschied, dass es der Situation angemessener war, die Wendung einfach zu ignorieren. „Ich nehme an, Gerald hat Ihre Neugier in diesem Punkt befriedigt?“

„Völlig“, bestätigte James.

Verärgert schaute Andrea ihn an. „Ich bin mit meinem momentanen Arbeitgeber mehr als zufrieden, Mr Harrison. Meiner Mutter ist bereits ein Cottage im Ort angeboten worden, in das sie sofort einziehen kann. Und eine Reitschule in der Nähe hat mir einen Platz für mein Pferd zugesichert. Sie sehen also, Mr Harrison …“

„Wie ich schon sagte, habe ich keinerlei Verwendung für das Pförtnerhaus, Sie würden keine Miete zahlen müssen. Ihr Pferd bleibt kostenlos in seinem angestammten Stall. Außerdem …“, setzte er rasch hinzu, bevor Andrea ihn unterbrechen konnte. „Glauben Sie wirklich, dass es dem ohnehin schon schlechten Gesundheitszustand Ihrer Mutter förderlich ist, wenn sie nun gezwungen ist, ihr geliebtes Heim zu verlassen und in ein kleines Cottage zu ziehen?“

Bei seinen Worten war Andrea ganz still geworden. Schon der Autounfall, bei dem ihr Vater und ihr Verlobter ihr Leben verloren hatten, war ihr wie ein kaum zu ertragender Schlag des Schicksals erschienen. Anfangs hatte nur die Sorge um ihre Mutter ihre eigene Trauer unter Kontrolle gehalten.

Marjorie hatte die Enthüllung des Bankrotts ihres Mannes ein paar Tage später kaum verkraften können. Noch so ein Schlag, da war Andrea sich sicher, würde ihre Mutter nicht überleben.

Aber auch sie hatte die vergangenen Wochen als einzigen Albtraum erlebt. Während der Woche kam sie ihren Pflichten als Geralds Assistentin in London nach, an den Wochenenden kümmerte sie sich um ihre Mutter. Nach drei Monaten forderte diese Doppelbelastung ihren Tribut, emotional wie körperlich.

Die schlichte Wahrheit war, dass es ihre Mutter sehr glücklich machen würde, wenn Andrea wieder zu ihr nach Hampshire zog und mit ihr im Pförtnerhaus von Tarrington Park wohnte. Und das Wissen, dass es ihrer Mutter gut ging, würde auch Andrea glücklich machen. Einzig die Vorstellung, für James Harrison zu arbeiten, hielt sie davon ab, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen.

Das und die Tatsache, dass sie ihn weder mochte noch ihm vertraute!

In seiner Gegenwart fühlte sie sich unbehaglich. Sie wusste bereits, dass dieser Mann nicht nur vom Aussehen einem Eisberg glich, sondern dass auch sein Charakter einem entsprach.

Sie bedachte ihn mit einem kalten Blick. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich für einen Mann arbeiten möchte, der die Schwächen anderer Menschen zu seinem eigenen Vorteil ausnutzt.“

Er reagierte mit einem spöttischen Lächeln. „Ich denke, es ist nicht unbedingt erforderlich, dass Sie mich mögen.“

„Auch gut“, erwiderte sie. „Können Sie mir dann sagen, worin genau der Job besteht, den Sie mir anbieten?“

Abweisend zuckte James die Schultern. „Natürlich werden Sie mit denselben Aufgaben betraut sein, die Sie auch im Moment erledigen. Darüber hinaus werden Sie, sobald die Arbeiten beginnen, die meiste Zeit hier sein und den Umbau von Tarrington Park in eines der renommiertesten Hotels von Harrison Holdings tatkräftig begleiten. Ich werde jeweils einige Zeit in London sowie meinen anderen Hotels verbringen müssen. So oft wie möglich werde ich jedoch ebenfalls hier sein und die Umbauarbeiten überwachen. Nicht, dass es viele sein werden. Das Haus entspricht schon fast meinen Vorstellungen. Die Innenausstattung würde ich gerne Ihnen überlassen. Normalerweise habe ich dafür ein Team in London, doch Sie kennen das Haus besser als jeder andere. Mit Ihrer Hilfe, Andrea, hoffe ich, Tarrington Park zu einem der luxuriösesten Wellness-Hotels des Landes zu machen.“

Während James sie in seine Pläne für das Haus ihrer Kindheit einweihte, spürte Andrea Begeisterung in sich aufsteigen. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, gar nicht erst verkaufen zu müssen, aber nach den Enthüllungen der vergangenen Wochen war ihr klar, dass das unmöglich war. Mit dem Verkaufserlös waren die Schulden ihres Vaters beglichen worden. Und wenn sie James’ Angebot annahm, würde ihre Mutter, wenn auch nicht im Haupthaus, so doch wenigstens im kleinen Pförtnerhaus daneben wohnen bleiben können. Und sie selbst würde in Einrichtungsfragen ein Mitspracherecht haben.

Es bereitete James keine Schwierigkeiten, Andreas schwindende Entschlusskraft zu lesen. „Geben Sie es zu, Andrea … Sie sind von der Idee angetan.“

Ihre Augen blitzten auf. „Von der Idee vielleicht“, erwiderte sie bissig. „Die Realität steht auf einem anderen Blatt. Ich weiß nicht, ob ich für Sie arbeiten kann.“

„Warum, zur Hölle, denn nicht? Nein, lassen Sie mich raten. Jemand mit Ihrer Herkunft erschauert bei dem Gedanken, bei jemandem wie mir angestellt zu sein.“

Andrea blinzelte verwirrt. „Jemand ‚wie Ihnen‘ …?“

„Wie jeder andere Einwohner dieses Landes, sind Sie bestimmt, dank der Artikel in den Klatschzeitungen, bestens mit meiner Abstammung vertraut.“

In den vergangenen fünfzehn Jahren hatte die Presse sich immer wieder darauf gestürzt, dass James mit quasi leeren Händen angefangen hatte. Außer seinem Verstand und dem Willen zum Erfolg hatte er kein Kapital besessen. Mittlerweile hatte er es zwar zum Multimillionär gebracht, doch das interessierte die Reporter weit weniger, als die Tatsache, dass er als einziges Kind einer alleinerziehenden Mutter in einem eher ärmlichen Teil von Glasgow aufgewachsen war. Mit sechzehn hatte er die Schule abgebrochen, um als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle anzuheuern.

Innerhalb von vier Jahren gründete er seine eigene Baufirma und spezialisierte sich darauf, heruntergekommene Gebäude zu kaufen und in Hotels umzubauen – jedes luxuriöser als das vorhergehende. Heute gehörten James Dutzende Hotels in der ganzen Welt.

Während der vergangenen Jahre hatte er seinen Glasgower Akzent verloren und gelernt, einen Anzug von Armani so selbstverständlich zu tragen, als sei er in einem zur Welt gekommen. In der Gegenwart von Lords und Ladys fühlte er sich ebenso wohl wie bei seinen Arbeitern auf der Baustelle.

„Warum sollte Ihre Herkunft für mich eine Rolle spielen?“, fragte sie.

Ja, warum eigentlich? James verfluchte sich innerlich, sie auf einen Riss in seiner strahlenden Rüstung aufmerksam gemacht zu haben. Andrea Buttonfield hatte ohnehin Grund genug, ihn nicht zu mögen. Schließlich war er derjenige, der ihr Heim nicht nur gekauft hatte, sondern es nun auch noch umbauen wollte.

„Ich habe gerade beschlossen, dass ich nicht bis heute Nachmittag auf Ihre Entscheidung warten möchte, Andrea“, stieß er ungeduldig hervor. „Nehmen Sie mein Angebot an, oder nicht?“

Andrea wollte ablehnen. Ihr Instinkt befahl ihr geradezu, genau das zu tun. Doch allein die Verschlechterung des Gesundheitszustands ihrer Mutter in den vergangenen drei Monaten gaben ihr genug Anlass, es sich noch einmal zu überlegen.

Sein Angebot löste so viele Probleme auf einmal. Andrea wusste, dass es töricht war abzulehnen, nur weil sie sich unwohl fühlte, solange sie sich im selben Raum wie James Harrison befand.

Sie atmete tief ein. „Okay. Ich nehme Ihr Angebot an, Mr Harrison. Aber in meinem Vertrag mit Gerald steht, dass ich eine dreimonatige Kündigungsfrist einhalten muss.“

„Damit kann ich leben“, sagte er unbeeindruckt.

Und Andrea hoffte inständig, dass auch sie mit den Folgen ihrer Entscheidung leben konnte …

1. KAPITEL

„Packen Sie Ihre Koffer, Andi, wir fahren für ein paar Tage nach Schottland!“

Stirnrunzelnd blickte Andrea zu James hinüber, der auf der Schwelle zwischen ihren beiden Büros im obersten Stock von Tarrington Park stand. Da sie heute Morgen seinen Wagen auf dem Parkplatz gesehen hatte, wusste sie bereits, dass er im Haus war. Nicht deswegen, sondern wegen seiner Worte reagierte sie so überrascht. „Schottland?“

„Hmm.“ James schlenderte ins Zimmer und lehnte sich gegen ihren Schreibtisch. Das braune Haar trug er nun ein bisschen kürzer als noch vor einem Jahr. Die grünen Augen blickten jedoch noch genauso hart und kalt wie damals. „Jetzt, da Tarrington Park eröffnet ist, bin ich auf der Suche nach dem nächsten Projekt. Es gibt da ein Schloss in Schottland, das ich vielleicht kaufen werde.“

„Und Sie wollen, dass ich Sie begleite?“

Bislang hatte er sie nie gebeten, mit ihm auf Geschäftsreise zu kommen. Nun, auch jetzt bat er sie nicht darum, mahnte sie sich. Vielmehr hatte er ihr schlicht gesagt, dass sie fahren würden.

„Sie sind meine persönliche Assistentin“, erinnerte er sie.

Dessen war Andrea sich durchaus bewusst. Ebenso war sie sich bewusst, dass sie in den vergangenen Monaten angefangen hatte, in James mehr zu sehen als ihren Arbeitgeber, der manchmal nach Tarrington Park kam, sich über den Stand der Umbaumaßnahmen informierte und dann wieder nach London verschwand.

Dass James von seiner Assistentin erwartete, dass sie ihm auch auf einer Geschäftsreise zur Seite stand, war absolut verständlich. Tatsächlich hatte sie Gerald Wickham immer bei solchen Anlässen begleitet. Aber James war nicht Gerald …

Sie wusste um seinen rücksichtslosen Ruf, wenn es um Geschäfte oder Frauen ging. Deshalb hatte sie stets darauf geachtet, ihn auf Armeslänge von sich fernzuhalten. Es war ihr nicht schwergefallen. Emotional fühlte sie sich nach dem Tod von David und ihrem Vater ohnehin wie betäubt.

Aber allmählich – hinterrücks, wie es ihr vorkam – stellte sie fest, dass sie sich mehr und mehr auf James’ Überraschungsbesuche freute. In seinen Augen bemerkte sie einen verführerischen Schimmer. Sie mochte sein seltenes Lächeln. Die breiten Schultern und sein muskulöser Körper gefielen ihr immer besser.

Deshalb reagierte sie auch emotional so heftig auf seine Nähe, als er sich nun gegen ihren Schreibtisch lehnte.

Verärgert über sich selbst verzog Andrea das Gesicht. „Von welchem Flughafen aus fliegen wir?“, fragte sie knapp und atmete wieder leichter, als James sich vom Tisch abstieß.

„Ich haben überlegt, mit dem Range Rover zu fahren.“

„Fahren?“ Andrea blickte durchs Fenster auf den grauen Winterhimmel. „Schneit es nicht im Februar in Schottland?“

„Seien Sie nicht so negativ, Andi“, fuhr er auf. „Sonst könnte ich noch auf den Gedanken kommen, Sie wollen gar nicht mit mir nach Schottland reisen.“

Genau das wollte sie ja auch nicht!

Allein die Vorstellung, mehrere Tage ununterbrochen mit ihm zusammen zu sein, wenn seine Nähe ihr jetzt schon so zusetzte, ließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen aufsteigen und ihren Puls rasen.

„Was ist Ihr Problem, Andi?“, fragte James. „Haben Sie am Wochenende schon etwas anderes vor? Ein romantisches Rendezvous vielleicht?“, fügte er spöttisch hinzu.

„Natürlich nicht!“, brauste sie auf.

James lächelte wissend. „Natürlich nicht“, wiederholte er. „Es ist über ein Jahr her, dass der heilige Simmington-Brown gestorben ist … wird es nicht langsam Zeit, dass Sie wieder anfangen zu leben?“ Vor allem weil ihr Verlobter mitnichten ein Heiliger war, dachte James angewidert. Im vergangenen Jahr hatte er viel zu viele Geheimnisse des anderen Mannes herausgefunden. Geheimnisse, von denen Andrea keine Ahnung hatte.

Seine Entscheidung, Andrea Buttonfield als Assistentin einzustellen und sie mit der Inneneinrichtung von Tarrington Park zu betrauen, war, musste er sich eingestehen, der beste geschäftliche Schachzug, den er je gemacht hatte. Doch das Hotel und das angeschlossene Konferenzzentrum hatten vor mehreren Monaten Eröffnung gefeiert und wurden seither sehr erfolgreich von Michael Hall gemanagt. Es war an der Zeit, sich dem nächsten Projekt zu widmen. Für sie beide.

Bei James’ Bemerkung über David versteifte Andrea sich. „Mein Privatleben geht Sie nichts an.“

Er stieß ein höhnisches Schnauben aus. „Sie haben doch gar kein Privatleben!“

„Dann ist es ja gut, dass Sie eines führen, das für uns beide ausreicht, oder?“, schoss sie zurück. Unwillkürlich hatte sie an die Fotos in den Klatschzeitungen denken müssen, die in regelmäßigen Abständen James’ Eroberungen dokumentierten. Jedes Bild zeigte ihn mit einer anderen Frau im Arm.

Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch. „Eifersüchtig?“

„Ganz sicher nicht!“, rief sie aus, spürte jedoch, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

Sie war nicht eifersüchtig auf die Frauen in seinem Leben. Tatsächlich empfand sie es als verwirrend, dass sie sich seiner Gegenwart so überaus bewusst war. David war auf eine angenehme Art charmant gewesen, zuvorkommend und weltgewandt. Auch James besaß Charme und Raffinesse – wenn er wollte. Aber seine Attraktivität rührte vor allem von etwas rauem, ungeschliffen Maskulinen her. Verführerisch, sinnlich, erdig …

Abrupt stand sie auf. „Worauf soll ich eifersüchtig sein?“, sagte sie. „Wenn diese Frauen dumm genug sind, das Wenige zu akzeptieren, das Sie ihnen zu geben bereit sind, dann ist das allein deren Problem. Ich kann Ihnen versichern, dass ich absolut kein Interesse daran habe, Ihr Bett zu wärmen!“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute sie sie bereits. Hatte sie etwa schon zu viel verraten? Ahnte er vielleicht längst ihr kleines Geheimnis?

James sah Andrea mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen an. Die Heftigkeit ihrer Reaktion überraschte ihn. Während seiner seltenen Besuche in Tarrington Park hatte er seine kühle und distanzierte Assistentin nie so außer sich erlebt. Ihre braunen Augen blitzten vor Empörung, und auf den sonst so blassen Wangen zeichneten sich rötliche Flecken der Wut ab.

„Vielleicht sollten Sie mit dem Neinsagen warten, bis Sie gefragt werden“, zog er sie dennoch ungerührt weiter auf. „Ich sprach von Ihrem Liebesleben, Andi, nicht von meinem.“

Sie blinzelte einmal, dann war die kühle Miene, die sie normalerweise zur Schau trug, wieder zurückgekehrt. „Das wusste ich“, erwiderte sie knapp und nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz.

James musterte sie noch mehrere Sekunden, in denen er versuchte, ihre seltsame Reaktion einzuordnen.

Am Beginn ihrer Zusammenarbeit war es öfter zu angespannten Situationen zwischen ihnen gekommen. Was er, in Anbetracht der Tatsache, dass er Andrea praktisch dazu gezwungen hatte, für ihn zu arbeiten, nicht weiter verwunderlich fand. Aber als sie verstanden hatte, dass er wirklich an ihrer Meinung interessiert war und ihr, was die Inneneinrichtung des Hotels anging, völlig freie Hand ließ, hatte sich die Atmosphäre zwischen ihnen merklich entspannt. Jetzt, ein Jahr später, wusste er ihren ruhigen und effizienten Stil zu schätzen. Sie verkörperte alles, was er sich von einer Assistentin wünschte.

Ihre Reaktion rief ihm nun allerdings ins Gedächtnis, dass sie auch eine sehr attraktive Frau war. Ihre maßgeschneiderten Kostüme konnten nie die Tatsache verbergen, dass sie aufregende Kurven an all den richtigen Stellen besaß, dazu lange sexy Beine, die bis zu …

„James?“

„Entschuldigung.“ Ungeduldig schüttelte er den Kopf und rief seine wandernden Gedanken zur Ordnung. „Gleich morgen früh machen wir uns auf den Weg nach Schottland“, teilte er ihr knapp mit. „Außer dem Schloss in der Nähe von Edinburgh gibt es dort noch jemanden, den ich besuchen muss.“

„Edinburgh“, sagte sie. „Moment mal.“ Sie bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick. „Spielt das schottische Rugbyteam nicht diese Woche in Edinburgh gegen Wales?“

„Ich glaube schon, ja“, bestätigte James leichthin.

„Sie glauben es“, wiederholte sie gedehnt. Obwohl sein geschäftlicher Erfolg vor allem darauf beruhte, dass er wie ein Besessener arbeitete, wusste sie ganz genau, dass James nie seine Begeisterung aus Kindertagen für Rugby verloren hatte. Wann immer es ihm möglich war, ging er zu den Spielen der schottischen Mannschaft.

Es war wohl kaum ein Zufall, dass am Sonntag ausgerechnet das Eröffnungsspiel des Six Nation Turniers stattfand. Und die Nationalmannschaft von Schottland spielte in ihrem Heimatstadion Murrayfield in Edinburgh …

„Sie wissen es ganz genau, James.“ Entschieden schüttelte Andrea den Kopf. „Ich wette, Sie besitzen bereits ein Ticket für das Spiel!“

„Um die Wahrheit zu sagen, es sind zwei Tickets“, erwiderte er trocken.

Ihre Augen weiteten sich. „Sie erwarten, dass ich Sie zu dem Spiel begleite?“

„Warum nicht?“

Zum einen interessierte sie Rugby nicht. Und zum anderen gehörte mit James zu einem Spiel zu gehen definitiv nicht zu ihrem Aufgabenbereich.

Sie zuckte die Schultern. „Wenn Sie vorhaben, Freunde zu besuchen und sich ein Rugbyspiel anzuschauen, verstehe ich nicht ganz, weshalb ich überhaupt mitkommen soll.“

James’ Miene verdüsterte sich. „Ich bitte Sie zum ersten Mal, mich auf eine Geschäftsreise zu begleiten, und Sie weigern sich?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Für mich hat es sich aber genau so angehört.“

„Dann müssen Sie mich falsch verstanden haben“, entgegnete sie ruhig.

Habe ich das? fragte James sich stirnrunzelnd. Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie in Tarrington Park aufeinandergetroffen waren, hatten sie gut zusammengearbeitet. Auf einer persönlichen Ebene war er allerdings nicht über die Erlaubnis hinausgekommen, sie Andi nennen zu dürfen. Bislang hatte er geglaubt, dieses Arrangement würde sie beide zufriedenstellen – bis Andrea jetzt zu ihrem überraschend scharfen Protest angesetzt hatte.

„Kommen Sie nun mit nach Schottland, oder nicht?“

Betont kühl neigte Andrea den Kopf. „Natürlich begleite ich Sie, wenn Sie das möchten.“

„Was ich will, ist, Ihre Meinung zu dem Schloss in der Nähe von Edinburgh hören. Sie haben in Tarrington Park gute Arbeit geleistet. Ich kann Ihre Hilfe gut gebrauchen“, erklärte er. „Wird Marjorie vier Tage alleine zurechtkommen?“

„Seit Sie Mrs Ferguson als Haushälterin eingestellt haben, ist meine Mutter nicht mehr alleine“, erinnerte Andrea ihn spitz.

James gab einen ungeduldigen Laut von sich. „Sind Sie deswegen immer noch böse?“

Tatsächlich war Andrea sehr verärgert gewesen, als James sie vor sechs Monaten, während einer seiner Blitzbesuche, in aller Seelenruhe darüber informierte, dass er eine Haushälterin für das Pförtnerhaus eingestellt hatte. Von der Sache her war es natürlich gut, dass sich nun jemand um das Haus kümmerte. Aber es gefiel Andrea nicht, noch tiefer in James’ Schuld zu stehen als ohnehin schon.

Im vergangenen Jahr hatte sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter langsam, aber stetig gebessert. Der Skandal, der auf die Enthüllung des Bankrotts ihres Mannes gefolgt war, war abgeflaut, sodass zumindest in dieser Hinsicht eine emotionale Belastung wegfiel.

Mrs Ferguson und ihre Mutter waren im selben Alter und verstanden sich hervorragend. Es bestand für Andrea keinen Grund, nicht einige Tage zu verreisen. „Ich war nicht böse“, widersprach sie. „Ich hätte mir nur gewünscht, Sie hätten mich vorher gefragt.“

„Hätte ich das getan, hätten Sie Nein gesagt“, beschied er ihr mit seiner üblichen Arroganz. „Ich habe Sie, was Tarrington Park angeht, ganz schön auf Trab gehalten. Das Pförtnerhaus ist zu groß, als dass Marjorie sich alleine um alles kümmern könnte.“

„Versuchen Sie gar nicht erst, sich zu rechtfertigen, James.“ Andrea seufzte. „Wir beide wissen, dass Sie in den Augen meiner Mutter nichts falsch machen können.“

„Was soll ich dazu sagen?“, murmelte er mit hochgezogenen Augenbrauchen. „Frauen in einem bestimmten Alter mögen mich einfach.“

Es hatte Andrea überrascht, dass James auch jedes Mal ihrer Mutter einen Besuch abstattete, wenn er nach Tarrington Park kam. Ihr gegenüber verhielt er sich stets warmherzig und aufmerksam. Vielleicht ließ sich das mit seiner Vergangenheit erklären, schließlich war er ohne Vater aufgewachsen. Wie auch immer seine Motive aussahen, er schien eine gewisse Zuneigung zu Marjorie zu empfinden, und sie wurde nicht müde, ein Loblied auf ihn zu singen.

Andreas Mundwinkel zuckten belustigt. „Die Zeitungen lassen vermuten, dass das auf Frauen im Allgemeinen zutrifft!“

„Lassen Sie es endlich gut sein, Andi. Sie können nicht abstreiten, dass Mrs Ferguson einzustellen, die Dinge für Ihre Mutter vereinfacht hat.“

„Ich streite gar nichts ab.“ Sie bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Nehmen Sie das Leben immer so leicht? Sobald etwas nicht ganz richtig läuft, legen Sie Geld auf den Tisch und lösen das Problem?“

Behütet in Tarrington Park und umsorgt von der Liebe ihrer Eltern aufgewachsen, konnte Andrea sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie James’ Leben als Kind oder Teenager ausgesehen hatte. Auch für ihn hatte es viel Liebe gegeben, anfangs von seiner Mutter, später von seiner Tante Mae, die ihn nach dem Tod seiner Mutter bei sich aufgenommen hatte, als er fünfzehn war. Aber Geld, um Probleme aus der Welt zu schaffen, hatte es nie gegeben. In den Genuss, sich leisten zu können, was auch immer er begehrte, war er erst sehr viel später gekommen. Sein materieller Reichtum erlaubte ihm heute zu tun, was er wollte. Und normalerweise tat er auch genau das …

Andrea hatte sich nie über die langen Arbeitsstunden beschwert, die der Innenumbau von Tarrington Park erforderte. Aber während seiner kurzen Besuche hatte James durchaus gespürt, dass sie sich Sorgen um ihre Mutter machte, die sie deshalb so viel Zeit sich selbst überlassen musste. Die Lösung des Problems bestand schlicht und ergreifend darin, eine Haushälterin einzustellen. Doch so wie Andrea damals reagiert hatte, hätte man denken können, er selbst hätte ins Pförtnerhaus einziehen wollen!

„Es geht nicht immer ums Geld, Andrea“, sagte er. „Aber nichts, was ich tue oder sage, scheint Sie davon abbringen zu können, sich trotzig und streitlustig zu verhalten.“

Unvermittelt schoss ihr das Blut in die Wangen. „Ich bin ein Mensch mit einer eigenen Meinung, die ich selbstverständlich vertrete. Das ist etwas anderes, als sich wie ein trotziges Kind zu benehmen, James.“

„Können Sie es sich tatsächlich leisten, eine Haushälterin zu beschäftigen?“

„Sie wissen genau, dass ich das nicht kann!“

„Dann hören Sie auf, sich zu beschweren. Denn ich kann es. Und es scheint mir der richtige Zeitpunkt zu sein. Vor allem mit einem möglichen neuen Projekt in Schottland in Aussicht.“

„James, Sie erwarten doch nicht, dass ich nach Schottland ziehe, um die Umbauten dieses Schlosses zu beaufsichtigen, oder?“ Erschrocken rang Andrea nach Luft, als ihr der Gedanke kam. Ihre Miene zeigte ungläubiges Entsetzen.

„Selbstverständlich nicht“, erwiderte er. „Vielleicht müssen Sie hin und wieder einige Wochen dort verbringen, aber deswegen brauchen Sie nicht gleich umzuziehen.“ Er bedachte sie mit einem herausfordernden Blick.

Andrea starrte ihn an. „Ist das der wirkliche Grund, weshalb Sie Mrs Ferguson eingestellt haben?“

„Wovon reden Sie?“

Sie verzog das Gesicht. „Sie haben Mrs Ferguson nur eingestellt, weil Sie genau wussten, dass, sobald die Umbauten in Tarrington Park abgeschlossen sind, meine Anwesenheit hier nicht mehr nötig ist.“

„Habe ich das?“ Seine Stimme klang gefährlich sanft.

„Ja!“

„Andi, ich verstehe nicht, wieso Sie denken, dass alles, was ich tue, auf perfide Hintergedanken gründet.“

„Warum fangen wir nicht damit an, dass Sie mich praktisch gezwungen haben, für Sie zu arbeiten?“

„Wenn Sie kündigen möchten … nur zu!“, hielt er ihr frostig entgegen.

Sie starrten einander an. Andrea anklagend, James herausfordernd.

Andrea senkte als Erste den Kopf. „Soll ich ein Hotelzimmer in Edinburgh für drei Tage reservieren?“, fragte sie steif.

„Wir übernachten nicht in einem Hotel“, gab James ebenso angespannt zurück. „Ich habe bereits alles arrangiert“, fügte er hinzu.

„Ich muss wissen, wo wir wann sind, damit meine Mutter sich keine Sorgen macht.“

Er nickte. „Morgen übernachten wir bei meiner Tante Mae in der Nähe von Ayr. Den Tag darauf …“

„Bei Ihrer Tante Mae …?“, wiederholte sie. Das flaue Gefühl in ihrem Magen kehrte ohne Vorwarnung zurück.

„Haben Sie ein Problem damit?“

Nicht gerade ein Problem. Eher Vorbehalte. Solange James nur selten nach Tarrington Park kam, fiel es ihr leicht, eine gewisse Distanz zu ihm zu wahren. Aber eine Nacht unter dem Dach seiner einzigen Verwandten zu verbringen, empfand sie als viel zu intim.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihrer Tante gefällt, eine Ihrer Angestellten zu beherbergen.“

„Ganz im Gegenteil. Sie freut sich bereits sehr, Sie kennenzulernen.“

„Ach, wirklich?“

„Ja.“ Er nickte spöttisch. „Sie möchte endlich die Frau treffen, die es seit einem Jahr mit mir aushält.“

„Als Ihre Angestellte, meinen Sie?“, stieß Andrea krächzend hervor.

„Natürlich als meine Angestellte“, bekräftigte er. „Die bisherige Grenze für meine Assistentinnen lag bei zehn Monaten.“

„Das wusste ich nicht …“ Andrea brach ab. Zugegeben, James erwartete viel von ihr, doch die letzten Monate hatten auch Spaß gemacht.

James zuckte die Schultern. „Ich hielt es für nicht so wichtig.“

„Was genau haben Sie mit meinen Vorgängerinnen gemacht?“, fragte sie trocken.

„Gar nichts!“

„Aha.“ Andrea nickte langsam. „Ich nehme an, es gab Probleme.“

„Offensichtlich. Ich fange nichts mit Frauen an, die für mich arbeiten, Andi“, sagte er knapp.

Das flaue Gefühl wurde immer stärker.

„Dann ist es ja ein Glück für uns beide, dass ich absolut kein Interesse habe, eine Beziehung mit Ihnen einzugehen!“, versetzte sie kühl.

Als Glück hätte James ihre Einstellung nicht unbedingt bezeichnet. Andrea war wirklich eine ausgesprochen hübsche Frau. Doch seit er ihr Arbeitgeber war, hatte er sich jeden Gedanken an eine persönliche Verbindung verboten.

Allerdings konnte er nicht leugnen, dass sein Interesse erst vor wenigen Minuten aufgeflammt war, als Andrea so heftig auf die bloße Andeutung von Intimität reagiert hatte … bevor sie ihm zum wiederholten Male die Anstellung von Mrs Ferguson vorgeworfen und ihn so effektiv von erotischen Gedanken abgelenkt hatte.

„Zum Glück für uns beide“, murmelte er.

Andrea nickte. „Übrigens, James“, rief sie ihm in herausforderndem Tonfall nach, während er schon auf die Verbindungstür zu seinem Büro zu schlenderte. „Vielleicht sollte ich erwähnen, dass mein Großvater mütterlicherseits aus Wales stammt.“

Er zuckte zusammen. „Soll das heißen, Sie feuern am Sonntag die walisische Mannschaft an?“

Sie bedachte ihn mit einem fröhlichen Lächeln. „Aber ja. Sie sind ziemlich gut, oder?“

James musterte sie nachdenklich. „Sie wissen mehr über das Spiel, als ich angenommen habe“, meinte er schließlich.

„Nicht wirklich.“ Andrea verzog das Gesicht. „Mir ist nur gerade wieder eingefallen, dass mein Großvater uns nach jedem gewonnenen Spiel angerufen hat.“

„Hmm“, murmelte er stirnrunzelnd. „Nach zehn Jahren ist es an der Zeit, dass Schottland wieder gewinnt.“

„Oder England. Spielen sie nicht am Samstag in Italien?“, fügte sie unschuldig hinzu.

James stieß ein leises Knurren aus. „Ich sehe schon, wir werden viel Spaß am Wochenende haben.“

Andrea war sich nicht sicher, ob sie die Aussicht, die nächsten vier Tage mit James in Schottland zu verbringen, als Spaß bezeichnen würde. In Anbetracht ihrer seltsamen körperlichen Reaktionen auf seine Nähe, zusammen mit seiner Warnung, sich nie mit einer Angestellten einzulassen, versprachen die kommenden vier Tage viel mehr, sich zu einer äußerst anstrengenden Zeit auszuwachsen.

2. KAPITEL

„Haben Sie nicht gesagt, es würde im Februar in Schottland nicht mehr schneien?“

„Okay, dann lag ich eben falsch“, grummelte James düster. Er umklammerte das Lenkrad des Geländewagens fester, während er versuchte, durch den dicht fallenden Schnee die Straße auszumachen.

Schon früh am Morgen waren sie aufgebrochen. In der Nähe von Manchester hatten sie eine kurze Lunchpause eingelegt. Mittlerweile war die Abenddämmerung hereingebrochen. Fast unmittelbar nachdem sie die Grenze zu Schottland überquert hatten, hatte es angefangen zu schneien. Mit jedem Kilometer wurde das Schneetreiben stärker.

„Vielleicht hätten Sie vor unserer Abreise den Wetterbericht anschauen sollen“, fügte James unwirsch hinzu.

„Ich? Sie haben mir doch den Eindruck vermittelt, alles unter Kontrolle zu haben“, murmelte sie.

„Leider ist es selbst mir nicht vergönnt, das Wetter zu kontrollieren!“ Und es wurde immer schlimmer. Inzwischen betrug seine Sicht nur noch knapp zwei Meter. Sie kamen immer langsamer voran. „Wenn es nicht bald aufhört, müssen wir uns nach einer Unterkunft für die Nacht umsehen.“

Die Begrenzung der Straße war kaum noch zu erkennen. Eine Schneeschicht bedeckte die Fahrbahn und verwandelte die Fahrt zunehmend in eine Rutschpartie.

Nicht, dass der Range Rover nicht mit solchen Witterungsverhältnissen zurechtkam, aber auch nur solange, wie James sah, wohin er steuerte. Dass ihm seit geraumer Zeit kein Wagen mehr entgegengekommen war, sagte ihm, dass es auf dem Weg vor ihm wahrscheinlich noch katastrophaler aussah.

„Ich hege nicht die Absicht, im Auto zu schlafen. Halten Sie also Ausschau nach einem Hotel oder etwas in der Art.“ Er konzentrierte sich wieder ganz aufs Fahren.

Andrea sah sich nach Anzeichen von menschlicher Zivilisation um, vor allem nach Schildern, die auf ein Hotel hinwiesen. Sie fühlte sich schuldig, weil sie völlig vergessen hatte, den Wetterbericht abzurufen.

„Da drüben!“, rief sie und deutete auf ein Licht links der Straße. „Das könnte ein Gasthof sein oder … Nein, es ist nur eine Straßenlaterne“, schloss sie enttäuscht.

„Eine Laterne bedeutet auch immer ein Haus.“ Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, spähte James in die Richtung, in die sie zeigte. „Ja! Ein Stückchen die Einfahrt entlang … zumindest hoffe ich, dass es eine Einfahrt ist.“ Mit angespannter Miene lenkte er den Wagen auf die Lichtquelle zu. Unter der glatten Schneedecke mochte sich alles Mögliche verbergen. „Es ist ein Gasthof“, rief er triumphierend aus, als er das im Wind schaukelnde Schild entdeckte, auf dem ein Hirsch und eine Distel abgebildet waren. James steuerte den Wagen zu einer Fläche, von der er hoffte, dass es ein Parkplatz war. Dann trat er vorsichtig auf die Bremse und brachte den Wagen langsam zum Stehen. „Kein sehr großes Gasthaus, aber es wird gehen müssen.“ Er warf einen düsteren Blick aus dem Seitenfenster zu dem kleinen Gebäude. „Sollen wir es versuchen?“ Er wandte sich zu Andrea um.

Sie schnitt eine Grimasse. „Bleibt uns denn eine andere Wahl?“

„Nein, aber ich dachte, ich frage trotzdem“, entgegnete James, während er auf der Rückbank nach ihren Mänteln tastete. „Bleiben Sie im Wagen, bis ich die Tür für Sie öffne“, wies er sie an und wappnete sich auf das eisige Wetter, das ihn nun erwartete. „Wenn ich Sie in diesem Schneegestöber verliere, finde ich Sie vielleicht nie wieder.“

Andrea erschauerte, als der kalte Wind in dem kurzen Moment zu ihr hineinwirbelte, in dem James die Tür aufdrückte. Der Schnee fiel nun so heftig, dass sie ihn tatsächlich aus den Augen verlor, während er den Wagen umrundete.

Der Gang um den Wagen dauerte nur wenige Sekunden, doch das reichte, um James wie einen Schneemann aussehen zu lassen. Sein Mantel war mit Schnee bedeckt, auf den dunklen Haaren trug er eine weiße Mütze. „Vorsicht! Der Boden ist glatt“, warnte er, während sie die Beine aus dem Wagen schwang.

Die Warnung kam ein bisschen zu spät. Rutschend gelang es ihr gerade noch, sich an James’ Mantel festzuklammern. „Tut mir leid“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Der Wind war so kalt, dass sie schon kein Gefühl mehr in den Wangen spürte. „Das ist furchtbar“, schrie sie gegen den Wind an. James’ ungeduldiges Kopfschütteln verriet ihr, dass er kein Wort verstanden hatte. Einige Flöckchen lösten sich aus seinen Haaren, fielen auf seine Wangen und schmolzen auf der warmen Haut.

Er ergriff ihre Hand und wandte sich in Richtung Gasthaus. Obwohl sie sich mit aller Kraft gegen den Wind stemmten, kamen sie nur sehr langsam voran. Als Andrea irgendwann aufblickte, stellte sie erstaunt fest, dass sie sich den Lichtern kaum genähert hatten. Erbarmungslos heulte der Sturmwind um ihre Köpfe und schien ihr Vorwärtskommen absichtlich behindern zu wollen.

Das Atmen fiel ihr immer schwerer. Die Schneeflocken prallten wie eisige Geschosse gegen ihr Gesicht.

„Verdammt, so schaffen wir das nie!“ James’ Worte drangen kaum an ihr Ohr, da hatte der Wind sie auch schon fortgerissen. Deshalb traf es sie völlig unvorbereitet, als er sie plötzlich in seine Arme hob und gegen seine Brust drückte. Dann marschierte er mit festen Schritten auf die Lichter des Gasthofes zu.

Unwillkürlich schlang Andrea die Arme um seinen Nacken, damit sie den Kopf vor dem eisigen Wind an seiner Schulter verbergen konnte. Selbst den kalten feuchten Mantel empfand sie als angenehmer als den Wind, der ihre Kehle brennen ließ.

Es fiel ihr schwer zu glauben, dass heute Morgen, bei ihrem Start in Hampshire, noch die Sonne geschienen hatte. Jetzt kam es ihr so vor, als befände sie sich in einer anderen Welt.

Was würde passieren, wenn James es nicht bis zum Gasthaus schaffte? Ihre hinter seinem Nacken verschränkten Finger waren längst völlig gefühllos geworden. Sie hätte daran denken sollen, Handschuhe anzuziehen. Und eine Mütze.

„Fast da!“, stieß James keuchend hervor. „Öffnen Sie die Tür“, rief er Sekunden später.

Andrea hob den Kopf und sah, dass sie tatsächlich vor dem Eingang des Gasthofes standen. Einladend schimmerte ein warmer Lichtschein hinter den an den Rändern mit Eisblumen verzierten Fenstern.

Ihre Finger waren so kalt und taub, es bereitete ihr Schwierigkeiten, sie voneinander zu lösen. Die Schneeschicht auf ihrem Ärmel zerbrach in kleine Stücke, von denen einige zu Boden segelten, als sie den Arm in Richtung Türklinke bewegte. Beim ersten Versuch glitt ihre Hand wirkungslos von dem kalten Metall ab, dann schaffte sie es, die Klinke niederzudrücken. James stolperte praktisch über die Schwelle in einen gemütlich wirkenden Schankraum.

Mit offenem Mund starrte der Wirt sie an. Die Überraschung, dass bei diesem Wetter überhaupt jemand unterwegs war, war ihm deutlich anzusehen.

„Könnten Sie bitte die Tür hinter uns schließen?“, sagte James, während er Andrea zu dem Sessel vor dem Kamin hinübertrug, in dem munter ein Feuer flackerte. Außer ihnen befand sich niemand in dem kleinen Raum. Er ließ sich, mit Andrea auf seinem Schoß, in den Sessel sinken. Ihre Zähne klapperten laut.

„Ist schon okay, Andi“, murmelte er beruhigend. „Alles wird gut“, fügte er hinzu. Allmählich vertrieb die Wärme des Feuers die Taubheit aus seinen Händen.

Ein schmerzhaftes Kribbeln setzte ein, das er jedoch nach dem Schrecken im Schnee als wohltuend empfand. Er war sich wirklich nicht sicher gewesen, ob er es bis zur Tür des Gasthauses schaffen würde. Jeder Schritt war zu einem Triumph seines Willens zum Überleben geworden.

Nicht, dass James vorhatte, Andrea von seinen Ängsten zu erzählen. Aus Erfahrung wusste er, dass es ihr normalerweise gelang, in jeder Situation die Ruhe zu bewahren. Der Tod ihres Vaters und ihres Verlobten hatte sie nicht aus der Fassung gebracht, ebenso wenig der Verkauf von Tarrington Park, um die Schulden ihres Vaters zu bezahlen. Aber die Art und Weise, wie sie sich jetzt immer noch an ihm festklammerte, verriet ihm, dass sie mit den Nerven am Ende war.

Unvermittelt erwachte heißes Verlangen in ihm. Pures und ehrliches Verlangen. Sie wirkte so schutzbedürftig in seinen Armen, so verletzlich. Die feuchten Haare klebten an ihrer Stirn, ihre Augen waren ängstlich geweitet. In diesen schokoladenbraunen Tiefen konnte ein Mann sich gänzlich verlieren, wurde James in diesem Moment bewusst. Seinen Willen, ja, seine Seele könnte er verlieren, aber es wäre ihm völlig gleichgültig, solange Andrea ihn nur weiterhin mit diesem warmen dankbaren Ausdruck ansah.

Nie zuvor waren ihm die langen Wimpern aufgefallen, ein dichter dunkler Kranz, der einen faszinierenden Kontrast zu dem honigblonden Haar bildete. Ihre Lippen schimmerten in einem sanften Rosa, voll und sinnlich, ein wenig schmollend, als warteten sie nur darauf, geküsst zu werden.

„Hier, einen für Sie, einen für Ihre Lady.“

James zwang sich, den Blick von Andrea abzuwenden. Der Gastwirt stand nun neben dem Sessel. Er hielt zwei Gläser in Händen, in denen eine bernsteinfarbene Flüssigkeit träge wirbelte. Wahrscheinlich Whiskey, dachte James und führte eines der Gläser an Andreas Lippen. „Trinken Sie“, befahl er, als sie sich nicht rührte.

Gehorsam schluckte sie mechanisch. Ihre Gedanken kreisten um die Empfindung, die gerade in James’ Augen aufgeblitzt war, während er sie so eindringlich betrachtet hatte … ein seltsames Erkennen, das dazu führte, dass ihre Gedanken wieder unablässig um die vier Tage kreisten, die sie nun alleine mit ihm in Schottland verbringen würde.

Nur mit Mühe gelang es ihr, einen Hustenanfall zu unterdrücken, als der ungewohnte Whiskey durch ihre Kehle strömte, dann jedoch füllte er ihren Magen mit wohliger Wärme. Und er löste ihre geistige Erstarrung so weit, dass sie erkannte, wo sie sich befand: Immer noch auf James’ Schoß, die Arme wie eine Ertrinkende um seinen Nacken geschlungen.

Hektisch richtete sie sich auf, nahm ihm das Glas aus den Händen und ließ sich von seinem Schoß gleiten.

Was war da gerade passiert?

Sie hatte in James’ Augen geschaut. Was hatte sie dort gesehen? Eine seltsam komplexe Erkenntnis, als habe er soeben etwas Erstaunliches begriffen. Und Verlangen. Fast schien es, als habe James sie zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Und vielleicht stimmte das auch. Zumindest bot sie ihm heute einen ganz anderen Anblick, als den der kühlen sachlichen Assistentin, die sie im Büro verkörperte. Das Haar fiel ihr offen über die Schultern. Jeans und Pullover waren weitaus lässigere Kleidung, als sie jemals während der Arbeitszeit getragen hätte. Ohne ihre maßgeschneiderten Blusen und Kostüme kam sie sich merkwürdig schutzlos vor. Vor allem, wenn es die Art und Weise beeinflusste, wie James sie ansah.

Plötzlich wurde sie sich der Unterhaltung bewusst, die James und der Gastwirt führten.

„Schicke meine Frau, das Zimmer herrichten“, murmelte der Wirt eben noch, bevor er sich umwandte und durch eine Tür verschwand, auf der ein Schild mit der Aufschrift „Privat“ prangte.

„Möchten Sie zuerst die gute oder die schlechte Nachricht hören?“

Stirnrunzelnd sah sie James an. Anscheinend hatte sie sich immer noch nicht von der Kälte des Sturms erholt. Auf jeden Fall fiel es ihr weiterhin schwer, logisch zu denken. Oder vielleicht lag es ja auch am Whiskey. Oder daran, dass sie noch vor wenigen Minuten in seinen Armen gelegen hatte …

„Die schlechte“, murmelte sie.

James nickte. „Die schlechte Nachricht lautet, dass das hier nur ein Pub ist, kein Hotel. Normalerweise vermietet der Wirt also keine Zimmer.“

Andrea blinzelte. „Und die gute …?“

„Es gibt ein Schlafzimmer, das wir heute Nacht benutzen dürfen. Es ist das Zimmer seiner Tochter, die im Moment an der Universität studiert.“

„Ein Schlafzimmer … Singular?“

„Schlafzimmer, Singular“, bestätigte James.

„Sie schlagen doch nicht vor, dass wir beide uns dieses Zimmer teilen, oder?“ Fragend schaute sie ihn quer durch den Raum hinweg an. Ihre Augen blitzten vor Entrüstung.

Finster erwiderte James ihren ungläubigen Blick. Was, zur Hölle, glaubte sie, was er tun würde? Über sie herfallen?

Nicht, dass die Vorstellung ihn nicht reizte … nicht, wenn Andrea so verdammt gut aussah. Allerdings gefiel ihm die Unterstellung nicht, er könne seine Hände – oder andere Teile seines Körpers – nicht bei sich behalten!

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wäre es Ihnen lieber, wenn wir wieder hinausgehen und weiterfahren, bis wir ein Hotel mit zwei freien Zimmern finden?“

„Nein, natürlich nicht“, fuhr sie ihn wütend an. „Aber … Sie könnten ja hier unten schlafen“, fügte sie hoffnungsvoll hinzu.

Abgesehen von dem Lehnstuhl, in dem James saß, gab es nur noch einen zweiten Sessel und schlichte Bänke und Stühle aus Holz, die sich um die leeren Tische scharten.

Er schüttelte den Kopf. „Ich bevorzuge ein weiches Bett. Allerdings habe ich nichts dagegen, dass Sie hier unten schlafen, falls Sie das möchten“, fügte er hinzu. „Natürlich wird der Wirt das etwas seltsam finden, schließlich nimmt er wohl an, dass wir ein Paar sind.“

„Dann müssen Sie seine falsche Annahme eben korrigieren!“ Unwillkürlich ballte sie die Hand, in der sie nicht das Whiskeyglas hielt, zur Faust. „Ich teile kein Schlafzimmer mit Ihnen, James“, bekräftigte sie mit fester Stimme.

„Wo liegt denn das Problem, Andi?“, herrschte er sie ungeduldig an.

„Ich … Sie … Wir …“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Allein der Gedanke, im selben Zimmer wie er zu übernachten, ließ Panik in ihr aufsteigen. „Sie sind mein Chef. Ich arbeite für Sie.“

„Und das schließt automatisch aus, dass wir uns ein Schlafzimmer teilen?“, spottete er.

„Das waren doch Ihre Worte!“, erinnerte sie ihn. In ihrer Stimme schwang mehr Verzweiflung mit, als ihr gefiel. „Sie fangen nichts mit Ihren weiblichen Angestellten an, wissen Sie noch?“

„Ein Zimmer zu teilen, bedeutet doch nicht, dass wir etwas miteinander haben.“

„Es bedeutet aber auch nicht, dass wir nichts miteinander haben!“

Langsam ließ James seinen Blick bewundernd über ihren Körper wandern. „Wenn Sie Ihre Hände bei sich behalten, tue ich das auch.“

„Ein Gentleman würde sich nie so verhalten!“

James zuckte die Schultern. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals behauptet zu haben, ein Gentleman zu sein.“

„Auch gut!“, schnaubte sie verärgert. „Sie …“

„Wir diskutieren das später, Andi!“, fiel er ihr ins Wort und wandte sich dem Wirt zu, der in diesem Moment polternd wieder den Schankraum betrat.

„Meine Frau hat einen Topf mit Suppe aufgesetzt“, verkündete der ältere Mann zufrieden. „Das Brot kann im Ofen schön knusprig backen, während sie das Zimmer vorbereitet.“

Beim Klang des schottischen Akzents wurde James bewusst, wie sehr er sein Land und die offenherzige Gastfreundschaft seiner Einwohner vermisste.

Schon vor Jahren hatte er Schottland verlassen – hier wäre er für immer ein großer Fisch in einem kleinen Teich geblieben. Nur in London konnte er zu einem wirklich großen Fisch in einem wahrhaft riesigen See werden. Er hatte nie bedauert, diesen Schritt unternommen zu haben … wie auch? War er doch so zu seinem Vermögen gekommen. Aber den schottischen Akzent zu hören, erinnerte ihn wieder daran, dass das hier seine Heimat war.

„Wie lange, denken Sie, wird der Blizzard andauern?“, wandte Andrea sich an den Wirt.

„Ach, das ist doch kein Blizzard“, versicherte er ihr. „Das ist bloß ein kleines Schneegestöber.“

Andreas Augen weiteten sich. Ein Schneegestöber? Wie mochte dann erst ein Blizzard aussehen?

„Sassenach“, sagte James trocken.

Andrea hatte keine Ahnung, was das Wort bedeutete, war sich aber angesichts des einvernehmlichen Lächelns der beiden Männer sicher, dass es etwas Abschätziges sein musste. Sie sandte James ein tadelndes Stirnrunzeln, bevor sie sich wieder dem Wirt zuwandte. „Wie lange wird dann eben das Schneegestöber anhalten?“

„Nicht mehr als ein paar Tage“, meinte er unbekümmert.

„Ein paar Tage?“, wiederholte sie erschrocken, während vor ihrem geistigen Auge Bilder von ihr und James auftauchten, wie sie, abgeschnitten von der Außenwelt, mehrere Nächte ein Schlafzimmer teilten.

„Ein Blizzard dauert meistens über eine Woche“, erklärte der Wirt.

„Wie … beruhigend“, murmelte Andrea schwach und ließ sich in den Sessel gleiten, der James’ gegenüberstand. Einem James, der sie ausgesprochen amüsiert anblickte … wenn sie das helle Funkeln in seinen grünen Augen richtig deutete.

Sie konnte der Situation absolut nichts Amüsantes abgewinnen. Allein der Gedanke an das geteilte Zimmer ließ ihre Knie ganz weich werden.

„Ich gehe mal und schaue nach dem Essen“, sagte der Wirt nervös, nachdem er einige Sekunden die eisigen Blicke beobachtet hatte, die James und Andrea einander zuwarfen.

Kaum waren sie allein, beugte Andrea sich vor. „James, es kann unmöglich Ihr Ernst sein, dass wir beide hier bleiben und uns ein Schlafzimmer teilen.“

Bevor er antwortete, schlüpfte James aus seiner warmen Jacke. „Ich bin für andere Vorschläge offen. Realistische Vorschläge“, fügte er warnend hinzu und zog dann spöttisch eine Augenbraue hoch. „Nur weil Sie eine Frau sind, und ich ein Mann, bedeutet das noch nicht, dass ich über Sie herfalle, kaum dass wir uns in einem Zimmer mit einem Bett befinden.“

Verlegene Röte breitete sich auf ihren Wangen aus. „Daran habe ich auch nicht gedacht.“

„Vielleicht sind Sie ja diejenige, die über mich herfällt?“

Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „James.“

„Andi?“, erwiderte er herausfordernd.

Wieder kamen Andreas chaotische Gedanken zu einem abrupten Ende. Das gefährliche Funkeln in James’ Augen verriet ihr, dass es sehr unklug war, das Thema Schlafzimmer weiterzuverfolgen.

Sie atmete tief ein. „Das alles ist Ihre Schuld.“

„Ich bin wohl kaum für das Wetter verantwortlich.“

Ihre Augen verdunkelten sich, bis sie fast schwarz schimmerten. „Sie sind dafür verantwortlich, dass ich in Schottland bin! Und ich finde, das reicht als Grund … Sie sind schuld an dem ganzen Schlamassel!“

„Welchem Schlamassel?“, stieß er ungeduldig hervor. „Wie der Wirt schon gesagt hat, es ist bloß ein kleines Schneegestöber.“ Er zuckte die Schultern. „In ein paar Tagen können wir weiterfahren.“

„Gerade rechtzeitig für Ihr blödes Rugbyspiel, nehme ich an? Zweiundzwanzig Männer versuchen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen!“

„Dreißig Männer. Sie verwechseln Rugby mit Fußball. Und sie versuchen nicht, einander die Köpfe einzuschlagen. Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Punkte zu sammeln. Punkte erzielt man dadurch, dass man entweder ein Tor schießt oder den Ball über die gegnerische Torlinie trägt.“

„Immer wenn ich beim Zappen zufällig auf ein Spiel gestoßen bin, habe ich nur einen riesigen Haufen aus miteinander ringenden Körpern gesehen.“

„Das liegt daran, dass es das Ziel der anderen Mannschaft ist, diese Punkte zu verhindern.“

Andrea schnaubte ungläubig. „Ich bin nicht überzeugt, James.“

„Ich versuche ja gar nicht, Sie zu überzeugen!“ Er stand auf und begann, ungeduldig im Gastraum auf und ab zu marschieren. „Was ein so herrliches Spiel wie Rugby angeht, verhalten Sie sich wie ein echter Banause!“

„Herrlich!“, rief sie verschnupft. „Und Sie wissen alles darüber, ja?“

Er nickte knapp. „Zufällig ja. In meinem letzten Schuljahr war ich der Spieler, der am meisten Punkte erzielt hat.“

„Das erklärt vieles.“

James warf ihr einen warnenden Blick zu. „Möchten Sie mir Ihre Einschätzung erläutern?“

„Nein, möchte ich nicht.“ Andrea erhob sich aus dem Sessel und stellte erfreut fest, dass die Kälte endlich aus ihren Gliedern gewichen war. „Sassenach …?“

„Jemand aus England“, entgegnete er mit einem unschuldigen Schulterzucken.

Einige Sekunden bedachte sie ihn noch mit einem misstrauischen Blick. In dem Wort lag mehr, als er ihr zu verraten bereit war. In ihren Ohren hatte es ganz deutlich abschätzig geklungen.

„Ich werde den Wirt fragen, ob ich das Badezimmer benutzen darf, um mich frisch zu machen“, meinte sie. „Vorausgesetzt, es Ihnen nach wie vor ernst, dass wir die Nacht hier verbringen.“

„Definitiv.“

„Unsere Taschen befinden sich noch draußen im Wagen“, erwiderte sie spitz und lächelte dann, als sich auf James’ Miene ein gequälter Ausdruck abzeichnete. Aus dem Fenster blickend, wurde ihm klar, dass er in den immer noch heftig fallenden Schnee würde hinausgehen müssen, um ihr Gepäck zu holen.

„Viel Spaß!“, fügte Andrea spöttisch hinzu und verschwand durch die Tür mit dem Schild „Privat“. Kaum dass sie allein im Flur stand, verflüchtigte sich ihr Lächeln. Sie blieb stehen und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.

Sie konnte heute Nacht nicht das Zimmer mit James teilen. Vielleicht auch noch morgen Nacht, falls das Wetter sich nicht besserte. Allein der Gedanke jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Nach dem Tod ihres Vaters und Davids, hatte sie monatelang wie unter einer Watteschicht gelebt. Andere Männer hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen. Aber langsam und sicher hatte James es geschafft, ihre Gefühle wieder zum Leben zu erwecken. Wie hätte eine normale gesunde Frau auch mit ihm zusammenarbeiten und nicht die Energie bemerken können, die von seinem Körper ausging? Wie die unverkennbar männliche Ausstrahlung übersehen? Wie sich der Attraktivität der markanten Gesichtszüge entziehen?

Andrea war es auf jeden Fall nicht gelungen.

Was die Situation später, als sie tatsächlich mit James alleine in besagtem Schlafzimmer stand, nicht gerade entspannte!

3. KAPITEL

„Es gibt nur ein Bett!“

„Worauf wollen Sie hinaus …?“, fragte James trocken, als er ihre Koffer in dem gemütlichen Zimmer abstellte, das die Frau des Wirtes für sie hergerichtet hatte. Ein warmes Feuer brannte in einem gusseisernen Ofen. Das restliche Mobiliar bestand aus einem Bett, einem kleinen Sessel und einem Schreibtisch.

Kurz nachdem Andrea durch die Tür mit der Aufschrift „Privat“ verschwunden war, hatte er seine Jacke wieder angezogen und war hinausgegangen, um ihre Taschen zu holen. Der Schnee fiel unvermindert heftig, der Wind fegte ihm die kalte Luft erbarmungslos um die Ohren. Er verspürte große Erleichterung, als er es zurück ins Gasthaus geschafft hatte.

„Sie haben nichts davon gesagt, dass es nur ein Bett gibt!“, beharrte sie. Das Blut schoss ihr in die Wangen, während sie unverwandt das schmale Bett anstarrte.

„Jim und Jennie haben eine Tochter, deshalb gibt es natürlich auch nur ein Bett.“

Ihr Blick glich einer einzigen Anklage. „Sie wussten das?“

Er zuckte die Schultern. „Ich habe es vermutet, ja. Hören Sie endlich auf, sich so verdammt prüde zu benehmen, Andi“, knurrte er.

Die erotischen Gefühle, die James in ihr weckte, waren völlig neu für Andrea und reichlich verstörend. Denn obwohl sie mit David verlobt war, hatte sie ihm gegenüber nie ein so heftig aufflammendes körperliches Verlangen gespürt wie jetzt bei James.

Aber wenn es eines gab, das sie im vergangenen Jahr über James gelernt hatte, dann, dass er kein Interesse an einer langfristigen Beziehung hatte. Sobald die Frau, die aktuell sein Bett wärmte, auch nur anzudeuten wagte, dass sie Erwartungen an ihn stellte, wurde sie still und leise von seinem Leben ausgeschlossen.

Erst gestern hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass ein solcher Ausschluss auch jede seiner persönlichen Assistentinnen einschloss, die sich Hoffnungen auf eine intime Beziehung gemacht hatte.

„Vielleicht haben Sie ja nur deshalb Angst davor, das Bett mit mir zu teilen, weil sie befürchten, halb wahnsinnig vor Lust auf mich zu werden“, spottete er sanft.

„Wohl kaum“, fuhr Andrea auf.

„Dann gibt es ja auch kein Problem, oder?“

Sie atmete scharf ein. „Haben Sie in den letzten zwanzig Jahren das Bett mit einer Frau geteilt und nicht mit ihr geschlafen?“

„Natürlich habe ich …“ James hielt in seinem Protest inne, um genauer über die Frage nachzudenken. „Nein, habe ich nicht“, gestand er schließlich. „Aber es gibt für alles ein erstes Mal, nicht wahr?“

„Ach, ja?“

„Wissen Sie, allmählich gehen Sie mir wirklich auf die Nerven, Andi“, entgegnete er rau. „Okay, Sie sind sehr attraktiv und besitzen einen fantastischen Körper, vor allem in diesen engen Jeans und dem schmeichelhaften grünen Pullover, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich versuchen werde, mit Ihnen zu schlafen, sobald wir in einem Bett liegen!“

Andreas Gedanken überstürzten sich. James hielt sie für attraktiv und fand ihren Körper fantastisch …

Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien! „Das hat wirklich geholfen, die Situation zu klären“, murmelte sie stattdessen gereizt. „Ich schlafe im Sessel.“

„Versuchen Sie, mir Schuldgefühle einzureden?“

„Habe ich Erfolg?“

„Nein.“

„Das dachte ich mir schon.“ Prüfend schaute sie ihn an. Kleine Fältchen um Augen und Mund verrieten seine Müdigkeit. Ihr Blick blieb an den sinnlichen Lippen hängen. Lippen, die bestimmt nur dazu geschaffen waren, eine Frau vor Lust verrückt zu machen …

Hör auf damit, Andrea, befahl sie sich. Sich vorzustellen, wie es sich wohl anfühlte, von James geküsst zu werden, von ihm gestreichelt zu werden, half in dieser verzwickten Situation definitiv nicht weiter.

Sie seufzte. „Alles wäre viel einfacher, wenn wir dem Wirt gleich gesagt hätten, dass wir kein Paar sind.“

„Auch wenn ich ihm unser Verhältnis erklärt hätte, hätte das wohl kaum einen Unterschied gemacht. Es gibt nur ein Schlafzimmer. Außerdem … Sie sind nun mal eine attraktive Frau, Andi, und ich ein normaler Mann“, sagte er, als sei damit alles geklärt.

Ihr Haar war mittlerweile getrocknet und fiel in seidigen Wellen über ihre Schultern. Der Ausdruck in ihren schokoladenbraunen Augen blieb für ihn unlesbar. Dafür war die Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt. Ihre sanft geschwungenen Lippen schienen ihn einladend zu locken.

Andi war attraktiv. Sehr sogar. Warum also war ihre Beziehung im gesamten vergangenen Jahr über eine platonische Ebene nicht hinausgekommen?

Weil James wusste, dass Andrea tatsächlich die beste Assistentin der westlichen Hemisphäre war. Jede Änderung ihrer Beziehung würde das Ende ihres Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen.

Außerdem trauerte Andrea offensichtlich immer noch um diesen niederträchtigen Simmington-Brown.

Einige Male war er schon drauf und dran gewesen, ihre rosafarbenen Vorstellungen über ihren verstorbenen Verlobten zu Fall zu bringen. Bislang hatte er der Versuchung widerstanden. Es gab keine Garantie, dass Andrea ihm glaubte. Sie schien Simmington-Brown auf eine Art Podest gestellt zu haben, auf dem kein anderer Mann Platz finden konnte.

Glücklicherweise waren Simmington-Browns Geheimnisse mit ihm gestorben. Deshalb hatte James entschieden, sie ebenfalls für sich zu behalten.

Es sei denn, Andrea provozierte ihn, das dunkle Vermächtnis zu enthüllen …

„Sie hätten dem netten Wirt trotzdem unsere Beziehung erklären sollen“, beharrte sie stur. „Aber dafür ist es jetzt zu spät.“

„Ist es.“

Sie bedachte ihn mit einem eisigen Blick. „Ich schlage vor, wir gehen wieder nach unten. Bestimmt ist das Essen mittlerweile fertig.“

„Ich komme in ein paar Minuten nach“, entgegnete James müde. „Auch ich möchte mich vorher frisch machen“, fügte er angespannt hinzu. „Ich nehme an, wir teilen uns das Bad mit dem Gastwirt und seiner Frau?“

Sie nickte. „Es ist sehr freundlich von ihnen, uns das Zimmer ihrer Tochter zur Verfügung zu stellen.“

„Sie sollten sich dafür bedanken, wenn Sie nach unten gehen.“

„Das habe ich auch vor“, herrschte sie ihn mit blitzenden Augen an. „Ich ärgere mich über Sie, James, nicht über Jim und seine Frau.“

„Was bin ich doch für ein Glückspilz“, entgegnete er trocken.

„Sie sind einfach unmöglich!“

Unbeeindruckt zuckte er die Schultern. „Das sagt man mir häufiger.“

Plötzlich fiel Andrea etwas ein. Morgen oder übermorgen würden sie bei seiner Tante Mae übernachten. Die erwartete doch wohl nicht auch, dass sie und James sich wieder ein Schlafzimmer teilten …?

„Ich hoffe, wenigstens Ihre Tante Mae weiß um unsere reine Arbeitsbeziehung?“

„Absolut“, entgegnete er spöttisch. „Tatsächlich glaube ich, dass meine Tante von Ihnen überrascht sein wird.“

Andrea musterte ihn misstrauisch. „Inwiefern?“

„Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass Sie ein wenig älter sind.“

„Und warum denkt sie das?“

„Vielleicht weil meine Beschreibung ‚überkorrekt, fleißig und tugendhaft‘ nach einer Frau Mitte fünfzig klingt.“

„Das haben Sie Ihrer Tante über mich erzählt?“, fragte sie ungläubig.

„Finden Sie, die Beschreibung passt nicht?“

Doch, ja, sie passt. Und hört sich vollkommen langweilig an, schoss es Andrea traurig durch den Kopf. Farblos und langweilig, irgendwie vertrocknet.

Sah James sie wirklich so? Falls ja, brauchte sie sich definitiv keine Sorgen wegen heute Nacht zu machen!

„Großartig“, murmelte sie. „Vielleicht sollten Sie sie anrufen und ihr sagen, dass unsere Ankunft sich verzögert?“

„Das ist sehr aufmerksam von Ihnen, Andi, aber ich habe vorhin schon kurz mit ihr telefoniert“, sagte er. „In Ayr schneit es genauso heftig, deshalb ist sie sowieso davon ausgegangen, dass wir irgendwo einen Zwischenstopp eingelegt haben.“

Die Einzige, so schien es, die mit dem Übernachtungsarrangement unzufrieden war, war Andrea.

Allerdings besserte sich ihre Stimmung merklich, als sich die versprochene Suppe in Wahrheit als deftiger Eintopf entpuppte, zu dem es frisch gebackenes Brot und sahnige goldene Butter gab. Sie aßen zu viert in dem kleinen Esszimmer neben dem Schankraum. Jennie, die Frau des Wirts, war eine rundliche Frau mittleren Alters, die ihre unerwarteten Gäste mit aufrichtiger Herzlichkeit begrüßte.

„Wir Schotten sind ein freundliches Volk … sobald man unsere Starrköpfigkeit überwindet“, antwortet James trocken auf Andreas Kommentar, nachdem Jennie und ihr Mann sich mit dem schmutzigen Geschirr in die Küche zurückgezogen hatten. Jedes Angebot, ihr beim Abräumen und Spülen zu helfen, hatte sie entschieden abgelehnt.

Bislang hatte Andrea in James nie einen Schotten gesehen, dabei hatte sein Name, James Harrison, einen unverkennbar schottischen Klang! Während des Essens war ihr aufgefallen, dass sich ein leiser Akzent in seine Stimme geschlichen hatte, den er anscheinend in England ablegte.

Mit Entsetzen stellte sie nun fest, dass sie in den letzten Monaten nicht nur angefangen hatte, James als attraktiven Mann wahrzunehmen, sondern dass sie nun auch diese kleinen Veränderungen nicht nur bemerkte, sondern überaus sexy fand.

„Dann habe ich Ihre wohl nie überwinden können!“, entgegnete sie unwirsch, um die Aufregung in ihrem Innern zu verbergen.

„Wollten Sie das denn?“, fragte er, die Lider halb gesenkt.

Andrea spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Natürlich nicht! Sie haben mich als Ihre Assistentin angestellt. Aus diesem Grund spielt es keine Rolle, ob Sie mir gegenüber starrköpfig oder wie auch immer auftreten.“

„Ich hatte das Gefühl, einen Tadel in Ihrer Stimme zu hören.“

„Da ist keiner.“

„Oh, doch, Andi.“ Er streckte die Hand aus, legte sie auf ihre und schaute ihr tief in die Augen. „Ich bin mir hundertprozentig sicher.“

Es gelang ihr nicht, den Blick abzuwenden, so fasziniert war sie von seinen funkelnden grünen Augen. „Das ist keine gute Idee, James …“ Ihre Worte klangen wie ein atemloses Seufzen.

Nein, ist es nicht, stimmte er ihr zu. Aber in diesem Moment, während er sich in ihren Augen verlor und sanft ihre Finger streichelte, wollte er nicht daran denken.

„James?“

Der panische Unterton in ihrer Stimme durchbrach endlich seine Konzentration auf ihre leicht geöffneten Lippen.

Seit einem Jahr arbeitete Andi nun für ihn. Und vielleicht war ihm schon vorher aufgefallen, dass sie eine wunderschöne Frau war, aber nie hatte er die unsichtbare Grenze zwischen Chef und Angestellter überschreiten wollen. Bis jetzt.

In den vergangenen Stunden war etwas passiert. Aber was?

Bisher hatte er sie nie berührt, fiel James nun verwundert auf. Nie hatte er Andrea in seinen Armen gehalten, so wie vorhin, als sie sich ihren Weg durch das Schneegestöber zum Gasthaus gebahnt hatten. Nie hatte er so wie jetzt ihre Hand gestreichelt.

„Du hast recht“, murmelte er rau und zog seine Hand zurück.

In ihren Fingern spürte sie noch das Kribbeln der Berührung. Ihre Wangen brannten, ihre Augen fühlten sich fiebrig an … und das alles nur, weil James sie berührt hatte? Oh, Gott!

War sie so lange allein gewesen, dass schon die winzigste Berührung eines Mannes ausreichte, um ihre Sinne zu verwirren?

James’ Haare wirkten ein wenig zerzaust, es fiel ihr immer schwerer, der Versuchung zu widerstehen, mit beiden Händen hindurchzufahren. Seinen hellgrünen Augen waren nun halb geschlossen, sodass sie seine Gedanken nicht lesen konnte. Sein Gesicht sah aus, als sei es aus Stein gemeißelt … mit perfekten männlichen Zügen. Unter einem dicken schwarzen Pullover zeichneten sich breite Schultern ab, ausgeblichene schwarze Jeans verhüllten lange muskulöse Beine.

James Harrison, stellte Andrea mit Entsetzen fest, war der in erotischer Hinsicht attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.

Im gesamten vergangenen Jahr hatte sie ihn nicht richtig wahrgenommen, weil sie um ihren Vater und David trauerte. Und auch jetzt wusste sie instinktiv, dass es besser war, ihr erwachendes Bewusstsein hinter einem kühlen Äußeren zu verbergen. Hinter einer überkorrekten, fleißigen und tugendhaften Fassade!

Verdammt, wie die Beschreibung an ihr nagte! Genug, um James das Gegenteil zu beweisen? Nein, so sehr nun auch wieder nicht.

Abrupt stand sie auf. „Ich gehe ins Bett.“

Amüsiert schaute James zu ihr auf. „Ich dachte, Sie hätten beschlossen, auf dem Sessel zu schlafen?“

„Wenn Sie darauf bestehen, im Bett zu schlafen, dann ja!“

„Oh, ich bestehe darauf.“ Er nickte bekräftigend, seufzte dann jedoch, als er ihre gequälte Miene sah. „Müssen wir diese Diskussion wirklich führen?“

„Absolut!“

„Meine Güte, Andi, Sie können ja ein Kissen in die Mitte legen, wenn Sie sich dann sicherer fühlen!“

Nichts an der Tatsache, dass sie mit James in einem Zimmer schlafen sollte, konnte Andrea in irgendeiner Weise ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. „Ich versuche nur, vernünftig zu sein.“

„Sie verhalten sich wie eine Jungfrau aus dem viktorianischen Zeitalter, die um ihre Unschuld fürchtet“, gab er beißend zurück.

Vielleicht, weil sie genau das war – nicht der Teil mit dem Zeitalter, aber Jungfrau stimmte. Ihr war klar, dass James das schwerfallen würde zu glauben. Immerhin war sie schon sechsundzwanzig. Aber während ihrer Zeit auf der Universität hatte sie sich auf keine der lockeren Affären einlassen wollen. Und mit David war sie über ein paar leidenschaftliche Küsse vor seinem unerwarteten Tod einfach nicht hinausgekommen.

Tja, hier stand sie also, Andrea Buttonfield, eine sechsundzwanzigjährige Jungfrau.

„Machen Sie sich doch nicht lächerlich, James“, fuhr sie ihn an. „Alles, was ich möchte, ist, die Form unserer Arbeitsbeziehung zu wahren.“

Seine Mundwinkel zuckten humorlos. „Vielleicht sollte ich Sie vor dem Schlafen zum Diktat bitten?“

„Sie werden nichts dergleichen tun. Und wenn, verweigere ich den Dienst!“

„Okay, Andi, Sie haben gewonnen. Ich schlafe auf dem Sessel. Ich hoffe, das ist kein triumphierendes Lächeln, das ich da auf Ihren Lippen sehe“, fügte er langsam hinzu.

„Selbstverständlich nicht“, versicherte sie ihm mit Unschuldsmiene.

Zu unschuldig, bemerkte James empört. „Da ich mich schon mit dem unbequemen Schlafplatz zufriedengebe, werde ich mir noch ein Glas Whiskey gönnen, bevor ich nach oben komme.“ So bekam Andrea auch genügend Privatsphäre, um sich in Ruhe bettfertig zu machen.

In Wahrheit behagte James mittlerweile die Vorstellung, das Zimmer mit ihr zu teilen, ebenso wenig wie ihr. Die wenigen Sekunden, in denen er ihre Hand berührt hatte, hatten ihm verraten, dass er ihr gegenüber nicht so immun war, wie er es sich gerne eingeredet hätte.

Weich wie Samt hatte ihre Haut sich angefühlt. Der Ausdruck in ihren Augen war ihm warm und einladend vorgekommen. Den sanften Hüftschwung, mit dem sie nun den Raum verließ, empfand er als eine Versuchung, von der er nicht sicher wusste, ob er die Kraft besaß, ihr langfristig zu widerstehen.

Was, zur Hölle, war denn bloß los mit ihm? Es war ja nicht so, dass er sich sexuell ausgehungert fühlte – obwohl seine letzte Beziehung schon einige Monate her war. Allerdings konnte das wohl kaum sein plötzlich erwachendes erotisches Bewusstsein und die leidenschaftlichen Gedanken erklären, in denen Andrea die verführerische Hauptrolle spielte. Die kühle, distanzierte und überkorrekte Andrea Buttonfield.

Die auf einmal gar nicht mehr so kühl und distanziert wirkte …

4. KAPITEL

„Könnten Sie damit aufhören, sich hin und her zu wälzen und endlich schlafen?“

Sofort lag Andrea ganz still. „Ich kann einfach keine bequeme Position finden.“ James’ Gegenwart zerrte an ihren Nerven.

„Vielleicht habe ich dann doch den besseren Platz bekommen“, murmelte er zufrieden. „Dieser Sessel ist gar nicht so schlecht.“

„Sadist!“

Er lachte leise in der Dunkelheit. Das einzige Licht im Zimmer stammte vom fast heruntergebrannten Kaminfeuer und dem hellen Mondlicht, das vom weißen Schnee silbrig reflektiert wurde. „Möchten Sie tauschen?“, bot er gereizt an, als Andrea wieder begann, sich herumzuwälzen.

„Dann würden Sie ja nicht mehr bequem liegen.“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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