Julia Bestseller Band 185

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IM BANN DER LEIDENSCHAFT von TAYLOR, KATHRYN
In Ians Armen ist Shannon glücklich, aber ihre Zweifel wird sie nicht los. Liebt er sie wirklich oder ist seine Leidenschaft nur Berechnung? Immerhin geht es um ein Millionenerbe, das Ian sich mit seiner kleinen Halbschwester teilen soll - deren Vormund Shannon ist ...

SÜßES, REICHES MÄDCHEN von TAYLOR, KATHRYN
Mikki versteht die Welt nicht mehr: Sie soll die entführte Tochter eines reichen Unternehmers sein? Als Mikki bedroht wird, will der attraktive Clayton sie eigentlich nur beschützen. Doch sie weiß ganz genau, wie sie ihn mit den Waffen einer Frau um den Verstand bringen kann …

DIESE NACHT IST NICHT LANG GENUG von TAYLOR, KATHRYN
Zwischen Sophie und Alex knistert es vor Verlangen, sobald sie sich begegnen. Dabei ist Sophie offiziell mit Alex‘ Bruder Damon verlobt. Als sie aber nach einem Ausritt mit Alex im Heu landet, können beide ihrer Sehnsucht nicht länger widerstehen. Darf sich etwas Verbotenes so gut anfühlen?


  • Erscheinungstag 17.03.2017
  • Bandnummer 0185
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708863
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kathryn Taylor

JULIA BESTSELLER BAND 185

1. KAPITEL

„Was sagen Sie da? Ich habe eine Schwester?“ Ian Bradford sprang auf und starrte den grauhaarigen Anwalt an, der hinter seinem Mahagonischreibtisch thronte. „Das muss ein Irrtum sein.“

Richard Jenkins war schon der Familienanwalt, seit Ian sich erinnern konnte, und galt eigentlich als zuverlässig. Allerdings hatte er weniger mit ihm zu tun gehabt als sein Vater.

„Es ist die Wahrheit, Ian. Hier habe ich die Kopie der Geburtsurkunde.“

Ian riss dem Anwalt förmlich das Dokument aus der Hand. Der Herzinfarkt seines Vaters war schon schlimm genug, aber nicht zu vergleichen mit dem Schock, den diese Mitteilung bei ihm auslöste. „Zwei Jahre alt ist das Kind?“

„Fast drei Jahre“, verbesserte Jenkins ihn.

„Um Himmels willen, macht das einen Unterschied? In jedem Fall war mein Vater zu der Zeit weit über sechzig.“

„Das Interesse am Sex hört schließlich nicht mit vierzig auf“, bemerkte Jenkins etwas verstimmt.

Ian stieß ein verbittertes Lachen aus. „Das trifft sicherlich auf meinen alten Herrn zu.“ Wesley Bradford hatte mindestens die letzten dreißig Jahre seines Lebens unter der Midlifecrisis gelitten, war aber stolz darauf gewesen, dass es keiner Frau gelungen war, ihn nach seiner Scheidung wieder einzufangen.

„Hier steht, dass die Mutter des Kindes mit Namen Tiffany Moore erst 25 Jahre alt gewesen ist. Was ist das überhaupt für ein Name? Irgendwie erinnert er mich an eine Lampe.“ Ians Bemerkung klang ziemlich abwertend.

„Fünfundzwanzig? Nun ja, mein Vater hatte immer schon eine Vorliebe für sehr viel jüngere Frauen.“

„Ihr Vater hatte eine außergewöhnliche Ausstrahlung.“

„Mein Vater hatte viel Geld. Das machte seinen Charme aus. Sie können mir das getrost glauben, denn ich kannte ihn besser als jeder andere.“

Ian schaute sich die Geburtsurkunde wieder an. Wenn sein Vater wirklich so überzeugt davon gewesen wäre, dass es sein Kind war, warum trug es dann nicht seinen Namen? Für eine Frau war es ein leichtes, jemanden für den Vater ihres Kindes auszugeben. Ganz besonders, wenn eine erfolgreiche Firma im Hintergrund winkte. Dieses Kind und die berechnende Mutter hatten keinerlei Anrecht auf die Firma.

„Diese Angelegenheit muss geprüft werden“, murrte Ian. „Ich werde einen Bluttest verlangen.“

Jenkins schüttelte den Kopf. „Meiner Meinung nach hat Wesley alles getan, um sicher zu sein, dass er wirklich der Vater ist, bevor er Unterhalt für das Kind zahlte. Die Ergebnisse sind hier in dem Ordner.“

„Und was ist mit der Mutter des Kindes?“

„Sie ist vor sechs Monaten bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Ihre kleine Schwester lebt jetzt bei der einzigen Tante in einer Kleinstadt nördlich von New York City.“

„Ich habe keine Schwester.“

„Sie können die Kleine nennen, wie Sie wollen. Chelsea Moore ist Wesleys Tochter. Und nach dem Testament Ihres Vaters gehört ihr die Hälfte von Westervelt Properties.“

Ian stöhnte auf. Sein Vater hatte einen ziemlich grausamen Weg gewählt, seinen väterlichen Pflichten nachzukommen. Warum hatte er diesem unehelichen Kind nicht sein Geld vermacht und ihm die Firma? Ian brauchte und wollte das Geld nicht. Jetzt war er froh, dass er seinen Granddad zu der Testamentseröffnung nicht mitgenommen hatte. Diese Vereinbarungen hätten den alten Herrn nur verletzt und vernarbte Wunden wieder aufgerissen. Wesley hatte nicht widerstehen können, auch noch nach seinem Tod seinen Schwiegervater zu kränken.

Ian hatte über zwanzig Jahre auf diesen Tag gewartet. Als er fast noch ein Kind gewesen war, hatte er sich geschworen, seinem Granddad wieder zu seinem Recht zu verhelfen. Und nichts und niemand würde ihn davon abhalten können.

„Und wenn ich das Testament anfechte?“

„Dazu fehlt die rechtliche Grundlage.“ Leicht verärgert furchte Jenkins die Stirn. Dann schien er sich aber anders zu besinnen und lächelte listig. „Sie könnten darauf klagen, dass Ihre Schwester nur den Pflichtteil erhält. Es kommt allerdings darauf an, wie der Richter die Sache sieht. Es ist durchaus möglich, dass er Ihnen mehr Rechte an der Firma zubilligt als einem unehelichen Kind. Besonders, da Ihrem Granddad die Firma schon einmal gehört hatte.“

„Dann tun Sie das.“

„Ian, das ist nicht mein Fachgebiet. Ich muss einen Kollegen finden, der das macht.“

„Fein. Bitten Sie Ihre Sekretärin, alle erforderlichen Papiere fertigzustellen, die ich für diesen Rechtsstreit benötige.“ Zum ersten Mal, seit Ian das Testament seines Vaters gelesen hatte, lehnte er sich entspannt zurück. „Was wissen Sie über die Tante des Kindes?“

„Sie wird in einer halben Stunde hier sein. Dann können Sie sich selbst ein Urteil bilden. Ich wollte Sie vorher allein sprechen, da ich Ihre Ansichten bezüglich der Firma Ihres Vaters kenne.“

„Der Firma meines Granddads“, korrigierte Ian den Anwalt.

„Wesley hatte die Firma gekauft.“

Ian schlug mit der Faust auf den Tisch. „Er hatte sich die Firma erschwindelt.“

Gedankenverloren spielte Jenkins mit seiner Krawatte. Es hatte keinen Zweck, seinen ehemaligen Klienten in dieser Angelegenheit in Schutz zu nehmen, denn Ian kannte die Fakten genauso gut wie er selbst.

Während Ians Mutter sich im Krankenhaus von einer Krebsoperation erholte, hatte sein Vater die Gelegenheit genutzt, die Aktienanteile der Mutter auf seinen Namen zu übertragen. Durch diesen Coup gehörten ihm 51% der Firma, und er hatte das Sagen. Seine Macht hatte er dazu benutzt, den Gründer der Firma aus der Firmenleitung zu verdrängen.

Jenkins trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. „Warum warten Sie nicht erst einmal ab und treffen die Tante des Kindes? Vielleicht finden Sie gemeinsam eine Lösung, ohne sich in einen Prozess zu stürzen, der Jahre dauern kann.“

„Was soll denn dabei herauskommen?“

„Das Vermögen des Kindes wird bis zu dessen Volljährigkeit von seinem Vormund, also der Tante, verwaltet. Es ist durchaus denkbar, dass es ihr lieber ist, wenn sie den Wert der Aktien in Geld erhält.“

„Hoffen wir, dass Sie recht behalten.“

Der Anwalt schüttelte etwas sorgenvoll den Kopf. „Ich rate Ihnen sehr, Ian, Ihr Temperament zu zügeln. Ich weiß natürlich, dass Wesley Sie und Ihre Mutter nie fair behandelt hat …“

Ian hob die Hand, um Jenkins zu unterbrechen. Er war nicht bereit, sich die Ausführungen des Anwalts anzuhören, der seinem Vater schließlich dabei geholfen hatte, seine Großeltern aus ihrer Firma zu verdrängen. „Ersparen Sie mir Ihre Worte in dieser Sache. Erzählen Sie mir lieber, was Sie über die Tante in Erfahrung gebracht haben. Bei Verhandlungen weiß ich gern, wer mein Gegner ist.“

Der Anwalt schob ihm über den Tisch eine Akte zu, und Ian blätterte sie durch. Wesley hatte sich genauestens über seine ehemalige Freundin und sogar deren Mutter informiert. Danach waren beide, Mutter und Tochter, Beziehungen zu älteren, wohlhabenden Männern eingegangen. Zu Ians Bedauern hatte sein Vater aber keine Veranlassung gesehen, auch Auskünfte über die Schwester einzuholen.

Shannon Moore prüfte noch einmal die Adresse auf dem Briefumschlag, bevor sie die Anwaltskanzlei betrat. Richard Jenkins, Esquire, Apartment 218. Sie konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grund der Anwalt sie bestellt hatte. Er hätte ihr doch nur eine Kopie des Testaments zu schicken brauchen. Wesley Bradford hatte sich schließlich zu seinen Lebzeiten nie um seine Tochter gekümmert und war allzu gern bereit gewesen, nach dem frühen Tod von Tiffany keinen Unterhalt mehr für das Kind zu zahlen. Allerdings war es Shannons Entscheidung gewesen, auf das Unterhaltsgeld für ihre Nichte zu verzichten. Aber wenn Wesley seine Tochter wichtig gewesen wäre, hätte er um das Kind gekämpft.

Shannon Moore strich sich den Leinenrock über den Hüften glatt, öffnete die Tür und betrat das luxuriös ausgestatte Büro.

Die Empfangsdame schaute sie an. „Sind Sie Miss Moore?“

„Ja.“

„Mr. Jenkins erwartet Sie.“ Sie meldete Shannon über das Haustelefon an und sagte dann: „Die erste Tür rechts, bitte.“

Shannon bedankte sich und ging den Flur hinunter, wo ein älterer Herr ihr mit ausgestreckter Hand entgegenkam. „Nett, dass Sie da sind, Miss Moore. Ich bin Richard Jenkins.“

Lächelnd nahm sie seine Hand, schüttelte sie und ließ sich von dem Anwalt ins Konferenzzimmer führen. Als sie den Raum betraten, stand ein jüngerer Mann auf.

Sein Seidenanzug und die teure goldene Armbanduhr ließen erkennen, dass er wohlhabend war. Aber die Hand, die er ihr zur Begrüßung reichte, fühlte sich rau an, so als würde er schwer arbeiten. Nachdem er wieder in seinem Ledersessel neben dem Schreibtisch Platz genommen hatte, lächelte er Shannon etwas überheblich an. Dennoch sprach aus seinen eisblauen Augen Bewunderung, vielleicht sogar etwas mehr, denn sie spürte, wie sie unter seinem Blick nervös wurde. Seit Jahren war ihr das nicht mehr passiert. Aber von diesem Mann, der aus seinem Begehren keinerlei Hehl machte, ging eine gewisse Gefahr aus. Bis jetzt hatte sie sich erfolgreich vor solchen Männern in Acht genommen.

„Das ist Ian Bradford“, stellte Jenkins vor, und Shannon glaubte, eine Spannung aus seiner Stimme herauszuhören.

Das war also Wesley Bradfords Sohn. Äußerlich hatten die beiden keine Ähnlichkeit, aber sie war sicher, dass er von seinem Vater dessen Rücksichtslosigkeit geerbt hatte. Wenn sie gewusst hätte, was sie hier erwartete, hätte sie sich auf diese Begegnung besser vorbereitet.

„Mr. Bradford, mein Beileid zum Tod Ihres Vaters“, sagte sie höflich.

Er nickte kurz. Sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt.

Mr. Jenkins deutete auf einen zweiten Sessel, der an der anderen Seite des Schreibtisches stand. „Bitte, nehmen Sie Platz, damit wir mit der Testamentseröffnung beginnen können.“

„Hätte ich meinen Anwalt mitbringen sollen?“, fragte sie, nachdem sie sich gesetzt hatte.

Ian stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich zu ihr herüber. Sogar durch den Anzug konnte sie seine ausgeprägten Armmuskeln erkennen. „Haben Sie Grund zu der Annahme, dass Sie hier einen Juristen benötigen?“

Shannon hielt seinem Blick stand. Die Zeiten waren längst vorbei, in denen sie sich von einem Mann demütigen ließ. Sie war jetzt zweiunddreißig Jahre alt, und sie hatte eines gelernt: Die meisten Männer nutzten die Schwächen der Frauen zu ihren eigenen Gunsten aus. „Ich bin mir noch nicht sicher. Sie beide haben dieses Treffen kurzfristig arrangiert. Warum informierten Sie mich nicht früher?“

„Ich versichere Ihnen, Miss Moore, alles hier ist in bester Ordnung. Niemand will Ihnen etwas Böses“, griff Jenkins in das Gespräch ein, um die Spannung etwas zu lockern.

Ian fuhr sich mit den Fingern durch das dunkle, volle Haar. „Ich habe das Gefühl, Miss Moore traut uns nicht. Wie kommt das?“

„Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich halte mein Urteil so lange zurück, bis ich weiß, um was es hier geht.“

Jenkins schob ihr eine Akte über den Tisch zu. „Hier ist eine Kopie des Testaments. Ich habe die Zeilen angestrichen, die Ihr Mündel Chelsea Moore betreffen. Wenn Sie bitte ab Seite sechs lesen würden …“

„Oh, Richard, warum so vorsichtig? Soll Miss Moore doch ruhig alles lesen, damit sie über die Geheimnisse der Bradfords informiert ist.“

Shannon setzte ihre Brille auf und begann das ziemlich lange Dokument zu lesen. Sie bemerkte, dass Ian keine Kopie des Testaments vor sich liegen hatte. Also kannte er es schon. Sie überflog die Anweisungen, die die Beerdigung betrafen, und begann erst von da an sehr aufmerksam zu lesen, wo es um die Aufteilung des Vermögens ging. Allmählich verstand sie die Nervosität der beiden Männer.

Wesley Bradford hatte alle seine ehemaligen Freundinnen, darunter auch ihre Schwester und ihre zwei jüngeren Nachfolgerinnen, namentlich aufgeführt und sie durch eine Stiftung abgesichert. Insgesamt waren es achtzehn Frauen, die aus diesem Fonds Geld erhalten sollten. Shannon hatte den Mann nur ein einziges Mal gesehen, aber sie hatte sich damals in ihrer Einschätzung nicht geirrt. Er war ein eiskalter, berechnender Mensch gewesen.

Sie blickte auf und sah Ians zynisches Lächeln. Wie der Vater, so der Sohn, dachte sie und fröstelte. „Ich glaube, es ist besser, ich nehme die Kopien mit nach Hause und lese sie in Ruhe durch.“

„Jetzt sind Sie nun einmal hier. Mir wäre es lieber, wenn Sie noch blieben, weil ich mit Ihnen etwas besprechen muss.“ Ian lehnte sich so weit vor, dass er den Anwalt fast verdeckte.

Jenkins stand auf und knöpfte sich nervös das Jackett zu. „Ich hole uns einen Kaffee.“

Geistesabwesend nickte Shannon, während sie sich die unterstrichenen Absätze noch einmal genauer ansah, wie es ihr der Anwalt empfohlen hatte. Sie bemühte sich, keinerlei Gefühlsregung zu zeigen, als sie las, dass Chelsea die Hälfte der Firma Westervelt Properties geerbt hatte. Ihre Nichte brauchte sich also um ihre Zukunft nicht zu sorgen. Es sei denn, Ian Bradford machte ihr das Erbe streitig.

„Ich vermute, dass Sie das Testament anfechten wollen“, sagte Shannon in sachlichem Ton.

„Das hat keine Aussicht auf Erfolg, wie Ihnen der Anwalt gleich bestätigen wird, wenn er zurückkommt. Aber ich wäre sehr daran interessiert, den Anteil Ihres Mündels abzukaufen.“

„Sie sprechen von meiner Nichte“, entgegnete Shannon wütend. „Außerdem ist sie Ihre Schwester.“

„Ich habe keine Schwester. Mein Vater hatte unglücklicherweise eine Tochter“, entgegnete er mit gepresster Stimme.

Shannon dachte an das ernste Mädchen, das sie vor sechs Monaten aufgenommen hatte. Die Kleine hatte nie eine Familie gehabt, die ihr Halt und Sicherheit bieten konnte. Ihre Mutter hatte sie benutzt, um Geld vom Kindesvater zu erpressen, ihren Vater würde sie nie kennenlernen, und Shannon, die ihr Möglichstes tat, wusste, dass auch sie nicht über alles verfügte, was ein Kind brauchte. Dazu kam jetzt dieser Bruder, der Chelsea verleugnete. Im Ganzen gesehen waren das nicht gerade glückliche Lebensumstände für ein Kind.

Ian beobachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. Shannon irritierte ihn irgendwie, denn er konnte die Hände kaum ruhig halten. „Was meinen Sie zu meinem Vorschlag?“

„Sie möchten jetzt auf der Stelle eine Antwort?“

„Sie werden kein besseres Angebot bekommen.“

„Sie erwarten eine Entscheidung von mir, die ich im Namen von Chelsea treffen soll, ohne irgendwelche näheren Informationen über die Firma? Lediglich auf Ihr Versprechen hin, dass Sie mir ein faires Angebot unterbreiten? Mache ich so einen dummen Eindruck auf Sie, Mister?“

„Ganz im Gegenteil, Miss Moore, ich halte Sie für sehr clever.“ Seine Worte klangen eher beleidigend als anerkennend.

„Dann behandeln Sie mich auch nicht wie einen Dummkopf.“

„Mein Vorschlag ist lediglich, Ihnen den Firmenanteil Ihres Mündels auszuzahlen. Bis Ihre Nichte das achtzehnte Lebensjahr erreicht hat, um selbst zu bestimmen, kann viel passieren. Es sind schon andere Firmen in kürzerer Zeit in Konkurs gegangen.“

Versuchte er, ihr Angst einzujagen und sie unter Druck zu setzen, um sie zu einer schnellen Entscheidung zu zwingen? „Wie alt sind Sie, Mr. Bradford?“

Diese Frage verwirrte ihn. „Zweiunddreißig. Was hat das hiermit zu tun?“

„Sie sind ein bisschen zu alt für diese Art Spielchen, meinen Sie nicht auch?“ Sie nahm die Dokumente an sich und stand auf. „Entschuldigen Sie mich, ich habe nichts mehr dazu zu sagen.“

Ian sprang auf. „Ich aber.“

„Ihre Art der Gesprächsführung gefällt mir nicht.“

„Wie meinen Sie das?“

„Erstens: Wenn Sie denken, Sie könnten mir mit Ihrer Taktik Angst einflößen, dann haben Sie sich geirrt.“

„Und was noch?“ Sein überhebliches Lächeln provozierte sie, und Ärger und Ablehnung kamen in ihr hoch. Sie hatte sich kaum noch unter Kontrolle.

„Zweitens: Wenn Sie von jemandem einen Gefallen erwarten, dann ist es ratsam, zuvorkommend zu sein, anstatt den Gesprächspartner zu verletzen.“

„Haben Sie das in den Slums gelernt, wo Sie aufgewachsen sind?“

Shannon holte tief Luft. Offensichtlich hatte er Erkundigungen über sie eingezogen. „Das Gespräch hier führt zu nichts. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie mir etwas Wichtiges zu sagen haben.“ Sie klemmte sich die Akte unter den Arm und wandte sich um.

Die Frau beeindruckte Ian viel mehr, als ihm lieb war, und das konnte kompliziert werden. Während sie zur Tür ging, musterte er anerkennend ihre langen, wohlgeformten Beine, ihre schmalen Hüften und ihren eleganten Gang. Es war für ihn leichter, mit der Enttäuschung fertig zu werden, noch kein Ergebnis erzielt zu haben, als seine Hormone wieder unter Kontrolle zu bringen.

Shannon Moore war eine interessante Gesprächspartnerin. Unter ihrem geschäftsmäßigen Auftreten verbarg sich eine Kämpfernatur. Und sie sah äußerst attraktiv aus mit ihrem rotbraunen schulterlangen Haar, dem ovalen Gesicht und den großen braunen Augen, in denen goldene Funken sprühten, wenn sie wütend war.

„Was haben Sie angestellt, Ian?“ Jenkins kam ins Konferenzzimmer zurück. „Miss Moore ist im Sturmschritt an mir vorbeigerannt.“

„Ich habe ihr nur das Angebot gemacht, die Firmenanteile ihres Mündels abzukaufen, und sie sagte, sie wollte es sich überlegen.“ Ian zweifelte nicht daran, dass sie jetzt den kürzesten Weg zu ihrem Anwalt nahm.

„Mit ihrer Schwester hat sie jedenfalls keinerlei Ähnlichkeit, das ist sicher.“

„Dazu kann ich nichts sagen, weil ich sie nicht gekannt habe.“

Jenkins lächelte. „Sie haben Tiffany Moore auf der Hochzeit Ihres Cousins getroffen.“

Tatsächlich fiel ihm jetzt eine auffallend hübsche Blondine ein, die alle Blicke auf sich gezogen hatte. Sie hatte sogar die Braut in den Schatten gestellt. „Sie machen Witze, Jenkins. Das soll Shannons Schwester gewesen sein?“

Der Anwalt nickte. „Bleiben Sie noch immer bei Ihrem Entschluss, das Testament anzufechten?“

Ian überlegte einen Moment. „Wenn Miss Moore sich nicht innerhalb eines Monats bei Ihnen meldet, dann reichen Sie bitte die Klage ein.“

„In Ordnung, Ian. Aber da wäre noch etwas – Wesley hatte der Mutter Unterhalt für das Kind gezahlt. Jetzt, wo beide Eltern verstorben sind, dürfte die Regelung wohl hinfällig sein. Wie sollen wir weiter verfahren?“

„Senden Sie das Geld jetzt an Shannon, bis ich weiß, was sie vorhat.“

Jenkins sah ihn fragend an. „Shannon?“

„Miss Moore“, verbesserte sich Ian schnell.

„Seien Sie vorsichtig, Ian, dass Sie nicht in die Fußstapfen Ihres Vaters treten.“

Ian lächelte zynisch. „Es gibt da zwei große Unterschiede. Erstens bin ich nicht verheiratet, und zweitens interessiere ich mich nicht für jüngere Frauen.“

Er schloss die Akte und stöhnte. Auch wenn Shannon äußerst anziehend auf ihn wirkte, würde er sich nicht davon abbringen lassen, sein Ziel zu erreichen. Die Firma Westervelt Properties sollte wieder seinem Großvater gehören, ganz gleich, was es kostete.

Shannon warf die Akte und ihre Schlüssel auf das Tischchen in der Diele. Während der einstündigen Fahrt von New York City zurück zu ihrem Wohnort hatte sie sich wieder so weit erholt, dass sie sich ihrer energiegeladenen Nichte widmen konnte. Nachdem sie ihre Post flüchtig durchgesehen hatte, verließ sie wieder das Haus und ging durch den Garten zum Nachbarhaus hinüber. Rote Tulpen säumten ihren Weg. Kein Zweifel, es war Frühling geworden. Sie betrat durch den Hintereingang die Küche, in der es herrlich nach selbst gebackenem Brot duftete.

„Hallo, Meisterköchin, wo bist du?“

„Einen Augenblick, ich komme.“ Kurz darauf erschien Wendy Sommers, eine hübsche, quirlige Frau, der bei jeder Bewegung die braunen Locken ins Gesicht fielen. „Wie war das Treffen?“

Shannon ließ die Arme kreisen, um die Spannung im Nacken zu lösen. „Viel interessanter, als ich erwartet hatte.“

Die Freundin nahm eine Tasse. „Möchtest du auch einen Kaffee?“

„Oh ja, gern.“ Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Chelseas Bruder war auch da.“

„Und?“ Wendy konnte ihre Neugierde kaum verbergen.

„Als ich Wesley Bradford kennenlernte, dachte ich damals, niemand könnte arroganter sein als er. Aber ich hatte mich geirrt. Offensichtlich hat er diese Eigenschaft seinem Sohn vererbt, und der übertrifft ihn noch.“

„Es sieht so aus, als hätte der Mann dich ziemlich beeindruckt.“

Shannon musste über Wendys beharrliche Fragen lachen. Ja, es stimmte, er hatte sie beeindruckt. Aber sie wollte das keinesfalls zugeben, nicht einmal vor sich selbst. „Wie war Chelsea?“, wich sie aus.

„Sie war sehr lieb, aber sie hat ihre Tante Shane vermisst.“

„Wirklich?“, fragte sie ein wenig unsicher.

Als Shannon vor einigen Monaten das kleine Mädchen zu sich nahm, war sie einer Panik ziemlich nahe gewesen, denn sie wusste rein gar nichts über Kindererziehung. Um Chelsea ein einigermaßen normales Leben zu bieten, war sie in diese Kleinstadt gezogen, wo sie selbst einige Jahre als Teenager verbracht hatte. Dann hatte sie sich eine Menge Bücher über Kindererziehung aus der Bibliothek geholt, um nicht völlig hilflos dazustehen.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass eine ehemalige Mitschülerin, inzwischen selbst Mutter von drei Kindern, ihre Nachbarin war. Wendys Erfahrung und ihr offenes, herzliches Wesen machten ihr die Rückkehr in die Kleinstadt leichter. Sie hatte in Wendy ihre erste wirkliche Freundin gefunden.

„Was treibt mein kleiner Engel denn jetzt?“, fragte Shannon.

„Sie schaut sich mit Anna die ‚Sesamstraße‘ an.“ Wendy stellte ein Tablett auf den Tisch und setzte sich. „Erzähl mir doch mehr über diesen Mr. Bradford. Wenn er Chelseas Bruder ist, dann bist du doch seine Tante, nicht wahr?“

„Sehr witzig. Na ja, eigentlich war ich ein wenig enttäuscht. Ich dachte … ach, ist ja auch egal.“ Sie seufzte. „Er hat sehr deutlich gezeigt, dass er von Chelsea nichts wissen will. Er führt sozusagen die Tradition der Familie fort.“

Wendy blieb einen Moment still, dann begann sie lauthals zu lachen. „Und du hast geglaubt, Ian Bradford würde vor Freude in die Luft springen, wenn er erfährt, dass er eine kleine Schwester hat? Du bist vielleicht ein Optimist.“

Durch die Reaktion ihrer Freundin ging ihr plötzlich auf, wie naiv sie gewesen war. Sie trank einen Schluck Kaffee, lehnte sich zurück und atmete tief durch. „Mag sein, dass du recht hast, aber sag es niemandem, hörst du? Ich streite es sonst glatt ab. Schließlich muss ich in dieser Stadt meinen Ruf als selbstbewusste, kühle und unfehlbare Geschäftsfrau wahren.“

„Keine Angst, wir Frauen hier wissen doch, was wir an dir haben. Mit deinen Anlagetips haben viele von uns inzwischen ganz schön an der Börse verdient.“

Shannon war jetzt froh, dass sie eine so gute Ausbildung besaß und noch über die Geschäftsverbindungen verfügte, die sie brauchte, um ihre Kunden auch von zu Hause aus zu beraten. „Ein Kind großzuziehen ist doch bedeutend schwieriger, als es in den schlauen Büchern steht“, bemerkte sie gedankenverloren.

„Wirf die Bücher weg, und folg deinem Gefühl. Du liebst das Kind, und das ist das Wichtigste.“

Shannon seufzte erneut tief auf. Sie hoffte so sehr, dass ihre Liebe ausreichte, um das Mädchen zu einem glücklichen Menschen zu machen.

„Darf ich dir etwas sagen, Shane?“

„Nur zu.“

„Du erscheinst mir irgendwie durcheinander. Ich kenne dich jetzt schon so lange, aber so habe ich dich noch nie erlebt. Ich möchte wetten, dass ein Mann dahintersteckt.“

„Es stimmt gar nicht, was du sagst“, protestierte Shannon heftig. „Ich bin genauso wie immer, völlig kontrolliert und habe alles im Griff.“

2. KAPITEL

Ian hatte die alten Kirschbaummöbel vom Dachboden geholt und wieder in das ehemalige Büro seines Granddads gestellt. Zufrieden schaute er sich um. Es sah jetzt wieder ganz genauso aus, wie er es von seinen Besuchen als Kind in Erinnerung hatte. Aber sosehr er sich auch bemühte, den alten Zustand wiederherzustellen, über eines konnte er sich nicht hinwegtäuschen: Sein Granddad war immer noch nicht der alleinige Inhaber von Westervelt Properties.

Bis jetzt hatte Shannon Moore nichts von sich hören lassen, und er wusste noch immer nicht, ob sie sein Angebot annehmen würde. Während der letzten Wochen hatte er Zeit gehabt, sich gründlich auf eine Verhandlung mit ihr vorzubereiten, und konnte es kaum erwarten, dass es zu einem Treffen kam.

Ian, der einsah, dass er im Moment hier nichts mehr tun konnte, verließ das Büro und fuhr in seine eigene Firma, wo genug Arbeit auf ihn wartete. Als Erstes überflog er dort die Eingangspost und legte sie enttäuscht zur Seite. Plötzlich fiel sein Blick auf einen Brief, der in Walton, New York, abgestempelt war. Ob es wohl die Nachricht war, auf die er so sehr wartete? Einen Absender konnte er allerdings nicht entdecken. Er öffnete den Brief und entnahm den Inhalt. In einem zusammengefalteten Bogen Papier lag ein durchgerissener Scheck, der auf Shannon Moore ausgestellt war und als Verwendungszweck den Vermerk ‚Kindesunterhalt‘ trug. Das hatte er nicht erwartet.

Shannon holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Auf ihrer cremefarbenen Hose prangte ein großer roter Fleck, und ihre eleganten Pumps waren mit Spaghetti und Tomatensoße verziert. Chelsea hatte ihren Plastikteller mit dem Essen auf den Küchenboden geworfen. Das Gleiche hatte sie erst gestern mit einem Teller Spinat gemacht.

„Das war gar nicht artig, Chelsea. Sag, dass es dir leidtut.“ Shannon bemühte sich, ruhig, aber bestimmt zu sprechen.

„Nein.“

„Entweder du entschuldigst dich jetzt, oder du gehst in dein Zimmer.“

Chelsea kreuzte die Arme und reckte das kleine Kinn kämpferisch in die Höhe. „Nein.“

Shannon überlegte, was in den schlauen Büchern stand. Bleiben Sie ruhig, rügen Sie die Tat, aber nicht das Kind. Ob jener Dr. X wohl jemals in seinem Leben Spaghetti auf seinen Schuhen und seiner Hose hatte?

„Ich finde es gar nicht gut, was du getan hast“, sagte sie und legte vorsichtig dem Kind eine Hand auf die Schulter.

Chelsea stieß einen durchdringenden Schrei aus. Wie war es nur möglich, dass ein so kleines Mädchen über eine so laute Stimme verfügte? Sie nahm das Buch über Erziehung von der Anrichte und suchte das Kapitel über Trotzreaktionen.

Was machte sie bloß falsch? All ihre Versuche, diese Wutausbrüche zu verhindern, schlugen fehl. Wenn sie die Kleine freundlich ermahnte, schwieg sie. Wenn sie Chelsea etwas ernster ansprach, dann schrie sie los.

Ob das vielleicht wirklich Anzeichen dafür waren, dass das Kind anfing, sich wohlzufühlen, und sich allmählich an die neuen Lebensumstände gewöhnte? Jedenfalls meinte das die Psychologin, die Shannon um Rat gebeten hatte, weil Chelsea sich anfangs völlig abkapselte und in sich selbst versunken schien. Als Shannon noch an der Wall Street als Anlageberaterin tätig gewesen war, hatte sie es oft genug mit nervösen und aggressiven Kunden zu tun gehabt. Es war ihr nie schwergefallen, in solchen Situationen ruhig und sachlich zu bleiben. Aber die Ausbrüche dieses Kindes schafften sie. Irgendwie fühlte sie sich in dieser Situation völlig hilflos.

Sie warf das Buch in den Mülleimer und verhielt sich so, wie sie es früher bei aufgeregten, schwierigen Kunden getan hatte: Sie verließ die Szene für einen Moment, um sich zu beruhigen. In ihren Schläfen pochte es, ein Zeichen für beginnende Migräne. Zu allem Überfluss schellte es auch noch an der Haustür. In ihrer Fantasie verschaffte sich bereits die Polizei Einlass, um das Kind vor ihrer Misshandlung zu schützen.

Die Erziehung dieses kleinen, trotzigen Mädchens hatte offenbar ihr Denkvermögen leicht beeinträchtigt.

Shannon hatte angenommen, dass es an diesem Tag kaum schlimmer kommen konnte, aber sie sollte sich geirrt haben. Als sie die Tür öffnete, stand Ian Bradford vor ihr. Eine Hand lässig gegen den Türrahmen gestützt, musterte er sie verwundert. Ihn schien ihr Aussehen tatsächlich zu belustigen, denn er begann zu lachen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Besorgt drehte sie sich nach der schreienden Kleinen um, dann sah sie ihn finster an.

„Soll das ein Verwandtenbesuch sein?“

„Haben Sie heute einen schlechten Tag?“ Er schien das alles sehr amüsant zu finden.

„Nein, ganz im Gegenteil. Für mich ist es völlig normal, mit Tomatensoße bekleckert herumzulaufen, während Chelsea aus vollem Halse brüllt.“ Warum nur gaben die Experten für Kindererziehung nicht den praktischen Rat, sich umzuziehen, bevor man ein Kleinkind füttert? „Was führt Sie hierher?“

„Darf ich hereinkommen?“

Shannon winkte ihn mit einer eleganten Geste herein. „Bitte, treten Sie ein.“

Ein Gutes hatte der Besuch auf jeden Fall. Chelsea hörte sofort auf zu schreien. In Sekundenschnelle hing sie an dem Bein ihrer Tante. Shannon war es dadurch fast nicht möglich, sich zu bewegen und Ian ins Wohnzimmer zu führen.

„Nehmen Sie bitte Platz, ich muss mich erst umziehen.“ Sie hob die Kleine auf den Arm und ging mit ihr ins Schlafzimmer.

Sie setzte Chelsea auf dem Bett ab, schlüpfte aus ihrer verschmutzten Hose und zog einen bunten, weiten Rock an. Ihre weiße Rüschenbluse behielt sie an. Jetzt sah sie eher aus wie eine Wahrsagerin vom Jahrmarkt. Den Eindruck wollte sie eigentlich gar nicht machen, und sie suchte nach etwas Passenderem, fand aber in der Eile nichts. Sie gab es auf. Was sollte es auch? Sie wollte ihn schließlich nicht beeindrucken. Lieber sollte sie sich um die Kleine kümmern.

„Wer ist das?“, fragte Chelsea, während Shannon ihr das seidenweiche Haar kämmte. Zum ersten Mal zappelte sie nicht herum, sondern hielt still.

„Es ist dein Bruder Ian.“

„Chelsea möchte einen Keks.“ Anscheinend waren die Schokoladenplätzchen dem Kind wichtiger als die Tatsache, dass sie einen großen Bruder hatte, der zu Besuch gekommen war.

„Jetzt nicht. Jetzt müssen wir dich feinmachen.“ Wieder war Shannon über die Reaktion ihrer Nichte überrascht. Sie hatte sich schon auf einen erneuten Wutausbruch der Kleinen eingestellt, aber die zuckte nur die Schultern und betrachtete sich mit großem Interesse in dem Spiegel über der Kommode.

„Es tut mir leid“, sagte Chelsea plötzlich zu ihrem Spiegelbild.

Zwar kam die Entschuldigung ein wenig spät, aber Shannon war nicht nachtragend. „Ich weiß. Lassen wir das jetzt, denn wir haben Besuch.“

Sie gingen beide zurück ins Wohnzimmer. Ian hatte es sich inzwischen in einem mit Spielsachen vollgepackten Sessel bequem gemacht. Shannon fiel auf, dass er es sorgfältig vermied, seine kleine Schwester anzusehen. Ihre Nichte musste wohl ohne männliche Bezugsperson in ihrem Leben auskommen.

„Ich hatte erwartet, von Ihnen zu hören“, begann Ian.

„Hatte ich gesagt, dass ich mich melden würde?“ Sie schob einen Teddybären zur Seite und setzte sich auf das Sofa. Sofort kletterte Chelsea auf ihren Schoß und kuschelte sich dicht an sie.

„Sie haben meinen Scheck zurückgesandt.“

„Ich hatte keine Ahnung, wofür er sein sollte.“

„Unterhalt für …“

„Für Ihre Schwester?“

Er atmete langsam aus. „Sie ist nicht meine Schwester.“

Shannon streichelte dem Kind zärtlich über den Rücken. Dadurch entspannte Chelsea sich völlig, und plötzlich war sie eingeschlafen. „Wenn Sie die Kleine nicht als Teil Ihrer Familie betrachten, gibt es keinen Anlass, ihr Unterhalt zu zahlen“, sagte sie etwas leiser.

„So habe ich es nicht gemeint.“

„Doch, haben Sie wohl.“

Ian fiel auf, dass sie etwas bedrückt aussah. Auch wirkte sie müde. Offensichtlich hielt die Kleine sie in Trab, obwohl sie jetzt im Schlaf aussah wie ein kleiner Engel. Es kostete ihn einige Anstrengung, seinen Blick von dem schlafenden Kind loszureißen. Er wollte erst keine Gefühle für dieses blauäugige, blondgelockte kleine Mädchen aufkommen lassen. Was ging ihn dieses Kind überhaupt an?

„Haben Sie inzwischen über mein Angebot nachgedacht? Ich wüsste gern, wie Sie sich entschieden haben.“

„Habe ich Sie um irgendetwas gebeten, Mr. Bradford?“

„Nein. Aber wenn ich ehrlich sein soll, beunruhigt mich Ihr Schweigen sehr.“

„Sie scheinen dem Irrtum verfallen zu sein, dass ich etwas zu verkaufen habe. Chelsea hat den Firmenanteil geerbt und nicht ich.“

„Aber als ihr gesetzlicher Vertreter treffen Sie alle Entscheidungen, die das Vermögen des Kindes angehen, bis zu dessen Volljährigkeit.“

Shannon strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Allerdings treffe ich die Entscheidungen im Interesse meiner Nichte, nicht in Ihrem, Mr. Bradford.“

„Mit dem Geld könnten Sie sich eine Hilfe für das Kind leisten.“

Ihre goldbraunen Augen sprühten Funken. „Würden Sie es bitte unterlassen, von ‚dem Kind‘ zu sprechen. Sie heißt Chelsea.“

„Also gut. Sie könnten für Chelsea ein Kindermädchen anstellen und außerdem noch eine Haushälterin.“

„Was sonst noch? Ist mein Haus etwa schmutzig?“ Shannon hatte diese Worte nur geflüstert, aber er hörte den unterdrückten Zorn in ihrer Stimme.

Ian schaute sich um. Überall auf den schönen Möbeln lagen die Spielsachen verstreut. Aber obwohl hier ein so kleines Kind lebte, waren keine Flecken auf dem eleganten blassblauen Sofa und den Sesseln zu sehen. „Nein, es ist nicht schmutzig hier.“

„Vielleicht überlegen Sie beim nächsten Mal, bevor sie etwas sagen.“

Ian stand auf und lief nervös im Zimmer auf und ab.

Shannon wand sich vorsichtig unter dem schlafenden Kind hervor und deckte es liebevoll mit einer gehäkelten Decke zu. „Sie braucht keine Kindermädchen und Köche und Haushälterinnen, die kommen und gehen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich um und lief in die Küche.

Ian folgte ihr. „Dann sagen Sie mir doch, was das Ki… was Chelsea braucht.“

Mit Schwung drehte sie sich zu ihm um, sodass der weite Rock ihr um die Beine flog. „Sie braucht Zeit und Zuwendung und Liebe von den wenigen Menschen, die ihr geblieben sind. Wenn Sie bereit sind, ihr das alles zu schenken, dann verkaufe ich Ihnen auch die Firmenanteile meiner Nichte.“

„Wie bitte?“

„Habe ich mich so undeutlich ausgedrückt? Ist das so schwer zu verstehen?“

„Ich kann Ihnen nicht folgen.“

„Ihr Ziel ist es doch, das Familienunternehmen ganz zu besitzen.“ Sie lehnte sich gegen die Anrichte, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte ihn süßlich an. „Also mache ich Ihnen folgenden Vorschlag: Während der kommenden zwölf Monate halten Sie regelmäßig Kontakt zu Ihrer ‚Schwester‘, und nach Ablauf der Zeit können Sie die Firmenanteile kaufen.“

Dieses Angebot schien Ian ziemlich verdächtig. „Und was steckt dahinter?“

„Nichts.“

„Und wenn ich auf Ihren Vorschlag nicht eingehe?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Mensch, der unausgereifte Vorschläge macht. Wenn Sie mein Angebot jetzt ablehnen, müssen Sie sich in fast genau fünfzehn Jahren mit Chelsea auseinandersetzen.“

„Und Sie sind wirklich der Meinung, dass es zum Besten meiner Schwester ist, wenn Sie mich erpressen, sie regelmäßig zu besuchen?“

Ohne mit der Wimper zu zucken, sah Shannon ihn an. Ian überragte sie beträchtlich, aber das beeindruckte sie kaum. Sie fühlte sich ihm keineswegs unterlegen. „Erstens: Ich erpresse Sie nicht, sondern ich versuche, Sie zu bestechen. Zweitens: Diese Idee muss Sie beeindrucken, denn es ist das erste Mal, dass Sie Chelsea ‚meine Schwester‘ genannt haben.“

Ian biss die Zähne aufeinander, um eine wütende Entgegnung zu unterdrücken. Er hatte schließlich immer noch die Möglichkeit, das Testament anzufechten und Chelsea das Erbe streitig zu machen. Aber ob er den Prozess gewinnen würde, war fraglich. Er stand mit dem Rücken zur Wand. Das gefiel ihm nicht. Shannon wusste offensichtlich sehr gut, wie man einen Mann manipulierte. Ob sie wirklich so anders war als ihre geldgierige Schwester? Sie hatte zwar ein völlig anderes Auftreten, aber das musste ja nichts heißen.

„Was springt denn bei dem ‚Deal‘ für Sie heraus?“

„Nichts.“

„Da ich Ihre Familiengeschichte kenne, kann ich das kaum glauben.“

Sie zog fragend die Augenbrauen hoch. „Von welcher Geschichte sprechen Sie?“

„Ihre Schwester hatte es geschafft, einen großzügig bemessenen Kindesunterhalt zu bekommen. Ihre Mutter hat einen reichen Patienten geheiratet, nachdem sie ihn nur einen Monat gepflegt hatte.“

„Sie haben auch im Leben meiner Mutter herumspioniert?“ Shannon schloss die Augen für einen Moment, aber er hatte die Traurigkeit in ihrem Blick bereits gesehen. „Haben Sie wirklich nichts Besseres mit Ihrer Zeit und Ihrem Geld zu tun?“

„Das war nicht ich, sondern Wesley“, verteidigte er sich zu seiner eigenen Verwunderung. Bis jetzt hatte er es noch nie für nötig befunden, über sein Verhalten Rechenschaft abzulegen.

„Ach ja, Ihr Vater, das herausragende Beispiel für familiäre Verantwortung. Er hat sich von einer fünfundzwanzigjährigen Kosmetikerin verführen und überlisten lassen.“

„Ich habe noch nie behauptet, dass Wesley ohne Fehler gewesen war.“

„Meine Schwester hatte an der Sache genauso viel Schuld wie Ihr Vater. Aber Chelsea muss die Folgen tragen.“ Shannon ging zur Hintertür, die von der Küche aus in den Garten führte, und öffnete sie. „Warum fahren Sie jetzt nicht nach Hause und versuchen dort in Ruhe zu ergründen, was bei dieser Abmachung für mich herausspringt? Ich für meinen Teil habe zu tun. Ich muss jetzt nämlich mein schmutziges Haus saubermachen.“ Sie zeigte auf den weiß gekachelten Boden in der Essecke, wo die Kleine ihr Essen hingeworfen hatte.

„Bitte, Shannon, hören Sie …“

Sie stieß die Tür weit auf. „Bitte, gehen Sie. Von hier aus kommen Sie auf die Straße. Für heute haben wir beide genug gesagt. Unser Gespräch kann nur noch verletzender werden.“

Sie setzte ihn tatsächlich vor die Tür. Er konnte es nicht fassen. Aber vielleicht war es doch besser, jetzt zu gehen. Er brauchte Abstand. Wer weiß, was passiert wäre, wenn er diese kühle Schönheit unter anderen Umständen getroffen hätte. Zweifellos konnte sie ihm gefährlich werden, denn in ihrer Gegenwart vermochte er nicht mehr klar zu denken.

Wenn Tiffany auch nur einen Bruchteil der Anziehungskraft ihrer Schwester besessen hatte, dann konnte er beinahe verstehen, dass sein Vater damals den Kopf verloren hatte. Er musste vorsichtig sein, damit ihm nicht dasselbe passierte.

Shannon stand in der Tür und beobachtete, wie Ian in seinen Sportwagen stieg und davonfuhr. Als sie wieder hineingehen wollte, bemerkte sie Wendy, die auf der Treppe vor ihrem Haus saß und schelmisch lächelte.

„Toller Typ!“, rief Wendy ihr zu.

„Was du nicht sagst“, erwiderte Shannon brummig.

„Setz doch deine Brille auf, der Mann sieht umwerfend aus.“

„Er ist Chelseas Bruder.“

Wendy kam neugierig an den Gartenzaun, und Shannon ging widerstrebend zu ihr.

„Das ist also der geheimnisvolle Ian“, begann Wendy sofort. „Kein Wunder, dass du nicht über ihn sprechen willst. Du möchtest ihn ganz allein für dich haben.“

„Du bist doch glücklich verheiratet und Mutter von drei Kindern.“

„Das heißt nicht, dass ich mir nichts mehr aus anderen Männern mache.“

Shannon atmete hörbar aus. „Der Mann hat keinerlei Interesse an einer längeren Beziehung.“

„Und wenn? Mit solchen Männern hat man seinen Spaß. Du musst ihn doch nicht heiraten.“

„So etwas käme für mich nicht infrage.“

„Das sagst du nur, weil dir bis jetzt noch nie so ein Mann begegnet ist.“ Wendy lächelte verschmitzt. „Solltest du aber wirklich kein Interesse an dem Typ haben, dann schick ihn doch zu mir herüber. Ich wüsste schon, was ich mit ihm anstelle.“

Shannon presste sich eine Hand aufs Herz und tat so, als schockierten die Worte ihrer Freundin sie. „Du zerstörst mein Bild von der anständigen grünen Witwe.“

„Ich weiß. Du hast angenommen, wir sitzen den ganzen Tag vor dem Fernseher und schauen uns Seifenopern an oder tauschen Kuchenrezepte aus, während ihr Karrierefrauen an Geschäftsessen teilnehmt und eure sinnlichen Gelüste auslebt.“

„Ich habe nie angenommen, dass ihr den ganzen Tag vor dem Fernseher hockt, und ganz gewiss lebe ich meine Sinnlichkeit nicht aus.“

Sie erinnerte sich an ihre letzte Beziehung, die ganz allmählich im Sande verlaufen war. Sie hatte einfach mit der Zeit das Interesse daran verloren. Es war so langweilig geworden. Alle ihre Männer waren zwar verlässlich gewesen, aber die Spannung hatte gefehlt. Sie hatte bis jetzt solche Beziehungen einer leidenschaftlichen Romanze vorgezogen, denn bei ihren Eltern hatte sie erlebt, was daraus werden konnte. Der ständige Streit hatte sie gewarnt. Aus dem Grund ging sie lieber gar kein Risiko ein.

Ian war da ganz anders. Bei ihm wusste man nie, was er als Nächstes vorhatte. Er war mit Sicherheit aufregend, vielleicht sogar gefährlich, aber richtig einschätzen konnte sie ihn nicht.

Shannon verstand sich selbst nicht mehr. Wie kam sie überhaupt dazu, ihn mit ihren verflossenen Liebhabern zu vergleichen? Er interessierte sie doch überhaupt nicht. Sie schüttelte den Kopf und schaute in das spitzbübisch lächelnde Gesicht ihrer Freundin.

„Willst du mir etwa weismachen, dass du überhaupt nicht an dem Mann interessiert bist?“

„Du meinst an einer Beziehung mit Ian?“

„Nein, ich meine an einer leidenschaftlichen Affäre.“

Shannon wurde rot. „Ist für dich eigentlich kein Thema tabu?“

„Deine Antwort sagt mir jedenfalls, dass du interessiert bist. Das ist doch herrlich.“ Sie klatschte in die Hände. „Du brauchst ein wenig Spaß in deinem Leben.“

Shannon wechselte rasch das Thema, indem sie fragte: „Kannst du Chelsea morgen nehmen? Ich treffe einen Kunden in der City.“

„Das ist überhaupt kein Problem.“ Wendy bückte sich und zupfte etwas aus ihrem Blumenbeet. Als sie wieder hochkam, überreichte sie ihrer Freundin ein Gänseblümchen und erkundigte sich unschuldig: „Wohnt Ian nicht auch in der City? Wenn du mal über Nacht wegbleiben möchtest, Chelsea kann ohne Probleme bei mir bleiben …“

„Wendy, halt dich bitte aus meinem Liebesleben heraus.“

„Dann müsstest du erst mal eins haben.“

Shannon unterdrückte einen Seufzer und ging zurück ins Haus. Wendy meinte es nicht böse mit ihren Ratschlägen. Aber Shannon war es nicht gewohnt, ihre intimsten Angelegenheiten offen mit jemandem zu besprechen. Sie hatte ihre Schwester Tiffany sehr geliebt, aber über private Themen wurde nie geredet. Dazu waren sie auch zu unterschiedlich gewesen.

Während Shannon sich eine berufliche Karriere aufbaute, um unabhängig zu sein, hatte sich ihre Schwester nach einem Mann umgesehen, der ihr ein gutes Leben bieten konnte. Wenn er verheiratet war, umso besser. Als Wesleys Interesse schließlich nachließ, bekam sie Chelsea. Das war die Versicherung für ihre Versorgung gewesen.

Irgendwie verstand Shannon sogar Ians wütende Reaktion. Ob er wohl eines Tages seine Wut überwinden würde und Chelsea als Teil der Familie lieben und akzeptieren könnte?

Ian fuhr die schmale, gewundene Straße zum Anwesen seines Granddads hoch, das im Kolonialstil erbaut war. Dies war der einzige Platz auf der Welt, wo er sich annähernd wohlfühlte. Als Kind hatte er hier fast alle Sommerferien verbracht. Damals war Wakefield, Connecticut, noch ein Dorf gewesen. Heute galt es als Vorort von New York. Wenn sich auch seit jener Zeit sehr viel verändert hatte, so genoss er dennoch seine Besuche sehr.

Er traf Adam Westervelt im Vorgarten an, wo er liebevoll seine preisgekrönten Rosen pflegte. Seine fünfundsiebzig Jahre sah man ihm nicht an. Er wirkte fit und aktiv und steckte die meisten Männer, die nur halb so alt waren wie er, in die Tasche, obwohl das Schicksal hart mit ihm umgegangen war. Schon früh hatte er Frau und Tochter verloren und jetzt auch noch seinen einzigen Sohn.

„Komm doch einmal hierher, Ian, und sieh dir das an!“, rief sein Granddad und winkte ihn zu sich, als Ian ausstieg. „Das ist die ‚American Beauty‘ – weich, zärtlich und wunderschön. Fast wie eine Frau, findest du nicht?“

„Sie hat aber auch Dornen“, meinte Ian.

„Du bist zynisch.“

„Nein, ich bin ein Realist.“

„Allein zu leben ist nicht die Realität, mein Junge. Freud und Leid mit jemandem zu teilen, das ist das wirkliche Leben.“

Ian unterdrückte ein Stöhnen. „Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu philosophieren, sondern ich möchte von dir wissen, ab wann du Westervelt Properties wieder übernehmen kannst.“

„Ich rechne es dir hoch an, was du geplant hast, aber … ist denn deine Schwester damit einverstanden?“

„Wie bitte?“ Ian verschluckte sich fast an seinen Worten.

„Hast du geglaubt, ich hätte das nicht gewusst? Solche Nachrichten verbreiten sich in Windeseile.“

Ian holte tief Luft. „Ich hätte es dir sagen sollen.“

„Ich bin gar nicht überrascht, dass Wesley ein uneheliches Kind hatte. Bei dem Lebenswandel, den er führte, wundert mich nur, dass es bei dem einen geblieben ist. Hast du sie getroffen?“

„Ja.“

„Hat sie Interesse daran, die Leitung der Firma mit zu übernehmen?“

„Vielleicht einmal in zwanzig Jahren.“

„Wie meinst du das?“

„Sie ist erst zwei Jahre alt“, brachte Ian mürrisch heraus.

Adam zog die Stirn kraus. „Das ist jetzt für mich ein kleiner Schock.“

„Schau nicht so verdattert drein. Ich kaufe ihr in jedem Fall ihren Firmenanteil ab.“

„Das ist nicht das Problem. Ich bin nur enttäuscht, weil ich hoffte, du hättest an ihr einen Freund und sie würde vielleicht mit dir zusammenarbeiten. Und du wärst nicht mehr allein auf der Welt. Du brauchst eine Familie, denn ich werde nicht immer hier sein. Und da du keinerlei Anstalten machst, selbst eine Familie zu gründen …“

„Ich will auch keine.“ Wenn er nur daran dachte, wie kompliziert länger dauernde Beziehungen werden konnten, dann sträubten sich ihm die Haare. Einige Frauen benutzten den Sex, um ihre Ziele zu erreichen. Andere wiederum verweigerten sich, um das zu bekommen, was sie wollten. Aber im Endeffekt wollten alle Frauen nur dasselbe: verheiratet und gut versorgt sein.

„Warum strengst du dich dann überhaupt an und baust dir deine eigene Spedition auf, wenn du niemanden haben wirst, dem du es einmal hinterlassen kannst? Sogar Wesley verteilte sein Vermögen an seine Kinder, das muss man ihm lassen, trotz all seiner Fehler.“

Ian sagte lieber nichts dazu. Das Testament empfand er als die Krone aller Gemeinheiten, die er von seinem Vater hatte schlucken müssen. Wesley hatte gewusst, dass er sich Westervelt Properties wünschte, und nun musste er sich die Firma mit einem kleinen Kind teilen.

Ians Gedanken wanderten zu dem Mädchen. Wenn Wesley der Kleinen nur Geld hinterlassen hätte und ihm die Firma, ob er Chelsea dann auch so ablehnen würde? Wahrscheinlich nicht. Sie war seine Schwester, sosehr er sich auch gegen diese Tatsache sträubte.

Er musste an Shannon denken. Wenn sie so war wie ihre Mutter oder wie ihre berechnende Schwester, konnte sie dann überhaupt die Interessen des kleinen Mädchens wahren?

Er musste eine gewisse Verantwortung für Chelsea übernehmen, ob es ihm nun passte oder nicht. Dabei hatte er gleichzeitig die Möglichkeit, Shannon Moore im Auge zu behalten. Wenn er an diese temperamentvolle Frau dachte, die die Unverschämtheit besessen hatte, ihn vor die Tür zu setzen, musste er lachen. Ob sie wohl immer so heftig reagierte?

Plötzlich kam ihm eine Idee, und er lächelte zufrieden.

3. KAPITEL

Shannon schaute sich noch einmal prüfend in ihrem Haus um. Alles befand sich an Ort und Stelle. Das Kinderspielzeug lag in den Regalen, die Kleidungsstücke hingen am Haken. Zum dritten Mal blickte sie auf ihre Armbanduhr. Warum machte sie sich nur so verrückt, wenn Ian zu Besuch kam? Aber sein Vorschlag, eine Haushaltshilfe anzustellen, hatte sie ziemlich verletzt, viel mehr, als sie im ersten Moment geglaubt hatte. Zugegeben, manchmal war es ganz schön schwierig, Chelsea gerecht zu werden und nebenher die Kunden zu beraten, und sicher schaffte sie es nicht immer, alles wegzuräumen, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihre Nichte nicht gut betreute.

Sie verstand Ian nicht. Bis vor zwei Monaten hatte er noch gar nicht gewusst, dass sein Vater ein uneheliches Kind hatte. Und vor zwei Wochen hatte er sich noch standhaft geweigert, Chelsea als seine Schwester anzuerkennen. Doch heute wollte er kommen und mit ihr Erziehungsfragen besprechen. Was bildete der Mann sich eigentlich ein? Während des letzten halben Jahres hatte sie sich ohne die finanzielle oder menschliche Hilfe der Bradfords durchkämpfen müssen, und das war oft schwierig genug gewesen. Woher rührte das plötzliche Interesse der Familie?

Shannon hatte Chelsea vorsorglich in den Kindergarten geschickt. Wenn Ian sie wieder so wütend machte, musste sie keine Rücksicht auf das Kind nehmen und konnte so laut ihre Meinung sagen, wie sie wollte. Eigentlich wunderte sie sich, dass es ihm immer wieder gelang, sie so aus der Fassung zu bringen.

Bis ihr Besuch kam, hatte sie noch eine Stunde Zeit, also konnte sie sich solange nützlich machen. Sie holte noch einmal den Staubsauger hervor und stellte ihren CD-Player auf volle Lautstärke, damit er das Geräusch des Saugens übertönte. Sie ließ sich immer etwas einfallen, um die langweilige Hausarbeit angenehmer zu gestalten.

Als ein flotter Disco-Hit ertönte, verbeugte Shannon sich formvollendet vor dem Staubsauger und forderte ihn zum Tanz auf.

Als Partner war er ein wenig klein geraten, aber dafür hatte er einen starken Motor und raste mit ziemlicher Geschwindigkeit über den Teppich. Wenn Shannon davon absah, dass sie die Führung bei diesem Tanz übernehmen musste, war der Partner gar nicht so übel.

Das Musikstück war zu Ende, und Shannon verbeugte sich höflich mit den Worten: „Ich danke Ihnen für den Tanz.“

Die darauf folgende Stille wurde plötzlich durch lautes Klatschen unterbrochen. Shannon schnappte nach Luft und drehte sich blitzschnell um. Ian lehnte lässig in der Tür zum Wohnzimmer und lächelte amüsiert. Vor Schreck raste ihr das Herz, da sie mit ihm noch gar nicht gerechnet hatte.

„Die Tür stand offen“, versuchte er sein Eindringen zu entschuldigen. „Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass Sie schon in Gesellschaft sind, hätte ich selbstverständlich draußen gewartet.“ Ian konnte kaum verbergen, wie viel Spaß ihm die Situation machte.

„Sie … sind viel zu früh“, brachte Shannon stotternd heraus.

Ian hatte sie wieder einmal überrascht mit seinem eigenartigen Zeitgefühl. Ob er vielleicht einen sechsten Sinn hatte, durch den es ihm immer wieder gelang, sie in den unmöglichsten Momenten zu überfallen?

„Die Straßen waren frei, dadurch konnte ich schneller fahren und brauchte viel weniger Zeit, als ich eingeplant hatte.“

„Hätten Sie nicht irgendwo einen Kaffee trinken können?“

„Ich nahm an, dass Sie trotz Ihres knapp bemessenen Zeitplans ein wenig flexibel sind.“

„Ach, haben Sie etwa gedacht, ich sitze den lieben langen Tag nur auf dem Sofa herum?“

Er war noch keine zwei Minuten da, und schon fühlte Shannon sich angegriffen und begann sich zu verteidigen. Ian trug einen eleganten maßgeschneiderten Anzug. Durch sein selbstsicheres Auftreten und seine Größe wirkte er überlegen und auch ein wenig einschüchternd. Shannon hingegen steckte noch in ihrer abgewetzten Jeans und einem T-Shirt mit Batikmuster. Größer konnte der Gegensatz zwischen ihnen kaum sein. Sie sah heute eher wie ein Woodstock-Groupie aus. Das verunsicherte sie noch mehr, und es war ihr gar nicht recht, ihm so gegenüberzutreten. Aber ihm schien ihr Aussehen zu gefallen. In seinen stahlblauen Augen sah sie nur Bewunderung, und das machte sie erst recht nervös.

Nachdem sie den Staubsauger weggestellt hatte, deutete sie auf das Sofa. „Bitte, nehmen Sie Platz.“

„Wo ist Chelsea?“

„In der Schule.“

Er ließ sich völlig entspannt in die weichen Kissen sinken. „Ist sie dazu nicht noch zu jung?“

Shannon zuckte mit den Schultern. „Ich meinte, im Kindergarten.“

„Ach so. Und was machen Sie in der Zeit, wenn Chelsea nicht da ist?“

„Ich finde immer eine Beschäftigung.“

„In diesem Nest?“

Sie stützte die Hände angriffslustig in die Hüften. „Was haben Sie an dieser Stadt auszusetzen?“

„Nichts. Aber bevor wir wieder anfangen zu streiten, würde ich vorschlagen, wir warten damit, bis Sie sich wieder entschließen, mich vor die Tür zu setzen.“

Was ist nur mit mir los, fragte sie sich. Warum reagierte sie so empfindlich auf alles, was er sagte? Als Chelsea zu ihr kam, hatte sie sich doch genau aus diesem Grund für Walton entschieden: Weil es ein Nest war und noch ein sicherer, ruhiger Ort, um ein Kind großzuziehen. Sie holte tief Luft und ließ sich Ian gegenüber in einen Sessel fallen.

„Worüber wollten Sie denn mit mir sprechen?“

„Über die Bedingungen, die Sie mir gestellt haben, falls ich die Firmenanteile Ihrer Nichte erwerben will. Aber das ist nicht der alleinige Grund meines Kommens. Ich habe nämlich ein großes Interesse an Chelseas Zukunft und an allem, was damit zusammenhängt.“

Shannon hob fragend die Augenbrauen. „Wie kommt es zu dem plötzlichen Sinneswandel?“

„Wie meinen Sie das?“

„Als Sie das letzte Mal hier waren, gewann ich den Eindruck, Sie seien der Meinung, dass Chelsea gar nichts zusteht.“

„Ich habe damals sehr unangemessen reagiert, und es tut mir leid.“ Seine Entschuldigung passte irgendwie nicht zu dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte. Sie musterte ihn prüfend, aber seine Züge verrieten ihr nichts.

„Lassen wir das.“

„Ich habe Ihnen hier einige Informationen über unser Unternehmen mitgebracht.“ Er reichte Shannon einen dicken Umschlag über den Tisch.

Als sie ihre Hand ausstreckte, um den Umschlag entgegenzunehmen, stieß sie flüchtig gegen seine Finger. Shannon zuckte zusammen und holte tief Luft. Sie war überrascht, wie stark sie auf die Berührung mit ihm reagierte, und sagte leise etwas von elektrischer Aufladung vom Teppichsaugen.

Ian unterdrückte ein Lachen. „Das wird es wohl sein.“ Shannon war rot geworden und hatte jetzt eine auffallende Ähnlichkeit mit ‚American Beauty‘, der Rose, die sein Granddad mit so viel Liebe pflegte. Heute erinnerte Shannon nur sehr entfernt an die Frau in Jenkins Büro. Sie wirkte auf ihn auch völlig anders als die, die er letztes Mal angetroffen hatte. Er musste sich eingestehen, dass Shannon Moore viele verschiedene Seiten hatte.

Ian war heute absichtlich zu früh gekommen, um den Überraschungseffekt für sich zu nutzen. Sein Plan war voll und ganz gelungen. Ihre kühle Distanz, die sie immer wie einen Schutzschild vor sich hertrug, um nichts und niemanden an sich herankommen zu lassen, schien sie heute abgelegt zu haben. Ihre Reaktion auf die Berührung ihrer Hände hatte sie anscheinend schockiert, das war ihm an ihrer stotternden Erklärung aufgefallen. Aber ehrlicherweise musste er zugeben, dass es ihm ähnlich ergangen war. Auch er hatte die starke Anziehung während des kurzen Kontakts gespürt und wollte es genauso wenig wahrhaben wie Shannon. „Wenn ich Ihnen etwas erklären soll, lassen Sie es mich wissen.“

Shannon nahm ihre Brille vom Sofatisch, setzte sie auf und begann sich in den Text zu vertiefen. „Ich beabsichtige nicht, mich in Ihre Geschäftsführung einzumischen“, murmelte sie, ohne hochzublicken.

„Da liegt eben das Problem, denn ich werde Westervelt Properties nicht selbst zu führen, da Investment und Bankgeschäfte nicht meine Fachgebiete sind. Ich will es jemandem überlassen, der qualifiziertes Wissen auf diesem Gebiet besitzt.“

„Haben Sie schon jemanden für diese Position?“ Jetzt sah sie hoch, und in ihren Augen blitzte Interesse auf. Oder war es Misstrauen?

„Ja, ich habe das schon geregelt.“

„Ach so.“ Ian war nicht ganz sicher, ob eine gewisse Enttäuschung in ihren Worten mitklang. Hatte sie wohl erwartet, dass er sie vorher darüber informierte?

Während sie wieder las, nutzte Ian die Gelegenheit, sie genauer zu betrachten. Das Sonnenlicht, das durch ein Seitenfenster hereinfiel, zauberte einen verführerischen Glanz auf ihr Haar. Die verwaschene Jeans betonte ihre schlanken, langen Beine, die sie untergeschlagen hatte. Ihm fiel ihre Tanznummer mit dem Staubsauger ein und wie sehr dieser Anblick ihn ganz gegen seinen Willen erregt hatte. Wem wollte er eigentlich etwas vormachen? Wieder spürte er diese gewisse Anziehungskraft, die von ihr ausging. Er begehrte sie, und das konnte unter diesen Umständen kompliziert werden. Beunruhigt über seine Reaktion, entschlüpfte ihm ein Stöhnen.

Shannon schaute von den Papieren hoch. „Sagten Sie etwas?“

Wenn sie ihn nur ansah, gerieten seine Hormone schon außer Kontrolle. Das entbehrte jeder Logik. Sein Wunsch, sie heute zu überraschen, bevor sie sich wieder in die sachliche, kühle Geschäftsfrau verwandelte, bereitete ihm jetzt erhebliche Schwierigkeiten. Das hatte er eigentlich nicht beabsichtigt. „Möchten Sie, dass ich Ihnen etwas erkläre?“

„Nein.“ Sie rollte die Arme in den Schultergelenken und strich sich über den Nacken. Sie tat das ganz in Gedanken, und ihre vollen Brüste zeichneten sich durch ihre Bewegungen ganz deutlich unter dem T-Shirt ab. Er konnte sich diesem provozierenden Anblick kaum entziehen. Die Wirkung auf ihn war fatal.

Er schluckte. „Ich benötige noch Chelseas Versicherungsnummer. Ich habe sie nicht in den Unterlagen gefunden.“

„Wozu brauchen Sie die?“

„Nur für die Buchhaltung, da Sie ja demnächst wieder den monatlichen Scheck für den Kindesunterhalt von mir bekommen werden.“

„Da muss ein Irrtum Ihrerseits vorliegen“, entgegnete sie bestimmt.

„Warum lehnen Sie das Geld ab?“

„Ich will nicht wie ein Babysitter bezahlt werden, wenn ich für meine Nichte sorge.“

„Sie ist schließlich auch meine Schwester.“

Shannon sprang auf und warf die Papiere auf den Sofatisch. „Dann benehmen Sie sich wie ihr Bruder und nicht wie ein Geschäftsmann, der meint, mit Geld alle Bedürfnisse eines Kindes regeln zu können. Bis jetzt haben Sie sich noch keine zehn Minuten Zeit für Chelsea genommen. Sie haben ja keine Ahnung, was sie braucht.“

„Wie wollen Sie Chelsea denn durchbringen, wenn Sie mein Geld nicht annehmen? Ich hoffe, meine Frage verletzt Sie nicht.“

„Bis jetzt ist mir das schließlich auch ohne Ihre Hilfe gelungen. Mir gehört dieses Haus, und außerdem arbeite ich freiberuflich“, antwortete sie empört.

„Dann verstehe ich allerdings nicht, was Sie von mir wollen.“

„Lassen Sie mich eines ganz deutlich sagen: Ich will überhaupt nichts von Ihnen. Ich war der Meinung, wir sprechen hier über Chelsea.“ Shannon steckte die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich gegen den Kamin.

„Glauben Sie nicht, dass ein Altersunterschied von dreißig Jahren es unmöglich macht, Freundschaft mit einem kleinen Mädchen zu schließen?“

„Freunde werden in Chelseas Leben kommen und gehen, aber Familienbeziehungen bleiben ihr für das ganze Leben. Und für solche Beziehungen spielt der Altersunterschied keine Rolle.“

Sein Blick glitt über diese hoch aufgerichtete, stolze Gestalt. Familienbeziehungen schienen ihr sehr wichtig zu sein. Das war ihm unverständlich, da er einiges über ihre eigenen Verhältnisse wusste. „Ihnen ist doch klar, dass auch Sie mich häufiger sehen werden, wenn ich Chelsea besuche?“

„Jedes Unglück hat auch sein Gutes“, entgegnete Shannon trocken.

„Ihre überschäumende Begeisterung ist direkt ansteckend“, gab er zurück.

„Verzeihen Sie meine sarkastische Bemerkung. Aber lassen Sie uns eines deutlich festhalten: Sie sind hier, um die Firmenanteile meiner Nichte zu erwerben, und ich sorge nur dafür, dass sie bei dem Deal nicht übervorteilt wird.“

Nach allem, was er gesagt und getan hatte, verstand er sogar Shannons Wut auf ihn. Dennoch verletzte es ihn, dass sie so eine niedrige Meinung von ihm hatte. Er war nicht wie sein Vater. Er würde es nie fertigbringen, seine Schwester um ihr rechtmäßiges Erbe zu bringen. „Ich sagte Ihnen bereits, ich bin nicht nur wegen der Firmenanteile hier.“

„Warum denn sonst noch?“

„Ich möchte Ihnen auf die Finger schauen, ob Sie das Geld Ihres Mündels auch sorgsam verwalten.“

Er wollte sie kontrollieren? Das war der Gipfel. Shannon stöhnte auf. „Denken Sie eigentlich immer nur ans Geld? Träumen Sie vielleicht sogar davon?“

Ihre Worte amüsierten ihn, und in seinen Augen blitzte es verräterisch auf. „Möchten Sie wirklich wissen, wovon ich träume, wenn ich nachts allein im Bett liege?“ Seine Stimme klang jetzt weich und verführerisch.

Aber Shannon ging nicht darauf ein. „Lassen Sie uns nicht abschweifen, sondern beim Thema bleiben.“

„Du liebe Zeit, da hatte ich doch wirklich vergessen, worüber wir gerade sprachen.“

Seine Stimme und seine Worte entwaffneten sie, und ihr Körper reagierte auch prompt darauf. Standhaft versuchte sie, die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu ignorieren. Obwohl dieser Mann meistens eiskalt und distanziert war, hatte er eine starke Wirkung auf sie. Wie kam das nur? Ihr wurde heiß, und ein wohliger Schauer rann ihr über den Rücken. Sie ermahnte sich, vorsichtig zu sein und sich auf dieses Spiel nicht einzulassen. Schließlich machte Ian keinen Hehl daraus, was er von ihr hielt. Er glaubte, dass sie genauso sei wie Tiffany, deren Interesse nur dem Geld der Bradfords gegolten hatte. Eine Beziehung mit ihm konnte nur schiefgehen und sie in erhebliche Schwierigkeiten bringen, vor allem, weil ja auch Chelsea dann mit betroffen wäre.

Als er vorhin sagte, dass er einen Manager für Westervelt Properties einstellen wolle, hatte sie naiverweise angenommen, er habe an sie gedacht, denn Investment war ihr Spezialgebiet. Offenbar wusste er das nicht, da er ja annahm, sie benötige Geld. Wenn sie ihm jetzt verriet, welche beruflichen Qualifikationen sie hatte, könnte er es womöglich falsch auslegen und denken, sie suche einen Job, und erneut darauf bestehen, dass sie das Unterhaltsgeld annahm. Eine schwierige Situation war das.

Sie straffte die Schultern und hoffte nur, sie würde trotz ihres Aufzugs eine gewisse Würde ausstrahlen. Allerdings kam sie sich eher vor wie ein nervöser Teenager, der einem Filmstar gegenüberstand, als sie sagte: „Ich nehme an, dass Sie wegen Chelsea eine Besuchsregelung mit mir vereinbaren wollen.“

„Ach, nehmen Sie an? Dann bleiben Sie ruhig bei Ihrer Annahme.“

Er machte sich lustig über sie. Shannon war versucht, ihm ihre Meinung zu sagen, aber sie erinnerte sich daran, wie wichtig diese Beziehung für Chelsea war und dass es aus dem Grund jetzt klüger war zu schweigen. Die Kleine war ihr in den wenigen Monaten so ans Herz gewachsen, dass sie den Bedürfnissen dieses Kindes alles andere unterordnen konnte. Für sie selbst war das eine überraschende Entwicklung, denn sie hatte sich einmal geschworen, dass in ihrem Leben nie die Gefühle über den Verstand regieren sollten.

Erst letzte Woche hatte Chelsea ganz laut im Kindergarten verkündet, sie habe jetzt einen großen Bruder. Shannon musste der Kindergärtnerin die etwas schwierige Familiensituation erklären. In der Vorstellung eines dreijährigen Kindes war sie durch diese Tatsache nicht mehr die Ausnahme, sondern den anderen Kindern ähnlich. Chelsea brauchte ganz dringend Familienbeziehungen, auch wenn Shannon den Preis dafür zahlen musste, weil sie dadurch immer wieder mit Ian zusammentreffen würde. Aber der Preis war ihr nicht zu hoch, denn für das Kind war der Bruder wichtig.

„Warum wollen Sie mir nicht erzählen, wie Sie sich die Besuchsregelung bei Chelsea vorgestellt haben?“, fragte Shannon so beherrscht wie möglich.

„Können wir das nicht einfach geschehen lassen?“

„Wie meinen Sie das?“

„Ich bin doch ein völlig Fremder für das Mädchen. Glauben Sie denn, Chelsea würde mit mir kommen und zum Beispiel spazierenfahren oder Eis essen gehen?“

„Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht habe.“ Da sie sich von Anfang an sicher gewesen war, dass Ian ihr Angebot ablehnen würde, hatte sie keine weitere Überlegung daran verschwendet.

„Ich glaube das nämlich nicht“, gab Ian sich selbst die Antwort. Plötzlich stand er auf und kam zu ihr herüber. Seine Nähe verwirrte sie. Seine Handlungen kamen immer so unerwartet, dass sie sich innerlich gar nicht darauf einstellen konnte. „Wir müssen uns im Übrigen auch noch überlegen, wie wir mit der Spannung umgehen sollen, die zwischen uns herrscht.“

Sie trat einen Schritt zurück. „Ich bin sicher, dass sich das Problem von allein lösen wird. Mit der Zeit wird der Ärger nachlassen.“

„Diese Spannung habe ich nicht gemeint, sondern unsere gegenseitige erotische Anziehungskraft, die wir wohl kaum noch ignorieren können. Ich möchte Sie lieben. Und Sie möchten es auch, oder?“

Der Mann ist vielleicht direkt, dachte Shannon und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Sie war nicht bereit, die Wahrheit zuzugeben. „Sie sind sehr von sich überzeugt und eingebildet. Eine umwerfende Kombination. Aber Sie haben unrecht.“

„Tatsächlich?“ Er nahm ihr die Brille ab und legte sie behutsam auf den Kaminsims. Dann umfasste er ihr Kinn und schob ihren Kopf leicht zurück. „Habe ich wirklich so unrecht?“

Ihr Herz begann zu rasen, und sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Ja, ganz sicher.“

„Wirklich?“ Er lächelte sie an und beugte sich so weit zu ihr hinunter, dass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.

„Nein.“

„Ja oder nein, Shannon?“

Ian hatte sie so durcheinandergebracht, dass sie inzwischen gar nicht mehr wusste, auf welche Frage sie überhaupt antworten sollte. Und plötzlich küsste er sie mitten auf den Mund. Es geschah so schnell, dass sie es gar nicht hätte verhindern können.

Sie war sehr erregt. Mit den Fingerspitzen berührte sie ihre Lippen, auf denen sie noch den Kuss zu spüren glaubte. Sie seufzte. Was sollte nur daraus werden? Er hatte in ihr ein Verlangen geweckt, und ihr wurde plötzlich bewusst, was sie so lange vermisst hatte.

„Ich finde es herrlich, was bei den Besuchen für Chelsea so alles geschieht. Mir gefällt das“, flüsterte Ian ihr zärtlich ins Ohr.

Hatte sie eigentlich den Verstand verloren? Sie drehte den Kopf zur Seite, um sich aus seinem Griff zu befreien. Inzwischen konnte sie auch wieder klarer denken, und als sie sein selbstzufriedenes Lächeln sah, wusste sie auch die Antwort auf diese Herausforderung. Was für sie ein inniger Moment der Nähe und der Zärtlichkeit gewesen war, des Erwachens aller Sinne, war für ihn nur ein Spiel, um zu sehen, wie weit er bei ihr gehen konnte.

Entschlossen trat sie einen Schritt zurück. „Das gehört nicht zu unserer Vereinbarung.“

„Das ist allerdings sehr schade. So hätten Sie wenigstens auch etwas davon.“

Ja, dachte sie ernüchtert, vor allem würde es die Situation noch erschweren und mir wahrscheinlich eine Menge Ärger und Aufregung einbringen. „Sie machen sich selbst etwas vor.“

„Trifft das nicht viel eher auf Sie zu, Shannon? Es ist ja nicht so, dass Sie auf meinen Kuss nicht reagiert hätten. Im Gegenteil, ihr Puls begann zu rasen, und Sie seufzten. Ich muss zugeben, das hat mir sehr geschmeichelt. Oder wollen Sie immer noch diese elektrische Spannung leugnen, die zwischen uns besteht?“

Sie legte den Kopf ein wenig nach hinten, um ihm direkt in sein amüsiert lächelndes Gesicht schauen zu können. „Wenn ich meinen Finger in eine Steckdose stecke, habe ich den gleichen Effekt, nur wäre damit viel weniger Ärger verbunden.“

Er lachte laut auf, und sie fühlte sich verspottet. „Ich hatte angenommen, dass Sie eine mutige Frau sind und einer Herausforderung nicht so einfach aus dem Weg gehen.“

„Ich habe Verstand genug, um nicht blindlings in ein Minenfeld zu laufen.“ In der Tat, eine Affäre mit Ian könnte ziemlich gefährlich werden. Sie fühlte sich einem Mann wie ihm in ihrer augenblicklichen Situation nicht gewachsen. Es kostete sie schon so genug Kraft, Chelsea und ihre Arbeit unter einen Hut zu bringen.

In diesem Moment hupte ein Auto vor dem Haus. Shannon dankte dem Himmel für die Unterbrechung und lief zur Haustür.

Ian sah ihr mit einem zufriedenen Lächeln nach. Jetzt war er sich ganz sicher. Ihr erleichtertes und hastiges Verschwinden konnte ja nur eines bedeuten: Er hatte sie viel tiefer beeindruckt, als sie es sich eingestehen wollte.

Es würde zwar ein wenig Mühe und Zeit kosten, bis er sie so weit hatte, wie er es sich sehnlichst wünschte, aber Schwierigkeiten schreckten ihn nicht ab. Er hatte auch keine Bedenken, sie zu verführen. Denn obwohl sie sich noch wehrte, sah er keinen Grund, warum sie sich nicht in eine leidenschaftliche Affäre mit ihm stürzen sollte.

An der Hand ihrer Tante kam Chelsea ins Zimmer gehüpft. Die hellblauen Augen leuchteten, während sie ununterbrochen plapperte. Sie war ein Energiebündel und strahlte Lebensfreude aus. Durch das Eintreffen des Kindes wurde Ian an den Zweck seines Besuchs erinnert. Er war nicht hier, um ein Verhältnis mit Shannon zu beginnen, sondern sich um das Kind zu kümmern.

„Sag ‚hallo‘ zu deinem Bruder. Er ist heute gekommen, um dich zu besuchen.“ Hinter einem freundlichen Lächeln versuchte Shannon ihre aufgewühlten Gefühle zu verbergen.

Als Chelsea Ian sah, verstummte sie sofort und versteckte sich hinter ihrer Tante. In ihrer kleinen Hand hielt sie ein Blatt Papier hoch.

„Willst du nicht ‚hallo‘ sagen?“, fragte Shannon noch einmal und strich dem Kind zärtlich über das Lockenköpfchen. Als das kleine Mädchen immer noch nicht reagierte, zuckte Shannon mit den Schultern. „Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sich hinsetzten, dann wirken Sie nicht so groß auf das Kind.“

Ian ging vor Chelsea in die Hocke. „Du hast doch keine Angst vor mir? Du bist doch schon ein großes Mädchen, nicht wahr?“

Sie hob ihr Köpfchen und schaute ihn neugierig an. Dann nickte sie bejahend, aber ihre Lippen hielt sie fest geschlossen.

„Und eine kleine Künstlerin bist du auch“, sagte er und nahm ihr vorsichtig das Blatt aus der Hand. „Ich kann ohne meine Brille gar nicht gut sehen. Willst du mir nicht erzählen, was du da gemalt hast?“ Um das Kind nicht unnötig zu verängstigen, hatte er zu dieser Taktik gegriffen.

„Tante Shane, Chelsea und ein Hundebaby.“

„Hast du denn einen kleinen Hund?“, fragte er. Sie schüttelte verneinend den Kopf. „Möchtest du denn einen?“

Ihr Gesichtchen leuchtete erwartungsvoll auf.

Shannon schaute ihn warnend an. Wenn Blicke töten könnten, würde er jetzt auf der Stelle tot umfallen. Dann lächelte sie Chelsea an. „Was möchtest du denn heute Mittag essen, Chels?“

„Sketti?“, fragte die Kleine glücklich.

Shannon hatte keine Spaghetti mehr gekocht seit dem letzten Malheur. Sie strich dem Kind liebevoll über die blonden Haare. „Also gut. Aber dann musst du dich erst umziehen.“

Chelsea lief um Ian herum und rannte in ihr Zimmer.

Als er sich aufrichtete, bemerkte er, dass Shannon ihn ziemlich unfreundlich anschaute. „Tun Sie das nicht noch einmal“, schimpfte sie los.

„Was habe ich denn falsch gemacht?“

„Hättest du gern einen kleinen Hund?“, ahmte sie ihn nach. „Wenn Sie ein Kind so fragen, dann ist das so gut wie ein Versprechen.“

„Dann muss ich das wohl einlösen, nicht wahr?“

Shannon wurde rot vor Wut. „Dann versorgen Sie das Tier bei sich zu Hause und bringen es nur mit, wenn Sie zu Besuch kommen.“

„Daraus entnehme ich, dass Sie Hunde nicht ausstehen können.“

„Was ich nicht ausstehen kann, ist ein Mann, der zu Besuch kommt und sich aufführt, als wäre er zu Hause, wo er tun und lassen kann, was er will.“

Ian musste sich ein Lachen verbeißen. Shannon erinnerte ihn an einen Feuerwerkskörper. Es brauchte nur einen Funken, und sie ging hoch. Wenn sie wütend war wie jetzt, sah sie noch faszinierender aus als sonst. Ihre großen Augen sprühten dann Feuer, und ihm wurde klar, wie leidenschaftlich diese kühle, beherrschte Frau sein konnte.

„Wissen Sie denn nicht mehr, wie es ist, ein kleines Tier zu haben?“

„Wir Kinder aus den Slums konnten uns den Luxus nicht erlauben, Tiere zu halten“, entgegnete sie bissig.

Ihre Bemerkung hatte ihn getroffen. Er hatte noch nie auf Menschen herabgesehen, die aus einer niedrigeren sozialen Schicht kamen. „Entschuldigen Sie bitte meine Äußerung bei der Testamentseröffnung. Ich war an dem Tag unhöflich zu Ihnen, aber ich hatte mich auch sehr geärgert.“

„Ich sollte Ihnen eigentlich dafür dankbar sein, denn Sie hatten mich nur daran erinnert, wo ich herkomme. Es hätte sonst sein können, dass ich hochmütig werde und etwas vergesse.“

„Dass Sie was vergessen?“

„Meine Ziele und das, was ich niemals in meinem Leben tun würde.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging in die Küche, während er noch darüber nachgrübelte, was sie wohl gemeint habe.

4. KAPITEL

Ian fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Shannon war ganz anders, als er es erwartet hatte. Ob sie wohl wie ihre Schwester darauf aus war, sich einen wohlhabenden Mann zu angeln? Schließlich hatten sie beide ihre Kindheit in Armut verbracht. Könnte es sein, dass Shannon sich finanzielle Sicherheit durch einen Mann erhoffte?

Aber wenn das ihr Ziel war, dann verbarg sie ihre Absichten sehr geschickt.

Ian wurde in seinen Überlegungen durch lautes Topfklappern aus der Küche unterbrochen. Auch schien es ihm, als würde Shannon ungehalten vor sich hin schimpfen. Er ging zu ihr, um nachzusehen, was der Anlass für ihren Unmut war.

„Bleiben Sie hier zum Lunch?“, fragte sie unfreundlich.

„Macht es Ihnen nicht zu viel Mühe?“

„Was ist, wenn ich Ihre Frage bejahe?“

„Dann würde ich trotzdem bleiben.“

Sie schüttelte den Kopf und atmete hörbar aus. „Wie kommt es wohl, dass ich mit dieser Antwort gerechnet habe?“

„Vielleicht, weil intelligente Menschen ziemlich ähnlich denken“, erklärte er und trat hinter sie.

„Ich würde eher sagen, Männer sind eben leicht zu durchschauen.“

Er stand ganz dicht hinter ihr. So dicht, dass ihm der feine Fliederduft ihres Parfüms in die Nase stieg. Mit Leichtigkeit hätte er sie berühren können, er brauchte nur ein wenig die Hand auszustrecken. Aber er unterließ es. „Kam der Vorschlag nicht von Ihnen, dass ich mich um Chelsea kümmern sollte? Bitte, korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre.“

„In diesem Punkt haben Sie recht“, gab Shannon widerwillig zu. Sie drehte sich zu ihm um, presste sich aber sofort gegen den Küchentresen, um nur ja jeden Körperkontakt mit ihm zu vermeiden. „Ich habe bloß nicht mit Gästen zu Mittag gerechnet.“

„Ich esse auch Spaghetti mit Tomatensoße, das ist kein Problem“, sagte er und unterdrückte ein Lachen, als sie eine Grimasse schnitt. Offensichtlich entsprach dieses Gericht nicht so ganz ihrem Geschmack.

„Nun ja, ich könnte schon etwas Besseres kochen.“

„Ich werde mit Freuden alles entgegennehmen, was Sie mir anbieten.“

Wenn Shannon sich auch der doppelten Bedeutung seiner Worte bewusst war, ließ sie sich dennoch nichts anmerken. „Ich glaube, ich muss mal kurz nachsehen, was meine Nichte wieder anstellt.“

„Ich mache das.“ Schon drehte Ian sich um und verließ die Küche. Wieder reagierte er so schnell, dass ihr keine Zeit blieb, ihn aufzuhalten.

Ian hörte die Kleine schon von Weitem fröhlich lachen. Er brauchte nur ihrer Stimme zu folgen und fand am Ende des Flurs das Kinderzimmer. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und sah Chelsea dabei zu, wie sie begeistert auf ihrem Bett immer wieder hochsprang. Eine pinkfarbene leichte Tagesdecke folgte den Bewegungen des Kindes. Als das kleine Mädchen Ian in der Tür entdeckte, fiel sie vor Schreck auf ihren Po. Sie stand aber sofort auf, rutschte vom Bett und hob ihr Kleid hoch, das sie auf den Boden geworfen hatte.

Ian betrat das liebevoll eingerichtete Kinderzimmer. „Was machst du denn hier?“

„Nichts.“

Er nahm eine winzige grüne Strumpfhose vom Stuhl. „Sollst du die anziehen?“

Sie nickte.

„Also gut, dann mach schnell.“ Er bemühte sich, wie ein großer Bruder zu sprechen. „Tante Shannon wartet schon auf dich.“

Er schaute sich um, während Chelsea sich ankleidete. Das Zimmer war in Rosé und Weiß gehalten und strahlte eine märchenhafte Atmosphäre aus. An den Wänden hingen Bilder in zarten Farben, die Feen und Elfen darstellten. Shannon hatte offensichtlich keine Mühen und Ausgaben gescheut, um dem Kind einen Traum von einem Zimmer zu schenken.

Ian sah auf der kleinen weißen Kommode ein Foto stehen. Er beugte sich hinunter, um das Bild besser betrachten zu können. Es zeigte Chelsea, jünger als jetzt, mit Tiffany.

„Mommy ist im Himmel.“ Chelseas sachliche Äußerung ließ ihn erkennen, wie real Kinder ihre Welt sahen und beschreiben konnten. Ihre Worte lösten bei ihm eine ziemliche Wut auf Wesley aus.

„Das weiß ich, Chelsea.“

„Ich habe bald Geburtstag.“

Ian atmete erleichtert auf, als das Kind so abrupt das Thema wechselte, denn er hätte nicht gewusst, wie er es trösten sollte. „Wann ist das?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Wie alt wirst du denn?“

Autor

Kathryn Taylor
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