Julia Bestseller Band 179

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GEHEIMNISVOLL - UND SO VERFÜHRERISCH von MORTIMER, CAROLE
Heißes Verlangen weckt der charmante Drehbuchautor Luke in Leonora. Seit sie an der Biografie seiner Mutter schreibt, umgarnt er sie immerzu. Trotzdem wird sie das Gefühl nicht los, dass er sie nicht wirklich erobern, sondern nur von einem Geheimnis ablenken will!

BETH UND DER MILLIONÄR von MORTIMER, CAROLE
Flirten? Das ist nichts für Elizabeth! Ihre Helden leben in Romanen. Bis sie sich bei einem Aufenthalt in Cornwall in den Millionär Rogan Sullivan verliebt. Doch kaum gibt sie sich am Strand seinen Küssen hin, erfährt sie: Sie ist nicht die Einzige für ihn …

EINE TRAUMROLLE FÜR MADISON von MORTIMER, CAROLE
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  • Erscheinungstag 30.09.2016
  • Bandnummer 0179
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707361
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carole Mortimer

JULIA BESTSELLER BAND 179

1. KAPITEL

„Sie müssen Dr. Leonora Winston sein.“

Leonie blickte auf. Sie wartete schon seit einigen Minuten in dem Salon, in den das Hausmädchen sie geführt hatte, jedoch nicht auf den großen, dunkelhaarigen Mann, der dort auf der Schwelle stand. Er war ihr fremd, und sie runzelte die Stirn.

Er sah wirklich gut aus, das musste sie zugeben. Weitere positive Eigenschaften konnte sie aber beim besten Willen nicht entdecken. Der Unbekannte wirkte arrogant, und seine grünen Augen blickten kalt. Jemand, der nichts außer seiner eigenen Meinung gelten lässt, war ihr spontanes Urteil.

Sein Tonfall hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass der Mann sie ans Ende der Welt wünschte, und sie kam sich wie ein Eindringling vor. Obendrein hatte er sie mit „Leonora“ angeredet, was ihr stets leichtes Unbehagen bereitete. Sie war zwar auf diesen Namen getauft worden, da ihre Großeltern Leo und Nora hießen, wurde allerdings von Kindheit an nur Leonie genannt.

Der Fremde maß sie abfällig von Kopf bis Fuß. Leonie wusste nicht, womit sie sein feindseliges Verhalten verdient hatte, denn sie sah diesen Mann zum ersten Mal. Sie ließ sich ihre Unsicherheit jedoch nicht anmerken, sondern gab sich gelassen und wich seinem Blick nicht aus.

„Luke Richmond, wenn mich nicht alles täuscht “, erwiderte sie ungerührt, weil ihr mittlerweile eingefallen war, um wen es sich handeln musste. Sie war durchaus in der Lage, mit Männern wie ihm fertig zu werden.

Er presste die Lippen zusammen und sah sie drohend an. „Sie finden die Situation vielleicht amüsant, Dr. Winston, aber …“

„Nennen Sie mich bitte Leonie“, unterbrach sie ihn und lächelte betont freundlich. „Außerdem muss ich Ihnen widersprechen, denn ich finde die Situation eher ärgerlich als amüsant.“

„Weil Sie Rachel erwartet hatten?“ Spöttisch verzog er den Mund. „Keine Angst, sie wird bald kommen – es ist eine ihrer vielen Marotten, immer unpünktlich zu sein.“

Sie fand diese Kritik an seiner Mutter einer Fremden gegenüber mehr als taktlos.

Erst jetzt schloss er die Tür hinter sich und kam ins Zimmer. „Bevor Sie sich mit Rachel treffen, wollte ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen.“

Leonie stand vor der Terrassentür, und die Frühjahrssonne schien ihr warm in den Rücken. Dennoch fröstelte sie, so sehr machte ihr die angespannte Atmosphäre zu schaffen. Nicht nur Luke Richmonds abweisende Haltung, sondern vor allem seine Erscheinung machte sie befangen. Er musste gut einsneunzig groß sein, hatte breite Schultern, schmale Hüften und lange, muskulöse Beine. Die schwarzen Jeans und der gleichfarbige Rollkragenpullover unterstrichen seine athletische Figur und beeindruckende Größe, ließen ihn jedoch etwas Furcht einflößend wirken.

Leonie rief sich zur Ordnung. Sie durfte sich durch Äußerlichkeiten nicht beeindrucken lassen und sein unhöfliches Betragen nicht persönlich nehmen. Sein Verhalten hatte bestimmt nichts mit ihr zu tun. Wahrscheinlich hatte er nur schlechte Laune, oder er gefiel sich in der Rolle des Machos.

„Anscheinend liegt hier ein Missverständnis vor, Mr. Richmond …“

„Wenn hier jemand etwas falsch verstanden hat, dann Sie, Dr. Winston“, fiel er ihr ins Wort. „Ich weiß nicht, unter welchem Vorwand Sie sich ein Treffen mit meiner Mutter erschlichen haben …“

„Mr. Richmond …“

„Es wird Ihnen allerdings nichts nützen …“

„Mr. Richmond …“

„… denn meine Mutter gibt generell keine Interviews …“

„Ich bin keine Journalistin!“

„… und Historikerinnen auch nicht“, beendete er den Satz und blickte sie vernichtend an. „Den Grund dafür dürften Sie kennen“, fügte er nach einer bedeutungsvollen Pause hinzu.

Das stimmte allerdings. Leonie erinnerte sich noch ganz genau an den Skandal, den eine nicht autorisierte Biografie über Rachel Richmond vor zwei Jahren erregt hatte. Das Leben der Diva wurde darin in den schillerndsten Farben geschildert, und es wurden viele pikante Andeutungen gemacht, für die der Autor die Beweise schuldig geblieben war.

Und im Mittelpunkt aller Spekulationen stand damals wie heute niemand anders als Luke Richmond persönlich.

Er war siebenunddreißig Jahre alt, attraktiv und mehrfacher Oscarpreisträger für das beste Drehbuch. Daher hatten die Medien ein reges Interesse an ihm, zumal ihn ein großes Geheimnis umgab: Niemand wusste, wer sein Vater war.

Rachel, die mittlerweile schon über fünfzig Jahre auf der Bühne und vor den Kameras stand und eine gefeierte Persönlichkeit war, hatte vor siebenunddreißig Jahren trotz der Schwangerschaft weder geheiratet, noch den Namen des Vaters ihres Kindes preisgegeben.

Zur Zeit von Lukes Geburt, Mitte der sechziger Jahre, hatte man von einer Diva wie Rachel Richmond noch ein untadeliges Privatleben erwartet, und die mächtigen Filmgesellschaften hatten sogar eine entsprechende Klausel in die Verträge aufgenommen. Rachel hatte sich ganz souverän darüber hinweggesetzt. Sie hatte gelächelt und geschwiegen und ihren kleinen Sohn mit zu den Dreharbeiten genommen.

Dank ihres Charmes war es ihr gelungen, einen Vorfall, der leicht das Ende ihrer Karriere hätte bedeuten können, in einen persönlichen Triumph zu verwandeln. Sie war als vorbildliche Mutter gefeiert worden, die das Wohl ihres Kindes in den Mittelpunkt stellte, und ihr Bild mit dem Säugling auf dem Arm mitten im Studio hatte die Herzen der Nation gerührt.

Im Lauf der Jahre kamen immer wieder andere Gerüchte auf, wer Lukes Vater sein könnte. Aber da Rachel sich niemals dazu geäußert hatte, waren es Gerüchte geblieben.

Nachdenklich betrachtete Leonie den Mann, der ihr gegenüberstand. Hatte ihm das Geheimnis um seine Abstammung etwas ausgemacht? Wusste er, wer sein Vater war? Wenn ja, dann konnte er ebenso eisern schweigen wie seine Mutter.

Leonie atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. „Mr. Richmond, vermutlich hat man Sie nicht informiert, weshalb …“

„Dr. Winston, ich dachte, Sie hätten mich verstanden!“, unterbrach er sie. „Das richtet sich nicht gegen Sie als Person“, fügte er gönnerhaft hinzu. „Ganz im Gegenteil, ich habe Ihre Biografie über Leo Winston gelesen und halte Sie für eine gewissenhafte Historikerin und begabte Schriftstellerin.“

Leonie sah ihn überrascht an, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr Buch kannte. „Danke. Aber da es sich um meinen Großvater handelt, ist mir das Schreiben nicht besonders schwer gefallen.“

Er nickte. „Mag sein. Andererseits gehören seine Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs auch heute noch zu einem der bestgehüteten Geheimnisse der britischen Regierung, und die Recherche war sicher nicht einfach.“

Luke Richmond hatte ihr Erstlingswerk also tatsächlich gelesen! Das war erstaunlich.

„Meine Mutter hat mir die Biografie empfohlen“, erklärte er, als hätte er ihr Erstaunen bemerkt. „Sie hält sie für eine ausgezeichnete Drehbuchvorlage.“

Leonie schauderte. Wie sie ihren Großvater kannte, würde er seine Zustimmung zu solch einem Projekt rundweg verweigern. „Mein Großvater möchte für sein Lebenswerk als Historiker geachtet werden und nicht für seine Missionen während des Krieges“, widersprach sie heftig.

Luke Richmond überhörte den Einwand. „Wirklich spannend, was er sich hat einfallen lassen. Für mich ist er eine Art Robin Hood des zwanzigsten Jahrhunderts. Das war dann auch der Grund, weshalb ich mich nach gründlichem Überlegen gegen eine Verfilmung entschieden habe – die Handlung hätte abgedroschen gewirkt.“ Er lächelte arrogant.

Wenn es seine Absicht gewesen war, sie zu beleidigen, war es ihm gelungen. Allerdings hätte sie es sich um keinen Preis der Welt anmerken lassen.

„Nach gründlichem Überlegen?“, wiederholte sie deshalb nur beiläufig und blickte betont umständlich auf ihre Armbanduhr. Rachel Richmond hatte sich mittlerweile schon um eine Viertelstunde verspätet.

„Ihr Großvater hat mich überzeugt, dass niemand etwas davon hätte, sein Leben zu verfilmen – er am allerwenigsten.“ Mit etwas gutem Willen konnte man Lukes Lächeln diesmal als humorvoll bezeichnen. „Außerdem konnten wir uns auf keinen Hauptdarsteller einigen.“

Leonie runzelte irritiert die Stirn. Ihr Großvater hatte ihr nie etwas über seine Verhandlungen mit Luke Richmond erzählt. Sie hatte noch nicht einmal gewusst, dass die beiden sich kannten.

„Wahrscheinlich war mein Großvater absichtlich unkooperativ.“ Gespielt gleichgültig zuckte sie die Schultern.

„Liegt das vielleicht in der Familie?“ Luke Richmond musterte sie von Kopf bis Fuß.

Sein unverschämtes Benehmen verschlug ihr den Atem, denn sie hatte ihm keinerlei Anlass dazu gegeben. Sie fand nur eine Erklärung für sein Betragen: Er war ein Zyniker. Sie würde ihm schon zeigen, was sie von einer solchen Einstellung hielt!

„Mr. Richmond …“

„Liebe Leonie, es tut mir so leid, dass Sie so lange warten mussten!“ Unbemerkt hatte Rachel die Tür geöffnet und kam auf Leonie zu. Plötzlich wirkte der Salon heller, und die Atmosphäre schien freundlicher.

Niemand wäre auf die Idee gekommen, eine bereits über siebzigjährige Frau vor sich zu haben. Rachels Gesicht war faltenlos, und das blonde Haar fiel ihr, nach der neusten Mode frisiert, offen auf die Schultern.

„Und du bist auch da, Darling, wie schön!“ Erfreut gab sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Wange, wandte sich dann jedoch sofort wieder an Leonie. Sie nahm ihre Hände und drückte sie herzlich.

„Was für eine natürliche Anmut!“, rief sie bewundernd aus.

Nach dem Empfang, den Luke ihr bereitet hatte, wirkte die Überschwänglichkeit seiner Mutter fast peinlich. Allerdings war ihre Freundlichkeit nicht gespielt. Rachel lächelte herzlich, und ihre grünen Augen funkelten.

Als anmutig bezeichnet zu werden empfand Leonie jedoch als ausgesprochene Übertreibung. Dazu war sie ihrer Meinung nach zu groß und viel zu burschikos. Sie trug lieber Hosenanzüge als Kleider, und ihr blondes Haar war so kurz geschnitten, dass sie es jeden Morgen problemlos waschen konnte und anschließend nur noch mit den Fingern in Form bringen musste. Auch auf ihr Gesicht bildete sie sich nichts ein. Sie hatte graue Augen, eine kurze Nase, volle Lippen und ein energisches Kinn.

Jeder konnte sofort erkennen, was sie war: eine Wissenschaftlerin mit Blick für das Wesentliche und wenig Sinn für dekoratives Beiwerk.

„Vielen Dank für das Kompliment.“ Leonie neigte leicht den Kopf und versuchte, Lukes spöttisches Lächeln zu übersehen. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut, denn Rachels Enthusiasmus war ihr beinah noch unangenehmer als die Feindseligkeit ihres Sohnes.

„Du solltest ihre Hände jetzt loslassen, Rachel. Deine Begeisterung ist Dr. Winston offensichtlich peinlich“, forderte Luke, der die Szene amüsiert beobachtet hatte, seine Mutter trocken auf.

Leonie errötete. „Sie täuschen sich“, antwortete sie scharf und wandte sich dann wieder an Rachel. „Ihr Sohn scheint anzunehmen, ich hätte mich hier eingeschlichen …“

Sein Anflug von Heiterkeit verflüchtigte sich sofort. „Es ist keine Annahme, sondern eine Tatsache.“ Luke presste die Lippen zusammen.

Endlich gab Rachel Leonies Hände frei und drehte sich zu ihrem Sohn um. „Darling, denk daran, Leonie kennt dich noch nicht, und dein eigenartiger Sinn für Humor muss sie daher befremden.“ Sie lächelte nachsichtig. „Hast du Janet gebeten, uns Tee zu bringen?“

„Nein.“ Er schien allein die Frage als Zumutung zu empfinden.

„Dann hol es bitte nach“, forderte Rachel ihn freundlich auf. „Wenn der Tisch gedeckt ist, kannst du uns rufen. Leonie und ich gehen jetzt in den Garten.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, hakte sie Leonie ein und öffnete die Terrassentür.

Arm in Arm schlenderten die beiden Frauen den schmalen Weg entlang und genossen den Sonnenschein. Rachel plauderte angeregt. „Ich möchte Ihnen so gern mehr über mich erzählen, Leonie. Ich habe noch nie im Leben eine Dozentin für Geschichte kennengelernt. Es muss wahnsinnig interessant sein, an einer Universität zu lehren, noch dazu in einem Fach, das immer noch eine reine Männerdomäne ist. Ich finde …“

Leonie hörte nur mit halbem Ohr zu, da Rachel auf Kommentare keinen Wert zu legen schien. Das war ihr nur recht, denn so konnte sie ihren Gedanken nachhängen. Wie wütend Luke sie angesehen hatte, als Rachel mit ihr in den Garten gegangen war! Wäre er dazu befugt gewesen, hätte er sie bestimmt auf der Stelle des Hauses verwiesen.

Rachel drückte ihr den Arm. „Wie schön, dass Sie gekommen sind!“ Ihre grünen Augen waren auch in Wirklichkeit so groß und strahlend, wie man sie aus ihren Filmen kannte. „Ich habe Ihr letztes Buch so bewundert.“

„Es war auch mein erstes, Miss Richmond. Ich …“

„Bestimmt wird es nicht Ihr einziges bleiben, das wäre zu schade. Und nennen Sie mich doch bitte Rachel. Jeder tut das, sogar Luke.“

Das war ihr, Leonie, bereits aufgefallen, und es hatte sie befremdet. Noch viel weniger allerdings konnte sie, eine unbedeutende Persönlichkeit, den gefeierten Star Rachel Richmond schon beim ersten Treffen beim Vornamen nennen.

Obwohl sie sich überrumpelt fühlte, kam sie dem Wunsch ihrer Gastgeberin nach. „Rachel“, begann sie zögernd. „Ihr Sohn scheint anzunehmen …“

„Kümmern Sie sich nicht um Luke!“ Rachel lachte. „Er ist wirklich ein lieber Junge, aber er bildet sich leider ein, mich beschützen zu müssen.“

„Junge? Mit siebenunddreißig ist ein Mann doch kein Junge mehr!“ Leonie schüttelte den Kopf.

Doch Rachel lachte wieder. „Für mich wird Luke immer ein Junge bleiben. Und glauben Sie mir, er ist nicht so schlimm, wie er sich gibt. Sie wissen ja, Hunde, die bellen, beißen nicht.“

Obwohl sie stark bezweifelte, dass dieses Sprichwort auf Luke Richmond zutraf, nickte Leonie. Was ging dieser Mann sie auch an? Sicher hatte sie ihn heute das erste und letzte Mal gesehen. Sie blickte auf die Uhr.

„Es ist schon ziemlich spät, Miss Richmond … Rachel“, verbesserte sie sich sofort. „Ich …“

„Wie lange brauchen Sie eigentlich für die Strecke von London bis hier?“, erkundigte sich Rachel interessiert.

„Eine gute Stunde. Und da ich heute Abend noch eine Verabredung habe …“

Rachel nickte. „Es war sehr freundlich von Ihnen, mir Ihren Samstagnachmittag zu opfern, Leonie. Ich komme in letzter Zeit nur noch sehr selten in die Stadt.“ Sie blickte sich in ihrem Garten um. „Ich liebe das Leben auf dem Land, besonders im Frühling. Das frische Grün und die bunten Farben der ersten Blumen vertreiben alle düsteren Gedanken.“ Sie seufzte.

Auch Leonie liebte den Frühling, wenn auch aus viel praktischeren Gründen. Für sie bedeutete der Winter, morgens im Dunkeln zur Uni zu müssen und abends im Dunkeln zurückzukehren. Daher war sie immer froh, wenn die Tage wieder länger wurden.

Ohne darauf zu achten, dass Rachel plötzlich traurig wirkte, stellte sie die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge lag. „Obwohl Sie mich überhaupt nicht kennen, haben Sie mich plötzlich angerufen und kurzfristig um eine Besprechung gebeten. Warum?“

Als Rachel sich vergangene Woche völlig unverhofft am Telefon gemeldet hatte, war sie so überrascht gewesen, dass sie dem Treffen zugestimmt hatte, ohne nach ihren Beweggründen zu fragen. Was für ein Interesse sollte ein Star wie Rachel Richmond an einer unbekannten Geschichtsdozentin haben? Luke schien es auch nicht klar zu sein. Deshalb verdächtigte er sie auch, sich dieses Interview durch zweifelhafte Methoden erschlichen zu haben.

Und er hatte ihr keine Gelegenheit gegeben, seinen Irrtum aufzuklären.

Sosehr sie sich in den vergangenen Tagen auch den Kopf zerbrochen hatte, sie hatte sich die Einladung nicht erklären können. Auch Jeremy war dazu nichts eingefallen. Er hatte sie lediglich damit geneckt, dass sie nun wohl in Zukunft mit den Schönen und Reichen Champagner trinken würde.

Jeremy …

Leonie lächelte unwillkürlich, als sie an ihren Freund und Kollegen dachte. Er war Informatikdozent. Seine Seminare waren stets überfüllt, und die Studenten rissen sich darum, bei ihm Examen machen zu dürfen. Während sie sich für die Vergangenheit interessierte, ging es ihm ausschließlich um die Erarbeitung moderner Forschungsmethoden.

Gegensätze ziehen sich eben an, dachte Leonie und freute sich schon auf das Abendessen, zu dem er sie eingeladen hatte.

Rachel blieb stehen, nahm die Hand von Leonies Arm und blickte überrascht auf. „Der Grund für meinen Anruf? Sie kennen ihn nicht?“

Leonie schüttelte den Kopf. „Ich habe keinen blassen Schimmer.“

Rachel runzelte die Stirn. „Was für eine verfahrene Situation! Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt! Ich habe Ihre Biografie über Leo Winston gelesen …“

„Das hat mir Ihr Sohn bereits gesagt – anscheinend hat er das Buch sogar auch gelesen.“ Leonie wurde wieder wütend, als sie an Luke Richmonds verächtlichen Kommentar denken musste. „Ich freue mich natürlich, dass die Biografie Ihnen gefallen hat, und fühle mich sehr geschmeichelt …“

„Mein liebes Kind, ich habe Sie nicht hierher kommen lassen, um Ihnen Komplimente zu machen.“ Rachel lächelte. „Das hätte ich auch am Telefon erledigen können. Nein, Leonie, ich möchte Sie bitten, meine Biografie zu schreiben – eine autorisierte diesmal.“

Leonie konnte ihr Gegenüber nur sprachlos ansehen, denn mit dieser Bitte hatte sie nicht gerechnet.

2. KAPITEL

„Rachel Richmond hat dich wirklich gebeten, ihre Memoiren zu schreiben?“ Jeremy sah von seinem Teller auf und blickte Leonie über den Tisch hinweg ungläubig an.

Sie nickte. „Angeblich ist sie schon seit Jahren auf der Suche nach einer Autorin, der sie zutraut, dass sie die Wahrheit über ihr Leben taktvoll und einfühlsam an die Öffentlichkeit bringt.“

„Und die Wahl ist auf dich gefallen, du Glückliche! Ich gratuliere.“

Leonie teilte seine Begeisterung nicht. „Ich bin Wissenschaftlerin und keine Schriftstellerin, Jeremy“, wandte sie ein. „Das habe ich auch Rachel gesagt, aber sie ließ das Argument nicht gelten. Sie ist der Ansicht, dass mein Buch über Leo meine Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat und meine aufrichtige und anteilnehmende Darstellungsweise auch ihre Biografie zu einem Riesenerfolg werden lassen wird.“

„Da muss ich ihr zustimmen. Du bist nicht nur eine gewissenhafte, sondern auch eine sensible Autorin.“ Er lächelte bewundernd.

Jeremy war ein jungenhafter Typ. Er hatte blaue Augen und trug das blonde Haar so lang, dass es ihm in die Stirn fiel. Wie verabredet, aßen sie in seinem Lieblingsrestaurant zu Abend, und Leonie hatte sich chic gemacht, jedoch bewusst auf hochhackige Schuhe verzichtet, um ihn nicht zu überragen.

„Dein Lob tut mir gut.“ Sie lachte.

„An einen derartigen Auftrag hatten wir beide nicht gedacht, als wir über den Grund für die unverhoffte Einladung rätselten.“ Jeremy blickte versonnen. „Rachel Richmond hat in der Öffentlichkeit schließlich immer wieder betont, wie wenig sie von den Memoiren bestimmter Stars hält. Ich kann es immer noch nicht richtig fassen.“

Leonie erging es nicht anders, und trotz der großen Ehre, die Rachel ihr erwiesen hatte, war sie sich nicht sicher, ob sie den Auftrag wirklich annehmen sollte. Einerseits hätte sie es liebend gern getan und freute sich schon auf die Arbeit, andererseits gab es ein gewichtiges Argument, das dagegen sprach: Luke Richmond.

Nach dem ersten, für sie so unerfreulichen Zusammentreffen hatte sie ihn nicht mehr gesehen, da er nicht zum Tee erschienen war. Falls sie Rachels Biografie wirklich schreiben würde, konnte sie sich seine Reaktion darauf lebhaft vorstellen. Er würde ihr unterstellen, dass sie das Treffen mit Rachel allein zu diesem Zweck unter Vorgabe falscher Gründe arrangiert hatte.

Genau deshalb hatte sie sich von Rachel eine Woche Bedenkzeit ausgebeten.

„Du hast das Angebot doch angenommen, oder?“ Als hätte Jeremy ihre Gedanken erraten, runzelte er die Stirn.

„Leonie!“, rief er ungläubig aus, als sie ihm nicht antwortete. „Hinter dieser Geschichte sind die Medien schon fast vierzig Jahre her! Ganz bestimmt will Rachel endlich enthüllen, wer der Vater ihres Sohnes ist. Anders kann ich mir ihren plötzlichen Entschluss, ihre Memoiren zu veröffentlichen, nicht erklären.“

„Ich weiß nicht.“ Leonie seufzte. „Ehrlich gesagt, habe ich Probleme mit dem Auftrag, weil mir das Thema nicht liegt. Du hast letzte Woche selbst die Anspielung auf die Welt der Schönen und Reichen gemacht, und mit dieser Welt bin ich mein ganzes Leben noch nicht in Berührung gekommen.“

„Schreib das Buch, und du wirst dazugehören“, prophezeite Jeremy.

Leonie schüttelte den Kopf. Nein, diesen Ehrgeiz hatte sie nicht, denn ihr gefiel ihr Leben so, wie es war. Sie liebte das akademische Leben: die Lehrtätigkeit während des Semesters und die Forschungsarbeiten und Exkursionen während der vorlesungsfreien Zeit. Auch mit ihrer kleinen Zweizimmerwohnung war sie zufrieden, weil diese klein war und sich leicht in Ordnung halten ließ, sodass sie genug Zeit hatte, die Wochenenden bei ihren Eltern in Cornwall oder ihrem Großvater in Devon zu verbringen.

Seit sie Jeremy kannte, hatte sie es allerdings nur noch selten getan, denn die Samstagabende waren seit drei Monaten ausschließlich ihm vorbehalten. Sie gingen dann zusammen essen und redeten ausführlich miteinander. In der Woche blieb lediglich Zeit für einen kurzen Kino- oder Theaterbesuch.

„Sollte ich den Auftrag wirklich annehmen, müsste ich für die nächste Zukunft mein ganzes Leben umstellen“, bemerkte Leonie nachdenklich. „Rachel hat mich gebeten, die Wochenenden bei ihr in Hampshire zu verbringen und dort zu arbeiten, damit wir uns ungestört unterhalten können.“

„Natürlich wirst du das Buch schreiben, Leonie. Das ist doch selbstverständlich.“ Er beugte sich vor und drückte zärtlich ihre Hand. „Du machst dir doch nicht etwa Sorgen um unsere Beziehung?“

Unwillkürlich errötete sie, denn was Jeremy anging, war sie sehr unsicher. Sie traf sich nun schon seit einem Vierteljahr mit ihm, mochte ihn gern und fühlte sich in seiner Gegenwart ausgesprochen wohl. Sie wusste allerdings nicht, ob es mehr als Freundschaft war, was sie miteinander verband. Auf alle Fälle fürchtete sie, Jeremy würde sich nicht damit zufriedengeben, wenn sie in Zukunft nur einen Abend die Woche Zeit für ihn hätte.

„Leonie, deine Recherchen dauern doch keine Ewigkeit! Zwei, drei Monate, dann müsste Rachel dir alles erzählt haben, und du könntest die Wochenenden wieder zu Hause verbringen. Wenn es für dich kein Problem ist, warum sollte es für mich eins sein?“ Jeremy betrachtete sie aufmerksam. „Oder bedrückt dich etwas anderes?“

Leonie schluckte, weil sie es nicht über sich brachte, Jeremy von Luke zu erzählen. Es war ihr immer noch ein Rätsel, weshalb Luke sich ihr gegenüber so feindselig verhalten hatte. Eins wusste sie allerdings genau: Der Mann war ihr unheimlich, und am liebsten würde sie ihm nie wieder begegnen.

Taktvoll, wie sie war, hatte sie Rachel nicht gefragt, ob Luke ständig bei ihr wohnte oder sie nur am Wochenende besuchte. Schließlich ging es eine Außenstehende wie sie nichts an. Aber sie hätte es zu gern in Erfahrung gebracht, denn seine Nähe würde ihr einen entspannten Umgang mit Rachel und ein konzentriertes Arbeiten an der Materialsammlung für die Biografie unmöglich machen.

„Jeremy, ich habe irgendwie ein ungutes Gefühl bei der Sache und zögere noch, den Auftrag anzunehmen.“

Dieses ungute Gefühl war so stark gewesen, dass sie Rachels Haus nach dem Tee beinah fluchtartig verlassen und sich geschworen hatte, nie wieder zurückzukehren. Luke war es einfach so gelungen, ihr ansonsten unerschütterliches Selbstbewusstsein ins Wanken zu bringen.

Jeremy schüttelte den Kopf, zeigte jedoch Verständnis, indem er nicht weiter in sie drang. „Ist Rachel Richmond wirklich so schön wie auf dem Bildschirm?“, wechselte er das Thema.

Dem konnte Leonie vorbehaltlos zustimmen, und sie lachte. „Ihr Aussehen scheint der beste Beweis dafür zu sein, dass Singles die glücklicheren Menschen sind. Ihr Gesicht ist so faltenfrei, als hätte sie nie Sorgen gehabt.“

Aber Jeremy ließ das Argument nicht gelten. „Eine Frau wie Rachel Richmond kann man wohl kaum als Single bezeichnen. An Männern hat es ihr bestimmt nie gefehlt“, gab er zu bedenken.

„Natürlich. Sie ist ja auch nicht allein, sondern hat ihren Sohn.“

„An den hatte ich eigentlich nicht gedacht.“ Er lächelte belustigt. „Auf alle Fälle halte ich Rachels Angebot für äußerst verlockend. Überleg dir deine Entscheidung gut.“

Leonie nickte. Rachels Biografie zu schreiben war eine Herausforderung, die sie nur zu gern annehmen würde – wenn Luke nicht wäre …

„Mit meinem Besuch haben Sie offensichtlich nicht gerechnet.“ Groß und breitschultrig, stand Luke vor Leonies Wohnungstür und verdeckte die Sonne.

Leonie war wirklich überrascht. Von seiner Mutter konnte er ihre Adresse nicht haben, denn Rachel besaß lediglich die Rufnummer ihres Dienstapparats an der Universität. Außerdem hatte er am vergangenen Tag nicht den Eindruck erweckt, dass er gesteigerten Wert auf ein Wiedersehen mit ihr legte.

Sein unverhofftes Erscheinen war ihr auch peinlich, weil sie viel zu leger gekleidet war, um Besucher zu empfangen. Sie trug ihre ältesten Jeans, ein T-Shirt, das zu stark eingelaufen war, und war obendrein barfuß.

„Nun, was ist?“, fragte er ungeduldig, als sie beharrlich schwieg.

„Was soll sein, Mr. Richmond?“, erwiderte sie ungehalten. Dies war ihre Privatsphäre, es war Sonntagnachmittag, und eine derartige Störung war eine Unverschämtheit. Aber unverfrorenes Verhalten schien diesen Mann ja auszuzeichnen.

Spöttisch musterte er sie, und wieder fielen ihr seine ungewöhnlichen grünen Augen auf, die denen seiner Mutter so ähnlich waren. „Möchten Sie mich nicht in die Wohnung bitten, Dr. Winston? Oder wäre das ein Problem für Sie?“

„Ein Problem? Wie kommen Sie denn darauf?“

Luke zuckte lässig die Schultern. „Vielleicht haben Sie schon einen Besucher, und ich komme ungelegen.“

Diese Anspielung trieb ihr die Röte ins Gesicht. „Ich lebe allein, Mr. Richmond.“ Leonie trat einen Schritt beiseite, damit er hereinkommen konnte.

„Trotzdem könnten Sie sich am Wochenende doch etwas amüsieren wollen.“ Abwartend sah er sie an.

Sie empfand seine Nähe als beunruhigend, und der Flur war ihr noch nie so eng vorgekommen. Das ließ sie heftiger als beabsichtigt reagieren. „Ihr Lebensstil in allen Ehren, Mr. Richmond, aber ich habe einen anderen.“

Er zog nur leicht die Brauen hoch. „Glauben Sie wirklich? Fragen Sie Rachel. Sie würde es niemals dulden, wenn ich jedes Wochenende eine andere Frau anschleppen würde.“

„Sie wohnen bei Ihrer Mutter in Hampshire?“ Endlich hatte sie Gelegenheit, die Frage zu stellen, die sie schon die ganze Zeit bewegte.

Luke nickte. „Ja, meistens. Ich besitze allerdings zusätzlich ein Apartment in London, das ich aber nur selten nutze.“

„Wie schön für Sie“, erwiderte sie ironisch. Sie musste auf vieles verzichten, um sich ihre kleine Wohnung im teuren London leisten zu können. Für Luke Richmond, dessen Apartment sicher viel luxuriöser war, stellten selbst zwei Wohnsitze offensichtlich kein finanzielles Problem dar.

Er kniff die Augen zusammen. „Stoßen Sie sich an meinem Lebensstil?“, fragte er.

„Was gehen mich Ihre Gewohnheiten an?“ Kühl erwiderte sie seinen Blick. „Darf ich Sie ins Wohnzimmer bitten?“ Sie öffnete ihm die Tür.

„Na endlich! Ich dachte schon, Sie hätten Ihre gute Erziehung vergessen.“ Er lächelte spöttisch.

Prüfend blickte sich Leonie um, denn sie war an diesem Wochenende noch nicht zum Putzen gekommen. Von der auf dem Couchtisch ausgebreiteten Zeitung abgesehen, wirkte der Raum zu ihrer Beruhigung jedoch aufgeräumt und sauber.

Der helle Holzfußboden war auf Hochglanz poliert, und auf den eleganten Rattanmöbeln war kein Staubkörnchen zu entdecken. Sie hatte ihr Wohnzimmer betont schlicht eingerichtet und auf Familienfotos und Nippsachen verzichtet. Moderne Drucke an den weiß gestrichenen Wänden und ein Teppich in warmen Farbtönen waren die einzigen Dekorationsgegenstände.

Schnell faltete sie die Zeitung zusammen und klemmte sie unter den Arm. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, erkundigte sie sich, weil sie sich auf ihre hausfraulichen Pflichten besann.

„Gern.“ Luke betrachtete skeptisch den zierlichen Rattansessel. „Meinen Sie, das Ding hält mich aus?“

„Bestimmt. Und wenn nicht, kaufen Sie mir einfach einen neuen – das dürfte doch ein Klacks für Sie sein.“ Diese unhöfliche Antwort war ihr so herausgerutscht, und Leonie errötete, als Luke die Brauen hochzog und sie erstaunt musterte.

Nimm dich zusammen, Leonie, ermahnte sie sich. Auch wenn Luke Richmond sich noch so unverschämt benahm, war es noch lange kein Grund, selbst aus der Rolle zu fallen.

„Ich bin sofort wieder da“, entschuldigte sie sich und verschwand in der Küche. Dort atmete sie erleichtert auf. Was wollte dieser Mann von ihr? Warum verfolgte er sie bis in ihre Wohnung?

Dafür konnte es nur einen Grund geben: Er hatte von Rachel erfahren, dass sie deren Biografie schreiben sollte, und jetzt war er gekommen, um sie davon abzuhalten.

Was mochte er wohl gegen sie als Biografin einzuwenden haben? Sie war immerhin eine promovierte Historikerin und angesehene Universitätsdozentin, und das Buch, das sie über ihren Großvater geschrieben hatte, war von Lesern und Kritikern gleichermaßen begeistert aufgenommen worden.

Neidete er ihr den Erfolg?

Als Leonie etwas später ins Wohnzimmer zurückkehrte, stellte sie fest, dass Luke es sich in dem Sessel bequem gemacht hatte und „das Ding“ immer noch fest und sicher auf dem Boden stand. „Milch und Zucker?“, fragte sie, als sie das Tablett auf den Tisch stellte.

„Nein, danke“, lehnte er ab.

Typisch, dachte sie, Kompromisse kommen für ihn nicht infrage. Sie setzte sich aufs Sofa, süßte ihren Kaffee, nur um ihn zu ärgern, noch stärker, als sie es gewohnt war, und goss reichlich Milch dazu. Da sie zu den beneidenswerten Menschen gehörte, die sich um ihre Figur keine Sorgen zu machen brauchten, hatte sie keine Probleme damit.

Genüsslich trank sie einen kleinen Schluck. „Was kann ich für Sie tun, Mr. Richmond?“, eröffnete sie schließlich das Gespräch.

„Sie könnten mich zum Beispiel beim Vornamen nennen, denn so viel älter als Sie bin ich auch nicht.“

Leonie antwortete nicht, denn da sie ihn auf Distanz halten wollte, zog sie die förmliche Anrede vor.

„Was für ein schöner Raum!“, bemerkte er und blickte sich bewundernd um. „Welchen Innenarchitekten hatten Sie?“

„Leonora Winston“, erwiderte sie und lächelte spöttisch. Glaubte er wirklich, sie hätte sich einen Innenarchitekten leisten können? Wusste er überhaupt, was eine Historikerin verdiente?

Wohl kaum. Wahrscheinlich hatte er die Frage aus Naivität und nicht aus Boshaftigkeit gestellt. Seine Mutter war eine der bestbezahlten Schauspielerinnen aller Zeiten. Er war in der Glitzerwelt Hollywoods aufgewachsen, wohnte auf einem alten englischen Landsitz und besaß ein Apartment in London. Geld hatte für ihn bestimmt nie eine Rolle gespielt.

Luke betrachtete sie aufmerksam. „Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, entschuldigte er sich.

„Ich weiß.“ Leonie stellte ihre Tasse zurück. „Sie haben mich wirklich nicht beleidigt. Wie sollte ein reicher Mann wie Sie verstehen können …?“

„Ich habe durchaus auch andere Zeiten mitgemacht“, unterbrach er sie.

„So?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

Doch anstatt ihre Neugier zu stillen, nickte er nur.

„Mr. Richmond …“, machte sie einen neuen Anlauf.

„Ich dachte, wir hätten uns auf ‚Luke‘ geeinigt!“

Sie atmete tief durch. „Also gut, Luke“, redete sie ungeduldig weiter. „Sie sind bestimmt nicht gekommen, um mit mir Kaffee zu trinken und meine Wohnung zu bewundern. Wollen Sie mir nicht endlich den wirklichen Grund für Ihren Besuch verraten?“

Obwohl er auf dem zierlichen Sessel saß, der für einen großen Mann wie ihn bestimmt unbequem war, gelang es ihm, völlig entspannt und souverän zu wirken. Sie dagegen wurde unter seinem prüfenden Blick zunehmend nervöser.

„Gehört das zu Ihrer Taktik, Ihr Gegenüber einzuschüchtern?“, fragte sie schließlich ungehalten.

„Schüchtert es Sie wirklich ein, wenn ein Mann Sie ansieht, Leonie?“

Nein, dachte sie und schluckte, normalerweise nicht. Luke betrachtete sie allerdings, wie es noch kein Mann bisher getan hatte. Er taxierte sie wie ein Sammler ein seltenes Stück, das er unter der Lupe hatte.

„Sie sind eine sehr schöne Frau.“

Das Kompliment traf sie völlig unvorbereitet. Was hatte ihr Aussehen mit der Sache zu tun? Was hatte es mit seinem Anliegen zu tun, das er ihr immer noch nicht genannt hatte?

„Mr. Richmond …“

„Luke.“ Er lächelte liebenswürdig.

Leonie riss der Geduldsfaden, und sie sprang auf. „Würden Sie bitte mit diesen Wortklaubereien aufhören und endlich zum Thema kommen?“, bat sie ärgerlich.

Mit seinen Mätzchen mochte er unbedarfte Filmsternchen beeindrucken, sie jedoch nicht. Sie, Dr. Leonie Winston, war andere Umgangsformen gewohnt. Ihre Studenten behandelten sie mit Hochachtung, ihre Kollegen mit Respekt und ihre Eltern mit liebevoller Fürsorge. Niemand maßte sich ihr gegenüber einen solchen Ton an – und niemand spielte Katz und Maus mit ihr.

Immer noch musterte Luke sie eingehend. „Warum spielen Sie ihr Aussehen eigentlich so herunter?“, fragte er plötzlich.

Leonie war wie vor den Kopf gestoßen. „Ich …“

„Zum Beispiel Ihre Frisur“, redete er unbeirrt weiter. „Sie haben so schönes blondes Haar. Warum tragen Sie es so kurz, anstatt es wachsen und offen auf die Schultern fallen zu lassen?“ Er legte den Kopf zur Seite. „Sie haben einen zarten Teint und wunderschöne graue Augen. Etwas Make-up würde genügen, um …“

„Sparen Sie sich Ihre guten Ratschläge, Mr. Richmond!“, unterbrach sie ihn wütend. „Ich bin Dozentin und nicht eins Ihrer Groupies …“ Ärgerlich biss sie sich auf die Lippe, als ihr bewusst wurde, dass sie aus der Rolle fiel.

„Ich bin Historikerin, Luke, und möchte auch so aussehen“, fügte sie dann betont ruhig hinzu.

„Sie wollen sein wie ihr Großvater Leo. Warum eigentlich?“, erkundigte er sich, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Das verschlug ihr die Sprache, und Leonie wurde blass. Luke schien hellseherische Fähigkeiten zu besitzen!

„Sie reden Unsinn“, meinte sie betont gleichgültig, um ihre Betroffenheit zu überspielen.

Luke schwieg eine ganze Weile und lächelte dann, als wäre er mit sich und der Welt sehr zufrieden. „Verzeihen Sie mir, Leonie“, bat er und lehnte sich so weit zurück, dass der Rattansessel gefährlich knarrte. „Meine Mutter hat mich, so wie es sich vor dreißig Jahren in Hollywood gehörte, von Therapeut zu Therapeut geschleppt, um mich von etwaigen Komplexen zu kurieren. Dabei habe ich von diversen Psychiatern gelernt, wie man seinen Gesprächspartner aus der Reserve lockt.“

Ihr taten die betreffenden Psychologen noch im Nachhinein leid. Luke Richmond war bestimmt ein mehr als schwieriger Patient gewesen. „Ihre Mutter hätte sich das Geld sparen können“, bemerkte sie trocken. Rachel hätte bestimmt besser daran getan, ihrem Sohn etwas mehr Benehmen beizubringen, anstatt ihn zur Analyse auf die Couch zu schicken.

„Mag sein.“ Er lächelte humorlos. „Sie wissen genau, weshalb ich hier bin, Leonie“, beantwortete er abrupt die Frage, die sie eingangs gestellt hatte.

Dieser Mann hatte es zweifellos darauf abgesehen, sie aus der Fassung zu bringen, und sie war nicht in der Lage, ihm etwas entgegenzusetzen! Wütend funkelte Leonie ihn an und spürte, wie ihre Hände zitterten. Weshalb? Weil sie ihre Aggressionen unterdrückte oder weil sie sich von Luke Richmond als Frau angesprochen fühlte?

Dieser Gedanke machte ihr Angst. Luke war eine blendende Erscheinung, doch das war auch alles, was für ihn sprach, denn er war kalt und arrogant. Sollte die Situation es erfordern, würde er bei der Wahl seiner Mittel nicht gerade zimperlich sein, dessen war sie sich sicher.

Ob die gegenwärtige Situation es erforderte? Sie, Leonie, befürchtete es fast.

„Ich habe keine Ahnung, was Sie zu diesem überfallartigen Besuch bewogen haben kann“, erklärte sie. „Sie wissen genauso gut wie ich, weshalb Rachel Verbindung mit mir aufgenommen hat. Ich soll …“

Rachel soll Verbindung zu Ihnen aufgenommen haben? Verdrehen Sie da nicht die Tatsachen, Leonie?“

„Nein“, erwiderte sie ruhig. Anscheinend hatte seine Mutter ihm verschwiegen, dass sie die Initiative ergriffen hatte. „Rachel hat den Kontakt geknüpft. Sie hat mich im Büro an der Universität angerufen und mich um ein Gespräch in ihrer Villa in Hampshire gebeten.“

Luke wurde auffallend blass. Er stand unvermittelt auf und ging zum Fenster, um in den winzigen Garten zu sehen. Leonie fragte sich jedoch, ob der Anblick der kleinen Kiesfläche mit den bunt bepflanzten Terrakottakübeln überhaupt in sein Bewusstsein drang.

„Was hat Rachel vor?“, fragte Luke nachdenklich. „Was soll das, nach all der Zeit?“

Da er mehr zu sich selbst gesprochen hatte, hielt Leonie eine Antwort für unangebracht. Sie hätte auch kaum eine geben können, denn was wusste sie schon über Rachel? Die Diva hatte so lange ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit gemacht, dass auch sie, Leonie, nicht die leiseste Ahnung hatte, weshalb sie es ausgerechnet jetzt lüften wollte.

Langsam drehte Luke sich wieder um und sah sie an. „Was genau hat sie Ihnen gestern gesagt?“

Leonie dachte angestrengt nach und runzelte die Stirn. „Sie meinte, es wäre Zeit, den Gerüchten endlich den Nährboden zu entziehen und …“

Er blickte sie drohend an, doch sie ließ sich nicht einschüchtern. „… die Wahrheit ans Licht zu bringen.“ Sie machte eine bedauernde Geste, denn sie konnte sich gut vorstellen, wie wenig es in seinem Interesse war.

Luke biss sich auf die Lippe. „Wir werden sehen.“ Dann ging er zur Tür und drehte sich noch einmal kurz um. „Ich kann Ihnen nur raten, sich keine allzu großen Hoffnungen auf das Erscheinen des Buchs zu machen“, bemerkte er und verschwand.

Als Leonie hörte, wie die Eingangstür hinter ihm ins Schloss fiel, sank sie erschöpft aufs Sofa. Sie hatte das Gefühl, in letzter Sekunde einem Hurrikan entkommen zu sein – einem Hurrikan, der jetzt sicher schon auf dem Weg zu Rachel war …

3. KAPITEL

„Sie müssen Luke verzeihen, Leonie. Manchmal übertreibt er es wirklich mit seiner Fürsorge.“ Rachel lächelte nachsichtig.

Wie am vergangenen Samstag war Leonie wieder nach Hampshire gekommen, und nun saß sie mit Rachel bei einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer.

Sie verdächtigte Luke zwar, nur an seinem Wohl interessiert zu sein und nicht an dem seiner Mutter, äußerte es jedoch nicht. Immerhin wusste sie jetzt, dass er seiner Mutter erzählt haben musste, dass er sie, Leonie, am vergangenen Sonntag in ihrer Wohnung in London besucht hatte.

„Luke scheint an der Veröffentlichung Ihrer Memoiren nicht viel gelegen zu sein“, begann sie vorsichtig. „Und je mehr ich es mir überlege …“

„Ich weiß genau, was Sie denken.“ Beschwichtigend legte Rachel ihr die Hand auf den Arm. „Und in Anbetracht der Umstände kann ich es Ihnen auch nicht verübeln.“ Sie schnitt ein Gesicht. „Ich habe aber gute Gründe für mein Vorgehen, glauben Sie mir.“

Genau das bezweifelte Leonie allerdings stark, und auch Luke schien in dieser Beziehung entschieden andere Ansichten als seine Mutter zu haben.

„Sie wissen, was Sie wollen, Rachel, davon bin ich überzeugt. Ich habe mir Ihr Angebot gründlich überlegt und bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich Ihnen nicht gerecht werden kann.“ Sie lächelte. „Sie werden bestimmt jemanden finden …“

„Nein, Leonie!“ Ihr Tonfall bewies, dass Rachel keinen Widerspruch duldete, und aus ihren grünen Augen sprach Entschlossenheit. „Ich habe mich nämlich bereits entschieden – für Sie.“

Leonie zog die Brauen hoch. Bisher war Rachel ihr gegenüber die Freundlichkeit in Person gewesen, charmant und zuvorkommend. Doch offensichtlich besaß die kapriziös wirkende Diva Eigenschaften, die einem auf den ersten Blick verborgen blieben – Eigenschaften, die stark an die ihres Sohnes erinnerten …

„Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen, Rachel“, beharrte Leonie. „Aber ich muss Ihnen gestehen …“

Hier wurde sie durch ein Geräusch an der Tür unterbrochen – Luke stand auf der Schwelle. Leonie schüttelte den Kopf. Konnte dieser Mann sich eigentlich nicht wie ein zivilisierter Mensch benehmen? Musste er sich immer so in Szene setzen?

Ein Blick in sein Gesicht bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Seine wütende Miene verriet, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen seiner Mutter und ihm noch lange nicht beigelegt waren.

War Rachel denn nicht klar, was die Offenlegung der Wahrheit für Luke bedeuten musste? Rachel war einfühlsam und warmherzig. Weshalb war sie so unnachgiebig, wenn es um ihre Memoiren ging? Was immer die Gründe dafür auch sein mochten, sie, Leonie, wollte keinesfalls in diese familiäre Auseinandersetzung verwickelt werden.

„Mr. Richmond“, begann sie daher, bevor einer der beiden etwas sagen konnte, „Sie kommen gerade richtig. Ich wollte Ihrer Mutter gerade erklären, dass …“

So einfach ließ sich Rachel das Heft jedoch nicht aus der Hand nehmen. „Luke, was für eine Überraschung!“ Graziös stand sie auf, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. „Ich dachte, du wolltest dieses Wochenende verreisen.“

„Dann hast du dich leider geirrt.“ Vielsagend betrachtete er Leonie und den hübsch gedeckten Tisch. „Ihr habt es euch ja so richtig gemütlich gemacht. Aber leider ist die Katze noch im Haus.“

„Möchtest du auch einen Kaffee? Ich werde nach Janet klingeln, damit sie noch eine Tasse bringt.“

„Janet hat bestimmt Besseres zu tun, Rachel.“

„Was ist nur los mit dir, Darling? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen? Das gehört zu Janets Aufgaben und macht ihr bestimmt nichts aus.“

„Aber mir“, entgegnete er unwirsch. „Außerdem möchte ich jetzt keinen Kaffee.“

„Das hättest du doch gleich sagen können, Darling!“ Rachel seufzte, setzte sich wieder und schlug elegant die Beine übereinander.

Ihrer Einschätzung nach provozierte Luke seine Mutter absichtlich, und es war Leonie ausgesprochen unangenehm, Zeugin dieser Szene zu sein. Noch unwohler fühlte sie sich jedoch, als er seine Aufmerksamkeit auf sie richtete. „Hier also treffen wir uns wieder, Dr. Winston“, begrüßte er sie in einem Ton, der deutlich erkennen ließ, wie wenig erbaut er darüber war.

Nur gut, dass ihnen in Zukunft weitere Peinlichkeiten dieser Art erspart bleiben würden. Nachdem sie vergangene Woche alle Pros und Kontras gründlich gegeneinander abgewogen hatte, war Leonie zu dem Entschluss gekommen, dass sie Rachel eine Absage erteilen würde.

So gern sie die Biografie auch geschrieben hätte, Lukes Haltung machte es ihr unmöglich. Neben Rachel war Luke die wichtigste Informationsquelle, und wie konnte sie das Leben der Mutter anschaulich schildern, wenn der Sohn die Mitarbeit verweigerte?

Unerschrocken erwiderte Leonie seinen Blick. „Ja, hier treffen wir uns wieder, Mr. Richmond – ein glücklicher Zufall, wie ich meine. So sind Sie dabei, wenn ich Ihrer Mutter …“

„Ich muss mit dir schimpfen, Luke!“ Spielerisch drohte Rachel ihm mit dem Finger. „Mit deinem Benehmen hast du die arme Leonie so verschreckt, dass sie meine Memoiren nicht mehr schreiben möchte.“

„So?“ Lächelnd setzte er sich in einen Sessel und streckte entspannt die Beine aus. „Dann ist ja alles bestens.“

Leonie runzelte die Stirn und betrachtete Luke, der sich ganz offensichtlich in seinem Sieg sonnte. Doch Rachels Worte hatten die Situation in einem falschen Licht erscheinen lassen: Sie, Leonie, hatte sich nicht seinem Willen gebeugt. Sie wollte nur deshalb nichts mit ihm zu tun haben, weil er ihr als Mensch zutiefst unsympathisch war und sie sich von seiner Arroganz abgestoßen fühlte.

„Ich glaube, Sie haben meine Worte falsch interpretiert“, wandte sie sich an ihre Gastgeberin.

Rachel zuckte nur anmutig die Schultern. „Bestimmt nicht. Ich bin wirklich ärgerlich auf dich, Luke!“ Strafend blickte sie ihren Sohn an, der unbeeindruckt schien und weiterhin selbstgefällig lächelte.

„Sie irren sich wirklich, Rachel“, beharrte Leonie. „Ich habe Sie lediglich auf einige Schwachstellen hingewiesen, aber es nicht prinzipiell abgelehnt, die Biografie zu schreiben. Ich glaube, ich hätte sogar richtig Spaß daran.“

„Spaß?“ Luke zog drohend die Brauen zusammen. „Hier geht es nicht um Freizeitgestaltung, Dr. Winston!“

Das war ihr natürlich auch klar. Doch wenn Rachel fest entschlossen war, ihre Memoiren schreiben zu lassen, warum sollte sie, Leonie, den Auftrag nicht annehmen?

„Wenn ich Ihr Angebot ablehne, werden Sie sich dann einen anderen Autor suchen, Rachel?“, fragte sie ruhig.

Rachel wich ihrem Blick nicht aus. „Ich glaube schon“, antwortete sie schließlich.

„Das dachte ich mir.“ Leonie nickte. „Wer ist Ihnen also lieber, Luke – ich, eine seriöse Wissenschaftlerin, die Sie immerhin kennen, oder eine fremde Person?“

„Ich habe meine Meinung von Anfang an offen gesagt. Ich bin gegen die Biografie als solche“, erklärte er schroff.

„Aber wenn Sie die Wahl hätten?“, hakte Leonie nach.

„Die habe ich doch nicht, oder?“ Er klang gereizt. „Mach, was du willst, Mutter“, wandte er sich an Rachel, „aber bitte lass mich aus dem Spiel.“

„Du brauchst nicht so zu schreien, Luke“, ermahnte Rachel ihn sanft. „Ich bin noch nicht schwerhörig.“

Luke presste die Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. „Am liebsten würde ich noch viel mehr tun, als nur zu schreien“, erwiderte er unwirsch. „Allerdings vergeude ich hier offensichtlich nur meine Zeit. Daher werde ich bei meinem ursprünglichen Plan bleiben und übers Wochenende verreisen.“

Er stand auf und musterte Leonie kalt. „Ihnen ist hoffentlich klar, worauf Sie sich einlassen“, sagte er eisig und verließ das Zimmer, wobei er die Tür unnötig heftig hinter sich ins Schloss fallen ließ.

„Oje!“ Rachel seufzte. „Diesmal scheine ich es mir wirklich mit ihm verdorben zu haben. ‚Mutter‘ nennt er mich nämlich nur, wenn er böse mit mir ist“, vertraute sie ihr an.

Für Leonie war Lukes Reaktion nicht weiter verwunderlich. Und gerade Rachel als Mutter musste doch wissen, was es für ihn bedeutete, wenn die Wahrheit über ihr Leben bekannt wurde. Und wie sehr Luke sich dagegen sträubte, dass ausgerechnet sie, Leonie, an der Veröffentlichung beteiligt war, durfte Rachel auch nicht verborgen geblieben sein.

Leonie schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie hatte sich tatsächlich bereit erklärt, die Autorenschaft zu übernehmen …

Wie hatte ihr das nur passieren können? Sie war allein deshalb zu Rachel gekommen, um das Angebot freundlich, aber bestimmt abzulehnen. Getan hatte sie allerdings genau das Gegenteil.

Leonie schluckte. „Rachel, die Frage mag vielleicht indiskret sein, aber …“ Rachels Lachen ließ sie verstummen. „Habe ich etwas Komisches gesagt?“, fragte sie irritiert.

„Nein.“ Rachel legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm und wurde wieder ernst. „Sie wollten bestimmt von mir wissen, ob ich ganz bewusst taktiert habe, damit Sie einen Auftrag annehmen, den Sie eigentlich hatten ablehnen wollen.“

Sie ging zur Klingel neben dem Kamin. „Ich glaube, wir können beide frischen Kaffee gebrauchen.“

Leonie schwieg verwirrt, denn sie fühlte sich tatsächlich von Rachel manipuliert. Rachel war warmherzig, charmant und trotz ihrer gut siebzig Jahre immer noch eine Schönheit. Ihr umgängliches Benehmen täuschte jedoch. Bei all ihrer Liebenswürdigkeit wusste sie ihren Willen zielstrebig durchzusetzen – die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Sohn ließ sich nicht leugnen.

Jedenfalls würde sie, Leonie, die Biografie nun wirklich schreiben. Denn alles andere würde Luke Richmond nur Anlass zu der irrigen Annahme geben, dass sie vor ihm die Flucht ergriffen hatte.

Nur die Tatsache, dass Rachel jetzt ebenso siegessicher lächelte wie vorhin ihr Sohn, machte sie etwas beklommen …

„Leonie! Was für eine Überraschung!“ Leo Winston, der im Gewächshaus stand und Pflanzen umtopfte, lächelte seiner Enkelin zu. „Seit deine Großmutter letztes Jahr gestorben ist, bekomme ich kaum noch eine Frau zu Gesicht.“

Leonies schlechtes Gewissen regte sich. Seit sie Jeremy kannte, hatte sie ihren Großvater sträflich vernachlässigt, und ihr letzter Besuch lag schon gut fünf Wochen zurück.

Leo Winston wirkte gesund und robust wie immer. Er war groß und sehnig und hatte das volle graue Haar ohne Scheitel nach hinten gekämmt. Er trug eine braune Cordhose mit einem Tweedjackett und sah genau so aus, wie man sich einen pensionierten Professor vorstellte. Vor zehn Jahren hatte er sich in dem alten Haus in Devon zur Ruhe gesetzt, doch leider war seine Frau viel zu früh verstorben, und so war er in letzter Zeit recht einsam.

Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Ich glaube, ich kann dir kaum etwas zum Mittagessen anbieten …“

„Käse und Toast reichen mir.“ Leonie hakte sich bei ihm ein, und gemeinsam gingen sie zu der Sitzgruppe unter dem Apfelbaum. Dort stand bereits der Tee, den Leonie zubereitet hatte, bevor sie in den Garten gekommen war.

„Du solltest die Haustür lieber abschließen“, ermahnte sie ihren Großvater und reichte ihm seine Tasse. „Jeder kann hereinspazieren und unbemerkt das Haus ausräumen.“

„Du bist doch nicht jeder, mein Schatz“, neckte er sie. „Wenn jemand hier unbedingt einbrechen will, dann wird ihn auch eine abgeschlossene Tür nicht daran hindern“, stellte er nüchtern fest, als er merkte, dass sie aufrichtig besorgt war.

Natürlich hatte er recht, und gerade deshalb gefiel es ihr nicht, dass er hier so abgeschieden und ohne direkte Nachbarn lebte. Sie war allerdings klug genug, ihm keine Vorhaltungen zu machen, denn damit hätte sie ihn lediglich verärgert.

Leo Winston war ein anerkannter Historiker, der es in Forschung und Lehre zu höchstem Ansehen gebracht hatte und bei Kollegen und Studenten gleichermaßen beliebt gewesen war. Luke Richmond hatte sie gefragt, weshalb sie unbedingt in seine Fußstapfen treten wollte, und ihr unterstellt, dass sie sein wollte wie er.

Das entsprach nicht der Wahrheit, aber sie hing sehr an ihrem Großvater, liebte und respektierte ihn. Sicher, der Wunsch, ihm eine Freude zu machen, hatte bei ihrer Berufswahl eine Rolle gespielt. Es war jedoch nicht der einzige Grund gewesen …

„Was verschafft mir eigentlich die Ehre?“, fragte Leo, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. „Und jetzt erzähl mir bitte nicht, du wärst rein zufällig vorbeigekommen. Das nehme ich dir nämlich nicht ab.“

Und doch traf es zu. Nach dem Besuch bei Rachel war ihr klar geworden, dass es kein allzu großer Umweg war, über Devon nach London zurückzufahren. Und sie hatte ihren Großvater schon seit Wochen etwas fragen wollen …

„Du hast es wirklich schön hier.“ Leonie seufzte und lehnte sich entspannt in dem bequemen Gartenstuhl zurück. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen, und obwohl es noch lange nicht Sommer war, glich der Garten, der ganze Stolz ihres Großvaters, schon jetzt einem Blumenmeer.

„Ja, es ist ein kleines Stückchen Paradies auf Erden.“ Leo nickte zufrieden. „Und wie geht es deinem jungen Freund?“, erkundigte er sich dann interessiert.

Leonie lächelte, denn mit zweiunddreißig konnte man Jeremy wohl kaum als jung bezeichnen, es sei denn, man wurde wie ihr Großvater bald achtzig.

„Gut“, antwortete sie. „Er macht dieses Wochenende eine Fortbildung – wieder einmal einen Computerkurs.“

„Ich verstehe.“ Leo blinzelte vielsagend. „Dir wird die Zeit lang.“

„Grandpa!“ Sie drohte ihm scherzhaft. „Willst du mir unterstellen, dass ich dich nur aus Langeweile besucht habe?“

„Na und? Daran ist doch nichts Schlimmes. Schließlich gehöre ich schon längst zum alten Eisen.“ Leo wurde ernst. „Genieß das Leben mit Freunden deines Alters, Leonie, denn so soll es sein.“ Er verzog das Gesicht. „Und nimm dir nicht die ewigen Vorhaltungen deiner Mutter zu Herzen.“

Sie blinzelten sich verschwörerisch zu. Leonie war Einzelkind, und ihre Mutter bestand darauf, wöchentlich angerufen und mindestens einmal im Monat besucht zu werden. Leo dagegen freute sich immer, sie zu sehen, egal, wie lange sie nichts hatte von sich hören lassen.

„Ich war heute schon in Hampshire“, begann Leonie, unschlüssig, wie sie auf das heikle Thema zu sprechen kommen sollte. „Ich bin dort einem alten Bekannten von dir begegnet – jedenfalls hat er behauptet, ihr hättet schon einmal miteinander zu tun gehabt.“

„So?“ Interessiert sah Leo sie über den Tassenrand hinweg an.

„Ja. Du hast mir nie erzählt, dass du auch mit Drehbuchautoren verkehrst“, neckte sie ihn.

Er schien die Andeutung nicht zu verstehen, denn er runzelte die Stirn.

„Luke Richmond“, half sie ihm, gespannt auf seine Reaktion. Hatte er wirklich mit Luke über die Verfilmung seines Lebens gesprochen?

Einen Moment sah er sie in Gedanken versunken an, doch dann lächelte er. „Natürlich, Luke Richmond! Ein sehr junger Mann, wenn ich mich richtig erinnere.“ Er nickte. „Aber was hast du mit ihm zu tun? Hast du dein gesellschaftliches Leben von der Universität in die Filmstudios verlegt?“

„Das glaubst du doch selbst nicht, Grandpa!“ Sie lachte fröhlich. „Aber bitte keine Ablenkungsmanöver. Warum hast du uns verschwiegen, dass eine Größe wie Luke Richmond dein Schicksal zum Kinohit machen wollte?“

Wieder verzog Leo das Gesicht. „Kannst du dir vorstellen, was deine Mutter dazu gesagt hätte?“

Leonie seufzte. Sie mochte ihre Mutter aus tiefstem Herzen, ihren Standesdünkel konnte sie allerdings beim besten Willen nicht verstehen. Was hatte sie sich anhören müssen, weil sie es gewagt hatte, ausgerechnet ein Buch über das Leben ihres Großvaters zu veröffentlichen, was die Familie ins „Gerede“ gebracht hatte!

„Mir Mums Reaktion auszumalen fällt mir nicht weiter schwer“, antwortete sie trocken. „Aber mir hättest du es anvertrauen können, Grandpa!“ Gespielt vorwurfsvoll sah sie ihn an.

Statt auf den Vorwurf einzugehen, lächelte er nur. „Ich bin wirklich gespannt, was du heute Morgen bei Luke Richmond wolltest.“

So eingehend sie sein Gesicht auch studierte, sie konnte nicht erraten, was er wirklich dachte, was sie noch vorsichtiger werden ließ.

„Ich habe ihn nicht besucht“, antwortete sie langsam. „Ich habe ihn zufällig bei einer Bekannten getroffen.“

Sie war in der Absicht gekommen, ihren Großvater über Rachel Richmond auszufragen, doch plötzlich scheute sie sich, deren Namen auch nur zu erwähnen. Ihrem Großvater zu gestehen, dass die Diva sie mit List dazu gebracht hatte, das Schreiben ihrer Memoiren zu übernehmen, war ihr einfach zu peinlich.

Leo betrachtete sie lange. „Ich habe Luke Richmond als sehr klugen Mann in Erinnerung“, bemerkte er schließlich.

„Klug vielleicht, aber nicht gerade souverän.“

„Mag sein. Aber denk daran, Leonie, er hat von jeher im Schatten seiner Mutter gestanden. Das ist nicht einfach für einen Mann.“

Leonie zuckte zwar lediglich die Schultern, musste ihrem Großvater allerdings insgeheim recht geben. Und durch ihre Zusicherung, Rachels Biografie zu schreiben, würde sie Luke das Leben noch schwerer machen …

4. KAPITEL

„Sie sitzen hier und träumen? Ich dachte, Sie würden fürs Arbeiten bezahlt werden.“

Leonie, die sich an den Gartentisch unter einer riesigen Buche zurückgezogen hatte, wusste sofort, wer hinter ihrem Stuhl stand. Nur Luke Richmond konnte es wagen, in einem derart unverschämten Ton mit ihr zu reden.

„Leider muss ich Sie enttäuschen, Mr. Richmond. Ich werde nicht bezahlt“, antwortete sie ruhig und drehte sich langsam zu ihm um. „Außerdem arbeite ich, denn ich suche nach Bildern, die für eine Veröffentlichung infrage kommen.“ Sie deutete auf die Fotoalben, die neben ihr lagen. „Ihre Mutter hat mich damit beauftragt, bevor sie sich zum Mittagsschlaf zurückgezogen hat.“

Es war ein herrlicher Maitag, und nach dem ausgedehnten Mittagessen mit Rachel fühlte sie sich etwas schläfrig und wollte einen Streit mit Luke vermeiden. Sie lächelte ihn an.

„Sie waren wirklich ein süßes Baby, Luke.“

Das Kompliment schien ihn nicht zu berühren, denn seine Miene blieb finster, als er sich auf den Stuhl ihr gegenüber setzte. „Und was bin ich jetzt?“, fragte er.

Jetzt war er, wie sie zugeben musste, ein atemberaubend attraktiver Mann. Die Sonne ließ sein dunkles Haar rötlich schimmern, im Spiel von Licht und Schatten wirkte sein Gesicht noch markanter, und das weiße T-Shirt und die eng sitzenden Jeans brachten seine athletische Figur vorteilhaft zur Geltung.

Leonie versuchte, sich davon nicht beeinflussen zu lassen und ihre Gefühle zu ignorieren. Sie durfte sich nicht von einem Mann den Kopf verdrehen lassen, der ihr mit offener Feindseligkeit begegnete.

Seit ihrem letzten Besuch in Hampshire waren drei Wochen vergangen, und in dieser Zeit hatte sie Luke weder gesehen, noch hatte Rachel ihn während der zahlreichen Telefongespräche erwähnt. An seiner Voreingenommenheit ihr gegenüber hatte sich jedoch offensichtlich nichts geändert.

Leonie zuckte die Schultern. „Was Sie jetzt sind, sagt Ihnen der Spiegel jeden Morgen beim Rasieren.“

Diese ausweichende Antwort entlockte ihm nur ein spöttisches Lächeln. „Frauen finden doch alle Babys süß“, versuchte er sie zu provozieren.

„Vielleicht“, antwortete sie diplomatisch. Wenn sie sich auch nicht auf ein Wortgefecht einlassen wollte, nach dem Mund reden würde sie ihm auch nicht. „Rachel hat mir gar nicht erzählt, dass Sie dies Wochenende hier sein würden“, wechselte sie das Thema.

„So?“ Luke schien nicht zu unverbindlichem Geplauder aufgelegt und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. „Und Sie werden wirklich nicht bezahlt?“ Er runzelte die Stirn. „Sie können doch nicht aus lauter Menschenliebe auf Ihre freien Wochenenden verzichten!“

Leonie strich sich das Haar aus der Stirn und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Der Nachmittag war einfach zu schön, um mit jemandem zu streiten, selbst wenn es sich dabei um Luke Richmond handelte.

„Ich habe Ihre Mutter darum gebeten, erst nach Ablieferung meines Manuskripts über das Honorar zu verhandeln.“

„Warum?“

Sie wandte sich ihm wieder zu und betrachtete ihn nachdenklich. „Rachel könnte mit dem Inhalt oder meinem Stil nicht einverstanden sein. Meine Biografie über einen nahen Verwandten ist keine Garantie dafür, dass ich über Fremde genauso lebendig berichten kann.“

Luke schwieg. Ob er an ihrer Aufrichtigkeit zweifelte? Es war ihr egal.

„Sie sehen Ihrem Großvater nicht sehr ähnlich“, bemerkte er unvermittelt.

Leonie straffte sich. Eine kultivierte Unterhaltung war mit diesem Mann anscheinend nicht möglich. All seine Bemerkungen hatten einen aggressiven Unterton.

„Erstaunt Sie das? Er ist ein achtzigjähriger Mann, ich dagegen bin eine dreißigjährige Frau.“

Luke schüttelte den Kopf. „Sie wissen ganz genau, worauf ich hinauswollte.“

„So?“ Sie musterte ihn kühl.

Abrupt stand er auf. „Ich werde Ihnen jetzt den Garten zeigen.“

Ohne zu fragen, ob sie es überhaupt wollte! Leonie war empört. Dieser Mann war wirklich ein ungehobelter Klotz. Sie hatte Besseres zu tun, als ihre Zeit in seiner Gesellschaft zu verschwenden.

„Ich warte auf Janet. Sie wollte mir frisch gepressten Orangensaft bringen“, redete sie sich heraus.

„Den können Sie nachher noch trinken.“ Er lächelte spöttisch, als sie immer noch nicht aufstand. „Kommen Sie, Leonie. Und machen Sie mir nicht weis, dass Sie sich nicht von den alten Fotos losreißen können.“

Sie hatte die Alben von hinten nach vorn durchgeblättert und war gerade bei seinen Kinderfotos angekommen, als er sie unterbrochen hatte. Sie war sich sicher, dass die wirklich interessanten Bilder noch kommen würden: die Aufnahmen aus dem Jahr vor seiner Geburt …

„Die Bewegung wird Ihnen gut tun. Außerdem wird Ihnen das Abendessen besser schmecken. Sie bleiben doch übers Wochenende, oder?“

Leonie nickte, denn Rachel hatte es ausdrücklich gewünscht. Gleich nach ihrer Ankunft war sie von Janet in ein Gästezimmer geführt worden, dessen luxuriöse Ausstattung ihr die Sprache verschlagen hatte. An alles hatte man gedacht, sogar an frische Blumen.

„Rachel gibt heute Abend eine Gesellschaft“, erklärte Luke. „Sie hat einige Freunde eingeladen, die Sie den ganzen Abend Darling nennen werden, weil sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um sich die Namen ihrer Mitmenschen zu merken.“

Luke war wirklich ein Zyniker! So überzogen seine Kritik jedoch auch sein mochte, sie blickte dem Abend nach dieser Bemerkung nicht mehr so gelassen entgegen.

Leonie stand auf. „Also gut, gehen wir durch den Garten, und beschreiben Sie mir die Gäste Ihrer Mutter genauer.“

„Sehr gern.“ Mit großen Schritten ging er auf die Hecke zu, die den Hausgarten von dem parkähnlichen Teil des Grundstücks trennte.

„Um es vorauszuschicken, Rachel wusste ganz genau, dass ich dieses Wochenende zu Hause bin. Das interessiert Sie doch am meisten, oder?“ Er lächelte spöttisch, als ihr die Röte ins Gesicht stieg.

„Rachels wahre Beweggründe sind selten die, über die sie spricht. Das werden Sie noch erfahren, wenn Sie sie besser kennenlernen“, redete er weiter.

Damit sagte er ihr nichts Neues. Wäre Rachel nicht eine solch geschickte Taktikerin, wäre sie, Leonie, jetzt nicht hier in Hampshire, um Stoff für eine Biografie zu sammeln, die sie eigentlich gar nicht hatte schreiben wollen. Rachel hatte sie demnach absichtlich nicht über seine Anwesenheit an diesem Wochenende informiert! Wahrscheinlich hatte sie ihre Abneigung gegen Luke also bemerkt.

Doch trotz ihrer Antipathie gegen ihn machte dieser Mann sie nervös, und sie war sich seiner Nähe überdeutlich bewusst. Sie sah, wie der Wind in seinem Haar spielte, roch den Duft seines Rasierwassers und bewunderte seine eleganten, geschmeidigen Bewegungen.

Schuldbewusst schreckte sie zusammen und stolperte sogar, als Luke plötzlich stehen blieb und sie forschend ansah. Auf seine unausgesprochene Frage hatte sie keine Antwort. Die einzige Erklärung, die sie für ihre innere Unruhe und ihre fahrigen Bewegungen hatte, war derart abwegig, dass sie nicht weiter darüber nachdenken wollte.

Leonie schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans, damit er nicht sehen konnte, wie sie zitterten, und wünschte sich weit weg. Ihre Reaktion auf Luke Richmond war nicht nur unbegreiflich, sondern auch höchst verwerflich, denn schließlich liebte sie Jeremy.

Jeremy, der sich als so große Stütze erwiesen hatte, der so verständnisvoll gewesen war, der ihr zugeredet hatte, die Biografie zu schreiben, und damit einverstanden gewesen war, sie während der nächsten Monate nur noch montags und freitags für ein kurzes Stündchen zu sehen. Und wie dankte sie es ihm? Indem sie zärtliche Gefühle für einen Mann hegte, den sie noch nicht einmal mochte!

„Ist was?“, erkundigte sie sich scharf, als sie seinen Blick nicht länger ertragen konnte.

Luke zuckte die Schultern. „Ich frage mich, weshalb eine Frau wie Sie noch allein ist. Leben Sie nur für Ihre Karriere?“

„Dass ich nicht verheiratet bin, bedeutet noch lange nicht …“ Abrupt verstummte sie, als sie an seinem selbstgefälligen Lächeln merkte, dass sie ihm schon wieder in die Falle gegangen war und sich aus der Reserve hatte locken lassen.

„Eine Frau wie ich? Was soll das heißen?“, fragte sie zurück, denn Angriff schien einem Mann wie Luke gegenüber die beste Verteidigung zu sein.

Mittlerweile hatten sie den naturbelassenen, dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsenen Teil des Anwesens erreicht, und Luke ging jetzt langsamer.

„Ende zwanzig, bezaubernd schön, gebildet, redegewandt und ganz offensichtlich mit Kinderwunsch.“ Diese Schlussfolgerung musste er aus ihrer Bemerkung über sein Kinderfoto gezogen haben. „Ich begreife nicht, wieso noch kein Mann Sie weggeschnappt hat.“

Leonie sah ihn vernichtend an. „Vielleicht lasse ich mich nicht gern wegschnappen.“

„Anscheinend nicht.“ Er zuckte die Schultern.

„Von Ihnen könnte man übrigens genau das Gleiche behaupten“, bemerkte sie herausfordernd.

„Ende zwanzig? Nein. Bezaubernd? Da habe ich meine Zweifel. Gebildet? Auf alle Fälle hat Rachel Unsummen in meine Ausbildung investiert. Redegewandt? Das will ich hoffen. Und was meinen Kinderwunsch angeht …“

„Das habe ich nicht gemeint, und das wissen Sie genau“, unterbrach sie ihn ungeduldig. „Ich wollte nur betonen, dass auch Sie ein sehr begehrter Single sind.“

„Obendrein mit einer Mutter, die darauf versessen ist, endlich ein Enkelkind in ihren Armen zu wiegen.“ Luke schüttelte den Kopf. „Einen Wunsch, den ich ihr leider nicht erfüllen kann.“

„Wieso?“ Irritiert blickte sie ihn von der Seite an.

Sein Gesicht wurde ernst. „Ich habe meine Gründe“, erklärte er abweisend.

Gründe, über die er nicht mit ihr sprechen wollte – was auch verständlich war, denn schließlich waren sie nur flüchtige Bekannte, deren Wege sich spätestens nach Erscheinen des Buches wieder trennen würden.

„Sie wollten mir von den Gästen erzählen, die ich heute Abend treffen werde“, erinnerte sie ihn, um das Thema zu wechseln.

Seine Miene hellte sich auf. „Richtig!“ Er nickte. „Rachel hat einige Freunde eingeladen – fünf Männer und vier Frauen, um genau zu sein.“

Den Grund für die Anzahl hatte Leonie schnell erraten. So würden sich sechs Paare ergeben, was die Sitzordnung erleichterte. Da sie gezwungene Konversation oder gar Streitgespräche beim Essen hasste, hoffte sie, dass Rachel ihr einen umgänglichen Tischherrn zugeteilt hatte.

„Fast alle haben natürlich irgendwie mit dem Showgeschäft zu tun“, redete Luke weiter. „Hoffentlich finden Sie die Gesprächsthemen nicht langweilig.“

„Bestimmt nicht“, versicherte sie höflich, obwohl sie das Schlimmste befürchtete.

„Im Notfall können Sie ja immer noch auf mich zurückgreifen“, bot er an.

Leonie blickte ihn kurz von der Seite an. Hatte er das ernst gemeint? Er lächelte – freundlich und humorvoll! Ihr wurde warm ums Herz, und sie erschrak. Nein, so durfte es nicht weitergehen. Abgesehen von der gegenseitigen Abneigung hatte sie nichts mit ihm gemeinsam.

In seiner Gegenwart fühlte sie sich befangen, und sie wurde schon nervös, wenn sie ihn nur von Weitem sah. Ob es an mangelnder Sympathie lag, bezweifelte sie mittlerweile allerdings …

„Da wären wir.“ Luke blieb stehen. „Hätten Sie Lust, sich die Insel anzusehen?“ Fragend blickte er sie an.

Sie standen am Ufer eines kleinen Sees, in dessen Mitte sich eine dicht mit Bäumen und Büschen bewachsene Insel befand. Direkt vor ihnen war ein Holzsteg, an dem ein Ruderboot lag.

„In dieser Nussschale?“ Leonie verzog das Gesicht.

Er lächelte. „Es wird Ihnen nichts passieren, das kann ich Ihnen garantieren. Oder haben Sie Angst davor, dass ich Sie auf der Insel aussetze und mich anschließend davonmache?“

„Es wäre immerhin eine elegante Möglichkeit, mich loszuwerden“, ging sie auf seinen Scherz ein, obwohl ihr nicht danach zumute war. Das Boot schwankte nämlich bedenklich, als erst sie und dann Luke einstieg. Vorsichtig nahm sie auf dem Sitz im Bug Platz und hielt sich ängstlich an der Bordwand fest. „Noch einfacher wäre es vielleicht, mich irgendwo im See zu ertränken“, bemerkte sie und rang sich ein Lächeln ab.

„Können Sie denn nicht schwimmen?“ Luke setzte sich auf die Bank in der Mitte und legte sich die Ruder zurecht.

„Doch.“

„Dann ist es sinnlos, Sie über Bord zu werfen.“

Leonie blickte sich betont interessiert in der Gegend um, damit Luke nicht merkte, wie sehr sein Anblick sie faszinierte. Unter seinem kurzärmeligen, engen T-Shirt war das Spiel seiner kräftigen Muskeln bei den ausholenden Bewegungen beunruhigend deutlich zu erkennen.

„Wieso trauen Sie mir eigentlich derart finstere Absichten zu?“, fragte er.

Sie zog die Hand zurück, die sie durchs Wasser hatte gleiten lassen, und blickte ihn an. „Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr Ihnen meine Anwesenheit zuwider ist.“

Er zuckte die Schultern. „Irgendwo gibt es Grenzen. Selbst ich würde davor zurückschrecken, deshalb eine Gewalttat zu begehen“, erwiderte er ironisch.

Leonie enthielt sich eines Kommentars und beobachtete, wie er das Boot geschickt an den Steg manövrierte und es fachmännisch vertäute.

„Das machen Sie anscheinend nicht zum ersten Mal.“ Sie nahm seine ausgestreckte Hand und ließ sich von ihm an Land helfen.

Luke lachte kurz. „Das kann man wohl sagen. Als ich klein war, war die Insel mein Lieblingsplatz, mein Versteck – wenn ich traurig war, nachdenken oder ganz einfach niemanden sehen wollte.“

Plötzlich kam Leonie sich wie ein Eindringling vor. Seine Liebe zu der kleinen Insel war nicht verwunderlich, denn diese war wie geschaffen, um die Fantasie eines heranwachsenden Jungen zu beflügeln. Dichtes Buschwerk gab Schutz und lud zum Spielen ein. Hier konnte ein Kind alles sein – König, Einsiedler oder ein Pirat auf Schatzsuche.

Warum jedoch zeigte er ausgerechnet ihr diesen Platz, der etwas ganz Besonderes für ihn sein musste?

Luke schien ihre Gedanken lesen zu können. „Da Sie schwimmen können, musste ich mir schnell etwas anderes ausdenken. Hier wird bestimmt niemand Ihre Leiche finden, meinen Sie nicht auch?“ Er lächelte spöttisch.

„Da wäre ich mir nicht so sicher, denn Ihre Mutter wird bestimmt nach mir suchen lassen, wenn ich nicht zum Essen erscheine“, gab sie zu bedenken.

„Also auch keine gute Idee.“ Luke seufzte. „Dort entlang, bitte.“ Er wies auf einen schmalen Pfad, der im Gebüsch verschwand, und übernahm die Führung.

Schon lange schien niemand mehr die Insel betreten zu haben, denn je weiter sie vordrangen, desto mehr verlor sich der Weg im Dickicht. Doch Luke schien sich auch so orientieren zu können. Er bog die Äste auseinander und ging zielstrebig weiter.

„Autsch!“, rief Leonie erschrocken, als ihr ein Zweig, den er zu früh losgelassen hatte, ins Gesicht schlug.

Sofort drehte Luke sich um. „Entschuldigung, ich war mit meinen Gedanken woanders und habe nicht aufgepasst. Sind Sie verletzt?“ Er zog mit dem Finger die leichte Rötung auf ihrer Wange nach. „Ich bin wirklich ein Trottel.“

„Sie übertreiben! Ich habe mich nur erschrocken. Die Schramme ist wirklich nicht der Rede wert.“ Sie lachte, als sie sein besorgtes Gesicht sah. „Sie scheinen mich falsch einzuschätzen. Als Kind war ich der reinste Wildfang, habe mich am liebsten im Wald herumgetrieben und wollte auf jeden Baum klettern. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft ich abgerutscht und gefallen bin.“

„Wirklich?“ Seine grünen Augen glänzten eigenartig. „Dann habe ich ja Glück.“ Mit beiden Armen teilte er einen dichten Busch und ließ ihr den Vortritt auf eine kleine Lichtung.

Eine mächtige Eiche, die mehrere Hundert Jahre alt sein musste, stand in der Mitte. In der Krone befand sich ein großes Baumhaus, zu dem eine stabile Holzleiter führte.

Luke betrachtete sie versonnen. „Als Junge habe ich mir eingebildet, alles selbst gezimmert zu haben. Aber jetzt weiß ich, dass unser damaliger Gärtner Heinzelmännchen gespielt haben muss, wenn ich im Bett war.“

Er stellte sich auf die unterste Sprosse und wippte leicht. „Vorzügliche Arbeit“, urteilte er anerkennend. „Die Konstruktion hat all die Jahre unbeschadet überstanden. Trotzdem werde ich als Erster hochgehen und die Tragfähigkeit prüfen.“

Ungläubig blickte Leonie ihn an. „Sie erwarten doch wohl nicht …?“

Luke lächelte nur und musterte sie herausfordernd von Kopf bis Fuß. „Jeans und Turnschuhe – Sie sind genau richtig angezogen.“

„Trotzdem!“ Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. „Keine zehn Pferde werden mich dort hochbekommen.“

Er stand so dicht neben ihr, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Trotzdem fröstelte sie, denn die Sonnenstrahlen drangen nicht bis auf den Boden der winzigen Lichtung, und es war unangenehm kühl und feucht.

„Angst?“, fragte er leise.

Wie gebannt sah Leonie ihn an und schluckte.

Ja, sie fürchtete sich – aber wovor? Dass die Leiter morsch und unsicher war? Oder gab es etwas anderes, das sie so nervös und atemlos machte?

5. KAPITEL

„Liebste Leonie, Rot steht Ihnen ausgezeichnet. Sie sehen einfach bezaubernd aus!“

Rachel streckte ihr die Hände entgegen, als Leonie in einem knielangen, figurbetonten Kleid aus weich fließendem Material kurz vor dem Essen den Salon betrat.

„Dem kann ich mich nur anschließen“, stimmte Luke seiner Mutter sofort zu. Er stand vor dem Barschrank und schenkte Champagner ein, denn die meisten Gäste waren bereits eingetroffen und unterhielten sich angeregt. „Was Farben angeht, scheinen Sie ja äußerst mutig zu sein. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“

Leonie, die Luke bisher absichtlich ignoriert hatte, bedachte ihn mit einem kühlen Blick über die Schulter. Typisch, dass er auf die Episode am Nachmittag anspielen musste, als sie sich geweigert hatte, mit ihm in das Baumhaus zu klettern. Was hatte er denn erwartet? Sie war schließlich eine erwachsene Frau und angesehene Dozentin, kein verrückter Teenager!

In ihrem tiefsten Innern wusste sie jedoch ganz genau, dass dies nicht der eigentliche Grund gewesen war, weshalb sie darauf bestanden hatte, die Insel sofort wieder zu verlassen.

Nein, sie hatte weder vor der Leiter noch vor der Höhe Angst gehabt, sondern vor der Enge im Baumhaus. Luke so nahe zu kommen hätte unweigerlich zur Katastrophe führen müssen.

„Warum sollte es für Leonie Mut erfordern, kräftige Farben zu tragen? Das verstehe ich nicht.“ Rachel runzelte die Stirn. „Bei ihrem Teint kann sie doch alles tragen.“

„Danke für das Kompliment, Rachel.“ Leonie drehte Luke wieder den Rücken zu. „Könnten Sie mich bitte mit den anderen Gästen bekannt machen? Einige Prominente habe ich schon entdeckt.“

„Das übernehme ich, Rachel“, mischte Luke sich ein. „Leonie kann mit mir die Runde machen, wenn ich die Gläser verteile – natürlich nur, wenn ihr meine Gesellschaft nicht unangenehm ist.“ Spöttisch sah er sie an.

Sie biss sich auf die Lippe. „Kein Problem für mich“, log sie tapfer.

„Trinken Sie einen Schluck. Bei dieser Gesellschaft werden Sie es nötig haben.“ Er reichte ihr ein volles Glas.

Leonie folgte seinem Rat und fühlte sich wirklich gleich viel entspannter. Die Aussicht darauf, die nächste Viertelstunde an seiner Seite verbringen zu müssen, schien nicht mehr ganz so schrecklich, und danach würde sie ihm für den Rest des Abends aus dem Weg gehen.

Während die letzten Gäste eintrafen, begleitete sie Luke von einem Grüppchen zum anderen und ließ sich mit den Größen aus Film und Fernsehen bekannt machen. Schon nach zehn Minuten Small Talk schwirrte ihr der Kopf, und sie fürchtete ernsthaft, eine Migräne zu bekommen. Obwohl Luke sie nur mit ihrem Vornamen vorstellte und als Freundin der Familie bezeichnete, war es für Rachels Gäste anscheinend schon zu kompliziert. Sie wurde nämlich, genau wie er vorhergesagt hatte, ausnahmslos mit „Darling“ angeredet.

Männer wie Frauen waren auffallend gut aussehend. Doch während die Frauen extravagant gekleidet waren, um aufzufallen und sich gegenseitig auszustechen, ähnelten sich die Männer in ihren schwarzen Smokings und den blendend weißen Hemden so sehr, dass man sie nur an der Farbe ihrer Fliegen unterscheiden konnte.

„Darf ich Sie nach draußen begleiten?“, fragte Luke schließlich. „Sie scheinen dringend frische Luft zu brauchen. Diese schweren Parfüms rauben einem wirklich den Atem – und die Männer scheinen heutzutage genauso großzügig damit umzugehen wie die Frauen.“

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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